VwGH 2008/18/0332

VwGH2008/18/033225.2.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des E in Wien, geboren am 2. Oktober 1977, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 26. September 2007, Zl. E1/405406/2007, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §51;
FrPolG 2005 §53 Abs1 impl;
EMRK Art3;
FrPolG 2005 §51;
FrPolG 2005 §53 Abs1 impl;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 26. September 2007 wurde der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer sei laut eigenen Angaben am 31. Jänner 2002 illegal nach Österreich eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, der infolge der am 11. Jänner 2005 erfolgten Zurückziehung der Berufung gegen den Bescheid der erstinstanzlichen Asylbehörde (vom 3. April 2002) rechtskräftig abgewiesen worden sei.

Mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien (vom 12. Dezember 2002) sei der Beschwerdeführer wegen Suchtgifthandels gemäß § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 erster Fall SMG zu einer bedingten dreimonatigen Freiheitsstrafe (dreijährige Probezeit) verurteilt worden. Dem Urteil sei die Angabe des Beschwerdeführers zu Grunde gelegen, er sei am 2. Oktober 1986 geboren, was sich als falsch herausgestellt habe. Durch diese Falschangabe habe sich der Beschwerdeführer das Urteil eines an sich unzuständigen Gerichtes erschlichen, das nach dem Jugendgerichtsgesetz unter für den Beschwerdeführer viel günstigeren Gesichtspunkten entschieden habe als das damals tatsächlich zuständige Landesgericht für Strafsachen Wien.

Am 16. November 2004 habe der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und am 14. Jänner 2005 einen Antrag auf Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gestellt, der jedoch im Instanzenzug abgewiesen worden sei. Dagegen habe der Beschwerdeführer - eigenen Angaben zufolge - Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben, darüber aber keine näheren Angaben gemacht.

Unter Hinweis auf § 53 Abs. 1 FPG führte die belangte Behörde weiter aus, der Beschwerdeführer behaupte, rechtmäßig in Österreich zu sein, weil er eine freizügigkeitsberechtigte österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe. Die belangte Behörde vertrete jedoch die Rechtsansicht, dass die bloße Behauptung, "freizügigkeitsberechtigt" zu sein, nicht genüge, weil die hiefür als maßgeblich angesehenen Gründe nicht genannt worden seien.

Der Beschwerdeführer gehe offensichtlich davon aus, ein Aufenthaltsrecht aus § 57 iVm den §§ 51 bis 56 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ableiten zu können, ohne nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen, dass seine österreichische Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit tatsächlich in Anspruch genommen hätte. Daher sei die Sicherheitsdirektion für die Berufungsentscheidung über den Ausweisungsbescheid zuständig.

Der Beschwerdeführer sei als Familienangehöriger einer nicht freizügigkeitsberechtigten Österreicherin anzusehen, sodass grundsätzlich die §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG anzuwenden wären. § 86 leg. cit. umfasse allerdings nicht die Ausweisung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet. Im § 86 Abs. 1 FPG werde die Ausweisung überhaupt nicht genannt, im Abs. 2 sei ausdrücklich nur auf die Ausweisung von begünstigten Drittstaatsangehörigen, denen aus den Gründen des § 55 Abs. 1 NAG das Niederlassungsrecht fehle, geregelt. Abs. 3 könne hier außer Betracht bleiben, weil in ihm nur der Durchsetzungsaufschub behandelt werde.

Nach Auffassung der belangten Behörde sei auch auf den Familienangehörigen "eines Österreichers/einer Österreicherin, der/die sein/ihr Recht" auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe, § 53 Abs. 1 FPG anzuwenden.

Da sich der Beschwerdeführer nunmehr schon zweidreiviertel Jahre unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, sei die aufenthaltsbeendende Maßnahme zu Recht verfügt worden, zumal - jedenfalls vom Inland aus - keine Aussicht auf die Legalisierung des Aufenthalts bestehe.

Im Hinblick auf § 66 Abs. 1 FPG müsse angesichts des schon fast sechs Jahre dauernden Aufenthalts des Beschwerdeführers, seiner Berufstätigkeit und der Ehe mit einer Österreicherin von einem mit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme einhergehenden beachtlichen Eingriff in sein Privatleben ausgegangen werden. Der Umstand, dass dem Asylantrag letztlich keine Berechtigung zuerkannt worden sei und sich der Beschwerdeführer danach weiterhin seit fast drei Jahren, also durchaus beharrlich, unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, wirke wesentlich interessenmindernd. Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Beim Beschwerdeführer komme hinzu, dass er eine rechtskräftige Vorstrafe wegen Suchtgifthandels aufweise und österreichische Behörden bzw. Gerichte über sein tatsächliches Geburtsdatum jahrelang getäuscht und sich damit letztlich ein für ihn (mit großer Wahrscheinlichkeit) günstigeres Strafurteil erschlichen habe. Die Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei unter Berücksichtigung aller genannten Umstände von solchem Gewicht, dass die "allenfalls vorhandenen" gegenläufigen privaten Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet. Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in die familiäre Sphäre des Beschwerdeführers werde dadurch "aufgewogen", dass er im Zeitpunkt der Eheschließung wissen hätte müssen, dass im Fall des für ihn negativ ausgehenden Asylverfahrens (dessen Ausgang er durch die Zurückziehung der Berufung vorbestimmt habe) die weitere Führung eines gemeinsamen Familienlebens in Österreichs schwer bis unmöglich sein werde.

Besondere Umstände, die darüber hinaus eine besondere Ermessensübung zulassen würden, hätten weder erkannt werden können, noch seien sie vorgebracht worden.

2. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom 5. März 2008, B 2025/07, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

3. In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurden Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bringt vor, auch für Familienangehörige von "nicht freizügigkeitsberechtigten" Österreichern im Sinn des § 87 FPG seien die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 86 FPG anzuwenden. Der Beschwerdeführer stelle nachweislich keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit im Sinn des § 55 NAG dar, und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gemeinschaft berühre, gehe vom Beschwerdeführer keinesfalls aus.

Dieses Vorbringen gleicht im Wesentlichen jenem, das den hg. Erkenntnissen vom 26. November 2009, Zl. 2009/18/0413 und Zlen. 2008/18/0720, 0709, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf diese Entscheidungen verwiesen. Die in diesem Zusammenhang geltend gemachten vermeintlichen Verfahrensmängel liegen somit ebenfalls nicht vor.

2. Auf dem Boden der Feststellungen der belangten Behörde, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers durch Zurückziehung der gegen den erstinstanzlichen Bescheid eingebrachten Berufung rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde, er über keinen Aufenthaltstitel verfügt und auch nicht vorgebracht wurde, dass einem mit einer Beschwerde an ein Höchstgericht gegen die Abweisung des Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung allenfalls verbundenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stattgegeben worden sei, begegnet ihre Beurteilung, dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinem Einwand.

3. Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grunde des § 66 FPG und bringt vor, er sei seit ca. dreieinhalb Jahren mit seiner österreichischen Ehefrau verheiratet und führe mit ihr ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK. Sowohl er als auch seine Ehefrau gingen einer regelmäßigen unselbständigen Beschäftigung nach. Der Beschwerdeführer habe sich seit seiner Einreise im Jänner 2002 legal in Österreich aufgehalten. Er sei im Bundesgebiet gemeldet, verfüge über eine gesicherte Unterkunft, sein Unterhalt sei gesichert und er verfüge über einen Krankenversicherungsschutz. Er bereue die Tat, die zur Verhängung der bedingten Freiheitsstrafe im Jahr 2002 geführt habe, und habe danach sein Leben grundlegend geändert. Seit fünf Jahren sei er nunmehr unbescholten. Der Ehefrau des Beschwerdeführers sei ein gemeinsames Familienleben in Nigeria nicht zuzumuten, weil ihnen dort jegliche wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen sei. Der Beschwerdeführer sei in Österreich hervorragend integriert und habe intensive familiäre und private Bindungen begründet.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Die belangte Behörde hat bei der gemäß § 66 Abs. 1 FPG (i.d.F. vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) durchzuführenden Interessenabwägung im Hinblick auf den inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit beinahe sechs Jahren, seine Berufstätigkeit und seine familiären Bindungen zu seiner Ehefrau, mit der er im gemeinsamen Haushalt lebt, zutreffend einen mit der Ausweisung verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG angenommen. Die aus dieser Aufenthaltsdauer resultierenden Interessen des Beschwerdeführers sind allerdings an Gewicht insofern zu relativieren, als er lediglich über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz auf Grund eines Asylantrages verfügt hat, der sich als unberechtigt herausgestellt hat, und sich seither unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer unbestritten rechtskräftig wegen Suchtgifthandels verurteilt, wobei er dem Gericht gegenüber ein falsches Geburtsdatum angegeben hat. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist, wird in seinem Gewicht dadurch gemindert, dass er zum Zeitpunkt der Eheschließung über keinen Aufenthaltstitel verfügte und daher rechtens nicht mit einem dauernden Aufenthalt in Österreich rechnen durfte. Auch die Berufstätigkeit des Beschwerdeführers vermag seine Interessen nicht wesentlich zu stärken, hielt er sich doch ohne einen die Erwerbstätigkeit erlaubenden Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auf.

Diesen somit relativierten Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht gegenüber, dass der Beschwerdeführer durch seinen unrechtmäßigen Aufenthalt seit Beendigung des Asylverfahrens und sogar noch nach der rechtskräftigen Abweisung seines Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung mit Bescheid vom 10. Mai 2007 das maßgebliche öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt, gravierend beeinträchtigt hat. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer auch gegen das gewichtige öffentliche Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität verstoßen hat. Die angeführten persönlichen Bindungen lassen keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK erkennen, die es dem Beschwerdeführer unzumutbar machen würden, auch nur für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens in sein Heimatland zurückzukehren. In Anbetracht dessen begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers gemäß § 66 FPG zulässig sei, keinem Einwand.

4. Im Übrigen ist ein Fehlen jeglicher Existenzgrundlage im Herkunftsland des Fremden nicht in einem Ausweisungsverfahren, sondern etwa in einem Verfahren gemäß § 51 leg. cit. geltend zu machen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 2009, Zl. 2009/18/0328, mwN). Dass die belangte Behörde der Ehefrau des Beschwerdeführers zumute, ein gemeinsames Familienleben in Nigeria zu führen, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen.

5. Schließlich kann keine Rede davon sein, dass der angefochtene Bescheid, wie die Beschwerde meint, nicht ausreichend begründet sei.

6. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

7. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

8. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 25. Februar 2010

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