VwGH 2010/18/0111

VwGH2010/18/011130.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des SG in Wien, geboren am 15. April 1978, vertreten durch Dr. Klaus Schimik, Rechtsanwalt in 1180 Wien, Anastasius Grün-Gasse 23/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Februar 2010, Zl. E1/12.624/2010, betreffend Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 15. Februar 2010 wurde der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer sei am 31. Dezember 2001 illegal in das Bundesgebiet gelangt und habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Das Asylverfahren sei am 12. Oktober 2009 durch die Entscheidung des Asylgerichtshofes, in der die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien festgestellt worden sei, rechtskräftig negativ abgeschlossen worden. Nach Beendigung seines Asylverfahrens habe der Beschwerdeführer am 12. November 2009 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt, über den noch nicht entschieden worden sei.

Seit 13. Oktober 2009 halte sich der Beschwerdeführer somit unrechtmäßig in Österreich auf. In einem solchen Fall könne eine Ausweisung veranlasst werden, wenn dieser nicht die Bestimmungen des § 66 FPG entgegenstünden.

Vom Beschwerdeführer, der sich seit acht Jahren in Österreich befinde, würden keine Sorgepflichten im Bundesgebiet geltend gemacht. Er bringe jedoch berufliche, familiäre und private Bindungen zum Bundesgebiet mit der Begründung vor, dass sein in Österreich lebender Onkel bereits österreichischer Staatsbürger sei. Unsubstanziiert und für die belangte Behörde mangels näherer Begründung nicht nachvollziehbar führe der Beschwerdeführer aus, über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet zu verfügen. Seit sieben Jahren sei er als selbständiger Zeitungsausträger erwerbstätig, seit etwa einem Jahr sei er im Besitz einer Gewerbeberechtigung. Er sei sozialversichert, erziele durch seine Erwerbstätigkeit rund EUR 900,-- bis EUR 1.000,-- im Monat und lebe in einer ortsüblichen Unterkunft. Die Einkommensverhältnisse sowie seine behaupteten Deutschkenntnisse und die absolvierten Deutschkurse seien unbelegt geblieben.

Der auf Grund des langjährigen inländischen Aufenthaltes mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers sei zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses hohe öffentliche Interesse verstoße der unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit 13. Oktober 2009 jedoch gravierend. Das Gewicht der aus seinem Aufenthalt resultierenden persönlichen Interessen werde dadurch relativiert, dass er bisher lediglich über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz auf Grund seines Asylantrages, der sich als unberechtigt herausgestellt habe, verfügt habe.

Den vom Beschwerdeführer ausgeübten Beschäftigungen als selbständiger Transportunternehmer und Zeitungsverkäufer komme keine wesentliche Bedeutung zu. Auch aus dem Vorbringen, er sei seinen steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen, könne für den Berufungswerber aktuell nichts gewonnen werden, weil dieser gemäß den Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG für eine Erwerbstätigkeit einer Aufenthaltsbewilligung bedürfe. Im Übrigen schienen im Sozialversicherungsauszug ausständige Sozialversicherungsbeiträge auf. Es könne somit von keiner nachhaltigen Integration in den heimischen Arbeitsmarkt ausgegangen werden.

Den Großteil seines 31-jährigen Lebens habe sich der Beschwerdeführer in Indien aufgehalten. Trotz achtjähriger Abwesenheit vom Heimatland müsse auf Grund der Tatsache, dass in Indien die Eltern des Beschwerdeführers lebten, zumindest von einer losen Bindung an den Heimatstaat ausgegangen werden.

Das Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers könne nur als relativ gering erachtet werden. Außer der strafgerichtlichen Unbescholtenheit sprächen zu Gunsten des Beschwerdeführers keine sonstigen besonderen Umstände, die die belangte Behörde hätten veranlassen können, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die belangte Behörde habe den angefochtenen Bescheid auf Feststellungen gestützt, zu denen er keine Gelegenheit zur Äußerung erhalten habe. Die belangte Behörde habe auch kein ausreichendes Erhebungsverfahren durchgeführt und ihn nicht ausreichend darüber informiert, dass die von ihm vorgelegten Urkunden und Angaben nicht ausreichten, um die von der Behörde beabsichtigte Ausweisung zu verhindern. Hätte ihm die Behörde mitgeteilt, dass die von ihm dargelegten Behauptungen zu einem Privat- und Familienleben als unsubstantiiert betrachtet würden, hätte er entsprechende Auskünfte und Unterlagen beibringen können.

1.2. Dieses Vorbringen zeigt bereits mangels Darlegung der Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der Beschwerdeführer legt weder dar, zu welchen behördlichen Feststellungen er keine Gelegenheit zur Äußerung erhalten habe, noch konkretisiert er, aufgrund welcher (zusätzlicher) Auskünfte und Unterlagen die Behörde zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre. Vor diesem Hintergrund war die belangte Behörde auch nicht gehalten, den Beschwerdeführer darüber zu informieren, dass er nach ihrer Beurteilung auch unter Berücksichtigung der von ihm vorgelegten Unterlagen und der von ihm gemachten Angaben auszuweisen sein würde, muss doch zu Fragen der Beweiswürdigung und zu rechtlichen Erwägungen kein Parteiengehör eingeräumt werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. September 2009, Zl. 2008/09/0352, mwN).

1.3. Die Beschwerde verweist ferner auf den vom Beschwerdeführer gemäß §§ 21 Abs. 3, 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 NAG im Inland gestellten Antrag. Der Gesetzgeber habe durch die genannten Bestimmungen zum Ausdruck gebracht, dass eine Antragstellung im Inland bei langdauerndem Aufenthalt zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens zulässig sei. Die belangte Behörde habe die Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht abgewartet. Die ihm mögliche Antragstellung aus dem Inland zeige, dass sein Aufenthalt in Österreich nicht unrechtmäßig sei, auch wenn er noch nicht über einen Aufenthaltstitel verfüge.

1.4. Diesem Beschwerdevorbringen ist zu entgegnen, dass auch im Inland gestellte Anträge nach § 43 Abs. 2 und § 44 Abs. 3 NAG gemäß § 44b Abs. 3 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründen, einen unrechtmäßigen Aufenthalt nicht legalisieren und an der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG nichts ändern (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. März 2010, Zl. 2010/18/0038, mwN).

1.5. Auf dem Boden der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ abgeschlossen worden sei, wobei vom Beschwerdeführer nicht behauptet wird, dass ihm ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei, begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

2.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid ferner unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK bzw. des § 66 Abs. 1 und 2 FPG und bringt vor, der angefochtene Bescheid lasse nicht erkennen, weshalb das Maß an Integration nur als gering bezeichnet werde. Insbesondere habe die belangte Behörde - abgesehen vom Umstand, dass seine Eltern in Indien lebten - nicht angegeben, welche Bindungen des Beschwerdeführers zu einem anderen Staat, insbesondere zu seinem Heimatstaat Indien bestünden. Eine lose Bindung zum Heimatstaat bedeute nicht, dass nicht dennoch in Österreich seine Integration und seine sozialen Kontakte wesentlich größer seien als zu Indien, das er vor mehr als acht Jahren verlassen habe. In Indien habe er sich während seiner Kindheit und Jugend aufgehalten, während er den für sein Privat- und Familienleben prägenden überwiegenden Teil seines Erwachsenenlebens in Österreich verbracht habe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die belangte Behörde "trotz allenfalls fehlender Nachweise" seines Sprachenerwerbs und der sozialen Integration nur von einem geringen Maß der Integration sowie einem geringen Maß des Privat- und Familienlebens ausgehe. Seine selbständige berufliche Tätigkeit und sein Gewerbeschein zeigten, dass er sich in das Wirtschaftsleben Österreichs integriert habe und nicht von Beihilfen lebe. Er könne als selbständig Erwerbstätiger seinen Lebensunterhalt bestreiten. Da nach § 66 FPG die Ausweisung nur dann zulässig sei, wenn diese "dringend geboten" sei, sei der Schutz des Privat- und Familienlebens höher zu bewerten als das Recht des Staates auf Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

2.2. Auch dieses Vorbringen führt die Beschwerde nicht zum Erfolg.

Aus der Formulierung "dringend geboten" in § 66 Abs. 1 FPG ergibt sich kein von Art. 8 EMRK abweichender Beurteilungsmaßstab (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 13. April 2010, Zl. 2010/18/0057, mwN). Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 66 FPG und des Art. 8 Abs. 2 EMRK hat die belangte Behörde den achtjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers und die von ihm im Verfahren ins Treffen geführten Bindungen zu seinem in Österreich lebenden Onkel und zu einem behaupteten, jedoch nicht belegten Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet ebenso berücksichtigt wie seine strafgerichtliche Unbescholtenheit sowie seine Erwerbstätigkeit als selbständiger Zeitungsausträger und den Besitz einer Gewerbeberechtigung. Die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ableitbare Integration wird in ihrem Gewicht jedoch dadurch entscheidend gemindert, dass sein Aufenthalt nach seiner illegalen Einreise im Dezember 2001 nur auf Grund des von ihm gestellten Asylantrages vorläufig berechtigt war und seit der rechtskräftigen negativen Beendigung des Asylverfahrens unberechtigt ist.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass seine Eltern in Indien leben, wo er sich den Großteil seines Lebens aufgehalten hat. Demgegenüber werden in der Beschwerde die von ihm erwähnten, in Österreich bestehenden "wesentlich größer(en)" sozialen Kontakte durch keine - über die bereits im angefochtenen Bescheid berücksichtigte Bindung zu seinem Onkel und seine Berufstätigkeit hinausgehenden - Argumente untermauert. Der Beschwerdeführer stellt ferner nicht in Abrede, den Nachweis der von ihm behaupteten Deutschkenntnisse im Verfahren schuldig geblieben zu sein. Insgesamt kommt somit den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet - trotz der verhältnismäßig langen Dauer seines inländischen Aufenthaltes und auch unter Berücksichtigung seiner Erwerbstätigkeit - kein allzu großes Gewicht zu.

Zutreffend hat die belangte Behörde dargelegt, dass dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 2010, Zl. 2009/18/0503, mwN). Dieses große öffentliche Interesse hat der Beschwerdeführer durch seinen unrechtmäßigen Aufenthalt maßgeblich beeinträchtigt.

Nach der hg. Judikatur (vgl. erneut das zitierte Erkenntnis vom 21. Jänner 2010, mwN) wäre der Beschwerdeführer nur dann vor einer Ausweisung geschützt und damit unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK in weiterer Folge zu einer Legalisierung seines Aufenthaltes vom Inland aus berechtigt, wenn eine rasche bzw. sofortige Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung zur Abwendung eines unzulässigen Eingriffes in ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Privat- oder Familienleben erforderlich wäre. Die dargelegten persönlichen Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich stellen jedoch keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK dar, die es ihm unzumutbar machten, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen.

Die Beurteilung der belangten Behörde, dass § 66 FPG der Erlassung der vorliegenden Ausweisung des Beschwerdeführers nicht entgegenstehe, begegnet daher keinem Einwand.

3. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist der belangten Behörde auch kein (materieller) Ermessensfehler vorzuwerfen. Zutreffend wurde im angefochtenen Bescheid ausgeführt, dass keine besonderen Umstände vorlägen, die eine Ermessensübung nach § 53 Abs. 1 FPG zu Gunsten des Beschwerdeführers geboten hätten. Der erwähnte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stellt hiebei keinen Umstand im genannten Sinn dar.

4. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren (somit auch ohne die beantragte mündliche Verhandlung) in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

5. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag, dieser aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 30. April 2010

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