VwGH Ra 2018/14/0301

VwGHRa 2018/14/030117.12.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schweinzer, in der Revisionssache des X Y in Z, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juli 2018, W166 1429141-2/22E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z5;
MRK Art8;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018140301.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 16. August 2012 den Antrag auf internationalen Schutz.

2 Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 28. Dezember 2012 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab und verfügte die Ausweisung des Revisionswerbers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan.

3 In Erledigung der Beschwerde hob das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Oktober 2014 den Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das (nunmehr zuständige) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück.

4 Mit Bescheid vom 5. November 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag erneut sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab. Unter einem erteilte es dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Des Weiteren wies es den in der Beschwerde gestellten Antrag des Revisionswerbers auf unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers ab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

6 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, der Revisionswerber sei ein gesunder, junger Mann in erwerbsfähigem Alter, der in Afghanistan geboren und in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen sei. Der Revisionswerber verfüge über eine siebenjährige Schulbildung, spreche eine der Landessprachen und habe sich bis zu seiner Ausreise durchgehend in der Stadt Kabul aufgehalten. Seine Familie lebe nach wie vor in Kabul und sei davon auszugehen, dass der Revisionswerber zumindest anfänglich im Haus seiner Familie unterkommen könne, zumal er dort bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan gelebt habe. Es sei daher nicht anzunehmen, dass der Revisionswerber infolge seiner Rückkehr nach Kabul in eine ausweglose Lage geraten würde.

7 Das Bundesverwaltungsgericht führte weiters aus, es verkenne im Hinblick auf die dem Erkenntnis zugrundeliegenden Länderfeststellungen nicht, dass die Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul angespannt sei. Dennoch gebe es anhand der getroffenen Feststellungen keine Gründe für die Annahme eines realen Risikos einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder einer ernsthaften Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit des Revisionswerbers im Falle seiner bloßen Anwesenheit in der Stadt Kabul. Individuelle Umstände, weswegen dem Revisionswerber ein derartiges Risiko mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen würde, habe dieser nicht glaubhaft gemacht.

8 Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung führte das Bundesverwaltungsgericht mit näherer Begründung aus, ein schützenswertes Familienleben im Bundesgebiet liege nicht vor. Hinsichtlich des Privatlebens des Revisionswerbers hielt es fest, dass sich der Revisionswerber während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet aus näher dargestellten Gründen nicht überdurchschnittlich integriert habe. Demgegenüber habe er sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise in Afghanistan verbracht und sei dort sozialisiert worden. Seine Mutter, seine vier Brüder und zumindest ein Onkel seien nach wie vor in Kabul aufhältig und er stehe mit seiner Familie in regelmäßigem Kontakt. Die Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK fiel in einer Gesamtschau zu Ungunsten des Revisionswerbers aus.

9 Der Revisionswerber erhob gegen das in Revision gezogene Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, die nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 25. September 2018, E 3297/2018-9, dem Verwaltungsgerichtshof über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 16. Oktober 2018, E 3297/2018-11, zur Entscheidung abgetreten wurde. Zur Ablehnung der Beschwerdebehandlung führte der Verfassungsgerichtshof u.a. aus, in Bezug auf die behauptete Verletzung von Art. 3 EMRK habe das Bundesverwaltungsgericht weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen, noch seien ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechts darstellen würden. Im Hinblick auf die behauptete Verletzung von Art. 8 EMRK habe sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Frage der Gefährdung des Revisionswerbers auseinandergesetzt und könne diesem unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgehe, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiege.

10 Die vorliegende außerordentliche Revision macht zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe es in Abweichung von näher bezeichneter hg. Rechtsprechung unterlassen, sich im Rahmen der bei der Rückkehrentscheidung vorzunehmenden Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK mit allen maßgeblichen Faktoren - konkret mit der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan und der Frage, ob sich der Revisionswerber bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen könne - auseinanderzusetzen. Des Weiteren habe das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung auf unvollständige Länderfeststellungen gestützt. Hätte das Bundesverwaltungsgericht ausreichende und hinreichend aktuelle Länderinformationen, etwa die in den Zulässigkeitsgründen der Revision beispielhaft angeführten, berücksichtigt, hätte es dem Revisionswerber angesichts der Verschlechterung der allgemeinen Sicherheitslage zumindest den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen und das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative verneinen müssen.

11 Mit diesem Vorbringen werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

12 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

15 Soweit die Revision die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK beanstandet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (VwGH 26.9.2018, Ra 2018/14/0108, mwN).

16 Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) Bedeutung zukommen kann (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 26.4.2018, Ra 2018/21/0022, mwN).

17 Das Bundesverwaltungsgericht ist unter Zugrundelegung der Feststellungen zu den familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und den Erwägungen zum subsidiären Schutz von der Möglichkeit der Schaffung einer Existenzgrundlage ausgegangen. Angesichts der sonstigen für die Interessenabwägung maßgebenden Faktoren ist fallbezogen nicht ersichtlich, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht alle relevanten Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG ausreichend berücksichtigt hätte (vgl. auch VwGH 29.11.2017, Ra 2017/18/0425; 10.8.2017, Ra 2016/20/0105, 0106).

18 Die Revision vermag daher nicht aufzuzeigen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt oder in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre, sodass sich diese als nicht revisibel erweist (vgl. VwGH 5.11.2018, Ra 2018/14/0166, mwN).

19 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das Bundesverwaltungsgericht seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen hat. Eine Verletzung dieser Vorgabe stellt einen Verfahrensmangel dar. Es reicht jedoch nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 26.6.2018, Ra 2018/20/0192, mwN). Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist dabei in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2017/19/0431, mwN). Eine solche Relevanz zeigt die vorliegende Revision nicht auf.

20 Sofern die Revision moniert, das Bundesverwaltungsgericht hätte bei Zugrundelegung der angeführten Länderinformationen das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den Revisionswerber in Kabul verneinen müssen, übersieht sie, dass sich die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz nicht auf das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative stützt. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht die sich gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gerichtete Beschwerde mit der Möglichkeit einer Rückkehr des Revisionswerbers nach Kabul, sohin in jene Stadt, in der der Revisionswerber nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes geboren und aufgewachsen ist und in der er über ein familiäres Netzwerk verfügt, abgewiesen.

21 In der Revision werden demnach keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 17. Dezember 2018

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte