BVwG I416 2252159-2

BVwGI416 2252159-222.1.2025

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §19
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2025:I416.2252159.2.00

 

Spruch:

 

I416 2252159-2/14E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , StA. Algerien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH - BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.12.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.01.2025 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz BF), ein algerischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkotrollen illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 21.01.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In seiner Erstbefragung nach dem AsylG durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der BF, befragt zu seinen Fluchtgründen an, dass er seine Heimat wegen der schlechten finanziellen Lage verlassen habe und er hier arbeiten und sich eine Zukunft aufbauen möchte. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er die Armut.

3. Mit Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 AsylG vom 21.01.2022 wurde dem BF zur Kenntnis gebracht, dass Dublin Konsultationen mit Italien und der Schweiz geführt werden. Mit Schreiben der Schweizer Behörden vom 22.03.2022 wurde das österreichische Gesuch auf Rückübernahme abgelehnt.

4. Mit Verfahrensanordnung vom 30.05.2022 wurde dem BF von der belangten Behörde gemäß §§ 29 Abs. 3 und 15a AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da davon ausgegangen werde, dass Italien für sein Asylverfahren zuständig sei.

5. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 07.06.2022 wurde der BF wegen § 28a (1) 5. Fall und § 28a (1) 2. Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt.

6. Im Rahmen des Zulassungsverfahrens wurde der BF am 03.06.2022 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Lebensumständen gab er an, dass er gesund sei und dass seine Frau und sein Sohn in Frankreich leben würden, es aber eigentlich abgemacht gewesen sei, dass diese auch nach Österreich kommen. Er führte weiters aus, dass er in Österreich einen Asylantrag stellen möchte, da er hierbleiben wolle.

7. Mit Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2022, Zl. XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 21.01.2021 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei. Zugleich wurde die Außerlandesbringung des BF angeordnet und die Abschiebung nach Italien für zulässig erklärt.

8. Mit Schreiben des Bundeskriminalamtes vom 01.08.2022 wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass der BF von Interpol Algier mit folgenden Personendaten identifiziert wurde: „ XXXX , geb. am XXXX in XXXX , Algerien/Algerien“.

9. Am 18.01.2023 wurde der belangte Behörde mitgeteilt, dass Italien keine Dublin Überstellungen übernimmt und es auch keine Ausnahmefälle für Personen in Strafhaft gebe.

10. Am 29.03.2024 wurde der BF im Rahmen einer Amtshandlung aufgegriffen und in Schubhaft genommen. Am 30.03.2024 wurde der BF als der Schubhaft entlassen.

11. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG 2005 vom 22.04.2024 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Fremden mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz vollumfänglich abzuweisen. Die Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 AsylG wurde dem BF am 23.04.2024 nachweislich ausgefolgt.

12. Mit Mitteilung vom 26.06.2024 wurde der belangten Behörde eine „Red Notice“ von IP Algier aus dem Jahr 2019 übermittelt und mitgeteilt, dass durch die Staatsanwaltschaft keine Festnahme angeordnet worden sei.

13. Mit Verständigung des Landesgerichtes XXXX vom 12.07.2024 wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass über den BF die Untersuchungshaft verhängt worden sei.

14. Am 19.09.2024 wurde der BF von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Lebensumständen führte er aus, dass er in Algerien die Schule bis zur 7. Klasse Grundschule besucht habe und eine Berufsausbildung als Installateur habe. Er gab weiters an, dass er Berber sei und dem muslimischen Glauben angehören würde. Er habe in Algerien keine Probleme wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion gehabt, er sei auch nie politisch tätig gewesen. In Algerien würden noch seine Geschwister leben und habe er bis vor 6 Monaten Kontakt zu diesen gehabt. In Algerien habe er als Friseur gearbeitet. Er führte weiters aus, dass seine Freundin und sein Sohn in Frankreich leben würden und hätten beide die algerische Staatsangehörigkeit. Zu seinem Fluchtgrund befragt führte er aus, das er bei einer Person gearbeitet habe, die beim Zoll gearbeitet habe. Die Polizei würde nach ihm suchen, da es den Vorwurf gebe, dass er in Algerien mit Suchtmitteln gearbeitet habe. Er sei Fahrer gewesen und habe Suchtmittel von Algerien nach Marokko transportiert. Im Fall seiner Rückkehr habe er Angst vor dem Gefängnis da die Polizei nach ihm suchen würde. Auf Vorhalt, dass er eine Verfahrensanordnung erhalten habe, es beabsichtigt sei, seinen Asylantrag abzuweisen und was er dazu sagen wolle, gab er wörtlich zu Protokoll: „Darf ich noch einen Asylantrag stellen?“. Auf die Abgabe einer Stellungnahme zu den Länderinformationen zu Algerien verzichtet der BF.

15. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 25.11.2024 wurde der BF wegen §§125, 127 STGB; §129 Abs. 1 Z 1 StGB; § 229 Abs. 1 StGB und § 83 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt.

16. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 09.12.2024 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 21.01.2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich erteilte die belangte Behörde dem BF keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt V.) Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.). Eine Frist für eine freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt (Spruchpunkt VII.).

17. Gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid erhob der BF durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 13.01.2025 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltliche Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens.

18. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.01.2025 vorgelegt und langten diese am 17.01.2025 in der zuständigen Gerichtsabteilung ein.

19. Am 21.01.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in der der BF mittels Videokonferenz einvernommen wurde.

 

 

 

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Algerien, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum Islam. Er spricht Arabisch als Muttersprache.

Seine Identität steht nicht fest.

Der BF hat bei seiner Asylantragstellung verschiedene Aliasidentitäten und Geburtsdaten verwendet. Der BF hat die Behörden bewusst über seine Identität getäuscht.

Der BF ist gesund, 2x geschieden, hat laut eigenen Angaben einen Sohn und eine Tochter, die algerische Staatsangehörige sind und in Algerien bzw. Frankreich leben. Der BF ist arbeitsfähig.

Der BF hat in Algerien eine mehrjährige Schulbildung genossen, eine Ausbildung als Installateur abgeschlossen und in seiner Heimat als Friseur gearbeitet.

Der BF verfügt in Algerien noch über familiäre Anknüpfungspunkte.

In Österreich verfügt der BF über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten oder familiären Beziehungen. Unter Zugrundelegung der Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet besteht in Österreich jedenfalls keine relevante Integration in sprachlicher, beruflicher oder sozialer Hinsicht und ging er in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach. Der BF war im Bundesgebiet nur in Haftanstalten melderechtlich erfasst.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 07.06.2022, Zl. XXXX , wurde der BF wegen dem Verbrechen des Suchtgifthandles nach § 28a Abs. 1 5.Fall und § 28a Abs. 1 2.Fall zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 25.11.2024, Zl. XXXX , wurde der BF wegen dem Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, dem Vergehen des Diebstahls nach § 127, dem Vergehen des Einbruchdiebstahls nach § 129 Abs. 1 Z1, der Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und dem Vergehen der Urkundenunterdrückung nach §229 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt.

Der BF befindet sich in Strafhaft.

Der weitere Aufenthalt des BF im Bundesgebiet gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

Gegen den BF wurde am 13.03.2019 durch die algerischen Strafverfolgungsbehörden ein internationaler Haftbefehl wegen Drogenhandel und Besitz von Drogen mit dem Ziel des Handelns innerhalb einer organisierten kriminellen Vereinigung ausgestellt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der wider den BF in diesem Zusammenhang erhobene Haftbefehl aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund erhoben wurde oder dass die strafrechtliche Verfolgung des BF auf anderen unsachlichen Motiven beruht.

Zum Entscheidungszeitpunkt kann weder festgestellt werden, ob bzw. wann ein (erstinstanzliches) Urteil infolge des wider den BF erlassenen Haftbefehls ergehen wird. Ebenso wenig kann gegenwärtig festgestellt werden, dass der BF der ihm zur Last gelegten Taten ganz oder teilweise schuldig erkannt wird oder ein gänzlicher oder teilweiser Freispruch ergeht bzw. zu welcher Strafe er im Fall eines Schuldspruches verurteilt werden würde. Ausgehend davon kann auch nicht festgestellt werden, dass der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer (mehrjährigen) Haftstrafe verurteilt würde.

Dem BF droht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder terroristische Anschläge in Algerien.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF und zur Rückkehrgefährdung:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Algerien aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde.

Der BF ist keinen illegitimen Verfolgungshandlungen seitens der algerischen Behörden ausgesetzt. Er wird im Rückkehrfall mit strafgerichtlichen Ermittlungen konfrontiert sein, gegebenenfalls – sollte er verurteilt werden – auch mit einer Freiheitsstrafe. Die Haftbedingungen in Algerien sind hart, systematische Menschenrechtsverletzungen können jedoch nicht festgestellt werden.

Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm in Algerien Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Der BF wird im Falle seiner Rückkehr nach Algerien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Algerien eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der BF ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

Dem BF wird im Falle einer Rückkehr nach Algerien auch nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen. Dies insbesondere, da er in Algerien noch über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Algerien ist nach § 1 Z 10 HStV ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG.

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des BF sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 09.12.2024 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Algerien hinsichtlich der relevanten Punkte zitiert. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich diesen Ausführungen vollinhaltlich an und ergeben sich daraus folgende Feststellungen:

Politische Lage

Gemäß seiner Verfassung ist Algerien eine demokratische Volksrepublik mit einem semipräsidentiellen Regierungssystem. Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt, seine Amtszeit ist auf zwei Mandate begrenzt (AA 20.6.2023; vgl. AA 10.5.2023). Die 2020 erfolgte Verfassungsreform bringt eine weitere Verstärkung der Rolle des Staatspräsidenten und - noch problematischer - verankert stärker als bisher eine Rolle des Militärs als Staats- und Verfassungsgarant (ÖB Algier 21.5.2024).

Der Präsident ist Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber des Heeres und Verteidigungsminister. Er garantiert die Einheit des Staates und ist die höchste Instanz der Rechtsprechung. Er ernennt den Premierminister nach Konsultation des Parlaments und nach Befassung des Premierministers die Minister und sitzt dem Ministerrat vor. Er ernennt die Funktionäre der Verwaltung und des Militärs, den Gouverneur der Nationalbank, die 48 Wilaya(Provinz)präfekte und die Richter des Landes. Die Gesetzgebung basiert mehrheitlich auf präsidentiellen Dekreten (ÖB Algier 21.5.2024).

Präsident Abdelaziz Bouteflika wurde 2019 nach massiven Demonstrationen („Hirak“) gestürzt. Er war seit 1999, damals 62-jährig, im Amt. Während die Öffentlichkeit eine grundlegende Erneuerung des politischen Systems, mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fordert(e), konsolidierte sich dieses in Richtung eines „Clanwechsels“, dominiert vom neuen Staatspräsidenten Abdelmajid Tebboune und der Armee unter Generalstabschef Saïd Chengriha. Tebboune. Der damals neue [Anm.: und gegenwärtige] Präsident war Premierminister und Minister Bouteflikas, wurde im Dezember 2019 bei einer offiziellen Wahlbeteiligung von knapp unter 40% gleich im ersten Wahlgang gewählt, es standen nur „Systemkandidaten“ zu Auswahl (ÖB Algier 21.5.2024). Bei der Präsidentschaftswahl in Algerien am 7.9.2024 hat sich Amtsinhaber Abdelmadjid Tebboune nach vorläufigen Ergebnissen klar durchgesetzt und eine zweite Amtszeit von weiteren fünf Jahren gewonnen. Tebboune hat gemäß Vorsitzendem der Wahlbehörde 94,6% der Stimmen erhalten. Die beiden Gegenkandidaten blieben demnach völlig chancenlos und erhielt nur 3% beziehungsweise 2% der abgegebenen Stimmen. Die Wahlbeteiligung war mit nur 48% ähnlich gering wie vor fünf Jahren. Der Sieg hat für Tebboune damit einen bitteren Beigeschmack und ist auch Ausdruck der Frustration bei vielen Menschen in dem nordafrikanischen Land (Tagesschau 8.9.2024).

Das algerische Parlament besteht aus der nach Verhältniswahlrecht (mit Fünf-Prozent-Klausel) gewählten Nationalen Volksversammlung (Assemblée Populaire Nationale) und einer zweiten Kammer (Conseil de la Nation oder Senat), deren Mitglieder zu einem Drittel vom Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt werden (AA 20.6.2023; vgl. AA 10.5.2023). Die Mitglieder der Nationalen Volksversammlung, des Unterhauses des Parlaments, werden direkt für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt, die nach der Verfassungsreform von 2020 nur einmal verlängert werden kann. Vorgezogene Parlamentswahlen [Anm.: des Unterhauses] fanden 2021 statt; es kam zu Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten. Der Präsident ernennt ein Drittel der Mitglieder des Oberhauses, des Rates der Nation, der aus 144 Mitgliedern besteht, die eine sechsjährige Amtszeit haben. Die anderen zwei Drittel werden indirekt von den Kommunal- und Provinzparlamenten gewählt. Die Hälfte der Mandate der Kammer wird alle drei Jahre erneuert. Die Teilwahlen zum Oberhaus fanden im Februar 2022 statt. Die Kommunal- und Regionalwahlen im Jahr 2021 fanden bei geringer Wahlbeteiligung statt (FH 2024). Die Rolle der beiden Parlamentskammern im Staats- und Machtgefüge bleibt vor allem aufgrund der klaren Regierungsmehrheit schwach (AA 10.5.2023).

Die politischen Angelegenheiten in Algerien werden seit Langem von einer geschlossenen Elite beherrscht, die sich auf das Militär und die Regierungspartei, die Nationale Befreiungsfront (FLN), stützt. Es gibt zwar mehrere Oppositionsparteien im Parlament, aber die Wahlen werden durch Betrug verzerrt, und die Wahlverfahren sind nicht transparent. Weitere Probleme sind die Unterdrückung von Straßenprotesten, rechtliche Einschränkungen der Medienfreiheit und die grassierende Korruption. Die Hirak-Protestbewegung im Jahr 2019 setzte das Regime unter Druck, sich zu reformieren, aber ein hartes Vorgehen gegen Andersdenkende in den darauffolgenden Jahren hat verhindert, dass es weiterhin zu groß angelegten Demonstrationen kommt (FH 2024).

Am 24.8.2021 sind die diplomatischen Beziehungen zwischen Algerien und Marokko aufgrund von Spannungen zwischen den beiden Ländern seitens Algerien abgebrochen worden (REU 25.8.2021). Der algerische Präsident Tebboune hat im März 2023 festgestellt, dass er wenig Hoffnung auf eine positive Entwicklung des Konflikts hat. Die Beziehungen zwischen Algerien und Marokko sind weiterhin schlecht (MaPo 22.3.2023).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2023): Algerien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/algerien-node/-/222160 , Zugriff 28.8.2024

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt ,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html , Zugriff 20.8.2024

 MaPo - Maghreb Post (22.3.2023): Algerien – Präsident nennt Beziehungen zu Marokko unumkehrbar., https://maghreb-post.de/algerien-praesident-nennt-beziehungen-zu-marokko-unumkehrbar , Zugriff 18.9.2024

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 REU - Reuters (25.8.2021): Algeria cuts diplomatic relations with Morocco, https://www.reuters.com/world/algeria-says-cutting-diplomatic-ties-with-morocco-2021-08-24 , Zugriff 18.9.2024

 Tagesschau - Tagesschau (8.9.2024): Tebboune gewinnt die Wahl in Algerien, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/algerien-wahl-tebboune-100.html , Zugriff 17.9.2024

Sicherheitslage

Demonstrationen

Spontane Demonstrationen können trotz Verboten auch außerhalb der Hauptstadt Algier stattfinden, insbesondere nach den Freitagsgebeten. Auch bei friedlichem Verlauf können vereinzelt gewaltsame Auseinandersetzungen und Verkehrsbehinderungen nicht ausgeschlossen werden (AA 31.5.2024).

Terrorismus

Algerien unternimmt weiterhin erhebliche Anstrengungen, um terroristische Aktivitäten innerhalb seiner Grenzen zu verhindern, und bleibt daher für terroristische Gruppen ein schwieriges Operationsumfeld. Der dschihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden und die Kapazitäten algerischer Terrorgruppen sind aufgrund erfolgreicher Antiterror-Operationen begrenzt. Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) ist auf kleine Reste reduziert, hat sich mehrmals gespalten und ist in Algerien praktisch handlungsunfähig. Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich inzwischen weiter verbessert, die Sicherheitskräfte halten Reste terroristischer Gruppen unter starkem Druck. Terroristen wurden großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben das Land verlassen. Terrorgruppen stellen allerdings weiterhin eine Bedrohung dar, wenn auch in geringerem Ausmaß. Zu erkennen ist die Verringerung terroristischer Aktivitäten auch an den statistischen Werten des Global Terrorism Index für die Jahre 2019 bis 2023 (STDOK 27.6.2024).

Terroristische Aktivitäten richten sich in erster Linie gegen die staatlichen Sicherheitskräfte (AA 31.5.2024). Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB Algier 21.5.2024). Das Fortbestehen bewaffneter islamistischer Gruppen, die in den Bergregionen im Norden und Osten sowie in den Grenzgebieten im Süden sporadische Angriffe auf das Militär verüben, wird allerdings anerkannt. Obwohl diese Gruppen die Unterstützung der lokalen Bevölkerung verloren haben, sind sie weiterhin aktiv und unterhalten Verbindungen zu kriminellen Netzwerken in der Sahelzone (BS 2024).

Spezifische regionale Risiken - Terrorismus

Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. AA 31.5.2024). Die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali (ÖB Algier 21.5.2024). In den Grenzgebieten mit den Nachbarländern Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Westsahara besteht weiterhin die Gefahr von terroristischen Anschlägen oder Entführungsversuchen (AA 31.5.2024; vgl. BMEIA 2.9.2024), ebenso wie in den algerischen Saharagebieten und außerhalb der Bezirke der größeren Städte im nördlichen Landesteil von Algerien, in ländlichen Gebieten und Bergregionen (AA 31.5.2024). Immer wieder versuchen kriminelle, terroristische bzw. bewaffnete Gruppen Algeriens Grenzgebiete für ihre Zwecke zu nutzen bzw. diese zu durchqueren (BMEIA 2.9.2024).

Subjektives Sicherheitsempfinden

In einer in drei großen algerischen Städten mit einem repräsentativen Sample November bis Dezember 2023 durchgeführten Umfrage zur sozio-ökonomischen Lage gaben 97% der Befragten an, sich in ihrer Wohngegend entweder "sehr sicher" oder "eher sicher" zu fühlen (STDOK 31.12.2023).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (31.5.2024): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/algerien-node/algeriensicherheit/219044 , Zugriff 19.9.2024

 BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (2.9.2024): Reisehinweise Algerien, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/algerien , Zugriff 19.9.2024

 BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Algeria Country Report, https://bti-project.org/de/reports/country-report/DZA , Zugriff 20.8.2024

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (27.6.2024): Themenbericht der Staatendokumentation: Terrorismus Nordafrika

 STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (31.12.2023): Algeria: Socio-Economic Survey 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2106869/2024-04-03_Dossier , Zugriff 13.9.2024

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Justiz agiert nicht immer unabhängig oder unparteiisch und es mangelt ihr an Unabhängigkeit (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 10.5.2023, BS 2024, ÖB Algier 21.5.2024). Obwohl die Gewaltenteilung verfassungsmäßig vorgesehen ist (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 10.5.2023, BS 2024), schränkt die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz ein (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 11.4.2023, BS 2024, ÖB Algier 21.5.2024) bzw. hat die Exekutive weitgehende Befugnisse über die Justiz (AA 10.5.2023). Der Präsident hat den Vorsitz im Obersten Justizrat, der für die Ernennung aller Richter sowie Staatsanwälte zuständig ist (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 10.5.2023, FH 2024, BS 2024). Der Oberste Justizrat ist auch für die richterliche Disziplin und die Entlassung von Richtern zuständig (USDOS 23.4.2024; vgl. BS 2024, AA 10.5.2023).

Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Diese Vorschriften wurden im April 2020 durch eine Novellierung des Strafgesetzbuches noch einmal verschärft. Betroffen sind insbesondere Meinungs- und Pressefreiheit, welche durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden (AA 10.5.2023). Mit der Verordnung 21-08 wurde im Juni 2021 per Präsidialdekret die Terrorismusdefinition in Artikel 87 des Strafgesetzbuches vage ausgeweitet. Seitdem werden unter Bezugnahme auf diesen Artikel zunehmend auch lediglich kritische Äußerungen gegen die Staatsführung in Medien oder sozialen Netzwerken als Förderung von Terrorismus oder Angriff auf die Nationale Einheit ausgelegt. Mehrere kritische Journalisten und Aktivisten wurden bereits unter Artikel 87 mit teils langen Haftstrafen belegt (AA 10.5.2023; vgl. ÖB Algier 21.5.2024).

Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess, aber in der Praxis respektieren die Behörden diese rechtlichen Bestimmungen nicht immer (USDOS 23.4.2024). Die fehlende Unabhängigkeit von Justiz und Staatsanwaltschaft untergräbt häufig die Rechte der Angeklagten auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, insbesondere in politisch heiklen Fällen gegen ehemalige Beamte oder Bürgeraktivisten. Es kommt häufig zu langen Verzögerungen bei der Anhörung von Angeklagten, und den Anträgen der Staatsanwaltschaft auf Verlängerung der Untersuchungshaft wird in der Regel stattgegeben. Die Sicherheitskräfte führen häufig Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl durch und nehmen willkürliche Verhaftungen und kurzfristige Inhaftierungen vor (FH 2024). Die meisten Prozesse sind öffentlich, es sei denn, der Richter stellt fest, dass das Verfahren eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die "Moral" darstellt. Das Strafgesetzbuch sieht kostenfreie Übersetzer für Angeklagte vor. Die Angeklagten haben das Recht, während des Prozesses anwesend zu sein, können aber in Abwesenheit verurteilt werden, wenn sie einer Vorladung nicht Folge leisten (USDOS 23.4.2024).

Personen mit genügend Mitteln bzw. politischen Verbindungen können auf Gerichtsentscheidungen Einfluss nehmen. Mitunter scheinen politische Prozesse und die gerichtliche Verfolgung von unliebsamen Personen oder Kritikern auf der Basis gerichtlich belangbarer Vorwürfe konstruiert zu werden. Oppositionelle politische Aktivisten beklagen, aufgrund von Anti-Terrorismus-Gesetzen und solchen zur Begrenzung der Versammlungsfreiheit oder Vergehen gegen "die Würde des Staates und die Staatssicherheit" festgenommen zu werden. In der Amtszeit von Präsident Tebboune (seit Dezember 2019) wurde die Repression in Algerien erheblich verschärft. 2023 ist von über 300 politischen Gefangenen die Rede. Trotz dieser Zahlen ist die algerische Regierung bemüht, eine oberflächlich versöhnliche Haltung einzunehmen (ÖB Algier 21.5.2024).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt ,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Algeria Country Report, https://bti-project.org/de/reports/country-report/DZA , Zugriff 20.8.2024

 FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html , Zugriff 20.8.2024

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html , Zugriff 20.8.2024

Sicherheitsbehörden

Die algerischen Sicherheitskräfte bestehen aus der Armee (Algerian People's National Army - ANP), der Nationalen Gendarmerie und der republikanischen Garde unter dem Verteidigungsministerium sowie der nationalen Polizei unter dem Innenministerium. Die Nationale Gendarmerie nimmt unter der Schirmherrschaft des Verteidigungsministeriums polizeiliche Aufgaben außerhalb der städtischen Gebiete wahr; sie besteht aus territorialen, Interventions-/Mobilitäts-, Grenzschutz-, Eisenbahn-, Aufruhrkontroll- und Luftunterstützungseinheiten; die Generaldirektion für Nationale Sicherheit ist mitverantwortlich für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung (CIA 7.8.2024).

Angesichts der jüngeren Geschichte und der Sicherheitslage im Land ist der Sicherheitsapparat sehr groß dimensioniert. Nationale Gendarmerie und Polizei zählen zusammen allein fast 400.000 Mann. Hinzu kommen die zahlenmäßig nicht bekannten Angehörigen der politisch einflussreichen "Direction des Services de Sécurité" (DSS) [Anm.: Direktion der Sicherheitskräfte] bzw. dessen Nachfolgeorganisationen, die im Bereich Terrorismus und nationale Sicherheit ebenfalls als Strafverfolgungsbehörde funktionieren (ÖB Algier 21.5.2024).

Die Regierung hat Schritte unternommen, um gegen Beamte, die Menschenrechtsverletzungen, insbesondere Korruption, begangen haben, zu ermitteln, sie strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Die Generaldirektion für nationale Sicherheit führte Ermittlungen zu Misshandlungsvorwürfen durch und ergriff Verwaltungsmaßnahmen gegen Beamte, die ihrer Meinung nach Misshandlungen begangen hatten. Das Justizministerium meldete mehrere strafrechtlichen Verfolgungen oder Verurteilungen von Zivil-, Sicherheits- oder Militärbeamten wegen Folter oder anderer missbräuchlicher Behandlung. Die Straffreiheit für Polizei- und Sicherheitsbeamte ist nach wie vor ein Problem (USDOS 23.4.2024). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB Algier 21.5.2024).

Quellen:

 CIA - Central Intelligence Agency [USA] (7.8.2024): Algeria - The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/algeria/#military-and-security , Zugriff 21.8.2024

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html , Zugriff 20.8.2024

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter und unmenschliche Behandlung (AA 10.5.2023; vgl. USDOS 23.4.2024, ÖB Algier 21.5.2024), auch im algerischen Strafgesetz ist Folter seit 2004 ein Verbrechen. Das traditionelle islamische Strafrecht (Scharia) wird nicht angewendet (AA 10.5.2023). Das Strafmaß für Folter für Beamte liegt zwischen 10 und 20 Jahren (USDOS 23.4.2024).

Folter wird laut Menschenrechtsbeobachtern gelegentlich zur Erzwingung von Aussagen und Geständnissen angewandt (ÖB Algier 21.5.2024) bzw. gibt es glaubwürdige Berichte, dass Folter von Beamten angewendet wird (USDOS 23.4.2024). Menschenrechtsorganisationen berichten, dass die Polizei gelegentlich übermäßige Gewalt gegen Verdächtige, einschließlich Demonstranten und Informanten, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen, anwendet, was einer Folter oder erniedrigenden Behandlung gleichkommen könnte (USDOS 23.4.2024). Vor Gericht werden Aussagen bezüglich Folter von den Justizbehörden ignoriert (AI 24.4.2024).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt ,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Algeria 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107829.html , Zugriff 21.8.2024

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html , Zugriff 20.8.2024

Korruption

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, und die Regierung setzt das Gesetz im Allgemeinen wirksam um. Es gibt vereinzelte Berichte, wonach Korruption in der Regierung gerichtlich verfolgt wird (USDOS 23.4.2024). Gemäß anderer Angaben beruht Korruption in der Regierung hauptsächlich auf unangemessenen Anti-Korruptionsgesetzen, intransparenten Strukturen, mangelnder Unabhängigkeit der Justiz und aufgeblasener Bürokratie. Ermittlungen zur Korruptionsbekämpfung werden häufig dazu genutzt, Zwistigkeiten zwischen den Fraktionen innerhalb des Regimes auszutragen und die Popularität der amtierenden Behörden zu steigern (FH 2024).

Aus realem Anlass, um der Bevölkerung entgegenzukommen, aber auch um das Aufkommen alternativer Machtfaktoren zu behindern, wurden mit teilweise fragwürdigen juristischen Mitteln Verfahren gegen zahlreiche Mitglieder ehemaliger Regierungen, Verwaltungsbeamte und Unternehmer wegen korruptionsbezogener Vorgänge eingeleitet bzw. diese inhaftiert. Die Repression hat mit über 300 politischen Gefangenen ein neues Level erreicht, welches mit jenem unter Präsident Bouteflika nicht vergleichbar ist (ÖB Algier 21.5.2024). Eine Reihe ehemaliger politischer und wirtschaftlicher Verbündeter Bouteflikas wurden im Rahmen der Antikorruptionskampagne, die auf seinen Rücktritt folgte, zu harten Gefängnisstrafen verurteilt (FH 2024; vgl. ÖB Algier 21.5.2024).

Am 19.7.2022 richtete die Regierung eine neue Antikorruptionsbehörde ein, die Hohe Behörde für Transparenz, Prävention und Korruptionsbekämpfung, eine unabhängige Antikorruptionsbehörde, die mit der Durchführung von administrativen und finanziellen Ermittlungen in Bezug auf mutmaßliche illegale Bereicherung von Amtsträgern beauftragt ist. Der Rat der Hohen Behörde setzt sich aus Richtern, nationalen Persönlichkeiten und Vertretern der Zivilgesellschaft zusammen (USDOS 20.3.2023).

Auf dem Corruption Perceptions Index für 2023 liegt Algerien mit einer Punktezahl von 36 von 100 [Anm.: 100 ist das bestmögliche Ergebnis] auf Platz 104 von 180 untersuchten Staaten (TI 30.1.2024).

Quellen:

 FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html , Zugriff 20.8.2024

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 TI - Transparency International (30.1.2024): 2023 Corruption Perceptions Index: Explore the results, https://www.transparency.org/en/cpi/2023 , Zugriff 22.8.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html , Zugriff 20.8.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089128.html , Zugriff 22.8.2024

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet (AA 20.6.2023). Systematische staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar (AA 10.5.2023). NGOs kritisieren zunehmende Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs-, und Pressefreiheit (AA 20.6.2023; vgl. USDOS 23.4.2024, HRW 11.1.2024) - in diesen Bereichen verschlechterte sich die Lage im Jahr 2023 (USDOS 23.4.2024). Die algerischen Behörden haben im Jahr 2023 die Unterdrückung der Meinungs-, Presse-, Vereinigungs-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit im Rahmen ihrer fortgesetzten Bemühungen zur Unterdrückung des organisierten Widerstandes verschärft. Sie haben wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen aufgelöst, Oppositionsparteien und unabhängige Medien suspendiert und weiterhin restriktive Gesetze angewandt, um Menschenrechtsverteidiger, Aktivisten, Journalisten und Anwälte zu verfolgen - unter anderem wegen des zweifelhaften Vorwurfs des Terrorismus und der Annahme von Geldern zur Schädigung der Staatssicherheit -, was einige von ihnen zur Flucht ins Exil veranlasste (HRW 11.1.2024). Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind unter anderem Folter oder grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch Angehörige der Sicherheitskräfte; willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen; politische Gefangene; schwerwiegende Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz und der Unparteilichkeit sowie rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre (USDOS 23.4.2024).

Obwohl die Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet (USDOS 23.4.2024), schränkt die Regierung diese Rechte ein (USDOS 23.4.2024; vgl. HRW 11.1.2024). Die Behörden nutzen rechtliche Mechanismen, um die Medienarbeit einzuschränken (FH 2024). Öffentliche Debatten und Kritik an der Regierung sind weit verbreitet, jedoch ist es für Journalisten und Aktivisten problematisch, bestimmte rote Linien zu überschreiten (USDOS 23.4.2024). Die Behörden setzen Journalisten und Kritiker Schikanen und Einschüchterungen aus (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024). Journalisten berichten, dass selektive Strafverfolgung als Einschüchterungsmechanismus dient. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen schüchtert die Regierung Aktivisten und Journalisten ein. Zu den Maßnahmen der Regierung gehören die Schikanierung einiger Kritiker, die willkürliche Durchsetzung vage formulierter Gesetze und informeller Druck auf Verleger, Redakteure, Anzeigenkunden und Journalisten (USDOS 23.4.2024). Die algerische Presse zeichnet sich durch rapide schwindenden Pluralismus und Druck gegen unabhängige Zeitungen aus. Der Staat kontrolliert zwei Schlüsselressourcen für die Printmedien, die öffentlichen Druckereien und subventionierte Papierlieferungen. Daneben besteht ein weiteres Mittel staatlicher Einflussnahme in Gestalt der staatlichen Werbe- und Vertriebsgesellschaft ANEP, über die alle staatlichen Unternehmen ihre Werbung platzieren. Ein Rückgang dieser Werbeeinnahmen hat in den letzten Jahren zur Schließung mehrerer Zeitungen geführt. Die Abhängigkeit von diesen Ressourcen führt zu Selbstzensur seitens der Herausgeber und Redakteure (AA 10.5.2023). Obwohl sich manche Zeitungen in Privatbesitz befinden und einige Journalisten eine aggressive Berichterstattung in Bezug auf Regierungsangelegenheiten an den Tag legen, so sind die meisten Zeitungen auf Regierungsbehörden zur Drucklegung und für Werbung angewiesen, was Selbstzensur fördert (FH 2024). Die Behörden verhaften und inhaftieren Bürger, weil sie Ansichten äußern, die als schädlich für staatliche Beamte und Institutionen angesehen werden, einschließlich der Verwendung der Amazigh-Flagge bei Protesten, und die Bürger üben Selbstzensur bei der Äußerung öffentlicher Kritik (USDOS 23.4.2024).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden durch die algerische Verfassung garantiert, dennoch werden Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten (AA 10.5.2023; vgl. USDOS 23.4.2024) bzw. wird die Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt (USDOS 23.4.2024; vgl. HRW 11.1.2024). Folglich sind die Möglichkeiten oppositioneller politischer Tätigkeit weiterhin eng begrenzt: Versammlungen müssen angemeldet sein, Demonstrationen in der Hauptstadt sind theoretisch weiterhin verboten (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. USDOS 23.4.2024) und auch anderswo ist es schwierig, eine Genehmigung zu erhalten (USDOS 23.4.2024). Politische Veranstaltungen sind engen Regeln unterworfen und im Grunde auf die dreiwöchigen Kampagnen vor Wahlen beschränkt (ÖB Algier 21.5.2024).

Gesetzliche Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bestehen weiterhin, werden aber uneinheitlich durchgesetzt. Obwohl die Hirak-Proteste, die 2019 begannen, manchmal toleriert wurden, griffen die Behörden häufig zu Gewalt und willkürlichen Verhaftungen, um Kundgebungen zu verhindern oder aufzulösen. Nach der Wiederaufnahme der Demonstrationen im Jahr 2021 sahen sich die Hirak-Demonstranten zunehmenden Repressionen ausgesetzt, wodurch die Bewegung an Schwung verlor. Im Jahr 2023 kam es zu keinen größeren Hirak-Protesten, aber die Polizei nahm im Laufe des Jahres 2023 weiterhin Personen fest, denen Verbindungen zu der Bewegung nachgesagt wurden (FH 2024).

Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden. Nach der Registrierung müssen die Organisationen die Regierung über ihre Aktivitäten, Finanzierungsquellen und Mitarbeiter informieren und auch personelle Veränderungen mitteilen. Dennoch sind verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen aktiv. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt bzw. ist Kooperation nur selten mit dieser möglich (USDOS 23.4.2024).

Eine Parteigründung bleibt weiterhin schwierig (ÖB Algier 21.5.2024). Für die Gründung einer Partei ist - wie bei anderen Vereinigungen - eine Genehmigung des Innenministeriums nötig. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten, aber verschiedene politische Parteien mit religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit werden toleriert (USDOS 23.4.2024). Die Zunahme neuer politischer Parteien nach dem Arabischen Frühling und dem Hirak hat neue Bevölkerungsgruppen mobilisiert. Sie hat jedoch auch zu einer möglichen Zersplitterung der Opposition geführt und kleinere Unterstützergruppen für die regierende Nationale Befreiungsfront (FLN) geschaffen (BS 2024). Oppositionsparteien können sich grundsätzlich ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind. In den privaten Medien sind oppositionelle Parteien wenig, in den staatlichen Medien gar nicht präsent. Mehrere Parteien haben kritisiert, dass ihnen teils die Ausrichtung von Versammlungen erschwert wird und sie Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt sind. Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten (AA 10.5.2023).

Der Nationale Menschenrechtsrat (CNDH) verfügt über Haushaltsautonomie und hat die verfassungsmäßige Aufgabe, mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, offiziell zu den von der Regierung vorgeschlagenen Gesetzen Stellung zu nehmen und dem Präsidenten, dem Premierminister und den beiden Parlamentspräsidenten einen veröffentlichten Jahresbericht vorzulegen. Die CNDH ist in fast allen Gemeinden und in fünf regionalen Delegationen in Chlef, Biskra, Setif, Bechar und Bejaia vertreten. Die CNDH stellte fest, dass sie im Laufe des Jahres 2023 Gefängnisbesuche durchführte, Sitzungen mit der Arabischen Liga und Penal Reform International abhielt, Krankenhäuser und Pflegeheime besuchte, um einen gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung für gefährdete Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten, und Sondersitzungen abhielt, um den Klimawandel nach den Waldbränden im Nordosten des Landes zu thematisieren (USDOS 23.4.2024).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2023): Algerien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/algerien-node/-/222160 , Zugriff 28.8.2024

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt ,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Algeria Country Report, https://bti-project.org/de/reports/country-report/DZA , Zugriff 20.8.2024

 FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html , Zugriff 20.8.2024

 HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103142.html , Zugriff 29.8.2024

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html , Zugriff 20.8.2024

Haftbedingungen

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) besucht regelmäßig Gefängnisse. Die IKRK-Delegierte hält engen Kontakt mit algerischen Ministerien und Behörden und beurteilt die Zusammenarbeit mit der Regierung als grundsätzlich positiv. Die Bemühungen der algerischen Strafvollzugsbehörden, die Haftbedingungen zu verbessern, konnten bei mehreren Kooperationsprojekten von ausländischen Experten konstatiert werden (z.B. EU-Twinning Projekt mit Frankreich und Italien 2018, Zusammenarbeit mit deutscher IRZ 2022). Laut EU Expert:innen seien von den 144 Strafanstalten 80 jünger als zehn Jahre, die medizinische Ausstattung sei allgemein gut. Defizite seien bei Resozialisierungsmaßnahmen bzw. der Betreuung nach Entlassung aus der Haft festzustellen.

Die Haftbedingungen sind hart und aufgrund von körperlichen Misshandlungen und unzureichender medizinischer Versorgung lebensbedrohlich (USDOS 23.4.2024). Die Haftbedingungen sind schlecht, und einige Insassen sind Berichten zufolge starker Überbelegung ausgesetzt und haben mit schlechten sanitären Einrichtungen zu kämpfen (FH 2024). Vulnerable Häftlinge werden getrennt inhaftiert (USDOS 23.4.2024).

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 10.5.2023) und lokale Menschenrechtsbeobachter (USDOS 23.4.2024) besuchen Inhaftierte in verschiedenen Gefängnissen (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 10.5.2023). Der IKRK-Delegierte hält engen Kontakt mit algerischen Ministerien und Behörden und beurteilte die Zusammenarbeit mit der Regierung als grundsätzlich positiv (AA 10.5.2023).

Es werden für Gefängnispersonal Schulungen zu Menschenrechtsstandards durchgeführt. Die DGSN [Generalsekretariat für die nationale Sicherheit] berichtete, dass sie im Laufe des Jahres 2023 170 Schulungen zum Thema Menschenrechte für 8.467 Polizeibeamte in allen 58 Bundesstaaten durchgeführt hat, was eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr darstellt (USDOS 23.4.2024). Die Bemühungen der algerischen Strafvollzugsbehörden, die Haftbedingungen zu verbessern, konnten bei mehreren Kooperationsprojekten von ausländischen Experten konstatiert werden. Von 144 Strafanstalten sind 80 jünger als zehn Jahre, die medizinische Ausstattung ist allgemein gut. Bei Resozialisierungsmaßnahmen bzw. der Betreuung nach Entlassung aus der Haft sind Defizite festzustellen (AA 10.5.2023).

Verbesserungen: Im Laufe des Jahres 2023 meldete das Justizministerium mehrere Verbesserungen der Haftbedingungen, darunter die Einrichtung von öffentlichen Telefonen in drei neuen Gefängnissen, die Eröffnung von zwei neuen Gefängnissen, um die Überbelegung der Gefängnisse zu verringern, und die Verbesserung der medizinischen Einrichtungen in mehreren Gefängnissen im ganzen Land. Die Behörden führten außerdem Schulungsprogramme für Gefängnisbeamte zu national und international verankerten Rechten für Gefangene sowie Schulungen zum besonderen Schutz von Frauen und Minderjährigen in Gefängnissen ein (USDOS 23.4.2024).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt ,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html , Zugriff 20.8.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html , Zugriff 20.8.2024

Todesstrafe

Die Todesstrafe ist für zahlreiche Delikte vorgesehen und wird auch verhängt, doch gibt es in der Praxis ein Moratorium und seit 1993 werden offiziell keine Exekutionen mehr durchgeführt (AA 10.5.2023; vgl. ÖB Algier 21.5.2024, AI 24.4.2024, ECPM o.D.). Im Jahr 2023 gab es zumindest 38 Todesurteile (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. ECPM o.D.)

Für den Fall einer Auslieferung besteht die Möglichkeit, Nichtverhängung oder Nichtvollzug der Todesstrafe zu vereinbaren (AA 10.5.2023).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt ,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Algeria 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107829.html , Zugriff 21.8.2024

 ECPM - Ensemble contre la peine de mort (o.D.): Worldmap - ECPM, https://www.ecpm.org/en/worldmap , Zugriff 2.9.2024

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

Religionsfreiheit

Die Bevölkerung besteht zu 99 % aus sunnitischen Moslems und zu weniger als 1 % aus Christen, Juden und anderen (CIA 7.8.2024; vgl. FH 2024). Verschiedene inoffizielle Schätzungen geben die Anzahl der Christen in Algerien zwischen 20.000 und 200.000 an. Durch den Zuzug von Studenten und Migranten aus Subsahara-Afrika ist die Anzahl der Christen in den letzten Jahren gestiegen. Mit dem Vatikan unterhält Algerien seit 1972 diplomatische Beziehungen, ein Nuntius ist vor Ort (AA 10.5.2023).

Die Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion (USDOS 30.6.2024; vgl. AA 10.5.2023, BS 2024) und verbietet den staatlichen Institutionen ein Verhalten, das mit den islamischen Werten unvereinbar ist (USDOS 30.6.2024). In den letzten Jahren wurde das Recht auf Glaubensfreiheit erheblich eingeschränkt. Durch Verfassungsänderungen im November 2020 wurde das Recht auf Glaubensfreiheit durch das Recht auf „Religionsausübung“ ersetzt (BS 2024). Die Verfassung verbietet jedoch grundsätzlich jedwede Diskriminierung aus persönlichen und weltanschaulichen Gründen, nennt jedoch nicht explizit ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Religionszugehörigkeit (AA 10.5.2023). Die Freiheit der Religionsausübung ist somit gewährleistet, wenn sie im Einklang mit dem Gesetz ausgeübt wird. Die „Beleidigung oder Verunglimpfung“ jeglicher Religion ist eine Straftat. Das Gesetz besagt, dass der Staat die Gotteshäuser vor jeglicher politischen oder ideologischen Einflussnahme schützen muss (USDOS 30.6.2024).

Die kollektive Religionsausübung muslimischer wie nicht-muslimischer Religionen ist einem Genehmigungsvorbehalt unterworfen. Religiöse Gemeinschaften müssen sich als "Vereine algerischen Rechts" beim Innenministerium akkreditieren lassen, Zulassungen bzw. Neubauten von Moscheen und Kirchen vorab durch das Religionsministerium bzw. eine staatliche Kommission genehmigt werden. Veranstaltungen religiöser Gemeinschaften müssen fünf Tage vor Veranstaltungsbeginn dem örtlichen Wali angezeigt werden. Diese dürfen nur in dafür vorgesehenen und genehmigungspflichtigen Räumlichkeiten stattfinden. Zuwiderhandlungen sind mit Strafe bedroht (AA 10.5.2023). Gemäß Verfassung sind politische Parteien auf Grundlage der Religion verboten (USDOS 30.6.2024).

Gesetzlich ist Konversion nicht verboten, auch weg vom Islam nicht (USDOS 30.6.2024). Missionierungstätigkeit (an Muslimen durch Nicht-Muslime) hingegen ist gesetzlich verboten und unter Strafe gestellt (USDOS 30.6.2024; vgl. AA 10.5.2023, FH 2024), bei einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren (USDOS 30.6.2024; vgl. AA 10.5.2023) sowie einer Geldstrafe. Für Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion konvertiert sind, ist es nicht gesetzlich vorgesehen ein Erbe zu erhalten, sofern kein Testament vorliegt (USDOS 30.6.2024).

Religiöse Minderheiten sind erheblichen Einschränkungen und Diskriminierungen ausgesetzt (BS 2024; vgl. FH 2024). In den letzten Jahren kritisieren Menschenrechtsorganisationen zunehmend behördliche Hindernisse und administrative Einschränkungen gegen nicht-muslimische Religionsgemeinschaften und beobachten ein schärferes Vorgehen gegen vermeintlich „islamkritische Äußerungen“. Die christlichen Kirchen sehen sich zunehmend bürokratischen Hürden gegenüber (AA 10.5.2023).

Die Behörden gehen gegen die Religionsgemeinschaft der Ahmadis vor (FH 2024; vgl. AA 10.5.2023) und werfen ihren Anhängern vor, den Islam herabzuwürdigen, die nationale Sicherheit zu bedrohen und gegen das Vereinigungsrecht zu verstoßen (FH 2024). In Medienberichten wird häufig über Gerichtsverfahren gegen Mitglieder muslimischer Minderheitengemeinschaften wie Ahmadi-Muslime und schiitische Muslime berichtet, wobei hier die Unschuldsvermutung nicht zur Anwendung kommt. In lokalen Medien werden diese Gemeinschaften gelegentlich als „Sekten“ oder „Abweichungen“ vom Islam dargestellt. Ahmadi-Führer erklären, ihr Glaube werde von der Öffentlichkeit oft missverstanden, die weitgehend glaube, die Ahmadi-Gemeinschaft sei nicht-muslimisch (USDOS 30.6.2024).

Die Behörden gehen seit 2017 hart gegen die algerische protestantische Kirche (EPA) vor (FH 2024; vgl. AA 10.5.2023).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt ,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Algeria Country Report, https://bti-project.org/de/reports/country-report/DZA , Zugriff 20.8.2024

 CIA - Central Intelligence Agency [USA] (7.8.2024): Algeria - The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/algeria/#military-and-security , Zugriff 21.8.2024

 FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html , Zugriff 20.8.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.6.2024): 2023 Report on International Religious Freedom: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2111620.html , Zugriff 2.9.2024

Ethnische Minderheiten

Algeriens ethnische Zusammensetzung ist eine Mischung aus Arabern und Berbern (CIA 7.8.2024; vgl. AA 10.5.2023), wobei die große Mehrheit der Algerier berberischen Ursprungs ist. Nur eine Minderheit von etwa 15% identifiziert sich selbst jedoch als Berber. Weniger als 1% der Bevölkerung ist europäischer Abstammung (CIA 7.8.2024). Die staatlichen Institutionen werden von keiner spezifischen ethnischen Gruppe dominiert, dort sind sowohl Araber als auch ethnische Berber vertreten (FH 2024).

Systematische staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar. Eine rassisch diskriminierende Gesetzgebung existiert nicht; es liegen auch keine belastbaren Erkenntnisse über tatsächlich erfolgte Diskriminierungen vor (AA 10.5.2023).

Trotz flächendeckender Arabisierung der Bevölkerung haben sich in Gebirgsregionen und den Oasen des Südens Sprache und Traditionen der Berber erhalten; insbesondere die Bewohner der Kabylei setzten sich seit der Unabhängigkeit Algeriens für die Anerkennung ihrer Sprache (Tamazight) und ihrer Kultur ein. Durch die Verfassungsreform von 2016 wurde Tamazight neben dem Arabischen zur Amtssprache erklärt (AA 10.5.2023).

Ethnische (Berber)Minderheiten - vor allem im Süden des Landes - berichten von diskriminierendem Verhalten von Sicherheitskräften. Mozabiten [Anm.: eine muslimische Minderheit] in der Wilaya Ghardaia beklagen, dass sie von Sicherheitskräften nicht ausreichend gegen Gewalt geschützt würden. Demnach agieren Polizei und Gendarmerie parteiisch. Außerdem mache sich bemerkbar, dass Mozabiten vom verpflichtenden Militärdienst praktisch befreit seien und keine Vertreter in Polizei und Gendarmerie entsendeten. Auch in der Kabylei mit einer starken regionalen Identität gibt es immer wieder Klagen über systematische Benachteiligungen und Repressionen. Diese Repressionen sind im Kontext der verstärkten Arabisierungspolitik und verschiedener arabisch-nationalistischer Tendenzen zu betrachten (ÖB Algier 21.5.2024).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt ,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 CIA - Central Intelligence Agency [USA] (7.8.2024): Algeria - The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/algeria/#military-and-security , Zugriff 21.8.2024

 FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html , Zugriff 20.8.2024

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

Bewegungsfreiheit

Die Verfassung garantiert Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, diese Rechte werden jedoch von der Regierung in der Praxis eingeschränkt (USDOS 23.4.2024). Nach anderen Angaben können die meisten Bürger innerhalb des Landes und ins Ausland relativ frei reisen (FH 2024). Die Verfassung gewährt den Bürgern das Recht, in das Land ein- und auszureisen. Menschenrechtsgruppen äußern sich besorgt darüber, dass die Regierung Reiseverbote, einschließlich außergerichtlicher Verbote, gegen Journalisten, Aktivisten und Kritiker einsetzt (USDOS 23.4.2024).

Jungen wehrpflichtigen Männern, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, wird die Ausreise ohne Sondergenehmigung verweigert (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024). Sondergenehmigungen erhalten Studenten und Personen in besonderen Familienkonstellationen. Personen, die jünger als 18 Jahre sind, ist es gemäß Familienrecht nicht gestattet, ohne die Erlaubnis einer Aufsichtsperson ins Ausland zu reisen (USDOS 23.4.2024). Verheiratete Frauen, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns nicht ins Ausland reisen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024).

Die Landgrenze zwischen Algerien und Marokko bleibt geschlossen (FH 2024).

Quellen:

 FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html , Zugriff 20.8.2024

 USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html , Zugriff 20.8.2024

Grundversorgung

Algerien ist als flächenmäßig größtes Land des afrikanischen Kontinents ein bedeutender ökonomischer Akteur. Algerien stützt sich wirtschaftlich auf Förderung und Export von Öl und Gas. Eine Diversifizierung steht aber schon länger auf der politischen Agenda. Angesichts der Energiekrise in Europa hat die Bedeutung Algeriens als verlässlicher Lieferant nochmals zugenommen. Algerien möchte diese Position im Energiesektor langfristig sichern. Dazu gehört neben Modernisierung und Ausbau der bestehenden Öl- und Gasinfrastruktur der Aufbau einer auf erneuerbaren Energiequellen basierenden Produktion von Wasserstoff (ABG 8.2024).

Im Jahr 2021 trug eine kräftige Erholung der Erdöl- und Gasproduktion dazu bei, dass sich die Wirtschaft von der durch COVID-19 ausgelösten Rezession erholt hat. Die Außenhandels- und Haushaltssalden erholten sich 2022 merklich und profitierten vom Anstieg der Weltmarktpreise für Erdöl- und Gas. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat der Erdöl- und Gasboom Algerien Fortschritte in der wirtschaftlichen und menschlichen Entwicklung ermöglicht. Das Land hat 2008 seine multilateralen Schulden fast beglichen, in Infrastrukturprojekte zur Förderung des Wirtschaftswachstums investiert und eine umverteilende Sozialpolitik eingeführt, die die Armut gelindert und die Indikatoren für die menschliche Entwicklung deutlich verbessert hat (WB 30.5.2023). Dennoch bleibt die Inflation mit 9,4% hoch. Um die Kaufkraft zu sichern, hat die Regierung Maßnahmen wie die Anhebung der Gehälter im öffentlichen Dienst und die Einführung von Arbeitslosenunterstützung ergriffen. Dieses Ausgabenniveau könnte jedoch zu einer Herausforderung werden, wenn die Gaspreise in Zukunft sinken (BS 2024).

Die algerische Wirtschaft wird voraussichtlich bis Ende 2023 um 2,8% wachsen, angetrieben durch steigende Erdgasförderung, eine erhebliche Zunahme der Getreideproduktion und verstärkte Investitionen in Industrie und Bauwesen. Algeriens Wirtschaft ist stark von Erdöl und Erdgas abhängig. Etwa 60% der Steuereinnahmen und 90% der Exporteinnahmen des Landes kommen aus diesem Sektor. Das Land setzt verstärkt auf die Diversifizierung seiner Wirtschaft und den Ausbau der lokalen Produktion. Diese Strategie zielt darauf ab, die Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten zu verringern und langfristiges, nachhaltiges Wachstum zu fördern (WKO 13.9.2024).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Das Land hat - als eines von wenigen Ländern - in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB Algier 21.5.2024).

Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien- und im Süden des Landes auch der Stammesverband für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren "Selbsthilfegruppen" in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 10.5.2023).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln war bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten im Jänner 2011 eingeführte Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Staatliche oder karitative Einrichtungen, die eine Befriedigung der existenziellen Bedürfnisse sicherstellen, sind nicht bekannt (AA 10.5.2023). In einer in drei großen algerischen Städten mit einem repräsentativen Sample November bis Dezember 2023 durchgeführten Umfrage zur sozio-ökonomischen Lage gaben 61% der Befragten an, dass es ihnen gelingt, ihren Haushalt trotz der aktuellen Lebensmittelpreise ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen, 30% können sich gerade so mit Lebensmitteln versorgen und nur 9% können ihren Haushalt kaum oder gar nicht mit Lebensmitteln versorgen. Etwas schwieriger ist die Situation beim Kauf von grundlegenden Konsumgütern wie Kleidung oder Schuhen: 43% der Befragten sind in der Lage, ihren Haushalt mit diesen Gütern zu versorgen, 42% schaffen es gerade so, und 14% können ihren Haushalt kaum oder gar nicht mit diesen Gütern versorgen (STDOK 31.12.2023). [Anm.: Zu beachten ist, dass es sich hier um eine Befragung in Städten handelt, ländliche Gebiete sind nicht erfasst - hier können Unterschiede im Zugang zu Grundnahrungsmitteln und Konsumgütern bestehen.]

Die Prognosen für die Entwicklungen am algerischen Arbeitsmarkt sind ungünstig, die Arbeitslosigkeit steigt. Dies ist nicht nur auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, sondern auch auf sinkende Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft und einer politischen Krise im Jahr 2019. Die Gehälter im öffentlichen Sektor sind höher als in der Privatwirtschaft. Allgemein steigen die Reallöhne in Algerien langsamer als das allgemeine Preisniveau (ABG 8.2024).

Die Arbeitslosigkeit (15-64-Jährige) lag 2022 bei 11,6% (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. BS 2024) bzw. 12,4% und 2023 bei 11,8% (WKO 8.2024), die Jugendarbeitslosigkeit (15-24-Jährige) 2022 bei 29,0% (ÖB Algier 21.5.2024) bzw. 32,0% und 2023 bei 30,8% (WKO 8.2024). Die Perspektivenlosigkeit der Jugend ist ungebrochen, eine hohe Zahl findet keine geregelte Arbeit. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Schwer zu beziffern ist der informelle Sektor, der laut UN-Quellen (inoffiziell) auf bis zu 60% geschätzt wird (ÖB Algier 21.5.2024).

Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen. Seit Feber 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. In manchen Regionen stellt der Staat kostenlos Land, Sach- sowie Geldmittel zur Verfügung, um landwirtschaftliche Unternehmungen zu erleichtern. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB Algier 21.5.2024).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt ,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 ABG - Africa Business Guide (8.2024): Länderprofil - Wirtschaft in Algerien, https://www.africa-business-guide.de/de/maerkte/algerien , Zugriff 12.9.2024

 BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Algeria Country Report, https://bti-project.org/de/reports/country-report/DZA , Zugriff 20.8.2024

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (31.12.2023): Algeria: Socio-Economic Survey 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2106869/2024-04-03_Dossier , Zugriff 13.9.2024

 WB - Weltbank (30.5.2023): Algeria - Overview, https://www.worldbank.org/en/country/algeria/overview , Zugriff 12.9.2024

 WKO - Wirtschaftskammer Österreich (13.9.2024): Algerien: Wirtschaftslage, https://www.wko.at/aussenwirtschaft/algerien-wirtschaftslage , Zugriff 13.9.2024

 WKO - Wirtschaftskammer Österreich (8.2024): Länderprofil Algerien

Medizinische Versorgung

Die Effizienz des Gesundheitswesens in Algerien ist im weltweiten Vergleich eher überdurchschnittlich. Die wohl wichtigste Kennzahl, mit der sich die Effizienz aller Maßnahmen zusammenfassen lässt, ist die allgemeine Lebenserwartung. Also das theoretische Alter, das ein heute Neugeborenes potenziell erreichen wird. Im Moment liegt dieses Alter in Algerien für Männer bei 75,9 und für Frauen bei 78,5 Jahren. Zum Vergleich: Weltweit liegt die Lebenserwartung etwa 5,1 Jahre niedriger (Männer: 69,6 / Frauen: 74,5 Jahre). Insgesamt wird pro Einwohner eine Summe von 188,19 Euro veranschlagt, die jährlich auf Staatskosten für gesundheitliche Maßnahmen ausgegeben wird. Dies entspricht circa 5,5 % des Bruttoinlandsproduktes. International liegt dieser Betrag bei durchschnittlich 1.170,47 Euro (~ 10,4 % des jeweiligen BIP) (Laenderdaten 15.9.2024).

Die medizinische Versorgung durch Ärzte und Krankenhäuser in Algerien ist im Vergleich zur Weltbevölkerung unterdurchschnittlich. Pro 1000 Einwohner stehen im Land 1,9 Krankenhausbetten zur Verfügung. Der weltweite Mittelwert liegt hier bei 2,9 Betten. Innerhalb der EU stehen 4,6 Betten für jeweils 1000 Einwohner zur Verfügung. Mit rund 79.000 ausgebildeten Ärzten in Algerien stehen pro 1000 Einwohner rund 1,73 Ärzte zur Verfügung. Auch hier wieder der Vergleich: Weltweit liegt dieser Standard bei 1,70 Ärzten pro 1000 Einwohnern und in der EU sogar bei 4,28. Durch den niedrigen Versorgungsstand kann die Sterblichkeit wesentlicher, bekannter Krankheiten nur in vergleichsweise wenigen Fällen reduziert werden (Laenderdaten 15.9.2024).

Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. AA 10.5.2023). Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 10.5.2023). Vor allem in Algier sind Privatspitäler entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960er-Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Dies soll nun auch aus Kostengründen weiter eingeschränkt werden und entsprechende medizinische Zentren im Land geschaffen werden. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB Algier 21.5.2024).

In einer in drei großen algerischen Städten mit einem repräsentativen Sample im November bis Dezember 2023 durchgeführten Umfrage zur sozio-ökonomischen Lage wurde, was den Zugang zu Allgemeinmediziner/Hausarzt betrifft, erhoben, dass 85% des Samples Zugang haben und sich den Besuch leisten können. 11% haben demnach Zugang, können sich den Besuch aber nicht leisten. Zu einem Facharzt (Zahnarzt, Augenarzt, Gynäkologe, Urologe,...) haben drei Viertel der Befragten (75%) Zugang und können sich den Besuch leisten. 22% haben Zugang, könne sich den Besuch aber nicht leisten. Wenn es um Krebsbehandlungen oder Operationen in Krankenhäusern geht, haben nur die Hälfte (50%) der Befragten Zugang und können sich diesen leisten, ca. ein Drittel (30%) haben Zugang, können sich die Behandlung aber nicht leisten. 83% haben Zugang zu Medikamenten und können sie sich auch leisten (STDOK 31.12.2023). [Anm.: Zu beachten ist, dass es sich hier um eine Befragung in Städten handelt, ländliche Gebiete sind nicht erfasst - hier kann ein großer Unterschied v. a. in der medizinischen Versorgung bestehen.]

Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z. B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Immer wieder kommt es zu Beschwerden und Protesten über den unzureichenden Zustand des Gesundheitssystems, im Zuge der COVID-Pandemie kam es auch zu tätlichen Übergriffen auf Spitalspersonal. Probleme sind auch bei der Spitalshygiene und Medikamentenversorgung (nur Billigimporte oder lokale Produktion) gegeben. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und sowie von Behinderten. Oft greift man zu Bestechung, um ein Intensivbett zu bekommen oder zu behalten (ÖB Algier 21.5.2024).

Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. AA 10.5.2023). Krankenversichert ist jedoch nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich. Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert (ÖB Algier 21.5.2024).

In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 10.5.2023).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt ,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 Laenderdaten - Laenderdaten.info (15.9.2024): Gesundheitswesen in Algerien, https://www.laenderdaten.info/Afrika/Algerien/gesundheit.php , Zugriff 16.9.2024

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (31.12.2023): Algeria: Socio-Economic Survey 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2106869/2024-04-03_Dossier , Zugriff 13.9.2024

Rückkehr

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist der österreichischen Botschaft in Algier nicht bekannt (ÖB Algier 21.5.2024). Es gibt seitens der algerischen Regierung keine Reintegrationsprojekte. In der Regel werden Rückkehrer von der Familie aufgefangen. Unterkunft, Verpflegung und medizinische Versorgung werden von den Familienmitgliedern geleistet. Rückkehrer werden erst wieder in das staatliche Sozialversicherungssystem aufgenommen, wenn sie erwerbstätig sind (AA 10.5.2023).

Von 2018 bis 2022 gab es allerdings das Europäische Rückkehr- und Reintegrationsnetzwerk (ERRIN) – eine Arbeitsgemeinschaft aus 16 EU-Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Staaten, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (EBCGA/FRONTEX) und der Europäischen Kommission – die in Fragen der Hilfestellung und Begleitung von Rückkehrern tätig war. Als Fortführung des ERRIN-Projekts wurde mit 1.4.2022 das JRS-Programm (Joint Reintegration Services) gestartet. Dieses bietet individuelle Reintegrationshilfen für Rückkehrer in ihre Herkunftsländer. Für die Koordinierung der Reintegrationshilfen bleibt das BMI auf nationaler Ebene weiterhin zuständig. Reintegrationshilfen können ab 1.7.2022 über das europäische JRS-Programm beantragt werden. Für die Umsetzung der 12-monatigen Reintegrationshilfen gelten die bisherigen Projektinhalte fort. Es kann davon ausgegangen werden, dass Familien zurückkehrende Mitglieder wieder aufnehmen und unterstützen; häufig sind Fälle, in denen Familien Angehörige mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützt haben. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (1.000-2.000€) durch Frankreich und Deutschland, für Personen, die freiwillig ausgereist sind, ähnliches gibt es in unterschiedlicher Höhe auch für andere EU-Staaten. In Österreich bietet Return From Austria in Kooperation mit Frontex (JRS) finanzielle Rückkehrhilfe an (ÖB Algier 21.5.2024). IOM führt ein Programm zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach und der Integration in Algerien durch. Das Programm wird aus EU-Mitteln und auch bilateral von deutscher Seite unterstützt (AA 10.5.2023).

Algerien erklärt sich bei Treffen mit EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststeht, dass es sich um algerische Staatsbürger handelt. Nachfragen bei EU-Botschaften bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert, allerdings ist der Rhythmus relativ langsam, angeblich maximal 5-10 pro Tag, bzw. auch pro Woche. Algerien behauptet, dass dies auf die insgesamt vielen Rückübernahmen aus zahlreichen Staaten zurückzuführen ist, weil die Aufnahmebehörden sonst überlastet wären. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB Algier 21.5.2024).

Die illegale Ausreise ist strafbar (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. AA 10.5.2023). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und/oder eine Geldstrafe (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. AA 10.5.2023) zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA [Anm.: ca. 137 - 410 Euro] vor (ÖB Algier 21.5.2024).

Üblicherweise werden lediglich Geldstrafen in Höhe von 20.000 Dinar (nach offiziellem Kurs rd. 150 Euro, am Schwarzmarkt ca. 100 Euro) verhängt, die Höhe richte sich nach der Art der illegalen Ausreise. So wird eine Ausreise mit dem Boot etwa höher bestraft als ein simpler „Overstay“ (ÖB Algier 21.5.2024). Nach anderen Angaben werden Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge ("harraga") sieht das Gesetz Haftstrafen von zwei bis zu sechs Monaten und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 10.5.2023).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt ,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

 ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf , Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Sachverhalt:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Algerien.

Überdies wurde Beweis aufgenommen durch die Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.01.2025 und wurden Auskünfte aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister der Republik Österreich, dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS), dem AJ-WEB und dem Auslieferungsverfahren aufgrund der „Red Notice“ ergänzend eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seiner Person, insbesondere zu seinem Namen und seinem Geburtsdatum, gründen auf der Identifizierung durch Interpol Algier (AS 373).

Die Feststellung, dass der BF unterschiedliche Identitäten und Geburtsdaten verwendet hat ergibt sich zweifelsfrei aus dem vorliegenden Verwaltungsakt. Mangels Vorlage eines identitätsbezeugenden Originaldokuments steht die Identität des BF nicht zweifelsfrei fest.

Die Angaben zu seinem Gesundheitszustand, seiner Volksgruppen- und Glaubenszugehörigkeit, seinen Sprachkenntnissen, seinem Familienstand, seiner Schulbildung und Arbeitserfahrung gründen auf dem unbestrittenen Akteninhalt, sohin auf den diesbezüglichen glaubhaften Angaben des BF im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde (AS 197ff) und der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 21.01.2025 (OZ 13).

Die Feststellung, dass sich der BF seinem Asylverfahren in Österreich entzogen hat und seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen ist, ergibt sich aus dem unbestritten gebliebenen Akteninhalt.

Die Feststellung, dass die Familienangehörigen des BF nach wie vor in seiner Heimatstadt in Algerien wohnhaft sind und zumindest bis Juli 2024 Kontakt zu diesen bestanden hat, lässt sich dem Protokoll der mündlichen Beschwerdeverhandlung (S. 15 des Verhandlungsprotokolls in OZ 13) entnehmen. Dass der BF in Österreich über keine Familienangehörigen, Verwandte oder maßgebliche private Beziehungen verfügt, ergibt sich ebenso aus seinen diesbezüglichen Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Die Feststellungen zu den persönlichen Lebensumständen sowie der Integration des BF in Österreich beruhen insbesondere auf seinen Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 21.01.2025 (S. 15ff. des Verhandlungsprotokolls in OZ 13). Der BF brachte auch weder vor der belangten Behörde, noch in der gegenständlichen Beschwerde konkrete Angaben vor, die die Annahme einer umfassenden Integration in Österreich in sprachlicher, gesellschaftlicher und beruflicher Hinsicht rechtfertigen würden.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF ergeben sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich, die Feststellung, dass der BF derzeit in Strafhaft sitzt aus dem aktuellen ZMR Auszug.

2.3. Zum Vorwurf der algerischen Strafverfolgungsbehörden und damit zusammenhängend einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung und seiner Rückkehrbefürchtung:

Vorausgeschickt wird, dass es nicht Gegenstand des Asylverfahrens ist, den weiteren Ausgang des wider den BF aufgrund des Haftbefehl noch einzuleitenden Strafverfahrens zu prognostizierten. Eine solche Prognose erweist sich gerade im gegenständlichen Stadium des Verfahrens noch vor einer Anklageerhebung und Einleitung eines Strafverfahrens als im Ergebnis nicht möglich. Dem Bundesverwaltungsgericht steht weder der Strafakt zur Verfügung, noch wurde laut Aktenlage ein Strafverfahren eröffnet bzw. hat eine Hauptverhandlung stattgefunden, sodass noch gar nicht sämtliche Beweise aufgenommen wurden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können – von den subjektiven Befürchtungen des BF abgesehen – auch keine greifbaren Hinweise erkannt werden, dass der BF in einem zukünftigen Verfahren jedenfalls zur Gänze schuldig gesprochen und zu einer langjährigen Haft verurteilt würde. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine verlässliche Prognose über den Ausgang eines allfälligen Strafverfahrens vielmehr kaum möglich.

Vielmehr ist – ausgehend vom festgestellten Sachverhalt, nämlich dem Vorliegen eines internationalen Haftbefehls – zu klären, ob dieser Sachverhalt zur Gewährung von internationalem Schutz zu führen hat.

Es darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der BF im Rahmen eines Strafverfahrens vor einem algerischen Gericht Gelegenheit hat zu den erhobenen Vorwürfen selbst Stellung zu beziehen und sich anwaltlich vertreten lassen kann. Zudem besteht die Möglichkeit, gegen einen allenfalls ergehenden Schuldspruch ein Rechtsmittel einzulegen und dermaßen eine Überprüfung des Strafverfahrens im algerischen Instanzenzug herbeizuführen. Der vorliegende Haftbefehl lässt keinen Schluss auf Auffälligkeiten in der Verfahrensführung zu.

Aufgrund der im Akt inneliegenden „Red Notice“ von Interpol Algerien vom 13.März 2019 wird der BF wegen des Strafvorwurfes des Drogenhandels und Besitz von Drogen mit dem Ziel des Handels innerhalb einer organisierten kriminellen Vereinigung per internationalem Haftbefehl gesucht. Bezüglich des konkreten Tatvorwurfes wurde ausgeführt, dass am 29.11.2018 zwei Verdächtige verhaftet worden seien, wobei einer der beiden Verdächtigten, nämlich ein XXXX bestätigte, dass er am Tag seiner Verhaftung durch die Kriminalpolizei im Begriff war, einer unbekannten Person eine Menge harter Drogen (schätzungsweise 800 Tabletten Halluzinogene) zu verkaufen, und zwar im Auftrag des genannten XXXX , der für die Versorgung der Kunden und die Entgegennahme von Geld zuständig war.

Stellt man nun diese Ausführungen seinen Angaben im Rahmen des Antrages auf internationalen Schutz gegenüber, so zeigt sich auch darin die Unglaubwürdigkeit seiner Behauptung, dass er dazu gezwungen worden sei und lediglich als Fahrer fungiert habe. So gab der BF noch im Rahmen seiner Ersteinvernahme an, dass er Algerien aufgrund der schlechten finanzielle Lage verlassen habe, seine dahingehende Verantwortung im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung, nämlich, dass er Angst gehabt habe, die Wahrheit zu sagen ist unter Zugrundelegung seiner Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vom 02.06.2022 (AS 197) und seinen Angaben im Schubhaftverfahren XXXX (OZ 1 AS 10) als reine Schutzbehauptung anzusehen. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 19.09.2024 gab er erstmals ua. an, dass er bei einer Person gearbeitet habe, die beim Zoll gearbeitet habe. Die Polizei würde nach ihm suchen, da es den Vorwurf gebe, dass er in Algerien mit Suchtmitteln gehandelt habe. Er sei der Fahrer gewesen und habe gewusst, dass sie Drogen von Algerien nach Marokko importiert hätten. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung blieb der BF in seinen Angaben und auf die detaillierten Fragen des erkennenden Richters detailarm, widersprüchlich und nicht nachvollziehbar, wie der folgende Auszug aus der Verhandlungsschrift zeigt:

„RI: Sie haben im Rahmen der Ersteinvernahme ausgesagt, dass Sie Ihre Heimat wegen der schlechten finanzielle Lage verlassen haben. Warum haben Sie damals ihr jetziges Fluchtvorbringen nicht erwähnt?

BF: Ich hatte damals Angst, die Wahrheit zu sagen. Ich habe vermutet, dass ich aufgrund meiner Angaben in die Heimat zurückgeschickt werde. Erst später wurde mir erklärt, dass ich hier in Österreich die Wahrheit sagen muss und ich nichts zu befürchten habe.

RI: Wann wurde Ihnen das erklärt?

BF: Es war ca. zehn Monate nach meiner Ankunft hier in Österreich.

RI: Wer hat Ihnen das erklärt?

BF: Ich habe Personen im Flüchtlingszentrum in XXXX getroffen, die haben mir das erklärt.

RI: Wann sind Sie denn nach Österreich gekommen?

BF: Das war ca. im Dezember 2021.

RI: Und ca. zehn Monate nachher hat man Ihnen das erklärt?

BF: Ca., ja.

RI: Wo waren Sie denn zu diesem Zeitpunkt, als man Ihnen das erklärt hat?

BF: Das war in XXXX . Diese Personen, die es mir erklärt haben, habe ich zuvor in XXXX getroffen.

RI: Wo in XXXX ?

BF: Ich war bei einem Freund zuhause.“

Dazu ist insbesondere auszuführen, dass der BF zu dem von ihm angegeben Zeitpunkt bereits in Strafhaft gewesen ist, sodass auch diese Angabe mit dem Akteninhalt nicht in Einklang zu bringen ist.

Im gegenständlichen Fall ist zudem die persönliche Glaubwürdigkeit des BF durch seine widersprüchlichen Angaben zu dem ihm seitens der algerischen Behörden vorgeworfenen strafrechtlichen Verhalten erschüttert. So konnte er selbst auf konkrete Nachfrage die ihm zur Last gelegten Delikte der algerischen Strafbehörden nicht angeben, wie der folgende Auszug zeigt:

„RI: Was wirft man Ihnen konkret vor? Welche Anschuldigungen sind das?

BF: Drogenhandel, Drogenhandel und Drogen bunkern und Drogenschmuggelfahrten.

RI: Was ist der konkrete Tatvorwurf gegen Sie?

BF: Das sind die allgemeinen Vorwürfe und außerdem hat mich dieser Mann, der beim Zollamt gearbeitet hat, dazu gezwungen für ihn zu arbeiten. Er hat gedroht bei der Polizei anzugeben, dass ich Drogen schmuggeln würde.“Damit lässt der BF klar erkennen, dass seine im Asylverfahren letztlich angeführten Behauptungen, weshalb er verfolgt werde, nicht den Tatsachen entsprechen und letztlich nur dazu dienen sollen, seine Beteiligung zu verharmlosen. So gab er im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung befragt, was er zu den Vorwürfen der algerischen Behörden sagen würde an, dass er nur als Fahrer gearbeitet und er nichts geschmuggelt habe. Dementgegen hat er in der niederschriftlichen Einvernahme noch angegeben, er der Fahrer gewesen sei und gewusst habe, dass Sie Drogen von Algerien nach Marokko importiert hätten.

 

Aber auch seine Angaben, woher er wissen würde, dass nach ihm gesucht werde, lassen jegliche Detailliertheit vermissen. So gab er an, dass er im Dezember 2018 seinen Wagen bei einem Checkpoint habe stehen lassen und geflüchtet sei, wobei er seine Papiere im Auto gelassen habe. Stellt man seine Angaben mit der „Red Notice“ von Interpol gegenüber ergeben sich daraus auch zeitliche Divergenzen, die mit seinen Angaben jedoch nicht erklärbar sind, da seine Beteiligung am Drogenhandel zu diesem Zeitpunkt bereits aktenkundig war.

 

Auch seinen Angaben zu der Person für die er gearbeitet haben will, blieben vage und oberflächlich, obwohl er laut eigenen Angaben ca. 10 Monate bei diesem gearbeitet haben will, so konnte er weder sagen, welche Funktion dieser beim Zoll gehabt habe, noch warum er überhaupt für ihn gearbeitet habe. Dies vor allem auch da er seitens des erkennenden Richters gefragt, womit er in Algerien seinen Lebensunterhalt verdient habe, diese Beschäftigung nicht erwähnt hat. Seine Rechtfertigung, dass er dies nicht gesagt habe, da er „schwarz“ gearbeitet habe“ entbehrt jeglicher Logik.

 

Der BF konnte aber auch nicht erklären, weshalb er sich nicht deswegen an die Polizei gewandt habe, seine diesbezüglichen Angaben sind nach Ansicht des erkennenden Richters und aufgrund des persönlichen Eindrucks als reine Schutzbehauptung anzusehen, wie der nachfolgende Auszug zeigt:

„RI: Warum haben Sie sich denn eigentlich nicht an die Polizei gewandt?

BF: Er arbeitet beim Zollamt.

RI: Das hat mit dem Zollamt nichts zu tun. Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen?

BF: Aus Angst bin ich nicht zur Polizei gegangen. Er hat gedroht, mich anzuzeigen.

RI: Warum haben Sie denn überhaupt bei dieser Person gearbeitet?

BF: Als er mir diesen Job angeboten hat, wusste ich nicht, dass es sich um Drogen handelt. Ich habe es nicht sofort angenommen. Erst bei der zweiten Fahrt habe ich geahnt, dass es doch um Drogen geht.“

Aber auch seine widersprüchlichen Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen, so gab er erstmals im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu Protokoll, dass er zweimal geschieden sei und zwei Kinder habe, lassen die persönliche Glaubwürdigkeit vermissen. Auch dass er im Rahmen des Schubhaftverfahrens angab, dass seine Frau und sein Sohn vor ihm ausgereist seien, widerspricht seinen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach er gemeinsam mit Ihnen gereist sei (S.6 Protokoll der mündlichen Verhandlung). Der BF versuchte auch im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verschleiern, da er immer erst auf Nachfragen des erkennenden Richters genauere Angaben zu seinen Aufenthaltsorten machte, wie der folgenden Auszug zeigt:

„RI: Warum sind Sie unmittelbar nach ihrer Asylantragstellung im Jänner 2022 im Bundesgebiet untergetaucht?

BF: Ich habe einen Freund in XXXX besucht. Danach ging ich in die Schweiz und danach kam ich wieder zurück.

RI: Wann sind Sie wieder zurückgekommen?

BF: Ich blieb nicht so lange in der Schweiz.

RI wiederholt die Frage.

BF: Das war entweder Mai oder Juni 2022.

RI: Was haben Sie gemacht, nachdem Sie zurückgekommen sind?

BF: Zuerst war ich bei meinem Freund zuhause in XXXX und im April 2024 bin ich wieder nach XXXX zurück.

RI: Sie haben gesagt, Sie waren zuerst bei Ihrem Freund in XXXX und sind dann im April 2024 wieder nach XXXX . Wo waren Sie denn in der Zwischenzeit?

BF: Zuvor war ich in Haft.

RI: Sie haben gerade ausgesagt, entweder Mai oder Juni 2022 sind Sie aus der Schweiz zurückgekommen. Vielleicht können Sie mir dann erklären, wieso Sie seit März 2022 bereits im Gefängnis waren.

BF: Also, wann ich genau aus der Schweiz zurückkam, weiß ich nicht genau. Ich habe nur gesagt ca. Mai oder Juni. Aber als ich aus der Schweiz zurückkam, kurz danach wurde ich inhaftiert.“

Letztlich darf aber auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der BF unmittelbar nach seiner Einreise ins Bundesgebiet – ca. 2 Monate später -, wegen Drogenhandels im Bundesgebiet festgenommen und in Folge rechtskräftig verurteilt wurde. Seine dahingehende Rechtfertigung, er habe dies tun müssen, da seine „Ex-Frau“ in Frankreich von ihm Geld für den Sohn haben wollte, lässt jegliche Nachvollziehbarkeit vermissen und zeigt die kriminelle Einstellung des BF. Diesbezüglich wird auch auf seine Verantwortung zur Verurteilung in Österreich hingewiesen, die weder von Schuld- noch Tateinsicht erkennen lässt. Dass der BF sich im Bundesgebiet laut eigenen Angaben seinen Lebensunterhalt nur im durch strafgesetzwidriges Verhalten bestritten hat rundet das Gesamtbild negative Gesamtbild ab.

Dem Aussageverhalten des BF mangelt es jedenfalls an einer gleichbleibenden, in sich stimmigen Erzählweise, weshalb seine dahingehenden Ausführungen zu den strafrechtlichen Vorwürfen in Algerien nach dem erlangten persönlichen Eindruck des erkennenden Richters in der mündlichen Beschwerdeverhandlung die Glaubhaftigkeit abzusprechen waren.

Ebenso wenig darf außer Acht gelassen werden, dass aus der unterlassenen Antragstellung des BF in Italien aus der anschließenden kontinuierlichen Weiterreise des BF quer durch Europa ohne weitere Antragstellung der Schluss gezogen werden kann, dass es dem BF nicht darum ging, einer Verfolgung in seinem Heimatland zu entgehen, sondern seinen Antrag in einem europäischen Land seiner Wahl stellen wollte (OZ 13). Andernfalls wäre es wohl zu erwarten gewesen, dass Italien als erstes Ziel ausreichend gewesen wäre, der Verfolgung zu entkommen und der BF unmittelbar nach seiner dortigen Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hätte. Dies zeigt sich auch in seinen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wo er dazu befragt ausführt, dass es in Italien seiner „Ex-Frau“ und seinem Sohn nicht gefallen habe und Frankreich ihm nicht gefallen hätte, Im Ergebnis zeigt sich aufgrund dieser Aussagen, dass es sich bei den Schilderungen in der Beschwerde um bloße Ausflüchte des BF handelt. Ebenso offenbaren die Ausführungen des BF, dass ihm sehr wohl eine unmittelbare Antragstellung möglich gewesen wäre, der BF verzichtete aber auf diese Möglichkeit bis zum 21.01.2022. In dieses Bild passt es schließlich auch, dass der BF unmittelbar nach seiner Antragstellung im Bundesgebiet untertauchte und erst im Rahmen einer strafbaren Handlung wieder auftauchte.

Hinsichtlich seines bisherigen Verhaltens im Bundesgebiet unter Zugrundelegung seiner strafrechtlichen Verurteilungen und seinen Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung stellt der Aufenthalt des BF jedenfalls eine aktuelle Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar.

2.3. Zum Herkunftsstaat:

Algerien gilt gemäß § 19 Abs. 5 BFA-VG iVm § 1 Z 10 Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV) im Hinblick auf das Bestehen oder Fehlen von staatlicher Verfolgung, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Verletzungen von Menschenrechten als sicherer Herkunftsstaat.

Die getroffenen Feststellungen zur Lage in Algerien basieren auf dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, EASO, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Richters bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).

Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung ergeben sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine entscheidungswesentlichen Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen, weshalb sich das Bundesverwaltungsgericht daher diesen Feststellungen vollinhaltlich anschließt.

Der BF und seine Rechtsvertretung traten diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland im Beschwerdeschriftsatz nicht substantiiert entgegen.

Das bloße Aufzeigen von spezifischen Problemlagen im Herkunftsstaat vermag die Glaubwürdigkeit der Länderfeststellungen nicht zu erschüttern. Vielmehr sparen die Länderfeststellungen die im Herkunftsstaat des BF vorherrschenden Schwierigkeiten und Probleme nicht nur nicht aus, sondern legen diese ebenfalls offen, sodass diese der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden konnten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

 

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Rechtslage

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233, VwGH vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279, VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann aber nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH vom 28. Oktober 2009, 2006/01/0793, mwN).

Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), die im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts mit zu berücksichtigen ist, muss der Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden wirksam sein. Ein solcher Schutz ist generell gewährleistet, wenn etwa der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Asylwerber Zugang zu diesem Schutz hat. Bei Prüfung (u.a.) dieser Frage berücksichtigen die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers.

Die Statusrichtlinie sieht daher einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Im Falle der Behauptung einer asylrelevanten Verfolgung durch die Strafjustiz im Herkunftsstaat ist eine Abgrenzung zwischen der legitimen Strafverfolgung ("prosecution") einerseits und der Asyl rechtfertigenden Verfolgung aus einem der Gründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ("persecution") andererseits geboten.

Art. 9 Abs. 2 lit. c der Statusrichtlinie zufolge kann unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention gelten. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stellt die staatliche Strafverfolgung in der Regel keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn dar. Allerdings kann auch die Anwendung einer durch Gesetz für den Fall der Zuwiderhandlung angeordneten, jeden Bürger des Herkunftsstaates gleich treffenden Sanktion unter bestimmten Umständen als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention aus einem dort genannten Grund sein; etwa dann, wenn das den nationalen Normen zuwiderlaufende Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt (vgl. VwGH vom 06. Juli 2011, 2008/19/0994, mwN). Um feststellen zu können, ob die strafrechtliche Verfolgung wegen eines auf politischer Überzeugung beruhenden Verhaltens des Asylwerbers einer Verfolgung gleichkommt, kommt es somit entscheidend auf die angewendeten Rechtsvorschriften, aber auch auf die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung und die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an (VwGH 20.12.2016, Ra 2016/01/0126; 27.05.2015, Ra 2014/18/0133).

Die behördlichen Maßnahmen erfolgen ausschließlich im Rahmen der Strafrechtspflege und stellen die ihm unterstellten Delikte gerichtlich strafbare Handlungen dar, welche vom algerischen Staat entsprechend des Strafgesetzes zu ahnden sind und könnte auch eine tatsächliche rechtskräftige Verurteilung des BF zu keiner anderen Entscheidung führen. Behördliche Ermittlungen wegen strafbarer Verhaltensweisen können nicht als Verfolgung im Sinne der Konvention qualifizieren werden, insoweit die Strafverfolgung eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Allfällige Verfolgungsmaßnahmen stehen bzw. stünden lediglich im Zusammenhang mit dem Verdacht der Begehung strafbarer Handlungen. Bei Drogendelikten handelt es sich um kriminelle Delikte, aufgrund derer man in jedem rechtsstaatlichen Land strafrechtlich verfolgt wird. Derartige Delikte sind auch in Mitgliedstaaten der Genfer Konvention mit Strafe bedroht und darüber hinaus sind strafbare Handlungen unter die Fluchtgründe der Genfer Konvention 1951 nicht subsumierbar. Ein Einschreiten staatlicher Behörden ist in einem solchen Fall nicht als Verfolgung anzusehen, weil es sich hierbei um Schritte zur Aufklärung eines allgemein strafbaren Deliktes handelt, was keinem der oben erwähnten Konventionsgründen entspricht (vgl. Erkenntnis d. VwGH vom 25.05.1994, Zl.94/20/0053).

Es handelt sich um ein legitimes Ziel der Polizei und der unabhängigen Justiz, im Rahmen der Strafrechtspflege (mögliche) strafbare Handlungen aufzuklären sowie verdächtige Personen aufzuspüren, und steht als Beispiel für ein funktionierendes Polizei- und Justizsystem in Übereinstimmung mit den Länderinformationen zum Heimatland des BF. Insoweit ist auch unter Berücksichtigung der Länderberichte für das Bundesverwaltungsgericht nicht feststellbar, dass die Strafrechtspflege in Algerien nach Grundsätzen erfolgt, die einem Verfolgungstatbestand im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zuordenbar wäre.

Im Gegenstand wurde wider den BF auch noch keine strafrechtliche Anklage erhoben, er wurde auch nicht (und schon gar nicht rechtskräftig) zu einer bestimmten Strafe verurteilt. Schon deshalb kann zum Entscheidungszeitpunkt keine Rede davon sein, dass der BF einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung ausgesetzt ist.

Für das BVwG besteht kein Anlass zur Annahme, die nach dem algerischen Recht pönalisierte Täterschaft des Drogenhandels im Rahmen einer organisierten kriminellen Vereinigung stelle fallgegenständlich "persecution" dar. Insbesondere bestehen keine Hinweise zur Annahme, das vom BF gesetzte (inkriminierte) Verhalten hätte auf politischer oder religiöser Überzeugung beruht bzw. sei von algerischen Strafverfolgungsbehörden aus politischen oder sonstigen unsachgemäßen Motiven konstruiert worden.

Zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Strafdrohung ist im Rahmen des hier anzustellenden Vergleichs mit der im Bundesgebiet geltenden Rechtslage (§ 28a SMG) in einer Zusammenschau mit dem rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des algerischen Staates, sowie eines besonderen generalpräventiven Bedürfnisses im Hinblick auf das Bestreben, Drogendelikte zu verhindern, nach Ansicht des BVwG davon auszugehen, dass die seitens des algerischen Staates festgesetzten Strafdrohungen nicht unverhältnismäßig sind.

Vor dem Hintergrund des Unrechtsgehalts der dem BF vorgeworfenen Straftat wird auch im Rahmen des existierenden Strafrahmens und Präventionsbedürfnisses nicht von einer unverhältnismäßig hohen verhängten Strafe auszugehen sein.

Bezüglich der Frage, ob im gegenständlichen Fall von einem fairen Verfahren gesprochen werden kann, wird als Richtschnur wohl Artikel 5 EMRK ("Recht auf Freiheit und Sicherheit") und Artikel 6 EMRK ("Recht auf ein faires Verfahren") heranzuziehen sein. Es geht aus der Aktenlage nicht hervor, dass die in Art. 5 und 6 EMRK genannten Rechte seitens der algerischen Gerichte dem BF in dermaßen augenfälliger Weise nicht gewährt werden würden, dass von keinem fairen Verfahren mehr gesprochen werden kann. Zudem darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass es nach bisherigem Verfahrensstand weder eine Anklage und noch damit zusammenhängend ein Ermittlungsverfahren in Algerien gibt, sodass auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Grundsatz des Anklageprozesses nicht gewahrt ist. Die Unabhängigkeit der algerischen Gerichte wird zwar in Berichten kritisiert, allerdings betreffen diese Berichte im Wesentlichen die Vorfälle aufgrund politischer Gründe. Eine mit unverhältnismäßigen Mittel geführte oder diskriminierende Strafverfolgung kann das BVwG vor diesem Hintergrund nicht erkennen.

Angesichts dessen ist zu Recht davon auszugehen, dass der gegen den BF erlassene internationale algerische Haftbefehl einen Akt legitimer staatlicher Strafverfolgung und keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn darstellt.

Hinsichtlich des bloßen Umstands der berberischen Volksgruppenzugehörigkeit ist auszuführen, dass sich entsprechend der herangezogenen Länderberichte und aktuellen Medienberichte keine systematischen staatlichen Repressionen feststellen lassen. Weiters ist festzuhalten, dass die behaupteten Diskriminierungen aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit des BF nicht die zur Gewährung von Asyl erforderliche Intensität aufweisen. So reichen etwa unspezifische Verfolgungshandlungen von nur geringer Schwere nach ständiger Judikatur des VwGH nicht aus, solange sie nicht eine derartige Intensität erreichen, dass deshalb ein weiterer Aufenthalt im Herkunftsstaat als unerträglich anzusehen wäre (VwGH 07.10.1993, 93/01/0942; 07.10.1993, 93/01/0872; 07.11.1995, 95/20/0080; 25.04.1995, 94/20/0762).

Entsprechend der Feststellungen zur Lage in der Algerien sind Angehörige der Volksgruppe der Berber in gewissen Regionen zwar Nachteilen ausgesetzt, diese erreichen jedoch nicht die Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt in Algerien als unerträglich anzusehen oder mit einem gänzlichen Verlust der Lebensgrundlage verbunden wäre, was auch daran erkennbar ist, dass seine Geschwister weiterhin in Algerien leben, ohne Schwierigkeiten ausgesetzt zu sein.

Auch die allgemeine Lage ist im gesamten Herkunftsstaat nicht dergestalt, dass sich konkret für den BF eine begründete Furcht vor einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgung ergeben würde.

Es entspricht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, dass das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative iSd § 11 Abs. 1 AsylG 2005 nur dann zu prüfen ist, wenn glaubhaft ist, dass einem Asylwerber in der Herkunftsregion seines Herkunftsstaats Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht bzw. die Voraussetzungen für die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen (siehe VwGH 6.11.2018, Zl. Ra 2018/01/0106-12). Diesen Anforderungen konnte der BF wie oben dargelegt jedoch nicht gerecht werden.

Es war unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände daher zu Recht kein Status von Asylberechtigten zu gewähren, aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

3.2.1. Rechtslage:

§ 8 AsylG

(1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK [Recht auf Leben], Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

(5) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, endet.

(6) Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen, wenn diese gemäß § 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG nicht unzulässig ist.

(7) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten erlischt, wenn dem Fremden der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird.

 

Art. 2 EMRK lautet:

„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. (2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt: a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen; b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern; c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.“

Während entsprechend des 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

Art. 3 EMRK lautet:„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).

Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).

Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).

Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.

Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Rückkehrentscheidung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Falle seiner Rückkehrentscheidung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der bP zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.

 

Der EGMR erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 MRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Riskio iSd Art. 3 MRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR vom 28. November 2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi gg. Vereinigtes Königreich, RNr. 218 mit Hinweis auf EGMR vom 17. Juli 2008, Nr. 25904/07, NA gg. Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR Sufi und Elmi, RNr. 217).

 

Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

 

Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). So auch der EGMR in stRsp, welcher anführt, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt - so weit als möglich - Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (zB EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005).

 

Aus jüngster Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB. 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 mwN) ergeben sich für die Auslegung von § 8 AsylG folgende Leitlinien:

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH hat ein Drittstaatsangehöriger "nur dann Anspruch auf subsidiären Schutz ..., wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass er bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, eine der drei in Art 15 der Richtlinie definierten Arten eines ernsthaften Schadens zu erleiden" (vgl. zuletzt EuGH 24.4.2018, C-353/16, MP, Rn. 28, mwN).

 

Artikel 15 der RICHTLINIE 2011/95/EU lautet:

VORAUSSETZUNGEN FÜR SUBSIDIÄREN SCHUTZ

Ernsthafter Schaden

Als ernsthafter Schaden gilt

a) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder

b) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder

c) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

 

Der EuGH hat im Urteil vom 18.12.2014, C-542/13, M´Bodj, klargestellt, dass der Umstand, dass ein Drittstaatsangehöriger nach Art 3 MRK nicht abgeschoben werden kann, nicht bedeutet, dass ihm subsidiärer Schutz zu gewähren ist. Subsidiärer Schutz (nach Art 15 lit a und b der Statusrichtlinie) verlangt nach dieser Auslegung durch den EuGH dagegen, dass der ernsthafte Schaden „durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht“ werden muss und dieser „nicht bloß Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland“ ist.

Zur letztgenannten Voraussetzung (lit. c) des Art 15 der Statusrichtlinie (bewaffneter Konflikt) hat der EuGH bereits festgehalten, dass das "Vorliegen einer solchen Bedrohung ... ausnahmsweise als gegeben angesehen werden" kann, "wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt (...) ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region ‚allein durch ihre Anwesenheit‘ im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein" (vgl. EuGH 17.2.2009, C-465/07, Elgafaji, Rn. 35). Auch wenn der EuGH in dieser Rechtsprechung davon spricht, dass es sich hiebei um "eine Schadensgefahr allgemeinerer Art" handelt (Rn. 33), so betont er den "Ausnahmecharakter einer solchen Situation" (Rn. 38), "die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre" (Rn. 37). Diesen Ausnahmecharakter betonte der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung, Urteil vom 30. Jänner 2014, C-285/12, Diakite, Rn. 30.

Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 18.12.2014, M'Bodj, C- 542/13) widerspricht es der Statusrichtlinie und ist es unionsrechtlich unzulässig, den in dieser Richtlinie vorgesehenen Schutz Drittstaatsangehörigen zuzuerkennen, die sich in Situationen befinden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck dieses internationalen Schutzes aufweisen, etwa aus familiären oder humanitären Ermessensgründen, die insbesondere auf Art 3 MRK gestützt sind.

3.2.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Im gegenständlichen Fall ist es dem BF nicht gelungen, seine vorgebrachte individuelle Bedrohung bzw. Verfolgungsgefahr im dargestellten Ausmaß glaubhaft zu machen, weshalb sich daraus auch kein zu berücksichtigender Sachverhalt ergibt, der gemäß § 8 Abs 1 AsylG zur Unzulässigkeit der Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung in den Herkunftsstaat führen könnte. Der BF hat im Verfahren keine relevanten Erkrankungen dargelegt, weshalb sich daraus kein Rückkehrhindernis ergibt.

Dass der BF im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.

Insoweit der BF aufgrund des Haftbefehls und eines in Folge durchgeführten Ermittlungsverfahren in Algerien rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt werden sollte, ist zur Vollständigkeit im Kontext der Feststellungen zu den Haftbedingungen festzuhalten, dass nicht davon auszugehen ist, dass in Algerien solch inadäquate Haftbedingungen vorlägen, die die Situation bzw. Behandlung eines jeden algerischen Strafgefangenen als Art. 3 EMRK widerstreitend erscheinen ließe. Derartiges wurde im Verfahren auch nicht hinreichend substantiiert vorgebracht. Der BF ist daher seiner Obliegenheit, die Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darzustellen, nicht nachgekommen. Der BF ist im Übrigen im Wesentlichen gesund, so dass keine Notwendigkeit einer besonderen medizinischen Versorgung besteht und diesbezügliche Defizite daher nicht von Relevanz sind. Den Feststellungen zufolge wurde die materielle Ausstattung der Haftanstalten in den letzten Jahren deutlich verbessert und die Schulung des Personals fortgesetzt. Die Gefängnisse werden regelmäßig von den Überwachungskommissionen für die Justizvollzugsanstalten inspiziert und auch von UN-Einrichtungen und dem IRK, sowie dem „Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter“ besucht. Problematisch ist die Überbelegung, wobei im Jahr 2023 zwei neuen Gefängnisse eröffnet wurden, um die Überbelegung der Gefängnisse zu verringern. Von 144 Strafanstalten sind 80 jünger als zehn Jahre, die medizinische Ausstattung ist allgemein gut. Die Behörden führten außerdem Schulungsprogramme für Gefängnisbeamte zu national und international verankerten Rechten für Gefangene sowie Schulungen zum besonderen Schutz von Frauen und Minderjährigen in Gefängnissen ein. Es wird auch nicht in Abrede gestellt, dass Folter und Misshandlung nach wie vor in Haftanstalten und Gefängnissen vorkommen. Auch wenn die Haftbedingungen in Algerien nicht als mit europäischen Standards vergleichbar angesehen werden, so ist dennoch nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle der Rückkehr alleine wegen der Haftbedingungen einer maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt wäre. Derartige Befürchtungen wurden vom BF auch nicht (substantiiert) vorgebracht, wären jedoch wie aufgezeigt ohnedies nicht dazu geeignet, im Sinn der Rechtsprechung eine reale Gefahr darzustellen.

Ausgehend davon und in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen kann das BVwG nicht erkennen, dass der BF die reale Gefahr einer Verletzung von durch Art. 3 EMRK geschützten Rechten aufgrund der Haftbedingungen in Algerien droht.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der BF somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Im Herkunftsstaat droht dem BF weder durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Algerien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059), hat doch der BF selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung nach Algerien jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

Beim BF handelt es sich um einen gesunden, arbeitsfähigen Erwachsenen, der in der Stadt XXXX prägende Abschnitte seiner Sozialisierung erfahren hat und dort auch über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt. Der BF besuchte in Algerien die Schule, verfügt über eine Berufsausbildung und war in der Vergangenheit bereits in verschiedenen Berufsfeldern erwerbstätig. Der BF war bis zur Ausreise aus Algerien in der Lage, im Herkunftsstaat seine Existenz zu sichern und für den Lebensunterhalt aufzukommen.

Nach dem festgestellten Sachverhalt besteht auch kein Hinweis auf „außergewöhnliche Umstände“, welche eine Rückkehr des BF in die Türkei unzulässig machen könnten.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die wirtschaftliche Situation ob der COVID-19-Pandemie angespannt ist, allerdings nicht so weit, als dadurch die Existenz des BF als gefährdet anzusehen wäre. Vom BF selbst sind dahingehend keine Bedenken bezüglich der Rückkehrsituation dargelegt worden. Algerien unternimmt (wie nahezu alle anderen Staaten weltweit und damit beispielsweise auch Österreich) entsprechende Maßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage einerseits und zur Absicherung der eigenen Staatsangehörigen in ihren Grundbedürfnissen andererseits. Der BF verfügt darüber hinaus über familiäre Anknüpfungspunkte in Algerien und sind im Verfahren keine Gründe hervorgekommen, weshalb der BF bei seinen Geschwistern keine Aufnahme bzw. Unterstützung mehr vorfinden sollten.

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.

Es wäre dem BF nach einer allfälligen Enthaftung zumutbar, durch eigene und notfalls auch wenig attraktive und seiner Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite, zB. Verwandte, sonstige sie schon bei der Ausreise unterstützende Personen, Hilfsorganisationen, religiös-karitativ tätige Organisationen – erforderlichenfalls unter Anbietung seiner gegebenen Arbeitskraft als Gegenleistung – dazu beizutragen, um das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen zu können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ stattfinden, wobei hier auf kriminelle Aktivitäten nicht verwiesen wird.

Auch aufgrund der Präsenz des Coronavirus COVID-19 in Algerien, der Zahl der Infektionen, des typischen Krankheitsverlaufes, der persönlichen Umstände der bP (insbesondere deren Alter und Gesundheitszustand) sowie des Umstandes, dass der algerische Staat auf die Situation reagierte, kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Art 2 bzw. Art 3 EMRK ausgesetzt wäre. Ebenfalls könnte dies nicht aus der Verpflichtung, sich anlässlich der Einreise einer Untersuchung zu unterziehen, sich in Quarantäne zu begeben bzw. eine befristete Ausgangssperre einzuhalten, abgeleitet werden.

Ergänzend ist anzuführen, dass auch eine Rückkehrhilfe (über diese wird im erstinstanzlichen Verfahren schon informiert) als Startkapital für die Fortsetzung des bisherigen Lebens in Algerien gewährt werden kann. Auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ergibt sich somit kein „reales Risiko“, dass es derzeit durch die Rückführung des BF in den Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde.

Es kam im Verfahren nicht hervor, dass konkret für den BF im Falle einer Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr bestünde, als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt zu sein.

Dieses Ergebnis entbindet die Vollzugsbehörde nicht von ihrer Verpflichtung, bei der Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme Art 3 EMRK (insbesondere im Hinblick auf die COVID-19-Situation im Herkunftsstaat des BF und einer möglichen Auslieferung durch die Strafbehörden Österreichs) zu beachten (VfGH v. 26.06.2020, Zl. E 1558/2020-12).

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der BF somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder den relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 und Nr. 13 verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Es war unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände daher zu Recht kein Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren, die Entscheidungen des BFA im Ergebnis zu bestätigen und die Beschwerde somit hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

3.3.1. Rechtslage:

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) unter anderem von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

3.3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Indizien dafür, dass der BF einen Sachverhalt verwirklicht hat, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des BF seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs. 1 Z 1 oder Z 1a FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der BF Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG.

Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG war daher nicht zu erteilen.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

3.4.1. Rechtslage:

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen, unzulässig wäre.

3.4.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Da der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt, stützte sich die belangte Behörde zu Recht auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG.

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG 2014 zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtige Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0301; VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362; VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0456; VwGH 05.11.2019, Ro 2019/01/0008).

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa wenn ein gemeinsamer Haushalt vorliegt.

Der BF hat keine Verwandten oder sonstigen nahen Angehörigen in Österreich. Auch kamen keine Hinweise auf eine nichteheliche Lebensgemeinschaft hervor. Die Rückkehrentscheidung bildet daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des BF auf Schutz des Familienlebens.

Unter dem Privatleben sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.6.2005, Fall Sisojeva ua, Appl 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Die persönlichen Interessen nehmen dabei zwar mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu, die bloße Aufenthaltsdauer allein ist jedoch nicht maßgeblich, sondern ist vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (VwGH 28.09.2020, Ra 2020/20/0348).

Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG 2014 stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. VwGH 16.02.2021, Ra 2019/19/0212 mit Verweis auf VwGH 21.01.2016, Ra 2015/22/0119; 10.05.2016, Ra 2015/22/0158; 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058; 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; weiters VwGH 15.04.2020, Ra 2019/18/0542 und VwGH 09.01.2020, Ra 2019/18/0523).

Der Verwaltungsgerichtshof nahm bereits bei einem Aufenthalt von drei Jahren an, dass von einer ins Gewicht fallenden Aufenthaltsdauer iSd § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG 2014 keine Rede sein kann. Daher kann – in Anbetracht der noch kürzeren Aufenthaltsdauer des BF – ein mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung verbundener Eingriff in das Privatleben nur unter „außergewöhnlichen Umständen“ die Unzulässigkeit dieser Maßnahme bewirken (vgl. VwGH 27.07.2020, Ra 2020/21/0260; VwGH 23.01.2020, Ra 2019/21/0306; VwGH 03.12.2019, Ra 2019/18/0471; VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0191; VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0143 bis 0147).

Der BF hält sich seit Jänner 2022 im Bundesgebiet auf, wobei er sich seinem Asylverfahren wenige Tage danach bereits entzog und erst wieder im Rahmen eines strafrechtlichen Verfahrens wegen Drogenhandel im Bundesgebiet melderechtlich erfasst wurde. Da der BF unmittelbar nach seiner Haftentlassung im Jänner 2023 wieder untertauchte und erst im Rahmen einer neuerlichen Begehung von Straftaten im Bundesgebiet erfasst wurde, kann aus der Dauer seines Aufenthaltes von knapp drei Jahren keine Entscheidungsrelevanz abgeleitet werden.

Auch wenn der BF angibt, dass seine Freundin und der gemeinsame Sohn, die beide algerische Staatsangehörige sind, sich in Frankreich aufhalten würden, kann daraus kein schützenswertes Privat- und Familienleben erkannt werden, da sich der BF in Bundesgebiet während seines knapp 3-jährigen Aufenthaltes überwiegend in Haftanstalten aufgehalten hat, bzw. die übrige Zeit untergetaucht war, sodass seine unsubstantiierten Angaben, wonach er vor seiner letzten Verhaftung 3x in Frankreich bei seinem Sohn gewesen sei, nichts entscheidungswesentliches daran ändern können. Das der BF keine regelmäßigen Unterhaltszahlungen (laut seinen Angaben hat er lediglich 3x oder 4x Geld nach Frankreich geschickt) leistet und auch sonst kein relevanter persönlicher Kontakt vorliegt, ergibt sich aus seinen Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung, sodass die Beziehung zu dem in Frankreich aufhältigen Sohn festststellungsgemäß nicht jenes erforderliche Maß erfüllt, dass von einem schützenswerten Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK ausgegangen werden kann.

Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass seine privaten Beziehungen zwar durch eine Rückkehr nach Algerien gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der BF hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Frankreich nahestehen, gänzlich abzubrechen. Es steht ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch Urlaubsaufenthalte etc.) aufrecht zu erhalten, wobei seitens des erkennenden Richters auch nicht verkannt wird, dass keine überprüfbaren Angaben bezügliches eines Aufenthaltsrechtes der Freundin und seines Sohnes in Frankreich vorgelegt wurden.

In einer Gesamtschau kamen sohin keine Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige und tiefgreifende Integration des BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht hervor und konnte damit eine besondere integrative Aufenthaltsverfestigung des BF nicht angenommen werden.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der BF erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.").

Gleichzeitig hat der BF in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens, nämlich über 37 Jahre, verbracht hat, sprachliche, soziale (in Form seiner Familie) und kulturelle Verbindungen; er hat dort seine Sozialisierung erfahren und bis zu seiner Ausreise gelebt. Er spricht nach wie vor seine Muttersprache und ist mit den regionalen Gebräuchen und Eigenheiten der algerischen Kultur vertraut, sodass in einer Gesamtschau keine vollkommene Entwurzelung des BF gegeben ist. Es wird dem BF daher ohne unüberwindliche Probleme möglich sein, sich wieder in die algerische Gesellschaft zu integrieren, einer (gegebenenfalls zeitweise auch einfachen) Erwerbstätigkeit nachzugehen und für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Allfällige mit der Rückkehrentscheidung verbundene Schwierigkeiten bei der Gestaltung seiner Lebensverhältnisse sind im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzunehmen (vgl. VwGH 29.06.2017, Ra 2016/21/0338).

Unter dem Gesichtspunkt nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG 2014 kann der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, bei der Interessenabwägung Bedeutung zukommen. Ein diesbezügliches Vorbringen hat freilich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung nicht in jeder Konstellation Relevanz. Angeführte Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen sein Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr - letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 12.03.2021, Ra 2020/19/0440 mit Verweis auf VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0076; 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

Dem allenfalls bestehenden Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich (bzw. Europa) stehen zudem bedeutende öffentliche Interessen entgegen. So steht ihm das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel in Österreich aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden (vgl. VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407).

Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die privaten Interessen des BF am Verbleib in Österreich.

Es sind – unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK – aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu betrachten, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaigen wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt gegenständlich nicht vor; bei dem BF sind keine besonderen Vulnerabilitäten gegeben.

Vor diesem Hintergrund und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen kann ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF jedenfalls als im Sinne des Art 8 Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig angesehen werden. Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit zuungunsten des BF und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Außerlandesschaffung aus. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte hervorgekommen bzw. vorgebracht worden, welche eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erscheinen ließen.

Durch die Rückkehrentscheidung wird Art. 8 EMRK damit im Ergebnis nicht verletzt und ist im Sinne von § 9 Abs. 2 BFA-VG nicht als unzulässig anzusehen, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht in Betracht kommt.

Die sonstigen Voraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG sind erfüllt. Sie ist auch sonst nicht (zB vorübergehend nach Art. 8 EMRK, vgl. § 9 Abs. 3 BFA-VG und VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146) unzulässig. Der BF verfügt auch über kein sonstiges Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG abzuweisen war.

3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides):

3.5.1. Rechtslage:

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

3.5.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119; 25.09.2019, Ra 2019/19/0399; u.a.).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 MRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 MRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 MRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN).

Es gibt für das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Algerien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (zur "Schwelle" des Art. 3 EMRK vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059).

Hinweise auf eine allgemeine existenzbedrohende Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen für Algerien nicht vor, sodass aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Außerdem besteht ganz allgemein in Algerien derzeit keine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre. Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den BF ein "reales Risiko" einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Nicht zuletzt gilt Algerien gemäß § 1 Z 10 HStV als sicherer Herkunftsstaat.

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da dem BF keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher zu dem Schluss, dass durch eine Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat die (hohe) Eingriffsschwelle der Art. 2 und 3 EMRK jedenfalls nicht überschritten werden wird, sodass die Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.

3.6. Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und zur Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI. und VII. des angefochtenen Bescheides):

3.6.1. Rechtlage:

Gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG kann das Bundesamt einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz unter anderem die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt (Z 1) oder Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat (Z 4).

Nach § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie, wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

3.6.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Mit Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides wurde zudem einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung unter anderem gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt, weil „der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt“ (Z 1).

Im gegenständlichen Fall ist die Beschwerde am 16.01.2025 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt. Ein gesonderter Abspruch über die beantragte Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bzw. inhaltliche Auseinandersetzung mit den normierten Tatbeständen konnte unterbleiben bzw. erübrigte sich aufgrund der gegenständlich getroffenen Entscheidung in der Sache selbst, da die Entscheidung demnach innerhalb der in § 18 Abs. 5 BFA-VG genannten Frist von einer Woche ab Vorlage der Beschwerde ergeht, sodass der BF im gegenständlichen Verfahren auch diesbezüglich nicht in seinen Rechten verletzt sein kann.

Dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht, wenn eine Entscheidung aufgrund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird, ergibt sich schon unmittelbar aus § 55 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, sodass der BF auch nicht in seinen Rechten verletzt sein kann.

Auch unter diesen Aspekt ist der angefochtene Bescheid daher nicht zu beanstanden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

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