VwGH Ra 2016/21/0235

VwGHRa 2016/21/023523.2.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Revision des S S in W„ gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. Juni 2016, W171 1400678-2/3E, betreffend Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Festsetzung einer Ausreisefrist und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3;
AsylG 2005 §55;
AsylG 2005 §57;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
MRK Art8 impl;
MRK Art8;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016210235.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der im Juni 1984 geborene Revisionswerber ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe. Er hatte sich bereits im Jahr 2008 für drei Monate in Österreich aufgehalten und erfolglos die Gewährung von Asyl begehrt. In dieser Zeit lernte er die ebenfalls aus Tschetschenien stammende, im Juni 1995 geborene, somit damals dreizehnjährige M.D. kennen, der im Jahr 2004 im Wege der Erstreckung der Status als Asylberechtigte zuerkannt worden war. Zwischen den Genannten gab es auch nach der Rückkehr des Revisionswerbers nach Tschetschenien in den folgenden Jahren (2011, 2012 und 2013) zwei bis drei Wochen dauernde Treffen in Weißrussland. Nach den Angaben des Revisionswerbers hätten sie am 12. August 2011 in Tschetschenien - in Abwesenheit von M.D., die sich in Österreich aufgehalten habe - standesamtlich und nach islamischem Ritus geheiratet. Am 14. November 2013 und am 26. Jänner 2015 wurden die gemeinsamen Söhne in Österreich geboren, die ebenfalls asylberechtigt sind. Im Juni 2016 war M.D. (nunmehr M.S.) wieder schwanger. Die Familie lebt in Wien in einer Wohnung im gemeinsamen Haushalt. Der unbescholtene Revisionswerber, der über "rudimentäre" Deutschkenntnisse verfügt, bezieht - ebenso wie M.S. - Leistungen aus der Grundversorgung.

2 Der Revisionswerber war nämlich am 22. April 2014 (neuerlich) illegal nach Österreich eingereist und hatte einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt, den er letztlich nur damit begründete, mit seinen Angehörigen in Österreich ein gemeinsames Familienleben führen zu wollen. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 12. Februar 2016, Asyl und subsidiären Schutz betreffend, ab (Spruchpunkte I. und II.). Unter einem sprach das BFA aus, dass dem Revisionswerber Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt werden. Weiters wurde gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Schließlich setzte das BFA die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen fest (Spruchpunkte III. und IV.).

3 Nur gegen die zuletzt genannten Spruchpunkte III. und IV. erhob der Revisionswerber eine Beschwerde, die das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 6. Juni 2016 als unbegründet abwies, wobei es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aussprach, dass eine Revision gegen sein Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 23. September 2016, E 1682/2016-5, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 3. November 2016 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5 In der Folge brachte der Revisionswerber beim BVwG fristgerecht die vorliegende (außerordentliche) Revision ein, über deren Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtshof nach der gemäß § 30a Abs. 7 VwGG erfolgten Aktenvorlage erwogen hat:

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8 Diesbezüglich releviert der Revisionswerber ein Abweichen von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wobei er sich zusammengefasst - unter Hinweis auf das nur in Österreich mögliche Familienleben mit seiner Ehefrau und den drei Kindern - gegen das Ergebnis der vom BVwG gemäß § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung wendet und in diesem Zusammenhang auch Ermittlungsmängel und die Verletzung der Verhandlungspflicht durch das BVwG geltend macht.

9 Dem ist zu erwidern, dass die angesprochene Interessenabwägung, bei der vom BVwG alle maßgeblichen Aspekte ausreichend einbezogen wurden, nicht als unvertretbar anzusehen ist. Das steht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Zulässigkeit einer (außerordentlichen) Revision in Bezug auf die Rückkehrentscheidung (und die amtswegige Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005) entgegen (vgl. beispielsweise den Beschluss vom 30. Juni 2015, Ra 2015/21/0059 bis 0062, unter anderem mit dem Hinweis auf den grundlegenden Beschluss vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0033).

10 Bei dieser Beurteilung durfte das BVwG zunächst einbeziehen, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich - bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - erst etwa zwei Jahre gedauert hatte und lediglich auf einem - mangels Geltendmachung von für die Asylgewährung oder die Gewährung von subsidiärem Schutz tauglicher Gründe - von vornherein aussichtslosen Antrag auf internationalen Schutz beruhte. Das BVwG ist weiters dem in der Revision wiederholt betonten Vorbringen des Revisionswerbers, ein gemeinsames Familienleben mit seinen Angehörigen sei nur in Österreich möglich, ohnehin gefolgt und es nahm daher erkennbar auch einen durch die Trennung der Familienangehörigen bewirkten Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte an. Das BVwG (vgl. Seite 69/70 des angefochtenen Erkenntnisses) ging in diesem Zusammenhang aber zutreffend davon aus, der Antrag auf internationalen Schutz sei vom Revisionswerber missbräuchlich zur von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug gestellt worden. In solchen Konstellationen wiegt das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch besonders schwer, zumal von den Beteiligten zu keiner Zeit von einem (rechtmäßigen) Verbleib des Revisionswerbers in Österreich hätte ausgegangen werden dürfen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 18. Oktober 2012, Zl. 2011/23/0549, und darauf Bezug nehmend aus der letzten Zeit den Beschluss vom 15. März 2016, Ra 2015/21/0180, sowie daran anschließend den Beschluss vom 7. September 2016, Ra 2016/19/0168; siehe im Übrigen auch das vom BVwG in diesem Zusammenhang ins Treffen geführte, u.a. im hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721, referierte Urteil des EGMR vom 11. April 2006, Nr. 61292/00, Useinov gegen Niederlande). Dabei durfte das BVwG zu Recht auch die fallbezogene Besonderheit ins Treffen führen, dass schon im Zeitpunkt der in Abwesenheit der Ehefrau des Revisionswerbers im August 2011 in Tschetschenien erfolgten Eheschließung (und freilich auch in weiterer Folge) die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise bewusst sein musste. Dem trägt die Revision in keiner Weise Rechnung.

11 Im Übrigen hat sich das BVwG bei dieser - wie erwähnt: im Ergebnis nicht unvertretbaren - Beurteilung auch ausreichend mit den durch die bekämpfte Entscheidung verbundenen Auswirkungen auf das "Kindeswohl" befasst (siehe Seite 71 bis 73; zur Relevanz des "Kindeswohls" bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG vgl. etwa den schon genannten Beschluss vom 30. Juni 2015, Ra 2015/21/0059 bis 0062, sowie zur Vorgängerreglung des § 66 FPG idF vor dem FrÄG 2011 beispielsweise auch das Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0451, und das auch in der Revision genannte Erkenntnis vom 12. September 2012, Zl. 2012/23/0017; siehe dazu ergänzend etwa auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Oktober 2016, E 1349/2016, Punkt III.3.2. der Entscheidungsgründe). Der diesbezügliche Einwand in der Revision ist daher nicht stichhältig. Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang im Übrigen auch die in der Revision wiederholt vorgetragene Auffassung, es bestehe überhaupt keine Möglichkeit, dass sich die Familienangehörigen in der Zukunft wiedersehen und den Kontakt sonst aufrecht erhalten könnten. Vielmehr hat das BVwG (vgl. Seite 71, 2. Absatz) - in Bezug auf die Ehefrau - zutreffend auf den möglichen Kontakt via moderner Kommunikationsmittel hingewiesen und zu Recht auch die Möglichkeit von Besuchen in Österreich (oder wie schon in den Jahren 2011 bis 2013 praktiziert: in einem Drittstaat) in Betracht gezogen. Außerdem stünde dem Revisionswerber bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen freilich auch der - eigentlich rechtlich vorgesehene - Weg für einen dauernden Aufenthalt in Österreich in Form des Familiennachzugs gemäß dem NAG (vgl. § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c) offen.

12 Vor diesem Hintergrund lag mangels klärungsbedürftigen Sachverhalts im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG entgegen der Meinung in der Revision, die sich in diesem Zusammenhang nur auf nach dem Gesagten nicht entscheidungswesentliche Aspekte (v.a. aktive Beteiligung des Revisionswerbers an der Erziehung und Betreuung der Kinder) bezieht, auch keine Verletzung der Pflicht zur Durchführung einer Beschwerdeverhandlung vor. Auch in Bezug auf die in der Revision gerügte Unterlassung einer amtswegigen Vernehmung der M.S. als Zeugin zeigt die Revision keine relevanten Beweisthemen auf, zumal das Bestehen eines vom Schutzbereich des Art. 8 EMRK erfassten Familienlebens vom BVwG ohnehin nicht in Zweifel gezogen wurde, sodass es auf die Frage der Wirksamkeit der in Abwesenheit der M.S. geschlossenen Ehe nicht ankommt. Es war daher auch eine Würdigung der (nur) in Kopie vorgelegten Heiratsurkunde entbehrlich. Die in diesem Zusammenhang in der Revision noch vorgetragene Annahme, das BVwG habe die (damals) aktuelle Schwangerschaft von M.S. bezweifelt, steht im Widerspruch zu der ausdrücklich gegenteiligen Feststellung im angefochtenen Erkenntnis (siehe Seite 7, vorletzter Absatz). Auch insoweit besteht daher kein relevanter Ermittlungsmangel. Schließlich wird bei dem weiters noch - allerdings neuerungsweise - erstatteten Revisionsvorbringen, M.S. sei mit der alleinigen Betreuung der Kinder "gänzlich" überfordert, die unbekämpft gebliebene Feststellung des BVwG (Seite 72, zweiter Absatz) außer Acht gelassen, dass sie dabei von ihren ebenfalls in Österreich lebenden Eltern und Geschwistern unterstützt werden könne. Im Übrigen spricht die Revision an anderer Stelle insofern auch selbst vom Bestehen eines "sozialen Netzes".

13 In der Revision wird somit insgesamt keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG dargetan, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen war.

Wien, am 23. Februar 2017

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