VwGH Ra 2019/14/0408

VwGHRa 2019/14/04082.12.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Dr. Heinrich H. Rösch, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 10/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. Februar 2019, Zl. W271 2170813- 1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140408.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 2. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er führte aus, dass er drei Jahre alt gewesen sei, als seine Familie in den Iran gezogen sei. Im Laufe des Verfahrens gab er zusätzlich an, dass er sich vom Islam abgewendet habe. 2 Mit Bescheid vom 9. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom 12. Juni 2019, E 1260/2019-7, ablehnte. Mit Beschluss vom 25. Juli 2019, E 1260/2019-9, trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde des Revisionswerbers über nachträglichen Antrag gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht. 6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 9 Die Revision bringt in der Begründung ihrer Zulässigkeit vor, dem Revisionswerber drohe aufgrund seiner Abkehr vom Islam eine asylrelevante Verfolgung. Es müsse außer Betracht bleiben, ob die Konversion beziehungsweise säkulare Weltanschauung zum Schein oder tatsächlich erfolgt sei, denn auch eine zum Schein erfolgte säkulare Weltanschauung könne zu asylrelevanter Verfolgung führen. Dazu habe das Verwaltungsgericht keine Feststellungen getroffen. 10 Die Revision übersieht mit dieser Argumentation, dass das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausführlich darlegte, warum es dem Vorbringen keinen Glauben schenkt bzw. dieses als nicht asylrelevant betrachtet. Es führte zum behaupteten Abfall vom Islam aus, dass keine ernsthafte Abwendung des Revisionswerbers vom Islam vorliege, die sich zu einer inneren Überzeugung und einem maßgeblichen Bestandteil seiner Identität verdichtet habe und weiterhin in Afghanistan gelebt werden würde. Der Revisionswerber müsse im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht damit rechnen, wegen seinem geringen Interesse am Praktizieren des islamischen Glaubens oder seiner Denkweise mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden, zumal er seine Lebensart nicht veröffentlicht habe oder den Islam öffentlich kritisiert habe. Bei seiner Einschätzung stützte sich das Verwaltungsgericht auch auf Berichte zur Situation von Personen in Afghanistan, denen eine Abkehr vom Islam vorgeworfen wird oder die sich nicht an die Regeln des Islam halten (siehe Seiten 82 f des Erkenntnisses). Die Revision legt nicht dar, warum die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts vor dem Hintergrund der fallbezogen getroffenen Feststellungen, welchen nicht substantiiert entgegen getreten wird, unvertretbar sein sollte.

11 Soweit sich die Revision gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0356, mwN).

12 Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0246, mwN). Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 21.5.2019, Ra 2019/19/0136 und 0137, mwN).

13 Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) Bedeutung zukommen kann (vgl. VwGH 17.12.2018, Ra 2018/14/0301, mwN). Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass es im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8  EMRK nicht auf das Bestehen einer Kernfamilie im Heimatland ankommt (vgl. VwGH 2.9.2019, Ra 2019/01/0088, mwN).

14 Das Bundesverwaltungsgericht ist unter Zugrundelegung der Erwägungen zum subsidiären Schutz von der Möglichkeit der Schaffung einer Existenzgrundlage ausgegangen und hat die etwas mehr als dreijährige Dauer des Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet ebenso berücksichtigt, wie die in der Revision näher genannten Integrationsbemühungen. Es ist fallbezogen nicht ersichtlich, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht alle relevanten Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG ausreichend berücksichtigt hätte. Entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung ist auch nicht zu sehen, dass eine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen des Revisionswerbers vorliegt, dass bereits von "außergewöhnlichen Umständen" gesprochen werden könnte. Mit dem Revisionsvorbringen wird nicht aufgezeigt, dass das Bundesverwaltungsgericht die in Rede stehende Beurteilung in unvertretbarer Weise vorgenommen hat. 15 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen. Wien, am 2. Dezember 2019

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