BVwG L506 2204750-1

BVwGL506 2204750-113.4.2022

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:L506.2204750.1.00

 

Spruch:

 

L506 2204750-1/16E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. GABRIEL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , StA. Iran alias Israel, vertreten durch den Verein Zeige, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2018, Zl. XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.03.2022 zu Recht:

 

A)

Die Beschwerde wird gemäß den § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, und § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

 

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Vorerst wies der BF einen gefälschten Reisepass und einen gefälschten Personalausweis, beinhaltend einen anderen Namen und eine andere Staatsangehörigkeit als die später angegebene, vor.

Der BF erklärte in der diesbezüglichen Beschuldigtenvernehmung am 15.01.2016, er wolle Christ werden, weshalb er den Iran verlassen habe. Er wolle auf keinen Fall in Österreich einen Asylantrag stellen, sondern ersuche um einen Landesverweis, da sein Zielland England oder Kanada sei.

2. Anlässlich der Erstbefragung am 20.01.2016 gab der BF als Grund für seine Ausreise aus dem Iran an, bereits vor ca. zwei Jahren den Ausreiseentschluss gefasst zu haben; sein Ziel sei Österreich gewesen, er habe den Iran legal per Flugzeug vor ca. einem Monat verlassen und sei nach zwanzigtätigem Aufenthalt in der Türkei mit gefälschtem Reisepass illegal in Wien eingereist. Der BF erklärte, schiitischer Moslem zu sein und er habe den Iran verlassen, da er Christ werden wolle. Im Iran habe er die Möglichkeit eines Glaubenswechsels nicht, da er diesfalls hingerichtet werden würde. Im Rückkehrfall drohe ihm als konvertierter Christ die Todesstrafe.

Der BF legte einen iranischen Führerschein und eine Geburtsurkunde vor.

3. Am 05.07.2018 erfolgte die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend: BFA).

Der BF legte eine Taufurkunde der XXXX , seine Taufe am XXXX bestätigend, und diverse Integrationsunterlagen vor und gab an, nunmehr Christ, Protestant, zu sein. Sein Ziel sei eigentlich England gewesen doch sei er in Österreich ‚steckengeblieben‘.

Zu seinem Ausreisegrund gab der BF an, von einem Fahrgast in seinem Taxi ersucht worden zu sein, für diesen eine Hauskirche im Iran zu organisieren bzw. ihm eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Sie hätten viel Kontakt gehabt und sein Finanzpartner und er hätten Bücher und Unterlagen zum Vervielfältigen erhalten. Der BF selbst habe keine Hauskirche besucht, sei jedoch durch die Unterlagen mit dem Christentum in Kontakt gekommen. Der Onkel seines Partners, glaublich ein Basiji, habe im Auto des Partners des BF christliche Unterlagen gefunden und habe so erfahren, dass der Partner des BF durch ihn mit dem Christentum in Berührung gekommen sei. Seither hätten die Drohungen und Probleme begonnen; sie seien oft bei den Eltern des BF gewesen, weshalb er sich in der Villa eines Freundes habe verstecken müssen. Der Onkel seines Partners habe ihn angezeigt und ihm überall Probleme gemacht und wolle ihn vernichten. Er sei auch mit seinen Kollegen gekommen und habe Unterlagen, die sie kopiert hätten, in die Garage des BF gestellt. Er sei fast täglich gekommen und habe ihm das Leben zur Hölle gemacht. Sein Partner habe ihn gewarnt und ihm zur Flucht geraten, woraufhin er sich 2 - 3 Monate in dieser Villa versteckt habe. Seine Mutter habe im Zeitraum von 5, 6 Monaten vor der Ausreise verdächtige Personen beim Haus bemerkt, die sich umgesehen hätten. Sein Partner habe ihn mit dem Schlepper in Kontakt gebracht und habe gewusst, dass man die ganze Schuld auf den BF schieben werde. Als ausreiseauslösendes Ereignis gab der BF an, dass ein Akt über ihn angelegt worden sei. Die Unterlagen in der Garage seien als Beweismittel sichergestellt worden.

Der BF gab über Nachfragen an, der Name des Kunden sei XXXX gewesen, er habe ihn oft mit dem Auto gefahren. Sie hätten verschiedene Objekte besichtigt und dann eines gemietet, der BF habe selbst Christ werden wollen und habe auch einen USB-Stick von XXXX mit christlichen Inhalten erhalten. Die Probleme hätten seit 10 - 11 Monate bestanden. Er habe sich mit seinem Taxi nicht mehr frei bewegen können und seien seine Konten gesperrt worden.

Zum Datum der Anzeige konnte der BF keine Angaben machen; zu Drohungen befragt, gab der BF an, er habe mehrere SMS erhalten und es sei alles fotografiert worden. Der BF konnte keine Zeitangaben dazu machen, wann die Unterlagen im Auto gefunden worden sein sollen.

Auch habe sein Partner die Geschichte mit dem israelischen Pass seinem Onkel verraten.

Im Weiteren wurden dem BF Fragen zum Christentum gestellt.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.).

Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkt II.).

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.)

Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft betrage (Spruchpunkt IV.).

Das BFA stellte zu den geltend gemachten Ausreisegründen des BF zusammengefasst fest, dass der BF dazu kein fundiertes, nachvollziehbares und substantiiertes Vorbringen dargelegt habe. Für seine angegebene Konversion habe der BF keine inneren Beweggründe glaubhaft machen können und er verfüge über keine souveränen Kenntnisse zu christlichen Wissensfragen.

Spruchpunkt II. begründete die Behörde zusammengefasst damit, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd § 8 Abs 1 Z 1 AsylG zu verneinen sei.

Zu Spruchpunkt III. hielt das BFA fest, dass die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung für den Beschwerdeführer keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 23.08.2018 innerhalb offener Frist vollinhaltlich Beschwerde. Zu deren Inhalt im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise: VwGH 16.12.1999, 99/20/0524).

Es wurden die Anträge gestellt, die Rechtsmittelbehörde möge

-) eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen;

-) den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass dem BF der Status des Asylberechtigten, in eventu der Status des subsidiär Schutzberechtigten erteilt und die gegen den BF erlassene Rückkehrentscheidung ersatzlos behoben werde;

-) in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und dem BFA die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftragen.

6. Gegenständliche Beschwerde langte samt bezug habendem Verwaltungsakt am 31.08.2018 in der hg. Gerichtsabteilung ein.

7. Am 28.09.2018 langte hg. eine Besuchsbestätigung der XXXX ein.

8. Am 18.08.2020 langten hg. ein Schreiben des BMI bzgl. des Verdachts des Sozialleistungsmissbrauches durch den BF ein. Ein daraus resultierendes Verfahren wurde durch die StA XXXX am 27.10.2020 eingestellt.

9. Am XXXX fand hg. eine mündliche Verhandlung statt, zu der die Verfahrensparteien geladen wurden. Am 23.02.2022 wurde durch den nunmehrigen Vertreter des BF eine schriftliche Stellungnahme zur religiöser Überzeugung des BF und zu seiner Integration in Österreich unter Anschluss diesbezüglicher Unterlagen sowie zur aktuellen Version der Länderfeststellungen abgegeben.

10. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den behördlichen Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des BF, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde und durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX .

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

1.1. Zuständigkeit der entscheidenden Einzelrichterin

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Aufgrund der geltenden Geschäftsverteilung wurde der gegenständliche Verfahrensakt der erkennenden Einzelrichterin zugewiesen, woraus sich deren Zuständigkeit ergibt.

 

2. Feststellungen (Sachverhalt):

 

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers wird festgestellt:

2.1.1. Die Identität des Beschwerdeführers, welcher Staatsangehöriger des Iran und Angehöriger der Volksgruppe der Perser ist, steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX , wo er 12 Jahre die Grundschule besucht und seinen Lebensunterhalt als Autohändler und Taxifahrer verdient hat.

Familienangehörige des Beschwerdeführers (Eltern, Bruder) sind nach wie vor im Iran aufhältig und er steht mit ihnen in Kontakt.

Der Beschwerdeführer ist ledig, gesund und arbeitsfähig.

2.1.2. Der Beschwerdeführer reiste legal mit seinem Reisepass und einem Visum aus dem Iran aus und gelangte mit einem gefälschten israelischen Reisepass von der Türkei nach Österreich, wo er am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat Iran wegen seiner Hinwendung zum Christentum oder seiner Unterstützung beim Mieten von Räumlichkeiten für eine Hauskirche Bedrohungen durch den strenggläubigen Onkel seines Geschäftspartners, der Kontakte zur Sepah und den Basiji unterhielt, ausgesetzt war oder er pro futuro derartigen Problemen ausgesetzt sein wird.

Der Beschwerdeführer gehörte zum Zeitpunkt seiner Einreise in Österreich der muslimisch-schiitischen Religionsgemeinschaft an. Er wurde am XXXX in der XXXX (Baptisten) in XXXX getauft und gehört nunmehr den (protestantischen) Freikirchen in Österreich an.

Dass sich der Beschwerdeführer ernsthaft mit christlichen Glaubensinhalten auseinandergesetzt, sich nachhaltig dem christlichen Glauben zugewandt hat und dieser Glaube für den Beschwerdeführer identitätsstiftend ist, kann nicht festgestellt werden.

Es können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, im Iran einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Iran in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt wäre.

Zum Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat festgestellt werden.

2.1.3. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Verwandten oder sonstigen nahen Angehörigen. Er gibt an, seit zwei Jahren mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX verlobt zu sein, es besteht jedoch kein gemeinsamer Wohnsitz.

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung; er ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt über eine Einstellungszusage, ist Mitglied beim Roten Kreuz und fallweise ehrenamtlich tätig. Er hat sich in Österreich einen Freundeskreis aufgebaut und verfügt über Unterstützungsschreiben.

Der Beschwerdeführer verfügt über grundlegende Deutschkenntnisse und hat die A1, A2 und B1 Prüfung absolviert.

Der BF wurde wegen des Gebrauchs einer falschen bzw. verfälschten, besonders geschützten Urkunde gem. §§ 223 (2), 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Wochen, bedingt mit einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

Der Beschwerdeführer verfügt zum Entscheidungszeitpunkt über keine relevanten Bindungen zu Österreich. Auch sonst konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.

2.2. Zur Lage im Herkunftsstaat wird festgestellt:

 

2.2.1.

 

Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 14.9.2021b; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der ’velayat-e faqih’, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel ’Revolutionsführer’ (GIZ 12.2020a; vgl. BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021, FH 3.3.2021). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021a; vgl. FH 3.3.2021, US DOS 30.3.2021), ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die höchste Autorität des Landes (FH 3.3.2021). Er steht somit höher als der Präsident. Des Weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran bzw. IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 3.3.2021, US DOS 30.3.2021). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z. B. schiitischer Klerus). Die Mitgliedschaften und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 5.2.2021).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: An der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Am 18.6.2021 fanden in Iran erneut Präsidentschaftswahlen statt (Tagesschau.de 18.6.2021; vgl. AA 14.9.2021a). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ibrahim Raisi mit mehr als 62 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50 % und war somit niedriger als jemals zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung sogar bei nur 26 %. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard.at 19.6.2021; vgl. DW 19.6.2021). Wie bei jeder Wahl hat der Wächterrat die Kandidaten im Vorhinein ausgesiebt (Tagesschau.de 18.6.2021). Raisi wurde mehr oder weniger von Revolutionsführer Khamenei ins Amt gehievt (Zeitonline 23.6.2021). Raisi ist seit 5.8.2021 Staatspräsident. Am 25.8.2021 hat das Parlament den Vorschlag des neuen Staatspräsidenten für das Kabinett gebilligt, damit hat die neue Regierung ihr Amt angetreten (AA 14.9.2021a.). In Folge der Präsidentschaftswahlen vom Juni 2021 befindet sich die gesamte Befehlskette in konservativer bzw. erzkonservativer Hand (Oberster Führer, Präsident/Regierungschef, Leiter der religiösen Judikative, Regierung, Parlament, Wächterrat, Expertenrat) (ÖB Teheran 11.2021).

Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 3.3.2021). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive, zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 12.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren (GIZ 12.2020a). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80 % der Sitze im Parlament gewonnen. Die Überprüfung von Kandidatinnen und Kandidaten für Parlamentswahlen durch den Wächterrat garantierte dabei bereits im Vorfeld der Wahlen, dass nur Abgeordnete gewählt werden konnten, die das Regime nicht infrage stellen. Unabhängige Wahlbeobachter wurden nicht zugelassen (AA 5.2.2021). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten. Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6 %, was als die niedrigste Wahlbeteiligung in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 3.3.2021; vgl. AA 5.2.2021) mit einem Rekord an ungültigen Stimmen. Es herrscht breite Politikverdrossenheit aufgrund nicht eingelöster Versprechen der vorigen Regierung Rohani zu wirtschaftlichen Reformen, Westöffnung und Korruptionsbekämpfung (ÖB Teheran 11.2021).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern, davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen. Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unter anderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. GIZ 12.2020a, FH 3.3.2021, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 12.2020a). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der ’Gesamtinteressen des Systems’ zu achten (AA 14.9.2021a; vgl. GIZ 12.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 12.2020a).

Das Parlament, der Expertenrat sowie der Präsident werden in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Dabei sind Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA5.2.2021). Das iranische Wahlsystem entspricht aber nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Folglich können iranische Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten auswählen (FH 3.3.2021; vgl. AA 5.2.2021).

Das Regime reagierte auch unter der moderaten Regierung von Präsident Rohani in den letzten Jahren auf die wirtschaftliche Krise und immer wieder hochkommenden Unmut und Demonstrationen mit hartem Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivistinnen, religiösen & ethnischen Minderheiten und Umweltaktivisten. Die Regierung Raisi ist noch dabei, ihre Machtstruktur auf allen Ebenen zu festigen. Sie hat jedoch bereits stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Sinne der ’islamischen Gesellschaftsordnung’ (Rolle der Frauen fokussiert auf Gebärfunktion), der Ablehnung ’westlicher’ Kultur, der Unterdrückung von Kritik (Internetzensur) und eine stärkere Ausrichtung auf Russland und China und deren politische Modelle angekündigt (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021a): Politisches Portrait - Iran, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450 , Zugriff 24.11.2021

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021b): Steckbrief - Iran, https://www.auswae rtiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394 , Zugriff 24.11.2021

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-projec

t.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 27.4.2021

• DW – Deutsche Welle (19.6.2021): Raeissi wird neuer Präsident im Iran, https://www.dw .com/de/raeissi-wird-neuer-pr%C3%A4sident-im-iran/a-57961660 , Zugriff 25.6.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 27.4.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/ , Zugriff 27.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021

• Standard.at (19.6.2021): Hardliner Raisi gewann Präsidentenwahl im Iran, https://www.de rstandard.at/story/2000127545908/kleriker-raisi-fuehrt-laut-medienberichten-bei-praeside ntenwahl-im-iran , Zugriff 25.6.2021

• Tagesschau.de (18.6.2021): Keine Macht dem Volk? https://www.tagesschau.de/ausland/ asien/iran-wahlen-kandidaten-stimmung-101.html , Zugriff 25.6.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights

Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 27.4.2021

• Zeitonline (23.6.2021): Wofür steht Ebrahim Raissi? https://www.zeit.de/2021/26/iran-pra esidentenwahl-ebrahim-raissi-ali-chamenei , Zugriff 25.6.2021

Sicherheitslage

Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im Juli 2021 Proteste gegen die Wasserknappheit in der Provinz Khuzestan und im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 7.12.2021).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 14.6.2021). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 7.12.2021b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 7.12.2021b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 7.12.2021).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 7.12.2021b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte im Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen, kriminellen Banden und den Sicherheitskräften (EDA 7.12.2021). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 11.2021). Gelegentlich kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 7.12.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.12.2021b, unverändert gültig seit 2.12.2021): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laend er/iran-node/iransicherheit/202396 , Zugriff 7.12.2021

• EDA– Eidgenössisches Departement für auswärtigeAngelegenheiten [Schweiz] (7.12.2021, unverändert gültig seit 30.8.2021): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda /de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html , Zugriff 7.12.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 7.12.2021

Verbotene Organisationen

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 5.2.2021).

Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die aus Belutschistan stammende Jundallah und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 5.2.2021). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 11.2021) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Von Mai bis September 2016 wurden fast wöchentlich bewaffnete Konflikte zwischen kurdischen Guerillakräften und iranischen Sicherheitskräften gemeldet. In den letzten zehn Jahren hatte hauptsächlich die kurdische Partei PJAK militärische Operationen im Nord-westen des Iran durchgeführt. Seit Mai 2016 beteiligen sich auch andere kurdische Parteien (KDPI, KDP-I, PAK) an militärischen Operationen gegen iranische Sicherheitskräfte. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und Lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer von KDPI und Komala werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Parteien. Während die iranischen Behörden Personen, die verhaftet werden, beschuldigen, mit diesen Parteien verbunden zu sein, ist dies nicht immer der Fall. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um dadurch Druck auf Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie (DIS 7.2.2020).

Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019; vgl. Landinfo 12.4.2021).

Hinsichtlich des Risikos, für politische Aktivitäten verhaftet zu werden, ist die Art der Aktivität entscheidend. Andauernde politische Aktivitäten werden eher in einer Anklage enden. Auch Personen, die mit politischem Material oder beim Anbringen politischer Slogans an Wänden erwischt werden, laufen Gefahr, verhaftet zu werden. Eine Person, die nur eine einzige politische Aktivität auf niedrigem Niveau setzt - z.B. Verteilen von Flugblättern - läuft kaum Gefahr, deswegen angeklagt zu werden (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

• AI – Amnesty International (15.6.2018): Urgent Action, Iranian Kurdish Woman denied Medical Care, UA: 151/14 Index: MDE 13/8598/201, https://www.ecoi.net/en/file/local/143 5509/1226_1529323691_mde1385982018english.pdf , Zugriff 4.5.2020

• AI – Amnesty International (11.2.2019): Amnesty International’s written statement to the 40thsessionof theHuman RightsCouncil(25 February –22March 2019), MDE 13/9828/2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457788/1226_1550135137_mde1398282019english . pdf , Zugriff 4.5.2020

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report + on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020

• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-perso ns-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 4.5.2020

• Landinfo [Norwegen] (12.4.2021): Iran. Mojahedin-e Khalq Organization (MKO), https:

//www.ecoi.net/en/file/local/2050252/Temanotat-Iran-MKO-12042021.pdf , Zugriff 14.6.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 7.12.2021

Volksmudschahedin (Mujahedin-e-Khalq – MEK, MKO; People’s Mojahedin Organisation of Iran – PMOI; National Council of Resistance of Iran – NCRI)

Die militante iranische Exil-Oppositionsbewegung Mujahedin-e Khalq (MEK, oder auch MKO, ’iranische Volksmudschahedin’) gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 9.2017; vgl. Landinfo 12.4.2021) und wird für die Ermordung von 17.000 Iranern verantwortlich gemacht (ÖB Teheran 9.2017; vgl. Global Security o.D., SFH 20.7.2018). Verbindungen zur MEK gelten in Iran als ’moharebeh’ (’Waffenaufnahme gegen Gott’), worauf die Todesstrafe steht (ÖB Teheran 11.2021). Im Exil in Frankreich hat die MEK-Führung den Nationalen Widerstandsrat [National Council of Resistance of Iran (NCRI)] gegründet (Telepolis 18.1.2019; vgl. Landinfo 12.4.2021). Im Juni 2018 wurde ein geplanter Terroranschlag auf ein MEK-Treffen nahe Paris vereitelt (ÖB Teheran 11.2021).

Die linksgerichtete MEK wurde in den 1960er Jahren mit der Intention gegründet, den Schah von Persien zu stürzen. Sie unterstützte während der iranischen Revolution Ayatollah Khomeini. Die Organisation wurde Anfang der 1980er Jahre aus Iran ins Exil in den Irak vertrieben, nachdem sie gegen Khomeini opponiert hatte. Die MEK wird für verschiedene Anschläge verantwortlich gemacht und hatte als Verbündete der irakischen Seite am ersten Golfkrieg zwischen 1980 bis 1988 teilgenommen. Im Jahr 1987 gründete die Organisation einen bewaffneten Arm, die National Liberation Army (NLA) und führte ab 1988 von der 60 Kilometer von Bagdad entfernten Basis Ashraf ausgehend bewaffnete Operationen durch. In diesem Zeitraum exekutierten die iranischen Behörden Hunderte bis Tausende MEK-Mitglieder, welche als Feinde der Nation und Verräter bezeichnet wurden. Die Organisation wurde von einer Reihe von Staaten offiziell als terroristische Organisation eingestuft, darunter von den USA, der EU und Großbritannien. Im Jahr 2003 hat sich die MEK entwaffnet und den Verzicht auf Gewalt verkündet (SFH 20.7.2018; vgl. Landinfo 12.4.2021). In den Jahren 2008, 2009 und 2012 wurde die MEK in Großbritannien, in der EU und in den USA von der Liste der terroristischen Organisationen entfernt (SFH 20.7.2018). Die MEK-Mitglieder im Irak ließen sich ab 2011 im Rahmen einer von UNHCR unterstützten Umsiedlung mehrheitlich in Albanien nieder. Im September 2016 sollen die letzten Volksmudschahedin ihr Lager im Irak verlassen haben (SFH 20.7.2018; vgl. Guardian 9.11.2018). Mittlerweile sind viele von ihnen in die EU und die USA weitergereist (Guardian 9.11.2018). Die iranischen Behörden beobachten die Aktivitäten von MEK-Mitgliedern im Exil (Landinfo 12.4.2021).

Experten sind sich einig, dass die Volksmudschahedin die USA beim Eingreifen in den Irak, bei diversen Aktionen im Nahen Osten und beim Kampf gegen den Terrorismus unterstützt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben (DW 28.3.2016; vgl. Guardian 9.11.2018). Obwohl die MEK behauptet, das iranische Volk zu vertreten und ihre Rolle bei den Volksaufständen der letzten Jahre betont, gibt es kaum Anzeichen dafür, dass sie in Iran signifikante Unterstützung erhält. Das iranische Regime betrachtet die MEK als Terrororganisation und wirft ihr vor, in Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten Proteste anzuzetteln. Folglich riskieren diejenigen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zu dieser Gruppe zu haben - einschließlich der Familienmitglieder - starke Reaktionen (Landinfo 12.4.2021; vgl. ACCORD 7.2018). Die österreichische Botschaft berichtet hierzu, dass die MEK zwar die stärkste oppositionelle Bewegung und international präsent ist, dass sie aber in Iran aufgrund ihrer terroristischen Vergangenheit und der Unterstützung Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg kaum Unterstützung genießt (ÖB Teheran 11.2021). In den letzten Jahren scheint sich die MEK darauf zu konzentrieren, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und als praktikable Alternative zum derzeitigen Regime internationale Unterstützung zu gewinnen. Die Organisation führt umfassende PR- und Lobbying-Kampagnen durch, unter anderem durch den oben erwähnten Nationalen Widerstandsrat (NCRI) (Landinfo 12.4.2021).

Immer wieder wird Kommandanten der MEK von ehemaligen Mitgliedern vorgeworfen, dass sie Mitglieder der MEK systematisch misshandeln würden, um sie zum Schweigen zu bringen. Hierzu würden Folter, Einzelhaft, Beschlagnahmung von Vermögen und Trennung von Familien angewendet, um die Kontrolle über die Mitglieder zu behalten. Solche Vorwürfe werden von der MEK zurückgewiesen (Guardian 9.11.2018).

Quellen:

• ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research Documentation (7.2018): COI compilation Iran. Political Opposition. Mojahedin-e Khalq Organisation (MEK, MKO), https://www.ecoi.net/en/file/local/1441174/1226_1534925790_iran-coi-compilatio n-july-2018-final.pdf , Zugriff 9.6.2021

• DW – Deutsche Welle (28.3.2016): Iranische Volksmudschahedin in Albanien, http://www. dw.com/de/iranische-volksmudschahedin-in-albanien/a-19132961 , Zugriff 5.5.2020

• Global Security (o.D.): Mujahedin-e Khalq Organization (MEK or MKO), http://www.global security.org/military/world/para/mek.htm , Zugriff 5.5.2020

• Landinfo [Norwegen] (12.4.2021): Iran. Mojahedin-e Khalq Organization (MKO), https://www.ecoi.net/en/file/local/2050252/Temanotat-Iran-MKO-12042021.pdf , Zugriff 9.6.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (9.2017): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426070/5818_1520415893_iran-oeb-bericht-2017 -09.docx , Zugriff 5.5.2020

• SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (20.7.2018): Iran: Rückkehr von Personen mit Verbindungen zu den Volksmudschahedin (PMOI), https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/he rkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/iran/180720-irn-gefaehrdung-pmoi.pdf , Zugriff 5.5.2020

• Telepolis (18.1.2019): Was verbindet die Volksmudschahedin mit der rechten spanischen Vox-Partei?, https://www.heise.de/tp/features/Was-verbindet-die-Volksmudschahedin-mit -der-rechten-spanischen-Vox-Partei-4281979.html , Zugriff 5.5.2020

• The Guardian (9.11.2018): Terrorists, cultists – or champions of Iranian democracy? The wild wild story of the MEK, https://www.theguardian.com/news/2018/nov/09/mek-iran-re volution-regime-trump-rajavi , Zugriff 5.5.2020

PJAK - Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (Partei für Freiheit und Leben in Kurdistan bzw. Partei für ein freies Leben Kurdistans)

Die PJAK begann in den späten 1990er Jahren als friedliche studentische Menschenrechtsorganisation. Es ging den Mitgliedern der Gruppierung anfangs um den Aufbau einer kurdischen Nationalidentität (BMI 2015; vgl. ACCORD 7.2015, DIS 7.2.2020), und man wollte die Assimilierung der Kurden durch die Zentralregierung verhindern (JF 15.1.2018). 2004 begannen die bewaffneten Angriffe auf die iranische Regierung von den Kandil-Bergen aus, von wo aus die PJAK bis heute operiert. Ebendort hat auch die PKK ihre Basen, und die PJAK gilt als iranischer Ableger der PKK (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020). Als Unterschied zur PKK gibt die PJAK selbst an, dass sie sich niemals gegen Zivilisten, sondern immer nur gegen ausschließlich iranische Regierungstruppen wendet bzw. gewandt hat. Die iranische Regierung hat die PJAK auch niemals diesbezüglich beschuldigt. Angaben über die zahlenmäßige Stärke der PJAK sind schwierig. Schätzungen liegen zwischen 1.000 (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020) und 3.000 Kämpfern (BMI 2015; vgl. Landinfo 18.12.2020). Ein großer Teil der Kämpfer in Ostkurdistan sollen Frauen sein (TRAC o.D.; vgl. CRS 6.2.2020). Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein erklärtes Ziel der PJAK. Beide Geschlechter müssen auf allen Ebenen der Organisation gleichermaßen vertreten sein und das gleiche Schulungsprogramm absolvieren. Schätzungen zufolge sind bis zur Hälfte der Mitglieder Frauen. Neben der kurdischen Sache steht nicht nur die schon erwähnte Gleichstellung der Geschlechter, sondern auch der ethnischen Gruppen ganz oben auf der politischen Agenda der PJAK. Darüber hinaus hat die PJAK das erklärte Ziel eines Regimewechsels in Iran. In diesem Zusammenhang versucht die Organisation, alle Iraner anzusprechen. Das erklärte Ziel von PJAK ist es, das derzeitige theokratische Modell durch ein demokratisches föderales System zu ersetzen. Ihr Ziel und ihre Vision ist es, dass in einem zukünftigen politischen Modell alle ethnischen und religiösen Gruppen ein hohes Maß an Autonomie haben sollten. Dies gilt für alle ethnischen Gruppen, nicht nur für die Kurden (Landinfo 18.12.2020).

Die PJAK ist in einen Militärflügel, den ostkurdischen Verteidigungskräften (YRK), und einen politischen Flügel, der Demokratischen und Freien Gesellschaft Ostkurdistans (KODAR), aufgeteilt. Die Gruppe gibt vor, mit allen Iranern zusammenzuarbeiten, aber in der Praxis ist ihre Mitgliedschaft fast ausschließlich kurdisch. Während der militärische Flügel in den Kandil-Bergen stationiert ist, ist der politische Zweig in Europa und dem Irak ansässig (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020) und operiert in Iran nur im Untergrund (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 18.12.2020). Während die kurdisch-iranischen Exilparteien wie z.B. PDKI, KDP-I, die drei Komala-Fraktionen und PAK (Parti Azadi Kurdistan - Kurdistan Freedom Party) mit der Autonomen Kurdischen Region (Kurdistan Regional Government - KRG) Vereinbarungen für eine formalisierte Präsenz im Nordirak getroffen haben, hat die PJAK keine solchen Vereinbarungen. Mit dieser formalisierten Präsenz gehen finanzielle Unterstützung, Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung und andere öffentliche Dienstleistungen einher. Da die PJAK nicht über eine solche formalisierte Präsenz verfügt, erhalten ihre Mitglieder weder finanzielle Unterstützung noch öffentliche Dienstleistungen (Landinfo 18.12.2020).

Der militärische Arm der PJAK führte in Iran von Anfang der 2000er Jahre bis 2011 eine sporadische Aufstandskampagne. Dabei wurden Dutzende iranische Sicherheitskräfte getötet, hauptsächlich bei Operationen in und um Städte mit kurdischer Mehrheit wie Urmia und Mariwan. 2011 erklärte die PJAK einen [brüchigen] Waffenstillstand. Der Zusammenbruch des syrischen Staates eröffnete der PKK und ihren Mitgliedsgruppen neue Möglichkeiten, und es wurden Kämpfer nach Syrien geschickt. Dies wurde ab 2014 verstärkt, da die von der YPG [syrischer Ableger der PKK] gehaltenen Gebiete zunehmend von den von der Türkei unterstützten Streitkräften der Freien Syrischen Armee (FSA) und von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates (IS), insbesondere bei der Belagerung von Kobane, unter Druck gesetzt wurden (JF 15.1.2018). Trotz des zunehmenden Engagements der PJAK in Syrien gab die Gruppe ihren Waffenstillstand mit Iran im Jahr 2015 auf, vor allem, um von der weitverbreiteten Empörung und den Protesten gegen die Tötung einer kurdischen Frau durch iranische Sicherheitskräfte in Mahabad zu profitieren. Die Gruppe nahm ihre Angriffe auf iranische Truppen wieder auf, was zu verstärkter Gewalt zwischen der PJAK und der iranischen Regierung führte und im August 2015 ihren Höhepunkt mit einem PJAK-Angriff in Mariwan erreichte, bei dem Berichten zufolge 20 Mitglieder der Revolutionsgarde getötet wurden. Die Regierung reagierte mit der Hinrichtung inhaftierter kurdischer Aktivisten (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020).

Die PJAK liefert sich somit seit Jahren einen Guerilla-Kampf mit den iranischen Sicherheitsbehörden (AA 5.2.2021). In den Jahren 2017 und 2018 kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit kurdischen Oppositionsgruppen (PJAK, KDP-Iran, Komala), mit mehreren Dutzend Festnahmen und zahlreichen Toten (ÖB Teheran 10.2020; vgl. BS 2020). Unter den politisch Verfolgten in Iran sind verhältnismäßig viele Kurden. Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021).

Zusammenstöße der PJAK mit iranischen Sicherheitskräften wurden auch 2019 (Kurdistan24 5.8.2019) und 2020 berichtet (Hengaw 30.12.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 9.12.2021

• ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research Documentation (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_a ccord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 4.5.2020

• BMI – Bundesministerium für Inneres [Österreich] / Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion Language - Politics, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res -publicae-the-kurds-2015.pdf , Zugriff 4.5.2020

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-proj ect.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

• CRS – Congressional Research Service [USA] (6.2.2020): Iran: Internal Politics and U.S.Policy and Options, https://fas.org/sgp/crs/mideast/RL32048.pdf , Zugriff 4.5.2020

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report + on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 4.5.2020

• Hengaw Organisation für Menschenrechte (30.12.2020): Militärische Zusammenstöße iniranisch Kurdistan im Jahre 2020 - Statistische Angaben, https://hengaw.net/de/news/mil itarische-zusammensto%C3%9Fe-in-iranisch-kurdistan-im-jahre-2020-statistische-anga ben , Zugriff 9.12.2021

• JF – Jamestown Foundation (15.1.2018): Party for Free Life in Kurdistan: The PKK’s Iranian Wing Bides Its Time, Terrorism Monitor Volume: 16 Issue: 1, https://jamestown.or g/program/party-free-life-kurdistan-pkks-iranian-wing-bides-time/ , Zugriff 4.5.2020

• Kurdistan24 (5.8.2019): PKK-affiliate group reports deaths from recent clash with Iran Guards, https://www.kurdistan24.net/en/news/406728f5-dfd2-4e2b-b71c-de07c86c6646 , Zugriff 4.5.2020

• Landinfo [Norwegen] (18.12.2020): Det iransk-kurdiske partiet PJAK, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2043154/Iran-temanotat-PJAK-18122020.pdf, Zugriff 26.1.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021

• TRAC – Terrorism Research & Analysis Consortium (o.D.): Party of Free Life of Kurdistan (PJAK), https://www.trackingterrorism.org/group/party-free-life-kurdistan-pjak , Zugriff 4.5.2020

Kurdish Democratic Party of Iran (KDPI/PDKI) und Komala(h) (Kurdistan Organization of the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI)

Neben der PJAK zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI bzw. PDKI) zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran (AA 5.2.2021). Die Mitgliedschaft in kurdischen Parteien ist illegal und wird streng bestraft. In kurdischen Gebieten gilt auch zivilgesellschaftlicher Aktivismus, der nichts mit den Parteien zu tun hat, als verdächtig. Dies wird als politische Oppositionstätigkeit interpretiert und von den Behörden unterdrückt. Personen, die an Demonstrationen oder anderen Protestmärschen teilnehmen, stehen im Verdacht, Mitglied einer Partei zu sein. Sie riskieren eine Verhaftung (Landinfo 19.5.2020).

Die KDPI (auch PDKI) wurde 1945 in der iranischen Stadt Mahabad gegründet (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020), vom Schah im Jahr 1953 verboten und dadurch in den Untergrund verbannt (TRAC o.D.). Das Ziel der KDPI besteht darin, die kurdischen nationalen Rechte innerhalb eines föderalen und eines demokratischen Iran zu erlangen (DIS 7.2.2020; vgl. TRAC o.D., MERIP o.D., Landinfo 19.5.2020). Sie bezeichnet sich selbst als sozialdemokratische Partei (Landinfo 2.4.2020). Die KDPI wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die von ihrem irakischen Hauptquartier aus das Regime bekämpft (BMI 2015; vgl. MERIP o.D., ACCORD 7.2015, Landinfo 2.4.2020). Die KDPI wird traditionell als die größte iranisch-kurdische Partei angesehen (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020), wobei dies heute nicht mehr gültig ist (Landinfo 2.4.2020). Die Partei KDP-Iran hat sich 2006 von der KDPI getrennt und ist eine separate Partei (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020). Trotz der Spaltung haben die beiden Parteien ein neues Kooperationsforum gebildet, das neben KDPI und KDP-Iran aus zwei weiteren iranisch-kurdischen Parteien besteht, nämlich den beiden Fraktionen der linken Partei Komala (Landinfo 19.5.2020). Die kurdischen Parteien konkurrieren um Einfluss in der kurdischen iranischen Bevölkerung (Landinfo 2.4.2020), und sie sind in Iran nicht sehr stark durch Mitglieder repräsentiert, sondern am ehesten durch Sympathisanten (ACCORD 7.2015). Viele der kurdischen Parteien operieren vom Nordirak aus. Der Status und Handlungsspielraum der kurdischen Oppositionsgruppen wie KDP-I, Komala und PDKI und PJAK war und ist ein schwieriges Thema in den Beziehungen zwischen Iran und der Autonomen Kurdischen Region (Kurdistan Regional Government - KRG). Die KRG hat Vereinbarungen für eine formalisierte Präsenz mit mehreren iranisch-kurdischen Exilparteien wie KDPI, KDP-Iran, den drei Komala-Fraktionen und PAK getroffen. Aufgrund der Notwendigkeit einer gutnachbarlichen Beziehung zu Iran hat die KRG gefordert, dass die iranisch-kurdischen Exilparteien alle militärischen Aktivitäten gegen Iran unterlassen. Dies war eine Bedingung dafür, dass die Exilparteien in Stützpunkten und Lagern im Nordirak operieren dürfen. Mit dieser formalisierten Präsenz gehen finanzielle Unterstützung, Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung und anderen öffentlichen Dienstleistungen einher (Landinfo 18.12.2020).

Die Komala-Partei wurde 1969 gegründet. Ihre Mitglieder bestanden zu dieser Zeit aus kurdischen linken Studenten und Intellektuellen, hauptsächlich aus Teheran, aber auch aus anderen kurdischen Städten. Komala basiert auf sozialistischen Werten und kämpft für kurdische Rechte und einen demokratischen, säkularen, pluralistischen und föderalen Iran. Komala besteht aus drei oder mehr getrennten Parteien (DIS 7.2.2020).

Das Ausmaß der zivilpolitischen Aktivitäten der iranisch-kurdischen Oppositionsparteien, insbesondere der KDPI und Komala, in Iran ist aufgrund der Kontrolle, mit der sie konfrontiert sind, im Allgemeinen begrenzt. Wenn die Parteien zivilpolitische Aktivitäten durchführen, geschieht dies unter Geheimhaltung, um zu verhindern, dass die Behörden gegen sie vorgehen. Die Parteien unterstützen jedoch die Aktivitäten anderer, beispielsweise von Organisationen, die sich sowohl auf Umweltfragen als auch auf soziale Fragen konzentrieren. Die kurdischen politischen Parteien führen Propaganda-Aktivitäten durch, um ein Bewusstsein für die Politik der iranischen Regierung zu schaffen und die Menschen zu ermutigen – durch verschiedene friedliche und entschlossene Maßnahmen wie Demonstrationen, Generalstreiks und symbolische Mittel, wie das Tragen kurdischer Kleidung zu besonderen Anlässen – gegen die Regierung zu protestieren. Die meisten Aktivitäten der kurdischen Parteien finden im öffentlichen Raum, einschließlich Schulen, statt. Die Parteien ermutigen ihre Mitglieder, Unterstützer und die Öffentlichkeit, Maßnahmen über soziale Medien, Fernseh- und Radiokanäle zu ergreifen (DIS 7.2.2020).

In Bezug auf die Rekrutierung von Mitgliedern ist zu sagen, dass die Regeln für die Mitgliedschaft in den iranisch-kurdischen politischen Parteien (KDPI und Komala) nicht immer geradlinig sind und die Mitgliedschaft durch verschiedene Verfahren erlangt werden kann. Menschen in der kurdischen Region in Iran können über die geheimen Netzwerke dieser Parteien Mitglieder werden, oder sie können selbst Mitglieder der Partei in der Autonomen Kurdischen Region Irak kontaktieren und dadurch Mitglieder werden. Zukünftige Mitglieder durchlaufen eine Überprüfung, um z.B. Spione der iranischen Regierung ausschließen zu können (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020). Es kommt immer wieder vor, dass das Geheimdienstministerium und die Revolutionsgarden Personen bedrohen oder bestechen, um sie als Kundschafter einzusetzen (DIS 7.2.2020). Sowohl das iranische Geheimdienstministerium als auch der Geheimdienst der Revolutionsgarden sind mit einem Netzwerk von Informanten verbunden, die die Aktivitäten der iranisch-kurdischen Parteien verfolgen und darüber berichten. Die Geheimdienste haben wahrscheinlich einen gewissen Überblick über die Mitglieder und Aktivitäten der Parteien. Mitglieder der Parteien werden vom iranischen Geheimdienst kontaktiert und Drohungen und Druck ausgesetzt. Auch die Familien der Mitglieder in Iran werden häufig kontaktiert, um die den Parteien angehörenden Familienmitglieder zu überreden, die Parteien zu verlassen und in den Iran zurückzukehren. Je höher die Position eines Parteimitglieds, desto höher ist der Druck auf die Familie in Iran (Landinfo 19.5.2020).

Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der kommunistischen Komala-Partei und der KDP-Iran und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021). Ab 2015 stationierten einige der kurdischen Parteien ihre Peschmerga wieder in Iran. Die KDPI beispielsweise erklärte den Waffenstillstand mit Iran 2016 für beendet und bewaffnete Auseinandersetzungen nahmen zu (Landinfo 2.4.2020). Ende April 2017 stationierte eine der Komala-Parteien ihre Streitkräfte im Grenzgebiet zwischen der Autonomen Kurdischen Region Irak und Iran (DIS 7.2.2020). Im September 2018 wurden drei angebliche Komala-Mitglieder wegen Terrorismus nach unfairen Verfahren und trotz internationaler Proteste hingerichtet (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS 7.2.2020), zeitgleich fanden Raketenangriffe auf einen Stützpunkt der KDPI in Nord-Irak statt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS 7.2.2020, BS 2020). Die Anzahl der Begegnungen zwischen iranisch-kurdischen Guerillas und iranischen Streitkräften hat zwar an Intensität abgenommen, aber nicht aufgehört (Landinfo 2.4.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 9.12.2021

• ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research Documentation (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_a ccord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 5.5.2020

• BMI – Bundesministerium für Inneres [Österreich] / Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion Language - Politics„ http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res -publicae-the-kurds-2015.pdf , Zugriff 5.5.2020

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report - Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report + on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 5.5.2020

• Landinfo [Norwegen] (18.12.2020): Det iransk-kurdiske partiet PJAK, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2043154/Iran-temanotat-PJAK-18122020.pdf , Zugriff 26.1.2021

• Landinfo [Norwegen] (19.5.2020): Kurdistan Democratic Party –Iran (KDP-I), https://coi.ea so.europa.eu/administration/norway/PLib/Temanotat_Iran_KDP-I_19052020.pdf , Zugriff 25.1.2021

• Landinfo [Norwegen] (2.4.2020): PDKI–Democratic Party of Iranian, https://www.ecoi.net /en/file/local/2027641/Iran_temanotat_PDKI_april_2020.pdf , Zugriff 27.1.2021

• MERIP – Middle East Research and Information Project (o.D.): Major Kurdish Organizations in Iran, https://www.merip.org/mer/mer141/major-kurdish-organizations-iran , Zugriff 5.5.2020

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 2.12.2020

• TRAC – Terrorism Research and Analysis Consortium (o.D.): Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPKI), https://www.trackingterrorism.org/group/democratic-party-iranian-kurdi stan-dpki , Zugriff 5.5.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 11.2021). Die heutige Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanischdemokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der dschafaritischen Rechtsschule. Die Verfassung enthält republikanisch-demokratische Organe wie z.B. das Parlament sowie das Amt des Präsidenten, da diese Organe direkt vom Volk gewählt werden. Als wesentliche theokratische Organe gelten das Amt des religiösen Führers sowie der Wächterrat (BAMF 5.2021). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 5.2.2021; vgl. BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren ausgesetzt (AA 5.2.2021). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 3.3.2021).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 30.3.2021). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 13.1.2021; vgl. HRC 14.5.2021). Die Behörden setzen sich ständig über Bestimmungen hinweg, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 7.4.2021; vgl. HRW 13.1.2021). In einigen Fällen wurde in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt, weil man sie nicht über ihre Verhandlungstermine informiert oder sie nicht vom Gefängnis zum Gericht transportiert hatte (AI 7.4.2021).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 5.2.2021).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrerAuslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen ’göttlichen Wissens’ [divine knowledge] für schuldig befinden (US DOS 30.3.2021).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die ’Sondergerichte für die Geistlichkeit’ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BS 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere ’Feindschaft zu Gott’ und ’Korruption auf Erden’;

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

 

Viele Gerichtsverfahren finden hinter verschlossenen Türen statt. Bei Verfahren vor Revolutionsgerichten herrscht offene Feindseligkeit gegenüber den Angeklagten, und Anschuldigungen von Sicherheits- und Geheimdiensten werden als Tatsachen behandelt, die bereits feststehen. Erzwungene ’Geständnisse’, die unter Folter und anderen Misshandlungen zustande kommen, werden vor Beginn der Prozesse im Staatsfernsehen ausgestrahlt. Gerichte nutzen sie durchweg als Beweismittel und begründen damit Schuldsprüche, selbst wenn die Angeklagten ihre Aussagen widerrufen. In vielen Fällen bestätigen Berufungsgerichte Schuldsprüche und Strafen, ohne eine Anhörung abzuhalten. Häufig weigern sich Gerichte, Angeklagten, die wegen Straftaten in Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verurteilt wurden, das Urteil in schriftlicher Form zukommen zu lassen (AI 7.4.2021).

Bei Delikten, die im starkem Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, welches die bisherige Gesetzgebung, die vom „code pénal napoléon“ von 1810 beeinflusst war, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt. Neben den im Koran und der Sunna festgelegten hadd-Delikten gibt es die qisas-Delikte, die aus vorislamischer Zeit stammen, und die ta’zir-Delikte, die alle sonstigen strafwürdigen Taten umfassen. Während für hadd-Delikte - wie u.a. unerlaubter Geschlechtsverkehr, Alkoholgenuss, Diebstahl oder Feindschaft gegen Gott und aus Sicht von Traditionalisten auch Rebellion und Apostasie - sogenannte hadd-Strafen wie Kreuzigung, Steinigung, sonstige Todesstrafen, Amputationsstrafen, Auspeitschung oder Verbannung verhängt werden, sind für qisas-Delikte grundsätzlich Talions- bzw. Vergeltungsstrafen (qisas) oder zu zahlendes Blutgeld (diya) als Strafausgleich vorgesehen. Talionsstrafen werden vom Grundsatz her bei vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten und zu zahlendem Blutgeld bei nicht vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten verhängt. Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind ta’zir-Strafen vorgesehen, die aus unterschiedlichen Züchtigungsstrafen bestehen, die mit dem Islam vereinbar sein müssen. Das neue iranische Strafgesetzbuch ab 2013 gliedert sich in vier Bücher: Im ersten Buch werden die Allgemeinen Vorschriften (Art. 1–216), im zweiten Buch die hadd-Strafen (Art. 217–288), im dritten Buch die qisas-Strafen (Art. 289–447) und im vierten Buch das Blutgeld bzw. diya (Art. 448–728) behandelt (BAMF 5.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 5.2.2021). Auf die Anwendung der Vergeltungstrafen (qisas) der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (diya) verzichten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021). Unter Rohanis Präsidentschaft hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 5.2.2021). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 5.2.2021).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 5.2.2021).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 5.2.2021).

Rechtsschutz ist nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 5.2.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/14572 57/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelev ante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 7.4.2020

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/11159 73/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-absch iebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-201 5.pdf , Zugriff 7.4.2020

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020) – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021

• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran:Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Beho erde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=public ationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%2 2name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D , Zugriff 26.11.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 28.4.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report – Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf , Zugriff 7.4.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 25.11.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 28.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enqhelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Die Revolutionsgarde und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung. Die zivilen Behörden behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Trotzdem können Angehörige der Sicherheitskräfte Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden (US DOS 30.3.2021). Organisatorisch sind die Basij den Revolutionsgarden unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 5.2.2021). Basijis haben Stützpunkte unter anderem in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 11.2021).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 5.2.2021). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020).

Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Diese nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 5.2.2021). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 3.3.2021). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Ex-Präsident Hassan Rohani versuchte zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen, dies gelang ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BS 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland ausgebildet (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität. Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Beobachtung und Ausübung von Druck auf die politische Opposition zu. Das Geheimdienstministerium bedient sich dabei überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem ’Hohen Rat für den Cyberspace’ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EUMenschenrechtssanktionsliste (AA 5.2.2021).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 2020). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (US DOS 30.3.2021). In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 23.11.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report + on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020

• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-an d-converts.pdf , Zugriff 7.4.2020

• DW – Deutsche Welle (18.2.2016): Die Strippenzieher der iranischen Wirtschaft, http://www.dw.com/de/die-strippenzieher-der-iranischen-wirtschaft/a-19054802 , Zugriff 7.4.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

• Menawatch (10.1.2018): Die Wirtschaft des Iran ist in den Händen der Revolutionsgarden, https://www.mena-watch.com/die-wirtschaft-des-iran-ist-in-den-haenden-der-revolutionsg arden/ , Zugriff 7.4.2020

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021

• Tagesspiegel (8.6.2017): Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben, https://www.tagesspiegel.de/politik/krise-am-golf-staat-im-staat-warum-irans-revol utionsgarden-so-viel-macht-haben/19907934.html , Zugriff 7.4.2020

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 5.2.2021; vgl. US DOS 30.3.2021, DIS 7.2.2020). Folter ist in Iran weit verbreitet (ÖB Teheran 11.2021) und wird Berichten zufolge von einer Reihe von Akteuren wie dem polizeilichen Nachrichtendienst, dem Geheimdienstministerium (HRC 14.5.2021), den Islamischen Revolutionsgarden, der Polizei (HRC 14.5.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021) als auch in Gefängnissen ausgeführt (ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft vorrangig nicht-registrierte Gefängnisse, aber auch offizielle Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht und in welchem politische Gefangene inhaftiert sind (AA 5.2.2021). Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet, vor allem während Verhören (AI 7.4.2021). Zudem wurden 2020 mindestens 160 Personen zu Peitschen- bzw. Stockhieben verurteilt sowohl wegen Diebstahls oder Überfällen als auch wegen Handlungen, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z.B. Beteiligung an friedlichen Protesten, außereheliche oder einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen sowie Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Männer als auch Frauen anwesend waren. In vielen Fällen wurden die Auspeitschungen vollstreckt (AI 7.4.2021). Berichten zufolge unterhalten Behörden abseits des nationalen Gefängnissystems auch noch inoffizielle, geheime Gefängnisse und Haftanstalten, in denen Missbrauch stattfindet (US DOS 30.3.2021).

Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser sowie die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 10.2020; vgl. US DOS 30.3.2021).

Die Tatsache, dass die Justiz bei ihren Ermittlungen in hohem Maße auf Geständnisse angewiesen ist, scheint ein wichtiger Anreiz für Folter zu sein (HRC 14.5.2021). Obwohl das iranische Recht die Verwendung erzwungener Geständnisse vor Gericht verbietet, zeigen Zeugenaussagen, dass Richter sich einerseits häufig weigern, Foltervorwürfen nachzugehen und sich andererseits auf erzwungene Geständnisse als Beweismittel für eine Verurteilung verlassen (HRC 14.5.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 3.3.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report + on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020

• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 24.11.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 28.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Korruption

Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Bereich vor, aber die Regierung implementiert dieses Gesetz nur willkürlich. Manchmal werden Korruptionsfälle gegen Beamte rechtmäßig verfolgt, gleichzeitig werden politisch motivierte Anklagen gegen Regimekritiker oder politische Opponenten vorgebracht. Beamte betätigen sich weiterhin korrupt und können mit Straffreiheit rechnen. Religiöse Wohltätigkeitsorganisationen, sogenannte ’Bonyads’, leisten zwischen einem Viertel und einem Drittel der wirtschaftlichen Leistung des Landes. Bonyads erhalten Begünstigungen durch die Regierung, ihr Finanzgebaren wird jedoch nicht kontrolliert. Oppositionspolitiker und internationale Organisationen bezichtigen diese Bonyads regelmäßig der Korruption. Geleitet werden diese steuerbefreiten Organisationen von Personen, die der Regierung nahe stehen, wie z.B. Angehörige des Militärs oder der Geistlichkeit. Zahlreiche Firmen, die in Verbindung mit den Revolutionsgarden stehen, betätigen sich teils rechtswidrig in Handel und Gewerbe, einschließlich der Bereiche Telekommunikation, Bergbau und Bauwesen.

Andere Unternehmen der Revolutionsgarden betätigen sich im Schmuggel von Medikamenten, Drogen und Rohstoffen. Von allen Regierungsmitgliedern (einschließlich Mitglieder des Minister-, Wächter- und Schlichtungsrats und der Expertenversammlung) wird ein jährlicher Bericht über die Vermögenslage verlangt. Es gibt keine Information, ob diese Personen sich an die Gesetze halten (US DOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Im Jahr 2019 leitete die Justiz ein hartes Vorgehen gegen Korruption ein, obwohl ihr vorgeworfen wurde, dass die Bemühungen politisch motiviert seien. Die Initiative wurde 2020 fortgesetzt und umfasste eine öffentlichkeitswirksame Strafverfolgung ehemaliger Politiker und Gerichtsbeamter (FH 3.3.2021).

Auch das Justizwesen ist nicht frei von Korruption (AA5.2.2021; vgl. BS 2020). Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit (AA 5.2.2021). Auch in der Polizei, bei sozialen Organisationen, im Öffentlichen Dienst und bei staatlichen Behörden ist Korruption weit verbreitet. Korruption und Gesetzesverstöße sind auch in der politischen Elite weit verbreitet. Nur selten werden Täter strafrechtlich verfolgt und wenn, dann ist dies hauptsächlich auf politische Rivalitäten zurückzuführen (BS 2020). Die Justiz setzt eine Antikorruptionskampagne fort, deren Motivation laut Beobachtern u.a. politische Auseinandersetzungen und das Ersetzen von Einnahmeverlusten aufgrund wirtschaftlicher Herausforderungen sind. Der oberste Führer genehmigte 2018 einen Antrag des Justizchefs, spezielle Revolutionsgerichte einzurichten, um Einzelpersonen wegen Wirtschaftsverbrechen vor Gericht zu stellen. Gleichzeitig forderte er Höchststrafen für diejenigen, welche die Wirtschaft ’gestört und korrumpiert’ haben. Er wurde zitiert, wonach Strafen für diejenigen, die der wirtschaftlichen Korruption beschuldigt werden, einschließlich Beamter der Regierung und des Militärs, schnell durchgeführt werden sollten. Amnesty International kritisiert diesbezüglich das Fehlen eines fairen und ordnungsgemäßen Verfahrens durch die Gerichte (US DOS 30.3.2021).

Transparency International führt Iran in seinem Korruptionswahrnehmungsindex von 2020 mit 25 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean) auf Platz 149 von 180 [2019: Platz 146 von 180] untersuchten Ländern (TI 2021) [2019: Platz 146 von 180].

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

• TI – Transparency International (1.2021): Corruption Perspective Index 2020 – Iran, https: //www.transparency.org/en/cpi/2020/index/irn , Zugriff 28.4.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

NGOs gegenüber agiert der iranische Staat sehr misstrauisch, aufgrund der Befürchtung, dass NGOs die staatliche Ordnung untergraben würden (BS 2020). Eine aktive, öffentliche Menschenrechtsarbeit ist in Iran somit nicht möglich. Alle Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen benötigen eine staatliche Genehmigung und unterliegen damit staatlicher Kontrolle (AA 5.2.2021). Laut Gesetz müssen sich NGOs beim Innenministerium registrieren und sie müssen um eine Genehmigung ansuchen, wenn sie ausländische Subventionen erhalten. Auf Anfragen und Berichte seitens der Aktivisten reagieren Behörden mit Schikanen, Inhaftierungen und Überwachung. Unabhängige Menschenrechtsgruppen und NGOs sehen sich weiterhin Schikanen aufgrund ihrer Tätigkeiten und möglichen Schließungen aufgrund anhaltender und oft willkürlicher Verzögerungen bei der offiziellen Registrierung gegenüber (US DOS 30.3.2021). In Iran sind kaum mehr prominente Menschenrechtsverteidiger oder NGOs aktiv. Zudem warnt das Innenministerium vor Kontakten zum Ausland und vor Kritik an der Islamischen Republik, die hart verfolgt werden, etwa in Form von Straftatbeständen wie ’Propaganda gegen das Regime’ oder ’Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit’. Zusätzlich haben NGOs große Schwierigkeiten, finanzielle Quellen zu erschließen. Insbesondere der Zugang zu ausländischen Geldern bleibt verschlossen, da beim Rückgriff auf diese Gelder Gerichtsverfahren wegen Spionage, Kontakt zur Auslandsopposition oder ähnliche Vorwürfe drohen (AA 5.2.2021).

Ehemals aktive iranische Menschenrechtsaktivisten sind in überwiegender Mehrheit entweder in Haft oder halten sich in Europa oder Nordamerika auf. Folglich sind in Iran kaum mehr prominente Menschenrechtsverteidiger oder NGOs aktiv (AA 5.2.2021) bzw. sind Menschenrechtsorganisationen nur vereinzelt vorhanden, da sie unter enormem Druck stehen. Regelmäßig gibt es Beispiele dafür, dass Organisationen, die sich im weitesten Sinne für Menschenrechte einsetzen, unter großen Druck geraten. Andererseits können manche NGOs - etwa in den Bereichen Drogenbekämpfung oder Flüchtlingsbetreuung - arbeiten. In anderen Bereichen, etwa LGBT-Rechte, Frauenrechte und seit 2018 auch Umweltschutz müssen NGOs ohne Registrierung und mit der Gefahr von Verfolgung arbeiten (ÖB Teheran 11.2021). Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des ’Defenders of Human Rights Center’, deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 3.3.2021). Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet). Im März 2021 wurde die bis dato größte NGO, die ’Imam Ali Popular Students Relief Society’, verboten und ihre Leiter verhaftet. Die ca. 12.000 Mitglieder hatten sich der Armutsbekämpfung verschrieben und Blutgelder gesammelt, um Exekutionen zu verhindern. Die Organisation hatte UNESCO-Beobachtungsstatus (ÖB Teheran 11.2021).

Willkürliche Verhaftungen von Personen, die lediglich friedlich ihre Menschenrechte wahrnehmen, kommen weiterhin vor. Dazu zählen Rechtsanwälte, Aktivisten und andere Menschenrechtsverteidiger, die sich für die Umwelt, die Rechte von Frauen, Arbeitnehmer und Minderheiten einsetzen oder sich gegen die Todesstrafe engagieren oder Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung im Zusammenhang mit den massenhaften Hinrichtungen und dem Verschwindenlassen von Menschen in den 1980er Jahren verlangen. Auch Demonstrierende, Journalisten und andere Medienschaffende, politisch Andersdenkende, Künstler und Schriftsteller werden willkürlich inhaftiert (AI 7.4.2021). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 10.2020). Behörden schließen auch rechtswidrig die Geschäftsbetriebe von Journalisten, die für unabhängige Medien im Ausland arbeiten, oder sie frieren deren Bankkonten und Vermögen ein. Dies betrifft auch Menschenrechtsverteidiger und deren Familien. Um Demonstrierende, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger für ihre Tätigkeiten zu bestrafen, werden auch Familienmitglieder, wie zum Beispiel deren Kinder oder betagte Eltern, eingeschüchtert, verhört oder willkürlich festgenommen und inhaftiert (AI 7.4.2021). Selbst Personen, die ins Ausland flüchten konnten, sind mitunter nicht sicher. So wurde im Sommer 2021 in New York (USA) ein Verfahren gegen mehrere Iraner eröffnete, die versucht haben sollen, die Frauenrechtlerin Masih Alinejad und weitere Personen aus dem Vereinigten Königreich und Kanada zu entführen bzw. nach Iran zu locken. Der Journalist Ruhollah Zam wurde Ende 2020 hingerichtet, nachdem er aus Frankreich in den Irak gelockt und von dort nach Iran entführt worden war (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Wehrdienst

Die Länge des verpflichtenden Wehrdienstes ist von den individuellen Verhältnissen abhängig und beträgt 18 bis 24 Monate. Aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen können Wehrpflichtige ausgemustert werden. Ein Freikauf vom Wehrdienst ist durch temporäre Regelungen in unregelmäßigen Abständen immer wieder möglich: 2.500 Euro für Schulabgänger ohne Matura, 5.000 Euro für Maturanten. Studenten können, wenn sie im Ausland studieren möchten, unter Hinterlegung einer Kaution, gestaffelt nach Bachelor, Master oder Promotion (7.500, 10.000 bzw. 12.500 Euro) freigestellt werden. Die Wehrdienstzeit wird bei verheirateten Iranern pro Kind um drei Monate verkürzt und bei Freikauf von der Wehrpflicht ein Nachlass in Höhe von 5% bzw. weiteren 5% pro Kind gewährt. Religionsführer Khamenei hat die Jahrgänge bis einschließlich 1975/76, die bislang keinen Wehrdienst geleistet hatten, freigestellt. Bekennende Homosexuelle und Transsexuelle können vom Militärdienst freigestellt werden (AA 5.2.2021).

Es gibt keinen Wehrersatzdienst. In besonderen Fällen, etwa bei psychischen oder physischen Leiden oder wenn sonst kein Mann für die Familie sorgen kann, wird der Wehrdienst erlassen (ÖB Teheran 11.2021). Weitere Gründe vom Wehrdienst befreit zu werden sind beispielsweise, wenn man der einzige Sohn einer Familie ist, wenn man alte Eltern hat oder wenn man einen Bruder hat, der momentan im Militär dient (DFAT 14.4.2020). Für Sportler oder bei guten Beziehungen zu relevanten Stellen kann nach einer 60-tägigen Grundausbildung jedoch eine Art ’Ersatzdienst’ für weitere 22 Monate u.a. in Ministerien oder bei Sportverbänden absolviert werden. Iraner, deren Väter im Irak-Iran-Krieg gekämpft haben, müssen nur einen verkürzten Wehrdienst leisten. Wehrdienstpflichtige, d.h. männliche Staatsangehörige über 18 Jahren, die nicht etwa aufgrund eines Studiums vorübergehend von der Wehrdienstpflicht befreit sind, dürfen mit wenigen Ausnahmen vor Ableistung ihres Wehrdienstes das Land nicht verlassen (d.h. sie erhalten erst danach einen Reisepass) bzw. müssen eine größere Kaution hinterlegen. Angehörige der Streitkräfte und der Polizei dürfen das Land nur mit Zustimmung ihres Dienstes verlassen. Die Zustände beim iranischen Militär sind in der Regel wesentlich härter als in europäischen Streitkräften (berichtet wird regelmäßig über unzureichende Verpflegung, unzureichende Ausrüstung, drakonische Strafen etc.) (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

• DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (14.4.2020): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029778/country-information-r eport-iran.pdf , Zugriff 14.12.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Die Strafen bei Nichtmeldung variieren abhängig von der Frage, ob sich das Land im Kriegszustand befindet oder nicht.Personen, die sich zu spät melden, sind verpflichtet, zusätzlich drei Monate Wehrdienst zu leisten. Wehrpflichtige, die sich zu spät oder gar nicht melden und aufgegriffen werden, erhalten ihre Bescheinigung über die Ableistung des Wehrdienstes teilweise mit erheblicher Verspätung (AA 5.2.2021). Junge Männer ab 18 Jahren, die zum Wehrdienst einberufen wurden und sich nicht bei den Behörden melden, werden als Wehrdienstverweigerer betrachtet (ACCORD 7.2015). In Iran gibt es keinen Wehrersatzdienst und eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nicht anerkannt (ACCORD 7.2015; vgl. UK HO 4.2020). Die Verweigerung des Militärdienstes bis zu einem Jahr in Friedenszeiten oder zwei Monaten in Kriegszeiten kann dazu führen, dass die Gesamtlänge des Militärdienstes um drei bis sechs Monate verlängert wird. Eine mehr als einjährige Wehrdienstverweigerung in Friedenszeiten oder mehr als zwei Monate in Kriegszeiten kann zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Die Wehrdienstverweigerer können soziale Vorteile und Bürgerrechte verlieren, einschließlich des Zugangs zu Posten im öffentlichen Dienst oder höherer Bildung oder des Rechts auf Unternehmensgründung. Die Regierung kann auch die Erteilung von Führerscheinen für Wehrdienstverweigerer verweigern, ihren Pass einziehen oder ihnen verbieten, das Land ohne besondere Genehmigung zu verlassen (DFAT 14.4.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

• ACCORD -Austrian Centre for Country of Origin andAsylum Research and Documentation (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_a ccord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 9.4.2020

• DFAT – Australian Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (14.4.2020): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029778/country-infor mation-report-iran.pdf , Zugriff 14.4.2021

• UK HO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (4.2020): Country Policy and Information Note Iran: Military Service, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028094/Iran__Military_Service_-_CPIN_-_v2.0_-_April_2020.pdf , Zugriff 25.11.2021

Allgemeine Menschenrechtslage

Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene ’Hohe Rat für Menschenrechte’ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten ’Pariser Prinzipien’ (AA 5.2.2021).

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

• Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)

• Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) (ICCPR)

• Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD)

• Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht) (CRC)

• Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC)

• Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)

• Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

• UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen

• UN-Apartheid-Konvention

• Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 5.2.2021)

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

• Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT)

• Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (OP-CAT)

• Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR)

• Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)

• Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CED)

• Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (CRC-OP-AC) (unterzeichnet aber nicht ratifiziert)(AA 5.2.2021).

Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 12.2020a). Die tiefe wirtschaftliche und politisch Krise Irans hat Auswirkungen auf die Einhaltung der Menschenrechte (BAMF 5.2021). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören: Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der ’schwersten Verbrechen’ entsprechen und ohne einen fairen Prozess; rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen (US DOS 11.3.2020; vgl. AI 7.4.2021, FH 3.3.2021, HRW 13.1.2021). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt,Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigter Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021, HRW 13.1.2021). Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 30.3.2021).

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden (AA 5.2.2021). Das Regime geht in den letzten Jahren immer wieder hart gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivistinnen und gegen religiöse und ethnische Minderheiten vor (ÖB Teheran 11.2021). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (BS 2020; vgl. ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021

• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran:Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Beho erde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=public ationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%2 2name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D , Zugriff 29.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-proj ect.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/#c4398 , Zugriff 28.4.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 28.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Meinungs- und Pressefreiheit, Internet

Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Medienfreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht ’schädlich’ für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die ’Rechte der Öffentlichkeit’ sind (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 5.2.2021; vgl. BS 2020, AI 7.4.2021, US DOS 30.3.2021). Die Justiz- und Sicherheitsbehörden verwenden weiterhin vage definierte Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, um Aktivisten, Dissidenten und Menschenrechtsverteidiger wegen freier Meinungsäußerung zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen (HRW 13.1.2021), bzw. nutzen Behörden Gesetze, um Personen, die die Regierung direkt kritisieren oder menschenrechtliche Probleme ansprechen, einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen. Die Behörden dulden es nicht, das Regierungssystem, den Obersten Führer oder die Staatsreligion öffentlich zu kritisieren. Sicherheitsbehörden bestrafen jene, die diese Einschränkungen verletzen oder den Präsidenten, das Kabinett oder das Parlament öffentlich kritisieren (US DOS 30.3.2021).

Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert (FH 3.3.2021). Insgesamt spiegelt die iranische Presselandschaft eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums wider, geprägt wird sie dennoch von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter ’roter Linien’ des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß auch zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen gegen ungeschriebene Regeln drohen Verwarnungen, Publikationsverbote, strafrechtliche Sanktionen etwa wegen ’Propaganda gegen das System’ bis hin zum Verbot von Medien, sowohl von reformorientierten als auch von konservativen Zeitungen (AA 5.2.2021). ’Propaganda gegen das System’ ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei ’Propaganda’ nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 11.2021). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung sowie Einschüchterung ihrer Angehörigen konfrontiert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 26.2.2020, FH 3.3.2021). Zur Vermeidung von regimekritischen Unruhen versuchen der Oberste Führer und der Justizapparat, mit Hilfe der Regierung eine kritische Berichterstattung zu verhindern. Die Aufrechterhaltung des Systems der Islamischen Republik steht im Vordergrund, sodass aus Sicht der religiösen Führungselite sogar eine starke Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit verhältnismäßig zu sein scheint. Lange Haftstrafen und Todesurteile werden hierbei als gerechtfertigtes Mittel gesehen (BAMF 5.2021). Alle Arten von Medien unterliegen der Zensur (AI 7.4.2021).

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet. Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sogenanntes Jamming) zu unterbinden (AA 26.2.2020; vgl. FH 3.3.2021). Die Polizei durchsucht regelmäßig Privathäuser und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 3.3.2021). Andererseits besitzt nahezu jede iranische Familie eine Satellitenantenne, auch wenn diese offiziell verboten sind (GIZ 12.2020c).

Internet ist weit verbreitet, die Zahl der Internetcafés (Cofee Net) nimmt stetig zu, chatten (und zunehmend auch bloggen) ist eine Art Volkssport unter jungen Iranern. Zudem ist die Zahl an Handys gerade unter jungen Iranern hoch, auch wenn SIM-Karten sehr teuer sind (GIZ 12.2020c).Etwa 70% der iranischen Bevölkerung sind aktive Internetnutzer. Seit 2009 haben die iranischen Behörden erhebliche Mittel für den Ausbau der Infrastruktur, aber auch für die Kontrolle ihrer Nutzung aufgewendet. Zensur und Überwachung sind umfangreich. Eine Cyberpolizei wurde eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien übernommen. Darüber hinaus haben die iranischen Behörden ein lokales, staatlich kontrolliertes Netzwerk entwickelt, das National Information Network (NIN). Die regimekritische Debatte findet vor allem in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch. Die iranischen Behörden konzentrieren sich insbesondere auf Personen, die die öffentliche Meinung in Iran beeinflussen können, wie beispielsweise diejenigen, die viele Anhänger in den sozialen Medien haben. Dies gilt auch für im Ausland lebende Iraner. Iranische Journalisten, die für internationale Medienhäuser arbeiten, werden streng überwacht (Landinfo 31.5.2021).

Gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr stehen unter staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten und viele Plattformen sind gesperrt. Regimefeindliche oder ’islamfeindliche’ Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden (ÖB Teheran 11.2021). Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden blockiert (AA 5.2.2021; vgl. FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). So bleiben z.B. die Internetseiten von Facebook, Telegram, Twitter und YouTube blockiert (AI 7.4.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Grundsätzlich ist der Empfang ausländischer Medien mithilfe sogenannter VPN (Virtual Private Network) möglich, der Staat kann diese technisch allerdings blockieren. Darüber hinaus wird der Internetverlauf gefiltert bzw. mitgelesen (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien erstreckt sich auch auf das Internet. Jede Person die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen ’Cyber-Krieg’ gegen das Land führen zu wollen. Die Überwachung persönlicher Daten ist ohne Gerichtsanordnung grundsätzlich verboten. Wenn die nationale Sicherheit bedroht zu sein scheint, wird hiervon jedoch abgesehen (AA 5.2.2021). Noch herrscht dennoch eine erstaunliche Meinungsvielfalt im Internet, Kritik an staatlichen Maßnahmen wird breit geäußert. Dies war bereits unter der Regierung Rohani den Hardlinern im Parlament ein Dorn im Auge, die mehrmals versuchten, ein Gesetz zur stärkeren Kontrolle des Internets zu beschließen. Die Regierung Raisi hat diesen Gesetzesentwurf wieder aufgegriffen. Unter anderem ist geplant, Nutzer zu Echtnamen-Registrierung zu zwingen und die Verwendung von VPNs zu verfolgen. Iran hat mit China unter anderem eine Kooperation zu IKT-Angelegenheiten beschlossen (ÖB Teheran 11.2021).

Die 1997 unter Khatami gegründete ’Association of Iranian Journalists’ wurde 2009 unter dem damaligen Präsidenten Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Ex-Präsident Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufnehmen dürfen. Im Ausland lebende Journalisten von BBC Farsi berichten von gezielter Verfolgung und Einschüchterungsversuchen. Maßnahmen wie Überwachung, wiederholte Befragungen und das Einfrieren von Konten erstrecken sich dabei auch auf Familien der Betroffenen. Familienangehörige werden unter Druck gesetzt, auf die Beendigung der journalistischen Tätigkeit hinzuwirken. Inhaftierte Journalisten sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt, die sich aufgrund der Covid-19-Pandemie noch verschärft haben. Unter politischen Gefangenen und Journalisten kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, unter anderem gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 5.2.2021).

Ebenso unter Druck stehen Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als ’unislamisch’ oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dies unterliegt einer Genehmigungspflicht). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist ’regimefeindlicher Propaganda’ und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).

In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran um einen Platz verschlechtert und liegt nun an Position 174 (2020: 173) von 180 (ROG 2021a). Iran bestätigt mit der weltweit ersten staatlichen Hinrichtung eines Journalisten seit 30 Jahren seine Stellung als einer der schlimmsten Unterdrücker der Pressefreiheit (ROG 2021b).

Hinsichtlich der Corona-Pandemie spielt die Islamische Republik die Opferzahlen herunter, verschärft die Einschränkungen für traditionelle Medien und soziale Netzwerke, verhört, verhaftet und verurteilt Medienschaffende für ihre unabhängige Berichterstattung (ROG 2021b). Die Behörden ergriffen im Jahr 2020 Maßnahmen, die eine unabhängige Berichterstattung über Covid-19 und jegliche Kritik am staatlichen Umgang mit der Pandemie unterbinden sollten. Das Ministerium für Kultur und islamische Führung wies Medien und Journalisten an, bei der Berichterstattung nur offizielle Quellen und Statistiken zu verwenden. Die Internetpolizei gründete eine spezielle Einheit, um gegen ’Internet-Gerüchte’ und ’Fake News’ über Corona in den sozialen Medien vorzugehen. Zahlreiche Journalisten, Nutzer Sozialer Medien, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und andere Personen wurden festgenommen, verhört oder verwarnt. Im April 2020 erhoben die Behörden Anklage gegen einen Arzt aus Saqqez in der Provinz Kurdistan, wegen ’Verbreitung von Propaganda gegen das System’ und ’Störung der öffentlichen Meinung’, weil er auf Instagram Beiträge über Covid-19 veröffentlicht hatte (AI 7.4.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 23.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021

• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran:Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Beho erde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=public ationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%2 2name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D , Zugriff 29.11.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 29.4.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 29.4.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 29.4.2021

• Landinfo [Norwegen] (31.5.2021): Iran. Internett og sosiale medier, https://www.ecoi.net/e n/file/local/2052678/Temanotat-Iran-Internett-og-sosiale-medier-31052021.pdf , Zugriff 14.6.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

• ROG – Reporter ohne Grenzen (2021a): Rangliste zur Pressefreiheit 2021, https://www. reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2021/ Rangliste_der_Pressefreiheit_2021_-_RSF.pdf , Zugriff 29.4.2021

• ROG – Reporter ohne Grenzen (2021b): Rangliste der Pressefreiheit. Weltweite Entwicklungen im Überblick, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2021/uebe rblick , Zugriff 29.4.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 29.4.2021

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studierende teilweise verpflichtet werden (AA 5.2.2021).

In den letzten drei Jahren haben die iranischen Behörden auf wiederholte und weit verbreitete Proteste im ganzen Land mit übermäßiger und tödlicher Gewalt und willkürlichen Verhaftungen von Tausenden von Demonstranten reagiert (HRW 13.1.2021; vgl. AI 7.4.2021). Nach den regierungskritischen Protesten im November und Dezember 2019, die aufgrund einer Benzinpreiserhöhung ausgelöst wurden (DW 29.12.2019; vgl. DIS 7.2.2020), wurden Tausende Personen festgenommen (DIS 7.2020). Gegen mindestens 500 Personen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Die Festgenommenen wurden unmenschlicher Behandlung und Folter unterworfen, um Geständnisse, dass sie Verbindungen zu Oppositionsgruppen oder ausländischen Regierungen haben, zu erzielen. Demonstranten wurden aufgrund von Anschuldigungen, die nationale Sicherheit bedroht zu haben, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (HRC 14.5.2021). Mit einer zeitweisen Internetblockade sorgte Teheran damals dafür, dass kaum Informationen, Bilder und Videos der Proteste verbreitet werden konnten (DW 29.12.2019; vgl. HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021). Sicherheitskräfte setzten exzessive und rechtswidrige tödliche Gewalt gegen massive Proteste im ganzen Land ein, insbesondere gegen Demonstranten, die Straßen blockierten oder in einigen Fällen Steine warfen und versuchten, öffentliche Gebäude zu übernehmen (HRW 13.1.2021). Die Regierung hat eingeräumt, dass während der Proteste im November 2019 einige Menschen getötet wurden. Es ist äußerst schwierig, eine Gesamtzahl an Todesopfern bereitzustellen. Die Schätzungen der Zahl der Todesopfer reichen laut verifizierten Berichten von über 304 bis zu unbestätigten Berichten von bis zu 1.500 Toten, darunter auch Frauen und Kinder. Die Zahl der von den Sicherheitskräften verletzten Personen schwankt zwischen 2.000 und 4.800. Die Zahl der Todesopfer war in den kurdisch besiedelten Provinzen relativ hoch im Vergleich zu anderen Provinzen des Landes (DIS 7.2.2020). Auch mehr als ein Jahr nach den Protesten schüchtern die Behörden die Familien der Opfer weiter ein und behindern die Bemühungen, die Zahl der getöteten Demonstranten zu klären (FH 3.3.2021).

Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 3.3.2021). Gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil unter dem Vorwurf der ’Propaganda gegen das Regime’ und ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 5.2.2021), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Mehrere inhaftierte Arbeiteraktivisten wurden 2019 zu Haftstrafen von 14 Jahren oder mehr verurteilt (FH 3.3.2021). Erlaubt sind nur ’Islamische Arbeitsräte’ unter der Aufsicht des ’Haus der Arbeiter’ (keine unabhängige Institution). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft werden zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft. Proteste gegen zu geringe oder gar nicht ausbezahlte Löhne mehren sich, auch dabei kommt es immer wieder zu Festnahmen. Eine Gruppe von Umweltaktivisten wurde 2018 aufgrund von Spionageverdacht verhaftet, einige wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).

In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung (ÖB Teheran 11.2021; vgl. GIZ 12.2020a). Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Sowohl bei Präsidenten- als auch bei Parlamentswahlen nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als ’nicht geeignet’ ausgeschlossen. Nach langen Debatten bewertet der Wächterrat – dem nur Männer angehören – die Kandidatur von Frauen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 als prinzipiell zulässig, dennoch wurde auch diesmal keine einzige der Kandidatinnen zugelassen. Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.) (ÖB Teheran 11.2021).

Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems infrage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände (’regimefeindliche Propaganda’, ’Beleidigung des Obersten Führers’ etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen (ÖB Teheran 11.2021). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden also verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv (AA 5.2.2021). Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard stehen noch immer ohne Anklage oder Gerichtsverfahren unter Hausarrest, der 2011 gegen sie verhängt worden war (AI 7.4.2021; vgl. BS 2020, ÖB Teheran 11.2021, AA 5.2.2021).

An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, welche die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen (ÖB Teheran 11.2021). Ohne entsprechende Führung und angesichts umfassender Überwachung der Kommunikationskanäle spielen die verbleibenden Oppositionellen kaum eine Rolle. Das Fehlen oppositioneller Führungspersonen zeigte sich auch bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/18, den Protesten im November 2019 und den Demonstrationen nach dem Absturz eines ukrainischen Passagierflugzeugs im Januar 2020. Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen hat oftmals staatliche Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zur Folge (AA 5.2.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report + on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 29.4.2021

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2020): Iran. November 2019 Protests, https://www.ecoi.net/en/file/local/2033026/COI_brief_report_iran_nov_2019_protest_jul y_2020.pdf , Zugriff 26.11.2021

• DW – Deutsche Welle (29.12.2019): Bericht: Iran geht von 1500 Toten bei Unruhen aus, https://www.dw.com/de/bericht-iran-geht-von-1500-toten-bei-unruhen-aus/a-51780047 , Zugriff 29.4.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 29.4.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/ , Zugriff 29.4.2021

• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 25.11.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 29.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 13.12.2021

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). Im Juni 2020 waren 211.000 Personen inhaftiert, womit die Gefängnisse mehr als zweieinhalb mal überbelegt waren (ÖB Teheran 11.2021). Berichten zufolge kommt es auch vor, dass bei Überbelegung der Zellen Häftlinge auf Gängen, am Boden oder in Gefängnishöfen schlafen müssen (US DOS 30.3.2021). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung, die langfristig zu entsprechenden Folgeschäden führen kann, und die Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2020; vgl. US DOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). Im Allgemeinen verschlechterten sich die Haftbedingungen während der COVID-19-Pandemie erheblich (US DOS 30.3.2021; vgl. HRC 14.5.2021). Politische Gefangene haben in den letzten Jahren wiederholt Hungerstreiks durchgeführt, um gegen Misshandlungen in Gewahrsam zu protestieren (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 30.3.2021). Von Februar bis Mai 2020 ließen die Behörden als Reaktion auf die Corona-Pandemie etwa 128.000 Gefangene vorübergehend frei und begnadigten 10.000 weitere (AI 7.4.2021), um die Ausbreitung von COVID-19 in Gefängnissen zu verhindern. Berichten zufolge befanden sich nur sehr wenige politische Gefangene unter jenen, denen Urlaub gewährt wurde (FH 3.3.2021). Hunderte gewaltlose politische Gefangene waren von Begnadigungen und vorübergehenden Freilassungen ausgeschlossen (AI 7.4.2021). Mehrere Menschenrechtsverteidiger wurden unter der richterlichen Anordnung bezüglich COVID-19 freigelassen. In vielen anderen Fällen haben sich die Behörden trotz der Gesundheitsrisiken geweigert, Menschenrechtsverteidigern vorübergehende Freilassungen zu gewähren (HRW 13.3.2021). Die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Gefängnissen dürfte höher sein als von den Behörden angegeben (FH 3.3.2021).

Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet - vor allem während Verhören (AI 7.4.2021). Regelmäßig versterben Menschen in Haft. Laut Berichten sind folgende Foltermethoden verbreitet: Elektroschocks, Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, Verweigerung medizinischer Behandlung. Im August 2021 wurden Aufnahmen von Überwachungskameras des Evin-Gefängnisses in Teheran vom März 2021 veröffentlicht, auf denen schockierende Folter und Misshandlungen von Gefangenen durch Aufseher und andere Gefangene zu sehen sind. Der Justiz-Leiter besuchte das Gefängnis daraufhin und rief zu ordnungsgemäßer Behandlung von Gefangenen auf. Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 11.2021).

Die Haftbedingungen variieren im Einzelfall nach Gefängnis-Trakt und Status der Gefangenen, wobei generelle Aussagen nicht möglich sind. So ist im Evin-Gefängnis in Teheran ein Trakt für Ausländer reserviert, ein Trakt wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarden verwaltet, manche Trakte sind unterirdisch. Das Quarchak-Frauengefängnis in Teheran dürfte als ehemaliger Hühnerstall sanitär unzureichend sein (ÖB Teheran 11.2021).

Straflosigkeit bei Vergehen von Beamten ist weiterhin ein Problem. Berichten zufolge hat Folter zu mehreren Todesfällen in Gewahrsam geführt (AI 7.4.2021). Gefangene können Beschwerden bei den Justizbehörden einreichen, werden jedoch häufig mit Zensur oder Vergeltung in Form von Verleumdung, Schlägen, Folter und Verweigerung von medizinischer Versorgung und Medikamenten oder Urlaubsanträgen sowie Anklage wegen zusätzlicher Straftaten konfrontiert (US DOS 30.3.2021).

Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark von einander ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse. Es kommt regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen (AA 5.2.2021). Im März und April 2020 protestierten Gefangene im ganzen Land mit Hungerstreiks und Aufständen, weil die Behörden nicht in der Lage waren, sie vor Corona-Infektionen zu schützen. Die Behörden reagierten mit rechtswidrigen Mitteln. Sie schlugen die Inhaftierten und beschossen sie mit scharfer Munition, Metallkugeln und Tränengas, um die Proteste niederzuschlagen. Dies führte dazu, dass am 31. März 2020 im Sheiban-Gefängnis inAhwaz in der Provinz Khuzestan mehrere Gefangene, die der arabischen Ahwazi-Minderheit angehörten, getötet und viele weitere verletzt wurden (AI 7.4.2021).

Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in ’sichere Häuser’ gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 11.2021). Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 7.4.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 29.4.2021

• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 26.11.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 29.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 29.4.2021

Todesstrafe

Iran ist auch weiterhin eines der Länder, wo die Todesstrafe am häufigsten durchgeführt wird (HRW 13.1.2021; vgl. CSW 3.2021). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 3.3.2021). Im Jahr 2020 wurden mindestens 267 Menschen hingerichtet (HRC 14.5.2021; vgl. AI 4.2021, HRW 13.1.2021), darunter neun Frauen (HRC 14.5.2021). Mindestens 25 Hinrichtungen erfolgten aufgrund von Anschuldigungen im Zusammenhang mit Drogen, eine aufgrund von Alkoholkonsum und mindestens 15 Hinrichtungen aufgrund der weitreichenden Anschuldigungen Moharebeh (Waffenaufnahme gegen Gott), Efsad-e Fel-arz (Korruption auf Erden) und Baghy (Rebellion gegen den Staat). Mindestens vier jugendliche Straftäter wurden hingerichtet (HRC 14.5.2021).

Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, ’Moharebeh’ (Waffenaufnahme gegen Gott) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2021, AA 5.2.2021). Des weiteren terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslim mit einer Muslimin (AA 5.2.2021). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 5.2.2021).

Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt mittlerweile auf Verurteilungen wegen Mordes (AA 5.2.2021). Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießung, durchgeführt, allerdings in letzter Zeit nicht mehr öffentlich (ÖB Teheran 11.2021). Betroffen hiervon sind auch zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021, HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, HRC 14.5.2021, AI 7.4.2021, CSW 3.2021). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei neun Jahren (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. Mehreren zur Tatzeit Minderjährigen droht aktuell die Hinrichtung (AA 5.2.2021). Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen, die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 5.2.2021). Selbst nach der Hinrichtung durch das Regime werden repressive Maßnahmen gegen Angehörige fortgesetzt. Hingerichtete werden weit entfernt von ihrem früheren Wohnort begraben, manchmal ohne Benachrichtigung der Angehörigen.Totenfeiern sowie Grabbesuche für Regimegegner werden aufgelöst (ÖB Teheran 11.2021).

Durch die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte Ende 2017 konnte Iran seit 2018 die Zahl der Hinrichtungen etwa halbieren. Über gewalttätige Drogenstraftäter und diejenigen, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 11.2021). Laut anderer Quelle liegt die Grenze bei 50 Kilogramm ’traditioneller Drogen’ (AA 5.2.2021). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 3.3.2021). Das neue Gesetz gilt rückwirkend, sodass dadurch etwa 2.000 bis 5.000 bereits zum Tode Verurteilte von der Todesstrafe verschont bleiben könnten (AA 5.2.2021). Ca. 9% aller Exekutionen stehen in Verbindung mit Drogenvergehen (AI 4.2021).

Todesstrafen für Frauen und Mädchen liegen oft Morde an ihren Ehemännern zugrunde, die sie in Selbstverteidigung nach langjährigem Missbrauch begehen (ÖB Teheran 11.2021).

Regelmäßig gehen der Todesstrafe ein unfaires Verfahren und Misshandlung (erzwungene Geständnisse) voraus (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 7.4.2021, US DOS 30.3.2021). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom ’Geschädigten’ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen. Seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021).

Regierung und NGOs sind bemüht, Hinrichtungen durch Förderung des Blutgeld-Prozesses zu verhindern, und es werden z.B. mit Spendenaufrufen Blutgelder gesammelt (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021

• AI – Amnesty International (4.2021): Todesurteile und Hinrichtungen 2020, https://www.am nesty.at/media/8345/amnesty_bericht-zur-todesstrafe-2020_web.pdf , Zugriff 30.4.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

• CSW – Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla _sl52920/iran---march-2021-2.pdf , Zugriff 7.5.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 26.11.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 30.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 13.12.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 26.11.2021

Religionsfreiheit

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten ’Buchreligionen’ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als ’mohareb’ (Waffenaufnahme gegen Gott) verfolgt und mit der Todesstrafe bestraft werden (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018). Religiöse Minderheiten werden mit Argwohn betrachtet und als Bedrohung für das theokratische System gesehen (CSW 3.2021). Auch unterliegen Anhänger religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 5.2.2021). Somit werden auch anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) diskriminiert, sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte, etwa eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 11.2021). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA 23.5.2018; vgl. FH 3.3.2021, IRB 9.3.2021). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA 23.5.2018; vgl. FH 3.3.2021, BAMF 3.2019) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 3.3.2021). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (AI 7.4.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021).

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Open Doors 2021). Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha’i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Mitunter wird von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet. Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021).

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 7.4.2021).

Die Regierung überwacht weiterhin die Aussagen und Ansichten hochrangiger schiitischer religiöser Führer, die die Regierungspolitik oder die Ansichten des Obersten Führers Ali Khamenei nicht unterstützten. Diese werden durch Behörden weiterhin mit Festnahmen, Inhaftierungen, Mittelkürzungen, Verlust von geistlichen Berechtigungsnachweisen und Beschlagnahmungen von Eigentum unter Druck gesetzt (US DOS 12.5.2021). Die Inhaftierung von Angehörigen religiöser Minderheiten, welche ihre Kultur, ihre Sprache oder ihren Glauben praktizieren, ist weiterhin ein ernstes Problem (HRC 11.1.2021).

Personen, die sich zumAtheismus bekennen, laufen Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt oder wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 7.4.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PL ib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 18.12.2020

• BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (23.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf , Zugriff 17.4.2020

• CSW – Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla _sl52920/iran---march-2021-1.pdf , Zugriff 7.5.2021

• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-an d-converts.pdf , Zugriff 20.4.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

• HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50 , Zugriff 30.4.2021

• IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html , Zugriff 7.5.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf Zugriff 3.12.2020

• Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2019 – 30. September 2020), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/welt verfolgungsindex/laenderprofile/iran , Zugriff 19.1.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021

Christen

Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (BFA 23.5.2018). Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, allerdings werden evangelikale Freikirchen von der Regierung nicht als christlich anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt (ÖB Teheran 11.2021); christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021, BAMF 3.2019, IRB 9.3.2021), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christen zu. Muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind demgegenüber willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt (AA 5.2.2021).

Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben (BFA 23.5.2018; vgl. BAMF 3.2019, FH 3.3.2021). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben (ÖB Teheran 11.2021). Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen (US DOS 12.5.2021; vgl. IRB 9.3.2021).

Grundrechtlich besteht ’Kultusfreiheit’ innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen (ÖB Teheran 10.2020). Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und derAnwerbung von anders Gläubigen ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft (ÖB Teheran 10.2020; vgl. BAMF 3.2019, BFA 23.5.2018, Open Doors 2021). Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA 23.5.2018; vgl. ÖB Teheran 11.2021), wobei es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen (’Hauskirchen’) oft hart vorgegangen (u.a. Verhaftungen und Beschlagnahmungen). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot. Kirchenvertreter sind angehalten, die Behörden zu informieren, bevor sie neue Mitglieder in ihre Glaubensgemeinschaft aufnehmen (ÖB Teheran 11.2021). Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht (BFA 23.5.2018; vgl. Open Doors 2021). Im Weltverfolgungsindex 2021 von Christen von Open Doors befindet sich Iran auf dem achten Platz (2020: Platz 9). Der Weltverfolgungsindex ist eine Rangliste der 50 Länder, in denen Christen der stärksten Verfolgung und Diskriminierung wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind. Je niedriger die Zahl, desto höher die Verfolgung. Im Berichtszeitraum ist die Zahl der verhafteten Christen des Weltverfolgungsindex 2021 im Gegensatz zum Vorjahr (169) gesunken. Es gab keine breit angelegte Verhaftungswelle, auch wenn es im Juni 2020 eine Razzia gab. Eine genaue Zahl wird im Bericht nicht genannt (Open Doors 2021). Christen werden weiterhin schikaniert, willkürlich inhaftiert und wegen der Ausübung ihres Glaubens verurteilt (AI 7.4.2021; vgl. CSW 3.2021). Dies betrifft auch Personen, die zum Christentum konvertiert waren (AI 7.4.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 5.2.2021).

Mohabat News und Open Doors berichten von anhaltenden Razzien in Kirchengemeinden, insbesondere Hauskirchen, Konfiszierungen von Bibeln und christlichen Materialien und der Verhaftung vieler Christen muslimischer Herkunft, aber auch traditioneller Christen wie Armeniern und Assyrern. Ausländische christliche Gemeinden können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben, werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch dürften die Gemeinden langfristig ’aussterben’. Insbesondere Iraner, die sich aktiv für nicht-muslimische Glaubens- und Gemeindearbeit einsetzen, laufen Gefahr, ins Visier der Sicherheitsbehörden zu geraten (AA 5.2.2021).

Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben (BFA 23.5.2018). Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (BFA 23.5.2018; vgl. IRB 9.3.2021). Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren. Laut der Nachrichtenseite der iranischen Christen, Mohabat News, können Christen öffentlich im ganzen Land Weihnachtsgeschenke, Tannenbäume oder Schmuckwaren für ihre Feste kaufen. Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 7.5.2021

• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PL ib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 4.1.2021

• BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (23.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf , Zugriff 20.4.2020

• CSW - Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla _sl52920/iran---march-2021-2.pdf , Zugriff 7.5.2021

• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-an d-converts.pdf , Zugriff 20.4.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 7.5.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 7.5.2021

• IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html , Zugriff 7.5.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 16.12.2020

• Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2019 – 30. September 2020), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/welt verfolgungsindex/laenderprofile/iran , Zugriff 19.1.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021

Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist in Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 11.2021). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel ’mohareb’ (’Waffenaufnahme gegen Gott’), ’mofsid-fil-arz/fisad-al-arz’ (’Verdorbenheit auf Erden’), ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018), ’Organisation von Hauskirchen’ und ’Beleidigung des Heiligen’, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 5.2.2021). In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich ausAngst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2021). Quellen zufolge fand 1990 die einzige ’offizielle’ Hinrichtung eines Christen wegen Apostasie in Iran statt (IRB 9.3.2021). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt (AA 12.1.2019).

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 5.2.2021; vgl. Open Doors 2021). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis, oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).

Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich ’konvertierte’ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 11.2021).

Die Versammlung in – meist evangelischen – Hauskirchen oder Hausgemeinden wird laut Behörden ’kontrolliert’, de facto aber untersagt, weshalb die einzelnen Gemeinden meist klein bleiben und ständig den Standort wechseln, um Razzien auszuweichen. Dennoch sind Hauskirchen inzwischen relativ weit verbreitet (ÖB Teheran 10.2020). Die Schließungen der ’Assembly of God’-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. IRB 9.3.2021). Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind (DIS/DRC 23.2.2018). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018). Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es ist jedoch unklar, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen. Allerdings wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Razzien gegen Hauskirchen werden weiterhin durchgeführt (AI 7.4.2021).

Von Repressionen und willkürlichen Verhaftungen von konvertierten Christen, Mitgliedern der protestantischen und evangelischen Kirche wird immer wieder berichtet (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 3.3.2021, CSW 3.2021). Im August 2020 wurden 35 neu Konvertierte verhaftet und im selben Monat sind vier weitere Konvertierte wegen Anschuldigungen wie ’Teilnahme an Versammlungen der häuslichen Kirchen’, ’Verbreitung vom zionistischen Christentum’ und ’Gefährdung der inneren Sicherheit’ zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden(ÖB Teheran 11.2021). Trotzdem ist die Zahl der verhafteten Christen laut Weltverfolgungsindex 2021 im Gegensatz zum Vorjahr gesunken. Der Rückgang der Zahl der Verhaftungen ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die iranischen Sicherheitsdienste Ende 2019 alle Hände voll zu tun hatten, die Proteste im Land zum Schweigen zu bringen. Darauf folgte die Coronakrise, welche die Regierung auf andere Weise beschäftigte. Allerdings wurden im Berichtszeitraum des Weltverfolgungsindex 2021 mehr Christen zu Gefängnisstrafen verurteilt als im Vorjahr. Teilweise müssen inhaftierte Christen Hypotheken aufnehmen, um die hohen Kautionszahlungen für ihre Entlassung aufbringen zu können. Weil sie befürchten, dass ein Gerichtsurteil zu einer langen Gefängnisstrafe führt, fliehen viele iranische Christen nach ihrer vorläufigen Entlassung aus dem Land, wobei sie ihre Kaution und somit häufig auch ihren Grundbesitz verlieren (Open Doors2021).

Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen ’Verbrechen gegen Gott’ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch ’low-profile’ Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen ist, dass dieAnführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).

Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Landinfo 16.10.2019, UK HO 2.2020). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 16.10.2019). Darüber hinaus wird Christen mitunter der Konsum von Alkohol (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens vorgeworfen (ÖB Teheran 11.2021).

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden in der Regel nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. Landinfo 16.10.2019).

Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein ’high-profile’-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Die iranischen Behörden sind in erster Linie daran interessiert, die Ausbreitung des Christentums zu stoppen, und verfügen allem Anschein nach nicht über die notwendigen Ressourcen, um alle christlichen Konvertiten zu überwachen (UK HO 2.2020). Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS/DRC 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2021 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (Open Doors 2021).

Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (USDOS 12.5.2021). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der ’Katholischen Jerusalem Bibel’ ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den ’Katechismus der Katholischen Kirche’ ins Farsi. Beide Produkte sind heute noch ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/14572 57/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelev ante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 20.4.2020

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 7.5.2021

• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PL ib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 4.1.2021

• CSW – Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla _sl52920/iran---march-2021-3.pdf , Zugriff 7.5.2021

• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Councile (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-an d-converts.pdf , Zugriff 20.4.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 7.5.2021

• IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https: //www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html , Zugriff 7.5.2021

• Landinfo [Norwegen] (16.10.2019): Iran: Kristne konvertitter – en oppdatering om arrestasjoner og straffeforfølgelse, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019853/Respons-Iran-Kristn e-konvertitter-en-oppdatering-om-arrestasjoner-og-straffeforf%C3%B8lgelse-AVA-1610 2019.pdf , Zugriff 5.1.2020

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 7.1.2021

• Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum: 1. Oktober 2019 –30. September 2020), https://www.opendoors.de/sites/default/files/count ry_dossier/8_laenderprofil_iran.pdf , Zugriff 7.5.2021

• UK HO – UK Home Office [Großbritannien] (2.2020): Country Policy and Information Note Iran: Christians and Christian converts, https://assets.publishing.service.gov.uk/governm ent/uploads/system/uploads/attachment_data/file/868800/Iran_-_Christians-Converts_- _CPIN_-_v6.0_-_Feb_2020_-_EXT_PDF.pdf , Zugriff 7.5.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021

Baha‘i

Baha’í gelten als Abtrünnige und nicht als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Sie sind die am meisten verfolgte religiöse Gruppe, ihre etwa 300.000 Anhänger werden systematisch verfolgt, weil sie Propheten nach Mohammed akzeptieren. Dazu kommt, dass die Baha‘i wegen des Bestehens ihrer Zentrale in Haifa/Israel von offizieller iranischer Seite besonders misstrauisch beobachtet und oft als israelische Spione angesehen werden. Es gibt häufig Berichte über Verhaftungen von Baha‘i (ÖB Teheran 11.2021). Baha‘i sind wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Sie sind vom Pensions- und Sozialversicherungssystem ausgeschlossen, Kriminalitätsopfer erhalten keine staatliche Kompensation, und Gewerbescheine werden unter Hinweis auf die Baha‘i-Zugehörigkeit verweigert (AA 5.2.2021). Die Behörden können die Schließung von Unternehmen im Besitz von Baha’i anordnen und Vermögen von Anhängern der Glaubensgemeinschaft beschlagnahmen (AI 7.4.2021). Auch bekommen sie keine Personalpapiere ausgehändigt und sind vollkommen staatlicher Willkür ausgeliefert (GIZ 12.2020c). Ebenso ist ihnen der Zugang zu höherer Bildung nicht möglich (AA 5.2.2021; vgl. AI 7.4.2021, BS 2020, FH 3.3.2021, US DOS 30.3.2021), da Baha‘i-Studenten der Zugang zu Universitäten verwehrt wird (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Auch Jobs im öffentlichen Sektor sind für sie nicht zugänglich (BS 2020; vgl. AI 7.4.2021). Nach Angaben eines Baha‘i-Vertreters werden auf lokaler Ebene Unterrichtseinheiten vom BIHE (Baha’i Institute of Higher Education, 2011 für illegal erklärt) abgehalten. Damit gehen zum einen erhebliche Risiken für Studenten und Dozenten einher und zum anderen werden auf diese Weise erlangte Abschlüsse nicht anerkannt (AA 5.2.2021). Die Führungsriege der Baha‘i-Gemeinde in Iran sowie die Leitung der Untergrunduniversität BIHE wurden nach Gefängnisstrafen Anfang 2018 freigelassen. Die Hoffnung nach einem Gerichtsurteil im Jänner 2019, wonach Iranisches Recht das Baha’itum nicht kriminalisiert und Proselytismus nicht unter den Straftatbestand Propaganda gegen den Staat subsumierbar sei, wurden enttäuscht (ÖB Teheran 11.2021).

Die iranische Regierung setzt die systematische Unterdrückung der Baha’i fort (USCIRF 4.2021). Insbesondere die Streichung der Option ’andere Religionen’ vom Antragsformular für ID-Karten Anfang 2020 setzt die Baha‘i unter Druck (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021). Es kann nur noch eine der in der Verfassung anerkannten Religionen - also Islam, Christentum, Judentum oder Zoroastrismus - angegeben werden (AA 5.2.2021). Dadurch werden die Baha’i gezwungen, entweder nicht wahrheitsgemäß das Formular auszufüllen (was ihnen ihre Religion verbietet) oder harte Einschränkungen in Kauf zu nehmen (ÖB Teheran 11.2021). Baha’i können dann kein Darlehen beantragen, keinen Scheck einlösen und auch kein Grundstück kaufen (AA 5.2.2021). Auch 2020 gab es Razzien inklusive Beschlagnahmungen gegen Baha’i (HRC 11.1.2021; vgl. FH 3.3.2021). Zerstörungen und Beschlagnahmungen von Eigentum der religiösen Minderheit der Baha’i gehen weiterhin vonstatten, einschließlich einer Reihe von Gerichtsverfahren, in denen ihr Eigentum als ’unrechtmäßig’ eingestuft wurde. Razzien gegen Baha’i passieren auf Grundlage des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer ’verdorbenen Sekte’ und ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ (HRC 14.5.2021). Derzeit sind nach Angaben der International Baha’i Community 78 Baha’i aus Glaubensgründen in iranischen Gefängnissen in Haft (AA 5.2.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 30.4.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 29.12.2020

• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 6.12.2021

• HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50 , Zugriff 30.4.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 30.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

• USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): Iran, https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2052971/Iran+Chapter+AR2021.pdf Zugriff 18.6.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 6.12.2021

Sunniten

Die meisten Sunniten in Iran sind Kurden, Turkmenen, Araber oder Belutschen, die in den Randprovinzen des Landes leben (Qantara.de 11.1.2016) - vor allem im Südwesten nahe den Grenzen zu den arabischen Nachbarländern (ÖB Teheran 10.2020).

In den sunnitischen Siedlungsgebieten im Westen und Südosten Irans ist die Religionsausübung ohne Einschränkungen möglich (AA 5.2.2021). Sunniten sind in der Verfassung als Muslime anerkannt und dürfen ihre Religion prinzipiell frei ausüben, sie werden jedoch vielfach benachteiligt (ÖB Teheran 11.2021). Sunniten sehen sich vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt (GIZ 12.2020c; vgl. HRW 13.1.2021) und werden vor dem Gesetz benachteiligt. So nehmen gerade in den letzten Jahren die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten zu (GIZ 12.2020c). Sunniten berichten, dass sie keine Moscheen in großen Städten bauen dürfen (FH 3.3.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021, BS 2020, AI 7.4.2021) und Probleme hätten, Posten im öffentlichen Dienst zu bekommen (FH 3.3.2021; vgl. BS 2020), dasolche wichtige politische Ämter ausschließlich schiitischen Muslimen offenstehen (AI 7.4.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021).

Sunnitische Geistliche werden immer wieder verhaftet. Außerdem fürchten die Behörden ein Überlaufen iranischer Sunniten zum radikalen Salafismus. Die Machtübernahme der radikal-sunnitischen Taliban in Afghanistan hat die Ängste in Iran vor einem Überschwappen des dortigen anti-schiitischen Terrors – v.a. seitens Al-Qaida und des sogenannten ’Islamischen Staates’ – und mögliche Spannungen zwischen sunnitischer Minderheit und der Mehrheitsbevölkerung bekräftigt (ÖB Teheran 11.2021).

Sunniten werden mitunter sowohl aufgrund ihrer religiösen wie auch ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, da viele kurdischer oder arabischer Volkszugehörigkeit sind (AA 5.2.2021). Dabei spielt bei der Ausgrenzung von Sunniten oft weniger die islamische Konfession als die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle. In den Siedlungsgebieten der Sunniten gibt es starke Autonomiebewegungen, gegen die die Zentralregierung in Teheran vorgeht. Angehörige der ethnischen Minderheiten haben deshalb auch schlechteren Zugang zu Wasser, Wohnraum, Arbeit oder Bildung. Sunnitentum, ethnische Zugehörigkeit und Autonomiebestrebungen vermischen sich in der staatlichen Wahrnehmung. Im Jahr 2015 wurde erstmals ein Sunnit zum Botschafter des Iran ernannt (Qantara.de 11.1.2016).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-projec

t.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.4.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 30.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 29.12.2020

• Qantara.de (11.1.2016): Muslime zweiter Klasse, https://de.qantara.de/inhalt/sunniten-im -iran-muslime-zweiter-klasse , Zugriff 22.4.2020

Derwisch-Orden/Sufis

Schwere Repressionen erleben auch Mitglieder der Derwisch-Gemeinschaft (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 7.4.2021). Obwohl der Gonabadi-Orden (größter Sufi-Orden im Iran) zur Schia zählt, werden seine Mitglieder regelmäßig verfolgt und verhaftet, da sie jede Form des politischen Islams ablehnen und somit das Prinzip, auf dem die Islamische Republik Iran beruht, nicht anerkennen (AA 5.2.2021).

Ihre Gemeinden sehen sich verschiedenen Arten von Diskriminierung und Angriffen (auch auf ihr Eigentum), willkürlichen Festnahmen und Dämonisierung (u.a. im staatlichen Fernsehen) ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). So werden Sufis etwa in iranischen Medien gelegentlich als Teufelsanbeter und Satanisten stigmatisiert (AA 5.2.2021). Auch kommt es immer wieder zur Zerstörung ihrer Gotteshäuser (FH 3.3.2021) sowie zu Inhaftierungen (FH 3.3.2021; vgl. AI 7.4.2021). Als Gründe für die Inhaftierungen werden unter anderem die Störung der öffentlichen Ordnung, Verbreitung von systemfeindlicher Propaganda, Handlungen gegen die Nationale Sicherheit, Mitgliedschaft in illegalen Gruppierungen und die Beleidigung des Obersten Führers genannt (ÖB Teheran 11.2021). Im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt werden sie systematisch diskriminiert (AI 7.4.2021).

Nach gewalttätigen Protesten von Gonabadi-Derwischen im Februar 2018, bei denen fünf Sicherheitskräfte ums Leben kamen, wurden über 200 Derwische zu Haft und teilweise körperlicher Züchtigung verurteilt, ein Derwisch wurde nach einem unfairen Prozess und einem Zwangsgeständnis zum Tode verurteilt und hingerichtet (ÖB Teheran 11.2021). Im November 2020 wurden 25 Gonabadi-Derwische begnadigt, trotzdem sind noch immer viele Derwische in Haft (HRC 11.1.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Seither ist es um diese Gemeinschaft öffentlich ruhig geworden, allenfalls noch aktive Mitglieder der Gemeinschaft dürften starke Selbstzensur üben (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

• HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50 , Zugriff 30.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

Ahl-e Haqq/Yar(e)san

Die Regierung betrachtet Yaresan oft als schiitische Muslime, die Sufismus praktizieren, aber die Yaresan betrachten ihre Religion als einen eigenständigen Glauben (bekannt als Ahl-e-Haqq oder Kaka’i). Yaresan können sich auch als Schiiten registrieren, um Regierungsdienste zu erhalten (USDOS 12.5.2021).

In Iran gibt es zwei Zweige der Yaresan (auch Ahl-e Haqq genannt). Die sogenannten Modernisten/Reformisten und die Traditionalisten. Die Modernisten deklarieren sich selbst als schiitische Muslime und werden auch von den Behörden akzeptiert. Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus gut ausgebildeten Städtern. Ihre Glaubensvorstellungen beruhen vor allem auf den Lehren von Hajj Ne’matollah Jayhunabadi (1871-1920), seinem Sohn Nur Ali Elahi (1895-1974) und dessen Sohn Bahram Elahi (1931-). Jayhunabadi behauptete, dass Yaresan Muslime seien und führte den Yari Glauben mit dem Schiismus zusammen. Er öffnete die Religion auch für nicht als Yaresan geborene Personen. Viele Personen wurden zu seinen Anhängern, vor allem im Bereich in und um Sahneh [Stadt und gleichnamiger Bezirk in der Provinz Kermanschah]. Diese Gruppe wird auch als Elahi-Zweig bzw. Elahi-Anhänger bezeichnet. Die Traditionalisten sehen sich selbst als Nicht-Muslime und kommen eher aus dem ländlichen Bereich, vor allem aus dem Bezirk Guran in Kermanschah. Ca. eine halbe Million Yaresan leben dort. Diese Gruppierung war schon immer geschlossen für Nicht-Yaresan. Die Traditionalisten werden von iranischen Behörden als „Teufelsanbeter“ verunglimpft. Weitere Gruppen von Yaresan leben in anderen Gebieten des Iran, wie z.B. West-Aserbaidschan, Lorestan, Teheran, Hamadan, Kelardascht, Karadsch und Saveh. Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele Yaresan es gibt. Schätzungen differieren zwischen einer und vier Millionen. Ursprünglich kommen die Yaresan aus dem Gebiet um Guran, im westlichen Teil von Kermanschah. Aufgrund ihres intellektuellen Hintergrunds hat es den Anschein, dass es mehr Modernisten gibt, tatsächlich dürfte aber die Anzahl der Traditionalisten höher sein. Außerhalb ihres Heimes agieren Yaresan als Muslime, ansonsten könnten sie eventuell Probleme mit den Behörden bekommen. Auch der Zugang zu Bildung und Arbeit im Öffentlichen Dienst wird dadurch erleichtert. In Bezug auf Konsequenzen für Yaresan, die sich öffentlich über ihren Glauben äußern und ihn als nicht-muslimisch bezeichnen, wird davon ausgegangen, dass die Gruppe nicht als Ganzes von den Behörden ins Visier genommen wird und systematisch belästigt und inhaftiert wird, nur aufgrund der Tatsache, dass man Yaresan ist. Repressionen und Verfolgung basieren auf individuellen Fällen, beispielsweise erfahren ein Leiter einer Gemeinschaft oder andere profilierte Personen Druck durch die Behörden. Es gab in den letzten Jahren einige Fälle von Schikane und Misshandlungen. Es werden von Zeit zu Zeit Maßnahmen gegen Yaresan-Gemeinden eingeleitet, ähnlich wie gegen die Sufi-Orden. Es ist jedoch schwer zu sagen, ob einzelne Yaresan aufgrund ihrer Religion oder wegen politischer Gründe verfolgt werden. Da viele Yaresan Kurden sind, kann eine etwaige Verfolgung auch deshalb vonstatten gehen. Das öffentliche Bekunden der kurdischen Identität ist ein sensibles Thema in Iran. Wichtig zu erwähnen ist, dass der Umgang der Behörden mit religiösen und ethnischen Minderheiten nicht statisch ist. Momentan versucht die iranische Regierung eher weniger harsch damit umzugehen. Es gibt auch einen Anstieg des Interesses von jungen Yaresan an der eigenen Religion. Besonderes Interesse besteht an Textmaterial über die traditionelle Version des Yari-Glaubens. Solche Texte werden in Iran als illegal angesehen, währenddessen Texte des Elahi-Zweiges (Modernisten) als legal angesehen werden, und diese Texte sind auch schon einige Male nachgedruckt worden. Yaresan, die öffentlich und aktiv ihre Yari-Identität und Religion bekunden, ziehen das Interesse der Behörden auf sich. Obwohl es Yaresan aufgrund ihres Glaubens verboten ist, in Bezug auf ihren Glauben zu lügen, sah sich der Großteil der Yaresan dazu gezwungen, um Problemen mit den Behörden aus dem Weg zu gehen. Personen, die religiös und/oder politisch aktiv sind und beispielsweise in Besitz von illegalen Schriften erwischt werden, setzen sich der Gefahr aus, festgenommen und befragt zu werden. Normalerweise würde der Person befohlen, entweder die Aktivitäten einzustellen oder anderenfalls eine Haftstrafe abzubüßen. Auch Anhänger des Elahi-Zweiges erfahren mitunter Repression und Misshandlung durch die Behörden. Von Zeit zu Zeit werden sie Opfer von Razzien, und manchmal werden Anführer inhaftiert (DIS 6.4.2017). Berichtet werden in Bezug auf die Yaresan/Ahl-e Haqq Fälle von Diskriminierung, Drohungen, Angriffen auf gemeinsames Eigentum und willkürliche Festnahmen (ÖB Teheran 10.2020). Sie werden weiterhin aufgrund der friedlichen Ausübung ihres Glaubens diskriminiert und strafrechtlich verfolgt (AI 7.4.2021). Ihnen wird der Bau von Gotteshäusern, der Zugang zu Bildung und Posten im öffentlichen Dienst verweigert, wenn sie sich nicht als Angehörige einer der anerkannten Religionen deklarieren. Ebenso ist es ihnen nicht erlaubt, religiöse Zeremonien in der Öffentlichkeit abzuhalten. Yaresan sind weiterhin einer Reihe von Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, darunter Angriffe auf Mausoleen oder auch die Zerstörung ihrer Friedhöfe. Yarsani-Männer, erkennbar an ihren besonderen Schnurrbärten, sind weiterhin Diskriminierungen am Arbeitsplatz ausgesetzt. Berichten zufolge fördern schiitische Prediger weiterhin die soziale Diskriminierung von Yarsanis (USDOS 12.5.2021).

Quellen:

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 7.5.2021

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (6.4.2017): IRAN: The Yaresan, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1494231887_notatyaresan6april2017docx.pdf , Zugriff 22.4.2020

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 29.12.2020

• USDOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021

Ethnische Minderheiten

Iran gehört mit über 80 Millionen Einwohnern zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Erde. Das Bevölkerungswachstum beträgt etwa 1,1 %. Dabei ist die iranische Gesellschaft viel heterogener, als die offizielle Staatsdoktrin glauben machen will. Nur etwa 51 % der Iraner sind Perser. Dazu kommt die Volksgruppe der Aseris mit 24 % der Gesamtbevölkerung, etwa 8 % Gilakis und Mazanderanis, 7 % Kurden, 3 % Araber und je etwa 2 % Turkmenen, Luren und Belutschen. Die diesbezüglich genannten Zahlen variieren teils beträchtlich. Zudem leben viele Flüchtlinge im Land, von denen die afghanischen weiterhin die größte Gruppe stellen, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge weltweit. Die ethnischen Minderheiten Irans leben eher in den Grenzregionen des Landes zu seinen Nachbarn, die Kurden etwa im Nordwesten, die Araber in der Region um den Persischen Golf. (GIZ 12.2020c). Der Vielvölkerstaat Iran verfolgt gegenüber ethnischen Minderheiten grundsätzlich eine auf Ausgleich bedachte Politik, v.a. die Aseri sind in Staat und Wirtschaft sehr gut integriert (AA 5.2.2021). Überwiegend leben die Minderheiten allerdings in den ökonomisch benachteiligten Randgebieten (DW 6.2.2021) und die Infrastruktur von Regionen, wo Minderheiten wohnen, ist zum Teil stark vernachlässigt (BMI 2015; vgl. AA 5.2.2021, FH 3.3.2021, AI 7.4.2021, ÖB Teheran 11.2021). Die Diskriminierung ethnischer Minderheiten in Iran ist weiterhin ein Problem, betroffen sind v.a. Kurden, Araber, Belutschen, Aseris und Turkmenen. Die strukturelle Diskriminierung dieser Gruppen äußert sich im Alltag auch mit dem Verbot ihrer Muttersprache im Unterricht und vor Behörden (nur Farsi erlaubt) und im Verbot des Zugangs zu höheren politischen Ämtern (schiitischen Männern vorbehalten). Menschen, die sich für Minderheitenrechte einsetzen können bedroht, festgenommen und bestraft werden. Unabhängig von der Art der ihnen vorgeworfenen Straftat werden Angehörige ethnischer Minderheiten öfter zum Tode verurteilt, gefoltert und verbringen mehr Zeit in Untersuchungshaft (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021

• BMI – Bundesministerium für Inneres [Österreich] / Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion Language - Politics, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res -publicae-the-kurds-2015.pdf , Zugriff 4.6.2019

• DW - Deutsche Welle (6.2.2021): Kurden verstärkt im Visier Teherans, https://www.dw.c om/de/kurden-verst%C3%A4rkt-im-visier-teherans/a-56473340 , Zugriff 30.11.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.4.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

Kurden

Die Kurden (überwiegend Sunniten) sind hinsichtlich ihrer kulturellen Eigenständigkeit staatlicher Diskriminierung ausgesetzt. Dennoch werden sie in größerer Zahl in hohe Ämter der Provinzverwaltungen und zunehmend auch in der Ministerialbürokratie berufen (so gibt es eine kurdischstämmige Vize-Innenministerin). Der iranische Staatsrundfunk sendet stundenweise kurdischsprachige Sendungen auf dem Regionalsender IRIB Kurdistan. In der Verfassung vorgesehener Schulunterricht sowie Studiengänge in kurdischer Sprache sind seit einem Erlass von Rohani im Jahr 2016 rechtlich möglich. Es ist jedoch nicht nachprüfbar, in welchem Umfang Unterricht an Schulen und Universitäten tatsächlich angeboten wird, da er nicht aktiv vom iranischen Staat gefördert wird (5.2.2021). Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Kurden ein (HRW 13.1.2021). Problematisch sind vor allem kulturelle Aktivitäten, die politisch werden (DIS/DRC 23.2.2018). Zahlreiche Kurden werden willkürlich inhaftiert, darunter auch Menschenrechtsaktivisten, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzten (AI 7.4.2021). Alleine zwischen 9. und 24.1.2021 wurden 57 kurdische Zivilisten und Aktivisten willkürlich und ohne Gerichtsbeschluss festgenommen (KHRN 25.1.2021). Auch im Jahr 2020 schossen iranische Grenzschützer weiterhin rechtswidrig auf zahlreiche unbewaffnete kurdische Männer, die als Träger (kulbar) arbeiteten und Lasten aus den kurdischen Regionen diesseits und jenseits der iranisch-irakischen Grenze hin- und hertransportierten. Nach Angaben kurdischer Menschenrechtsorganisationen wurden mindestens 40 Männer getötet und zahlreiche weitere verletzt (AI 7.4.2021).

Die kurdische Region Irans ist militarisiert und die iranische Regierung überwacht die kurdische Bevölkerung durch regelmäßige Checkpoints ebenso wie durch die Nutzung von Telekommunikation und sozialen Medien. Die iranische Regierung sieht jede Art von politischem oder zivilem Aktivismus als potenzielle Bedrohung an, insofern können sowohl politische als auch zivilgesellschaftliche Aktivisten von Verfolgung bedroht sein (DIS 7.2.2020). Seit dem Unabhängigkeitsreferendum der irakischen Kurden im September 2017 wurde die Präsenz von Militär und Revolutionsgarden in Gebieten mit überwiegend kurdischem Bevölkerungsanteil deutlich erhöht (AA 5.2.2021; vgl. DIS 7.2.2020) und einige Mitglieder der lokalen Bevölkerung arbeiten als Informanten für die iranischen Behörden (DIS 7.2.2020). Die militärische und geheimdienstliche Präsenz ist nicht immer sichtbar. Die Überwachung in diesem Gebiet ist nicht systematisch, aber strukturiert und auch nicht zufällig, sondern gezielt (DIS/DRC 23.2.2018).

Kurdischen Aktivisten werden in vielen Fällen von der Zentralregierung separatistische Tendenzen vorgeworfen und diese entsprechend geahndet (AA 5.2.2021; vgl. DIS 7.2.2020). Unter den politisch Verfolgten sind daher verhältnismäßig viele Kurden (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018, Landinfo 19.5.2020). Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK (partiya jiyana azad a kurdistane - Partei für ein freies Leben in Kurdistan, Schwesterorganisation der PKK in Iran), der kommunistischen Komala-Partei, oder der KDP-Iran – und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die meisten werden wegen Verbrechen gegen die nationale Sicherheit angeklagt. Kurden machen auch einen überproportionalenAnteil der zum Tode verurteilten und hingerichteten Personen aus (Landinfo 18.12.2020; vgl. AA 5.2.2021). Darüber hinaus häufen sich Berichte über Repressalien gegen Kurden aufgrund suspekter Aktivitäten ihrer Verwandten im Irak, mit denen die Verwandten zum Aufgeben oder zur Einreise in den Iran bewegt werden sollen (ÖB Teheran 11.2021). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018, HRC 14.5.2021). Den Menschen dieser Regionen bleibt aufgrund der dortigen Unterentwicklung oftmals keine andere Wahl, als zu schmuggeln (ÖB Teheran 11.2021).

KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018).

Anfang des Jahres 2021 wurden ca. 100 Kurden willkürlich verhaftet. Es handelte sich bei den Verhafteten um zivilgesellschaftliche und Arbeitsrechtsaktivisten, um Umweltschützer, Autoren, Studenten, aber auch um Personen, die sich politisch gar nicht betätigt haben. Die Angehörigen der Verhafteten sind über deren Aufenthaltsort offenbar nicht informiert worden. Die Beweggründe der Behörden sind unklar. Die iranischen Behörden haben nicht erklärt, warum sie gegen eine so große Gruppe von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund vorgegangen sind. Ungefähr die Hälfte derer, die ins Visier genommen wurden, sollen keine Verbindung zu irgendwelchen Medien, politischen Organisationen oder zivilgesellschaftlichen Gruppen gehabt haben. Viele der nun Verhafteten haben offenbar an einer Versammlung teilgenommen oder ein Kommentar in den sozialen Medien verfasst (DW 6.2.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 3.5.2021

• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark] /Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-perso ns-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 22.4.2020

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report + on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020

• DW – Deutsche Welle (6.2.2021): Kurden verstärkt im Visier Teherans, https://www.dw.c om/de/kurden-verst%C3%A4rkt-im-visier-teherans/a-56473340 , Zugriff 30.11.2021

• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 29.11.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 25.1.2021

• KHRN – Kurdistan Human Rights Network (25.1.2021): Iran forces arbitrarily detain Kurdish civilians, activists, https://kurdistanhumanrights.org/en/iran-forces-arbitrarily-detain-kurdi sh-civilians-activists/ , Zugriff 27.1.2021

• Landinfo [Norwegen] (18.12.2020): Det iransk-kurdiske partiet PJAK, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2043154/Iran-temanotat-PJAK-18122020.pdf , Zugriff 26.1.2021

• Landinfo [Norwegen] (19.5.2020): Kurdistan Democratic Party – Iran (KDP-I),https://coi.easo.europa.eu/administration/norway/PLib/Temanotat_Iran_KDP-I_19052020 . pdf , Zugriff 25.1.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

Araber

Ahwazi-Araber (nach Schätzungen rund zwei Millionen) sind mehrheitlich sunnitischen Glaubens und bewohnen die an Erdölvorkommen reiche Grenzregion zu Irak und Kuwait. Mangels Unterricht in der Muttersprache sind vieleAraberAnalphabeten. Es herrscht unter der arabischen Minderheit eine hohe Armutsrate (ÖB Teheran 11.2021) und es mangelt häufig an Wasser- und Stromversorgung (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 7.4.2021). Menschenrechtsorganisationen sehen Benachteiligungen im beruflichen und schulischen Umfeld, die zu wirtschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller Ausgrenzung der arabischen Minderheit führen. Darüber hinaus leidet sie unter wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und an Umweltschäden (Verschmutzung, Staubstürme), für die sie eine Vernachlässigung ihres Siedlungsgebietes (v.a. Provinz Khuzestan) durch die Zentralregierung verantwortlich macht (AA 5.2.2021). Arabische Ahwazi beklagen zudem, dass die Behörden Ausdrucksformen der arabischen Kultur, wie traditionelle Kleidung oder Dichtkunst unterdrücken (AI 7.4.2021).

Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Araber ein (HRW 13.1.2021), jedoch wurden einige lokale Clanführer in Khuzestan und anderen Gegenden, wo Ahwazi-Araber leben, in lokale Räte gewählt, wo sie auch sehr unverblümt sprechen. Ins Visier der Behörden können Ahwazi-Araber geraten, wenn sie Journalisten oder politische Aktivisten sind, die sich für Minderheitenrechte einsetzen (DIS/DRC 23.2.2018). Aufgrund der staatlichen Repression und gesellschaftlicher Benachteiligung setzen sich verschiedene separatistische Gruppierungen auch gewaltsam für eine Abspaltung ein, so u.a. die von der Regierung als terroristische Organisation geführte „Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz“ (ASMLA) in der Region Khuzestan (AA 5.2.2021).

Es gibt Berichte über die Vertreibung von Arabern von ihren Grundstücken aufgrund staatlicher Entwicklungsprojekte. Araber werden unverhältnismäßig häufig wegen unklar definierten Anschuldigungen (etwa wegen ’mohareb’ und ’mofsid-fil-arz’) zu sehr hohen Strafen verurteilt. Nach dem terroristischen Angriff in Ahwaz im September 2018 mit 30 Toten wurden offiziell 22 Personen aus dem Umfeld der Untergrundorganisation ’Al-Ahvaziya’ festgenommen, die Opposition hat von bis zu 800 Festnahmen berichtet. Derartige Benachteiligung lag auch den ’Wasserprotesten’ im Juli 2021 in der v.a. von Arabern bewohnten Provinz Khuzestan zugrunde, in der ehemaligen Sümpfe, welche den Wasserbüffel-Bauern die Lebensgrundlage boten, aufgrund von Wasserumleitungen, Misswirtschaft und Klimakrise austrockneten. Nachdem zwölf Menschen umgekommen waren, wurden die Protestierenden mit Versprechungen (Rückleitung von Wasser aus anderen Provinzen) beruhigt. Allerdings kam es bereits in den Vorjahren im Sommer zu Unruhen aufgrund von Wassermangel. Immer mehr Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage, und es wurden keine Maßnahmen gesetzt (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 4.5.2021

• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-perso ns-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 22.4.2020

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 4.5.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

Belutschen

Die rund 1,5 Mio. sunnitischen Belutschen leben in unterentwickelten Gebieten im Südosten an der Grenze zu Pakistan und Afghanistan (ÖB Teheran 11.2021). Sie zählen zu den ärmsten Minderheiten und leben in einer von Gewalt und Drogenschmuggelkriminalität geplagten Provinz im Grenzgebiet zu Pakistan. Hinweise auf staatliche Repressionen beruhend auf ihrer ethnischen Zugehörigkeit liegen nicht vor, die Todesstrafe wird jedoch häufig gegen Belutschen verhängt (AA 5.2.2021). In der verarmten Provinz Sistan und Belutschistan ist die entsprechende Infrastruktur dermaßen schlecht, dass vielen belutschischen Dorfbewohnern de facto ihr Recht auf ausreichendes, gut zugängliches und sicheres Trinkwasser verwehrt wird. Sie müssen sich Trinkwasser und Wasser für den Hausgebrauch aus unsicheren Quellen holen, wie Flüssen, Brunnen, Teichen und Gruben, in denen es Krokodile gibt. Mehrere Menschen ertranken beim Wasserholen. In einigen Fällen erklärten die lokalen Behörden, die Opfer seien selbst schuld an ihrem Tod, weil sie nicht vorsichtig genug gewesen seien. Zudem mangelt es in der Provinz an Stromversorgung, Schulen und Gesundheitseinrichtungen, weil der Staat nicht genug investiert (AI 7.4.2021).

Kulturelle und politische Aktivitäten der Belutschen werden durch die Regierung eingeschränkt (HRW 13.1.2021), und sie sind von willkürlicher Inhaftierung bedroht (AI 7.4.2021). Regelmäßig wird auch in dieser Region von tödlichen Zusammenstößen von Sicherheitskräften mit vermeintlichen Schmugglern, Drogenkurieren oder Terroristen berichtet. Den Belutschen bleibt mangels anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten oftmals keine andere Wahl als der Schmuggel zum Überleben (ÖB Teheran 11.2021). Eine unverhältnismäßig große Anzahl der im Rahmen der Todesstrafe Hingerichteten gehört neben der kurdischen auch der belutschischen Minderheit in Iran an (AI 7.4.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 4.5.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 4.5.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Generell genießt die Familie in Iran, ebenso wie in den meisten anderen islamischen Gesellschaften, einen hohen Stellenwert. Der Unterschied zwischen Stadt und Land macht sich aber auch hier bemerkbar, in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auf dem Land hat das traditionelle islamische Rollenmodell weitgehende Gültigkeit, der Tschador, der Ganzkörperschleier, dominiert hier das Straßenbild. In den großen Städten hat sich dieses Rollenverständnis inzwischen verschoben, wenn auch nicht in allen Stadtteilen. Während des Iran-Irak-Krieges war, allen eventuellen ideologischen Bedenken zum Trotz, die Arbeitskraft der Frauen schlicht unabdingbar. Nach dem Krieg waren Frauen aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken oder gar zu entfernen. Die unterschiedliche und sich verändernde Stellung der Frau zeigt sich auch an den Kinderzahlen: Während in vielen ländlichen, gerade den abgelegeneren Gebieten fünf Kinder der Normalfall sind, sind es in Teheran und Isfahan im Durchschnitt unter zwei. Insbesondere junge Frauen begehren heute gegen die nominell sehr strikten Regeln auf, besonders anhand der Kleidungsvorschriften für Frauen wird heute der Kampf zwischen einer eher säkular orientierten Jugend der Städte und dem System in der Öffentlichkeit ausgefochten. Eine Bewegung, die sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut, ist der islamische Feminismus. Dieser will die Rechte der Frau mittels einer islamischen Argumentation durchsetzen (GIZ 12.2020c).

Auch wenn die Stellung der Frau in Iran, entgegen aller Vorurteile gegenüber der Islamischen Republik, in der Praxis sehr viel besser ist als in vielen anderen Ländern der Region, sind Frauen auch hier nicht gleichberechtigt (GIZ 12.2020c). Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen). In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen also vielfältigen Diskriminierungen unterworfen, die jedoch zum Teil relativ offen diskutiert werden (AA 5.2.2021).

Iran hat die ’Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau’ als einer von wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet. Im Global Gender Gap Report 2020 des World Economic Forum liegt Iran an Stelle 148 von 153 (WEF 2020; vgl. AA 5.2.2021). Von einigen staatlichen Funktionen (u.a. Richteramt, Staatspräsident) sind Frauen gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ausgeschlossen (AA 5.2.2021; vgl. BAMF 7.2020). Es ist hier anzumerken, dass es sehr wohl einige Richterinnen - insbesondere an Familiengerichten - gibt. Ihnen steht es aber nicht zu, ein Urteil auszusprechen oder den Prozess zu leiten. Sie dürfen unter der Aufsicht eines männlichen Richters lediglich beratend tätig werden (BAMF 7.2020). 4% aller politischen Ämter in Iran sind von Frauen besetzt. 15% aller Abgeordneten im nationalen Parlament in Teheran (majles-e shura-ye eslami) sind Frauen. Es wurde zwar eine Anhebung auf 30% angestrebt, dieses Vorhaben wurde jedoch durch eine Mehrheit der Parlamentarier abgelehnt. Frauen steht auch das Amt einer Botschafterin offen (BAMF 7.2020).

Die Erwerbsquote von Frauen liegt nur bei etwa 12%. Viele Frauen sind im informellen Sektor tätig (BS 2020). Zusätzlich sind Frauen seit dem Beginn der Coronakrise stärker als Männer vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffen. Da Arbeitgeber durch die Pandemie wirtschaftlich unter Druck geraten sind, versuchen diese, den ausbleibenden Umsatz durch eine Reduzierung der Lohnzahlungen auszugleichen. Am stärksten davon, aber auch vom Verlust des Arbeitsplatzes, betroffen sind die Lohnzahlungen von Frauen (BAMF 7.2020). Laut offiziellen Daten wurden aufgrund der Corona-Krise binnen eines Jahres eine Million Frauen zusätzlich arbeitslos. Die Stärkung der Schattenwirtschaft, und damit von religiösen Stiftungen und Unternehmen im Besitz der Revolutionsgarden, in denen konservative Männer dominieren, hat die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen besonders eingeschränkt (ÖB Teheran 11.2021). Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei 20,8% (1,11 Millionen). Unter Frauen mit höherer Bildung liegt sie noch deutlich höher. Nachholbedarf besteht weiterhin im Bereich der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, allerdings ist der Spielraum der Regierung beschränkt, da konservative Vertreter immer wieder die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie betonen. Nach einer im April 2019 veröffentlichten staatlichen Studie sind 65,9% der Arbeitslosen in Iran Frauen (AA 5.2.2021). Gründe für die stärkere Betroffenheit von Frauen von Arbeitslosigkeit sind neben der Covid-Pandemie auch die US-Sanktionen und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung der Rolle von Frauen als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Ehemannes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten (ÖB Teheran 11.2021).

In rechtlicher Hinsicht unterliegen Frauen einer Vielzahl diskriminierender Einschränkungen. Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-)frau als dem (Ehe-)mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA 5.2.2021; vgl. HRW 13.1.2021, ÖB Teheran 11.2021, AI 7.4.2021, BAMF 7.2020). Beispielsweise darf eine verheiratete Frau ohne die schriftliche Genehmigung ihres Mannes (oder Vaters) keinen Reisepass erhalten oder ins Ausland reisen (HRW 13.1.2021; vgl. FH 3.3.2021, BAMF 7.2020). Kinder unter 18 Jahren benötigen für die Ausstellung des Reisepasses die schriftliche Erlaubnis ihres Vaters. Wenn der Ehemann oder der Vater nicht anwesend ist, hat die Frau sich bei einem Wunsch zur Ausreise an die zuständige Behörde des Außenministeriums zu wenden, sofern die schriftliche Erlaubnis nicht vorliegt. Während dieses Verfahrens werden auch Unterschrift sowie personenbezogene Angaben überprüft (BAMF 7.2020).

Unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen benötigen keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds, um zu reisen (Cedoca 30.3.2020). Nach dem Zivilgesetzbuch hat ein Ehemann das Recht, den Wohnort zu wählen, und kann seine Frau daran hindern, bestimmte Berufe auszuüben (HRW 13.1.2021; vgl. BAMF 7.2020). Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Mädchen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Buben mit 15 Jahren) (AA 5.2.2021; vgl. BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021). Zeugenaussagen von Frauen werden hingegen nur zur Hälfte gewichtet (AA 5.2.2021; vgl. FH 3.3.2021, ÖB Teheran 11.2021) und die finanzielle Entschädigung, die der Familie eines weiblichen Opfers nach ihrem Tod gewährt wird, ist nur halb so hoch wie die Entschädigung für ein männliches Opfer (FH 3.3.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Selbst KFZ-Versicherungen zahlen nur die Hälfte bei Personenschäden von Frauen. Auch erben Frauen nur die Hälfte von Männern (ÖB Teheran 11.2021). Weitere diskriminierende Vorschriften finden sich im Staatsangehörigkeitsrecht, internationalen Privatrecht, Arbeitsrecht sowie im Sozialversicherungsrecht (AA 5.2.2021).

Bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote müssen Frauen mit Strafen rechnen. So kann etwa eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, mit Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder Geldstrafe bestraft werden. Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich; dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen (AA 5.2.2021).

Laut Gesetz darf eine Jungfrau nicht ohne Einverständnis ihres Vaters, Großvaters oder eines Richters heiraten (US DOS 30.3.2021). Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen liegt bei 13 Jahren. Väter und Großväter können bei Gericht eine Erlaubnis einholen, wenn sie das Mädchen früher verheiraten wollen (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021, AI 7.4.2021, BAMF 7.2020). Das gesetzliche Alter für Buben liegt bei 15 Jahren. Mit der schlechten Wirtschaftslage geht ein Anstieg des Verkaufs von Mädchen zum Kindesmissbrauch in Kinderehen einher. 2020 stieg die Rate nach offiziellen Zahlen um 10,5% auf 31.379 Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren. Jüngere Mädchen werden nicht gezählt, auch wenn die Verheiratung von Mädchen ab neun Jahren mit Zustimmung der Eltern und eines religiösen Richters erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021).

Im Juni erließ der Präsident ein Dekret, mit dem eine Änderung des Zivilgesetzbuches in Kraft gesetzt wurde. Dadurch wird es iranischen Frauen, die mit ausländischen Männern verheiratet sind, ermöglicht, ihren Kindern die Staatsbürgerschaft zu übertragen (US DOS 30.3.2021; vgl. BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021). Frauen müssen diese Übertragung jedoch eigens beantragen, und ihre Kinder müssen sich einer Sicherheitsüberprüfung durch das Geheimdienstministerium unterziehen, während die Staatsbürgerschaft iranischer Männer automatisch an deren Kinder übertragen wird (USDOS 30.3.2021; vgl. BAMF 7.2020).

Gesetzliche Regelungen räumen geschiedenen Frauen das Recht auf Alimente ein. Angaben über mögliche (finanzielle) Unterstützung vom Staat für alleinerziehende bzw. alleinstehende Frauen sind nicht eruierbar. Das Gesetz sieht vor, dass geschiedenen Frauen vorzugsweise das Sorgerecht für ihre Kinder bis zu deren siebentem Lebensjahr gegeben werden soll. Danach soll das Sorgerecht dem Vater übertragen werden, außer dieser ist dazu nicht imstande. Heiraten geschiedene Frauen erneut, verlieren sie das Sorgerecht für Kinder aus einer früheren Ehe (ÖB Teheran 11.2021). Ein Mann kann sich zu jedem Zeitpunkt von seiner Frau scheiden lassen. Die Möglichkeiten der Frau, sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen, sind dagegen eingeschränkt und nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Bei Schließung einer dauerhaften Ehe besteht die Möglichkeit, Regelungen vor dem Heiratsnotariat zu vereinbaren, unter denen sich die Ehefrau an ein Gericht wenden kann, um eine schriftliche Erlaubnis zur Scheidung zu erhalten (BAMF 7.2020).

Aufgrund der Schwierigkeit für Frauen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Jedoch erhalten manche Frauen, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm leben (wie zum Beispiel lesbische Frauen oder Prostituierte), keine Unterstützung durch die Familie und können Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat werden. Alleinstehende Frauen haben oft Schwierigkeiten, eine Wohnung oder Arbeit zu finden, da sie für Prostituierte gehalten werden (ÖB Teheran 11.2021).

Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Fälle von Genitalverstümmelung sind nicht bekannt (AA 5.2.2021). Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unanständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Vergewaltigungsopfern befürchtet (US DOS 30.3.2021). Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz und in der Familie ist weit verbreitet, für die Männer herrscht gänzliche Straflosigkeit. Ein iranischer ’Me-Too’-Moment im Sommer 2020, als eine junge Frau Interviews mit Überlebenden sexueller Gewalt veröffentlichte, zeigte das Ausmaß des ansonsten totgeschwiegenen Problems auf. Krisenzentren und Frauenhäuser nach europäischem Modell existieren in Iran nicht. Die schwierige Beweislast für sexuelle Missbrauch und das Verbot außerehelicher Beziehungen hat zur Folge, dass Frauen Missbrauch nicht anzeigen, da sie ansonsten regelmäßig selbst Beschuldigte wären. Ein Gesetzesentwurf der Regierung Rohani zu Gewaltschutz wurde vom erzkonservativen Parlament solange boykottiert, bis der jetzige Präsident Raisi an die Macht kam, unter dem das Gesetz keine Aussicht auf Umsetzung hat (ÖB Teheran 11.2021).

Am 1.11.2021 wurde ein neues Gesetz zur ’Verjüngung der Gesellschaft und zum Schutz der Familie’ verabschiedet, das von neun UN-Sonderberichterstattern und Menschenrechtsmechanismen als menschenrechtswidrig bezeichnet wurde. Das Gesetz schränkt den Zugang von Frauen zu reproduktiven Rechten stark ein. So soll der Zugang zu Abtreibungen v.a. mithilfe strafrechtlicher Drohungen weiter stark eingeschränkt werden, insbesondere dürfte bei Abtreibungen als ’mohareb’ (Waffenaufnahme gegen Gott) die Todesstrafe drohen. Darüber hinaus werden der Verkauf von Verhütungsmitteln und Sterilisationen verboten, eine Datenbank von Frauen, die gynäkologische Hilfe suchen wird erstellt, und religiöse Richter sollen mitentscheiden, ob einer Frau medizinische indizierte Abtreibung gewährt wird (ÖB Teheran 11.2021).

Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab einem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten. Das Kopftuch ist zwingend vorgeschrieben, jedoch nicht das Tragen des Tschadors. Nach einer Studie des wissenschaftlichen Dienstes des iranischen Parlamentes heißen nur 13% der befragten Frauen das Tragen des Tschadors gut (BAMF 7.2020). Seit Ende Dezember 2017 fordern immer mehr iranische Frauen eine Abschaffung der Kopftuchpflicht.Als Protest nehmen sie in der Öffentlichkeit ihre Kopftücher ab und hängen sie als Fahne auf. Auch gläubige Musliminnen, die das Kopftuch freiwillig tragen, ältere Frauen, Männer und angeblich auch einige Kleriker haben sich den landesweiten Protestaktionen angeschlossen (Kleine Zeitung 3.2.2018). Zahlreiche Frauen, die öffentlich ihren Schleier abnahmen und davon Fotos und Videos verbreiteten, befinden sich weiterhin in Haft und sind zu Peitschenhieben verurteilt, wie auch ihre Rechtsanwälte (ÖB Teheran 11.2021). In einigen Fällen wurden auch besonders harte Haftstrafen verhängt (u.a. 24 Jahre Haft für eine Frauenrechtsaktivistin im August 2019) (AA 5.2.2021). Die Sittenpolizei und Bürgerwehren gingen auch 2020 weiterhin massiv gegen Millionen Frauen und Mädchen vor, um den Kopftuchzwang durchzusetzen, der gesetzlich vorgeschrieben ist. Mehrere Frauenrechtsverteidigerinnen, die sich gegen den Kopftuchzwang engagieren, befinden sich noch immer in Haft (AI 7.4.2021). Obwohl Frauen im Oktober 2019 einmalig auf Druck der FIFA erstmals ein Fußball-Länderspiel im Stadion verfolgen konnten, hat sich am grundsätzlichen Stadionverbot für Frauen nichts geändert (AA 5.2.2021). Neben den Beschränkungen in Bezug auf Sportveranstaltungen gibt es solche auch bezüglich Kultur, beispielsweise ein Singverbot außer im Chor, Verbot des Tanzens, etc. Die Regierung Raisi hat bereits angekündigt, das Rad- und Motorratfahrverbot für Frauen streng durchzusetzen (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 6.6.2021

• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2020): Länderreport Nr. 28. Iran. Frauen - Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe, https://coi.easo.e uropa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_28_Iran_July-2020.pdf , Zugriff 16.12.2020

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

• Cedoca – Documentation and Research Department of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (30.3.2020): COI Focus IRAN Treatment of returnees by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administrat ion/belgium/PLib/COI_Focus_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_autho rities_30032020_update_ENG.pdf , Zugriff 17.12.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 6.5.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 6.5.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 6.5.2021

• Kleine Zeitung (3.2.2018): Bericht: ’Besorgniserregender Widerstand gegen Kopftuch’, https://www.kleinezeitung.at/politik/aussenpolitik/5365790/Strafen-helfen-im-Iran-nichtmehr_Besorgniserregender-Widerstand , Zugriff 23.4.2020

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf Zugriff 4.12.2020

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 6.5.2021

• WEF – World Economic Forum (2020): Global Gender Gap Report 2020, http://www3.wef orum.org/docs/WEF_GGGR_2020.pdf , Zugriff 28.12.2020

Kinder

Iran hat das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit dem islamischen Recht) (CRC) und das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC) ratifziert (AA 5.2.2021). Nach einer Häufung von sogenannten Ehrenmorden hat das Parlament 2020 ein Gesetz verabschiedet, das den Schutz von Kindern vor Gewalttaten auch von Verwandten stärken soll. Eine seit über zehn Jahren diskutierte Ergänzung zum Kinderschutzrecht wurde im Juni 2020 verabschiedet, nachdem der Ehrenmord eines 14-jährigen Mädchens durch den eigenen Vater für viel Aufregung gesorgt hatte (AA 5.2.2021). Es enthält neue Strafen für bestimmte Handlungen, die die Sicherheit und das Wohlergehen eines Kindes beeinträchtigen, einschließlich körperlicher Schäden und der Verhinderung des Zugangs zu Bildung. Das Gesetz ermöglicht es den Behörden auch, Kinder in Situationen, die ihre Sicherheit ernsthaft gefährden, umzusiedeln (HRW 13.1.2021). Das Gesetz geht jedoch nicht auf einige der schwerwiegendsten Bedrohungen für Kinder in Iran ein, wie Kinderehen, die Verhängung der Todesstrafe (HRW 13.1.2021; vgl. AI 7.4.2021) und Vergewaltigung in der Ehe (AI 7.4.2021). Zwangsverheiratungen von Minderjährigen kommen vor allem in ländlichen Gebieten vor. Dies betrifft meist Mädchen und dient der finanziellen Entlastung der Familie (AA 5.2.2021). Nach dem iranischen Zivilgesetztbuch können Mädchen ab einem Alter von 13 und Buben ab einem Alter von 15 Jahren heiraten. Mit Zustimmung des Vaters – unter Umständen auch des Großvaters – und eines Richters kann eine Ehe auch vorher geschlossen werden (AA 5.2.2021; vgl. US DOS 30.3.2021, HRW 13.1.2021, ÖB Teheran 11.2021). Nach offiziellen Angaben werden jedes Jahr etwa 30.000 Mädchen unter 14 Jahren verheiratet (AI 7.4.2021). Im Jahr 2020 wurden nach offiziellen Angaben 31.379 Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren verheiratet. Noch jüngere Mädchen werden nicht gezählt, da die Verheiratung von Mädchen ab neun Jahren mit Zustimmung der Eltern und eines religiösen Richters erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021). Eltern dürfen ihre adoptierten Kinder heiraten, sofern ein Gericht zustimmt (AA 5.2.2021).

Seit 2020 können iranische Frauen, die mit ausländischen Männern verheiratet sind, ihren Kindern die Staatsbürgerschaft übertragen (USDOS 30.3.2021; vgl. BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021) [vgl. Kapitel Frauen]. Eine Geburt innerhalb der Landesgrenzen verleiht nicht die Staatsbürgerschaft, es sei denn, ein Kind wird von unbekannten Eltern geboren. Das Gesetz schreibt vor, dass alle Geburten innerhalb von 15 Tagen registriert werden müssen (US DOS 30.3.2021).

Iran ist ein Land, in dem die Bildung einen hohen Stellenwert genießt. In sporadischen Fällen gibt es bereits in Kindergärten eine Trennung nach Geschlechtern, die große Mehrzahl der Kindergärten ist jedoch nicht nach den Geschlechtern getrennt. Schulklassen werden hingegen nach Geschlechtern getrennt mit Schülern und Schülerinnen besetzt. Dies beginnt in der Grundschule und endet beim Besuch der Oberschulen (bis zur 12. Klasse) (AA 5.2.2021). Universitäten bieten mehrheitlich den gemeinsamen Zugang für Männer sowie Frauen an. Es gibt jedoch einige Universitäten in Iran, die lediglich für Männer oder Frauen zugänglich sind (BAMF 7.2020).

Obwohl der Grundschulbesuch bis zum Alter von elf Jahren für alle kostenlos und verpflichtend ist, berichten Medien und andere Quellen über eine geringere Einschulung in ländlichen Gebieten, insbesondere bei Mädchen. Nach Angaben von HRW sieht das oben erwähnte Kinderschutzgesetz finanzielle Strafen für Eltern oder Erziehungsberechtigte vor, die nicht für den Zugang ihrer Kinder zur Sekundarschulbildung sorgen. Die Sekundarschulbildung ist kostenlos. Kindern, die keinen staatlichen Ausweis besitzen, wird das Recht auf Bildung verweigert. In seinem Bericht vom Februar 2019 äußerte sich der UN-Sonderberichterstatter für Iran besorgt über den Zugang von Minderheitenkindern zur Bildung und verwies auf die hohen Grundschulabbrecherquoten bei Mädchen aus ethnischen Minderheiten, die in Grenzprovinzen leben (US DOS 30.3.2021).

Das iranische Recht verbietet Kinderarbeit bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres; bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gibt es diverse Einschränkungen (z.B. keine Schwer-/Nachtarbeit). In Familienbetrieben lässt das Gesetz allerdings auch die Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren zu. In Iran arbeiten daher Millionen von Kindern. Der Staat spricht von zwei Millionen, nach inoffiziellen Schätzungen sind bis zu sieben Millionen Kinder betroffen. Die Hälfte davon ist zwischen sieben und zehn Jahren alt und ca. 85 % sind Buben. Nach offiziellen Statistiken leben über zwei Millionen Kinder in Iran auf der Straße. Viele von ihnen sind als Straßenverkäufer tätig. Politische Initiativen, Straßenkinder in ihre Familien zurückzubringen, verliefen nicht erfolgreich (AA 5.2.2021). Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangstaktiken für den Kampf in Syrien rekrutiert haben. Unter den Rekrutierten sollen sich Kinder im Alter von 14 Jahren befinden (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 1.7.2021).

Verurteilte können für Verbrechen, die sie im Alter von unter 18 Jahren begangen haben, hingerichtet werden (FH 3.3.2021). Die Verhängung der Todesstrafe ist gegen männliche Jugendliche ab dem 15. Lebensjahr, für Mädchen ab dem neunten Lebensjahr möglich (AA 5.2.2021; vgl. HRC 14.5.2021, ÖB Teheran 11.2021, BAMF 7.2020) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2020 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter hingerichtet. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht die Hinrichtung. 2019 wurden erstmals auch zwei zum Zeitpunkt der Hinrichtung Minderjährige verzeichnet (AA 5.2.2021). Nach dem geltenden iranischen Strafgesetzbuch liegt es im Ermessen der Richter, Personen, die ihr mutmaßliches Verbrechen als Kinder begangen haben, nicht zum Tode zu verurteilen (HRW 13.1.2021; vgl. HRC 14.5.2021) [vgl. Kapitel Todesstrafe]. Im März 2021 befanden sich über 80 Kinderstraftäter in der Todeszelle (HRC 14.5.2021). In Gefängnissen sind Erwachsene und Minderjährige oftmals nicht getrennt untergebracht (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021).Im ’Kapitel über die Strafen’ des iranischen Strafgesetzbuches finden sich detaillierte Vorschriften, wie mit Jugendlichen umzugehen ist. Bei Straftaten, die mit ta‘zir-Strafen bedroht sind, wird gegen Kinder und Jugendliche unter 15 Mondjahren eine Reihe von Erziehungsmaßnahmen verhängt, zwischen zwölf und 15 Jahren sind auch leichte Strafen möglich, wie die Ermahnung des Richters, oder eine Selbstverpflichtung keine Straftaten mehr zu begehen. Bei schweren und mittelschweren Straftaten ist die Unterbringung in einem Erziehungszentrum für drei Monate bis zu einem Jahr, unabhängig von den ebenso vorgesehenen milderen Strafen möglich (Artikel 88 iStGB). Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren werden mit Unterbringung in einer Erziehungsanstalt bestraft, die bei schweren Straftaten bis zu fünf Jahren dauern kann, bei mittelschweren und leichten Straftaten kann stattdessen eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit verhängt werden (Artikel 89 iStGB). Bei den hadd- und qisas-Delikten wird eine Person, welche die Strafmündigkeit erreicht hat, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, und das Wesen der Straftat und ihres Verbots nicht erfasst hat, oder an deren geistiger und seelischer Reife Zweifel bestehen, je nach den Umständen mit denselben Strafen wie bei ta‘zir-Delikten bestraft (Artikel 91 iStGB). Zur Feststellung derartiger Zweifel kann das Gericht das Gutachten eines Gerichtsmediziners einholen; es kann sich aber auch jedes anderen Mittels bedienen (gesetzliche Erläuterung zu Artikel 91 iStGB). Das bedeutet, dass es beispielsweise Verwandte, Nachbarn, Lehrer oder andere Personen aus dem nahen Umfeld befragen kann. Damit hat das Gericht aber einen so großen Spielraum, dass es die schweren hadd- und qisas-Strafen bei Personen unter 18 Jahren fast immer vermeiden kann. Strafverfahren unter 18-Jähriger, nach iranischem Recht handelt es sich dabei nicht um Minderjährige, werden grundsätzlich gemäß Artikel 304 der iranischen Strafprozessordnung vor einem Gericht für Kinder und Heranwachsende behandelt (BAMF 7.2020).

Das gesetzliche Mindestalter für einvernehmlichen Sex ist das gleiche wie für die Ehe, da Sex außerhalb der Ehe illegal ist. Es gibt keine speziellen Gesetze zur sexuellen Ausbeutung von Kindern, da solche Straftaten entweder unter die Kategorie Kindesmissbrauch oder Sexualdelikte des Ehebruchs fallen (US DOS 30.3.2021). Aufgrund der mangelnden Transparenz der Regierung bezüglich des Menschenhandels in Iran, insbesondere im Hinblick auf Frauen und Mädchen, werden keine Statistiken vorgelegt (NCRI 21.4.2021). Die Regierung meldete keine Strafverfolgungsmaßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, und Beamte verübten weiterhin ungestraft Delikte in Bezug auf Menschenhandel, darunter den Sexhandel mit Erwachsenen und Kindern (US DOS 1.7.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 23.11.2021

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 24.11.2021

• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2020): Länderreport Nr. 28. Iran. Frauen - Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe, https://coi.easo.e uropa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_28_Iran_July-2020.pdf , Zugriff 24.11.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 24.11.2021

• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 24.11.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 23.11.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

• NCRI - National Council of Resistance Iran (21.4.2021): Trafficking of Iranian Women Often Takes Place Through Three Provinces, https://women.ncr-iran.org/2021/04/21/traffi cking-of-iranian-women/ , Zugriff 23.11.2021

• USDOS – US Department of State [USA] (1.7.2021): 2021 Trafficking in Persons Report: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2055123.html , Zugriff 23.11.2021

• USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 23.11.2021

Sexuelle Minderheiten

Sexuelle Minderheiten in Iran erfahren regelmäßig Diskriminierungen, Belästigungen und Missbrauch auch durch nicht-staatliche Akteure, wie Familienmitglieder, und durch die Gesellschaft. Homosexualität gilt als Krankheit, kann als solche angezeigt werden, befreit vom Militärdienst und sperrt die Betroffenen von derAusübung von Beamtenfunktionen aus.Aus Furcht vor Bestrafung werden Missbrauchsfälle Homosexueller nicht angezeigt (ÖB Teheran 11.2021). Über Belästigungen und Diskriminierung sexueller Minderheiten wird aufgrund der Kriminalisierung und Verborgenheit dieser Gruppen nicht ausreichend berichtet (FH 3.3.2021). Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist nicht verboten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Verboten ist in Iran unabhängig von der Religionsangehörigkeit jede sexuelle Beziehung, die außerhalb der heterosexuellen Ehe stattfindet, also auch homosexuelle Beziehungen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 3.3.2021, GIZ 12.2020c). Auf homosexuelle Handlungen, welche auch als ’Verbrechen gegen Gott’ gelten, steht offiziell Auspeitschung; sie können auch mit dem Tod bestraft werden. Dies besagen diverse Fatwas, die von beinahe allen iranischen Klerikern ausgesprochen wurden (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2021, GIZ 12.2020c). Die Beweisanforderungen sind allerdings sehr hoch, es werden braucht vier männliche Zeugen benötigt. Bei Fällen, in denen zu wenige Zeugenaussagen vorliegen, gibt es ein Ermittlungsverbot. Zudem gibt es hohe Strafen für Falschbeschuldigungen. Bei Minderjährigen und in weniger schwerwiegenden Fällen sind Peitschenhiebe vorgesehen. Auch hierfür sind zwei männliche Zeugen erforderlich (AA 5.2.2021). Im Falle von ’Lavat’ (Sodomie unter Männern) ist die vorgesehene Bestrafung die Todesstrafe für den passiven Partner, falls der Geschlechtsverkehr einvernehmlich stattfand, ansonsten für den Vergewaltiger (ÖB Teheran 11.2021). Homosexuelle Handlungen zwischen Frauen werden mit bis zu 100 Peitschenhieben, bei der vierten Verurteilung mit der Todesstrafe geahndet (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Die Bestrafung von gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern ist meist schwerwiegender als die für Frauen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021). Die Todesstrafe für Homosexualität wurde in den letzten Jahren nur punktuell und meist in Verbindung mit anderen Verbrechen verhängt (ÖB Teheran 11.2021). Aufgrund der mangelnden Transparenz des Gerichtswesens lässt sich der Umfang der strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen wegen Homosexualität nicht eindeutig bestimmen (AA 5.2.2021).

In einem soziokulturell westlich beeinflussten, liberalen Umfeld werden homosexuelle Beziehungen in Einzelfällen de facto geduldet bzw. ignoriert. Seitens der westlichen Botschaften wurde in der Vergangenheit immer wieder über Wohngemeinschaften von Personen gleichen Geschlechts berichtet, die unbehelligt existieren. Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches ’Coming out’ grundsätzlich nicht möglich (AA 5.2.2021). Lesbische Frauen aus traditionellen, armen Familien sehen sich aus sozio-ökonomischen Gründen oder vonseiten der Familie häufig gedrängt, einen Mann zu heiraten (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021).

Transsexualität ist in Iran seit 1987 erlaubt, wird aber laut Gesetz als Geisteskrankheit definiert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021). Laut einer Fatwa Ayatollah Khomeneis sind Geschlechtsumwandlungen für ’diagnostizierte Transsexuelle’ erlaubt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2021, GIZ 12.2020c). Geschlechtsumwandlungen sind zulässig und entsprechende Operationen werden in voller Höhe von den Krankenversicherungen erstattet (AA 5.2.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Nach der Operation dürfen Transgender-Personen heiraten. Die Geschlechtsumwandlungen gelten daher häufig als Weg, von der Heterosexualität abweichende sexuelle Orientierungen oder Identitäten in die Legalität zu bringen (AA 5.2.2021). Nach der Umwandlung ist es möglich, das neue Geschlecht legal registrieren zu lassen (GIZ 12.2020c). Iran hat nach Thailand die höchste Rate an Geschlechtsumwandlungen weltweit (AA 5.2.2021). Es gibt Berichte, die darauf hinweisen, dass Transsexuelle unter Druck gesetzt werden, sich für ein Geschlecht zu entscheiden (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021), um ihre sexuelle Orientierung ausleben zu können (ÖB Teheran 11.2021). Transsexuelle Personen werden häufig sozial stigmatisiert, auch im Berufsumfeld und in der eigenen Familie, sodass manche in die Prostitution gedrängt werden (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 6.5.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 6.5.2021

• HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2043504.html , Zugriff 6.5.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 6.5.2021

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen Ausreisebewilligungen. Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen (US DOS 30.3.2021). Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern, Mitgliedern von religiösen Minderheiten und Wissenschaftern in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen. Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (US DOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021).

Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (4.400.000 IRR, ca. 90€). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 5.2.2021).

Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 5.2.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021

Flüchtlinge

Iran hat die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet und übernimmt seit mehr als drei Jahrzehnten Verantwortung für afghanische und irakische Flüchtlinge im Land (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Die Behörden arbeiten mit dem Büro von UNHCR zusammen, um afghanischen und irakischen Flüchtlingen Hilfe bereitzustellen (US DOS 30.3.2021; vgl. UNHCR 30.9.2020), vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensunterhalt (UNHCR 2020). Die iranische Regierung ist über das Amt für Ausländer- und Einwanderungsangelegenheiten (BAFIA) für die Registrierung von Asylwerbern und Flüchtlingen sowie für die Feststellung des Flüchtlingsstatus in Iran gemäß den iranischen Rechtsvorschriften zuständig. UNHCR in Iran nimmt keine Asylanträge an und entscheidet nicht über Asylanträge (UNHCR 26.9.2021).

Von den Flüchtlingen stellen die afghanischen weiterhin die größte Gruppe, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge weltweit (GIZ 12.2020c). In Iran halten sich ca. 3-4,5 Millionen Afghanen auf, wobei ca. 300.000 seit Machtergreifung der Taliban Anfang August 2021 nach Iran geflohen sind (ÖB Teheran 11.2021). Einem eingeschränkten Kreis von 951.000 Amayesh-Karteninhabern, die Zugang zu Gesundheitsdiensten und zum Bildungssystem haben, stehen 1,5-2 Mio. nicht registrierte Flüchtlinge und 450.000 Afghanen mit Pass und Visum gegenüber. Die Regierung hatte im Jahr 2017 mit einer schrittweisen Ausweitung der Registrierung begonnen, die mittlerweile abgeschlossen wurde. 800.000 nicht dokumentierte Afghanen wurden erfasst, unklar ist aber noch, was für einen Status sie erhalten werden. Angesichts des anhaltenden Drucks durch die US-Wirtschaftssanktionen wird es für Iran immer schwieriger, das Engagement für die Flüchtlinge innenpolitisch zu rechtfertigen. Bislang wirkt sich dies jedoch nicht auf die Leistungen für die Flüchtlinge aus. In enger Zusammenarbeit verfolgt die Flüchtlingsbehörde BAFIA die Projekte, die internationale und lokale NGOs umsetzen, um die Verhältnisse der Flüchtlinge im Land zu verbessern (AA 5.2.2021). Internationale Organisationen wie UNHCR und NGOs bestätigen, dass Iran afghanische Flüchtlinge einerseits in den vergangenen Jahren sehr großzügig aufgenommen und behandelt, andererseits aber sehr wenig internationale Unterstützung erhalten hat (ÖB Teheran 11.2021).

Mit der Durchführung des Amayesh-Programms für Flüchtlinge in Iran wurde in der Zeit von 2001 bis 2003 begonnen. Im Jahr 2001 begann man mit den Vorregistrierungen und im Jahr 2003 wurde die erste Amayesh-Runde durchgeführt. Die Personen, die durch das Programm registriert worden sind, bekamen sogenannte Amayesh-Karten ausgestellt, die unter anderem das Recht auf medizinische Versorgung und Ausbildung einschließen. Die Amayesh-Karten haben eine begrenzte Gültigkeit und um ihren legalen Status in Iran nicht zu verlieren, müssen sich Amayesh-registrierte Personen bei jeder Registrierungsrunde, die in Iran durchgeführt wird, erneut registrieren. Der Prozess zur erneuten Registrierung ist immer noch mit Schwierigkeiten und unterschiedlichen Ausgaben verbunden, die in den unterschiedlichen Provinzen variieren können. Normalerweise geschieht die Erneuerung jedes Jahr, die Kosten liegen bei 200–300 US-Dollar für eine Familie mit fünf Personen (hierin sind die Kosten für die Arbeitserlaubnis für eine Person sowie die Provinzsteuer inkludiert). Die iranischen Behörden geben im Internet bekannt, wenn es Zeit für eine neue Amayesh-Runde ist. Sie informieren auch über andere Regeln online und erwarten, dass sich die Betroffenen auf dem Laufenden halten, was nicht immer der Fall ist. Hilfsorganisationen richten sich mit extra Information an die am meisten schutzbedürftigen Gruppen, damit sie nicht verpassen, sich erneut für eine neue AmayeshKarte oder den Schulbesuch der Kinder zu registrieren (Lifos 10.4.2018).

Die Afghanen, die vor 2001 nach Iran gekommen sind, werden – vorausgesetzt, dass sie sich bei sämtlichen Amayesh-Registrierungen registriert haben – von den iranischen Behörden als Flüchtlinge betrachtet. Das Amayesh-System ist aber kein offenes System, was bedeutet, dass neu eingereiste Afghanen kein Asyl in Iran beantragen können. Seit 2001 werden im Prinzip keine Neuregistrierungen mehr vorgenommen. Zu den Ausnahmen gehören wenige, besonders schutzbedürftige Fälle. Kinder von Amayesh-registrierten Eltern werden registriert (Lifos 10.4.2018). Die Behörden erlauben aber auch unregistrierten afghanischen Kindern den Schulbesuch (HRW 14.5.2019; vgl. ÖB Teheran 11.2021, AA 5.2.2021). Wenn eine Person ihren Amayesh-Status infolge einer verpassten Registrierung verliert, gibt es keine Möglichkeit zur erneuten Registrierung. Amayesh-Registrierte verlieren ihren Status, wenn sie Iran verlassen, weil der Amayesh-Status keine Ausreise erlaubt (Lifos 10.4.2018).

Amayesh-registrierteAfghanen haben das Recht, eineArbeitsgenehmigung zu beantragen (Lifos 10.4.2018; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Männer im Alter von 18 bis 65 sind dazu verpflichtet, dieses in Zusammenhang mit der Amayesh-Registrierung zu tun. Amayesh-registrierte Frauen können keine offizielle Arbeitserlaubnis in Iran beantragen, aber in der Praxis arbeiten auch einige afghanische Frauen – oft zu Hause. Der Arbeitsmarkt für Afghanen in Iran ist reguliert und Afghanen haben das Recht, in 87 verschiedenen Berufen zu arbeiten. Ein Problem für Amayesh-registrierte, ausgebildete Personen ist, dass die Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt bedeuten können, dass sie nicht in dem Bereich arbeiten können, für den sie ausgebildet sind. Was den Zugang der afghanischen Bevölkerung zum Arbeitsmarkt sowie die Möglichkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen angeht, haben die iranischen Behörden in den letzten Jahren frühere Restriktionen verringert. In einzelnen Fällen, wo eine Amayesh-registrierte Person eine gewisse Berufskompetenz besitzt, die nicht unter die 87 erlaubten Berufe fällt, kann eine Ausnahme gestattet werden (Lifos 10.4.2018). Die meisten Flüchtlinge gehen eher minderwertigen und schlecht bezahlten Arbeiten v.a. im informellen Sektor (Bau, Reinigung/Müllabfuhr oder Landwirtschaft) nach, die offiziell versicherungspflichtig sind (AA 5.2.2021).

Als Teil der Bestrebungen der iranischen Behörden, Kontrolle über die sich illegal im Land aufhaltenden Afghanen zu bekommen, wurde 2017 ein Programm zur Identifikation und Registrierung afghanischer Staatsbürger durchgeführt. Dieser sogenannte ’headcount’ richtete sich zu Beginn nur auf Afghanen, wurde aber später auch auf irakische Staatsbürger im Land ausgeweitet. Bis Mitte September 2017 wurden durch dieses Programm ca. 800.000 ausländische Staatsbürger mit illegalem Aufenthalt im Land identifiziert. Hinsichtlich sich illegal im Land aufhaltender Afghanen wurde das Hauptaugenmerk in der ersten Runde auf drei besondere Kategorien gerichtet:

1. Unregistrierte Afghanen mit in die Schule gehenden Kindern;

2. Unregistrierte Afghanen, die mit Amayesh-registrierten Personen verheiratet sind;

3. UnregistrierteAfghanen, die mit iranischen Staatsbürgern verheiratet sind (Lifos 10.4.2018).

Personen aus diesen Kategorien, die eine dem Programm entsprechende Identifikation durchlaufen haben, haben einen Papierbeleg (headcount slip) erhalten, der sie bis auf Weiteres davor schützt, aus Iran deportiert zu werden. Die Möglichkeit zur Teilnahme an dem Programm wurde auf früher Amayesh-registrierte Personen oder Visumsinhaber, die ihren Status aus irgendeinem Grund verloren haben, ausgeweitet. Der Fokus der iranischen Behörden liegt darauf, den Aufenthalt der Afghanen, die sich illegal im Land befinden, zu erfassen und zu regulieren, und nicht auf Deportationen (Lifos 10.4.2018). Im November 2018 hat die Regierung erneut eine Registrierungsinitiative für in Iran legal sowie illegal arbeitende Ausländer eingeleitet. In diesem Kontext wurden zum Schuljahr 2019/2020 erneut nicht-registrierte Flüchtlingskinder in das Schulsystem aufgenommen. Derzeit werden über 130.000 sogenannte ’blue card holders’ gezählt, die infolge eines Dekrets des Obersten Revolutionsführers aus dem Jahr 2015 neu eingeschrieben werden konnten, bei insgesamt 480.000 Kindern aus Flüchtlingsfamilien (auch Iraker). Neben dem Abschiebeschutz für die ganze Familie geht damit der Zugang zu einer besseren Grundversorgung mit Nahrungsmitteln sowie Beratung und Gesundheitsfürsorge einher (AA 5.2.2021). Auch die Schulgebühren für Flüchtlingskinder wurden 2016 aufgehoben. Dennoch finden nicht alle Kinder einen Schulplatz, auch weil erschwingliche Transportmöglichkeiten zur nächsten Schule fehlen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. ACCORD 5.2020), die Kinder illegal arbeiten geschickt werden, die allgemeine Einschreibegebühr von umgerechnet 60 USD zu hoch ist, oder Eltern iranischer Kinder gegen die Aufnahme von afghanischen Kindern sind (ÖB Teheran 11.2021). Flüchtlingskinder lernen Seite an Seite mit ihren iranischen Klassenkameraden nach dem iranischen Lehrplan. Allein im Jahr 2019 schuf Iran in seinen Schulen Platz für etwa 60.000 zusätzliche afghanische Schüler. Es gibt einige von der afghanischen Gemeinschaft betriebene Schulen, in denen in Dari oder anderen in Afghanistan gesprochenen Sprachen unterrichtet wird, aber diese Schulen wurden erst vor Kurzem offiziell anerkannt, nachdem sie zuvor regelmäßig von den Behörden geschlossen wurden (ACCORD 5.2020). Auch der Zugang zu höherer Bildung ist möglich, dafür muss jedoch der Flüchtlingsstatus aufgegeben, und ein Studentenvisum beantragt werden. Nach dem Studium besteht daher die Gefahr, keine Aufenthaltserlaubnis mehr zu erlangen. Infolgedessen beantragen viele stattdessen Asyl in Europa, um dort ihre Ausbildung fortzusetzen, obwohl sie dies lieber in Iran gemacht hätten (ÖB Teheran 11.2021).

Die Krankenversicherungsleistungen für registrierte Flüchtlinge sollen erweitert und möglichst alle Flüchtlinge in medizinische Betreuungsmaßnahmen aufgenommen werden. Dazu bedient sich die Flüchtlingsbehörde BAFIA zunehmend eines Überweisungssystems von besonders schwierigen Fällen an internationale NGOs oder den UNHCR. Dieser ist mit Gesundheitsstationen in 18 Provinzen tätig und hat mit einem zusätzlichen Versicherungsangebot innerhalb des bestehenden Salamat-System (UPHI) [Krankenversicherung] im 6. Zyklus in 100.000 Härtefällen Hilfe geleistet (AA 5.2.2021). Afghanen haben auch ohne Aufenthaltstitel Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Medizinische Grundversorgung ist für alle Menschen in Iran gratis zugänglich, nicht registrierte Flüchtlinge haben jedoch oft Angst, abgeschoben zu werden, und nehmen diese nicht in Anspruch. Seit 2016 können sich alle registrierten Flüchtlinge in der staatlichen Krankenversicherung registrieren, müssen allerdings eine Gebühr zahlen, die sich viele nicht leisten können. UNHCR zahlt diese Gebühr für die vulnerabelsten Flüchtlinge (ÖB Teheran 11.2021). 120.000 Flüchtlinge wurden von UNHCR beim Zugang zur iranischen Krankenversicherung unterstützt.Die Krankenversicherung zielt darauf ab, den am stärksten gefährdeten afghanischen Flüchtlingen den nötigen Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen. UNHCR übernahm die Kosten für die Versicherungsprämien der schutzbedürftigen Flüchtlinge, die 2020 in der iranischenAllgemeinen Krankenversicherung (UPHI) eingeschrieben waren. Angesichts der COVID-19-Pandemie und des anhaltenden wirtschaftlichen Abschwungs in Iran hat UNHCR die Zahl der von dem Programm erfassten Flüchtlinge vorübergehend erhöht. Trotz der Herausforderungen gewährt Iran den Flüchtlingen weiterhin großzügig Zugang zu Bildung und Gesundheitsdiensten. Iran ist eines von nur einer Handvoll Ländern auf der Welt, die Flüchtlingen die Möglichkeit bietet, sich wie iranische Staatsangehörige in eine nationale Krankenversicherung für wesentliche sekundäre und tertiäre öffentliche Gesundheitsdienste einzuschreiben. Das nationale Versicherungssystem ermöglicht eine kostenlose COVID-19-Behandlung und Krankenhausaufenthalte. Es subventioniert auch die Kosten für Operationen, Dialyse, Radiologie, Labortests, ambulante Versorgung und mehr. Viele Flüchtlinge können sich die Prämienkosten jedoch nicht leisten. Die Auswirkungen der Pandemie auf den Lebensunterhalt sind besonders schwerwiegend für Flüchtlinge, die oft auf prekäre und instabileArbeitsplätze angewiesen sind. Viele können ihre Grundbedürfnisse nicht mehr decken, geschweige denn die Kosten für die Krankenversicherung, die schätzungsweise rund 40% der monatlichen Ausgaben einer durchschnittlichen Flüchtlingsfamilie ausmachen (UNHCR 6.4.2021).

Kulturell, sprachlich, religiös und in den Grenzbereichen auch ethnisch bestehen Gemeinsamkeiten zwischen Iranern und Afghanen. Iranische Behörden fürchten jedoch einen noch größeren Zustrom von Afghanen in den kommenden Monaten und verweisen auf die bereits große afghanische Gemeinde in Iran, die schlechte Wirtschaftslage angesichts der US-Sanktionen und die Auswirkungen der Covid-Pandemie. Es werden Spannungen zwischen residenter Bevölkerung und den Neuankömmlingen befürchtet. Bereits bisher werden Afghanen teilweise diskriminiert, und es kommt zu Protesten gegen Afghanen, z.B. gegen die Aufnahme afghanischer Kinder an Schulen (ÖB Teheran 11.2021). Afghanen sind im Großen und Ganzen - auch wenn sie zum Teil bereits in der zweiten Generation in Iran leben, wenig integriert. 15% der Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Europa machen, haben mindestens sechs Monate in Iran verbracht (AA 5.2.2021). Neu angekommene Afghanen haben meist keine Probleme, in Iran eine Wohnung zu finden. Dies liegt daran, dass die afghanische Gesellschaft eine starke Netzwerkgesellschaft mit festen Beziehungen innerhalb der Netzwerke ist. Diejenigen, die nach Iran kommen, haben oft bereits Familienmitglieder im Land, bei denen sie wohnen können. Afghanen in Iran unterstützen sich gegenseitig und dieses kann auch für Personen gelten, die nicht miteinander verwandt sind. Viele Afghanen mieten große Wohnungen und es können viele Personen in einem Haushalt wohnen. Afghanen in Iran haben ungeachtet dessen, ob sie Amayesh-registriert sind oder nicht, nicht das Recht dazu, ein Haus oder eine Wohnung zu besitzen, sondern können diese nur mieten. Die Wohnungskosten stellen einen der größten Ausgabenposten für Afghanen in Iran dar. Bei der Anmietung eines Hauses wird eine Kaution an den Besitzer bezahlt und je größer die Kaution, die hinterlegt werden kann, desto billiger werden die Mietkosten (Lifos 10.4.2018).

Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen sind, obwohl keine Seltenheit, schwierig, da die iranischen Behörden dafür Dokumente der Botschaft oder der afghanischen Behörden benötigen. Staatenlosen wird von einigen Provinzverwaltungen Zugang zur öffentlichen Grundversorgung und das Ausstellen von Reisedokumenten und sonstigen Papieren verwehrt; eine einheitliche Praxis fehlt (ÖB Teheran 11.2021). Mittlerweile ist es möglich, dass iranische Frauen ihre Staatsbürgerschaft an Kinder mit einem ausländischen Vater weitergeben können [vgl. hierzu Kapitel Frauen] (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 31.3.2021).

Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangsmaßnahmen für den Kampf in Syrien rekrutiert haben. Human Rights Watch berichtete, dass sich unter den Rekrutierten auch Kinder im Alter von 14 Jahren befinden (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 30.3.2021).

Die freiwillige Rückkehr registrierter afghanischer Flüchtlinge lag 2019 mit 1.609 im vergleichbaren Rahmen wie im Vorjahr (Vergleichszeitraum 2018: 1.450). Nach Angaben des UNHCR erfolgen 40% dieser Ausreisen durch Studenten in der Absicht, mit einem entsprechenden Visum wieder nach Iran einzureisen (AA 5.2.2021). Seit Jahresbeginn 2020 sind laut UNHCR bislang (Stand Oktober 2020) mit 695.677 deutlich mehr nicht registrierte Afghanen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt als im Vorjahr (2019 dagegen insgesamt nur 476.887), 259.084 der Rückkehrenden wurden abgeschoben. UNHCR führt dies auf die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage in Iran sowie die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zurück (AA 5.2.2021). UNHCR verzeichnete, dass 16.300 Afghanen, die ’potenziell internationalen Schutz benötigen’ zwischen Jänner und September 2021 neu nach Iran eingereist sind. Mitte September 2021 brauchten Afghanen einen Pass und ein Visum, um nach Iran einzureisen, mit wenigen Ausnahmen aus medizinischen Gründen. Infolgedessen meldete UNHCR eine Zunahme der Bewegungen von Afghanen ohne Papiere, die auf dem Landweg irreguläre Grenzübertritte nach Iran vornehmen (AI 10.2021).

Im Mai 2020 griffen iranische Grenzposten zahlreiche Afghanen auf, darunter auch Minderjährige, die auf der Suche nach Arbeit die Grenze überschritten hatten. Die Personen wurden geschlagen und mit vorgehaltener Waffe in den iranisch-afghanischen Grenzfluss Hariroud gezwungen. Dabei ertranken mehrere Menschen. Die Behörden wiesen jede Verantwortung für den Vorfall zurück (AI 7.4.2021).

Seit Beginn der Corona Pandemie gab die Regierung immer wieder bekannt, dass die Behandlung für ausländische Covid-19 Patienten kostenlos erfolge. Mit Unterstützung des GAVICOVAX-Mechanismus erhält Iran mittlerweile auch kostenlose Impfstoffe zum Impfen für die Afghanen im Land (ÖB Teheran 11.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021

• ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (5.2020): Das Schulsystem im Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2030055/Schulsy stem+Iran_Mai+2020.pdf , Zugriff 13.1.2020

• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021

• AI – Amnesty International (10.2021): Like an obstacle course: Few routes to safety for Afghans trying to flee their country [ASA 11/4832/2021], https://www.ecoi.net/en/file/local /2062588/ASA1148322021ENGLISH.pdf , Zugriff 26.11.2021

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.12.2020

• HRW – Human Rights Watch (14.5.2019): Iran: Parliament OKs Nationality Law Reform, https://www.ecoi.net/de/dokument/2008705.html , Zugriff 28.4.2021

• Lifos – Lifos/Migrationsverket [Schweden] (10.4.2018): Afghanistan: Afghanen im Iran [Original: Afghaner i Iran]. Arbeitsübersetzung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich], https://www.ecoi.net/en/file/local/1434046/5818_1528099872_afghba-analysen-afghanen-im-iran-2018-05.pdf , Zugriff 28.4.2020

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

• UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (30.9.2020): Iran, Afghan Voluntary Repatriation - Jan to Sep 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2039223/IRN+VolRep+Se ptember+2020+-+EXT.pdf , Zugriff 13.1.2021

• UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (6.4.2021): 120,000 refugees assisted to access Iran’s health insurance scheme, https://www.unhcr.org/news/briefing/2021/4/606 c19ad4/120000-refugees-assisted-access-irans-health-insurance-scheme.html , Zugriff

17.5.2021

• UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (2020): Iran. Year in Review 2020, https:// www.ecoi.net/en/file/local/2047227/IRN+Year+in+Review+2020.pdf , Zugriff 26.11.2021

• UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (26.9.2021): Announcement on Services Available for the Undocumented, https://www.ecoi.net/de/dokument/2060978.html , Zugriff 26.11.2021

• US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 5.5.2021

Grundversorgung

Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der monatliche Mindestlohn für eine vierköpfige Familie mit einer erwerbstätigen Person liegt bei umgerechnet etwa 100 Euro im Monat (aufgrund Inflation und Wechselkursveränderung stark schwankend). Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei ca. 54,6 Mio. IRR (ca. 400 Euro pro Monat) (AA 5.2.2021).

Angesichts der immer schärferen US-Sanktionen gegen Iran und des dramatischen Währungsverfalls hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. BS 2020). Gründe sind die US-Sanktionen und deren extraterritoriale Anwendung und damit Zurückhaltung europäischer Unternehmen vor Geschäften mit Iran, aber auch die Folgen der Corona-Pandemie. Viele Privatunternehmen mussten aufgrund fehlender Devisen und Importmöglichkeiten von Rohstoffen, Bestandteilen oder Ausrüstung die Produktion drosseln oder schließen (ÖB Teheran 11.2021).

Neben Arbeitslosigkeit spielt in Iran auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen, aber auch ein beträchtlicher „Braindrain“, der die iranische Gesellschaft und Wirtschaft beeinträchtigt (ÖB Teheran 11.2021). Aufgrund der COVID19-Pandemie haben im Jahr 2020 ca. eine Million Menschen ihren Arbeitsplatz verloren (HRC 14.5.2021). Angesichts der Kaufkrafteinbußen können viele Menschen ihre Lebenserhaltungskosten nur sehr knapp abdecken, jede Verschlechterung führt zu Verzweiflung. So kam es zu lokal begrenzten kurzzeitigen Protesten und Streiks, etwa wegen Gehaltsrückständen und schlechten Arbeitsbedingungen, aufgrund des Preisdrucks in der Produktion (ÖB Teheran 11.2021).

Die iranische Wirtschaft ist weitestgehend zentralisiert und steht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle (GIZ 12.2020b). Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80 % der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, während der private und kooperative Sektor nur 20 % ausmacht (BS 2020). So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher eine eigenständige Wirtschaft nur bedingt entwickeln. Eine etablierte Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe (GIZ 12.2020b). Die iranische Regierung ist der größte Monopolist des Landes, gefolgt von den Revolutionsgarden und anderen einflussreichen Institutionen und Menschen. Es gibt ein Gesetz gegen das Monopol, obwohl noch nie ein Unternehmen oder eine Person für monopolistische Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen wurde (BS 2020). Erst in den letzten eineinhalb Jahrzehnten wurden, vor allem durch die 2001 gegründete Iranian Privatization Organization, vermehrt Anstrengungen zur Privatisierung weiterer Teile der Wirtschaft unternommen. Der wichtigste Sektor der iranischen Wirtschaft ist die Erdöl- und Erdgasproduktion. Die Ölförderung ist durch die National Iranian Oil Company monopolisiert, 80-85 % der staatlichen Einnahmen stammen aus dem Ölverkauf. Da zudem etwa 60% dieses Budgets in die Finanzierung staatlicher Unternehmen und Institutionen fließen, ist Iran nahezu komplett von den Einnahmen aus dem Ölexport abhängig. Nicht nur die Wirtschaft, auch der Lebensstandard vieler Iraner hängt vom Ölpreis ab. Problematisch sind auch die völlig veralteten Förderanlagen und Raffinerien des Landes. Aufgrund der Sanktionen konnten diese nicht modernisiert werden. Hindernisse bei der Modernisierung iranischer Förderanlagen und Raffinerien führten nicht zuletzt dazu, dass in den letzten Jahren immer wieder große Mengen an Benzin importiert werden mussten, um den heimischen Bedarf zu decken. Da Benzin lange staatlich subventioniert wurde, kostete dies den Staat in den letzten Jahren etwa 11 % des BIP. Hebt die Regierung den Benzinpreis an oder begrenzt die ausgegebenen Rationen, führt das immer wieder zu teils gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 12.2020b). Soziale Unzufriedenheit war in den letzten Jahren mehrmals der Hintergrund von Unruhen in der Bevölkerung. Bei den gewalttätigen Unruhen im November 2019 starben Hunderte Menschen (Landinfo 12.8.2020) und Tausende wurden verletzt (FH 3.3.2021) [Bezüglich der Unruhen vgl. Sie bitte das Kapitel zur Versammlungsfreiheit].

Ein wichtiger, in nicht wenigen Bereichen sogar zentraler Faktor der iranischen Wirtschaft sind die halbstaatlichen religiösen Stiftungen, die Bonyads (GIZ 12.2020b; vgl. BS 2020). Heute gibt es etwa 120 davon. Hier verschmelzen Religion, Politik und Wirtschaft am deutlichsten. Entsprechend islamischer Grundsätze ist die Hauptaufgabe einer religiösen Stiftung die öffentliche Wohlfahrt, etwa in Form des Erhalts von Straßen oder der Pflege eines Pilgerzentrums. Daneben sind viele der Stiftungen heute jedoch international agierende Großkonzerne. Die größte Stiftung des Landes ist die Ostan-e Qods-e Rezavi, die Imam Reza Stiftung, die sich der Instandhaltung des religiösen Zentrums in Maschhad widmet. Daneben ist die Stiftung jedoch im (Teil-)Besitz zahlreicher Industrieunternehmen, wie etwa der Teheraner Busgesellschaft, und setzt jährlich geschätzte 14 Milliarden Dollar um. Zudem ist sie der größte Grundbesitzer des Landes. Die Bonyad-e Mostazafan wa Dschanbazan, die Stiftung der Unterdrückten und Kriegsveteranen, offiziell zuständig für die Versorgung der Kriegsversehrten und Armen, steht hingegen hinter der National Iranian Oil Company. Politisch steht sie den Revolutionswächtern nahe, viele ihrer hohen Beamten kommen aus deren Reihen. Vor allem mit Hilfe dieser Stiftungen, die beide offiziell direkt dem Revolutionsführer unterstehen, setzt der iranische Staat seine Vorstellungen einer islamischen Wirtschaftspolitik um und verteilt großzügig Gelder für politische Gefälligkeiten (GIZ 12.2020b). Diese Institutionen sind weder der Regierung noch der Justiz gegenüber rechenschaftspflichtig. Außerdem genießen die Bonyads viele Privilegien wie Steuerbefreiungen und einen ausschließlichen Zugang zu lukrativen Regierungsverträgen (BS 2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020

• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net /de/dokument/2046519.html ,Zugriff 29.4.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff 29.4.2021

• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 26.11.2021

• Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 14.1.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

Sozialbeihilfen

Dem Arbeitsministerium ist die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten ’Hohen Versicherungsrat’ (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Der Hauptversicherer ist die ’Organisation für Sozialversicherung’ (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in das System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Viele Kliniken und Spitäler dieser Organisation befinden sich in städtischen Gegenden (ÖB Teheran 11.2021). Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Beitragsjahren. Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch in der Höhe von ca. 20 Euro pro Kind. Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 70-80 % des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird. Schließlich erhält ein geringer Teil der nicht oder gering verdienenden iranischen Bevölkerung zur Sicherung der Grundversorgung monatlich 500.000 IRR (ca. 2 Euro, sog. Yarane; Umrechnungskurs stark schwankend) (AA 5.2.2021). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020).

Iranischen Bürgern stehen unterschiedliche Arten von Versicherungsschutz zur Verfügung. Bei der obligatorischen Versicherung werden Arbeitnehmer von den Arbeitgebern versichert. 7 % der Prämie werden von den Arbeitnehmern und 23 % von den Arbeitgebern gezahlt. Weiters steht den Eigentümern der Unternehmen eine freiwillige Abdeckung zur Verfügung. Es gibt drei Prämiensätze von 12 %, 14 % und 18 %, die zulasten der Versicherten gehen. Das System deckt alle Angestellten und Freiberuflichen ab, wobei Letztere zwischen verschiedenen Stufen wählen können. Ein freiwilliger Versicherungsschutz ist für zuvor versicherte Personen zwischen 18 und 50 Jahren verfügbar. Dieser ist vollständig von der versicherten Person zu zahlen. Spezielle Systeme gibt es darüber hinaus für Staatsangestellte und Militärangehörige. Generell ist für Angestellte die Mitgliedschaft im Sozialversicherungssystem verpflichtend. Die Sozialversicherung schützt im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Berufsunfällen und auch bei altersbedingtem Ausscheiden. Seit 2003 wurden die zuständigen Institutionen zusammengelegt, um Ineffektivität und Redundanzen zu vermeiden. Zuschüsse und Leistungen werden auf Basis des Gehalts (insbesondere der letzten zwei Jahre) der zu versichernden Person berechnet, sowie auf Basis der monatlichen Zahlungen bei privat versicherten Personen. Solange Rückkehrende für eine iranische Organisation/Firma arbeiten, übernehmen die Arbeitgeber den Großteil der Beiträge. Ansonsten muss (je nach gewähltem Angebot) selbst eingezahlt werden. Angestellte müssen 7 % des monatlichen Gehalts abgeben, während Selbstständige und Private einen individuell abgestimmten Beitrag bezahlen (IOM 2021). Die Mittel für die Altersrente werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Altersrente wird über die Pensionskasse für Beamte, über die Organisation für soziale Sicherheit sowie über 16 weitere Pensionsfonds in Iran bereitgestellt. Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt. Zu den Angehörigen zählen Witwe/Witwer, Kinder (das heißt Söhne bis zum Alter von 20 Jahren und Töchter bis zur Heirat) und Eltern. Die Rente des Ehepartners beträgt 50 % der Alters- oder Invalidenrente der versicherten Person, während sie für Waisen 25 % und für Eltern 20 % beträgt. Die kombinierte Hinterbliebenenrente darf nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder über der Rente des Verstorbenen liegen. In Iran gibt es einen gesetzlichen monatlichen Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmer, der unter Berücksichtigung der Inflation jährlich neu berechnet wird. Im April 2020 lag der Mindestlohn bei 18,34 Millionen Rial (ca. 113 USD). Darüber hinaus zahlt der Staat (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (yaraneh-ye naqdi), wobei der Gesamtbetrag für einen unverheirateten Arbeitnehmer 25 Millionen Rial (ca. 155 USD) und 30 Millionen Rial (ca. 186 USD) für einen verheirateten Arbeiter pro Monat beträgt. Familienbeihilfe wird im Rahmen von Sozialversicherungssystemen für Eltern gewährt, die mindestens 720 Tage gearbeitet und Beiträge gezahlt haben. Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist. Die Familienbeihilfe wird monatlich gezahlt und als das Dreifache des gesetzlichen täglichen Mindestlohns eines ungelernten Arbeitnehmers für jedes Kind berechnet. Die Leistungen werden jährlich angepasst (Landinfo 12.8.2020).

Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen) (AA 5.2.2021). Als Teil des iranischen Sozialwesens haben alle iranischen Bürger das Recht auf kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung. Alle Bürger können über die Wohlfahrtsorganisation TAMIN EJTEMAEI eine Sozialversicherung beantragen. Darüber hinaus können Leistungen von Arbeitgebern oder privaten Anbietern und Organisationen angeboten werden (IOM 2021).

Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt um die ’sadeqe’, die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße. Ein Ansatz, gerade der Armut auf dem Land entgegenzuwirken, ist Bildung. Der Staat schickt beispielsweise Studenten, die als Pflichtteil des Studiums in Dörfern abgelegener Regionen unterrichten müssen. Viele weitere staatliche Anstrengungen zur Bekämpfung der Armut werden jedoch dadurch behindert, dass der Staat selbst aufgrund des Verfalls des Ölpreises in finanziellen Schwierigkeiten steckt (GIZ 12.2020b). Die staatliche Wohlfahrtsorganisation betreibt Selbsthilfegruppen für Familien in schwierigen Situationen, die in Familienzentren organisiert sind. Einige erhalten Unterstützung bei der Arbeitssuche. Ein Projekt mit einem Mikrofinanzierungsansatz umfasst 50.000 Menschen - nicht nur Frauen, sondern auch Landbevölkerung und andere. Ziel ist es, die Armut zu verringern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf weiblichen Ernährern. Es gibt ca. drei Millionen Familien, die von Frauen geführt werden. 180.000 von ihnen werden von der staatlichen Wohlfahrtsorganisation betreut. Das Budget ist begrenzt und nicht alle Bedürftigen erhalten Hilfe. Die Leistungen gehen nicht unbedingt an die Frauen, sondern können beispielsweise die Bildung für Kinder abdecken (Landinfo 12.8.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff 30.12.2020

• IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https: //milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2 , Zugriff 19.11.2021

• Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 30.12.2020

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

Medizinische Versorgung

Seit der Islamischen Revolution hat sich das iranische Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung (ÖB Teheran 11.2021). Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität, deren Rektor die Verantwortung für das Gesundheitswesen in der betroffenen Provinz trägt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. IOM 2021). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z.B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021). Neben den medizinischen Universitäten wird ein Teil der Dienstleistungen von Versicherungsunternehmen und den Provinz- und Bezirkseinheiten erbracht. Die dezentralen Einrichtungen (Gesundheitshäuser, ländliche Gesundheitszentren) bieten in den Räumlichkeiten der medizinischen Universitäten kostenlose Dienstleistungen an. An anderer Stelle bezahlt die erkrankte Person einen kleinen Betrag, um eine medizinische Behandlung zu erhalten (IOM 2021). Darüber hinaus gibt es im ganzen Land viele NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen, die Gesundheitseinrichtungen betreiben, deren Zugang auf einer Bedarfsanalyse basiert, ohne dass auf einen vorherigen Versicherungsschutz Bezug genommen wird. Die Mahak-Gesellschaft zur Unterstützung krebskranker Kinder ist beispielsweise ein bekanntes gemeinnütziges Forschungs-, Krankenhaus- und Rehabilitationszentrum für Kinder mit Krebs. Die Patienten werden von Ärzten im ganzen Land an Mahak überwiesen. Laut einem Vertreter von Mahak wird jedes Kind, bei dem Krebs diagnostiziert wird, entweder im Mahak-Krankenhaus oder in anderen Krankenhäusern behandelt. Mahak deckt auch die Behandlung von Patienten in anderen Krankenhäusern in Iran ab. Die Behandlung ist kostenlos und die Patienten müssen nicht versichert sein, um eine Behandlung zu erhalten. Selbst Verwandte können bei der Begleitung ihrer kranken Kinder eine Finanzierung für die Unterkunft erhalten. Mahak empfängt Krebspatienten auch aus mehreren Nachbarländern (Landinfo 12.8.2020).

Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). Der Rote Halbmond ist auch die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. In jedem Bezirk gibt es Ärzte, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitszentrum kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2021).

Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Das Gesundheitswesen ist zwar fast flächendeckend - laut WHO haben 98% aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung - die Qualität schwankt jedoch (GIZ 12.2020c). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischen Standards. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 24.11.2021a). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Folgende Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan sowie Sistan und Belutschistan. Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).

Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen ’Behvarz’ (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u.a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird. In Städten übernehmen sogenannte ’Gesundheitsposten’ in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren anzufinden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 11.2021). Bis zu 90 % der Bevölkerung in ländlichen Regionen haben Zugang zu Basisgesundheitsdienstleistungen. Auch in städtischen Regionen gibt es eine Vielzahl an Gesundheitszentren (IOM 2021). Weitere staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser. Die medizinische Belegschaft in Iran umfasst insgesamt mehr als 51.000 Allgemeinärzte, 32.000 Fachärzte, 115.000 Krankenschwestern, 33.000 Hebammen und 35.000 örtliche Gesundheitshelfer (behvarz) (Landinfo 12.8.2020). Im Jahr 2020 wurden 161 Projekte zum Bau ländlicher Gesundheitszentren abgeschlossen. Somit wurde der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen verbessert. Daneben hat das Überweisungssystem bei Hausärzten dazu beigetragen, dass Servicepakete für Prävention, Pflege und Behandlung auch in ländlichen Gebieten angeboten werden (IOM 2021).

Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer out-of-pocket-Zahlungen von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Es ist jedoch anzuführen, dass der Anteil derartiger Zahlungen durch die Patienten in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen ist. Vor dem Health Transformation Plan im Jahr 2014 waren Out-of-pocketZahlungen die Hauptfinanzierungsquelle, und lagen über 50 % der Kosten. 2010 erreichten die Zahlungen einen Höchststand von 58 %, während sie bis 2016 auf 35,5 % zurückgingen. Dies ist jedoch noch weit von dem erklärten Ziel entfernt, die Out-of-pocket-Zahlungen auf unter 30 % zu senken. Dies bedeutet, dass das Zahlungssystem nach wie vor weitgehend auf Servicegebühren sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitswesen basiert (Landinfo 12.8.2020). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 12.2020c). Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).

Alle iranischen Staatsbürger inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt zwei verschiedene Arten von Krankenversicherungen, jene über den Arbeitsplatz oder eine private Versicherung. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/ . Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt. Um eine Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig. Zusätzliche Dokumente können später gegebenenfalls angefordert werden (IOM 2021).

Allen iranischen Bürgern stehen mehrere Arten eines primären Krankenversicherungsschutzes zur Verfügung, darunter Tamin-Ejtemaei, Salamat, Khadamat-Darmani und Nirouhaye - Mosalah. Der Krankenversicherungsschutz umfasst medizinische Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen. Im Allgemeinen ist der primäre Krankenversicherungsschutz begrenzt. Für weitere medizinische Dienstleistungen kann zusätzlich eine private Krankenversicherung abgeschlossen werden (IOM 2021). Die ’Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste’ (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u.a. die ’Imam Khomeini Stiftung’, um nicht versicherte Personen - etwa Mittellose oder nicht anerkannte Flüchtlinge. Registrierte afghanische Flüchtlinge können sich in der staatlichen Krankenversicherung registrieren (ÖB Teheran 11.2021).

Da es keine allgemein akzeptierte Definition für schutzbedürftige Personen gibt, ist es schwierig, diese Gruppe zu spezifizieren. Dennoch gibt es einige NGOs, die sich auf einen bestimmten Kreis Betroffener spezialisieren. Allgemein gibt es zwei Arten von Zentren, die Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen in Iran leisten, nämlich öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen, sich oft an kleinere, spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, die Projekte zu Gender, alten Menschen, Menschen mit Behinderung (inklusive psychischer Probleme), ethnische und religiöse Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem sozio-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen, Suchtbehandlung etc. Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet Dienstleistungen für Frauenhaushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Der Zugang zu öffentlichen Angeboten ist für alle Bürger gleich. Dennoch gibt es zusätzliche Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen, die von den Gemeinden/Organisationen abgedeckt werden (IOM 2021).

Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen (IOM 2021; vgl. Landinfo 12.8.2020, HRC 14.5.2021). Obwohl auf dem Papier Medikamente und Lebensmittel von den Sanktionen nicht betroffen sind, ist es seit 2020 u.a. wegen fehlender Zahlungskanäle zu mehr Engpässen bei bestimmten Medikamenten wie z.B. Insulin gekommen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRC 14.5.2021). Das Gesundheitsministerium ist sehr bemüht, den Bedarf an Medikamenten zu decken. Aufgrund der mangelnden Devisen steigen aber die Preise der Medikamente, die aus dem Ausland eingeführt werden, sodass schwache Gesellschaftsschichten sich diese nicht mehr leisten können. Viele Medikamente werden in Iran selbst produziert, jedoch oftmals nicht in entsprechender Qualität (ÖB Teheran 11.2021). Im Generellen gibt es aber keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es für Bürger Privatkrankenhäuser mit Spezialleistungen in größeren Ballungsräumen. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern (IOM 2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.11.2021a): Reise- und Sicherheitshinweise Gesundheit, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransic herheit/202396#content_5 , Zugriff 24.11.2021

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.12.2020

• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 26.11.2021

• IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https: //milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2 , Zugriff 19.11.2021

• Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 11.1.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

Rückkehr

Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus (AA 5.2.2021). In der iranischen Gesetzgebung gibt es kein Gesetz, das die Beantragung von Asyl im Ausland strafbar macht (Cedoca 30.3.2020). In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden (AA 5.2.2021). Allerdings gibt es zum Thema Rückkehrer nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehrhilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an freiwilligen Rückkehrern in Teheran in Euro aus (ÖB Teheran 11.2021).

Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren. Eine Einreise ist lediglich mit einem gültigen iranischen Reisepass möglich. Die iranischen Auslandsvertretungen sind angewiesen, diesen jedem iranischen Staatsangehörigen auf Antrag auszustellen (AA 5.2.2021).

Iranische Flüchtlinge im Nordirak können offiziell nach Iran zurückkehren. Dafür werden iranische Identitätsdokumente benötigt. Wenn Personen diese Dokumente nicht besitzen, können sie diese beantragen. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iranische Rückkehrer, die nicht aktiv kurdische Oppositionsparteien, wie beispielsweise die KDPI oder Komala unterstützen, werden nicht direkt von den Behörden ins Visier genommen werden. Sie können aber durchaus zu ihrem Leben im Nordirak befragt werden. Der Fall kann aber anders aussehen, wenn Rückkehrer Waffen transportiert haben, oder politisch aktiv sind und deshalb Strafverfolgung in Iran riskieren. Die Rückkehr aus einem der Camps in Nordirak kann als Zugehörigkeit zu einer der kurdischen Oppositionsparteien gedeutet werden und deshalb problematisch sein (DIS/DRC 23.2.2018).

In Bezug auf Nachkommen von politisch aktiven Personen wird berichtet, dass es solche Rückkehrer gibt, aber keine Statistiken dazu vorhanden sind. Es ist auch durchaus üblich, dass Personen die Grenze zwischen Irak und Iran überqueren. Auch illegale Grenzübertritte sind weit verbreitet. Nachkommen von politisch aktiven Personen riskieren nicht notwendigerweise Strafverfolgung, wenn sie nach Iran zurückkehren. Ob solch ein Rückkehrer Strafverfolgung befürchten muss, würde von den Profilen der Eltern und wie bekannt diese waren, abhängen. Befragungen durch Behörden sind natürlich möglich, aber wenn sie beweisen können, dass sie nicht politisch aktiv sind und nicht in bewaffneten Aktivitäten involviert waren, wird das Risiko für Repressionen eher gering ausfallen (DIS/DRC 23.2.2018).

Iraner, die im Ausland leben und sich dort öffentlich regimekritisch äußern, können von Repressionen bedroht sein, nicht nur wenn sie nach Iran zurückkehren. 2019 und 2020 wurden zwei Exil-Oppositionelle im Ausland verschleppt und sind derzeit in Iran inhaftiert. In Belgien läuft ein Gerichtsprozess gegen einen iranischen Diplomaten, der 2018 einen Anschlag auf das Jahrestreffen der oppositionellen Volksmudschaheddin in Paris geplant haben soll (AA 5.2.2021). Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online-Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab (DIS/DRC 23.2.2018).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind jedoch keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 5.2.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021

• Cedoca – Documentation and Research Department of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (30.3.2020): COI Focus IRAN

Treatment of returnees by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administrat ion/belgium/PLib/COI_Focus_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_autho rities_30032020_update_ENG.pdf , Zugriff 18.12.2020

• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-perso ns-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 29.4.2020

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021

Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)

Zurückgeführte unbegleitete Minderjährige werden vom „Amt für soziale Angelegenheiten beim iranischen Außenministerium“ betreut und in Waisenheime überführt, wenn eine vorherige Unterrichtung erfolgt (AA 5.2.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelrevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021

Dokumente

Alle iranischen Staatsbürger erhalten bei der Geburtsregistrierung ein Ausweisheft (Shenasnameh). Dieses ist in zwei Versionen erhältlich: eine für Kinder bis zu 15 Jahren und eine für Personen über 15 Jahren. Das Shenasnameh wird bei Änderungen des Familienstandes und der Familienverhältnisse aktualisiert. Darüber hinaus stellen die iranischen Behörden für iranische Staatsbürger über 15 Jahren einen nationalen Personalausweis aus (Kart-e melli). Dabei handelt es sich inzwischen um eine elektronische Chipkarte, die allmählich zum wichtigsten Ausweisdokument der Iraner im täglichen Leben geworden ist. Sowohl die Shenasnameh als auch die Kart-e melli werden von der Nationalen Organisation für Zivilregistrierung (NOCR) ausgestellt (Landinfo 5.1.2021).

Gefälschte bzw. mit falschen Angaben erstellte Dokumente sind in Iran einfach erhältlich (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021). Auch echte Dokumente unrichtigen Inhaltes sind einfach zu beschaffen (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft insbesondere die Shenasnameh (Stammbuch). So ist es relativ einfach, in eine echte Shenasnameh ein anderes Geburtsdatum eintragen zu lassen. Bei Kindern, die außerehelich geboren werden, wird zumeist ein beliebiger Name als Vater eingetragen, um die Kinder vor Benachteiligungen in der Schule und im Erwachsenenleben zu schützen. Frauen lassen sich nach einer Scheidung häufig eine neue Shenasnameh ausstellen, aus der die gescheiterte Ehe nicht hervorgeht (AA 5.2.2021). Die neuesten Ausgaben von Shenasnameh und Kart-e melli verfügen über fortschrittlichere Sicherheitsfunktionen als die Vorgängermodelle. Dies hat dazu beigetragen, die Authentizität der iranischen Ausweise zu verbessern. Es sind aber noch immer die alten Versionen in Gebrauch und diese sind weitaus leichter zu manipulieren (Landinfo 5.1.2021).

Sowohl die von iranischen Behörden als auch von der afghanischen Botschaft in Iran ausgestellten Dokumente bestätigen unrichtige Angaben. Eine Überprüfung ist seitens der österreichischen Botschaft nicht möglich. Die Überprüfung von Haftbefehlen kann von der Botschaft aufgrund von Datenschutz nicht durchgeführt werden (ÖB Teheran 11.2021).

Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen. Ein formales Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren ist nicht bekannt (AA 5.2.2021).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch /2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Aus w%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrel evante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2 C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021

• Landinfo [Norwegen] (5.1.2021): Iran. Passports, ID and civil status documents, https://www.ecoi.net/en/file/local/2044494/Iran-Passports-ID-and-civil-status-documnents-050 12021.pdf , Zugriff 26.11.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021

 

 

 

2.2.2. Covid 19

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://ww w.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7 594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Iran ist weiterhin von COVID-19 betroffen (AA 20.12.2021). Die COVID-Lage flachte nach einer dramatischen 5. Welle im August 2021 mit weltweit höchsten Fallzahlen etwas ab (ÖB Teheran 11.2021). Es kann aber immer wieder – insbesondere vor iranischen Feiertagen – vorkommen, dass kurzfristig inneriranische Reisebeschränkungen eingeführt werden. Dann wird Fahrzeugen mit Autokennzeichen aus anderen Provinzen die Einreise in die betroffenen Provinzen nicht gestattet. Fahrzeugen mit Autokennzeichen aus den betroffenen Provinzen dürfen diese nicht verlassen. Diese Beschränkungen werden in der Regel einige Tage vorher über die Medien bekannt gegeben. Aktuell gelten solche Maßnahmen für alle Provinzen der Kategorien ’orange’ (u.a. Teheran) und ’rot’. Für den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen sowie dem öffentlichen Personennahverkehr kann ein Ausweispapier verlangt werden. Zusätzlich können Kontrollen und und Messungen der Körpertemperatur an Provinz- und Stadtgrenzen durchgeführt werden. Bei Infektionsverdacht können Quarantänemaßnahmen oder die Einweisung in ein Krankenhaus angeordnet werden. Für Inlandsflugreisen kann ein negativer PCR-Test verlangt werden. Informationen erteilen die jeweiligen Fluggesellschaften. Im Alltag ist derzeit vor allem in ’gelb’, ’orange’ und ’rot’ eingestuften Regionen mit Einschränkungen bei Öffnungszeiten und Serviceangebot zu rechnen. Vollständig Geimpfte und Genesene sind von den Beschränkungen im öffentlichen Leben nicht ausgenommen (AA 20.12.2021).

Das Tragen von Gesichtsmasken an geschlossenen öffentlichen Orten ist verpflichtend. Bei Nichteinhaltung kann eine Geldstrafe verhängt werden. In Iran gelten Maßnahmen und Beschränkungen, darunter die vorübergehende Schließung nicht wesentlicher Geschäfte und religiöser Schreine und die Absage einiger öffentlicher Veranstaltungen. Jede Provinz ist in der Lage, Beschränkungen einzuführen, um auf örtlich begrenzte Infektionsspitzen zu reagieren. Dies kann eine Sperrung und Bewegungseinschränkung beinhalten. Interne Reisebeschränkungen, auch in wichtige Tourismus- und Pilgergebiete, können kurzfristig verhängt werden (GOV.uk o.D.).

Die COVID-19-Pandemie hat die Herausforderungen im Gesundheitssystem noch verschlimmert. Bis zum 1.10.2020 hatte der Gesundheitssektor nur 27 % der aus dem nationalen Entwicklungsfonds bereitgestellten 1,1 Milliarden US-Dollar erhalten. Im Gesundheitswesen Beschäftigte haben monatelang keinen Lohn erhalten, arbeiteten in Sonderschichten und mit begrenztem Schutz. Mit Stand März 2021 sind mehr als 550 Ärzte, Krankenschwestern und andere Pflegekräfte Berichten zufolge an COVID-19 verstorben (HRC 14.5.2021). DieAuswirkungen der Covid 19-Pandemie auf den Gesundheitssektor sind schwer abzuschätzen. Während der schlimmsten Pandemie-Phasen führte Iran regelmäßig die Statistiken an Infizierten und Todesfällen in der Region und teilweise weltweit an. Die tatsächlichen Zahlen dürften etwa dreimal höher gelegen haben. Berichte über Kranke, die mangels Betten aus Spitälern nach Hause geschickt wurden, häuften sich. Kosten für Medikamente auch in Spitalsbehandlung konnten sich nicht alle leisten. Wegen voller Auslastung der Krankenhäuser (am meisten in den großen Städten und Ballungsräumen) wurden Feldspitäler aufgebaut. Seitens der Behörden wurden zwar Maßnahmen erlassen, um das Gesundheitssystem zu entlasten, insbesondere Hygienemaßnahmen und Bewegungseinschränkungen, die jedoch regelmäßig missachtet werden. Ein besonderes Problem stellen religiöse Prediger und Veranstaltungen dar, bei denen viele Männer, ohne Abstand zu halten, zusammenkommen (ÖB Teheran 11.2021).

Einreisebestimmungen unterliegen häufigen Änderungen und einer uneinheitlichen Anwendung (AA 20.12.2021). Personen, die nach Iran auf dem Luftweg einreisen wollen, haben einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 aus dem Abreisestaat in englischer Sprache mit sich zu führen und vorzuweisen. Das ärztliche Zeugnis darf zum Zeitpunkt des Beginns der Reise nicht älter als 72 Stunden sein. Kann das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt werden, so kann ausländischen Staatsangehörigen die Einreise verwehrt werden. Nach Ankunft ist unter Umständen auf Aufforderung der iranischen Behörden am Flughafen ein weiterer PCR-Test zu machen, dessen Kosten Änderungen unterliegen und zwischen 15 und 50 Euro liegen. Zusätzlich zum Test ist der Nachweis über eine vollständige Impfung vor mindestens 15 Tagen erforderlich. Eine Regelung über die Gültigkeitsdauer des Impfschutzes ist nicht bekannt (BMeiA 20.12.2021). Reisende können bei Einreise zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Befinden und ihrer Reiseroute sowie Aufenthaltsorten in Iran befragt werden. Bei COVID-19-Symptomen können ärztliche Untersuchungen vorgenommen werden. Ein erneuter COVID-19-Test kann immer von den iranischen Behörden angeordnet und durchgeführt werden. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses wird für ausländische Staatsangehörige Selbstisolation in einer staatlichen Unterkunft angeordnet. Bei positivem Testergebnis erfolgt eine rigorose Kontrolle der Kontaktpersonen und gegebenenfalls ergehen weitere verpflichtende (Quarantäne-)Anweisungen der iranischen Behörden. Alle entstehenden Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Sollte man innerhalb von zwei Wochen nach Einreise Symptome entwickeln, die auf eine Erkrankung an COVID-19 hinweisen könnten, kann ebenfalls ein erneuter Coronatest durchgeführt werden. Die Verfahren können sich kurzfristig ändern. Abweichende Handhabungen sind jederzeit möglich (AA 20.12.2021).

Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte, Reisen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Es gilt eine generelle Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten, in geschlossenen Räumlichkeiten sowie im öffentlichen Nahverkehr (AA 20.12.2021). Iran will wegen der neuen Omikron-Variante erneut strenge Corona-Einschränkungen bis hin zum Lockdown einführen.

Wegen der Wirtschaftskrise in Iran wollte die Regierung von Präsident Raisi erneute Beschränkungen eigentlich unbedingt vermeiden. Aufgrund der Bestätigung des ersten Omikron-Falls, hat die Regierung nach Meinung von Gesundheitsexperten jedoch keine andere Wahl mehr, als erneut einen Lockdown zu verhängen (Finanzen.at 20.12.2021).

Die Covid-Krise verstärkt die aufgrund der US-Sanktionen ohnehin ökonomisch schwierige Lage.

Eine Reihe von UN-Sonderberichterstattern kritisierten die Auswirkungen der Sanktionen auf die Anschaffung von Impfstoffen. Nachdem der Oberste Führer Khamenei den Import von Impfstoffen aus Großbritannien und den USA zunächst verboten hatte, und im Lichte der Probleme mit der Bezahlung von Importen aufgrund der US-Sanktionen (als ’middle in-come country’ muss Iran COVAX-Impfstoffe bezahlen) setzte man im Sinne der Doktrin der nationalen Resilienz auf eigene Impfstoff-Entwicklung. Die Massenproduktion stockte jedoch, und auch Offizielle kritisieren den Umgang mit der Pandemie. Organisierte zivilgesellschaftliche Kritik wird unterdrückt (Verhaftung von Rechtsanwälten, die Klage gegen Behörden anstrebten). Mittlerweile hat die Lieferung ausländischer Impfstoffe seit September 2021 deutlich zugenommen, sodass Ende November 2021 mehr als 70 % der Erwachsenen in Iran zumindest erstgeimpft wurden (ÖB Teheran 11.2021) und ca. 60 % doppelt geimpft sind. Auch die dritte Boosterimpfung hat bereits begonnen (Finanzen.at 20.12.2021). Die offizielle Zahl der Todesopfer im Land hat mehr als 120.000 erreicht (BBC News 18.10.2021; vgl. WHO 2.12.2021), aber die iranischen Behörden geben zu, dass die tatsächliche Zahl viel höher liegt. Viele Iraner führen das Ausmaß der Covid-Todesfälle auf die Entscheidung des Obersten Führers zurück, den Import von in den USA und Großbritannien entwickelten Impfstoffen im vergangenen Winter zu verbieten (BBC News 18.10.2021).

 

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.12.2021, unverändert gültig seit 13.12.2021): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www. auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396 , Zugriff 20.12.2021

• BBC News (18.10.2021): Covid: Thousands of children left without parents in Iran, https: //www.bbc.com/news/world-middle-east-58886923 , Zugriff 20.12.2021

• BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (20.12.2021, unverändert gültig seit 16.12.2021): Iran - Aktuelle Hinweise, https: //www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/ , Zugriff 20.12.2021

• Finanzen.at (20.12.2021): Iran plant erneut Corona-Einschränkungen wegen OmikronVariante, https://www.finanzen.at/nachrichten/aktien/iran-plant-erneut-corona-einschrank ungen-wegen-omikron-variante-1031057367 , Zugriff 21.12.2021

• GOV.uk - Governement United Kingdom [Großbritannien] (o.D.): Foreign travel advice Iran, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/iran/coronavirus , Zugriff 20.12.2021

• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/e n/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 20.12.2021

• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 20.12.2021

• WHO - World Health Organisation (2.12.2021): COVID-19 situation updates for week 47 (21–27 November 2021), https://reliefweb.int/report/iran-islamic-republic/covid-19-situatio n-updates-week-47-21-27-november-2021 , Zugriff 20.12.2021

 

2.2.3. aktuell

In Österreich gibt es mit Stand 12.04.2022, 16:19 Uhr, 3.995.418 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 16.242 Todesfälle sowie 18.192.231 verabreichte Impfungen; im Iran wurden bislang 7.194.768 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen), wobei 140.650 Todesfälle bestätigt und 147.767.297 Impfungen verabreicht wurden.

 

 

3. Beweiswürdigung:

3.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

3.2. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit und Herkunft des BF ergeben sich aus seinen diesbezüglichen Angaben, an denen auf Grund seiner Sprachkenntnisse, der örtlichen Kenntnisse und Gegebenheiten auch nicht zu zweifeln war.

Mangels Vorlage unbedenklicher personenbezogener Dokumente im Original konnte die Identität des BF jedoch nicht abschließend festgestellt werden. Den Angaben des BF zufolge sei ihm sein eigener Reisepass vom Schlepper abgenommen worden (AS 190) und ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass der BF von der Türkei kommend nach Österreich mit einem gefälschten israelischen Reisepass und einer falschen Identität einreiste und in Österreich zwei Alias-Identitäten und unterschiedliche Geburtsdaten aufscheinen. Bereits die soeben genannte Vorgehensweise und die Verwendung eines gefälschten Identitätsdokumentes wirken sich zum Nachteil der persönlichen Glaubwürdigkeit des BF aus. Es wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass es sich bei der vom BF angegebenen Identität um eine Verfahrensidentität handelt.

Die Feststellungen zur Volksgruppenzugehörigkeit und der schiitischen Religionszugehörigkeit zum Einreisezeitpunkt ergeben sich aus diesbezüglichen stringenten Angaben des BF im Verfahren.

Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des BF im Herkunftsstaat, zu seiner dortigen Ausbildung und Erwerbstätigkeit sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ergeben sich aus den grundsätzlich glaubwürdigen Angaben des BF.

Es fällt jedoch auf, dass der BF in der Erstbefragung angab, im Herkunftsland verheiratet zu sein, die Ehefrau wurde auch namentlich mit XXXX , protokolliert und wird der BF in den Datenbanken (ZMR, GVS) nach wie vor als verheiratet geführt, ohne dass eine Richtigstellung durch den BF, der in der hg. Verhandlung keine dahingehenden Angaben machte, sondern erklärte, vor der Ausreise mit seinen Eltern in einem Haus gelebt zu haben (VHS 5), erfolgte. Die Existenz einer Ehefrau erwähnte der BF nicht. In der behördlichen Einvernahme gab der BF zu seinem Familienstand gefragt, an, ledig zu sein. Auch diese Ungereimtheit verstärkt die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Person des BF insgesamt.

Die festgestellte Taufe ergibt sich aus der im Verfahren vorgelegten Taufurkunde sowie aus den Angaben des BF.

Dass der BF Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung erhält, ist dem aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem des Bundes zu entnehmen. Der BF gibt auch selbst an, nicht erwerbstätig zu sein. Zwar verfügt der BF über eine Einstellungszusage (OZ 11), doch soll diese einerseits vorerst nur im geringfügigen Ausmaß gelten und ist andererseits festzuhalten, dass der BF bislang auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen war bzw. ist, weshalb auch die Feststellung zu treffen war, dass der BF nicht selbsterhaltungsfähig ist. Dass der BF fallweise gemeinnützig tätig ist ergibt sich aus seinen Angaben im Verfahren und den vorgelegten Bestätigungen (Beilage zur Verhandlungsschrift [VHS], OZ 11, AS 249f).

Die vorgelegte Rotkreuz-Karte bestätigt die Mitgliedschaft des BF im Jahr 2022 beim Roten Kreuz.

Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des BF ergibt sich aus dem ÖSD-Prüfungszeugnis für das Niveau B1 vom 28.11.2019. Zudem konnte sich die Richterin in der hg. mündlichen Verhandlung einen Eindruck von den Deutschkenntnissen des BF verschaffen und dass diese nicht fehlerfrei, jedoch für eine Verständigung im Alltag ausreichend sind.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des BF ergeben sich aus seinen Angaben im behördlichen Verfahren und in der hg. Verhandlung.

Die festgestellte strafrechtliche Verurteilung gem. §§ 223 (2), 224 StGB ergibt sich aus dem aktuellen Strafregisterauszug, an dem kein Grund zu zweifeln bestand, und wurde dieser Umstand vom BF in der hg. Beschwerdeverhandlung auch nicht bestritten.

3.3. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“.

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH, 25.03.1999, 98/20/0559).

Seitens des Höchstgerichtes wurde auch in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH, 24.06.1999, 98/20/0453; 25.11.1999, 98/20/0357).

Der VwGH hat in ständiger Judikatur erkannt, dass für die Glaubhaftmachung der Angaben des Fremden es erforderlich ist, dass er die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, 95/21/0294, 95/18/1291) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, 93/18/0289), wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des „Glaubhaft-Seins“ der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt (VwGH 23.01.1997, 95/20/0303,0304).

Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern.

Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 11.11.1991, 91/19/0143, 13.04.1988, 86/01/0268).

Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation des Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten - z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden (VwGH v. 29.06.2000, 2000/01/0093).

Ferner ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG (Anm.: bzw. nach dessen Nachfolgerbestimmung § 3 AsylG) bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen die Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts (1991), 137 f, s. a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck, AsylG 1997, RZ 314, 524).

Kriterien der Glaubhaftmachung finden sich exemplarisch auch in Art. 4 Abs. 5 der StatusRL (Richtlinie 2004/83/EG ), worin folgende Faktoren angeführt werden:

- dass der Antragsteller sich offensichtlich bemüht hat, seinen Antrag zu substantiieren;

- dass alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

- dass festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

- dass der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war.

- dass die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.

3.3. Der BF wurde in der hg. Verhandlung sowohl zu seinen Gründen für die Asylantragstellung als auch zu den Inhalten des Glaubens, von dem er behauptete, sich diesem zugewandt zu haben und zu diesem konvertiert zu sein sowie zum Praktizieren dieses Glaubens und zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt.

3.4.1. Zu den Gründen für die Asylantragstellung des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer erklärte zur Begründung seines Asylantrages im Wesentlichen, sich bereits im Herkunftsland für das Christentum interessiert zu haben und wegen seiner Hinwendung zum Christentum in seinem Heimatland – insbesondere vom Onkel seines Geschäftspartners - bedroht sowie behördlich gesucht worden zu sein.

Das Vorbringen des BF hält jedoch aus nachfolgenden Gründen einer Glaubwürdigkeitsprüfung nicht stand:

3.4.1.1. Vorerst fällt auf, dass der Beschwerdeführer zu seinen Ausreisegründen unterschiedliche Vorbringen in der Erstbefragung und in der späteren behördlichen Einvernahme erstattete.

So gab der BF im Rahmen der Erstbefragung an, er habe den Iran verlassen, weil er zum Christentum konvertieren wolle; dies sei im Herkunftsland nicht möglich, da er diesfalls von der iranischen Regierung hingerichtet werden würde (AS 49). Weitere Ausreisegründe nannte der BF nicht. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab der BF hingegen zum Ausreisegrund befragt an, im Zuge der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit als Taxifahrer sich mit einem Kunden angefreundet zu haben, über den er Kontakt zum Christentum erlangt habe und für den er eine Hauskirche organisiert und – gemeinsam mit seinem Geschäftspartner - Unterlagen vervielfältigt habe. Der Onkel seines Partners habe davon erfahren und den BF bedroht, ihm überall Probleme gemacht und habe ihn vernichten wollen. Als seine Mutter verdächtige Personen beim Elternhaus bemerkt habe, habe der BF aus Angst sein Heimatland verlassen.

Das BVwG verkennt nicht, dass sich die Erstbefragung nach § 19 Abs 1 AsylG 2005 nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, es wäre aber dennoch zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer ein - zumindest in den wesentlichen Punkten - annähernd gleichbleibendes Vorbringen zu seinem Ausreisegrund erstattet und es nicht, wie im vorliegenden Fall, zwischen der Erstbefragung und der nachfolgenden Einvernahme vor dem BFA zu den dargelegten Ungereimtheiten hinsichtlich der Angaben zum Ausreisegrund des BF kommt.

Während der BF in der Erstbefragung keinerlei konkrete Probleme oder Vorkommnisse nannte, sondern lediglich allgemein erklärte, er wolle zum Christentum konvertieren, was im Iran nicht möglich sei, ohne konkrete, auf seine Person bezogene Vorfälle oder Probleme zu benennen, steigerte er sein Vorbringen in der behördlichen Einvernahme in der Weise, dass der Onkel seines Partners ihm das Leben schwer gemacht und ihn angezeigt habe, dass seine Bankkonten gesperrt wurden, er sich nicht mehr frei bewegen habe können und sich verstecken habe müssen. Überdies ordnete der BF den Onkel den Basiji zu, der auch über Kontakte zur Sepah und der Polizei verfüge.

Dass der BF in der Erstbefragung, sohin der ersten sich bietenden Gelegenheit, seine Gründe für die Asylantragstellung zu nennen, keine konkrete, persönliche Bedrohungen oder Vorfälle wie die in der Einvernahme angegebene Anzeige oder das Auftauchen verdächtiger Personen beim Haus des BF und ebensowenig das besondere Gefährdungsmoment der behaupteten Funktion des Onkels seines Geschäftspartners nannte, obwohl diese Vorfälle wenige Monate vor der Antragstellung passiert sein sollen, sondern lediglich seine allgemeine Konversionsabsicht und die diesbezügliche Lage im Iran in den Raum stellte, ist nicht nachvollziehbar und spricht dagegen, dass sich die vom BF erst in der behördlichen Einvernahme geschilderten Vorfälle tatsächlich ereignet haben.

In diesem Zusammenhang sei die rezente Judikatur des VwGH, Ra 2019/20/0526 und 0527-6 vom 26.02.2020 hervorgehoben, welche zur beweiswürdigenden Gegenüberstellung von Erstbefragung und Einvernahme Folgendes festhält:

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429, mwN).

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist es weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und späteren Angaben einzubeziehen; es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. VwGH 12.8.2019, Ra 2019/20/0366, mwN).

Es besteht jedoch keine generelle Unzulässigkeit, auf die Steigerung im Fluchtvorbringen zwischen der Erstbefragung und den weiteren Einvernahmen abzustellen (VwGH 26.08.2020, Ra 2020/18/0132-12).

Auf die jüngste Judikatur des VwGH in einem ähnlich gelagerten Fall sei an dieser Stelle verwiesen, vertritt dieser in seinem Erkenntnis Ra 2018/20/0168-3 vom 17.05.2018 die Auffassung, dass es nicht unvertretbar ist, in den in der Erstbefragung als Fluchtgrund geäußerten allgemeinen Sicherheitsbedenken wegen des Bürgerkrieges beweiswürdigend einen anderen Fluchtgrund zu sehen, als in dem nachfolgend vorgebrachten, mit einer kurzfristigen Verschleppung einhergehenden Versuch einer Zwangsrekrutierung.

Letztgenannte Judikatur ist auch auf den vorliegenden Fall umlegbar, gab der BF anlässlich der Erstbefragung lediglich eine allgemeine Situation an und nannte erst anlässlich der behördlichen Einvernahme konkrete Vorfälle, Probleme und Befürchtungen.

Bereits aufgrund der aufgezeigten markanten Divergenzen der Angaben des BF zwischen Erstbefragung und behördlicher Einvernahme ist – in Zusammenschau mit den nachfolgend angeführten Unplausibilitäten und Widersprüchen – die Glaubwürdigkeit der geltend gemachten Ausreisegründe des BF erheblich in Zweifel zu ziehen.

Dem Beschwerdeführer, der über eine zwölfjährige Schulausbildung, sohin über eine gute Ausbildung verfügt, sodass ihm das Gewicht seiner Angaben umso mehr bewusst gewesen sein muss, wurde eingangs der Erstbefragung ein Merkblatt über die Rechte und Pflichten ausgefolgt und dieser dahingehend belehrt, dass seine Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung des Bundesamtes sind und wurde der BF aufgefordert, wahre und vollständige Angaben zu machen und an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken und wurde ihm mitgeteilt, dass unwahre Angaben nachteilige Folgen haben können. Der BF gab ferner an, den Dolmetscher gut zu verstehen und verneinte die Frage nach allfälligen Beschwerden, die ihn an der Befragung hindern und gab darüber hinaus an, der Einvernahme ohne Probleme folgen zu können und erklärte, nach Rückübersetzung der Niederschrift, alles verstanden und keine Ergänzungen oder Korrekturen vorzunehmen zu haben, was er letztlich mit seiner Unterschrift bestätigte.

Der BF hat keinen plausiblen Grund für dieses im Ergebnis doch erheblich unterschiedliche Vorbringen anzugeben vermocht, sondern in der hg. Verhandlung über entsprechenden Vorhalt erklärt, dass er am Anfang nicht gewusst habe, dass Österreich ein sicheres Land sei und er gedacht habe, in den Iran zurückgeschickt zu werden (Verhandlungsschrift [VHS] S 11). Dies erklärt aber nicht, weshalb der BF dann gerade seinen Konversionswunsch darlegte, nicht aber die persönlich erfahrene Bedrohung bzw. konkrete Gefährdungsmomente.

Hinzu kommt, dass der BF im Rahmen der Erstbefragung auch angab, seinen Ausreiseentschluss bereits vor zwei Jahren gefasst zu haben (AS 45), was in zeitlicher Hinsicht wiederum mit den geltend gemachten Ausreisegründen in der behördlichen Einvernahme nicht in Einklang zu bringen ist.

3.4.1.2. Auch sind die seitens des BF geschilderten chronologischen Abläufe der vom BF geltend gemachten ausreisekausalen Vorfälle nicht miteinander in Einklang zu bringen.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme gab der BF an, der Onkel seines Geschäftspartners habe ihm christliche Unterlagen untergeschoben, der BF habe sich verstecken müssen, er habe nicht mehr arbeiten können, seine Bankkonten seien gesperrt gewesen, er habe Probleme beim Autoverkauf bekommen, sei von diesem Onkel mehrfach mit SMS bedroht worden und dgl. mehr, weshalb sich der BF etwa 2 – 3 Monate in der Villa eines Freundes versteckt habe. Während dieser Zeit habe die Mutter verdächtige Personen beim Elternhaus bemerkt. Die Probleme mit dem Onkel hätten ca. 10 oder 11 Monate gedauert, bis der BF ausgereist sei (AS 194f), die verdächtigen Personen habe die Mutter 5 oder 6 Monate vor der Ausreise des BF bemerkt (AS 201). Da aber der BF nach seinem Versteckthalten in der Villa des Freundes seinen Angaben zufolge nicht mehr ins Elternhaus zurückkehrte (VHS, S 11), ist schon die Zeitangabe, wann die Mutter die verdächtigen Personen beobachtet haben soll, nicht plausibel. Auch in der hg. Beschwerdeverhandlung wurde der BF zum Zeitraum befragt, während dessen ihm der Onkel seines Geschäftspartners Probleme bereitet habe und der BF gab diesen – markant divergierend vom bisherigen Vorbringen – mit vier bis sechs Wochen an (VHS, S 12), den Zeitraum des Versteckthaltes mit 4 – 5 Wochen (VHS, S 10). Auf Vorhalt seiner bisherigen Angaben gab der BF an, dass er „zirka“ gesagt habe, da er keine falschen Angaben machen wolle, doch ist zwischen einem Bedrohungszeitraum von 10 - 11 Monaten bzw. 4 - 6 Wochen und einem Verstecken von 2 – 3 Monaten bzw. 4 – 5 Wochen ein derart gravierender Unterschied, dass sich ein solcher nicht mit „zirka-Angaben“ erklären lässt.

Nicht miteinander in Einklang zu bringen sind auch die Zeitangaben des BF hinsichtlich seines Ausreiseentschlusses. Während dieser in der Erstbefragung angegeben hatte, bereits vor zwei Jahren den Ausreiseentschluss gefasst zu haben (AS 45), erklärte er über Nachfrage in der hg. Verhandlung, den Ausreiseentschluss erst kurz vor der Ausreise gefasst zu haben. Wenn der BF dazu erklärend in der hg. Verhandlung ausführte, in der Erstbefragung Angst vor einer Abschiebung gehabt zu haben und sei seitens der Polizei immer wieder erwähnt worden, dass sie ihn mit dem nächsten Flieger in den Iran zurückschicken würden, so ist dies als Schutzbehauptung, die der BF erstmals im Verfahren heranzog, zu qualifizieren. Der BF wurde eingangs der hg. Verhandlung nach Anmerkungen, Änderungen oder Ergänzungen zum behördlichen Verfahren gefragt und erklärte, keine solchen zu haben und seien seine Aussagen im behördlichen Verfahren richtig und halte er diese aufrecht (VHS 4).

Gänzlich unplausibel wird die vom BF dargelegte Zeitschiene der Verfolgung bzw. des angegebenen Versteckens in Zusammenschau mit dem Vorbringen des BF in der hg. Beschwerdeverhandlung, er habe den Kunden, durch den die Kette der fluchtkausalen Vorfälle ausgelöst worden sein soll, erst drei oder vier Monate vor seiner Ausreise kennengelernt (VHS, S 6). Schon drei Wochen nach diesem ersten Kennenlernen will der BF erstmalig vom Onkel seines Geschäftspartners bedroht worden sein (VHS, S 9). In diesen drei Wochen müsste dann aber demzufolge der BF Freundschaft mit dem Kunden geschlossen haben, müssten mehrmalige Treffen stattgefunden haben, eine Wohnung für den Kunden gesucht, der Mietvertrag unterschrieben und diese auch ausgestattet worden sein sowie die Missionierung des BF und seines Geschäftspartners erfolgt sein. Überdies stehen auch diese Zeitangaben nicht in Einklang mit jenen im behördlichen Verfahren.

Bereits die soeben dargelegten markanten zeitlichen Divergenzen lassen den Schluss zu, dass sich der BF eines konstruierten Vorbringens (Freundschaft mit Kunden - Kontakt mit Christentum – Mithilfe bei Verbreitung des Christentums – Bedrohung durch Onkel des Geschäftspartners – Flucht) bediente, zu zwangsläufig wahrgenommenen Handlungsabläufen bzw. zu deren zeitlicher Abfolge keine stringenten und plausiblen Angaben machen konnte, sodass davon auszugehen ist, dass es sich um keine tatsächlich erlebten Ereignisse handelt.

3.4.1.3. Aber auch die angegebenen ausreisekausalen Vorfälle konnte der BF nicht widerspruchsfrei und plausibel schildern.

Den Ausführungen des BF in der niederschriftlichen Einvernahme des BFA zufolge hätten er und sein Geschäftspartner durch einen Kunden Kontakt zum Christentum bekommen. Der Onkel seines Geschäftspartners habe ihm Auto seines Neffen, dem Partner des BF, christliche Unterlagen gefunden und deshalb den BF bedroht, da durch ihn der Neffe/Partner mit dem Christentum in Berührung gekommen sei. Der Onkel habe in der Folge den BF angezeigt und ihm täglich Probleme bereitet, er habe christliche Unterlagen in der Garage des BF deponiert und dafür gesorgt, dass diese gefunden worden seien, weshalb die Behörden oft bei den Eltern gewesen seien und auch ein Akt über den BF angelegt worden sei (AS 194f).

Den nunmehrigen Ausführungen in der hg. Beschwerdeverhandlung zufolge habe der BF für den Kunden, mit dem er sich zwischenzeitig angefreundet habe, sogar den Mietvertrag für eine Wohnung unterschrieben, obwohl er davon Kenntnis gehabt haben will, dass der Kunde in der Wohnung eine Hauskirche gründen wollte, und er habe sich mit seinem Geschäftspartner um die Ausstattung der Wohnung gekümmert, ohne dafür eine Gegenleistung oder Zahlung zu bekommen. So sei sein Partner mit dem Kunden – und in der Folge mit dem Christentum – in Kontakt gekommen. Als der Onkel christliche Unterlagen im Auto des Partners gefunden habe, habe er den BF, den er für das Interesse seines Neffen für das Christentum verantwortlich machte, bedroht und ihm Beweismittel (christliche Unterlagen) untergeschoben.

Markant abweichend von seinen Aussagen im behördlichen Verfahren gab der BF in der hg. Verhandlung erstmals an, es habe nunmehr auch eine Hausdurchsuchung im Elternhaus des BF gegeben und die Dokumente seien im Auto des BF gefunden worden (VHS, S 9), was wiederum darauf deutet, dass der BF zwar einige wenige Eckpunkte einer (konstruierten) Rahmengeschichte gleichbleibend schildern konnte, die Details dazu jedoch variierten. Überdies ist in der erstmaligen Behauptung einer Hausdurchsuchung auch eine gravierende Steigerung im Vorbringen des BF zu erblicken, welche einmal mehr geeignet ist, seinem Vorbringen die Glaubwürdigkeit abzusprechen.

Weiters ist darauf zu verweisen, dass es – unabhängig von den geschilderten unplausiblen Zeitabläufen – auch höchst unglaubwürdig ist, dass der BF für einen Kunden, den er erst drei Wochen zuvor kennengelernt haben will, den Mietvertrag für eine Wohnung, in der eine Hauskirche geplant ist, unterschreibt, womit er sich selbst einem erheblichen Gefährdungsrisiko aussetzt und auch noch für die Ausstattung dieser Wohnung sorgt, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Schon beim BFA wurde der BF dazu befragt, warum er diesem Kunden derart vertraute, und gab der BF dazu an, der Kunde habe „nichts Großartiges von mir verlangt“ (AS 196). Dieser Einschätzung kann aber in Anbetracht des Vorbringens des BF hinsichtlich eines für ihn existenten und nicht unerheblichen Risikos (Mietvertrag für Hauskirche im Iran) nicht gefolgt werden. In der hg. Beschwerdeverhandlung gab er dazu befragt an, er habe dem Mann helfen wollen und dieser habe ihn als Taxifahrer für die jeweiligen Fahrten viel besser bezahlt (VHS, S 7f). Doch auch großzügiges Trinkgeld für abgerechnete Taxifahrten erklären die Vorgehensweise des BF nicht nachvollziehbar.

Hinzu kommt, dass die Ausführungen des BF zu seinen Bedrohungen nicht nur widersprüchlich und unplausibel, sondern auch äußerst vage und oberflächlich waren. Beispielsweise beschränkte sich die Aussage des BF zu seiner Bedrohung durch Behörden/unbekannte Personen darauf, dass die Mutter „verdächtige Personen beim Haus stehen und sich umschauen“ gesehen habe, sie seien „oft bei den Eltern gewesen“ und deswegen habe der BF flüchten müssen (AS 194), lt. Angaben des BF in der hg. mündlichen Beschwerdeverhandlung habe die Mutter jedoch keine verdächtigen Personen mehr gesehen, doch sei es zu einer Hausdurchsuchung gekommen (VHS, S 9), was ihm seine Mutter telefonisch mitgeteilt und er ein Versteck aufgesucht habe. In der niederschriftlichen Einvernahme blieb die Durchführung einer Hausdurchsuchung gänzlich unerwähnt. Auch die Angabe des BF, wonach er sich nicht mehr erinnern könne, wo er zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchung gewesen sei, ist nicht plausibel, zumal vor allem Ereignisse, die mit massiven Emotionen verknüpft sind, sehr nachhaltig im Gedächtnis haften; da die Hausdurchsuchung bzw. die Kenntnis der Behörden von seinem Interesse vom Christentum den BF zum Aufsuchen eines Versteckes und letztlich Verlassen seines Heimatlandes bewegt haben soll, wäre doch anzunehmen, dass dem BF angesichts dieses einschneidenen Ereignisses in Erinnerung wäre, wo er sich zu diesem Zeitpunkt aufgehalten hat bzw. warum er seiner Verhaftung – dem BF zufolge hätten die Beamten nach ihm gefragt und hätten ihn verhaften wollen (VHS, S 9) – entkommen sei.

Auch die Bedrohungen durch den Onkel schilderte der BF äußerst kurz und vage. So gab er beispielsweise an, „Er [der Onkel] hat auch erfahren, dass mein Partner durch mich mit dem Christentum in Kontakt gekommen ist. Seitdem haben die Drohungen und Probleme begonnen. Sie waren oft bei meinen Eltern, deswegen musste ich flüchten und mich in der Villa eines Freundes verstecken und dort wohnen. Der Onkel hatte mich angezeigt, ich konnte nicht einmal ein Dokument für mein verkauftes Auto bekommen. Er hat mir überall Probleme gemacht und wollte mich vernichten. Immer wenn ich ein Anliegen hatte sagte man mir, dass ich angezeigt wurde und das klären sollte. Eines Tages kam er mit seinen Kollegen und hat die Unterlagen die wir kopiert hatten in unsere Garage gestellt. Er kam fast täglich und machte mir das Leben zur Hölle.“ (AS 194). Wie dieser Auszug aus dem behördlichen Einvernahmeprotokoll zeigt, beschränkten sich die Angaben des BF zur konkret erfolgten Bedrohung in sehr allgemein gehaltenen Aussagen, ohne Details oder konkrete Handlungsabläufe dazu zu benennen. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es unterschiedliche Erzählstile, darunter auch sehr knappe, gibt, zeigt dieser Auszug, dass die Angaben des BF zu seiner Bedrohung insgesamt vage und wenig aussagekräftig geblieben sind und keinerlei Realkennzeichen aufweisen.

Mit diesen oberflächlichen Aussagen gelingt es dem BF jedenfalls nicht, eine Bedrohungs- bzw. Verfolgungssituation in einem derart gravierenden Ausmaß glaubhaft zu machen, dass dem BF ein weiterer Verbleib im Heimatland unmöglich gewesen wäre. Auch in der hg. mündlichen Verhandlung machte der BF keine konkreteren Angaben zur Bedrohungssituation im Herkunftsland.

Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass bei tatsächlicher Existenz der seitens des BF geschilderten Geschehnisse es dem BF ein Anliegen gewesen wäre, diese von sich aus – gleichbleibend und mit Nennung von Details und konkreten Handlungsabläufen - darzulegen. Eine derartige Vorgangsweise entspricht auch den aus mehr als zwanzigjähriger Tätigkeit im Asylverfahren resultierenden Erfahrungswerten der erkennenden Richterin und werden gerade freie, emotionale Erzählungen unter Nennung zahlreicher Details auch als sog. „Realkennzeichen“ einer glaubwürdigen Darlegung in einschlägiger Literatur und Fortbildungsveranstaltungen zur Thematik „Glaubwürdigkeitsprüfung“, welche die erkennende Richterin besuchte, genannt.

3.4.1.4. Der BF machte mit seinen angegebenen Ausreisegründen geltend, sich bereits im Herkunftsland für das Christentum interessiert zu haben, was letztendlich zu den von ihm vorgebrachten Vorfällen geführt haben soll. Dass die Schilderung dieser Vorfälle einer Glaubhaftigkeitsprüfung nicht stand hielt, wurde zuvor bereits dargelegt.

Doch auch das damit in unmittelbarem Zusammenhang stehende behauptete Interesse des BF für das Christentum bereits vor seiner Ausreise aus dem Iran ist aus folgenden Erwägungen nicht glaubhaft:

In der Erstbefragung gab der BF an, sein Heimatland wegen seines Konversionswunsches verlassen zu haben (AS 49). Auch in der niederschriftlichen Einvernahme gab er an, dass er bereits im Iran Christ werden wollte (AS 195), christliche Unterlagen weitergegeben habe und eine Hauskirche gründen wollte, doch sei es nicht mehr dazu gekommen (AS 197). In der hg. Beschwerdeverhandlung relativierte er diesen Konversionswunsch zunächst dahingehend, dass er zwar durch den Kunden im Iran in Kontakt mit dem Christentum gekommen sei, richtig recherchiert habe er aber erst in Österreich. Im Iran habe er an das Christentum nicht geglaubt, er habe ein paar Fragen durchgelesen und gedacht, dies sei eine Lüge oder eine einfache Geschichte (VHS, S 13) und habe er sich den Inhalt eines USB-Sticks angehört, aber nicht verstanden (VHS 14), doch sei er neugierig gewesen (VHS 14). Dennoch sei sein Ziel gewesen, eine Hauskirche zu gründen, was in Anbetracht seines „Nichtglaubens“ nicht nachvollziehbar erscheint. Auf die diesbezügliche Frage der erkennenden Richterin antwortete der BF wie folgt: „Erstens wollte ich Herrn XXXX helfen. Zweitens wollte ich wissen, ob nur ich daran nicht glaube oder ob es auch andere Personen gibt, die so wie ich denken“ (VHS, S 14).

Diese Aussage widerspricht aber schon der Begründung des Asylantrages in der Erstbefragung, da sich nicht erschließt, warum jemand, der nicht glaubt, einen Konversionswunsch hegen und deshalb sein Land verlassen sollte. Zudem ist keinesfalls plausibel, dass sich jemand, der nicht glaubt, im Iran der Gefahr aussetzen würde, ohne jede Notwendigkeit und ohne finanzielle Abgeltung eine Hauskirche zu gründen.

3.4.1.5. Insgesamt vermittelte der BF mit den von ihm geltend gemachten Ausreisegründen den Eindruck, dass er sich eines Konstruktes mit einigen wenigen Eckpunkten – Interesse für Christentum, Bedrohung durch den Onkel des Geschäftspartners und/oder durch Behörden, Flucht - zum Zwecke der Asylerlangung bediente. Dieser Eindruck wird auch dadurch verstärkt, dass sich die Aussagen des BF zu konkreten Bedrohungshandlungen – wie zuvor ausgeführt - teilweise widersprachen, teilweise ohnehin oberflächlich und wenig aussagekräftig waren und darüber hinaus die angegebenen zeitlichen Abläufe der behaupteten ausreisekausalen Vorfälle nicht plausibel oder miteinander in Einklang zu bringen sind. Auch in der hg. mündlichen Verhandlung beschränkten sich die Aussagen des BF zu seinen Ausreisegründen auf die Darlegung der oa. wenigen Eckpunkte und er war nicht in der Lage, zwangsläufig wahrgenommene Details oder Handlungsabläufe von sich aus zu schildern und zeitlich richtig einzuordnen, sodass Rückschlüsse auf tatsächlich erlebte Vorfälle möglich wären.

Auch der Umstand, dass der BF in Österreich mit einem gefälschten israelischen Reisepass in Österreich einreiste, sich verschiedener Alias-Identitäten und unterschiedlicher Geburtsdaten bediente, ist der Glaubwürdigkeit der Person des BF abträglich, ebenso wie der Umstand, dass er die Frage nach Problemen mit österreichischen Behörden zunächst verneinte, und erst nach Vorhalt seiner Verurteilung wegen des Gebrauchs gefälschter Urkunden dies eingestand. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Taufurkunde des BF auf eine der Alias-Identitäten des BF ausgestellt wurde und er es nach wie vor nicht für notwendig erachtete, diesen Umstand richtigzustellen. Zwar gab der BF an, bei der Polizei die Richtigstellung seiner Identität versucht zu haben, doch erklärt dies – unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage – nicht, warum er sich noch zum Zeitpunkt der Taufe einer offensichtlich falschen Identität bediente.

3.4.2. Zur Konversion des Beschwerdeführers

3.4.2.1. Untrennbar in Zusammenhang mit den seitens des BF geltend gemachten Gründen für seine Ausreise, nämlich seine Verfolgung wegen seiner bereits im Iran bestehenden Hinwendung zum Christentum, steht die seitens des BF angegebene Konversion und das Praktizieren des christlichen Glaubens sowohl im Iran als auch in Österreich. Bereits aufgrund der Tatsache der Untrennbarkeit des ausreisekausalen Vorbringens und jenem der Konversion und der Glaubenspraxis in Österreich stellt schon die festgestellte Unglaubwürdigkeit der Ausreisegründe ein starkes Indiz für die Unglaubwürdigkeit der behaupteten Konversion und Glaubenspraxis dar und lässt umgekehrt die aus nachfolgenden Gründen festgestellte Scheinkonversion einmal mehr klare Rückschlüsse auf die Unglaubwürdigkeit der ausreisekausalen Angaben des BF zu.

Vorweg wird aber in diesem Zusammenhang von der erkennenden Richterin ausdrücklich festgehalten, dass weder die Taufe noch die Mitgliedschaft zur XXXX bzw. zu den (evangelikalen) Freikirchen in Österreich in Zweifel gezogen werden. Die nachfolgend dargelegten Überlegungen hinsichtlich einer Scheinkonversion des BF beziehen sich ausschließlich auf die Glaubensüberzeugung bzw. Glaubensbetätigung des BF – unabhängig davon, dass der BF nunmehr durch seine Taufe formell als Christ anzusehen ist (vgl. dazu VfGH 21.09.2020, E 2618/2020-10).

Der BF hat bereits in der Erstbefragung seinen Konversionswunsch als Ausreisegrund genannt und in der behördlichen Einvernahme ein bereits im Iran existentes Interesse für den christlichen Glauben, welches einer tatsächlichen Konversion naturgemäß vorgeschaltet sein muss, behauptet und erklärt, im Iran durch einen Fahrgast seines Taxis auf das Christentum aufmerksam gemacht worden zu sein, wobei der Zeitpunkt und das Ausmaß der diesbezüglichen Aktivitäten vom BF unterschiedlich geschildert wurden (vgl. Punkt 3.4.1.).

Dem BF ist es jedoch aus nachfolgenden Gründen nicht gelungen, ein solches Interesse am christlichen Glauben – eine Konversion könnte in weiterer Konsequenz erst danach folgen - auch nach rd. sechsjährigem Aufenthalt in Österreich, wo er den christlichen Glauben seinen Angaben zufolge praktiziert hat und getauft wurde, glaubwürdig darzutun, sodass umso weniger von einem solchen bereits im Iran vorhandenen Interesse und den daraus resultierenden Problemen des BF ausgegangen werden kann.

Die nachfolgende Beweiswürdigung lässt somit klare Rückschlüsse darauf zu, dass auch im Iran kein solches nachhaltiges Interesse des BF am christlichen Glauben bestanden und letztendlich seine Ausreise erfordert hat und untermauert einmal mehr die Ansicht der erkennenden Richterin, wonach die geltend gemachten Ausreisegründe des BF als unglaubwürdig zu qualifizieren sind.

Doch auch die Prüfung der Glaubwürdigkeit der behaupteten Konversion per se lässt - unabhängig von der bisherigen Beweiswürdigung - aufgrund nachfolgender Überlegungen keinen anderen Schluss zu, als von der Unglaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben des BF und in weiterer Konsequenz von einer Scheinkonversion auszugehen.

3.4.2.2. Zunächst ist festzuhalten, dass der BF am XXXX in Österreich einreiste, einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und bereits am XXXX getauft wurde. Seinen Ausführungen in der hg. Verhandlung zufolge habe er in Österreich eine Kirche gesucht, um intensiv über das Christentum zu recherchieren und in der XXXX -Kirche habe es farsisprachige Teilnehmer gegeben.

Es war dem BF in der hg. Verhandlung jedoch nicht möglich, nachvollziehbar zu erklären, aus welchem Grund er mit dem Kirchenbesuch in Österreich begonnen hat; seinen vagen Erklärungen zufolge habe er nur aus Interesse mehr erfahren wollen. Spirituelle oder persönliche Beweggründe für den Wunsch eine Kirche bzw. einen Gottesdienst zu besuchen, nannte der BF hingegen nicht. Der BF gab vielmehr zu seinem damaligen Informationsstand über das Christentum an wie folgt (VHS 15: Seine Mutter ist Jungfrau und ich habe auch gehört, wenn diejenigen an Jesus glauben, denen werden ihre Sünden von Gott vergeben (BF schweigt)). Diese substanzlose Angabe des BF spricht weder für einen gewissen Informationsstand, den sich der BF über das Christentum angeeignet und ihn zum Aufsuchen einer Kirche bewogen hat noch für ein bereits im Iran bestehendes Interesse für das Christentum, welches er in der Erstbefragung als Ausreisegrund benannte.

Auch zum Grund für den Besuch eines Taufkurses fällt das ausweichende Antwortverhalten des BF auf, gab er dazu befragt, vorerst an, es sei ihm erklärt worden, dass er hier bleiben dürfe, bis über ihn entschieden werde, er habe die weiße Karte erhalten. Zusätzlich habe er gewusst, dass Österreich sicher sei und er ohne Angst recherchieren könne. Spirituelle oder glaubensbezogene Motive für das Aufsuchen eines Taufvorbereitungskurses nannte der BF sohin nicht. Über Nachfragen, gab der BF an, er habe nicht gleich einen Taufkurs aufgesucht, sondern erst vier, fünf Monate nach seiner Ankunft. Über weiteres Nachfragen zum Besuch eines Taufkurses, obwohl er sich seinen Angaben zufolge lediglich für den christlichen Glauben interessiert habe, gab der BF an, dies sei das System der Kirche. In der Kirchengemeinde sei ihm dann aber alles klar geworden, hier habe er das Buch gelesen und den Glauben an Jesus gefunden. Die wiedergegebenen Antworten des BF machen deutlich, dass er keine glaubensspezifischen oder spirituellen Motive für den Wunsch nach einer Taufe und den Besuch des Taufkurses nennen konnte, sodass bereits aus diesem Grund die Ernsthaftigkeit einer Konversion erheblich in Zweifel zu ziehen ist.

Zu den angegebenen Recherchen hinsichtlich des christlichen Glaubens und der behaupteten Beschäftigung mit der Bibel wurde der BF aufgefordert, diese zu beschreiben und zu erläutern, doch war er dazu nicht in der Lage, erschöpfte sich die diesbezügliche Antwort des BF lediglich darin, dass sie dort vom Alten Testament, von der Schöpfung, Unterricht erhalten und christliche Filme angesehen und in den Gottesdiensten zwei Predigten erhalten hätten (VHS 16). Auch dieses Unvermögen des BF spricht nicht für eine ernsthafte Konversion, wäre er doch auch in diesem Zusammenhang zu umfassenderen, persönlichen und spirituellen Angaben in der Lage gewesen, was jedoch angesichts der soeben wiedergegebenen Antwort des BF zu verneinen ist.

Ebensowenig vermochte der BF den Prozess seiner Hinwendung zum christlichen Glauben (zB aufgrund welcher Quellen er sich informiert habe, Eindrücke, Gedanken, Ansichten) zu schildern, sondern gab der BF an, dass ihn die Predigten beeindruckt hätten und er selber von der Bibel gelesen habe und habe er alles Gelesene auch in christlichen Filmen gesehen; anfangs seien die Inhalte nicht so verständlich für ihn gewesen und sei versucht worden, diese im Unterricht zu erklären (VHS 17). Mit den soeben wiedergegebenen Angaben vermochte der BF jedoch den Prozess seiner Glaubensfindung nicht nachvollziehbar darzulegen, sondern lassen die wenigen oberflächlichen Antworten jegliche persönliche und spirituelle Auseinandersetzung des BF mit der christlichen Religion vermissen.

Auch war es dem BF, der schon kurz nach seiner Einreise in Österreich getauft wurde, nicht möglich, ein nachvollziehbares auslösendes Ereignis für seine Hinwendung zum Christentum und dem relativ schnell gefassten Entschluss, sich taufen zu lassen, festzumachen. In der Einvernahme vor dem BFA gab der BF dazu lediglich vage an, ihn habe die Religionsfreiheit interessiert (AS 198). Aber auch in der hg. Verhandlung war es ihm nicht möglich, nachvollziehbare Angaben zum Grund für sein behauptetes bereits im Iran beginnendes Interesse an einer neuen Religion darzutun oder konkret und eigeninitiativ darzulegen, weshalb bei ihm der Wunsch nach einem Glaubenswechsel geweckt wurde. Illustrativ sei dazu nachfolgende Passage aus der Verhandlungsschrift zitiert: „VR: Gab es ein auslösendes Ereignis für diese Hinwendung? BF: Ich kann von meiner Taufe erzählen. Ich habe von Herrn XXXX gehört, dass mit der Taufe Gott die Sünden vergibt. Man wird neugeboren und man beginnt neu. In der Taufe habe ich das gespürt. VR wiederholt und erörtert die Frage. BF: nein. Ich hatte Interesse und habe weiter recherchiert. Ich habe mich mit der Bibel beschäftigt. […] Je mehr ich vom Christentum erfahren habe, ist mir klargeworden, wie falsch Islam über das Christentum Informationen weitergibt. Ich habe dann die beiden Religionen verglichen. Das alles hat mich dazu gebracht. Zusätzlich habe ich die Zeugnisse von anderen gehört. Das hat mich auch beeindruckt, als ich erfahren habe, wie sie vorher gelebt haben und deswegen.“ (VHS, S 16). Wie diese Auszüge aus dem Verhandlungsprotokoll zeigen, blieben die Ausführungen des BF vage, substanzlos und ausweichend, was ebenso nicht für die Glaubwürdigkeit seiner Konversion spricht, wäre der BF doch andernfalls zu detaillierteren, konkreteren und eigeninitiativen Angaben, vor allem auch unter Darlegung persönlicher, spiritueller Aspekte, hinsichtlich seines Konversionswunsches in der Lage gewesen, was jedoch nicht der Fall war.

Hinsichtlich des Unterschiedes zwischen dem Islam und dem Christentum führte der BF über Befragen aus, die Liebe, die Jesus zu seinen Jüngern gehabt habe, gebe es im Islam nicht. Auch sei die Geburt von Jesus anders gewesen als die Geburt der Propheten im Islam, Jesus sei Sohn Gottes, gegen Krieg und Vergeltung; das sei das Gegenteil vom Islam. Im Islam gebe es keine Vergebung, nur Vergeltung (VHS, S 17). Eine persönliche vergleichende Auseinandersetzung mit seiner bisherigen Religion und seiner angegebenen aktuellen Religion, die den BF immerhin zur Taufe bewogen haben sollen, ist aus diesen wenigen, vagen und allgemein gehaltenen Angaben des BF jedoch nicht abzuleiten.

3.4.2.3. Der BF besuchte in Österreich lt. seinen Angaben in der hg. Verhandlung etwa einen Monat lang jeden Tag von 11.00 – 19.00 Uhr den Taufunterricht und wurde am XXXX getauft.

In der hg. Verhandlung wurde der BF nach seiner Taufe, der Vorbereitung dazu und nach seinen Beweggründen, sich taufen zu lassen, gefragt.

Auf die Frage, was ihn am Taufkurs besonders beeindruckt habe und die Aufforderung der erkennenden Richterin, dies möglichst umfassend zu schildern, gab der BF lediglich an: „Es gab Vieles, z.B. als wir über Erlösung, über die Taufe und Neugeburt und wie ein Christ leben sollte, gesprochen haben.“ und auf weitere Nachfrage: „Wenn man an Jesus glaubt und sich zu Jesus bekennt, wird man getauft. Mit der Taufe beginnt ein Mensch neu, er wird geistlich geboren. Gott vergibt die Sünden und man beginnt ein neues Leben. Mit Gott ist die Abmachung nach dem Tod, dass wir auferstehen und Jesus uns begleitet. Das ist der jüngste Tag.“ (VHS, S 17).

Aus diesen oberflächlichen und einstudiert wirkenden Antworten ist ersichtlich, dass der BF nicht in der Lage war, substantiierte Angaben zum Inhalt des Taufvorbereitungskurses zu treffen. Es ist jedoch von einer Person, welche sich tatsächlich für einen neuen Glauben interessiert und welche sich für den Schritt zur Taufe entschieden hat, zu erwarten, dass diese von sich aus umfassendere Angaben zum Taufvorbereitungskurs macht, etwa über Bibelstellen, welche sie besonders beeindruckt oder beschäftigt haben, über diskutierte Fragen und Ansichten im Kurs sowie über grundsätzliche, einprägsame Kursinhalte und eigene spirituelle Gedanken und Ansichten wiedergibt oder aber auch persönliche Begegnungen, welche positiv in Erinnerung blieben, benennt, was jedoch nicht geschehen ist, und keine fundierte Auseinandersetzung für den christlichen Glauben indiziert.

In der hg. Verhandlung wurde der BF auch nach seiner Taufe bzw. nach deren Ablauf und Inhalt sowie nach seinen persönlichen Eindrücken gefragt und was ihn dabei besonders bewegt habe. Nach seinen Beweggründen, sich taufen zu lassen, befragt, gab der BF an, er habe frei von Sünden sein wollen und Taufe sei ein wichtiges Symbol. Der BF machte von sich aus kaum Angaben zu Sinn und Bedeutung der Taufe bzw. zum Ablauf seiner Taufe, sondern erklärte über Aufforderung der Richterin, seine Taufe und persönlichen Eindrücke so genau als möglich zu schildern, wie folgt: „Nachdem ich den Taufkurs einen Monat lang besucht habe, …Ich wurde am XXXX getauft. Am Vormittag vor der Taufe haben wir noch eine Sitzung gehabt. Da haben sie uns erklärt, dass nach der Taufe Gott unsere Sünden vergibt und wir können am ritualen Abendmahl teilnehmen. Vor der Taufe haben wir gemeinsam gebetet. Sie haben mir drei Fragen gestellt, glaubst du an Jesus, dass er der Erlöser und Retter ist, bist du bereit, dass du dein früheres Leben und die Sünden hinter dir lässt und ein neues Leben beginnst und ist es dein Wunsch, dass du mit dem Heiligen Geist erfüllt wirst. Danach wurde ich getauft. Nach der Taufe haben wir noch einen Kurs besucht. Dort wurde erklärt, was unsere Aufgabe nach der Taufe sind.“ Weitere Angaben zur Taufe machte der BF nicht, und erklärte über Nachfragen der Richterin, er habe bereits vom Vorbereitungskurs und der Taufe erzählt (VHS, S 18).

Mit den zitierten Angaben, welche sich zum Großteil auf die Wiedergabe weniger äußerer Geschehnisabläufe beschränkten, vermochte der BF jedoch nicht zu erklären, was ihn persönlich an der Taufe besonders beeindruckt oder in spiritueller Hinsicht bewegt hat und kann von einem ernsthaften Empfang der Taufe im Lichte der wenigen unsubstantiierten Angaben des BF nicht ausgegangen werden.

Bei Betrachtung der Angaben des BF fällt auch auf, dass dieser weder Ausführungen des taufenden Pastors wiedergab noch eigene spirituelle Gedanken, Eindrücke und Empfindungen zum Taufakt und der verwendeten Symbole schilderte, sondern beschränkte er sich auf die genannten wenigen äußeren und oberflächlichen Geschehnisabläufe. Von einer Person, welche sich ernsthaft dem christlichen Glauben zuwendet und sich zum Schritt der Taufe, welche doch im Falle der Ernsthaftigkeit eine erhebliche Bedeutung einnimmt, entschließt, ist jedoch zu erwarten, dass diese eben solche spirituellen Gedanken oder Eindrücke, die sie besonders bewegt haben, wie zB Worte des Taufspenders, schildert, was jedoch im Falle des BF gänzlich unterblieben ist. Gerade der Entschluss zum Empfang der Taufe und diese selbst als christlicher Ritus, der die Eingliederung in die Gemeinschaft der Christen oder ein öffentliches Glaubensbekenntnis bedeutet, sodass dieser Schritt und die Vorbereitung darauf im Falle der Ernsthaftigkeit eine erhebliche Bedeutung einnimmt, müsste seitens des BF fundiert und unter Einbeziehung persönlicher Momente dargelegt werden können. Auch in diesem Zusammenhang ist daher festzuhalten, dass die Angaben des BF keine Rückschlüsse auf eine Ernsthaftigkeit seines Glaubenswechsels und den Empfang dieses Sakramentes zulassen.

Der BF wurde auch gefragt, warum er anlässlich der Taufe keinen christlichen Taufnamen angenommen habe und gab dazu an, er habe das nicht gewollt, da sein Name nicht islamisch oder iranisch sei. Auch aus dieser Erklärung des BF ist ersichtlich, dass es dem BF um den öffentlich wirksamen Akt der Taufe ging, er jedoch keinerlei persönliches Interesse am Erhalt eines christlichen Namens hat, wenngleich ein solcher keine zwingende Voraussetzung für eine ernsthafte Konversion ist.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass aus dem Umstand, dass der BF nur drei Monate nach seiner Einreise einen Taufvorbereitungskurs besuchte und bereits – nach Absolvierung dieses Kurses – ein Monat später getauft wurde, er zur Taufe keine wesentlichen Elemente nannte, keine Ausführungen des taufspendenden Pastors wiedergab und ihm auch ein christlicher Taufname nicht wichtig war. Auch dies sowie die mangelnde spirituelle persönliche Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Taufe und den Inhalten des Taufvorbereitungskurses stellt im Lichte der gesamten einzelfallbezogenen Beweiswürdigung weitere gravierende Indizien für die mangelnde Ernsthaftigkeit der Konversion des BF dar.

Auch die Tatsache, dass der BF über die taufspendende Organisation, nämlich die XXXX -Kirche, welche zum Bund der Baptisten und den Freikirchen Österreichs zählt, kaum Angaben machen konnte, spricht nicht für eine ernsthafte Haltung des BF hinsichtlich der Organisation als Taufspender. Zwar konnte der BF die Bedeutung von XXXX erklären, doch konnte er keinerlei Angaben zum Bund der Baptisten oder der Freikirchen machen. Auch die vom BF genannten Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten beschränkten sich auf unterschiedliche Feste, ohne diese konkret zu benennen und dass er über die 95 Thesen von Martin Luther gelesen habe. Weitere Ausführungen machte der BF dazu nicht und nannte insbesonders nicht inhaltliche Besonderheiten, wie etwa die Sichtweise zu Maria, zum Zölibat, zu Hierarchien und zum Papst oder zu besonderen Feiertagen. Weder nannte der BF den Reformationstag noch führte er den Karfreitag ins Treffen, was erneut nicht dafür spricht, dass der BF den neuen Glauben ernsthaft praktiziert, müssten ihm diese für den evangelischen Glauben besonders wichtigen Feste jedenfalls bekannt sein, was jedoch nicht der Fall war. Aus den wenigen vom BF wiedergegebenen Sätzen kann jedenfalls nicht darauf geschlossen werden, dass sich der BF mit den Spezifika des evangelischen Glaubens auseinandergesetzt hat, ihm solche bekannt oder für ihn richtungsweisend sind. Da der BF besondere Glaubensinhalte des evangelischen Glaubens oder besondere Standpunkte, die von diesem Glaubenszweig vertreten werden, nicht nannte, ist davon auszugehen, dass seitens des BF genannte pragmatische Überlegungen, wie die Präsenz von farsisprechenden Teilnehmern und Dolmetscher in der XXXX -Kirche, ursächlich für die Hinwendung zum evangelischen Glauben waren, und nicht etwa Spezifika dieses Glaubenszweiges. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, dass eine Person, die sich ernsthaft einem neuen Glauben zuwendet und einen derart markanten Schritt wie die Taufe setzt, keine Informationen über die betreffende Organisation bzw. den Glaubenszweig einholt und sich damit auseinandersetzt, sodass die Vorgehensweise des BF einmal mehr gegen eine glaubwürdige Konversion zum christlichen Glauben spricht.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der BF weder ein nachvollziehbares auslösendes Ereignis für seine Hinwendung zum Christentum nennen und nachvollziehbar beschreiben noch darlegen konnte, weshalb er sich für den Schritt der Taufe entschieden hatte; er war auch nicht in der Lage, konkrete oder detaillierte Angaben über den Taufvorbereitungskurs, die Taufe selbst oder über die taufspendende Organisation machen. Auch im Lichte dieser Ausführungen ist die Ernsthaftigkeit seiner Konversion erheblich in Zweifel zu ziehen.

3.4.2.4. Der Beschwerdeführer wurde sowohl in der behördlichen Einvernahme als auch in der hg. Beschwerdeverhandlung zu Inhalten des christlichen Glaubens und der Bibel sowie zum Praktizieren seines Glaubens und zu diesbezüglichen persönlichen Eindrücken befragt und vermochte der BF zwar einige Fragen zu zentralen Bibel- und Glaubensinhalten kurz zu beantworten, doch waren ihm andererseits Ausführungen zu essentiellen Bibelinhalten und zu seiner persönlichen Glaubenspraxis oder zu persönlichen spirituellen Eindrücken nicht möglich und sein diesbezügliches Wissen insgesamt sehr lückenhaft. Der teilweisen korrekten Beantwortung der Fragen kommt im vorliegenden Fall bei Gesamtbetrachtung der sonstigen fallbezogenen Faktoren jedoch eine untergeordnete Bedeutung zu, zumal das Wissen des BF zu religiösen Inhalten teilweise auch gravierende Lücken aufwies.

Gefragt nach Inhalten des Glaubens, die ihn fasziniert hätten, verwies der BF auf Matthäus 15; wer glaube, werde gerettet, wer nicht glaube gehe verloren; diese gute Nachricht solle weitergegeben werden. Dieser Vers, so der BF, stehe sogar in seinem Taufzeugnis (VHS, S 16). Weitere Angaben machte der BF zu dieser Stelle, die ihn besonders fasziniere, nicht. Es ergab schon ein Vergleich mit dem Taufzeugnis, dass darin ein anderer Vers (Matthäus 28, 19+20) – mit anderen Inhalt - angeführt war. Gerade in Verbindung mit einer Lieblingsstelle, die zudem Inhalt der Taufurkunde sein soll, kann aber erwartet werden, dass die betreffende konkrete Quelle und deren Inhalt zitiert oder zumindest diese konkret genannt wird, was jedoch nicht der Fall war. Der BF war auch nicht in der Lage, persönliche spirituelle Ansichten und Gedanken zu der von ihm zitierten Stelle darzulegen und von sich aus anzugeben, was ihn konkret an der Stelle beeindruckt habe, was jedoch ebenfalls nicht der Fall war und einmal mehr nicht auf ein interessiertes Bibelstudium schließen lässt.

Dem BF, der seit XXXX getauft ist und angibt, regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen, war auch der Begriff und die Bedeutung des Kirchenjahres nicht bekannt. Auf die Frage, wie es für Christen nach Advent und Weihnachten im laufenden Jahr weitergehe, nannte der BF Pfingsten, dann käme die Auferstehung, Ostern. Weitere Aussagen zum Kirchenjahr konnte der BF nicht tätigen, er meinte nur, Pfingsten doch falsch gesagt zu haben (VHS, S 21). In Anbetracht dessen, dass der BF bereits im XXXX getauft wurde und angibt, in Österreich seinen Glauben zu praktizieren und regelmäßig Gottesdienste zu besuchen, ist davon auszugehen, dass der BF den Ablauf eines Kirchenjahres kennen und ihm vor allem bekannt sein müsste, dass Ostern vor dem Pfingstfest gefeiert wird, der BF während seines Aufenthaltes in Österreich ein Kirchenjahr bereits mehrmals durchlaufen haben müsste und in den Gottesdiensten auch auf die jeweils gerade aktuellen Ereignisse des Kirchenjahres Bezug genommen wird, was einmal mehr gegen eine ernsthafte Hinwendung des BF zum christlichen Glauben und auch gegen eine interessierte Teilnahme an Gottesdiensten spricht.

Zu seiner Glaubenspraxis befragt gab der BF an, er müsse den 10 Geboten folgen und regelmäßig in die Kirche zu gehen. Eine wichtige Aufgabe sei das Missionieren und er nehme an Feierlichkeiten und christlichen Festen teil. Weitere Angaben zu seiner Glaubenspraxis machte der BF nicht, sondern verneinte die Frage, ob er noch etwas angeben wolle, was ihm dazu wichtig sei. Der BF erwähnte insbesondere nicht ein eigenständiges Lesen in der Bibel oder das persönliche Gebet, was erneut den Schluss zulässt, dass der BF den christlichen Glauben nicht praktiziert, bezeichnet doch gerade das Gebet eine besonders wichtige Glaubenspraxis vieler Religionen.

Eine Person, die sich tatsächlich für den christlichen Glauben interessiert, ja sogar angibt, zu diesem konvertiert zu sein, würde jedoch nach allgemeiner Lebenserfahrung und auch nach der Erfahrung der erkennenden Richterin im Zusammenhang mit Asylverfahren von Personen, die zum christlichen Glauben konvertiert sind, gerade die Bibel, die als Heilige Schrift mit normativem Anspruch für die ganze Religionsausübung gilt und für Christen die wichtigste Urkunde des Glaubens darstellt, die zentrale Erkenntnisquelle zum Vertiefen und Praktizieren des neuen Glaubens heranziehen und darin lesen, dies vor allem auch deshalb, da im Gegensatz zum Iran, in Österreich eine ungehinderte Auseinandersetzung mit den Inhalten möglich ist.

Darüber hinaus ist davon auszugehen und entspricht es auch dem hg. Amtswissen, dass eine Bibel in der vom BF gesprochenen Sprache jedenfalls auch in Österreich erhältlich ist und kann diese auch im Internet abgerufen werden.

Der BF wurde auch gefragt, welches christliche Fest er zuletzt gefeiert habe und gab an, dass dies Weihnachten gewesen sei. Gefragt, wie er persönlich die Weihnachtsfeiertage verbracht habe, erklärte er, er habe Weihnachten mit der Familie seiner Freundin gefeiert. Aufgrund der Pandemie hätten sie nichts unternehmen können und seien zu Hause gewesen. Die Mutter seiner Partnerin habe ihm alles über Jesus und seine Geburt erzählt und sie hätten gemeinsam zu Abend gegessen. Eigenständige Angaben zum inhaltlichen, spirituellen persönlichen Begehen des Weihnachtsfestes, wie etwa dem eigenständigen Lesen des Weihnachtsevangeliums, dem Lesen spiritueller Texte oder der persönlichen Begehung der Weihnachtsfeiertage machte der BF nicht. Auch die Teilnahme am Weihnachtsgottesdienst (über Zoom) bestätigte der BF erst auf dezidierte Nachfrage, er war aber nicht in der Lage, Inhalte des Weihnachtsgottesdienstes wiederzugeben, sondern beschränkten sich seine Aussagen auf oberflächliche Angaben wie „er hat online stattgefunden und zirka eine Stunde gedauert. Unsere Pastorin hat uns gratuliert und uns von Jesus erzählt und seiner Geburt. Sie hat uns zum neuen Jahr gratuliert und gebetet. (BF schweigt)“ (VHS, S 21). Besondere Ausführungen zu Elementen, wie sie zu einem Weihnachtsgottesdienst üblich sind, wie zB dem Lesen des Weihnachtsevangeliums, der Weihnachtspredigt etc. machte der BF nicht.

Auch auf die Frage, welche Bedeutung Weihnachten für den BF persönlich habe, erschöpfte sich die Antwort in der Aussage „Das ist die Geburt des Sohnes Gottes. Er ist auf Wunsch Gottes auf die Erde gekommen. Er ist immer bei uns (BF schweigt). Körperlich ist er gestorben, aber er lebt.“, ohne aber nur ansatzweise darzulegen, welche persönliche Bedeutung dieses Hochfest der Christen für ihn persönlich habe.

Auf die Frage, warum Jesus in einem Stall geboren worden sei, gab der BF lediglich an, dies sei 700 Jahre vor seiner Geburt vorausgesagt worden; weitere Ausführungen zur Geburt von Jesus und dessen Geburt in einem Stall sowie den diesbezüglichen Ausführungen im Weihnachtsevangelium machte der BF nicht.

Angesichts der Tatsache, dass die Geschehnisse um die Geburt Christi umfassend in der Bibel dargestellt werden und im Mittelpunkt des Weihnachtsfestes der Glaube steht, dass Gott Mensch geworden ist, um die Menschen zu erlösen und das Weihnachtsfest auch von christlichen Bräuchen geprägt ist und die Weihnachtsfeiertage einen längeren Zeitraum im Kirchenjahr einnehmen, vermochte der BF im Lichte seiner wenigen fragmentarischen Angaben nicht von einem ernsthaften Begehen des Weihnachtsfestes als gläubiger Christ zu überzeugen.

Auch der Umstand, dass der BF nicht in der Lage war, von sich aus die Geschehnisse um die Geburt Jesu zu schildern und die wenigen oberflächlichen Angaben des BF zum Begehen des Weihnachtsfestes bzw. die online-Teilnahme am Weihnachtsgottesdienst schlagen sich besonders gravierend auf die Glaubwürdigkeit der behaupteten Konversion des BF nieder, handelt es sich doch hiebei um eines der wichtigsten Hochfeste der Christen.

Überdies sprechen die Angaben des BF gegen eine interessierte Gottesdienstteilnahme des BF, da gerade im Weihnachtsgottesdienst, den der BF während seines Aufenthaltes in Österreich bereits mehrmals durchlaufen haben müsste, die diesbezüglichen Ereignisse ausführlich thematisiert und behandelt werden.

Auf die Frage, wie er persönlich die Zeit vor Weihnachten verbracht habe, meinte der BF – offenbar aufgrund der coronabedingten Einschränkungen – dies liege zwei Jahre zurück; er sei „überall bei Licht, beim Schmuck der Kirche und bei der Begrüßung“ dabei gewesen. Dass der BF coronabedingt an der persönlichen Begehung der Adventszeit gehindert worden wäre zeigt auf, dass ihm eine solche kein Anliegen ist, wäre es ihm doch unbenommen gewesen, selbst diese Zeit spirituell zu begehen und als Zeit zur inneren Einkehr und Besinnung zu nützen, was einmal mehr gegen eine ernsthafte Hinwendung des BF zum christlichen Glauben oder eine diesbezügliche Glaubenspraxis spricht, hätte der BF doch diesfalls weiterführende Angaben zu Sinn und Bedeutung dieser Zeit vor Weihnachten und zu einer eigenen spirituellen Bedeutung dieser Zeit für ihn machen können, was jedoch nicht geschehen ist. Erst auf Hinweis, dass es sich bei der Vorweihnachtszeit um eine besondere Zeit für Christen handelte, ergänzte der BF seine Ausführungen dahingehend, „Das ist Adventzeit. Vier Wochen vor der Geburt zünden die Christen jede Woche am Sonntag eine Kerze an. Die erste Kerze bedeutet Frieden, die zweite bedeutet Freundlichkeit, die dritte Kerze bedeutet Liebe und die vierte bedeutet Licht für die Ankunft von Jesus“. Mag zwar die Bedeutung der Kerzen teilweise richtig sein (Anm: Bedeutung der 4 Kerzen: Prophezeiung – Frieden – Freude – Liebe), so vermittelt der BF mit der Art der Beantwortung jedoch lediglich eingelerntes (Teil-)Wissen ohne jeglichen persönlichen Bezug oder einer individuellen Glaubenspraxis und lassen keine persönliche Auseinandersetzung oder Begehung der Adventszeit erkennen, auch wenn der BF auf weitere Nachfrage angab, dass er jede Woche in der Kirche gewesen sei und selber die Kerze angezündet habe.

Auch war das Wissen des BF über Ostern, dem zentralen christlichen Hochfest, über welches umfassend in den Evangelien berichtet wird, äußerst fragmentarisch. Der BF gab über Aufforderung, alles was er darüber wisse und was ihm wichtig erscheine, anzugeben, an, Ostern sei entweder im März oder im April, sei ein Symbol von Schmerz, Tod und Wiedererstehung von Jesus Christus; es beginne mit dem Gründonnerstag, Freitag sei Kreuzigung, heiliger Samstag und Auferstehung am Sonntag. Mit diesen Ausführungen gab der BF – auch nach nochmaliger Nachfrage, ob er noch etwas angeben wolle, was ihm wichtig erscheine, - jedoch wiederum nur eingelerntes und äußerst bruchteilhaftes Wissen (Am Freitag wurde Jesus gekreuzigt und drei Tage später am Sonntag kommt er von den Toten zurück und wir feiern seine Auferstehung. Er erscheint 40 Tage den Jüngern. Und am 40. Tag ist er in den Himmel aufgefahren.) ohne Details und jeglichen persönlichen oder spirituellen Bezug oder individueller Glaubenspraxis wieder.

Da Leiden, Sterben und Auferstehung Christi das höchste Fest im Kirchenjahr als Dreitagefeier begangen wird und die Gottesdienste sich seitdem in den meisten Liturgien von der Feier des letzten Abendmahls am Gründonnerstagabend – dem Vorabend des Karfreitags – über den Karsamstag, den Tag der Grabesruhe des Herrn, bis zum Anbruch der neuen Woche am Ostersonntag erstrecken und mit dem Ostersonntag „Sonntag der Auferstehung“ die österliche Freudenzeit (Osterzeit) beginnt, die fünfzig Tage bis einschließlich Pfingsten dauert, müsste der BF zu weitergehenden Angaben in der Lage sein, was jedoch nicht der Fall war und einmal mehr gegen eine Konversion, eine interessierte Gottesdienstteilnahme und ein engagiertes Bibelstudium des BF spricht.

Ebensowenig konnte der BF die Bedeutung von Pfingsten näher erläutern, sein Wissen dazu beschränkte sich darauf, dass Jesus in den Himmel aufgefahren ist und danach den Heiligen Geist geschickt hat. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass Pfingsten neben Weihnachten und Ostern als christliches Hochfest gilt, an dem die Gläubigen die Sendung des Geistes Gottes zu den Jüngern Jesu und seine bleibende Gegenwart in der Kirche feiern. Dieses Datum wird in der christlichen Tradition auch als Gründung der Kirche verstanden und wird gerade die Sendung des Hl. Geistes in der Form von Feuerszungen und Brausen in der betreffenden Bibelstelle eindrücklich geschildert. Der BF schilderte nicht, dass das Ereignis die Menschen so beeindruckte, dass sich Tausende von Gläubigen taufen ließen. Im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte beschreibt Lukas, dass die Apostel und Jünger in Jerusalem vom Heiligen Geist erfüllt wurden und wie durch ein Wunder anfingen, ihnen bis dahin unbekannte Sprachen zu sprechen und zu verstehen. Mit dieser neuen Fähigkeit gewappnet zogen die Apostel in die Welt, um den Menschen von den Geschichten Jesu und seiner Jünger zu erzählen. Der BF konnte auch nicht angeben, warum Pfingsten, dieses Datum wird in der christlichen Tradition auch als Gründung der Kirche verstanden, von besonderer Wichtigkeit für die Kirche ist und konnte auch nicht angeben, was darüber in der Bibel steht. Dass der BF überhaupt keine bzw. kaum Kenntnis zu Pfingsten hat und im Hinblick darauf, dass es sich bei Pfingsten um ein zentrales christliches Fest handelt, ist einmal mehr nicht von einer ernsthaften Konversion des BF auszugehen.

Da die hg. Beschwerdeverhandlung am Aschermittwoch stattfand, wurde der BF zur Bedeutung dieses Tages befragt. Der BF wusste zwar, dass dies der Beginn der Fastenzeit sei und gab über Nachfragen an, dass er selbst 40 Tage lang faste und Fleisch vermeide, doch zum Hintergrund dazu bzw. was in der Bibel dazu stehe befragt, gab der BF an, dies sei die Erinnerung an den Körper von Jesus, dass er gekreuzigt wurde und sich für uns geopfert habe, dies sei ihm so erklärt worden. Die vierzigtägige Fastenzeit und der damit zusammenhängende Aufenthalt Jesu in der Wüste stellen jedoch zentrale Inhalte der christlichen Glaubenslehre dar; dass der BF die entsprechenden Ausführungen in der Bibel nicht kennt, lässt wiederum auf fehlendes Bibelstudium des BF schließen.

Für eine Person, die sich tatsächlich für den christlichen Glauben interessiert, ja zu diesem konvertiert ist, stellt überdies nach allgemeiner Lebenserfahrung und auch nach der Erfahrung der erkennenden Richterin im Zusammenhang mit Asylverfahren von Personen, die zum christlichen Glauben konvertiert sind, gerade die Bibel, die als Heilige Schrift mit normativem Anspruch für die ganze Religionsausübung gilt und für Christen die wichtigste Urkunde des Glaubens darstellt, die zentrale Erkenntnisquelle zum Vertiefen und Praktizieren des neuen Glaubens dar, dies vor allem auch deshalb, da im Gegensatz zum Iran in Österreich eine ungehinderte Auseinandersetzung mit den Inhalten möglich ist und dem BF, der über eine gute Schulbildung mit Maturaabschluss verfügt, umfassend Zeit zur Verfügung stand.

Auch die Behauptung des BF, selbst die Fastenzeit einzuhalten, ohne dazu weiterführende Angaben zu machen, lässt – unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage – jegliche Bedeutung für den BF als Zeit der Reinigung und Vorbereitung Ostern vermissen.

Der BF mag zwar von Ostern, Advent oder Weihnachten gehört haben, kann jedoch weder Zusammenhänge zur Bibel noch zu einer persönlichen Glaubenspraxis herstellen, was eine ernsthafte Konversion, vor allem auch angesichts der Angabe des BF, wonach er sich schon in seinem Herkunftsland und seit nunmehr sechs Jahren in Österreich mit dem Christentum beschäftigt und einer christlichen Gemeinde angehört, deutlich ausschließt.

Vielmehr erwecken die kurzen und substanzlosen Antworten des BF in der hg. Verhandlung den Anschein, rudimentäres Wissen, welches er sich angeeignet hat bzw. welches ihm vermittelt wurde, wiederzugeben, doch lassen diese eigene spirituelle Gedanken, persönliche Aspekte sowie weiterführende Ausführungen und Zusammenhänge gänzlich vermissen.

Der BF gab an – und wird dies auch durch die Besuchs- und Mitgliedschaftsbestätigung der Baptisten Gemeinde vom 28.01.2022 bestätigt - regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen, was von der erkennenden Richterin auch nicht bezweifelt wird.

Zum Ablauf des Gottesdienstes und der Bedeutung der einzelnen Elemente befragt gab der BF wie folgt an: Der Beginn des Gottesdienstes ist ein Gebet, dann beginnen wir mit den christlichen Liedern, wir freuen uns und sagen den Namen Jesus. Danach kommt die Spende. Ein Zehntel von unserem Vermögen spenden wir. Danach beginnen die Predigten, eine Predigt vom Neuen Testament und eine vom Alten Testament und deren Bedeutungen. Danach beten wir gemeinsam. So beenden wir den Gottesdienst.“ (VHS, S 23). Auch wenn der BF in der Lage war, rudimentär den Ablauf eines Gottesdienstes darzustellen, so fällt insbesondere auf, dass er das zentrale Element, das Sakrament Abendmahl, nicht benannte. Da es sich dabei um einen wesentlichen Bestandteil eines Gottesdienstes handelt, macht das Unterlassen von dahingehenden Angaben durch den BF evident, dass ihm der Bedeutungsgehalt des Sakraments Abendmahl im Gottesdienst nicht bekannt ist. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass dem BF das Abendmahl zwar bekannt war und er die Frage danach auch in einem anderen Kontext beantworten konnte (VHS, S 19), doch zeigt die Nichtnennung des Abendmahls im Zusammenhang mit dem Gottesdienst, dass dem BF dessen Bedeutung nicht bewusst ist und er machte auch keine persönlichen Angaben oder spirituellen Ausführungen zum Empfang dieses Sakraments im Gottesdienst. Auch fällt bei Betrachtung der Angaben des BF auf, dass er nicht in der Lage war, zwischen Lesung aus der Bibel und der Predigt zu unterscheiden.

Befragt zu Predigten, die ihn besonders beeindruckt hätten, verwies der BF auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk, 15,11). Bewegt habe ihn dabei, dass Gott uns wie ein Vater liebe, uns die Möglichkeit zu beichten gebe und uns vergebe. Als weitere Predigt, die ihn beeindruckt habe, verwies der BF auf das Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mt 21, 33-41). Damit erzählt der BF aber lediglich Gleichnisse, die ihm vermittelt und erklärt wurden. Mögen zwar diese Gleichnisse einer Predigt zugrunde gelegt gewesen sein, so unterlässt es der BF jedoch gänzlich, darzulegen, weshalb diese Gleichnisse in der Predigt behandelt wurden, was den Gläubigen bzw. dem BF damit vermittelt werden sollte und warum ihn gerade diese Predigten so beeindruckt hätten.

Im Lichte der Tatsache, dass die Predigt eine besondere Stellung im Neuen Testament und im Gottesdienst einnimmt, lassen die soeben wiedergegebenen wenigen Angaben des BF einmal mehr Rückschlüsse auf die mangelnde Ernsthaftigkeit einer Konversion und die wenig interessierte Teilnahme am Gottesdienst zu und ist eine inhaltliche und ernsthafte Auseinandersetzung des BF mit den Themen und Abläufen des Gottesdienstes und deren Bedeutung nicht erkennbar.

Darauf bezugnehmend, dass Lieder im evangelischen Glauben eine besondere Bedeutung einnehmen (die Kirchenmusik ist – nach Martin Luther – nicht nur Medium der Verkündigung, nicht nur Antwort auf die frohe Botschaft, sondern zugleich auch „Lehrmeisterin“ des Glaubens – sie vermittelt geistliche Texte) und auch in jedem Gottesdienst Lieder gesungen werden, wurde der BF nach solchen gefragt, er konnte jedoch nur zwei Liedertitel nennen („Halleluja, Heiliger Geist“). Dass der BF nicht mehr im Gottesdienst gesungene Lieder bzw. konkrete Liedertitel wiedergeben konnte, spricht einmal mehr nicht für eine interessierte Gottesdienstteilahme des BF, hätte er sich doch diesfalls im Laufe der Jahre auch mit den darin gesungenen Liedertexten inhaltlich auseinandergesetzt. Das gemeinsame Singen ist in vielen Liturgien die Antwort der Gemeinde auf Predigt oder Gebet, ist selbst Gebet und Dank, dient der Pflege der Gemeinschaft, aber vor allem der Verinnerlichung der Glaubensinhalte, sodass im Lichte der Angaben des BF, der seit dem Jahr 2016 an Gottesdiensten teilnimmt, in diesem Zusammenhang einmal mehr nicht von einer ernsthaften Glaubenspraxis auszugehen ist.

Letztlich fällt auf, dass der BF zwar Teile eines Gottesdienstes benennen konnte, doch auf deren Bedeutung nicht einging, obwohl er ausdrücklich auch danach gefragt worden war.

Aufgrund der Angaben des BF kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich dieser mit den Inhalten des Gottesdienstes bzw. den diesbezüglichen wiederkehrenden Abläufen näher beschäftigt hat oder er ernsthaft am Gottesdienst teilnimmt und ist es ihm nicht gelungen, ein besonderes Interesse an zentralen Elementen wie Evangelium, Abendmahl und der Predigt darzutun.

Vor allem bei einem neuen und begeisterten Christen, der sich in einem Land, in dem im Gegensatz zum Herkunftsstaat, Glaubensfreiheit herrscht, befindet, kann jedoch davon ausgegangen werden, dass er sich vor allem auch mit Predigten auseinandersetzt und besonders einprägsame diesbezügliche Inhalte benennen und die Höhepunkte eines Gottesdienstablaufes schildern kann, was der BF jedoch nicht vermochte. Im Lichte dieser Ausführungen des BF ist einmal mehr davon auszugehen, dass seine Angaben zur Konversion nicht glaubwürdig sind, hätte er doch andernfalls inhaltliche Angaben zum Gottesdienst, welcher als Zusammenkunft von Menschen mit dem Zweck, mit Gott in Verbindung zu treten, mit ihm Gemeinschaft zu haben, Opfer zu bringen, Sakramente zu empfangen bzw. eine auferlegte religiöse Pflicht zu erfüllen, zu verstehen ist, gemacht. Ein ernsthaftes Bemühen des BF, das Evangelium oder die Predigt zu verstehen, ist jedenfalls nicht erkennbar, was wiederum nicht für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Inhalten des Gottesdienstes und eine interessierte Teilnahme am Gottesdienst spricht.

Die alleinige Präsenz des BF in Gottesdiensten, welche die erkennende Richterin auch gar nicht in Abrede stellt, lässt jedoch nicht gleichzeitig auf eine innere Haltung im Sinne einer interessierten Teilnahme und spirituellen Auseinandersetzung schließen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der BF trotz der in Österreich herrschenden Glaubensfreiheit kein tatsächliches Interesse am christlichen Glauben, welches einer Konversion naturgemäß vorgeschaltet sein muss, hat und sich offensichtlich darauf beschränkte, einige Antworten auf Wissensfragen zu erlernen und außenwirksame Akte wie Taufe und Gottesdienstbesuche zu setzen, womit er jedoch nicht von einer persönlichen tatsächlichen Konversion zu überzeugen vermochte.

Nach Bibelstellen gefragt, die er nicht verstehe, führte der BF aus, es gebe keine solchen Stellen, was bei Gesamtbetrachtung der Angaben des BF nicht nachvollziehbar ist und nicht für ein engagiertes Lesen der Bibel und eine interessierte, engagierte Auseinandersetzung mit Bibelinhalten schließen lässt, käme es diesfalls doch naturgemäß immer wieder - so auch bei Theologen - zu offenen Fragen und verschiedenen Auslegungen.

Die erkennende Richterin übersieht nicht, dass es sich bei der Hinwendung zu einem neuen Glauben um einen dynamischen Prozess handelt, doch kann von einer Person, welche bereits wenige Monate nach ihrer Einreise in Österreich getauft wurde und seither den christlichen Glauben praktizieren will, angenommen werden, dass sie sich mit dem neuen Glauben intensiv auseinandersetzt und kann erwartet werden, dass die zentralen Glaubensgrundsätze und das betreffende Bibelwissen umfassend verinnerlicht und nachhaltig verfestigt sind, was beim BF jedoch nicht der Fall war. Hinzu kommt, dass es dem BF im Lichte seiner Ausbildung (12jährige Schulbildung) und der Zeit, die ihm zur Verfügung steht (er ging seit seiner Einreise im XXXX bislang keiner Beschäftigung nach) ohne Schwierigkeiten möglich ist, entsprechende Glaubensinhalte einzustudieren. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass dem BF in Österreich - im Gegensatz zum Iran - eine ungehinderte Auseinandersetzung mit den Inhalten eines neuen Glaubens möglich ist. Angesichts seines nunmehr sechsjährigen Aufenthaltes in Österreich, seiner im XXXX erfolgten Taufe und seines regelmäßigen Gottesdienstbesuches, müsste davon auszugehen sein, dass sich zumindest die zentralen Bibel- und Glaubensinhalte nachhaltig beim BF verfestigt haben. Aufgrund der soeben dargelegten Angaben bzw. Unkenntnis des BF kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der BF Bibelwissen angeeignet und sich mit Bibelinhalten ernsthaft auseinandergesetzt hat, was einmal mehr gegen die Glaubwürdigkeit seiner Konversion spricht.

Zu den seitens des BF in der hg. Verhandlung gegebenen Antworten in Zusammenhang mit Glaubensinhalten sowie Glaubens- und Bibelwissen ist ferner festzuhalten, dass sich diese zum Teil auf die kurze Wiedergabe von Informationen beschränkten, jedoch eine umfassende und eigeninitiative Wiedergabe von Bibelwissen und Glaubenspraxis verbunden mit eigenen spirituellen Gedanken, Details oder Zusammenhängen, wie es Personen, welche sich tatsächlich einem neuen Glauben zugewandt haben und gerade aus Begeisterung darüber, es diesen ein Bedürfnis ist, darüber zu sprechen, vermissen lassen. Auch wies das Wissen des BF zu seiner neuen Religion hinsichtlich zentraler Punkte gravierende Lücken auf.

3.4.2.5. Der BF hat im Vorfeld der hg. Beschwerdeverhandlung die zeugenschaftliche Einvernahme der Pastorin beantragt. Da diese im XXXX eine schriftliche Stellungnahme (Beilage 1 zur VHS) abgegeben hatte, verzichtete der BF in der hg. Verhandlung auf deren Einvernahme. Aber auch die Stellungnahme der Pastorin konnte die erkennende Richterin nicht von der ernsthaften und nachhaltigen Hinwendung des BF zum Christentum überzeugen, zumal darin wiederum nur nach außen in Erscheinung tretende Faktoren (Teilnahme am Taufkurs und an den Gottesdiensten, gemeinsames Singen und Bibelstudium mit anderen Mitgliedern), welche seitens des erkennenden Gerichts auch nicht in Zweifel gezogen werden, wiedergegeben werden. Eine spürbare, nachvollziehbare innere Zuwendung des BF zum Christentum und Ausführungen dazu, warum eine solche für die Pastorin und auch andere Gemeindemitglieder, die sich in Unterstützungsschreiben zur Glaubenspraxis des BF äußerten, erkennbar wäre, ist diesen Aussagen jedoch nicht zu entnehmen. Dass der BF in der Lage sein soll, Zitate aus der Bibel wiederzugeben (Unterstützungsschreiben vom XXXX , Beilage 7 zur VHS) ist in Anbetracht der ihm zur Verfügung stehenden Zeit, sich Bibelwissen anzueignen, nicht überzubewerten und kompensiert zudem nicht die dennoch bestehenden gravierenden Wissenslücken des BF.

Selbiges gilt für die vorgelegten Unterstützungsschreiben, wonach der BF bei Pfarrflohmärkten mitgearbeitet habe (Schreiben vom XXXX ), im Garten Rasen gemäht hat (Schreiben vom XXXX ).

Gerade die ernsthafte, individuelle, persönliche Glaubenspraxis, die spirituelle Haltung, der persönliche, weltanschauliche Glaube, der seine konkrete Bedeutung für jeden Einzelnen bestimmt, lässt nach hg. Ansicht Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit einer Konversion zu, doch vermochte der BF solche aus genannten Gründen nicht darzulegen.

Insgesamt fehlen der erkennenden Richterin Wahrnehmungen dazu, dass der BF die Gelegenheit nutzen würde, in einem Land, in dem im Gegensatz zum Herkunftsland Glaubensfreiheit herrscht, sich persönlich und ernsthaft mit Bibelinhalten auseinanderzusetzen und darüber zu diskutieren, eigene spirituelle Gedanken, Details oder Zusammenhängen, zu formulieren und mit Vertrauenspersonen zu diskutieren, wie es Personen tun, welche sich tatsächlich einem neuen Glauben zugewandt haben und gerade aus Begeisterung darüber, ein Bedürfnis ist, darüber zu sprechen.

3.4.2.6. Auch von einer missionarischen Tätigkeit des BF, welche die Weitergabe von Glaubenslehre, die Verkündung des Glaubens und die Bekehrung zu dem betreffenden Glauben beinhaltet, kann beim BF aufgrund der bisherigen hg. Ausführungen nicht ausgegangen werden. Zwar behauptete der BF in der behördlichen Einvernahme, bereits im Herkunftsland insofern missionarisch tätig gewesen zu sein, indem er christliche Unterlagen an Freunde weitergegeben habe und sie zu seiner von ihm zu gründenden Hauskirche kommen könnten (AS 197), doch war schon dem Vorbringen des BF, sich bereits im Herkunftsland mit dem Christentum auseinandergesetzt zu haben, insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen (vgl. Punkt 3.4.1.4.) und kam es – den Ausführungen des BF zufolge – auch zu keiner Hauskirchengründung. Auch in der hg. Beschwerdeverhandlung gab der BF an, bereits missionarisch tätig gewesen zu sein, nämlich hinsichtlich seiner Freundin bzw. Verlobten und seinem Deutschlehrer. Es erschließt sich der erkennenden Richterin jedoch nicht, wie der BF mit seinem lückenhaften Wissen seine Verlobte, deren Mutter zudem sehr gläubig sein soll (VHS, S 20), missioniert haben will. Auch die Missionierung des Deutschlehrers beschränkte sich – den Angaben des BF zufolge – darauf, dass er ihm erklärt habe, warum er in die Kirche gehe und was Erlösung bedeute; die Missionierung sei aber nicht erfolgreich gewesen, da der Deutschlehrer ohne Bekenntnis sei und weiterhin an nichts glaube. Die drei Afghanen, die er in die Kirche mitgenommen haben will, seien nicht mehr in Österreich aufhältig (VHS, S 25). In diesen Aktivitäten des BF ist jedoch - unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage – eine missionarische Tätigkeit im Sinne einer Aktion, um Menschen in ihrem Glauben zu festigen oder für den Glauben neu zu gewinnen, mit diesen Menschen in eine religiöse Diskussion zu treten, den eigenen (neuen) Glauben zu vertreten und andere davon zu überzeugen, nicht zu erkennen und in Anbetracht des fragmentarischen und oberflächlichen Wissens des BF über seine neue Religion auch nicht zu erwarten.

3.4.2.7. Die Antworten des BF in der hg. Verhandlung erwecken den Anschein, Wissen, welches er sich angeeignet hat bzw. welches ihm vermittelt wurde, wiederzugeben, was ihm jedoch nur fragmentarisch gelingt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass es nicht mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, sich einen grundsätzlichen Wissensstand zu Glaubens- und Bibelinhalten durch entsprechendes Lernen anzueignen und sind dem hg. Amtswissen zufolge auch im Internet entsprechende Fragenkataloge speziell für im Asylverfahren vorgebrachte Konversion abrufbar.

Die zuvor dargelegten Antworten und Vorgehensweisen des BF lassen eigene spirituelle Gedanken sowie weiterführende Ausführungen und Zusammenhänge gänzlich vermissen und vermitteln deutlich ein Gesamtbild, wonach eine tatsächliche, ernsthafte und inhaltliche Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensinhalten nicht gegeben ist, sodass nicht von einer Konversion im Sinne einer inneren, tatsächlichen Hinwendung zum Christentum ausgegangen werden kann, sondern von einer Konversion, welche lediglich aus asyltaktischen Gründen zum Schein erfolgte.

Die in der hg. Verhandlung hervorgekommenen Aktivitäten und (äußerst lückenhaften) Kenntnisse des BF sprechen, wie durch die umfassende Befragung des BF in der hg. Verhandlung, in der sich die erkennende Richterin einen persönlichen Eindruck vom BF verschaffen konnte, hervorgekommen ist, für keine substantiierte spirituelle Haltung, welche von einer Person, die sich aus freien Stücken einem neuen Glauben zugewendet hat, diesen über mehrere Jahre praktiziert und sich sogar für die Taufe entschieden hat, zugrunde liegt, sondern dafür, dass der BF diese Sakramente aus Opportunitätserwägungen vornehmen ließ.

3.4.2.8. Hervorzuheben ist an dieser Stelle auch die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur, der zufolge es für die Beurteilung der Frage, ob eine Konversion vorliegt, nicht auf den Formalakt der Taufe, welcher im gegebenen Fall zweifelsohne vorliegt, sondern auf die religiöse Einstellung des Asylwerbers ankommt (vgl. ua VwGH vom 21.12.2006, 2005/20/0624).

Im Lichte der bisherigen Ausführungen ist nicht davon auszugehen, dass sich der BF ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewandt hat bzw. im Falle einer Rückkehr in den Iran diesen Glauben praktizieren wird oder dieser für ihn identitätsstiftend ist. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Verbindung mit einer Konversion nur dann in Betracht kommt, wenn die Hinwendung zu dem angenommenen Glauben auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel, der für den BF identitätsstiftend ist, und nicht nur auf Opportunitätserwägungen beruht.

Nur, wenn die Konversion des Betroffenen die religiöse Identität des Schutzsuchenden in dieser Weise prägt, kann ihm nicht zugemutet werden, in seinem Heimatland auf die Religionsausübung zu verzichten, um staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen.

Für die Beurteilung, ob es sich bei der Konversion des Beschwerdeführers um eine Scheinkonversion handelt, kommt nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH und VwGH der Frage der inneren (Glaubens-)Überzeugung des Beschwerdeführers maßgebliche Bedeutung zu. Für diese Beurteilung ist insbesondere der persönliche Eindruck des Beschwerdeführers wesentlich (vgl. dazu jüngst: VfGH, 23.09.2019, E968/2019).

Die erkennende Richterin konnte sich vom Wissensstand zu Glaubensinhalten und der persönlichen Auseinandersetzung des BF mit Inhalten des christlichen Glaubens und der Bibel, dem Praktizieren dieses Glaubens und von diesem selbst in der hg. Verhandlung einen persönlichen Eindruck verschaffen und kam klar und zweifelsfrei zu dem Schluss, dass dieser für die Annahme einer tatsächlichen, ernsthaften Konversion im Sinne der unter Punkt 3.4.3. genannten Definition nicht ausreichend ist.

Letztlich ergab das hg. Beweisverfahren aus den dargelegten Gründen nicht, dass der christliche Glaube bereits derart tief im BF verwurzelt ist, dass dieser Bestandteil seiner Identität geworden ist.

3.4.2.9. Im Lichte der bisherigen Ausführungen ist nicht davon auszugehen, dass sich der BF ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewandt hat bzw. im Falle einer Rückkehr im Iran diesen Glauben praktizieren wird und deshalb in das Blickfeld der Behörden geraten oder missionierend bzw. in einer herausgehobenen Position tätig sein wird.

Dass die vorgebliche Konversion des BF, seine Taufe und seine Teilnahme an Gottesdiensten den iranischen Staatsorganen bereits bekannt geworden sind, hat dieser nicht in glaubwürdiger Weise behauptet. Aus dem ausreisekausalen Vorbringen des BF ergibt sich nicht, dass dieser in politischer oder religiöser Hinsicht in irgendeiner Form auffällig geworden und in das Visier der iranischen Behörden geraten ist, zumal sein Vorbringen insgesamt für unglaubwürdig zu befinden war.

Es lassen sich auch keine Anhaltspunkte dafür ableiten, dass der Beschwerdeführer derart in das Blickfeld der iranischen Behörden geraten wäre, sodass er unter Beobachtung steht und seine Betätigung im christlichen Umfeld insofern registriert worden wäre, um ihn - im Falle der Rückkehr - wegen Abfalls vom Glauben ("Apostasie") zu belangen, woran auch der formale Akt der Taufe nichts zu ändern vermag, ist doch nicht davon auszugehen, dass iranische Behörden alle im Ausland vorgenommenen Taufen beobachten und registrieren, was auch deren faktische Möglichkeiten bei weitem übersteigen würde.

In den länderkundlichen Feststellungen wird auf Personen bezuggenommen, welche tatsächlich zum christlichen Glauben konvertiert sind und sich durch das Praktizieren dieses Glaubens unter Umständen einer Gefährdung aussetzen können.

Die hg. Beweiswürdigung ergab jedoch, dass im Falle des Beschwerdeführers gerade keine ernsthafte Konversion zum christlichen Glauben oder ein anderes Verfolgungsmoment existent ist, sodass in weiterer Konsequenz auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass er den christlichen Glauben, dem er sich, wie die Beweiswürdigung zeigte, lediglich zum Schein zugewandt hat und diesen nicht tatsächlich und ernsthaft praktiziert und dieser auch nicht Bestandteil seiner Identität geworden ist, diesen umso weniger im Rückkehrfall in den Iran praktizieren bzw. ein diesbezügliches Bedürfnis haben wird, sodass im Hinblick auf die in den Länderfeststellungen zitierten Quellen, welche allesamt von einer tatsächlichen ernsthaften Konversion, welche auch den Wunsch, den Glauben zu praktizieren, beinhaltet, im gegebenen Fall nicht mit asylrelevanten Konsequenzen zu rechnen ist (vgl. dazu auch EGMR, 19.12.2017, 60342/16 A. gg. die Schweiz – eine Konversion führt nur bei Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit zur Verfolgung im Iran:...dass Konvertiten im Iran nur dann dem Risiko einer Misshandlung ausgesetzt sind, wenn sie durch die öffentliche Ausübung ihres Glaubens die Aufmerksamkeit der iranischen Behörden erregen.). Dass trotz Widerruf einer erfolgten Taufe eine Gefährdung lt. Bericht des Danish Immigration Service/Danish Refugee Councile (DIS/DRC) aus dem Jahr 2014 möglich ist, kann nicht festgestellt werden. In das aktuelle Länderinformationsblatt wurde der aktuelle Bericht des DIS/DRC aus dem Jahr 2018 ebenso aufgenommen, doch findet sich darin keine solche Information, wie im Bericht aus dem Jahr 2014, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der diesbezügliche Informationsstand aus dem Jahr 2014 nicht mehr aktuell ist. Auch, wenn im aktuellen Bericht auf die Meinung einer Organisation verwiesen wird, die sich um Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten kümmert, wonach eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (es wird sohin von einer bloßen Möglichkeit ausgegangen), so steht dem die Aussage von Amnesty International und einer anonymen Quelle vor Ort gegenüber, wonach eine Taufe keine Bedeutung habe. Das erkennende Gericht misst dieser Aussage von Amnesty International, in diesem Zusammenhang mehr Gewicht zu, handelt es sich doch hiebei um eine internationale Organisation, die sich weltweit für Menschenrechte einsetzt und Menschenrechtsverletzungen recherchiert und darüber berichtet, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Organisation im Falle, dass sie das alleinige Faktum der Taufe als problematisch ansehen würde, nicht berichten würde, dass diese keine Bedeutung habe. Auch ist, wie bereits festgehalten, nicht ersichtlich bzw. nicht davon auszugehen, dass die iranischen Behörden Kenntnis von der Taufe des Beschwerdeführers haben.

Da weder eine christliche Glaubensbetätigung noch eine missionarische Tätigkeit des BF zu erwarten ist, ist eine Rückkehrgefährdung des BF aus Gründen der Konversion auszuschließen.

3.4.3. Konversion (lat.: conversio ‚Umwendung, Umkehr‘) bedeutet die Übernahme von neuen Glaubensgrundsätzen, religiösen Traditionen und Bräuchen sowie möglicherweise auch anderen Teilen der mit der fremden Religion verbundenen Kultur durch eine konvertierende Person. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Konversion zum Christentum sind aus den dargelegten Erwägungen nicht als glaubwürdig zu qualifizieren und ist daher davon auszugehen, dass die behauptete Konversion des BF zum Christentum allenfalls nur formal erfolgt ist, um Vorteile im Asylverfahren zu erwirken.

Der VwGH verlangt zur Feststellung, ob ein Antragsteller tatsächlich oder nur zum Schein konvertiert ist, eine schlüssige Gesamtbeurteilung. Elemente für eine solche Gesamtbeurteilung können sein: eine nähere Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten und seinem religiösen Grundwissen sowie eine konkrete Auseinandersetzung mit Angaben etwaiger Zeugen. Mangelndes religiöses Grundwissen kann für das Vorliegen einer Scheinkonversion sprechen, ist aber nicht ausreichend (VwGH 14.11.2007, 2004/20/0215; 14.11.2007, 2004/20/0485).

Hervorzuheben ist auch die rezente höchstgerichtliche Judikatur in einem ähnlich gelagerten Fall, in dem das Bundesverwaltungsgericht aufgrund des mangelnden Wissens der BF zu Glaubensinhalten und bei Betrachtung der religiösen Aktivitäten und einer Gesamtbetrachtung im Falle einer behaupteten Konversion die Beschwerde gem. §§ 3, 8, 10 AsylG 2005 als unbegründet abwies, der VfGH die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 12.06.2019, E 990/2019-7, ablehnte und der Verwaltungsgerichtshof die Revision mit Beschluss vom 29.08.2019, Ra 2019/19/0303-6 zurückwies.

3.4.4. Aufgrund der mehrfach vorliegenden dargelegten Faktoren, welche bei Gesamtschau gegen eine tatsächliche Konversion des BF sprechen, entspricht die hg. Ansicht auch der obzitierten höchstgerichtlichen Judikatur hinsichtlich einer Gesamtbeurteilung.

Zusammenfassend ist sohin festzuhalten, dass sowohl die Gründe für die Ausreise als auch die geltend gemachten subjektiven Nachfluchtgründe des BF als unglaubwürdig zu qualifizieren waren.

3.5. Die hg. getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den aktuellen angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.

Die allgemeinen länderkundlichen Feststellungen resultieren aus den zitierten Länderdokumenten, welche auf verschiedenartigen, objektiven Quellen, die inhaltlich miteinander in Einklang stehen, basieren.

Es ist im Lichte der hg. Länderfeststellungen nochmals festzuhalten, dass die Angaben des BF zu einer tatsächlichen Konversion nicht glaubwürdig sind, er bislang nicht in das Blickfeld der iranischen Behörden geriet, weshalb ihm aus den dargelegten Gründen die Scheinkonversion in Österreich auch nicht zum Nachteil gereicht; die seitens des BF angegebenen Aktivitäten (Taufe, Gottesdienstbesuche) können sohin auch nicht als identitätsstiftend für den BF erachtet werden. Überdies kann nicht davon ausgegangen werden, dass der BF aufgrund der dargelegten Gründe zu einer Missionstätigkeit im Iran in der Lage ist oder ein Interesse an derartigen Aktivitäten hat.

Es ist allgemein zu den Feststellungen auszuführen, dass es sich bei den herangezogenen Quellen zum Teil um staatliche bzw. staatsnahe Institutionen handelt, die zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet sind.

Zur Auswahl der Quellen wird angeführt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht einer ausgewogenen Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges bediente, um sich so ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers machen zu können. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates über den berichtet wird zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann.

Jedenfalls handelt es sich bei den dem Verfahren zugrunde gelegten Quellen um Berichte staatlicher oder staatsnaher Institutionen, denen aufgrund ihrer Verpflichtung zu Objektivität und Unparteilichkeit keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann.

Die in das Verfahren integrierten Länderinformationen wurden schließlich von der Staatendokumentation des BFA, zusammengestellt, deren Qualität ob der gesetzlichen Verpflichtung zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der gesammelten Tatsachen nach objektiven Kriterien (§ 5 Abs. 2 BFA-G) nicht in Zweifel gezogen wird.

Der BF ist weder in der gegenständlichen Beschwerde den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat noch den hg. länderkundlichen Feststellungen in der mündlichen Verhandlung, substantiiert entgegengetreten. Auch in der Stellungnahme zur aktuellen Version der Länderfeststellungen Iran vom 16.02.2022 werden lediglich Berichte wiedergegeben, welche auch den hg. getroffenen Länderfeststellungen zugrunde gelegt wurden.

Es wurden somit im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage und zur speziellen Situation des BF im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.

Insofern, wie der allgemeinen Berichtslage zu entnehmen ist, am 18. Juni 2021 eine Präsidentschaftswahl im Iran 2021 stattfand, bei der Ebrahim Raissi als Nachfolger für Staatspräsident Hassan Rohani gewählt wurde, so kommt diesem Umstand im vorliegenden Fall keine entscheidungsrelevante Bedeutung zu.

Die unstrittigen Feststellungen zu aktuell vorliegenden Zahlen in Verbindung mit der Pandemie aufgrund des Corona-Virus ergeben sich aus den notorischen unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen, wie etwa der Johns Hopkins Universität, Corona Resource Center, in Baltimore, Maryland (darauf ua verweisend: https://www.ages.at ).

3.6. Zur Beschwerde des BF

Da sämtliche Ausführungen in der Beschwerde die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des BF voraussetzen, welche jedoch aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verneinen war, ist, um Wiederholungen zu vermeiden, nicht weiter auf den Beschwerdeinhalt einzugehen.

 

4. Rechtliche Beurteilung (Zu Spruchteil A):

4.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

4.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling i.S.d. Asylgesetzes ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung".

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH E vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH E vom 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH E vom 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).

Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH E vom 26.2.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH E vom 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH E 18.4.1996, 95/20/0239; VwGH E vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH E vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH E vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH E vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH E vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH E vom 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH 27.01.2000, Zl. 99/20/0519, VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256, VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177, VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203, VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0291, VwGH 07.09.2000, Zl. 2000/01/0153, u.a.).

4.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist.

Nach Ansicht der erkennenden Richterin sind im Falle des Beschwerdeführers die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem der in der GFK genannten Gründen nicht gegeben.

Das ausreisekausale Vorbringen des Beschwerdeführers und der von ihm geltend gemachte Nachfluchtgrund der Konversion war in seiner Gesamtheit – wie in der Beweiswürdigung detailliert ausgeführt - nicht als glaubwürdig zu qualifizieren, weshalb es auch nicht der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist (vgl. VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 30.06.2005, Zahl: 2003/20/0544) ist zur Frage der Verfolgungsgefahr bei Iranern, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung des behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grunde mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (so schon im Erkenntnis des VwGH vom 24.10.2001, Z1. 99/20/0550, ebenfalls VwGH vom 17.10.2002, Zahl: 2000/20/0102). In gleichem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 31.05.2001, Zl. 2001/20/0054, im Zusammenhang mit einer noch nicht erfolgten, aber beabsichtigten Konversion zum Ausdruck gebracht, dass für die Beurteilung des Asylanspruches maßgeblich sei, ob der Asylwerber in seinem Heimatstaat in der Lage war, eine von ihm gewählte Religion frei auszuüben, oder ob er bei Ausführung seines inneren Entschlusses, vom Islam abzufallen und zum Christentum überzutreten, mit asylrelevanter Verfolgung rechnen müsse.

Nach den alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union bindenden normativen Vorgaben des Artikel 10 Abs. 1 b RL 2004/83 /eg, kann einem Flüchtling nicht mehr angesonnen werden, sich bei der Religionsausübung auf das sogenannte „forum internum" zu beschränken.

Asylbegehren, die auf Verfolgung mit religiösem Hintergrund gestützt werden, müssen so hin unter Berücksichtigung der unmittelbar anwendbaren Vorgaben des Artikel 10 Abs. 1 b RL 2004/83 /eg geprüft werden. Gemäß dieser Richtlinie muss so hin die öffentliche Ausübung (forum externum) des christlichen Glaubens in Lehre, Gottesdienst und Sakramentsverwaltung möglich sein.

Um von einer Asylrelevanz überhaupt ausgehen zu können, kommt es auf die Art der Ausübung des christlichen Glaubens im Iran an, sowie darauf, ob der Asylwerber bei der Ausübung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanter Gefährdung zu rechnen hat.

Es bedarf hinsichtlich einer etwaigen Gefährdung im Heimatland grundsätzlich der vollen richterlichen Überzeugung, dass jemand während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten ist und für ihn dessen Ausübung auch bei angenommener Rückkehr eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung hat.

Bei der Prüfung, ob tatsächlich Verfolgungsgefahr gegeben ist, sind sowohl objektive als auch subjektive Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Es kommt nicht ausschließlich auf den erfolgten Glaubensübertritt an, da dieser allein in der Regel noch nicht zu einer begründeten Verfolgungsfurcht führt. Bei Antragstellern, die unverfolgt aus dem Herkunftsstaat ausreisen, wird daher eine doppelte Prognose unter Würdigung der Gesamtumstände vorgenommen. Zu berücksichtigen ist das zu erwartende Verhalten des Antragstellers in seinem Herkunftsstaat und die voraussichtliche Reaktion der Behörden oder anderer Akteure. Maßgeblich für diese doppelte Prognose sind jedoch nicht detaillierte Kenntnisse über die Konversionsreligion und spielen diese bei der Entscheidung eine untergeordnete Rolle.

Basis der doppelten Prognose ist die Ernsthaftigkeit des religiösen Engagements, das sich durch ein Verhalten ausdrückt. Bescheinigungen über die Art, den Umfang und die Dauerhaftigkeit der Beteiligung des Antragstellers an den Aktivitäten der jeweiligen Kirchengemeinde geben darüber Aufschluss und sind zu berücksichtigen. Für die Überzeugung werden stets alle Aspekte des jeweiligen Falles - sowohl subjektive als auch objektive- in den Blick genommen (Sarah Bega, 410/Ursula Gräfin Praschma, AL 4, Entscheiderbrief des BMF 5/2015).

Im Lichte der in das Verfahren integrierten Länderinformationen und auch der zitierten aktuellen Judikatur ist der Schluss zu ziehen, dass aus der lediglich formalen, bzw. zum Schein erfolgten Konversion zum christlichen Glauben - wie sie in casu vorliegt - ohne dem Vorliegen einer exponierten Tätigkeit wie etwa missionarischer Aktivitäten, keine asylrechtlich relevante Gefährdung resultiert.

Dass der BF, wie viele andere iranische Konvertiten die Kirche besucht und getauft wurde und ihm dies im Rückkehrfall in asylrelevanter Weise zum Nachteil gereicht, kann aufgrund der in der Beweiswürdigung getroffenen Ausführungen, wonach nicht davon auszugehen ist, dass die Person des BF für die iranischen Behörden in irgendeiner Weise von Interesse ist und unter Beobachtung steht, nicht festgestellt werden.

Auch betreffen den in das Verfahren aufgenommenen Länderfeststellungen zufolge Repressionen jedoch vor allem missionierende Christen und sehen sich christliche Konvertiten aufgrund der Ausübung ihres Glaubens willkürlichen Festnahmen und Verhaftungen ausgesetzt.

Dass der BF den christlichen Glauben ausübt und dieser für ihn identitätsstiftend ist, ist im Lichte der beweiswürdigenden Ausführungen naturgemäß auszuschließen und kann auch umso weniger davon ausgegangen werden, dass es dem BF ein Anliegen ist, missionierend tätig zu sein bzw. ist zu verneinen, dass der BF aufgrund seines Wissensstandes hinsichtlich christlicher Glaubensinhalte dazu in der Lage wäre.

Aus den Länderfeststellungen ist letztlich zu schließen, dass nur iranische Staatsangehörige, die sich als Folge ihrer missionarischen Betätigung für das Regime deutlich von der breiten Masse abheben (Kirchenführer, in der Öffentlichkeit besonders aktive Personen), Gefahr laufen, dass sich die iranischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen.

Im Hinblick darauf, dass der iranische Staat nicht jegliche Tätigkeit seiner Staatsbürger verfolgen kann, muss sich sein Interesse auf Personen beschränken, die aufgrund ihrer exponierten Stellung, ihres Einflusses auf andere iranische Staatsbürger und eines herausragenden Engagements eine potentielle Gefahr für den ausschließlichen Machtanspruch des Regimes im Iran darstellen könnten.

Das Verhalten des BF, erweist sich aber nicht als derart markant, dass es geeignet erscheint, einen erhöhten Ermittlungsaufwand bei den iranischen Behörden auszulösen. Ein asylrelevantes Verfolgungsrisiko ist nach Ansicht der erkennenden Richterin daher nicht gegeben.

Der BF hat auch nicht glaubwürdig vorgebracht, dass sich seine Familie zu seinem scheinbaren Glaubensübertritt negativ geäußert oder diesen den iranischen Behörden mitgeteilt hätte und ist nicht davon auszugehen, dass diese die iranischen Behörden diesbezüglich in Kenntnis setzt.

Letztlich sei hervorgehoben, dass lt. den in das Verfahren integrierten aktuellen länderkundlichen Feststellungen konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, für die iranischen Behörden nicht von Interesse sein werden (vgl. dazu auch EGMR, 19.12.2017, 60342/16 A. gg. die Schweiz – eine Konversion führt nur bei Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit zur Verfolgung im Iran:...dass Konvertiten im Iran nur dann dem Risiko einer Misshandlung ausgesetzt sind, wenn sie durch die öffentliche Ausübung ihres Glaubens die Aufmerksamkeit der iranischen Behörden erregen.).

Aufgrund der Beweiswürdigung in casu, welche ergibt, dass es sich beim BF um eine Scheinkonversion handelt, kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der BF Aktivitäten im Iran setzt und ist ferner auch auf die in den länderkundlichen Feststellungen enthalte Ausführung von Amnesty International zu verweisen, wonach sogar eine Taufe keine Bedeutung habe.

Auch wenn in einem Länderbericht auf die Meinung einer Organisation verwiesen wird, die sich um Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten kümmert, wonach eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (es wird sohin von einer bloßen Möglichkeit ausgegangen), so steht dem die Aussage von Amnesty International und einer anonymen Quelle vor Ort gegenüber, wonach eine Taufe keine Bedeutung habe. Das erkennende Gericht misst dieser Aussage von Amnesty International in diesem Zusammenhang mehr Gewicht zu, handelt es sich doch hiebei um eine internationale Organisation, die sich weltweit für Menschenrechte einsetzt und Menschenrechtsverletzungen recherchiert und darüber berichtet, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Organisation im Falle, dass sie das alleinige Faktum der Taufe als problematisch ansehen würde, nicht berichten würde, dass diese keine Bedeutung habe.

4.1.3. Wenn der BF in der hg. Verhandlung erklärte, wegen der Verwendung eines israelischen Reisepasses Probleme mit den iranischen Behörden zu bekommen, so ist dazu vorerst festzuhalten, dass der BF die diesbezüglichen Angaben des BF erst über konkretes Nachfragen seines Vertreters machte, was nicht für eine tatsächliche Furcht beim BF spricht, hätte er doch diesfalls aus eigenem entsprechende Angaben gemacht, was jedoch unterblieben ist. Doch auch bei Betrachtung der diesbezüglichen Angaben des BF fällt sein widersprüchliches Vorbringen auf. Während dieser über Befragen seines Vertreters erklärte, er werde wegen der Verwendung eines israelischen Reisepasses wegen Spionage verhaftet werden und werde auch seine Familie der Spionage verdächtigt, was er über weiteres Befragen seines Vertreters allgemein mit dem schlechten Verhältnis zwischen dem Iran und Israel begründete, ohne weitergehende Angaben zu machen. Damit ist jedoch nicht die Erklärung des BF in der behördlichen Einvernahme kompatibel, wonach der Geschäftspartner des BF die Geschichte mit dem Pass seinem Onkel verraten habe. Als weitere Erklärung gab der BF hg. erstmals an, der Schlepper sei der beste Freund seines Partners und habe er den Pass fotografiert und seinem Partner geschickt, damit der BF nicht zurückkehren könne. Aufgrund der soeben dargelegten Divergenzen ist auch nicht von der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens, welches im übrigen auf einem, wie obige Beweiswürdigung zeigte, unglaubwürdigen Vorbringen zu den Ausreisegründen basiert.

Auch das Vorliegen eines Nachfluchtgrundes ist im gegenständlichen Fall aufgrund der dargelegten Erwägungen zu verneinen.

Nach den getroffenen Feststellungen gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass iranische Staatsangehörige, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären.

4.1.4. In einer Gesamtschau sämtlicher Umstände und mangels Vorliegens einer aktuellen Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides abzuweisen.

 

4.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

4.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offenbliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

4.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind.

Dass der BF im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Eine Gefährdung durch staatliche Behörden bloß aufgrund des Faktums der Rückkehr ist nicht ersichtlich (vgl. dazu die einschlägigen Länderfeststellungen), auch keine sonstige allgemeine Gefährdungslage durch Dritte.

Der BF ist in Österreich aber auch im Iran in keiner Weise öffentlich regimefeindlich aufgefallen und ist mangels Exponiertheit des BF auch nicht davon auszugehen, dass dieser seitens der iranischen Behörden in Österreich überwacht wird und Probleme im Rückkehrfall bekommen wird.

Der Verfassungsgerichtshof entschied mit Erkenntnis vom 20. September 2010, U 1863/09-12, unter Hinweis auf das im Vorabsatz erwähnte Urteil des EGMR, dass bei einer Rückkehr in den Iran bezüglich der Prüfung der Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung neben der zuvor erwähnten Berücksichtigung der angespannten Situation auch die speziellen Risiken bedacht werden müssen, denen Iraner ausgesetzt sind, wenn sie, ohne über Beweismittel für ihre legale Ausreise zu verfügen, in ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssen. Auf Grund aktueller Länderberichte stehe fest, dass diese besonders leicht einer genauen Überprüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Ausreise aus dem Iran unterzogen werden. Diesfalls wäre es wahrscheinlich, dass ein Iraner ohne gültige Ausreisepapiere die Aufmerksamkeit der iranischen Sicherheitsbehörden auf sich ziehen und seine Vergangenheit dabei offen gelegt würde. Diese beiden Gesichtspunkte zusammen können dazu führen, dass die Ausweisung eines Iraners in seinen Herkunftsstaat angesichts der gegenwärtigen Umstände eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung darstellt. Diese Judikatur ist im konkreten Fall nun aber nicht einschlägig, da der Beschwerdeführer im Unterschied zur genannten VfGH-Judikatur jedoch ein unglaubwürdiges Vorbringen erstattet und den Iran legal verlassen hat, daher zu keinem Zeitpunkt wesentlich ins Blickfeld des iranischen Staates geraten ist, den Iran nicht vorverfolgt verlassen hat und sein gesamtes Vorbringen als unglaubwürdig zu werten ist, weshalb letztlich keine Gefährdung vorliegt.

Nach den getroffenen Länderfeststellungen herrscht im Iran ferner nicht eine generell unsichere, von bewaffneten Unruhen geprägte Lage, aufgrund derer der BF bei einer Rückkehr einer konkreten Gefährdung ausgesetzt werden würde.

Ferner ist die Grundversorgung sowie die medizinische Versorgung grundsätzlich gewährleistet und besteht den länderkundlichen Feststellungen zufolge auch die Möglichkeit der Beziehung von Sozialbeihilfen; letztlich kann der BF bei Bedarf auch mit der Unterstützung seiner Familie rechnen.

Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen ebenso wenig folgern.

Die aktuelle Lage im Iran stellt sich derzeit nicht so dar, dass nun bereits ein generelles Abschiebehindernis bzw. eine generelle Gefährdung aus Sicht der EMRK (Art. 3) gegeben ist. Vielmehr hat sich die innenpolitische Lage nach den Turbulenzen im Jahr 2009 wieder - zumindest oberflächlich - beruhigt. In diesem Zusammenhang ist auch auf das Urteil des EGMR vom 09.03.2010, Fall R.C., Appl. 41.827/07 zu verweisen, wonach zwar die im Iran herrschende, sehr angespannte Situation nicht außer Acht gelassen werden dürfe, in welcher der Respekt für die grundlegenden Menschenrechte seit den Wahlen 2009 erheblich abgenommen habe, diese schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen allein die Rückführung eines Iraners in seinen Herkunftsstaat aber noch nicht als unzulässig iSd Art. 3 EMRK erscheinen lassen.

Beim BF handelt es sich um einen gesunden Mann in den leistungsfähigsten Jahren, bei dem die Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann und der BF verfügt im Herkunftsstaat auch über Angehörige (Eltern und Bruder), zu denen er in Kontakt steht. Es sind jedenfalls keine Gründe ersichtlich, warum er als Erwachsener im Iran keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können sollte, verfügt er doch über Schulbildung und war in seinem Herkunftsland vor seiner Ausreise erwerbstätig. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, warum er im Falle von Anfangsschwierigkeiten bei Bedarf keine Unterstützung durch seine Familie finden kann.

Der BF ist im Iran aufgewachsen, spricht eine Sprache des Herkunftsstaates auf muttersprachlichem Niveau, hat dort die Schule besucht und verfügt über Berufserfahrung. Er wurde im Iran sozialisiert und ist es ihm durchaus zuzumuten, sich im Iran wieder eine Existenz aufzubauen.

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.

Letztlich war zu berücksichtigen, dass der BF in der Beschwerde den vom BFA zugrunde gelegten Länderberichten und ebensowenig den hg. in das Verfahren aufgenommenen Länderberichten zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr in den Iran nicht substantiiert entgegengetreten ist und auch nicht dargelegt hat, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf seine individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit der BF durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.

Es ist daher nicht ersichtlich, dass dem BF im Fall seiner Rückkehr in den Iran dort die notdürftigste Lebensgrundlage fehlt. Gemäß den getroffenen Länderfeststellungen ist die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet; Gegenteiliges wurde vom BF auch nicht dargetan. Letztlich ist aus der Reise des BF nach Österreich ersichtlich, dass er mobil und in der Lage ist, auch in einer für ihn fremden Umgebung sein Leben zu organisieren.

Auch aus den aktuellen, in das Verfahren integrierten Quellen zur COVID19-Pandemie ergibt sich keine Rückehrgefährdung des BF im Sinne eines realen Risikos, ist doch aufgrund des Alters und des Gesundheitszustandes des BF nicht darauf zu schließen, dass dieser Angehöriger einer Risikogruppe ist und erhielt der BF in Österreich auch bereits die Corona-Schutzimpfung.

Bei COVID 19 handelt es sich um keine wahrscheinlich tödlich verlaufende, die Schwelle des Art 3 EMRK tangierende Krankheit und hat der BF zu den diesbezüglichen hg. Feststellungen auch kein Vorbringen erstattet, aus dem sich in diesem Zusammenhang ein reales Risiko im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat ergeben würde.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Judikatur des EGMR zu verweisen, wonach es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art 3 EMRK darstellen würde – grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Nr. 61 204/09).

Dazu auch VwGH vom 23.06.2020, Ra 2020/20/0188-3, Rz 17 – 19 hinsichtlich der Ausführungen zur aktuellen Covid-Pandemie: es reicht nicht, wenn eine Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (VwGH 22.4.2020, Ra 2020/18/0098, mwN).

Insgesamt kann sohin im vorliegenden Fall vor dem Hintergrund der COVID 19-Pandemie im Herkunftsstaat des BF weder auf eine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Krankheitsverlaufes beim BF, der auch die Möglichkeit wahrgenommen hat, sich in Österreich impfen zu lassen, noch insgesamt auf eine allgemeine oder medizinische unzureichende Versorgungslage geschlossen werden.

Ergänzend ist anzuführen, dass gemäß § 52a BFA-VG zB. auch eine finanzielle Rückkehrhilfe (über diese wird im erstinstanzlichen Verfahren schon informiert) als Startkapital für die Fortsetzung des bisherigen Lebens in den Iran gewährt werden kann. Im Rahmen der Rückkehrhilfe wird dabei der Neubeginn zu Hause unterstützt, Kontakt zu Hilfsorganisationen im Heimatland vermittelt, finanzielle Unterstützung geleistet und beim Zugang zu Wohn-, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten geholfen (http://www.caritas.at/hilfe-einrichtungen/fluechtlinge/beratung-und vertretung/rueckkehrhilfe/).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass die wirtschaftliche Situation im Herkunftsstaat des BF schlechter ist als in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. in Österreich, aus den Berichten geht aber keinesfalls hervor, dass sie dergestalt ist, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre.

Es kam im Verfahren nicht hervor, dass konkret für den BF im Falle einer Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr bestünde, als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt zu sein.

Auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ergibt sich somit kein "reales Risiko", dass es derzeit durch die Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde.

Demnach war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

4.3. Zu den Spruchpunkten III. - IV. des angefochtenen Bescheides (zur Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung - § 57 AsylG sowie § 52 FPG):

4.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

4.3.2. Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

4.3.2.1. Der BF befindet sich seit XXXX im Bundesgebiet, wobei sein Aufenthalt nicht in obigem Sinne geduldet ist. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet wurde.

4.3.3. Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

4.3.3.1. Der BF ist als Staatsangehöriger der Republik Iran kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen und ebensowenig nach dem AsylG zu.

4.3.4. Gemäß § 55 Abs.1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

4.3.4.1. Der BF hat keine Verwandten oder sonstige nahe Angehörigen in Österreich. Der BF gab in der hg. Verhandlung an, in einer Beziehung zu leben und seit zwei Jahren verlobt zu sein. Ein gemeinsamer Haushalt mit seiner Verlobten besteht jedoch nicht, der BF erklärte jedoch, die meiste Zeit bei seiner Verlobten und ihrer Familie zu verbringen.

Diesbezüglich sei darauf verwiesen, dass bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG 2014 maßgeblich relativierend einbezogen werden darf, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. etwa VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205, mwN). Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste (vgl. VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0235; in diesem Sinn auch VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271), und hat daher umso mehr Geltung für eine Beziehung, der zwar ein Eheversprechen (Verlobung) zugrunde liegen mag, in der jedoch keine Lebensgemeinschaft im Sinne einer Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft besteht.

In Zusammenhang mit der nunmehr geltend gemachten Beziehung des BF ist vor allem zu berücksichtigen, dass das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers, in dem sich der BF und seine Verlobte des unsicheren Aufenthaltsstatus des BF bewusst sein musste, da sein Aufenthalt stets auf einen - wie sich im Verfahren zeigte - unberechtigte Asylantrag zurückzuführen ist (vgl. Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 857 mwN; EGMR 24.11.1998, Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; 5.9.2000, Fall Solomon, Appl. 44.328/98; 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562).

 

Der Asylwerber kann während seines Asylverfahrens nicht darauf vertrauen, dass ein in dieser Zeit entstehendes Privat- bzw. Familienleben auch nach der Erledigung seines Asylantrages fortgesetzt werden kann. Die Rechte aus der GFK dürfen nicht dazu dienen, die Einwanderungsregeln zu umgehen (ÖJZ 2007/74, Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 EMRK, S 857 mwN).

Dem im genannten Zeitraum begründeten Familienleben kommt im Lichte der obzitierten Quellen im Zuge einer Interessensabwägung eine untergeordnete Bedeutung zu, wozu auch auf nachfolgend zitierte und auf das gegenständliche Verfahren umlegbare höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen ist:

Wurden die aus der Eheschließung und der Beschäftigung resultierenden persönlichen Interessen zu einer Zeit geschaffen, als sich die Fremde unrechtmäßig in Österreich aufhielt und sie mangels Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung auch nicht mit einem Verbleiben im Bundesgebiet rechnen durfte, schlagen eine allfällige Integration der Fremden, ihre Beschäftigung und auch die von ihr eingegangene Ehe nur unwesentlich zu ihren Gunsten zu Buche (hier: vierjähriger unrechtmäßiger Aufenthalt - VwGH 96/18/0151, 13.03.1997).

Hervorzuheben ist desweiteren die Zurückweisung der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof im Falle eines über zehn Jahre in Österreich aufhältigen ghanesischen Staatsangehörigen, welcher zwei negative Vorentscheidungen erhalten und die daraus resultierende Ausreiseverpflichtung über Jahre unbeachtet gelassen hatte (VwGH Ra 2016/21/0340, 23.02.2017) sowie die Revisionszurückweisung durch den VwGH bei einer Rückkehrentscheidung trotz mehrjähriger Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsangehörigen und außergewöhnlichen Integrationsbemühungen (VwGH Ra 2017/21/0009, 22.02.2017).

Abschließend ist anzuführen, dass vom BF keine konkreten Umstände vorgebracht wurden, die ein Familienleben in seinem Herkunftsstaat unmöglich machen würden. Die Aufrechterhaltung des Familienlebens ist grundsätzlich auch durch gegenseitige Besuche (vgl. z.B. EGMR im Fall Darren Omoregie u.a. gg. Norwegen) möglich und zumutbar, unabhängig davon, ob es der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers möglich und zumutbar wäre, diesen in den Iran zu begleiten, um das Familienleben dort fortzusetzen, kann der Kontakt jedenfalls durch gegenseitige Besuche aufrecht erhalten werden (vgl. EGMR 11.04.2006, Fall USEINOV, Appl. 61.292/00). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer - zumal über ihn (soweit ersichtlich) auch kein Einreiseverbot verhängt wurde - bei der asylrechtlichen Rückkehrentscheidung nicht verwehrt ist, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren (vgl. ÖJZ 2007/74, Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 EMRK, S 861, mwN).

Die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bildet daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des BF auf Schutz des Familienlebens.

4.3.4.2. Zum Privatleben des BF in Österreich ist folgendes festzuhalten:

Der BF ist im Bundesgebiet seit seiner illegalen Einreise in Österreich im XXXX aufhältig. Der nunmehr gut sechsjährige Aufenthalt des BF wird jedoch dadurch relativiert, dass dieser bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste dem BF bewusst gewesen sein.

Die Interessen des BF werden daher auch dadurch erheblich gemindert, dass sein Aufenthalt lediglich auf einen - wie sich im Verfahren zeigte - unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist (VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479 mwN). Beruht der bisherige Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten (insbesondere bei Vortäuschung eines Asylgrundes [vgl VwGH 2.10.1996, 95/21/0169]), relativiert dies die ableitbaren Interessen des Asylwerbers nämlich wesentlich [vgl. die Erkenntnisse vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0114, und vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0246] (VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168).

In Anbetracht dieser Umstände kommt dem nunmehr sechsjährigen Aufenthalt des BF in Österreich eine lediglich untergeordnete Bedeutung zu.

Der BF bezieht seit seiner Asylantragstellung in Österreich staatliche Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt über eine Einstellungszusage.

Er wurde zwei Monate vor der hg. Verhandlung Mitglied beim Roten Kreuz und hat im Jahr 2016 auch ehrenamtlich dort gearbeitet. Er hat auch mehrmals in einer katholischen Kirche bei Pfarr-Flohmärkten und Gartenarbeiten mitgeholfen und unterstützt bei Aufräumungsarbeiten seine Pfarrgemeinde.

Der BF hat sich in Österreich einen Freundeskreis aufgebaut und lebt in einer Beziehung. Er verfügt über Deutschkenntnisse, die nicht fehlerfrei, doch für eine Verständigung im Alltag ausreichend sind und hat die B1 Prüfung absolviert.

Wenngleich die entscheidende Richterin das Bemühen des BF, in Österreich Fuß zu fassen, sich in der Pfarrgemeinde zu engagieren, ehrenamtlich tätig zu sein und sich in Österreich zu integrieren, nicht übersieht, so kann dadurch und nicht zuletzt auch im Lichte der obzitierten weiteren fallbezogenen Umstände nicht auf eine derart umfassende Integration des BF in Österreich, in beruflicher, sondern auch in gesellschaftlicher Hinsicht geschlossen werden, sodass dem BF eine Rückkehr in den Iran, wo er sozialisiert wurde und auch den Großteil seines Lebens verbracht hat, nicht zumutbar wäre.

Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf die rezente höchstgerichtliche Judikatur zur Zurückweisung einer Revision im Falle eines Asylwerbers mit mehr als siebenjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet, abgeschlossener Lehre und Berufstätigkeit als Koch, Deutschkenntnissen auf dem Niveau B2, einem sozialen Netz an Freunden, 10monatiger eheähnliche Beziehung, keinen Kontakten zur Familie im Herkunftsstaat, Unbescholtenheit sowie Selbsterhaltungsfähigkeit während des Großteils des Verfahrens.

Der VwGH hob besonders hervor, dass maßgeblich relativierend einzubeziehen sei, dass sich der Asylwerber seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müsse und verneinte auch angesichts der obzitierten integrationsbegründenden Faktoren die Existenz von ‚außergewöhnlichen Umständen‘ (VwGH 04.02.2020, Ra 2020/14/0026-5 mit Verweis auf VwGH 12.12.2019, Ra 2019/14/0242; 25.06.2019, Ra 2019/14/0260, VwGH 02.12.2019, Ra 2019/14/0408).

Ferner ist die auch die folgende Judikatur des VwGH im Falle eines Asylwerbers, welcher viereinhalb Jahre in Österreich aufhältig war, über eine Einstellungszusage sowie gute Deutschkenntnisse verfügte und freiwillig beim Roten Kreuz tätig war, zu nennen. Das Höchstgericht hob im nachzitierten Erkenntnis hervor, dass es sich diesfalls um keine Verdichtung der persönlichen Interessen des Asylwerbers und keine außergewöhnliche Fallkonstellation handle und sich der Asylwerber vor allem seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 05.06.2019, Ra 2019 18 0078 7 mit Verweis auf VwGH 28.02.2019, Ro 2019/01/003).

In diesem Konnex ist auch die aktuelle Judikatur des VwGH heranzuziehen, wonach trotz siebenjährigen Aufenthalt, sehr guten Deutschkenntnissen, der Beziehung zu einer Österreicherin und intensiven Bindungen zu österreichischen Freunden und Glaubensgemeinschaft und der Tätigkeit als Zeitungsverkäufer spätestens vor dem Hintergrund der Rückkehrentscheidung durch das BFA dem Revisionswerber hätte klar sein müssen, dass es keine gesicherte Grundlage für seinen Aufenthalt in Österreich gibt. Angesichts der verwandtschaftlichen Beziehungen des Revisionswerbers im Herkunftsstaat und dessen Verlassen im Erwachsenenalter kann nicht von einer kompletten Entwurzelung ausgegangen werden. Auch die Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsstaat – letztlich Folge des seinerzeitigen ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von Subsidiärschutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassen des Herkunftsstaats sind im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (VwGH 17.04.2020, Ra 2020/21/0083-6).

Auf die strengen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 AsylG zuletzt verweisend: VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0133.

Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.

Der BF, der die B1 Prüfung absolviert hat, verfügt über grundlegende, gute, jedoch nicht fehlerfreie Deutschkenntnisse. Zwar stellt der Spracherwerb und der tatsächliche Wille, die deutsche Sprache zu erlernen, zweifellos ein wesentliches Kriterium bei der Beurteilung der Integration in Österreich dar, doch ist auch auf die diesbezügliche höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehende Integrationsmerkmale verfügt und diesen nur untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl. VwGH 06.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

Die erkennende Richterin verkennt auch nicht, dass sich der BF während seines Aufenthaltes in Österreich ein Privatleben aufgebaut hat und über eine Beziehung und einen Freundeskreis verfügt, doch ist dies auch der Dauer des Aufenthaltes geschuldet. Soweit in den vorgelegten Empfehlungsschreiben von Privatpersonen dem BF Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und Fortschritte seiner Deutschkenntnisse attestiert wurden, ist auszuführen, dass daraus nicht hervorgeht, wodurch im konkreten Fall eine besondere Integration des Beschwerdeführers gegeben sein soll, auch wenn die darin beschriebenen Eigenschaften des BF und die Aktionen zutreffen mögen. Besondere Tatsachen, die ein berücksichtigungswürdiges Engagement zur Integration in Österreich gezeigt hätten, sind dadurch nicht hervorgekommen. Die Unterstützungserklärungen sind aus hg. Sicht als Gefälligkeitsschreiben zu qualifizieren und ist daraus nichts für eine erfolgreiche Integration des BF in Österreich zu gewinnen.

Was die der aktuellen Stellungnahme beigelegte Einstellungszusage vom XXXX als geringfügig beschäftigter Fahrer betrifft, ist folgendes festzuhalten:

 

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer über eine Einstellungszusage verfügt, kann in casu nicht entscheidungswesentlich zu seinen Gunsten ausschlagen (dazu auch VwGH 14.12.2010, 2010/22/0186, in dem der Ansicht zugestimmt wird, dass im Fall eines im Jahr 2003 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereisten, unbescholtenen Beschwerdeführers, der über eine Einstellungszusage verfügte und zudem in den Jahren 2006 bis 2008 als Straßenarbeiter tätig gewesen sei, nicht von einer solchen beruflichen Integration gesprochen werden könne, die die Erlassung einer Ausweisung unzulässig machen würde) und die Existenz einer Selbsterhaltungsfähigkeit dartun, ist eine solche doch an die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung geknüpft.

Die Schutzwürdigkeit seines Privat- und Familienlebens in Österreich ist aufgrund der aufgezeigten fallbezogenen Umstände nur in geringem Maße gegeben. Im Hinblick auf den Umstand, dass der erwachsene BF den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat, ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, zumal dort seine Familienangehörigen (Eltern und Bruder) leben und der BF auch eine Sprache des Herkunftsstaates als Muttersprache beherrscht. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass bereits eine Entwurzelung vom Herkunftsland stattgefunden hat und somit bestehen nach wie vor Bindungen des BF zum Iran. Weitere ausgeprägte private und persönliche Interessen hat der BF im Verfahren nicht dargetan.

Im Lichte der bereits erörterten fallbezogenen Umstände, wobei auch die genannte Verurteilung nicht außer Acht gelassen werden kann, ist festzuhalten, dass die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung deutlich überwiegen und der Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers jedenfalls notwendig und auch verhältnismäßig ist.

Auch die Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsstaat – letztlich Folge des seinerzeitigen ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von Subsidiärschutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassen des Herkunftsstaats - sind im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (VwGH 17.04.2020, Ra 2020/21/0083-6).

Angesichts der - somit in ihrem Gewicht erheblich geminderten - Gesamtinteressen des BF am Verbleib in Österreich überwiegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich neben den gefährdeten Sicherheitsinteressen insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrages verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf (vgl. dazu im allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.09.2007, B 1150/07).

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist daher davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

4.3.5. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

4.3.5.1. Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

4.3.6. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

4.3.6.1. Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

Festzuhalten ist im Zusammenhang mit der vierzehntägigen Frist zur Ausreise, dass die Vollziehung der Außerlandesbringung zum Kompetenzbereich des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gehört, sodass naturgemäß die aktuellen Gegebenheiten in Bezug auf die Covid-19-Pandemie seitens des BFA zu berücksichtigen sind.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Themen Konversion, Glaubwürdigkeitsprüfung, wohlbegründete Furcht, Verfolgung, Glaubhaftmachung, Refoulement und Rückkehrentscheidung auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte