AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:L519.2222243.2.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, 2. XXXX , geb. XXXX , StA Türkei und 3. XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, alle vertreten durch RA DDr.LUKITS, LL.M., gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2020, Zlen. XXXX , XXXX und XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.10.2020 betreffend Anträge auf internationalen Schutz und Erlassung von Rückkehrentscheidungen, zu Recht:
A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist die Mutter des unmündigen minderjährigen Zweitbeschwerdeführers (BF2) und der unmündigen minderjährigen Drittbeschwerdeführerin (BF3). Sämtliche Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Türkei, der kurdischen Volksgruppe zugehörig und sunnitischen Glaubens.
2. Die drei BF stellten im Gefolge ihrer legalen Einreise am 20.09.2018 in das Bundesgebiet am 29.11.2018 Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art 8 EMRK gem. § 55 Abs 1 AsylG.
Gegen die abweisenden Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.06.2019 wurden fristsgerecht Beschwerden erhoben.
Diese wurden vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 02.01.2020, L524 2222241-1/5E als unbegründet abgewiesen.
3.1. Am 05.02.2020 stellte die BF1 für sich und ihre minderjährigen Kinder die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz und erfolgte am gleichen Tag die niederschriftliche Erstbefragung.
Dabei gab die BF1 an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehörige der Türkei zu sein. Sie sei am XXXX in XXXX geboren, Angehörige der kurdischen Volksgruppe und sunnitischen Glaubens. Sie sei geschieden und hätte im Herkunftsland acht Jahre die Schule besucht. Sie hätte keinen Beruf erlernt und wäre nie berufstätig gewesen. Zu den Gründen ihrer Ausreise befragt führte die BF1 aus, dass sie ständig von ihrem Ex-Gatten bedroht worden wäre. Sie wäre in der Türkei alleine mit den beiden Kindern gewesen und hätte niemanden gehabt, der auf sie aufpasst. Der ehemalige Gatte hätte ihr auch mit dem Tod gedroht. Bei einer Rückkehr hätte sie Angst um ihr Leben.
3.2. Zum BF2 gab die BF1 an, dass dieser den Namen XXXX führe und Staatsangehöriger der Türkei sei. Er sei am XXXX in XXXX geboren, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und sunnitischen Glaubens. Zur BF3 führte die BF1 aus, dass diese den Namen XXXX führe und am XXXX geboren wäre. Die BF3 sei ebenfalls Staatsangehörige der Türkei und sunnitischen Glaubens. Beide Kinder werden gesetzlich von der Mutter vertreteten und gab diese zu den Fluchtgründen des BF2 und der BF3 bekannt, dass diese keine eigenen hätten und deswegen ihre Gründe auch für die Kinder Geltung hätten.
4. Nach Zulassung des Verfahrens wurde die BF1 am 03.07.2020 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.
Zu den Gründen ihrer Antragstellung befragt gab die BF1 an, dass sie von ihrem alkoholkranken Mann mehrmals geschlagen worden wäre. Einmal wäre er auch mit einem Messer auf sie losgegangen, ein anderes Mal hätte er ihr während des Essens die Gabel in ihr Bein gestochen, die Kinder hätten dies mit angesehen und wären sehr traurig gewesen. Ihr Gatte wäre fast ein Jahr wegen Suchgiftdelikten im Gefängnis gesessen. Die Gewalttätigkeiten hätten sich über Jahre fortgesetzt und hätte er die BF1 dann auch mehrmals mit dem Tod bedroht, wenn sie sich scheiden lassen würde. Sie hätte auch den Kindern keine Kleidung, kein Spielzeug und keine Lebensmittel kaufen können, weil sie von ihm kein Geld bekommen hätte. Geld hätte sie von ihrem Vater oder ihrer Schwester bekommen, die es ihr geschickt hätten. Sie hätte wegen der häuslichen Gewalt auch einmal die Polizei aufgesucht, diese hätte jedoch nichts unternommen. Weil es der ehemalige Gatte nicht erlaubte, wäre sie keiner Arbeit nachgegangen.
Bezüglich der Fluchtgründe des BF2 und der BF3 teilte die BF1 mit, dass die von ihr bekanntgegebenen Fluchtgründe auch für ihre Kinder gelten. Die Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.
5. Von den BF wurden keine Stellungnahmen zu den aktuellen länderkundlichen Informationen eingebracht.
6. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2020 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen (Spruchpunkt VI).
Begründend führte das Bundesamt aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass den BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht. Eine Verfolgung von staatlicher Seite wurde nicht behauptet, sonstige aslyrelvante Gründe konnten nicht glaubhaft gemacht werden.
In der Beweiswürdigung wurde diesbezüglich dargelegt, das die BF1 am 28.11.2018 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK stellte und schlussendlich die gegen den negativen Bescheid des Bundesamtes eingereichte Beschwerde am 02.01.2020 mit Erkenntis des BVwG abgewiesen wurde. Erst nach der rechtskräftigen Abweisung, zudem noch weitere vier Wochen zuwartend, wurden Anträge auf internationalen Schutz eingebracht. Weiter sei nicht nachvollziehbar, dass die BF1 erst im September 2018 nach Österreich reiste, obwohl die häusliche Gewalt schon 2011 begonnen hätte und die Scheidung auch schon 2015 oder 2016 erfolgt wäre. Das Vorbringen ist aus diesen Gründen nicht glaubwürdig und ergeht deswegen die Feststellung, dass die von der BF1 geschilderten Geschehnisse in ihrer Gesamtheit nicht glaubhaft sind.
Im Zuge des Familienverfahrens wird bei den BF2 und BF3 auf die Ausführungen zur BF1 verwiesen.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, die BF haben keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Den BF sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, weil keine Bedrohung iSd § 8 AsylG glaubhaft gemacht werden konnte. Auch sonstige, in der Person der BF liegende Merkmale, wären diesbezüglich nicht hervorgekommen. Es hätten sich zusammenfassend keine Anhaltspunkte ergeben, dass die BF im Herkunftsstaat mit einer Verletzung der ihnen aus Art 3 EMRK zustehenden Rechte zu rechnen hätten. Bei den BF könnte zudem nicht davon ausgegangen werden, dass eine Alternativvoraussetzung gem § 57 Abs 1 AsylG erfüllt sei, weswegen schließlich auch kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt werden kann.
7. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.
8. Gegen die den BF am 27.07.2020 zugestellten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die fristgerecht eingebrachten Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht.
In diesen werden inhaltliche Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, die angefochtenen Bescheide abzuändern und den Anträgen auf internationalen Schutz Folge zu geben und den Beschwerdeführern den Status von Asylberechtigten oder hilfsweise den Status von subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und die jeweiligen Spruchpunkte III. aufzuheben oder hilfsweise festzustellen, dass Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig seien und daher festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art 8 EMRK gegeben wären. Eventualiter die Bescheide ersatzlos zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.
Das BFA hätte die Pflicht zur amtswegigen Ermittlung in mehrfacher Weise verletzt, so bei den Problemen mit der Schutzsuche in Frauenhäusern, auch sei das Kindeswohl unzureichend berücksichtigt worden und wären die Länderfeststellungen unvollständig und unrichtig.
Zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit wird angeführt, dass die BF1 wegen ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen, die von Ehrenmord bedroht sind, jedenfalls die Definition eines Flüchtlings im Sinne der GFK zutreffe. Die in diesem Fall vorliegende Häufung von Benachteiligungen und Schikanen sind als Verfolgung zu werten. Auch würde keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, weil sich die Verfolgung auf das ganze Staatsgebiet beziehe.
Im Hinblick auf die Beweiswürdigung der angefochtenen Bescheide wird in den Beschwerden ausgeführt, dass das BFA nicht begründet hätte, warum es das Vorbringen der BF1 nicht für glaubwürdig hält.
9. Mit Eingabe vom 28.09.2020 langte der vorbereitende Schriftsatz der aktuellen rechtlichen Vertretung ein. Inhaltlich wird moniert, dass die letzte Misshandlung in der Türkei nicht „2018 Juli-Aug“, sondern „zuletzt 2018 Juli-Aug“ heißen müsse. Zudem wäre bei der Erstbefragung die Seite 8 der Niederschrift nicht rückübersetzt worden. Auch hätte sich die damalige rechtliche Vertretung eines nicht geeigneten Dolmetschers bedient, so sei fälschlicherweise ausgeführt worden, dass auch der BF2 geschlagen worden wäre. Auch hätten nicht die Eltern eine Haftungserklärung unterzeichnet, sondern nur der Vater. Fehlen würde ferner, dass die BF1 von sich aus einmal zur Polizei gegangen wäre und würden auch die Angaben über die Anzahl der Geschwister der BF1 nicht stimmen. Moniert werde weiters die Situation in der Einvernahme vor dem Bundesamt, weites wurden Ausführungen zur Herkunftsregion, zum Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative und zum Privat- und Familienleben getätigt.
10. Am 05.10.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der BF1 samt deren rechtsfreundlicher Vertretung sowie eines Dolmetschers für die türkische Sprache durchgeführt. Dabei wurde auch ein nicht näher bezeichnetes Schriftstück der klinischen Psychologin Mag. XXXX den BF2 betreffend vorgelegt. Darin wird mitgeteilt, dass sich beim BF2 das akute Zustandsbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1 nach ICD-10) zeige.
11. Mit Eingabe vom 12.10.2020 langte ein mit Protokollanmerkungen bezeichnetes Schriftstück der rechtsfreundlichen Vertretung ein. Darin wird ua. moniert, dass der Vater der BF1 vom Sicherheitspersonal unter Verweis auf bestehende Corona-Maßnahmen am Betreten des BVwG gehindert worden wäre. Auch lägen Protokollierungs-/Übersetzungsfehler zu den Themen Beginn der Verfolgung, einvernehmliche Scheidung, letzter Übergriff vor der Ausreise und Information der Familie vor. Demenstprechende Rügen wären in der Verhandlung vom Dolmetscher nicht berücksichtigt worden. Zudem wird der Antrag auf Einvernahme des Rechtsvertreters als Zeugen gestellt.
12. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den Beschwerdeführern:
Die Erstbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX , ist Staatsangehörige der Türkei und Angehörige der kurdischen Volksgruppe und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung. Sie wurde am XXXX in XXXX geboren und lebte dort mit den Kindern. Die 2009 mit dem Vater von BF2 und BF3 eingegangene Ehe wurde 2016 geschieden. Die Identität der BF1 steht fest.
Die Erstbeschwerdeführerin ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.
Die Erstbeschwerdeführerin besuchte acht Jahre die Schule. Sie hat keine Berufsausbildung.
In der Türkei leben der Großvater väterlicherseits, eine Tante und zwei Onkel.
Am 20.09.2018 verließ die Erstbeschwerdeführerin mit ihren beiden Kindern die Türkei legal auf dem Luftweg und reiste mit einem bis 19.11.2018 gültigen Visum C nach Österreich, wo sie am 28.11.2018 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK stellte. Vom BFA wurde dieser Antrag am 24.06.2019 abgewiesen, die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom BVwG mit Erkenntnis vom 02.10.2020 als unbegründet abgewiesen, woraufhin die BF1 am 05.02.2020 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Der Zweitbeschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehörige der Türkei und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und sunnitischer Glaubensrichtung. Er wurde am XXXX in XXXX geboren und lebte dort mit der Erstbeschwerdeführerin und bis 2016 auch mit dem Vater zusammen. Die Identität des BF2 steht fest.
Für den Zweitbeschwerdeführer wurde ein nicht näher bezeichnetes Schriftstück eingebracht, indem inhaltlich mitgeteilt wird, dass er an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Ansonsten ist er gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.
Die Drittbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX , sie ist Staatsangehöriger der Türkei und Angehörige der kurdischen Volksgruppe und sunnitischer Glaubensrichtung. Sie wurde am XXXX in XXXX geboren und lebte dort mit der Erstbeschwerdeführerin und bis 2016 auch mit dem Vater zusammen. Die Identität der BF3 steht fest.
Der BF3 ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.
Der BF2 und die BF3 verließen gemeinsam mit ihrer Mutter am 20.09.2018 die Türkei und stellte die BF1 als gesetzliche Vertretung für den BF2 und die BF3 am 05.02.2020 die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.
Alle BF verfügen über türkische Reisepässe.
Die BF1 ist in Österreich strafrechtlich unbescholten, BF2 und BF3 sind strafunmündig. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet war und ist nicht nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.
Die Beschwerdeführer gehören keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatten in ihrem Herkunftsstaat vor der Ausreise keine Schwierigkeiten mit staatlichen Organen, Sicherheitskräften oder Justizbehörden zu gewärtigen.
Die Beschwerdeführer gehören nicht der Gülen-Bewegung an und waren nicht in den versuchten Militärputsch in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verstrickt.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer vor der Ausreise Schwierigkeiten aufgrund ihres Bekenntnisses zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bzw. ethnischen Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe zu gewärtigen hatten. Auch wurden keine Schwierigkeiten wegen einer behaupteten Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe einer alleinstehenden geschiedenen Frau mit unmündigen Kindern festgestellt.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.
Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 durch ihren Ex-Gatten jahrelang häusliche Gewalt erlitten hätte.
Den Beschwerdeführern droht im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe.
Die BF1 ist gesund und eine arbeits- und anpassungsfähige Person mit grundlegender Schulbildung. Die BF1 besuchte acht Jahre lang die Schule und kümmerte sich um den Haushalt und die Kinder. Ihr bisheriges Leben wurde von der Verwandtschaft, primär vom Vater, finanziert. Die BF verfügen über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in ihrem Herkunftsstaat und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft. Der BF1 ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung ihres Auskommens möglich und zumutbar.
Die Beschwerdeführer halten sich seit dem 20.09.2018 durchgehend in Österreich auf.
Die BF1 ist nicht legal erwerbstätig, hat keine Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt in Aussicht und lebt von ihrem Vater, der auch ihr Leben in der Türkei finanzierte. In Österreich wohnen die Eltern, eine Schwester und ein Bruder, sowie Tanten und Onkel der BF1. Die BF1 hat keine Kontakte zu österreichischen Personen, absolvierte keine Deutschkurse und ist in keinem Verein und keiner Organisation tätig. Sie ist außer für ihre Kinder für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig.
Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die die BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person der BF gelegenen Umständen gegenüber dem erstinstanzlichen Bescheid.
Ebenso ergab sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation der BF.
Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass den BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in ihrem Heimatland Türkei droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wären.
Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor und ist die Erlassung von Rückkehrentscheidungen geboten. Die Abschiebung der BF in die Türkei ist zulässig und möglich.
Weitere Ausreisegründe und/oder Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.
1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:
1. Politische Lage
Letzte Änderung am 29.11.2019
Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 14.6.2019). Diese Entwicklung wurde mit der Parlaments- und Präsidentschaftswahl im Juni 2018 abgeschlossen, u.a. wurde das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft (bpb 9.7.2018).
Die Venedig Kommission des Europarates zeigte sich in einer Stellungnahme zu den Verfassungsänderungen besorgt, da mehrere Kompetenzverschiebungen zugunsten des Präsidentenamtes die Gewaltenteilung gefährden, und die Verfassungsänderungen die Kontrolle der Exekutive über Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaft in problematischerweise verstärken würden. Ohne Gewaltenkontrolle würde sich das Präsidialsystem zu einem autoritären System entwickeln (CoE-VC 13.7.2017).
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden Stimmen stärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die Zehn-Prozent-Hürde, die höchste unter den OSZE-Mitgliedstaaten, wurde trotz der langjährigen Empfehlung internationaler Organisationen und der Rechtsprechung des EGMR nicht gesenkt. Die unter Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und es der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Am 16.4.2017 stimmten 51,4% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).
Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan mit 52,6% der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative İyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31. März hatte der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem İmamoğlu, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6. Mai schließlich die Wahl wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees annullierte (FAZ 23.6.2019; vgl. Standard 23.6.2019). İmamoğlu gewann die wiederholte Wahl mit 54%. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Yıldırım, erreichte 45% (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert von der Macht in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdoğan bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirtaş, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für İmamoğlu betonte (NZZ 23.6.2019).
Trotz der Aufhebung des Ausnahmezustands sind viele seiner Verordnungen in die ordentliche Gesetzgebung aufgenommen worden. Das neue Präsidialsystem hat etliche der bisher bestehenden Elemente der Gewaltenteilung aufgehoben und die Rolle des Parlaments geschwächt. Dies hat zu einer stärkeren Politisierung der öffentlichen Verwaltung und der Justiz geführt. Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen; gegen Gesetze Veto einzulegen, und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z.B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der Souveräne Wohlfahrtsfonds, sind inzwischen dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019).
Zunehmende politische Polarisierung, insbesondere im Vorfeld der Gemeinderatswahlen vom März 2019, verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der Demokratischen Partei der Völker (HDP), hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemaligen Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft. Laut europäischer Kommission muss die parlamentarische Immunität gestärkt werden, um die Meinungsfreiheit der Abgeordneten zu gewährleisten (EC 29.5.2019).
Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen bei Verdacht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können (ZO 25.7.2018).
Mehr als 152.000 Beamte, darunter Akademiker, Lehrer, Polizisten, Gesundheitspersonal, Richter und Staatsanwälte, wurden durch Notverordnungen entlassen. Mehr als 150.000 Personen wurden während des Ausnahmezustands in Gewahrsam genommen und mehr als 78.000 wegen Terrorismusbezug verhaftet, von denen 50.000 noch im Gefängnis sitzen (EC 29.5.2019). Die rund 50.000 wegen Terrorbezug Inhaftierten machen 17% aller Gefängnisinsassen aus (AM 4.12.2018).
[siehe auch: 4. Rechtsschutz/Justizwesen, 5.Sicherheitsbhörden und 3.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung]
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 4.10.2019
Anadolu Agency (23.6.2019): CHP's Imamoglu wins Istanbul’s mayoral poll, https://www.aa.com.tr/en/politics/chps-imamoglu-wins-istanbul-s-mayoral-poll/1513613 , Zugriff 4.10.2019
AM – Al Monitor (4.12.2018): Turkey can't build prisons fast enough to house convict influx, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/11/turkey-overcrowded-prisons-face-serious-problems.html , Zugriff 4.10.2019
bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (9.7.2018): Das "neue" politische System der Türkei, https://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/255789/das-neue-politische-system-der-tuerkei , Zugriff 3.10.2019
CoE-VC – council of europe - european commission for democracy through law (venice commission) (13.7.2017): Turkey - Opinion - The Amendments to the Constitution adopted by the Grand National Assembly on 21 January 2017 and to be submitted to a National Referendumon 16 April 2017 [Opinion No. 875/2017], S.29, Abs.130, https://www.venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdffile=cdl-ad(2017)005-e , Zugriff 3.10.2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 3.10.2019
FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.6.2019): Erdogan gratuliert Imamoglu zum Wahlsieg in Istanbul, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wieder-niederlage-fuer-erdogans-akp-in-istanbul-16250529.html , Zugriff 4.10.2019
HDN – Hürriyet Daily News (16.4.2017): Turkey approves presidential system in tight referendum, http://www.hurriyetdailynews.com/live-turkey-votes-on-presidential-system-in-key-referendum.aspx?pageID=238&nID=112061&NewsCatID=338 , Zugriff 4.10.2019
HDN - Hürriyet Daily News (26.6.2018): 24. Juni 2018, Ergebnisse Präsidentschaftswahlen; Ergebnisse Parlamentswahlen, http://www.hurriyetdailynews.com/wahlen-turkei-2018 , Zugriff 4.10.2019
NZZ – Neue Zürcher Zeitung (18.7.2018): Wie es in der Türkei nach dem Ende des Ausnahmezustands weiter geht, https://www.nzz.ch/international/tuerkei-wie-es-nach-dem-ende-des-ausnahmezustands-weitergeht-ld.1404273 , Zugriff 4.10.2019
NZZ - Neue Zürcher Zeitung (23.6.2019): Niederlage für Erdogans AKP: CHP-Kandidat Imamoglu gewinnt erneut die Bürgermeisterwahl in Istanbul, https://www.nzz.ch/international/niederlage-fuer-erdogans-akp-chp-kandidat-imamoglu-gewinnt-erneut-die-buergermeisterwahl-in-istanbul-ld.1490981 , Zugriff 4.10.2019
OSCE – Organization for Security and Cooperation in Europe (22.6.2017): Turkey, Constitutional Referendum, 16 April 2017: Final Report, http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/324816?download=true , Zugriff 4.10.2019
OSCE/PACE - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017): INTERNATIONAL REFERENDUM OBSERVATION MISSION, Republic of Turkey – Constitutional Referendum, 16 April 2017 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/311721?download=true , Zugriff 4.10.2019
OSCE/ODIHR – Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (21.9.2018): Turkey, Early Presidential and Parliamentary Elections, 24 June 2018: Final Report,https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/397046?download=true , 3.10.2019
Der Standard (1.4.2019): Erdoğans AKP verliert bei türkischer Kommunalwahl die Großstädte, https://derstandard.at/2000100581333/Erdogans-AKP-verliert-die-tuerkischen-Grossstaedte , Zugriff 4.10.2019
Der Standard (23.6.2019): Opposition gewinnt Wahlwiederholung in Istanbul, https://derstandard.at/2000105305388/Imamoglu-bei-Auszaehlung-der-Wahlwiederholung-in-Istanbul-in-Fuehrungin-Istanbul , Zugriff 4.10.2019
ZO - Zeit Online (25.7.2018): Türkei verabschiedet Antiterrorgesetz, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/tuerkisches-parlament-verabschiedung-neue-gesetze-anti-terror-massnahmen , Zugriff 4.10.2019
2. Sicherheitslage
Letzte Änderung am 29.11.2019
Im Juli 2015 flammte der bewaffnete Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wieder auf; der sog. Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Türkei musste zudem von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK (bzw. ihrer Ableger), des sogenannten Islamischen Staates sowie – in sehr viel geringerem Ausmaß – auch linksextremistischer Gruppierungen, wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), ausgesetzt. Die Intensität des Konflikts mit der PKK innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 14.6.2019). Dennoch ist die Situation im Südosten trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds weiterhin angespannt. Die Regierung setzte die Sicherheitsmaßnahmen gegen die PKK und mit ihr verbundenen Gruppen fort (EC 25.9.2019). Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (IHD) kamen 2018 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 502 Personen ums Leben, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (IHD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (IHD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (IHD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte 2018 sogar 603 Personen, die ums Leben kamen. Von Jänner bis September 2019 kamen 361 Personen ums Leben (ICG 4.10.2019). Bislang gab es keine sichtbaren Entwicklungen bei der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erreichung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 29.5.2019).
Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 4.10.2019). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in Diyarbakır, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin, Şırnak und Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, Şanlıurfa, Diyarbakır, Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Muş, Tunceli, Şırnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder „zeitweilige Sicherheitszonen“ eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbakır und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und Aǧrı (AA 8.10.2019a). Das BMEIA sieht ein hohes Sicherheitsrisiko in den Provinzen Ağrı, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakır, Gaziantep, Hakkâri, Kilis, Mardin, Şanlıurfa, Siirt, Şırnak, Tunceli und Van, wo es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten kommt. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gilt im Rest des Landes (BMEIA 4.10.2019).
Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 4.10.2019).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 8.10.2019
AA – Auswärtiges Amt (8.11.2019a): Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962#content_1 , Zugriff 8.10.2019
BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.11.2019): Türkei – Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tuerkei/ , Zugriff 8.10.2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 3.10.2019
EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.10.2019): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html , Zugriff 4.10.2019ICG – Internal Crisis Group (4.10.2019): Turkey’s PKK Conflict: A Visual Explainer, https://www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer , Zugriff 7.10.2019
IHD – Human Rights Association - İnsan Hakları Derneği (1.2.2017): IHD’s 2016 Report on Human Rights Violations in Eastern and Southeastern Anatolia Region, https://ihd.org.tr/en/ihds-2016-report-on-human-rights-violations-in-eastern-and-southeastern-anatolia/ , Zugriff 4.10.2019
IHD – Human Rights Association - İnsan Hakları Derneği (24.5.2018): 2017 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_balance-sheet-1.pdf , Zugriff 4.10.2019
IHD – Human Rights Association - İnsan Hakları Derneği (19.4.2019): 2018 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2019/05/2018-SUMMARY-TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN-TURKEY.pdf , Zugriff 4.10.2019
2.1. Terroristische Gruppierungen: PKK – Partiya Karkerên Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)
Letzte Änderung am 29.11.2019
Der Kampf der marxistisch orientierten Kurdischen Arbeiterpartei, PKK, die nicht nur in der Türkei verboten, sondern auch von den USA und der EU als terroristische Organisation eingestuft ist, wird gegenwärtig offiziell für eine weitreichende Autonomie innerhalb der Türkei geführt. Der PKK-Gewalt standen Verhaftungen und schwere Menschenrechtsverletzungen seitens der türkischen Militärregierung (ab 1980) gegenüber. Seit 1984 haben PKK-Attentate und Operationen mehr als 40.000 militärische und zivile Opfer gefordert. Die PKK agiert vor allem im Südosten, in den Grenzregionen zum Iran und Syrien sowie im Nord-Irak, wo auch ihr Rückzugsgebiet, das Kandil-Gebirge, liegt (ÖB 10.2019).
Zu den Kernforderungen der PKK gehören nach wie vor die Anerkennung der kurdischen Identität sowie eine politische und kulturelle Autonomie der Kurden unter Aufrechterhaltung nationaler Grenzen in ihren türkischen, aber auch syrischen Siedlungsgebieten (BMIBH 6.2019)
2012 initiierte die Regierung den sog. „Lösungsprozess“ (keine offiziellen Verhandlungen), bei dem zum Teil auch auf Vermittlung durch HDP-Politiker zurückgegriffen wurde. Nach der Wahlniederlage der AKP im Juni 2015 (Verlust der absoluten Mehrheit), dem Einzug der pro-kurdischen HDP ins Parlament und den militärischen Erfolgen kurdischer Kämpfer im benachbarten Syrien, brach der gewaltsame Konflikt wieder aus (ÖB 10.2019). Auslöser für eine neuerliche Eskalation des militärischen Konflikts war auch ein der Terrormiliz Islamischer Staat zugerechneter Selbstmordanschlag am 20.7.2015 in der türkischen Grenzstadt Suruç, der über 30 Tote und etwa 100 Verletzte gefordert hatte. PKK-Guerillaeinheiten töteten daraufhin am 22.7.2015 zwei türkische Polizisten, die sie einer Kooperation mit dem IS bezichtigten. Das türkische Militär nahm dies zum Anlass, in der Nacht zum 25.7.2015 Bombenangriffe auf Lager der PKK in Syrien und im Nordirak zu fliegen. Parallel fanden in der Türkei landesweite Exekutivmaßnahmen gegen Einrichtungen der PKK statt. Noch am selben Tag erklärten die PKK-Guerillaeinheiten den seit März 2013 jedenfalls auf dem Papier bestehenden Waffenstillstand mit der türkischen Regierung für bedeutungslos (BMI-D 6.2016). Der Lösungsprozess wurde vom Präsidenten für gescheitert erklärt. Ab August 2015 wurde der Kampf von der PKK in die Städte des Südostens getragen: Die Jugendorganisation der PKK hob in den von ihnen kontrollierten Stadtvierteln Gräben aus und errichtete Barrikaden, um den Zugang zu sperren. Die Kampfhandlungen, die bis ins Frühjahr 2016 anhielten, waren von langen Ausgangssperren begleitet und forderten zahlreiche Todesopfer unter der Zivilbevölkerung (ÖB 10.2019).
Die Kampfhandlungen zwischen dem türkischen Militär und den Guerillaeinheiten der PKK in den südostanatolischen und den nordsyrischen Gebieten mit überwiegend kurdischer Bevölkerungsmehrheit setzten sich im Berichtszeitraum (2018) fort und verschärften sich teils noch. Schon aus diesem Grund erscheint eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen der PKK und der türkischen Regierung gegenwärtig als unwahrscheinlich (BMIBH-D 6.2019).
Quellen:
BMIBH-D - Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat [Deutschland] (6.2019): Verfassungsschutzbericht 2018, https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2018.pdf , Zugriff 9.10.2019
BMI-D - Bundesministerium des Innern [Deutschland] (6.2016): Verfassungsschutzbericht 2015, https://www.verfassungsschutz.de/de/download-manager/_vsbericht-2015.pdf , Zugriff 25.10.2019
ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 25.10.2019
2.2. Terroristische Gruppierungen: TAK - Teyrêbazên Azadiya Kurdistan – (Freiheitsfalken Kurdistans)
Letzte Änderung am 29.11.2019
TAK ist eine mit der PKK verbundene terroristische Vereinigung. Die TAK wurde Berichten zufolge 1999 von PKK-Führern gegründet, nachdem der PKK-Gründer, Abdullah Öcalan, verhaftet worden war. Im Jahr 2004 beschuldigte die TAK die PKK jedoch des Pazifismus und spaltete sich öffentlich von der PKK ab. Die TAK soll aus jungen städtischen Rekruten bestehen. Seit 2004 hat sie mehr als ein Dutzend tödlicher Angriffe im ganzen Land verübt, darunter der Beschuss eines türkischen Militärkonvois im Februar 2016 in Ankara und die Bombenanschläge vom Dezember 2016 vor einem Sportstadion in Istanbul. Die türkische Regierung bestreitet die Trennung von TAK und PKK und behauptet, die TAK sei ein terroristischer Stellvertreter ihrer Mutterorganisation, der PKK. Sicherheitsanalysten zufolge ist die TAK mit der PKK durch ideologische Doktrin, militärische Ausbildung, Rekrutierung und die Lieferung von Waffen verbunden, allerdings koordiniert und führt sie selbstständig Angriffe durch. Die TAK wurde von den USA, der Türkei und der EU als terroristische Organisation eingestuft (CEP 15.10.2018).
Die TAK gilt als eine extrem geheime Organisation, deren Mitgliederzahl unbekannt ist. Laut Personen, die der PKK nahestehen, operiert die TAK in isolierten Zwei- bis Drei-Mann-Zellen, die zwar ideologisch der PKK folgen, jedoch unabhängig von dieser handeln (AM 29.2.2016).
Quellen:
CEP – Counter Extremism Project (15.10.2018): Turkey: Extremism & Counter-Extremism, https://www.counterextremism.com/sites/default/files/country_pdf/TR-10152018.pdf , Zugriff 9.10.2019
AM – Al Monitor (29.2.2016): Who is TAK and why did it attack Ankara? http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/02/turkey-outlawed-tak-will-not-deviate-line-of-ocalan.html , Zugriff 9.10.2019
3. Rechtsschutz/Justizwesen
Letzte Änderung am 6.4.2020
Der zwei Jahre andauernde Ausnahmezustand nach dem Putschversuch hat zu einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit geführt (EP 13.3.2019; vgl. PACE 24.1.2019). Die Situation in Hinblick auf die Justizverwaltung und die Unabhängigkeit der Justiz hat sich merkbar verschlechtert (CoE-CommDH 19.2.2020; vgl. EC 29.5.2019, USDOS 11.3.2020). Negative Entwicklungen bei der Rechtsstaatlichkeit, den Grundrechten und der Justiz wurden nicht angegangen (EC 29.5.2019). Die Auswirkungen dieser Situation auf das Strafrechtssystem zeigen sich dadurch, dass sich zahlreiche seit langem bestehende Probleme wie der Missbrauch der Untersuchungshaft verschärft haben und neue Probleme hinzugekommen sind. Vor allem bei Fällen von Terrorismus und organisierter Kriminalität hat die Missachtung grundlegender Garantien für ein faires Verfahren durch die türkische Justiz und die sehr lockere Anwendung des Strafrechts auf eigentlich rechtskonforme Handlungen zu einem Grad an Rechtsunsicherheit und Willkür geführt, der das Wesen des Rechtsstaates gefährdet (CoE-CommDH 19.2.2020).
Neben der Aushöhlung der verfassungsrechtlichen und strukturellen Garantien zur Wahrung der Unabhängigkeit der Richter und Maßnahmen, die sich direkt auf diese Unabhängigkeit ausgewirkt haben, wie z.B. fristlose Entlassungen und Einstellungen, gibt es Hinweise auf eine zunehmende Parteilichkeit der Justiz gegenüber politischen Interessen, was durch die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bestätigt wurde (CoE-CommDH 19.2.2020). Das Europäische Parlament (EP) verurteilte die verstärkte Kontrolle der Arbeit von Richtern und Staatsanwälten durch die Exekutive und den politischen Druck, dem sie ausgesetzt sind (EP 13.3.2019). Rechtsanwaltsvereinigungen aus 25 Städten sahen in einer öffentlichen Deklaration im Februar 2020 die Türkei in der schwersten Justizkrise seit dem Bestehen der Republik, insbesondere infolge der Einmischung der Regierung in die Gerichtsbarkeit, der Politisierung des Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK), der Inhaftierung von Rechtsanwälten und des Ignorierens von Entscheidungen der Höchstgerichte sowie des EGMR (bianet 24.2.2020).
Obwohl die Autonomie der Justiz eingeschränkt ist, entschieden die Richter in wichtigen Fällen im Jahr 2019 manchmal auch gegen die Regierung, beispielsweise in den Fällen, in denen Akademiker ein Ende der staatlichen Gewalt in kurdischen Gebieten im Jahr 2016 gefordert hatten (FH 4.3.2020).
Die Anstellung neuer Richter und Staatsanwälte im Rahmen des derzeitigen Systems trug zu den Bedenken bei, da keine Maßnahmen ergriffen wurden, um dem Mangel an objektiven, leistungsbezogenen, einheitlichen und im Voraus festgelegten Kriterien für deren Einstellung und Beförderung entgegenzuwirken. Es wurden keine rechtlichen und verfassungsmäßigen Garantien eingeführt, die verhindern, dass Richter und Staatsanwälte gegen ihren Willen versetzt werden. Die abschreckende Wirkung der Entlassungen und Zwangsversetzungen innerhalb der Justiz ist nach wie vor zu beobachten. Es besteht die Gefahr einer weit verbreiteten Selbstzensur unter Richtern und Staatsanwälten. Es wurden keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Rechtsgarantien ergriffen, um die Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive zu gewährleisten oder die Unabhängigkeit des Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) zu stärken. An der Einrichtung der Friedensrichter in Strafsachen (sulh ceza hakimliği), die zu einem parallelen System werden könnten, wurden keine Änderungen vorgenommen (EC 29.5.2019).
Die Entlassung von mehr als 4.800 Richtern und Staatsanwälten führt auch zu praktischen Problemen, da für die notwendigen Nachbesetzungen keine ausreichende Zahl an entsprechend ausgebildeten Richtern und Staatsanwälten zur Verfügung steht (Erfordernis des zwei-jährigen Trainings wurde abgeschafft). Die im Dienst verbliebenen erfahrenen Kräfte sind infolge der Entlassungen häufig schlichtweg überlastet. In einigen Fällen spiegelt sich der Qualitätsverlust in einer schablonierten Entscheidungsfindung ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall wider. In massenhaft abgewickelten Verfahren, wie etwa denjenigen, betreffend Terrorismusvorwürfe, leidet die Qualität der Urteile häufig unter mangelhaften rechtlichen Begründungen sowie lückenhafter und oberflächlicher Beweisführung (ÖB 10.2019).
Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung festgelegt. Laut Art. 9 erfolgt die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte. Art. 138 der Verfassung regelt die Unabhängigkeit der Richter (AA 14.6.2019; vgl. ÖB 10.2019). Die EU-Delegation in der Türkei kritisiert jedoch, dass diese Verfassungsbestimmung durch einfach-rechtliche Regelungen unterlaufen wird. U.a. sind die dem Justizministerium weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften für die Organisation der Gerichte zuständig (ÖB 10.2019). Die richterliche Unabhängigkeit ist überdies durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) infrage gestellt. Der Rat ist u. a. für Ernennungen, Versetzungen und Beförderungen zuständig. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen. Nach dem Putschversuch von Mitte Juli 2016 wurden fünf der 22 Richter und Staatsanwälte des HSK verhaftet, Tausende von Richtern und Staatsanwälten wurden aus dem Dienst entlassen. Seit Inkrafttreten der im April 2017 verabschiedeten Verfassungsänderungen wird der HSK teils vom Staatspräsidenten, teils vom Parlament ernannt, ohne dass es bei den Ernennungen der Mitwirkung eines anderen Verfassungsorgans bedürfte. Die Zahl der Mitglieder des HSK wurde auf 13 reduziert (AA 14.6.2019).
Das türkische Justizsystem besteht aus zwei Säulen: der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Straf- und Zivilgerichte) und der außerordentlichen Gerichtsbarkeit (Verwaltungs- und Verfassungsgerichte). Mit dem Verfassungsreferendum im April 2017 wurden die Militärgerichte abgeschafft. Deren Kompetenzen wurden auf die Straf- und Zivilgerichte sowie Verwaltungsgerichte übertragen. Letztinstanzliche Gerichte sind gemäß der Verfassung der Verfassungsgerichtshof (Anayasa Mahkemesi), der Staatsrat (Danıştay), der Kassationshof (Yargitay) und das Kompetenzkonfliktgericht (Uyuşmazlık Mahkemesi) (ÖB 10.2019). Seit September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof (AA 14.6.2019).
2014 wurden alle Sondergerichte sowie die Friedensgerichte (Sulh Ceza Mahkemleri) abgeschafft. Ihre Jurisdiktion für die Entscheidung wurde in der Hauptsache auf Strafkammern übertragen. Stattdessen wurde die Institution des Friedensrichters in Strafsachen (sulh ceza hakimliği) eingeführt, der das strafrechtliche Ermittlungsverfahren begleitet und überwacht. Im Gegensatz zu den abgeschafften Friedensgerichten entscheiden Friedensrichter nicht in der Sache, doch kommen ihnen während des Verfahrens weitreichende Befugnisse zu, wie z.B. die Ausstellung von Durchsuchungsbefehlen, Anhalteanordnungen, Blockierung von Websites sowie die Beschlagnahmung von Vermögen (ÖB 10.2019). Neben den weitreichenden Konsequenzen der durch den Friedensrichter anzuordnenden Maßnahmen wird in diesem Zusammenhang vor allem die Tatsache kritisiert, dass Einsprüche gegen Anordnungen nicht von einem Gericht, sondern ebenso von einem Einzelrichter geprüft werden (EC 29.5.2019; vgl. ÖB 10.2019). Die Urteile der Friedensrichter für Strafsachen weichen zunehmend von der Rechtsprechung des EGMR ab und bieten selten eine ausreichend individualisierte Begründung. Der Zugang von Verteidigern zu den Gerichtsakten ihrer Mandanten für einen bestimmten Katalog von Straftaten ist bis zur Anklageerhebung eingeschränkt. Manchmal dauert das mehr als ein Jahr (EC 29.5.2019). Die Venedig-Kommission forderte 2017 die Übertragung der Kompetenzen der Friedensrichter an ordentliche Richter bzw. eine Reform (ÖB 10.2019).
Probleme bestehen sowohl hinsichtlich der divergierenden Rechtsprechung von Höchstgerichten als auch infolge der Nicht-Beachtung von Urteilen höherer Gerichtsinstanzen durch untergeordnete Gerichte. So hat das Verfassungsgericht uneinheitliche Urteile zu Fällen der Meinungsfreiheit gefällt. Wo sich das Höchstgericht im Einklang mit den Standards des EGMR sah, welches etwa eine Untersuchungshaft in Fällen der freien Meinungsäußerung nur bei Hassreden oder dem Aufruf zur Gewalt als gerechtfertigt betrachtet, stießen die Urteile in den unteren Instanzen auf Widerstand und Behinderung (IPI 18.11.2019). Auch andere höhere Gerichte werden von untergeordneten Instanzen der Rechtsprechung ignoriert. Entgegen dem Urteil des Obersten Kassationsgerichtes bestätigte im November 2019 ein untergeordnetes Gericht in Istanbul seine Verurteilung von zwölf Journalisten der Tageszeitung Cumhuriyet, denen unterschiedliche Verbindungen zu terroristischen Organisationen vorgeworfen wurden (AM 21.11.2019).
Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten, und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte – jedenfalls in Terrorprozessen – bei den Verteidigungsmöglichkeiten. Fälle mit Bezug auf eine angebliche Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung oder der PKK werden häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte keine Akteneinsicht nehmen können. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert, bei Befragungen ihrer Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt. Beweisanträge dazu werden zurückgewiesen. Insgesamt kann – jedenfalls in den Gülenisten-Prozessen – nicht von einem unvoreingenommenen Gericht und einem fairen Prozess ausgegangen werden (AA 14.6.2019).
Private Anwälte und Menschenrechtsbeobachter berichteten von einer unregelmäßigen Umsetzung der Gesetze zum Schutz des Rechts auf ein faires Verfahren, insbesondere in Bezug auf den Zugang von Anwälten. Einige Anwälte gaben an, dass sie zögerten, Fälle anzunehmen, insbesondere solche von Verdächtigen, die wegen Verbindungen zur PKK oder zur Gülen-Bewegung angeklagt waren, aus Angst vor staatlicher Vergeltung, einschließlich Strafverfolgung (USDOS 11.4.2020). So wird gegen Anwälte strafrechtlich ermittelt, sie werden willkürlich inhaftiert und in Verbindung mit den angeblichen Verbrechen ihrer Mandanten gebracht. Die Regierung erhebt Anklage wegen Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen gegen Anwälte, die Menschenrechtsverletzungen aufdecken. Hierbei gibt es keine oder nur spärliche Beweise für eine solche Mitgliedschaft. Die Gerichte beteiligen sich an diesem Angriff gegen die Anwaltschaft, indem sie die Betroffenen zu langen Haftstrafen aufgrund von Terrorismusvorwürfen verurteilen. Die Beweislage hierbei ist meist dürftig und das Recht auf ein faires Verfahren wird ignoriert. Dieser Missbrauch der Strafverfolgung gegen Anwälte wurde von Gesetzesänderungen begleitet, die das Recht auf Rechtsbeistand für diejenigen untergraben, die willkürlich wegen Terrorvorwürfen inhaftiert wurden (HRW 10.4.2019). Seit dem Putschversuch 2016 gibt es eine Verhaftungskampagne, die sich gegen Anwälte im ganzen Land richtet. In 77 der 81 Provinzen der Türkei wurden Anwälte wegen angeblicher terroristischer Straftaten inhaftiert, verfolgt und verurteilt. Bis heute wurden mehr als 1.500 Anwälte strafrechtlich verfolgt und 599 Anwälte festgenommen. Bisher wurden 321 Anwälte wegen ihrer Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation oder wegen der Verbreitung terroristischer Propaganda zu Haftstrafen verurteilt (CCBE 1.9.2019).
Nach Änderung des Antiterrorgesetzes vom Juli 2018 soll eine in Polizeigewahrsam (angehaltene) befindliche Person spätestens nach vier Tagen einem Richter zur Entscheidung über die Verhängung einer U-Haft oder Verlängerung des Polizeigewahrsams vorgeführt werden. Eine Verlängerung der Polizeigewahrsam ist nur auf begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft, z.B. bei Fortführung weiterer Ermittlungsarbeiten oder Auswertung von Mobiltelefondaten, zulässig. Eine Verlängerung ist zweimal, zu je vier Tagen, möglich, insgesamt daher maximal zwölf Tage Polizeigewahrsam. Während des Ausnahmezustandes waren es bis zu 14 Tagen, mit einmaliger Verlängerung nach sieben Tagen. Die maximale U-Haftdauer beträgt gem. Art. 102 (1) der türkischen Strafprozessordnung (SPO) bei Straftaten, die nicht in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern fallen, ein Jahr. Aufgrund von besonderen Umständen kann sie um weitere sechs Monate verlängert werden. Nach Art. 102 (2) SPO beträgt die U-Haftdauer höchstens zwei Jahre, wenn es sich um Straftaten handelt, die in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern (Ağır Ceza mahkemeleri) fallen (Straftaten, die mindestens eine zehnjährige Freiheitsstrafe vorsehen). Aufgrund von besonderen Umständen kann diese Dauer um ein weiteres Jahr verlängert werden (insgesamt maximal drei Jahre). Bei Straftaten, die das Anti-Terrorgesetz 3713 betreffen, beträgt die maximale U-Haftdauer höchstens sieben Jahre (zwei Jahre und mögliche Verlängerung um weitere fünf Jahre). Diese Gesetzesänderung erfolgte mit dem Dekret 694 vom 15.08.2017, das am 1.2.2018 zu Gesetz Nr. 7078 wurde (Art. 136) (ÖB 10.2019).
Wesentliche Regelungen der Dekrete des Ausnahmezustandes wurden in die reguläre Gesetzgebung überführt. So wurden z.B. Teile der Notstandsvollmachten auf die Provinzgouverneure übertragen, die vom Staatspräsidenten ernannt werden (AA 14.6.2019). Das nach Auslaufen des Ausnahmezustandes im Juli 2018 angenommene Gesetz Nr. 7145 sieht keine Abschwächung der Kriterien vor, auf Grundlage derer (Massen-)Entlassungen ausgesprochen werden können (Verbindungen zu Terrororganisationen, Handeln gegen die Sicherheit des Staates etc.). Ein adäquater gerichtlicher Überprüfungsmechanismus ist nicht vorgesehen. Beibehalten wird auch die Möglichkeit, Reisepässe der entlassenen Person einzuziehen. Entlassene Akademiker haben selbst nach Wiedereinsetzung nicht mehr die Möglichkeit, an ihre ursprüngliche Universität zurückzukehren (ÖB 10.2019).
Die mittels Präsidialdekret zur individuellen Überprüfung der Entlassungen und Suspendierungen aus dem Staatsdienst eingerichtete Beschwerdekommission begann im Dezember 2017 mit ihrer Arbeit. Das Durchlaufen des Verfahrens vor der Beschwerdekommission und weiter im innerstaatlichen Weg ist eine der vom EGMR festgelegten Voraussetzungen zur Erhebung einer Klage vor dem EGMR. Bis Mai 2019 wurden 126.000 Anträge eingebracht. Davon bearbeitete die Kommission bislang 70.406. Lediglich 5.250 Personen wurden wiedereingesetzt. Die Kommission wies 65.156 Beschwerden ab, 55.714 Beschwerden sind weiter anhängig (ÖB 10.2019).
Die Beschwerdekommission stellt keinen wirksamen Rechtsbehelf für die Betroffenen dar, um sich wirksam und zeitnah Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu verschaffen. Der Kommission fehlt die genuine institutionelle Unabhängigkeit, da ihre Mitglieder zum größten Teil von der Regierung ernannt werden und im Falle von Verdachtsmomenten hinsichtlich Kontakten mit verbotenen Gruppierungen ihrer Funktion enthoben werden können. Somit können die Ernennungs- und Entlassungsvorschriften leicht den Entscheidungsprozess beeinflussen. Denn sollten Kommissionsmitglieder nicht die von ihnen erwarteten Urteile fällen, kann sie die Regierung einfach entlassen. Den Beschwerdeführern fehlt es an Möglichkeiten, Vorwürfe ihrer angeblich illegalen Aktivität zu widerlegen, da sie nicht mündlich aussagen, keine Zeugen benennen dürfen und vor Stellung ihres Antrags an die Kommission keine Einsicht in die gegen sie erhobenen Anschuldigungen bzw. diesbezüglich namhaft gemachten Beweise erhalten. Umgekehrt verwendet die Kommission schwache Beweise zur Aufrechterhaltung der Entlassungsentscheidungen. Herangezogen werden oftmals rechtmäßige Handlungen der Betroffenen als Beweis für rechtswidrige Aktivitäten (Interaktionen mit Banken, Wohltätigkeitsorganisationen, Medien etc.). Es besteht eine Beweislastumkehr. Die Betroffenen müssen widerlegen, dass sie Verbindungen zu verbotenen Gruppen hatten. Irrelevant ist, dass die getätigten Handlungen zum Zeitpunkt ihrer Vornahme legal waren. Die Wartezeiten bis zur Entscheidung der Berufungsverfahren reichten bislang von vier bis zehn Monaten, während viele entlassene Beschäftigte im öffentlichen Sektor noch keine Antwort der Kommission erhielten, obwohl sie ihre Anträge vor über einem Jahr eingereicht haben. Die Kommission ist an keine Fristen für Entscheidungen gebunden (AI 25.10.2018; vgl. ÖB 10.2019).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 4.11.2019
AI – Amnesty International (25.10.2018): Purged beyond return? No remedy for Turkey's dismissed public sector workers [EUR 44/9210/2018], https://www.ecoi.net/en/file/local/1448005/1226_1540802893_eur4492102018english.PDF , Zugriff 4.11.2019
AM – Al Monitor (21.11.2019): Turkish court defies higher ruling to uphold verdict in Cumhuriyet retrial, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/11/turkey-court-uphold-convictions-newspaper-cumhuriyet.html , Zugriff 22.11.2019
bianet (24.2.2020): Bar Associatons: Turkey Experiencing Most Severe Judicial Crisis in History, https://bianet.org/english/law/220510-bar-associatons-turkey-experiencing-most-severe-judicial-crisis-in-history , Zugriff 27.2.2020
CCBE - Council of Bars and Law Societies of Europe (1.9.2019) Situation in Turkey While 2019 Judicial Year Begins, https://arrestedlawyers.org/2019/09/01/situation-in-turkey-while-2019-judicial-year-begins/ , Zugriff 6.11.2019
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EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 31.10.2019
EP – European Parliament (13.3.2019): 2018 Report on Turkey - European Parliament resolution of 13 March 2019 on the 2018 Commission Report on Turkey (2018/2150(INI)), http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2019-0200+0+DOC+PDF+V0//EN , Zugriff 4.11.2019
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4. Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung am 6.4.2020
Die nationale Polizei, die unter der Kontrolle des Innenministeriums steht, ist für die Sicherheit in großen Stadtgebieten verantwortlich (AA 14.6.2019; vgl. USDOS 11.4.2020). Die Jandarma, eine paramilitärische Truppe, ist für ländliche Gebiete und spezifische Grenzgebiete zuständig (AA 14.6.2019; vgl. USDOS 11.4.2020, ÖB 10.2019), obwohl das Militär die Gesamtverantwortung für die Grenzkontrolle und die allgemeine Außensicherheit trägt (USDOS 11.4.2020). Die Jandarma mit einer Stärke von 180.000 Bediensteten wurde nach dem Putschversuch 2016 dem Innenministerium unterstellt, zuvor war diese dem Verteidigungsministerium unterstellt (ÖB 10.2019). Es gab Berichte, dass Jandarma-Kräfte, die zeitweise eine paramilitärische Rolle spielen und manchmal als Grenzschutz fungieren, auf Asylsuchende syrischer und anderer Nationalitäten schossen, die versuchten, die Grenze zu überqueren, was zu Tötungen oder Verletzungen von Zivilisten führte (USDOS 11.4.2020). Die Jandarma beaufsichtigt auch die sog. "Sicherheitskräfte" [Güvenlik Köy Korucuları], die vormaligen „Dorfschützer“, eine zivile Miliz, die zusätzlich für die lokale Sicherheit im Südosten sorgen soll, vor allem als Reaktion auf die terroristische Bedrohung durch die PKK (USDOS 13.3.2019). Die Polizei und mehr noch der Geheimdienst MİT haben unter der AKP-Regierung an Einfluss gewonnen. Seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung ist die Polizei aber auch selbst zum Objekt umfangreicher Säuberungen geworden (über 33.000 Bedienstete betroffen von massenhaften Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst, Entlassungen und Strafverfahren). Die Jandarma rekrutiert sich teils aus Wehrpflichtigen (AA 14.6.2019).
Nachrichtendienstliche Belange werden bei der Türkischen Nationalpolizei („Emniyet Genel Müdürlüğü“ - TNP) durch den polizeilichen Nachrichtendienst (İstihbarat Dairesi Başkanlığı“ - IDB) abgedeckt. Dessen Schwerpunkt liegt auf Terrorbekämpfung, Kampf gegen organisierte Kriminalität und Zusammenarbeit mit anderen türkischen Nachrichtendienststellen. Ebenso unterhält die Jandarma einen auf militärische Belange ausgerichteten Nachrichtendienst. Ferner existiert der nationale Nachrichtendienst („Millî İstihbarat Teşkilâtı“- MİT), der seit September 2017 direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist (zuvor dem Amt des Premierministers) und dessen Aufgabengebiete der Schutz des Territoriums, des Volkes, der Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, der Wahrung des Fortbestehens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit der Türkei sowie deren Verfassung und der verfassungskonformen Staatsordnung sind. Es existiert nach wie vor der militärische Nachrichtendienst, der dem Generalstabschef untersteht. Dieser musste nach dem Putsch einige Aufgaben an den MİT abgeben. Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem MİT erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. MİT-Agenten besitzen von nun an eine größere Immunität gegenüber dem Gesetz. Es sieht Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren für Personen vor, die Geheiminformation veröffentlichen. Auch Personen, die dem MİT Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die Entscheidung, ob gegen den MİT-Vorsitzenden ermittelt werden darf, bedarf mit der Novelle aus 2014 der Zustimmung des Staatspräsidenten (ÖB 10.2019).
Der Polizei wurden im Zuge der Abänderung des Sicherheitsgesetzes im März 2015 weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht seitdem den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen (NZZ 27.3.2015; vgl. FAZ 27.3.2015, HDN 27.3.2015). Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Leiters der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen (Anadolu 27.3.2015).
Den Militär-, Polizei- und Nachrichtendiensten fehlt es an ausreichender Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament. Das Sicherheitspersonal verfügt über einen umfassenden Rechtsschutz. Trotz glaubhafter Berichterstattung über schwerwiegende Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen und den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte im Südosten ist die Erfolgsbilanz der gerichtlichen und administrativen Prüfung solcher Anschuldigungen nach wie vor schlecht. Die parlamentarische Aufsichtskommission für die Strafverfolgung blieb wirkungslos (EC 29.5.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 31.10.2019
Anadolu Agency (27.3.2015): Turkey: Parliament approves domestic security package, http://www.aa.com.tr/en/s/484662--turkey-parliament-approves-domestic-security-package , Zugriff 31.10.2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 31.10.2019
FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.3.2015): Die Polizei bekommt mehr Befugnisse, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/tuerkei/tuerkei-mehr-befugnisse-fuer-polizei-gegen-demonstranten-13509122.html , Zugriff 31.10.2019
HDN – Hürriyet Daily News (27.3.2015): Turkish main opposition CHP to appeal for the annulment of the security package, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-main-opposition-chp-to-appeal-for-the-annulment-of-the-security-package-.aspx?pageID=238&nID=80261&NewsCatID=338 , Zugriff 31.10.2019
NZZ – Neue Zürcher Zeitung (27.3.2015): Mehr Befugnisse für die Polizei; Ankara zieht die Schraube an, http://www.nzz.ch/international/europa/ankara-zieht-die-schraube-an-1.18511712 , Zugriff 31.10.2019
ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 31.10.2019
USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html , Zugriff 31.10.2019
USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 6.4.2020
5. Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Letzte Änderung am 6.4.2020
Zivil-gesellschaftliche Organisationen stehen im Mittelpunkt des Demokratisierungsprozesses in der Türkei. Mit Stand Juli 2019 gab es rund 117.290 Vereine und 4.915 neue Stiftungen sowie zahlreiche informelle Organisationen wie Plattformen, Initiativen und Gruppen. Ihre Arbeitsbereiche konzentrieren sich vor allem auf gesellschaftliche Solidarität, soziale Dienste, Bildung, Gesundheit und verschiedene Rechtsthemen. Schon vor dem Putschversuch und den späteren Folgen des Ausnahmezustands im Jahr 2016 war der schrumpfende zivil-gesellschaftliche Raum ein Thema. Trotz verbesserter Rechtsvorschriften für Vereine und Stiftungen, die während des Beitrittsprozesses zur Europäischen Union entstanden, bestehen weiterhin Herausforderungen, insbesondere hinsichtlich des Sekundärrechts und seiner Umsetzung. Seit den großen Reformpaketen von 2004 und 2008 wurden keine umfassenden Reformen durchgeführt. Seit 2018 ist das rechtlich-politische Umfeld für die Entwicklung der Zivilgesellschaft in der Türkei nicht förderlich. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Redefreiheit werden weiterhin beschränkt. Es gibt noch keine konkrete Definition der Zivilgesellschaft und der zivil-gesellschaftlichen Organisationen in den entsprechenden Rechtsvorschriften und politischen Dokumenten. Es fehlt ein eigener, übergreifender und verbindlicher Rechtsrahmen für die Beziehungen zwischen NGOs und öffentlichen Institutionen. Die Verordnung über die Organisation und die Aufgaben der neu errichteten Generaldirektion für Beziehungen zur Zivilgesellschaft trat am 10.10.2018 in Kraft. In der Verordnung werden Ziele zur Verbesserung des zivil-gesellschaftlichen Umfelds vorgeschlagen, einschließlich, aber nicht beschränkt auf die Festlegung und Entwicklung von Strategien für die Beziehungen zur Zivilgesellschaft, die Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und nicht-staatlichen Organisationen, die Verbesserung der Wirksamkeit von zivil-gesellschaftlichen Organisationen und die Verbesserung der Servicequalität. Das Mandat und die Prioritäten dieser Institution bleiben unklar (ICNL 12.7.2019).
Menschenrechtsorganisationen können wie andere Vereinigungen gegründet und betrieben werden, unterliegen jedoch wie alle Vereine nach Maßgabe des Vereinsgesetzes der rechtlichen Aufsicht durch das Innenministerium. Ihre Aktivitäten werden von Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften beobachtet. Einige Menschenrechtsorganisationen und ihre Mitglieder sind (Ermittlungs-) Verfahren mit zum Teil fragwürdiger rechtlicher Grundlage ausgesetzt (AA 14.6.2019). Eine Verordnung vom Oktober 2018 verpflichtet alle Vereine, alle ihre Mitglieder im Informationssystem des Innenministeriums zu registrieren. Diese Anforderung ist insbesondere für NGOs mit vielen Mitgliedern mühsam (ICNL 12.7.2019). Allgemein fehlen transparente und objektive Kriterien und Verfahren in Bezug auf die öffentliche Finanzierung, die Konsultation von und die Zusammenarbeit mit zivil-gesellschaftlichen Organisationen sowie für deren Inspektion und Überprüfung (CoE-CommDH 19.2.2020).
Die Regierung ist seit dem Putschversuch gegen NGOs vorgegangen und hat mindestens 1.500 Stiftungen und Vereine geschlossen und deren Vermögen beschlagnahmt. Die NGOs arbeiten zu Themen wie Folter, häusliche Gewalt und Hilfe für Flüchtlinge und Binnenvertriebene. NGO-Führungskräfte sehen sich regelmäßig Schikanen, Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ausgesetzt (FH 4.3.2020).
Es herrscht zunehmend ein negativer politischer Diskurs, der Menschenrechtsverteidiger als Terroristen bezeichnet, was häufig zu voreingenommenen Maßnahmen der Verwaltungsbehörden und der Justiz führt. Insbesondere im Hinblick auf letztere besteht ein weit verbreitetes Muster von gerichtlichen Maßnahmen, die sich gegen Menschenrechtsverteidiger richten und auf einen Missbrauch von Strafverfahren hinauslaufen, um sie zum Schweigen zu bringen und die Zivilgesellschaft zu entmutigen (CoE-CommDH 19.2.2020). In Bezug auf die Zivilgesellschaft gab es ernsthafte Rückschläge, insbesondere angesichts einer großen Zahl von Verhaftungen von Aktivisten und der wiederholten Anwendung von Demonstrationsverboten, die zu einer raschen Einengung des Raums für Grundrechte und -freiheiten führten. Jenen Vereinen, die infolge des Ausnahmezustands geschlossen wurden, wurde kein Rechtsmittel gegen die durchgeführten Beschlagnahmungen gewährt. Trotzdem blieb die Zivilgesellschaft so weit es ging aktiv und am öffentlichen Leben beteiligt. Das Spektrum der NGOs hat sich erheblich verändert; regierungsfreundlichen Organisationen kommt eine deutlichere Rolle zu. Verwaltungsaufwand, auch für internationale NGOs, behindert weiterhin die Aktivitäten der Zivilgesellschaft (EC 17.4.2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 28.10.2019
CoE-CommDH – Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Commissioner for human rights of the Council of Europe Dunja Mijatović (19.2.2020): Report following her visit to Turkey from 1 to 5 July 2019 [CommDH(2020)1], https://www.ecoi.net/en/file/local/2024837/CommDH%282020%291+-++Report+on+Turkey_EN.docx.pdf , Zugriff 27.2.2020
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 28.10.2019
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025957.html , Zugriff 6.4.2020
ICNL – The International Center for Not-for-Profit-Law (12.7.2019): Civic Freedom Monitor: Turkey, http://www.icnl.org/research/monitor/turkey.html , Zugriff 28.10.2019
6. Ombudsperson und die Nationale Institution für Menschenrechte und Gleichstellung
Letzte Änderung am 11.3.2019
Seit 2012 verfügt die Türkei auch über das Amt einer Ombudsperson mit etwa 200 Mitarbeitern. Beschwerden können auf Türkisch, Englisch, Arabisch und Kurdisch eingereicht werden (AA 14.6.2019). Die Institution arbeitet unter dem Parlament, aber als unabhängiger Beschwerdemechanismus für Bürger, um Untersuchungen zu Regierungspraktiken und -maßnahmen, insbesondere in Bezug auf Menschenrechtsprobleme und Personalfragen, zu beantragen, obwohl Entlassungen aufgrund von Notstandsdekreten nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen (USDOS 11.3.2020). Dem Büro der Ombudsperson fehlen die Befugnisse von Amts wegen, Untersuchungen einzuleiten und in Fällen mit Rechtsbehelfen einzugreifen, was dessen Wirksamkeit einschränkt (EC 29.5.2019).
Die 2012 gegründete Menschenrechts-Institution der Türkei (MRI, Insan Hakları Kurumu) wurde 2016 durch das Institut für Menschenrechte und Gleichstellung (IMRI, Insan Hakları ve Eşitlik Kurumu) ersetzt. Die Institution besteht aus elf Mitgliedern, die vom Ministerrat (8) und Staatspräsidenten (3) bestimmt werden. Dem IMRI-Institut kommt die Rolle des „Nationalen Präventionsmechanismus“ gemäß OPCAT zu. Menschenrechtsorganisationen werfen der Institution fehlende Unabhängigkeit vor (AA 14.6.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 28.10.2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 28.10.2019
USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 6.4.2020
7. Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung am 13.2.2020
Nach zwei Jahren der rapiden Verschlechterung der Menschenrechtslage endete der Ausnahmezustand am 18.7.2018. Dies ging jedoch nicht mit konkreten Schritten zur Verbesserung der Menschenrechte im Land einher. Stattdessen bleiben viele der während des Ausnahmezustands eingeführten Maßnahmen bis heute in Kraft. Diese haben nach wie vor tiefgreifende und verheerende Auswirkungen auf die türkischen Bürger (EC 29.5.2019). Die Behörden haben verschiedene gesellschaftliche Gruppen auf der Grundlage unterschiedlicher rechtlicher Bestimmungen im Visier, um gegen abweichende Meinungen vorzugehen und ein Klima der Angst aufrechtzuerhalten. So wurde gegen Menschenrechtsanwälte und Gewerkschaftsvertreter in aufeinander folgenden Verhaftungswellen vorgegangen (AI 1.2.2019).
Zwar umfasst der Rechtsrahmen allgemeine Garantien für die Achtung der Menschen- und Grundrechte, dieser muss aber noch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bzgl. Garantien für die Achtung der Menschen- und Grundrechte in Einklang gebracht werden. In den Bereichen Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit sowie Verfahrens- und Eigentumsrechten gab es weiterhin schwere Rückschritte (EC 29.5.2019; vgl. EP 13.3.2019). Einschränkungen der Tätigkeit von Journalisten, Akademikern, Menschenrechtsverteidigern und kritischen Stimmen auf breiter Ebene wirken sich negativ auf die Ausübung dieser Freiheiten aus und führen zu Selbstzensur. Die Durchsetzung der Rechte wird durch die Zersplitterung und eingeschränkte Unabhängigkeit der öffentlichen Einrichtungen, die für den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zuständig sind, und das Fehlen einer unabhängigen Justiz behindert (EC 29.5.2019).
Gemäß der Verfassung besitzt jede Person mit seiner Persönlichkeit verbundene unantastbare, unübertragbare, unverzichtbare Grundrechte und Grundfreiheiten. Diese können gemäß Art. 13 der Verfassung nur durch Gesetz und mit der Maßgabe eingeschränkt werden, dass ihr Wesenskern unberührt bleibt. Die Beschränkungen dürfen nicht gegen Wortlaut und Geist der Verfassung, die Notwendigkeiten einer demokratischen Gesellschaftsordnung und der laizistischen Republik sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Diesen Grundsätzen steht der Kampf gegen den Terrorismus als zentrale Rechtfertigung für die Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte gegenüber (ÖB 10.2019).
Die Türkei hat eine weit gefasste Definition von Terrorismus, die auch Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die innere und äußere Sicherheit des Staates umfasst, die die Regierung regelmäßig einsetzt, um die legitime Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu kriminalisieren (USDOS 1.11.2019; vgl. ÖB 10.2019). Dieser Terrorismusbegriff ist mit dem Grundrechtsschutz unvereinbar (ÖB 10.2019). Das Europaparlament sieht die Antiterrormaßnahmen als Missbrauch zur Legitimation der Verstöße gegen die Menschenrechte und fordert die Türkei nachdrücklich auf, bei ihren Antiterrormaßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und ihre Rechtsvorschriften zur Terrorbekämpfung an die internationalen Menschenrechtsnormen anzupassen (EP 13.3.2019).
Die missbräuchliche Verwendung von Terrorismusvorwürfen in großem Umfang hält an. Neben tausenden Personen, gegen die wegen Terrorismusvorwürfen ermittelt, da sie vermeintlich mit der Gülen-Bewegung in Verbindung stehen (siehe Kapitel 2.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung) befinden sich schätzungsweise 8.500 Personen - darunter gewählte Politiker und Journalisten - wegen angeblicher Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK/KCK) entweder in Untersuchungshaft oder nach einer Verurteilung in Haft. Gegen viele weitere läuft der Prozess. Sie befinden sich jedoch auf freiem Fuß (HRW 14.1.2020).
Der EGMR spielt im Land eine besonders wichtige Rolle. Mit der Einführung der Individualbeschwerde seit September 2012 beruft sich das Verfassungsgericht noch häufiger auf die EMRK. Im Zuge des massenhaften strafrechtlichen Vorgehens gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung kam es zu einer deutlichen Zunahme der Individualbeschwerden beim EGMR, die jedoch in der Regel am Erfordernis der innerstaatlichen Rechtswegerschöpfung scheitern (AA 14.6.2019). Im Jahr 2018 stellte der EGMR Verstöße gegen die EMRK in 142 Fällen (von 146) fest, die sich hauptsächlich auf das Recht auf ein faires Verfahren (41), die Meinungsfreiheit (40), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (29), die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (11), unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (11) und das Verbot von Folter (10) bezogen (EC 29.5.2019; vgl. ECHR 1.2019a). Im Berichtszeitraum 2018 wurden vom EGMR 6.717 neue Anträge registriert (ECHR 1.2019b; vgl. EC 29.5.2019). Auf dem Höhepunkt 2017 waren es 25.978 (ECHR 1.2019b). Im Rahmen des verstärkten Überwachungsverfahrens gibt es derzeit 410 Verfahren gegen die Türkei (EC 29.5.2019). Mit Stand 31.10.2019 waren 8.700 Verfahren aus der Türkei, das waren 14,5% aller Fälle, am EGMR anhängig (ECHR 12.11.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 6.11.2019
AI – Amnesty International: Turkey (1.2.2019): Amnesty International’s brief on the human rights situation: Turkey’s state of emergency ended but the crackdown on human rights continues [EUR 44/9747/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/1457405/1226_1549275543_eur4497472019english.PDF , Zugriff 7.11.2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 6.11.2019
ECHR - European Court of Human Rights (1.2019a): Statistics by year 2018: Violations by Article and by State, https://echr.coe.int/Documents/Stats_violation_2018_ENG.pdf , Zugriff 6.11.2019
ECHR - European Court of Human Rights (1.2019b): Analysis of statistics 2018, https://www.echr.coe.int/Documents/Stats_analysis_2018_ENG.pdf , Zugriff 15.11.2019
ECHR - European Court of Human Rights (12.11.2019): Pending Applications Allocated To A Judicial Formation 31/10/2019, https://www.echr.coe.int/Documents/Stats_pending_month_2019_BIL.pdf , Zugriff 15.11.2019
EP – European Parliament (13.3.2019): 2018 Report on Turkey - European Parliament resolution of 13 March 2019 on the 2018 Commission Report on Turkey (2018/2150(INI)), http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2019-0200+0+DOC+PDF+V0//EN , Zugriff 7.11.2019
HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022684.html , Zugriff 13.2.2020
USDOS – US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019168.html , Zugriff 7.11.2019
8. Meinungs- und Pressefreiheit / Internet
Letzte Änderung am 7.4.2020
Schwere Rückschritte hinsichtlich der Meinungsfreiheit setzten sich fort. Die restriktiven Maßnahmen, die während und nach dem Ausnahmezustand ergriffen wurden, waren in ihrer Umsetzung unverhältnismäßig und haben viele Stimmen der Opposition in den Medien, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft negativ beeinflusst. Die Ausübung der Meinungsfreiheit wird erheblich behindert (EC 29.5.2019). Die türkische Rechtsordnung schränkt die Presse- und Meinungsfreiheit durch zahlreiche Bestimmungen der Straf- und Anti-Terrorgesetze ein. Die Situation hinsichtlich der Pressefreiheit ist geprägt von einer systematischen, organisierten Kampagne zur Schikanierung von Journalisten und Medien unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus (PACE 3.1.2020).
Kritisch bleiben nach wie vor die unspezifische Terrorismusdefinition und ihre Anwendung durch die Gerichte (AA 14.6.2019). Die Rechtsvorschriften, insbesondere die Bestimmungen zur nationalen Sicherheit und dem Kampf gegen den Terrorismus sowie deren Umsetzung, weichen von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ab. Das Land ist hierbei bei weitem der häufigste Täter bei Urteilen des EGMR gegen den türkischen Staat in Fällen von Vergehen gegen die Meinungsfreiheit (PACE 3.1.2020).
Strafverfahren gegen Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Anwälte, Schriftsteller und Social-Media-Nutzer halten an. Es wurden keine Maßnahmen ergriffen, um den Schaden zu beheben, der durch die Schließung zahlreicher Medien oder die Ernennung von Treuhändern durch die Regierung zu deren Verwaltung entstanden ist. Über 160 Journalisten befinden sich weiterhin im Gefängnis (EC 29.5.2019; vgl. Article 19 et al. 2.2019).
Trotz Aufhebung des Ausnahmezustandes im Juli 2018 wurde ein Großteil der Bestimmungen der Notstandsverordnungen in den später verabschiedeten neuen Gesetzen beibehalten. Durch diese Gesetzesänderungen erhielt die türkische Exekutive einen nahezu unbegrenzten Ermessensspielraum, der es ihr ermöglichte, radikale Maßnahmen, insbesondere gegen die Medien, zu ergreifen (PACE 3.1.2020).
Die Sperrung und Löschung von Online-Inhalten ohne Gerichtsbeschluss aus unterschiedlichen Gründen, basierend auf dem Internetgesetz und den allgemeinen rechtlichen Rahmenbedingungen, halten an. Die gerichtliche Kontrolle von Anträgen im Zusammenhang mit Content-Verweigerungen oder der Blockierung von Inhalten aufgrund von Einzelentscheidungen von Friedensrichtern ist aufgrund der Struktur dieser Gerichte bedenklich. Schätzungsweise 170.000 Webseiten sind angeblich verboten (EC 29.5.2019).
Beträchtliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind sowohl im Verfassungsrecht als auch in gesetzlichen Bestimmungen zu finden und betreffen u.a. das Andenken an den Staatsgründer Atatürk, das Ansehen der staatlichen Institutionen, einschließlich des Militärs, und die Einheit des Staates. Der im umstrittenen Art. 301 des türkischen Strafgesetzbuchs (Beleidigung der türkischen Nation, des Staates der türkischen Republik sowie der Institutionen und Organe des Staates) normierte Tatbestand führt zu zahlreichen Verurteilungen vor allem von Personen, die in friedlicher Weise ihre Meinung insbesondere zur armenischen und zur kurdischen Frage oder zur Rolle des Militärs äußern. Nach der Novellierung dieser Bestimmung im Frühjahr 2008 waren Verfahren wegen „Beleidigung des Türkentums“ seltener geworden, erleben aber seit dem Putschversuch von 2016 eine Renaissance, als in verstärktem Maße ein breites Spektrum an Meinungen als Terrorpropaganda kategorisiert und unter Strafe gestellt wird (ÖB 10.2019).
Beweise zur Rechtfertigung von Untersuchungshaft und terroristischer Anschuldigungen bestehen in erster Linie aus Produkten journalistischer Arbeit, einschließlich veröffentlichter Artikel und Fotos, Kontakten zu Quellen und Social Media-Posts (IPI 18.11.2019).
Die Meinungsfreiheit steht laut Parlamentarischer Versammlung des Europarates (PACE) vor dauerhaften Herausforderungen, insbesondere durch das Anti-Terror-Gesetz und dessen breite Auslegung sowie durch die Artikel 299 (Beleidigung des Präsidenten der Republik) und 301 des Strafgesetzbuches (PACE 24.1.2019). Einerseits kann etwa auch öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei oder das Teilen von Beiträgen mit PKK-Bezug in den sozialen Medien bei entsprechender Auslegung bereits den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen. Andererseits ist die „Beleidigung des Türkentums“ gemäß Art. 301 tStGB strafbar und kann von jedem Staatsbürger zur Anzeige gebracht werden, der Meinungs- oder Medienäußerungen für eine Verunglimpfung der nationalen Ehre hält (AA 14.6.2019). Im Laufe des Jahres 2019 leitete die Regierung Ermittlungen gegen Tausende von Personen, darunter Politiker, Journalisten und Minderjährige, ein, weil sie den Staatspräsidenten, den Gründer der türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, oder staatliche Institutionen beleidigt hatten (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 10.2019). Laut Statistiken von türkischen Menschenrechtsorganisationen leitete die Regierung in den ersten elf Monaten des Jahres 2019 gegen mehr als 36.000 Personen Untersuchungen und gegen mehr als 6.000 Personen Strafverfahren wegen Beleidigung des Präsidenten oder des Staates ein (USDOS 11.3.2020).
Betroffenen Politikern bietet auch deren allfällige parlamentarische Immunität keinen wirksamen Schutz mehr. Die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit wird durch Bestimmungen zum Schutz der nationalen Sicherheit und zum Schutz gegen den Terrorismus sowie deren Implementierung erheblich erschwert. Ebenso haben Anklagen und Verurteilungen wegen Art. 299 stark zugenommen (ÖB 10.2019).
Am 10. Oktober 2019 veröffentlichte die Generalstaatsanwaltschaft Istanbul eine Erklärung, die kritische Nachrichten und Kommentare zu den militärischen Operationen der Türkei in Nordsyrien verbietet. In der Erklärung heißt es, dass Personen, die "den sozialen Frieden der Republik Türkei, den inneren Frieden, die Einheit und die Sicherheit" durch "jegliche Art von suggestiver Nachricht, schriftlicher oder bildlicher Veröffentlichung bzw. Ausstrahlung" neben "operativen sozialen Medienberichten" ins Visier nehmen, nach dem türkischen Strafgesetz und dem Antiterrorismusgesetz strafrechtlich verfolgt werden. In diesem Zusammenhang hat die Polizei zwei Journalisten verhaftet. Beide Journalisten wurden auf Bewährung freigelassen, erhielten aber ein Ausreiseverbot (PACE 3.1.2020).
Nach Angaben des türkischen Innenministeriums übermittelten die Behörden 2018 mehr als 7.000 Social-Media-Konten an die Justizbehörden wegen angeblicher terroristischer Propaganda (USDOS 1.11.2019). Nach Angaben der Generaldirektion Sicherheit (Polizei) wurden im Jahr 2018 110.000 Social Media Accounts untersucht, 7.109 der Nutzer wurden festgenommen und 2.754 ins Gefängnis gesteckt. Rund 2.828 wurden mit Einschränkungen, d.h. unter gerichtlicher Aufsicht, entlassen (IOHR 2019).
Einzelpersonen können den Staat oder die Regierung in vielen Fällen nicht öffentlich kritisieren, ohne das Risiko von zivil- oder strafrechtlichen Verfahren oder Ermittlungen einzugehen. Die Regierung schränkt die Meinungsfreiheit von Einzelpersonen ein, die für bestimmte religiöse, politische oder kulturelle Standpunkte Sympathien haben. Manchmal riskieren Personen, die zu sensiblen Themen oder in einer gegenüber der Regierung kritischen Weise schreiben oder sprechen, eine behördliche Untersuchung (USDOS 11.3.2020).
Nach der Eliminierung von Dutzenden von Medien und der Übernahme der größten Mediengruppe der Türkei (Doğan-Gruppe) durch ein regierungsfreundliches Konglomerat (Demirören-Holding) gehen die Behörden gegen das vor, was vom Pluralismus noch übrig ist - eine Handvoll kritischer Medien (RSF 2019; vgl. Presse 22.3.2018). Die wichtigsten Printmedien und Fernsehsender werden weitgehend von staatlichen Holdinggesellschaften kontrolliert, die wiederum unter massivem Einfluss der regierenden AKP stehen (USDOS 11.3.2020). Die Mainstream-Medien, insbesondere die Fernsehsender, spiegeln die Positionen der Regierung bzw. des Präsidenten wider (FH 4.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020). Obwohl einige unabhängige Zeitungen und Webseiten weiterhin bestehen, stehen sie unter enormem politischen Druck und werden häufig strafrechtlich verfolgt (FH 4.3.2020). Selbstzensur ist weit verbreitet aus Angst, dass die Kritik an der Regierung zu Vergeltungsmaßnahmen führen könnte (USDOS 11.3.2020).
Journalisten sitzen mitunter mehr als ein Jahr bis zum Prozessbeginn im Gefängnis. Lange Gefängnisstrafen werden zur neuen Norm. In einigen Fällen werden Journalisten zu lebenslanger Haft ohne die Möglichkeit einer Begnadigung verurteilt. Inhaftierten Journalisten und geschlossenen Medien wird jeder wirksame Rechtsweg verwehrt. Die Türkei verblieb im World Press Freedom Index 2019 [1. Rang = bester Rang] auf Platz 157 von 180 Ländern (RSF 2019). Rund 120 Journalisten und Medienmitarbeiter befinden sich in Untersuchungshaft oder verbüßen Strafen wegen z.B. "Verbreitung terroristischer Propaganda" oder "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation". Hunderte weitere stehen, ohne sich in Untersuchungshaft zu befinden, vor Gericht. Journalisten, die für kurdische Medien in der Türkei arbeiten, werden weiterhin unverhältnismäßig stark ins Visier genommen. Eine kritische Berichterstattung aus dem Südosten des Landes ist stark eingeschränkt (HRW 14.1.2020).
Anlässlich der Corona-Krise hat die Regierung versucht die öffentliche Debatte über das Virus zu kontrollieren. Dies ging so weit, dass Personen wegen kritischer, laut Regierung "grundloser und provokativer" Beiträge in den sozialen Medien verhaftet wurden (Al Monitor 24.3.2020). Laut Innenminister Süleyman Soylu sind fast 2.000 Social-Media-Konten identifiziert worden (Stand 25.3.2020), die provokante Beiträge über den Ausbruch gemacht hätten, was zur Festnahme von 410 Personen geführt hat, die versucht hätten, Unruhe zu stiften (Reuters 25.3.2020). Zuvor hat die Oberstaatsanwaltschaft Istanbul Untersuchungen und Gerichtsverfahren gegen 29 Personen eingeleitet, die in den sozialen Medien Zweifel an den Maßnahmen der Regierung äußerten und somit laut der Staatsanwaltschaft „Angst und Panik“ verbreiteten (FNS 16.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 7.11.2019
Al Monitor (24.3.2020): Turkey tightens restrictions to curb coronavirus outbreak, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/03/turkey-tighten-restrictions-curb-coronavirus-outbreak.html , Zugriff 7.4.2020
ARTICLE 19, RSF – Reporters Sans Frontières (Autor), CPJ – Committee to Protect Journalists (Autor), EFJ - European Federation of Journalists; IFJ - International Federation of Journalists; AEJ - Association of European Journalists; et al. (2.2019): Democracy at risk: Threats and attacks against media freedom in Europe, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003215/PREMS-018519-GBR-2519-Threats-and-attacks-Media-freedom-Rapport-annuel-18-WEB.pdf , Zugriff am 20. November 2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 7.11.2019
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025957.html , Zugriff 6.4.2020
FNS – Friedrich Naumann Stiftung (16.3.2020): Turkey Bulletin, 5/2020, https://shop.freiheit.org/# !/Publikation/876, Zugriff 25.3.2020
HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022684.html , Zugriff 13.2.2020
IOHR – International Observatory of Human Rights (2019): 2018 in Review: Human Rights Violations in Turkey #TurkeyHumanRights, https://observatoryihr.org/2018-in-review-human-rights-violations-in-turkey/ , Zugriff 7.11.2019
IPI - International Press Institute (Hg.) (18.11.2019): Turkey’s Journalistsin the Dock: Judicial Silencing of the Fourth Estate - Joint International Press Freedom Mission To Turkey (September 11–13, 2019), https://freeturkeyjournalists.ipi.media/wp-content/uploads/2019/11/Turkey-Mission-Report-IPI-FINAL4PRINT.pdf , Zugriff 20.11.2019
ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 7.11.2019
PACE – Council of Europe - Parliamentary Assembly (3.1.2020): Threats to media freedom and journalists security in Europe [Doc. 15021], https://www.ecoi.net/en/file/local/2022212/Threats+to+media+freedom+and+journalists+security+in+Europe+%5BDoc.+15021%5D.pdf , Zugriff am 16.1.2020
PACE – Parliamentary Assembly of the Council of Europe (24.1.2019): The worsening situation of opposition politicians in Turkey: what can be done to protect their fundamental rights in a Council of Europe member State? [Resolution 2260 (2019)], http://assembly.coe.int/nw/xml/Xref/Xref-XML2HTML-EN.asp?fileid=25425&lang=en , Zugriff 7.11.2019
Die Presse (22.3.2018): Regierungsnaher Konzern kauft größte Mediengruppe der Türkei, https://www.diepresse.com/5393481/regierungsnaher-konzern-kauft-grosste-mediengruppe-der-turkei , Zugriff 27.11.2019
Reuters (25.3.2020): Turkey rounds up hundreds for social media posts about coronavirus, https://www.reuters.com/article/us-health-coronavirus-turkey/turkey-rounds-up-hundreds-for-social-media-posts-about-coronavirus-idUSKBN21C1SG , Zugriff 7.4.2020
RSF – Reporters without Borders (2019): Turkey, https://rsf.org/en/turkey , Zugriff 7.11.2019
USDOS – US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019168.html , Zugriff 7.11.2019
USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 6.4.2020
9. Religionsfreiheit
Letzte Änderung am 6.4.2020
Die Verfassung definiert die Türkei als säkularen Staat. Artikel 10 besagt, dass alle Personen vor dem Gesetz gleich sind, unabhängig von ihrer Weltanschauung und ihrer Religion. Gemäß Artikel 15 kann niemand gezwungen werden, sein Religionsbekenntnis kundzutun. Artikel 24 garantiert das Recht auf Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit und Überzeugungsfreiheit. Der Staat hat den Säkularismus traditionell so interpretiert, dass er für sich die staatliche Kontrolle über Religionsgemeinschaften, einschließlich ihrer Praktiken und Gotteshäuser verlangt. Die Diyanet [Anm. Religionsbehörde] verwaltet das islamische Bildungs- und Erziehungswesen, einschließlich der Moscheen; der Generaldirektion für Stiftungen (Vakiflar) hingegen unterliegt die staatliche Verwaltung der Angelegenheiten aller übrigen Religionen (DFAT 9.10.2018; vgl. USDOS 21.6.2019). Die Diyanet ist verwaltungstechnisch unter dem Büro des Staatspräsidenten angesiedelt; der Leiter der Diyanet wird vom Staatspräsidenten ernannt und von einem 16-köpfigen Rat verwaltet, der von Klerikern und den theologischen Fakultäten der Universitäten gewählt wird (USDOS 21.6.2019).
Es gibt kein eigenes Blasphemiegesetz. Das Strafgesetzbuch sieht Strafen für Taten im Zusammenhang mir der „Provozierung von Hass und Feindseligkeit“ vor, einschließlich öffentlicher Respektlosigkeit gegenüber religiösen Überzeugungen. Das Strafgesetzbuch verbietet es religiösen Führern, wie Imamen, Priestern und Rabbinern, die Regierung oder die Gesetze des Staates "zu tadeln oder zu verunglimpfen".
Das Gesetz bestraft beleidigende Äußerungen gegenüber Wertvorstellungen, die von einer Religion als heilig betrachtet werden, oder die Störung von religiösen Veranstaltungen (z.B. Gottesdienste) einer Glaubensgemeinschaft bzw. die Beschädigung deren Eigentums. Die Beleidigung einer Religion wird mit sechs Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis sanktioniert (USDOS 21.6.2019).
In der Türkei sind laut Regierungsangaben 99% der Bevölkerung muslimischen Glaubens, 77,5% davon sind schätzungsweise Sunniten der hanafitischen Rechtsschule. Die Aleviten-Stiftung geht davon aus, dass 25 bis 31% der Bevölkerung Aleviten sind. Die schiitische Dschafari-Gemeinde schätzt ihre Anhängerschaft auf 4% der Einwohner. Die nicht-muslimischen Gruppen konzentrieren sich überwiegend in Istanbul und anderen großen Städten sowie im Südosten des Landes. Präzise Zahlen bestehen nicht. Laut Eigenangaben sind ungefähr 90.000 Mitglieder der Armenisch-Apostolischen Kirche, 25.000 römische Katholiken und 16.000 Juden. Darüber hinaus sind 25.000 syrisch-orthodoxe Christen, 15.000 russisch-orthodoxe Christen (zumeist russische Einwanderer) und ca. 10.000 Baha’is. Die Jesiden machen weniger als 1.000 Anhänger aus. 5.000 sind Zeugen Jehovas, ca. 7.000 Protestanten verschiedener Richtungen, ca. 3.000 irakisch-chaldäische Christen und bis zu 2.000 sind griechisch-orthodoxe Christen. Eine Umfrage legt nahe, dass ca. 2% der Bevölkerung Atheisten sind (USDOS 21.6.2019).
Für das Jahr 2018 bleibt der Befund zur Religionsfreiheit in der Türkei äußerst beunruhigend. Das Fehlen nennenswerter Fortschritte seitens der Regierung bei der Behandlung langjähriger Fragen der Religionsfreiheit gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Zahlreiche schwerwiegende Einschränkungen der Religions- oder Glaubensfreiheit setzen sich fort und bedrohen die nachhaltige Vitalität und das Überleben der Religionsgemeinschaften von Minderheiten im Land. Darüber hinaus tragen eine zunehmende Dämonisierung und eine Schmierkampagne von Regierungsstellen und regierungsnahen Medien zu einem wachsenden Klima der Angst unter den Gemeinschaften religiöser Minderheiten bei. Die Regierung mischt sich weiterhin in die inneren Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften ein (USCIRF 4.2019).
Die individuelle Religionsfreiheit ist weitgehend gewährt; individuelle nicht-staatliche Repressionsmaßnahmen und staatliche Diskriminierungen kommen vereinzelt vor (AA 14.6.2019). So werden Berichten zufolge Aleviten und Nicht-Muslime in der Arbeitswelt diskriminiert, insbesondere bei der Anstellung in leitenden Positionen des öffentlichen Dienstes (FH 4.3.2020). Hassreden und Hassverbrechen gegen Christen und Juden wurden weiterhin gemeldet und Angriffe oder Vandalenakte auf Kultstätten von Minderheiten weiterhin verübt (EC 29.5.2019; vgl. ÖB 10.2019). Übergriffe auf Aleviten oder nicht-muslimische Vertreter finden vereinzelt statt und werden mit unterschiedlicher Intensität verfolgt und geahndet. Die Zahl an tätlichen oder gar tödlichen Übergriffen aus religiösen Motiven ist laut Berichten rückläufig. Auch in der öffentlichen Meinung werden solche Vorkommnisse breit verurteilt. Antisemitische Äußerungen finden auch von offizieller Seite statt und sind in der Gesellschaft weit verbreitet. Sie unterliegen aber einem Auf und Ab, eine weitere Verschärfung der Situation ist nicht zu beobachten (ÖB 10.2019).
Die Zahl der Religionsschulen, die den sunnitischen Islam fördern, ist unter AKP-Regierungszeit gestiegen. Der staatliche Unterricht umfasst einen verpflichtenden Religionsunterricht, von welchem Anhänger nicht-muslimischer Religionen im Allgemeinen ausgenommen sind, jedoch haben Aleviten und Nichtgläubige Schwierigkeiten, sich vom Religionsunterricht befreien zu lassen (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 21.6.2019).
Das Gesetz verbietet Sufi und andere religiös-soziale Orden (Tarikats) sowie Logen (Cemaats), obgleich die Regierung diese Einschränkungen im Allgemeinen nicht vollstreckt (USDOS 21.6.2019).
Da das türkische Recht keine explizite Anerkennung von Minderheiten kennt, geht der begrenzte Schutz religiöser Minderheiten, die gemäß der restriktiven türkischen Lesart nicht vom Lausanner Vertrag (1923) erfasst sind (erfasst sind lediglich Angehörige der Armenisch Apostolischen Kirche, Juden und Griechisch Orthodoxe), auf die Stiftungen (Vakif) nicht-muslimischer Minderheiten im Osmanischen Reich zurück; ein System, das durch den Vertrag von Lausanne und die Einführung des Stiftungsgesetzes (Deklaration aus 1936) verfestigt wurde. Derzeit gibt es rund 163 solcher Stiftungen, 76 griechisch-orthodoxe, 52 armenische, 18 jüdische, 10 syrisch-orthodoxe, 3 chaldäisch-katholische 2 bulgarisch-orthodoxe, eine georgisch-orthodoxe und eine türkisch-orthodoxe (ÖB 10.2019).
Kritiker behaupten, dass die regierende AKP eine religiöse Agenda hat, die sunnitische Muslime begünstigt. Der Beleg sei u.a. die Vergrößerung der Diyanet und die angebliche Nutzung dieser Institution für politische Klientelarbeit und regierungsfreundliche Predigten in Moscheen (FH 4.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 11.11.2019
DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (9.10.2018): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019375/country-information-report-turkey.pdf , Zugriff 11.11.2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 11.11.2019
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025957.html , Zugriff 6.4.2020
ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 11.11.2019
USCIRF – US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008189/Tier2_TURKEY_2019.pdf , Zugriff 12.11.2019
USDOS – US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011023.html , Zugriff 12.11.2019
10. Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung am 6.4.2020
Die türkische Verfassung sieht nur eine einzige Nationalität für alle Bürger und Bürgerinnen vor. Sie erkennt keine nationalen oder ethnischen Minderheiten an, mit Ausnahme der drei - primär über die Religion definierten - nicht-muslimischen, nämlich der Armenisch-Orthodoxen Christen, der Juden und der Griechisch-Orthodoxen Christen. Andere nationale oder ethnische Minderheiten wie Assyrer, Dschafari [zumeist schiitische Azeris], Jesiden, Kurden, Araber, Roma, Tscherkessen und Lasen dürfen ihre sprachlichen, religiösen und kulturellen Rechte nicht vollständig ausüben (USDOS 11.3.2020).
Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende ethnische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Kaukasier (6 Mio., davon 90% Tscherkessen), Roma (zwischen 500.000 und 6 Mio., je nach Quelle), Lasen (zwischen 750.000 und 1,5 Mio.) und andere Gruppen in kleiner und unbestimmter Anzahl (Araber, Bulgaren, Bosnier, Pomaken, Tataren und Albaner) (AA 3.8.2018). Dazu kommen noch, so sie nicht als religiöse Minderheit gezählt werden, Jesiden, Griechen, Armenier (60.000), Juden (wengier als 20.000) und Assyrer (25.000) vorwiegend in Istanbul und 3.000 im Südosten (MRGI 6.2018).
Bis heute gibt es im Nationenverständnis der Türkei keinen Platz für eigenständige Minderheiten. Der Begriff "Minderheit" (im Türkischen "azınlık") ist negativ konnotiert. Diese Minderheiten wie Kurden, Aleviten und Armenier werden auch heute noch als "Spalter" und "Vaterlandsverräter" und als Gefahr für die türkische Nation betrachtet. Mittlerweile ist sogar die Geschäftsordnung des türkischen Parlaments dahingehend angepasst worden, dass die Verwendung der Begriffe "Kurdistan", "kurdische Gebiete" und "Völkermord an den Armeniern" im Parlament verboten ist, mit einer hohen Geldstrafe geahndet wird und Abgeordnete dafür aus Sitzungen ausgeschlossen werden können (bpb 17.2.2018).
Das Gesetz erlaubt den Bürgern private Bildungseinrichtungen zu eröffnen, um Sprachen und Dialekte, die traditionell im Alltag verwendet werden, zu unterrichten. Dies unter der Bedingung, dass die Schulen den Bestimmungen des Gesetzes über die privaten Bildungsinstitutionen unterliegen und vom Bildungsministerium inspiziert werden. Das Gesetz erlaubt die Wiederherstellung einstiger nicht-türkischer Ortsnamen von Dörfern und Siedlungen und gestattet es politischen Parteien sowie deren Mitgliedern, in jedweder Sprache ihre Kampagnen zu führen sowie Informationsmaterial zu verbreiten. In der Praxis war dieses Recht jedoch nicht geschützt (USDOS 11.3.2020).
Hassreden und Drohungen gegen Minderheiten bleiben ein ernsthaftes Problem. Dazu gehören auch die Hasskommentare in den Medien, die sich gegen nationale, ethnische und religiöse Gruppen richten. Auch die antisemitische Rhetorik in den Medien und von Vertretern des Staates hat sich aufgrund des Konflikts in Palästina verstärkt (EC 29.5.2019). Laut einem Bericht der Hrant Dink Stiftung über Hassreden gab es zwischen Jänner und April 2018 in annähernd 2.400 Artikeln und Kolumnen 427 Fälle antisemitischer Rhetorik. Konspirative, feindliche Gesinnung und Handlungen sowie andere negative Merkmale wurden den Minderheiten unterstellt, insbesondere den Armeniern, Juden und Griechen, gefolgt von den Syrern (HDF 7.2019).
Schulbücher müssten laut Europäischer Kommission überarbeitet werden, um Überreste diskriminierender Referenzen zu den Minderheiten zu eliminieren. Auch die staatlichen Subventionen für Minderheitenschulen sind deutlich gesunken. Die uneingeschränkte Achtung und der Schutz von Sprache, Religion, Kultur und Grundrechten der Minderheiten gemäß den europäischen Normen ist noch nicht vollständig erreicht. Die Regierung hat die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen in anderen Sprachen als Türkisch nicht legalisiert (EC 29.5.2019). Gleichwohl wurde mit dem 4. Justizreformpaket 2013 per Gesetz die Verwendung anderer Sprachen als Türkisch (vor allem Kurdisch) vor Gericht und in öffentlichen Ämtern (Krankenhäusern, Postämtern, Banken, Steuerämtern etc.) ermöglicht (ÖB 10.2019). Die gesetzlichen Einschränkungen für den muttersprachlichen Unterricht in Grund- und Sekundarschulen bleiben bestehen. Optionale Kurse in Kurdisch werden jedoch an öffentlichen staatlichen Schulen fortgesetzt, ebenso wie Universitätsprogramme in Kurdisch, Arabisch, Syrisch und Zaza (EC 29.5.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 12.11.2019
bpb - Bundeszentrale für politische Bildung (17.2.2018): Die Türkei im Jahr 2017/2018, http://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/253187/die-tuerkei-im-jahr-2017-2018#footnode12-12 , Zugriff 12.11.2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 12.11.2019
HDF - Hrant Dink Foundation (7.2018): Media Watch on Hate Speech Report January - April 2018, https://hrantdink.org/attachments/article/1429/Media-Watch-on-Hate-Speech-January-April-2018.pdf , Zugriff 12.11.2019
MRGI - Minority Rights Group International (6.2018): World Directory of Minorities and Indigenous Peoples, Turkey, http://minorityrights.org/country/turkey/ , Zugriff 12.11.2019
ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 12.11.2019
USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 6.4.2020
10.1. Kurden
Letzte Änderung am 6.4.2020
Obwohl offizielle Zahlen nicht verfügbar sind, schätzen internationale Beobachter, dass sich rund 15 Millionen türkische Bürger als Kurden identifizieren. Die kurdische Bevölkerung konzentriert sich auf Südostanatolien, wo sie die Mehrheit bilden, und auf Nordostanatolien, wo sie eine bedeutende Minderheit darstellt. Ein signifikanter kurdischer Bevölkerungsanteil ist in Istanbul und anderen Großstädten anzutreffen. In den letzten Jahrzehnten ist etwa die Hälfte der kurdischen Bevölkerung der Türkei in die Westtürkei ausgewandert, sowohl um dem bewaffneten Konflikt zu entkommen als auch auf der Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten. Die Ost- und Südosttürkei sind historisch gesehen weniger entwickelt als andere Teile des Landes, mit niedrigeren Einkommen, höheren Armutsraten, weniger Industrie und weniger staatlichen Investitionen. Die kurdische Bevölkerung ist sozioökonomisch vielfältig. Während viele sehr arm sind, vor allem in ländlichen Gebieten und im Südosten, wächst eine kurdische Mittelschicht in städtischen Zentren, vor allem im Westen der Türkei (DFAT 9.10.2018).
Die kurdischen Gemeinden sind überproportional von den Zusammenstößen zwischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und den Sicherheitskräften betroffen. In etlichen Gemeinden wurden seitens der Regierung Ausgangssperren verhängt (USDOS 11.3.2020). Die Situation im Südosten ist trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds nach wie vor schwierig. Die Regierung setzte 2018 ihre Sicherheitsoperationen vor dem Hintergrund der wiederholten Gewaltakte der PKK fort (EC 29.5.2019).
[für weiterführende Informationen siehe Kapitel 3 „Sicherheitslage“]
Kurdische und pro-kurdische NGOs sowie politische Parteien sind weiterhin bei der Ausübung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eingeschränkt. Hunderte von kurdischen zivil-gesellschaftlichen Organisationen und kurdischsprachigen Medien wurden 2016 und 2017 nach dem Putschversuch per Regierungsverordnung geschlossen (USDOS 11.3.2020).
Der Druck auf kurdische Medien und die Berichterstattung über kurdische Themen hält durch Gerichtsverfahren und Verhaftungen von Journalisten an (EC 29.5.2019). Journalisten, die für kurdische Medien arbeiten, werden unverhältnismäßig oft ins Visier genommen (HRW 14.1.2020). Es gibt Berichte über die Entlassung kurdischer Wissenschaftler und Dozenten, die teilweise unter Terrorismus-Verdacht stehen, und gegen die entsprechende Untersuchungen laufen. Weiters kam es zur Schließung kurdischsprachiger NGOs und Institutionen. Der Druck auf kurdische Medien besteht weiterhin und kurdische Bücher wurden verboten. Im Südosten wurden mehrere Gedenk- und Literaturdenkmäler kurdischer Persönlichkeiten sowie Veranstaltungen und zweisprachige Straßenschilder von durch die Regierung ernannte Treuhändern und Behörden entfernt. Andere Vereine, kurdischsprachige Medien und Kulturinstitutionen blieben geschlossen (EC 29.5.2019). Bereits öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei kann bei entsprechender Auslegung den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 14.6.2019).
Diejenigen, die abweichende Meinungen zu den Themen äußern, die das kurdische Volk betreffen, werden in der Türkei seit langem strafrechtlich verfolgt (AI 26.4.2019). Kurden in der Türkei sind aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt sowohl offiziellen als auch gesellschaftlichen Diskriminierungen. Umfang und Form dieser Diskriminierung hängen von der geografischen Lage und den persönlichen Umständen ab. Kurden in der West-Türkei sind nicht mit dem gleichen Risiko konfliktbezogener Gewalt konfrontiert wie im Südosten. Viele Kurden, die nicht politisch aktiv sind, und diejenigen, die die Regierungspartei AKP unterstützen, sind in die türkische Gesellschaft integriert, identifizieren sich mit der türkischen Nation und leben ihr Leben auf normale Weise. Menschenrechtsbeobachter berichten jedoch, dass einige Kurden in der West-Türkei zögern, ihre kurdische Identität preiszugeben, etwa durch die Verwendung der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit, aus Angst, eine gewalttätige Reaktion zu provozieren. Im Südosten sind diejenigen, die in kurdischen politischen oder zivil-gesellschaftlichen Organisationen tätig sind (oder als solche aktiv wahrgenommen werden), einem höheren Risiko ausgesetzt als nicht politisch tätige Personen (DFAT 9.10.2018).
Der private Gebrauch der kurdischen Sprache ist seit Anfang der 2000er Jahre keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt (AA 14.6.2019). Einige Universitäten bieten Kurse in kurdischer Sprache an. Zwei Universitäten hatten Kurdisch-Institute. Jedoch wurden zahlreiche Dozenten in diesen Instituten, sowie Tausende weitere Universitätsangehörige aufgrund von behördlichen Verfügungen entlassen, sodass die Programme nicht weiterlaufen konnten (USDOS 11.3.2020).
Die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) schaffte bei den Wahlen im Juni 2018 den Wiedereinzug ins Parlament mit einem Stimmenanteil von 11,5% und 68 Abgeordneten, dies trotz der Tatsache, dass der Spitzenkandidat für die Präsidentschaft und acht weitere Abgeordnete des vormaligen Parlaments im Gefängnis saßen, und Wahlbeobachter der HDP drangsaliert wurden (MME 25.6.2018). Während des Wahlkampfes bezeichnete der amtierende Präsident und Spitzenkandidat der AKP für die Präsidentschaftswahlen Erdoğan den HDP-Kandidaten Demirtaş bei mehreren Wahlkampfauftritten als Terrorist (OSCE 25.6.2018).
[siehe auch Kapitel 13.1. Opposition]
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 13.11.2019
AI – Amnesty International: Weathering the storm (26.4.2019): Defending human rights in Turkey's climate of fear [EUR 44/8200/2018], https://www.ecoi.net/en/file/local/1430738/1226_1524726749_eur4482002018english.PDF , Zugriff 15.11.2019
DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (9.10.2018): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019375/country-information-report-turkey.pdf , Zugriff 13.11.2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 13.11.2019
HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022684.html , Zugriff 13.2.2020
MEE - Middle East Eye ( 25.6.2018) Turkey election: Erdogan wins, the opposition crashes – but don’t write off the HDP, http://www.middleeasteye.net/columns/turkey-election-erdogan-wins-akp-chp-opposition-crashes-dont-write-off-hdp-776290051 , Zugriff 13.11.2019
OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights; OSCE Parliamentary Assembly; PACE – Parliamentary Assembly of the Council of Europe (25.6.2018): International Election Observation Mission Republic of Turkey – Early Presidential and Parliamentary Elections – 24.6.2018, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/385671?download=true , Zugriff 13.11.2019
USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 6.4.2020
11. Frauen
Letzte Änderung am 6.4.2020
Die rechtliche Stellung der Frau ist seit der Neufassung des Familienrechts formal auf EU-Niveau. Seit 2002 sichert ein neues türkisches Zivilgesetzbuch die Gleichstellung von Mann und Frau in der Ehe (GIZ 9.2019c). Darüber hinaus gehört die Türkei zu den Erstunterzeichnern des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (11.5.2011), das für die Türkei zum 1.8.2014 in Kraft getreten ist (AA 14.6.2019).
Die Themen Geschlechtergleichheit und Kampf gegen Gewalt an Frauen einerseits, Ehrenmorde, Zwangsehen sowie häusliche Gewalt, vor allem gegen Frauen, andererseits, rücken zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit und werden auch in den Medien thematisiert. Vor allem im Osten und Südosten des Landes ereignen sich auch weiterhin Verbrechen im Namen der Ehre (ÖB 10.2019). Es fehlt an einem starken politischen Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter. Stereotype Ansichten über die Geschlechterrollen, auch in Schulbüchern und in den Medien, durchdringen weiterhin die türkische Gesellschaft und fördern den anhaltend niedrigen sozialen Status von Frauen und Gewalt gegen Frauen (EC 29.5.2019).
In Bezug auf die Verfolgung und den Schutz bei Gewaltdelikten gegen Frauen bestehen weiter große Defizite. Mit einem im März 2012 verabschiedeten Gesetz zum Schutz von Frauen und Familienangehörigen vor häuslicher Gewalt haben nun auch unverheiratete Frauen Anspruch auf staatlichen Schutz (AA 14.6.2019). Das Gesetz verpflichtet sowohl die Polizei als auch die lokalen Behörden, Überlebenden von Gewalt oder Personen, die von Gewalt bedroht sind, Schutz und Unterstützung zu gewähren. Vorgesehen sind auch staatliche Leistungen, wie Unterkünfte und vorübergehende finanzielle Unterstützung für die Opfer. Ferner ist auch vorgesehen, dass Familiengerichte Sanktionen gegen Täter verhängen. Das Gesetz schreibt die Einrichtung von Zentren zur Gewaltprävention und -überwachung vor, die wirtschaftliche, psychologische, rechtliche und soziale Hilfe anbieten (USDOS 11.3.2020). Die Türkei hat zwar als erster Signatarstaat die „Istanbul-Konvention“ des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ratifiziert und einen dritten Nationalen Aktionsplan 2016 bis 2020 beschlossen (ÖB 10.2019); es fehlt jedoch weiterhin an den geforderten gesetzgeberischen Maßnahmen (ÖB 10.2019; vgl. AA 14.6.2019, USDOS 11.3.2020). Die Zufluchtsmöglichkeiten für von Gewalt betroffene Frauen etwa in staatlichen Frauenhäusern sind unzureichend (AA 14.6.2019). 144 Frauenhäuser mit einer Kapazität von 3.454 Plätzen helfen weiblichen Opfern von Gewalt und ihren Kindern (ÖB 10.2019). Laut Frauenrechtlern gibt es nicht genügend Unterkünfte. Das dortige Personal, insbesondere im Südosten des Landes, kann keine angemessene Betreuung und Dienste anbieten. Unterkünfte in mehreren südöstlichen Provinzen wurden während des Ausnahmezustands geschlossen, während andere Einrichtungen nach der Absetzung der gewählten Bürgermeister Probleme mit den von der Regierung eingesetzten Treuhändern hatten, da diese Mittel kürzten und die Partnerschaften mit den lokalen NGOs beendeten. Laut einigen NGOs ist der Mangel an Dienstleistungen für ältere Frauen, LGBTI-Frauen sowie für Frauen mit älteren Kindern noch akuter (USDOS 11.3.2020).
Eine Reihe von Faktoren untergraben die bestehenden Bemühungen der Behörden zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Dies ist zum einen das Fehlen einer systematischen und gründlichen Bewertung der allgemeinen Politik in Hinblick auf ihre potenziellen Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie die Gewalt gegen Frauen. Zum anderen werden die Bemühungen durch die Betonung der traditionellen Rollen von Frauen als Mütter und Betreuerinnen unterminiert, was zudem wenig dazu beiträgt, diskriminierende Rollen-Stereotype hinsichtlich der Rolle und Verantwortung von Frauen und Männern in Familie und Gesellschaft infrage zu stellen (GREVIO 15.10.2018).
Laut NGOs wurden seit 2010 an die 2.600 Frauen ermordet. Häusliche Gewalt führte laut offiziellen Zahlen 2018 zu 281 Todesfällen, Frauenrechtsplattformen sprechen jedoch von 440 Fällen im Jahr 2018. Seit Jahresbeginn 2019 seien laut einer Frauenrechtsplattform 354 Frauen ermordet worden (durch Männer ohne nähere Anführung der Nahebeziehung) (ÖB 10.2019).
Laut Frauenorganisationen gibt es eine Zunahme an Scheidungen, weil es eine Zunahme an häuslicher Gewalt gibt. Umgekehrt behauptet die Regierung, dass die häusliche Gewalt zugenommen hat, weil sich Frauen scheiden lassen wollen. Wahr ist, dass die Zahl der Frauenmorde in der Türkei in den letzten zehn Jahren stetig zugenommen hat. Das Problem im türkischen Recht besteht darin, dass die Beweislast in Fällen häuslicher Gewalt auf die Opfer fällt, die, wie Frauenrechtlerinnen argumentieren, durch die Justiz wie Paria behandelt werden. Wenn ein Mann behauptet, dass seine Partnerin ihn in einer Auseinandersetzung verflucht oder "provoziert" hat, entscheidet der Richter im Zweifel für den Angeklagten. Es gibt oft auch kulturelle Barrieren aus dem familiären Umfeld. Trotz offensichtlicher Gewalt sehen sich einige der Frauen mit Missbilligung ihrer Familien konfrontiert, die der Meinung sind, dass die Frauen für die Gewalt verantwortlich sind, die sie erlebt haben (NYRB 20.2.2019). Anzeigen wegen Gewaltakten sind merkbar gering, was der Stigmatisierung und Furcht vor Repressionen sowie der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Täter geschuldet ist, aber auch der Rechtsunkundigkeit, Sprachbarrieren und dem mangelnden Vertrauen in die Rechtsvollzugsorgane. Sexuelle Gewalttäter, einschließlich derjenigen, die der Vergewaltigung von Mädchen für schuldig befunden werden, erwarten nicht nur milde Urteile, sondern sie werden wegen "guten Benehmens" während des Prozesses mit reduzierten Strafen belegt (UN-CEDAW 25.7.2016).
Während ihrer siebzehnjährigen Herrschaft hat die konservative AK-Partei bzw. die AKP-Regierung eine starke Agenda der Familienwerte vorangetrieben: Frauen sollten heiraten und drei Kinder bekommen, so Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Erdoğans älteste Tochter, Esra Albayrak, kritisierte öffentlich die Rechte westlicher Frauen als selbstgefällig. Sie schloss sich der Botschaft ihres Vaters an, dass die Türkei ihre eigenen Lösungen für geschlechtsspezifische Fragen finden muss, wobei der Schwerpunkt auf den traditionellen Rollen von Frauen als Mütter, Schwestern und Töchter liegen soll (NYRB 20.2.2019). In den letzten zehn Jahren wurden Frauen für die Betreuung ihrer Kinder bezahlt oder ihnen wurde ein längerer unbezahlter Urlaub gewährt. Diese Politik hat jedoch wenig dazu beigetragen, Frauen von unbezahlten Arbeiten zu befreien, die sie davon abhalten, Geld zur Unterstützung ihrer Familien zu verdienen. Die Behörden weigerten sich auch, Gesetze durchzusetzen, die von Unternehmen verlangen, dass sie Kinderbetreuung vor Ort anbieten, damit mehr Frauen nach der Geburt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. In der Türkei werden 89,6% der Kinder laut Statistikamt von ihren Müttern betreut. Nur 2,4% der Kinder befinden sich in Kinderbetreuungseinrichtungen. Infolgedessen nimmt nur jede dritte Frau am Erwerbsleben teil - die niedrigste Quote unter den 35 OECD-Ländern (PRI 4.5.2017).
Es kommt immer noch zu sogenannten „Ehrenmorden“, d.h. insbesondere zu Morden an Frauen oder Mädchen, die eines sog. „schamlosen Verhaltens“ aufgrund einer (sexuellen) Beziehung vor der Eheschließung bzw. eines „Verbrechens in der Ehe“ verdächtigt werden. Dies schließt auch vergewaltigte Frauen ein (AA 3.8.2018). Vor allem im Osten und Südosten des Landes ereignen sich weiterhin Verbrechen im Namen der Ehre (ÖB 10.2019).
Obwohl das Gesetz Eheschließungen von Minderjährigen unter 17 Jahren, ausgenommen bei Vorliegen einer gerichtlichen Genehmigung, verbietet, stellen die sog. „Kinderehen“ weiterhin ein großes Problem insbesondere in den ländlichen Gebieten und den südöstlichen Provinzen dar. Unter außerordentlichen Umständen (meist eine Schwangerschaft) kann ein Richter 16-Jährigen die Erlaubnis für die Verehelichung erteilen, sofern die Eltern zustimmen. Verehelichung von Kindern unter 16 Jahren ist unter keinen Umständen rechtlich erlaubt. Ehen können nur durch das Standesamt bestätigt werden. Das Parlament verabschiedete allerdings am 18.10.2017 ein Gesetz, das es auch Muftis (islamischen Rechtsgelehrten) erlaubt, Trauungen vorzunehmen. Laut Statistikamt ist der Anteil der Eheschließungen von minderjährigen Mädchen auf 3,8% gesunken (2018). Die offenkundige Problematik dieser Zahl liegt darin, dass nur amtlich geschlossene Ehen erfasst werden. Die meisten Kindereheschließungen werden aber nur von einem Imam vollzogen (ÖB 10.2019).
Den neuesten Prävalenzstudien [Querschnittsstudien] zufolge waren mehr als 25% der Frauen in der Türkei vor dem 18. Lebensjahr verheiratet, ein Prozentsatz, der in ländlichen Gebieten auf 32% ansteigt. Fast 20% dieser Frauen geben an, ohne ihre Zustimmung, durch eine Familienentscheidung verehelicht geworden zu sein. Ebenso lag die Anwendung körperlicher Gewalt mit 48% bei Frauen, die vor dem Alter von 18 Jahren verheiratet waren, deutlich höher als bei Frauen, die im Erwachsenenalter geheiratet haben. Hier lag der Wert bei 31% (GREVIO 15.10.2018).
Mit einem Wert von 0,628 (1 = bester Wert) lag die Türkei auf Platz 130 von 149 untersuchten Ländern im Global Gender Gap Index (WEF 2019). 2017 nahm die Türkei Platz 131 von 144 Ländern ein (WEF 2017).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 13.11.2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 13.11.2019
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2019c): Länderinformationsportal: Türkei: Gesellschaft, https://www.liportal.de/tuerkei/gesellschaft/#c26139 , Zugriff 13.11.2019
GREVIO - Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence (15.10.2018): GREVIO’s (Baseline) Evaluation Report on legislative and other measures giving effect to the provisions of the Council of Europe Convention on Preventing and Combating Violence against Women and Domestic Violence (Istanbul Convention ) - TURKEY, https://g8fip1kplyr33r3krz5b97d1-wpengine.netdna-ssl.com/wp-content/uploads/2018/10/GREVIO-report-on-Turkey.pdf , Zugriff 13.11.2019
NYRB - (The) New York Review of Books (20.2.2019): Divorce Turkish Style, https://www.nybooks.com/daily/2019/02/20/divorce-turkish-style/ , Zugriff 13.11.2019
ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 13.11.2019
PRI - Public Radio International (4.5.2017): Why more Turkish women don't work, https://www.pri.org/stories/2017-05-04/why-more-turkish-women-dont-work , Zugriff 13.11.2019
UN-CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (25.7.2016): Concluding observations on the seventh periodic report of Turkey’ [CEDAW/C/TUR/CO/7], paragraph 32, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1484750203_n1623344.pdf , Zugriff 13.11.2019
USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 6.4.2020
WEF - World Economic Forum (2018): Global Gender Gap Index 2017, http://reports.weforum.org/global-gender-gap-report-2017/dataexplorer/#economy=TUR , Zugriff 13.11.2019
WEF - World Economic Forum (2019): Global Gender Gap Index 2018, http://reports.weforum.org/global-gender-gap-report-2018/data-explorer/#economy=TUR , Zugriff 13.11.2019
12. Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung am 7.4.2020
Bewegungsfreiheit im Land, Reisen ins Ausland, Auswanderung und Repatriierung sind verfassungsrechtlich garantiert; die Regierung schränkt diese Rechte allerdings ein. Die Verfassung besagt, dass die Reisefreiheit innerhalb des Landes nur durch einen Richter in Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Untersuchung oder Verfolgung eingeschränkt werden kann. Die Regierung beschränkte Auslandsreisen von Bürgern, denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zum gescheiterten Putschversuch 2016 vorgeworfen werden. Ausgangssperren, die von den lokalen Behörden als Reaktion auf die militärischen Operationen gegen die PKK verhängt wurden, und die militärische Operation des Landes in Nordsyrien schränkten die Bewegungsfreiheit ebenfalls ein. Die Regierung erklärte die Provinz Hakkâri zu einer "besonderen Sicherheitszone" und beschränkte die Bewegungsfreiheit in und aus mehreren Bezirken der Provinz wochenlang mit der Begründung, dass die Bürger vor -Angriffen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) geschützt werden müssten (USDOS 11.3.2020).
Nach dem Ende des zweijährigen Ausnahmezustands widerrief das Innenministerium am 25.7.2018 die Annullierung von 155.350 Pässen, die in erster Linie Ehepartnern sowie Verwandten von Personen entzogen worden waren, die angeblich mit der Gülen-Bewegung in Verbindung standen (HDN 25.7.2018; vgl. USDOS 13.3.2019, TM 25.7.2018). Trotz der Rücknahme der Annullierung konnten etliche Personen keine gültigen Pässe erlangen. Die Behörden blieben eine diesbezügliche Erklärung schuldig. Am 1.3.2019 hoben die Behörden die Passsperre von weiteren 51.171 Personen auf (TM 1.3.2019; vgl. USDOS 11.3.2020), obwohl unklar blieb, wie viele weitere nicht mehr reisen konnten (USDOS 11.3.2020).
Das türkische Verfassungsgericht hat Ende Juli 2019 eine umstrittene Verordnung aufgehoben, die nach dem Putschversuch eingeführt worden war und mit der die türkischen Behörden auch die Pässe von Ehepartnern von Verdächtigen für ungültig erklären konnten, auch wenn keinerlei Anschuldigungen oder Beweise für eine Straftat vorlagen. Die Praxis war auf breite Kritik gestoßen und als Beispiel für eine kollektive Bestrafung und Verletzung der Bewegungsfreiheit angeführt worden (TM 26.7.2019).
Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder einer Personenkontrolle zu unterziehen. Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier. Es kann vorkommen, dass türkischen Staatsangehörigen, denen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt wurde, bei der Einreise oder der versuchten Einreise in die Türkei dieses Ausweisdokument an der Grenze abgenommen wird. Diese Gefahr besteht insbesondere bei Personen, deren Ausweise nicht für die Türkei gültig sind, denen jedoch befristet eine auch für dieses Land geltende Reiseerlaubnis gewährt wurde. Türkische Staatsangehörige dürfen nur mit einem gültigen Pass das Land verlassen (AA 14.6.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 16.10.2019
HDN - Hürriyet Daily News (25.7.2018): Turkish Interior Ministry reinstates 155,350 passports, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-interior-ministry-reinstates-155-350-passports-135000 , Zugriff 16.10.2019
TM - Turkish Minute (25.7.2018): Turkey removes restrictions from 155,350 passports, https://www.turkishminute.com/2018/07/25/turkey-removes-restrictions-from-155350-passports/ , Zugriff 16.10.2019
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USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html , Zugriff 16.10.2019
USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 7.4.2020
13. Flüchtlinge
Letzte Änderung am 29.11.2019
Nach offiziellen Angaben beherbergt die Türkei gegenwärtig mehr als vier Mio. registrierte Flüchtlinge. Von den registrierten Flüchtlingen sind ca. 3,7 Mio. syrische Staatsbürger. Die übrigen Migranten stammen vor allem aus dem Irak und Afghanistan. Syrische Flüchtlinge genießen in der Türkei temporären Schutz. Nicht-syrische Flüchtlinge stellen überwiegend einen Antrag auf internationalen Schutz. Mittlerweile leben nur noch etwa 219.000 Menschen in den 19, von der türkischen Migrationsbehörde (DGMM) geführten, staatlichen Lagern. Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge und Migranten lebt außerhalb der Lager, vor allem in den großen Städten, insbesondere in Istanbul, sowie in den Provinzen an der türkisch-syrischen Grenze (Gaziantep, Şanlıurfa und Hatay). Registrierte Flüchtlinge erhalten in der Türkei Ausweispapiere und am registrierten Aufenthaltsort kostenlosen Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung in staatlichen Krankenhäusern. Rechtlich steht ihnen auch der Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt offen, wobei in der Praxis vielfach noch Umsetzungsschwierigkeiten bestehen. Der ganz überwiegende Teil der Flüchtlinge und Migranten besitzt weiterhin keine Arbeitserlaubnis und findet nur im informellen Sektor Beschäftigung (AA 14.6.2019). Viele Flüchtlinge und Asylwerber werden in der Schattenwirtschaft ausgebeutet. Ihre Armut behindert den Zugang zu Schutz (EC 29.5.2019). Die Konkurrenz zwischen bestimmten Gruppen der einheimischen Bevölkerung und den Neuankömmlingen um Arbeit und staatliche Dienstleitungen führt teilweise zu sozialen Spannungen (AA 14.6.2019).
In der Türkei gibt es derzeit 62 "Satellitenstädte", in denen sich Asylwerber und anerkannte bedingte Flüchtlinge aufhalten müssen. Syrer können sich in jeder der 81 Provinzen der Türkei registrieren, müssen sich aber dann in dieser Provinz aufhalten. In einigen Provinzen wurde die Registrierung im Jahr 2018 vorübergehend ausgesetzt (EC 29.5.2019). Festnahmen von Flüchtlingen, die „temporäres Asyl“ beantragen, ergehen regelmäßig ohne schriftliche Begründung; ein Rechtsschutz ist nicht vorgesehen (AA 14.6.2019).
In der Türkei bestehen mehrere gesetzliche Bestimmungen, die den Flüchtlingsstatus regeln. Das 2013 verabschiedete Ausländer- und internationale Schutzgesetz definiert drei Kategorien von Flüchtlingen: Jene Flüchtlinge, die unter die Genfer Konvention von 1951 fallen. Hierzu zählen ausschließlich Staatsbürger von Staaten, die Mitglieder des Europarates sind. Ihnen steht nebst den Rechten auf der Basis der Genfer Konvention auch die Aussicht auf eine dauerhafte legale Integration in der Türkei zu. Außereuropäischen Flüchtlingen kann der Status eines sog. „bedingten Flüchtlings“ gewährt werden. Ihnen wird eine kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung zuteil. Allerdings ist der Wohnort nicht frei wählbar, ein Familiennachzug nicht möglich und eine dauerhafte Integration nicht vorgesehen. Die dritte Kategorie sind subsidiär Schutzsuchende. Sie erhalten weniger Vergünstigungen. Eine dauerhafte Integration ist ebenfalls ausgeschlossen. Allerdings ist ein Familiennachzug möglich. Die Bestimmungen für subsidiär Schutzsuchende entsprechen den EU-Regulativen (ECRE 3.2018).
Am 22.10.2014 wurde eine gesonderte Flüchtlingskategorie, nämlich jene der „temporär Schutzbedürftigen“ eingeführte. Der Status wird auf Ausländer angewendet, die gezwungen waren, ihr Land zu verlassen; nicht in das Land zurückkehren können, das sie verlassen haben; massenhaft oder einzeln an der türkischen Grenze angekommen sind oder diese überschritten haben; und deren internationales Schutzbedürfnis nicht im Rahmen eines individuellen Verfahrens entschieden wird. Der „temporäre Schutz“ betrifft syrische Staatsangehörige sowie Flüchtlinge und Staatenlose aus Syrien. Sie erhalten einen vorübergehenden Schutzstatus. Jedoch umfasst die "Verordnung über den vorübergehenden Schutz" nicht nur syrische Staatsangehörige, sondern auch andere Flüchtlinge, darunter Palästinenser. Die am 7.4.2016 eingeführte Änderung der "Verordnung über den vorübergehenden Schutz" sieht zudem vor, dass auch syrische Staatsangehörige, die unrechtmäßig auf die Ägäischen Inseln eingereist sind und anschließend wieder in der Türkei aufgenommen wurden, einen vorübergehenden Schutzstatus erhalten können (RRT 3.2017).
Nebst den (vier) angeführten Flüchtlingskategorien besteht noch eine Form des humanitären Bleiberechts, die sog. „humanitarian residence permits“. Dabei handelt es sich nicht um einen Schutzstatus, sondern um eine von sechs Kategorien der Aufenthaltserlaubnis für Ausländer. Die Kategorie gewährt das Aufenthaltsrecht in der Türkei. Allerdings ist der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen beschränkt. Zwar ist die Gesundheitsversorgung für Menschen, denen diese Form des Bleiberechts zugesprochen wird, gratis, aber nicht die Kosten für Medikamente. Im Unterschied zu Personen, die unter internationalen Schutz fallen, dürfen jene mit einem humanitären Aufenthaltsrecht frei ihren Wohnort wählen. In der Vergangenheit wurde das humanitäre Bleiberecht insbesondere Irakern zugesprochen, anstatt des internationalen Schutzes. Neuerdings können sie in ihrem Ansuchen zwischen den Optionen wählen (CoE-CommDH 10.8.2016).
Wenn festgestellt wird (Art.73 des Ausländer- und internationalen Schutzgesetzes), dass ein Asylwerber aus einem Land kommt, in dem er zuvor als Flüchtling anerkannt war und dort immer noch die Möglichkeit hat, diesen Schutz zu genießen, einschließlich des Rechts auf Non-Refoulements, wird sein Antrag als unzulässig bewertet und das Verfahren zur Rückführung in den ersten Zufluchtsstaat eingeleitet. Wenn festgestellt wird (Art.74), dass der Antragsteller aus einem sicheren Drittstaat kommt, in dem er möglicherweise einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der dem Schutz nach dem Abkommen [Genfer Konvention] entspricht, oder in dem er die Möglichkeit hat, solch einen Antrag zu stellen, wird der Antrag als unzulässig bewertet und die Verfahren zur Rückführung in den sicheren Drittstaat eingeleitet (ZAR 5.2013).
Wenn Asylsuchende unrechtmäßig aus der Türkei ausgereist sind, kann grundsätzlich die Möglichkeit einer Rückkehr in die Türkei dadurch ausgeschlossen sein. In diesem Fall werden diese Personen durch die türkischen Behörden mit einem fünfjährigen Einreiseverbot belegt und ihr Asylantrag gilt als zurückgezogen (UNHCR 13.3.2018).
Migranten und Flüchtlinge haben es Berichten zufolge sehr schwer, eine formelle Registrierung zu erhalten, was ihren Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und Arbeitsplätzen erschwert und ihr Abschieberisiko erhöht (ACAPS 5.2019).
Die im Oktober 2016 durch Notverordnung eingeführte Ausnahmeregelung vom Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und des Terrorismus wurde im Februar 2018 per Gesetz konsolidiert. Aus diesen Gründen wurden im Jahr 2018 zunehmend Rückführungsentscheidungen getroffen. Allerdings hat das Verfassungsgericht aufgrund von Einsprüchen in den meisten Fällen einstweilige Verfügungen zur Verhinderung der Abschiebung von Personen in Fällen der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erlassen, gleichwohl diese oft nur für einige Tage gültig waren (ECRE 3.2019).
Der Zugang zum internationalen Schutzverfahren hat sich 2018 erheblich verändert, da der UNHCR am 10.9.2018 die Einstellung seiner Registrierungsaktivitäten in der Türkei bekannt gab. Die Anträge auf internationalen Schutz sollen nun von den regionalen Büros der Migrationsbehörde (PDMM) in einer der 81 Provinzen formell registriert werden. In der Praxis hat die Übernahme des Verfahrens durch die DGMM im September 2018 jedoch zu erheblichen Hindernissen für den Zugang zum internationalen Schutzverfahren geführt. Der Antragsteller erhält erst nach der Registrierung des Antrags in der zuständigen Provinz eine „International Protection Applicant Identification Card“. Dies bedeutet, dass Asylwerber verpflichtet sind, in die zugewiesene Provinz zu reisen, ohne dass sie Unterlagen besitzen, aus denen hervorgeht, dass sie beabsichtigen, um internationalen Schutz anzusuchen, was mit der Gefahr der Verhaftung und Inhaftierung oder dem Entzug von Grundrechten wie der Gesundheitsversorgung verbunden ist (ECRE 3.2019).
Der Justizminister hat erklärt, dass 315.000 syrische Staatsangehörige die Türkei verlassen haben, um in ihr Herkunftsland zurückzukehren, und dass mit der Einrichtung von Sicherheitszonen in Syrien weitere Rückkehrer erwartet werden. Es wurden jedoch Bedenken hinsichtlich der Freiwilligkeit bei einigen Rückkehrern geäußert (ECRE 3.2019; vgl. ZO 17.8.2019). Presseberichte über angebliche Abschiebungen und Rückführungen syrischer Staatsangehöriger, die gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) verstoßen, hielten an (EC 29.5.2019). Augenzeugenberichte von syrischen Flüchtlingen, die festgenommen und zwangsweise, mitunter unter Gewaltanwendung, nach Syrien abgeschoben wurden, sind häufiger geworden (ZO 17.8.2019, TS 25.8.2019, DW 30.9.2019, AI 27.9.2019, WP 10.8.2019, SfTJ 6.8.2019). Auch syrische Journalisten im türkischen Exil wurden nach Syrien abgeschoben (RSF 20.8.2019). In manchen Fällen waren die Betroffenen nicht registriert oder hielten sich außerhalb der Provinz auf, in der sie registriert waren. Syrische Flüchtlinge in der Türkei, deren Ausweispapiere abgelaufen oder nicht mehr gültig sind, können diese offenbar nur sehr schwer erneuern. Die Gründe hierfür sind unklar (AI 27.9.2019). Laut anderen Quellen sollen syrische Flüchtlinge, ungeachtet, ob sie eine Registrierungsnummer (Kimlik) besitzen oder nicht, von den türkischen Behörden zwangsweise nach Syrien deportiert worden sein (SfTJ 6.8.2019; vgl. SOHR 7.8.2019). Die türkischen Behörden verhaften und zwingen Syrer, auch unter Gewaltanwendung, zur Unterzeichnung von Formularen, in denen diese bekunden, freiwillig nach Syrien zurückkehren zu wollen. Sodann erfolgt die zwangsweise Rückführung (HRW 26.7.2019; vgl. AI 2.10.2019, TM 31.7.2019, Daily Star 31.7.2019, DW 24.10.2019). Syrische Flüchtlinge werden auch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen seitens der türkischen Behörden zur Unterschrift des Formulars für die freiwillige Rückkehr gedrängt, etwa unter dem Vorwand, dass es sich um eine Vollmacht oder eine Entlassungsbestätigung der Polizei oder eine Willensbekundung zum Verbleib in der Türkei oder dergleichen handle (AI 25.10.2019; vgl. DW 24.10.2019).
Mehrere Flüchtlinge schilderten unabhängig voneinander, wie sie bei der versuchten Flucht bzw. bei der versuchten Rückkehr nach vormaliger Abschiebung in die Türkei von türkischen Soldaten beschossen wurden (SO 29.3.2018; vgl. WP 10.8.2019). In einigen Fällen schlugen türkische Grenzschutzbeamte Asylwerber, die sie festnahmen, und verweigerten ihnen medizinische Hilfe (HRW 3.8.2018). Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, starben seit Kriegsbeginn in Syrien 429 Flüchtlinge bei dem Versuch, in die Türkei zu gelangen (SOHR 7.8.2019).
Quellen
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AI – Amnesty International (27.9.2019): Rechtswidrige Abschiebungen nach Syrien stoppen! UA-Nr: UA-128/2019 [EUR 44/1117/2019], https://www.amnesty.de/sites/default/files/2019-09/128_2019_DE_T%C3%Bcrkei.pdf , Zugriff 16.10.2019
AI - Amnesty International (2.10.2019): Urgent action: Rechtswidrige Abschiebungen stoppen! https://www.amnesty.at/%C3%Bcber-amnesty/aktivist-innen/netzwerk-flucht-migration/news-events/urgent-action-rechtswidrige-abschiebungen-stoppen/ , Zugriff 16.10.2019
AI - Amnesty International (25.10.2019): Sent To A War Zone - Turkey’s Illegal Deportations of Syrian Refugees, https://www.amnesty.org/download/Documents/EUR4411022019ENGLISH.pdf , Zugriff 25.10.2019
ACAPS (5.2019) Crisis Insight Humanitarian Access Overview, https://www.acaps.org/sites/acaps/files/products/files/20190502_acaps_humanitarian_access_overview_may_2019_0.pdf , Zugriff 15.10.2019
CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (10.8.2016): Report of the fact-finding mission to Turkey by Ambassador Tomáš Boček, Special Representative of the Secretary General on migration and refugees, 30 May – 4 June 2016 [SG/Inf(2016)29], http://www.ecoi.net/local_link/328551/469354_de.html , Zugriff 15.10.2019
Daily Star (31.7.2019): Deported from Turkey, Syrians return to unfamiliar country, https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2019/Jul-31/488709-deported-from-turkey-syrians-return-to-unfamiliar-country.ashx , Zugriff 16.10.2019
DW – Deutsche Welle (30.9.2019): Abgeschoben aus der Türkei: Zurück in den Krieg? https://www.dw.com/de/abgeschoben-aus-der-t%C3%Bcrkei-zur%C3%Bcck-in-den-krieg/av-50651022 , Zugriff 16.10.2019
DW – Deutsche Welle (24.10.2019): Türkei: Illegale Abschiebungen nach Syrien, https://www.dw.com/de/t%C3%Bcrkei-illegale-abschiebungen-nach-syrien/a-50972358 , Zugriff 25.10.2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 15.10.2019
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ECRE - European Council on Refugees and Exiles (3.2019): Country Report: Turkey, 2018 Update, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_tr_2018update.pdf , Zugriff 15.10.2019
HRW – Human Rights Watch (3.8.2018): Turkey/Syria: Border Guards Shoot, Block Fleeing Syrians, 3. Februar 2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1423559.html , Zugriff 16.10.2019
HRW – Human Rights Watch (26.7.2019): Turkey Forcibly Returning Syrians to Danger, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013376.html , Zugriff 16.10.2019
RRT - Refugee Rights Turkey (3.2017): Registration And Status for Syrian Refugees and other Persons under Temporary Protection, http://www.mhd.org.tr/images/yayinlar/MHM-2.pdf , Zugriff 15.10.2019
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SOHR – The Syrian Observatory for Human Rights (7.8.2019): More than 6,000 Syrian refugees deported by Turkish authorities within weeks, 429 civilians killed by border guards also they tried to flee the horror of military operations, http://www.syriahr.com/en/?p=136847 , Zugriff 16.10.2019
TM – Turkish Minute (31.7.2019): Turkey denies reports alleging deportation of Syrian refugees, https://www.turkishminute.com/2019/07/31/turkey-denies-reports-alleging-deportation-of-syrian-refugees/ , Zugriff 16.10.2019
TS – tagesschau.de (25.8.2019): Abgeschoben in den Krieg, https://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlinge-tuerkei-121.html , Zugriff 16.10.2019
UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (13.3.2018): Antwort des UNHCR-Büros Österreich, per Email
WP – Washington Post (10.8.2019): Refugee deported from Turkey was shot and killed in Syria, family says, https://www.washingtonpost.com/world/refugee-deported-from-turkey-was-shot-and-killed-in-syria-family-says/2019/08/09/0750d240-bab8-11e9-8e83-4e6687e99814_story.html , Zugriff 16.10.2019
ZAR - Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (5.2013): Ausländer- und internationales Schutzgesetz (Ausländergesetz – AuISG) Gesetz Nr. 6458, http://www.zar.nomos.de/filea9min/zar/doc/ZAR_13_Online.pdf , [inoffizielle Übersetzung], Zugriff 15.10.2018
ZO – Zeit Online (17.8.2019): Mit dem Bus zurück in den Krieg, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-08/tuerkei-syrien-fluechtlinge-abschiebung-istanbul , Zugriff 16.10.2019
13.1. Binnenflüchtlinge (IDPs)
Letzte Änderung am 7.4.2020
Seit 2015 eskaliert die Gewalt zwischen Regierungstruppen und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), was zu weiteren humanitären Problemen im Südosten der Türkei führt. Bis zu 1,1 Millionen Menschen könnten aufgrund von Konflikten intern vertrieben worden sein. Der humanitäre Zugang ist in den am stärksten von Gewalt betroffenen Gebieten stark eingeschränkt, was die Bereitstellung von Hilfe erschwert und zu großen Informationslücken über den humanitären Bedarf beiträgt (ACAPS 24.5.2019; vgl. IDMC 2019). Bei den insgesamt rund 1,1 Millionen IDPs machen die 2015/2016 hinzugekommenen zirka 204.000 aus (IDMC 31.12.2018). Laut anderen Quellen wurde die Zahl der IDPs infolge des Konflikts 2015/2016 auf 355.000 bis eine halbe Million Menschen geschätzt, hauptsächlich Bürger kurdischer Herkunft (MMP 1.2018; vgl. OHCHR 2.2017), die in benachbarte Vororte, Städte und Dörfer oder in andere Regionen innerhalb der Türkei zogen. Nach verfügbaren Informationen wurde keiner internationalen Organisation Zugang gewährt, um den humanitären Bedarf zu ermitteln und der Bevölkerung im Südosten zu helfen. Lokale NGOs berichteten, dass die staatliche Hilfe von einem sauberen Strafregister abhängig gemacht wurde, was laut OHCHR eine Verletzung der grundlegenden humanitären Grundsätze für die Durchführung humanitärer Soforthilfemaßnahmen darstellte (OHCHR 2.2017).
Laut offiziellen Angaben wurden während der Auseinandersetzungen 2015/2016 25.000 Wohneinheiten vor allem in Diyarbakır-Sur, Şırnakcentre, Cizre, Silopi, Idil, Mardin Nusaybin, Hakkâri und Yüksekova schwer beschädigt. Andere Quellen gehen von bis zu 70.000 zerstörten oder schwer beschädigten Unterkünften aus (IDMC 2019). Eine Verringerung der Zusammenstöße in den Städten und der Wiederaufbauarbeiten der Regierung im Laufe des Jahres 2018 ermöglichte es einigen Binnenflüchtlingen, in ihre Heimat zurückzukehren. Die Gesamtzahlen bleiben jedoch unklar (USDOS 11.3.2020).
Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen aus der Südosttürkei hat die Regierung die finanzielle Entschädigung für zerstörte Wohnungen von der Unterzeichnung einer Erklärung der Eigentümer abhängig gemacht, wonach ihr Eigentum durch "terroristische Aktivitäten" [und nicht durch die Sicherheitskräfte] zerstört wurde (OHCHR 2.2017).
Generell wurden bzgl. der Situation der Binnenflüchtlinge infolge der Gewalt im Südosten des Landes nur begrenzte Fortschritte erzielt. Nur einem kleinen Prozentsatz der Binnenflüchtlingen wurden neue Wohnungen angeboten. Dieser Prozess basiert nicht auf einem umfassenden und transparenten Mechanismus (EC 29.5.2019).
Quellen:
ACAPS (24.5.2019): Overview: Turkey, https://www.acaps.org/country/turkey/crisis/country-level , Zugriff 15.10.2019
EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 15.10.2019
IDMC - Internal Displacement Monitoring Centre (31.12.2018): Turkey - Annual conflict and disaster displacement figure,s http://www.internal-displacement.org/countries/turkey , Zugriff 15.10.2019
IDMC - Internal Displacement Monitoring Centre (2019): Turkey - Displacement Related to Conflict and Violence, http://www.internal-displacement.org/sites/default/files/2019-05/GRID%202019%20-%20Conflict%20Figure%20Analysis%20-%20TURKEY.pdf , Zugriff 15.10.2019
MMP - Mixed Migration Platform (1.2018): Mixed Migration Monthly Summery, http://www.mixedmigration.org/wp-content/uploads/2018/05/ms-me-1801.pdf , Zugriff 15.10.2019
OHCHR – Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2.2017): Report on the human rights situation in South-East Turkey; July 2015 to December 2016, https://www.ecoi.net/en/file/local/1395175/1226_1489578695_ohchr-south-east-turkeyreport-10march2017.pdf , 15.10.2019
USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 7.4.2020
14. Grundversorgung/ Wirtschaft
Letzte Änderung am 29.11.2019
Die türkische Wirtschaft hat in den letzten zwölf Monaten erhebliche außenwirtschaftliche Veränderungen erlebt, darunter rückläufige Leistungsbilanz-Ungleichgewichte und eine geringere Auslandsverschuldung der Banken. Dies hat die außenwirtschaftlichen Schwächen verringert, die sich im Vorfeld des Währungsschocks vom August 2018 gehäuft hatten. Investitionen sind zurückgegangen, die Preise hoch geblieben und die Arbeitslosigkeit gestiegen. Diese Anpassungen haben den Fremdfinanzierungsbedarf des Landes reduziert und zu einer stabileren Lira beigetragen, ungeachtet der Währungsschwankungen im Verlaufe des Jahres 2019. Die Anpassungen wurden durch ein aktiveres Agieren der Politik und günstigere globale monetäre Bedingungen unterstützt. Dennoch sind die Devisenreserven in den letzten zwei Jahren abgebaut worden und haben die Türkei einem außenwirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Die Realwirtschaft ist nach wie vor stark von beharrlichen makro-finanziellen Schwächen betroffen. Die Investitionen gingen deutlich zurück (bis zum zweiten Quartal 2019), während die Industrieproduktion auf eine schwache Trendwende hinweist. Die allmähliche Erholung von der Rezession im Jahr 2018 wurde durch einen Anstieg des privaten Konsums und einer Nettoauslandsnachfrage betrieben. Der Rückgang der Inflation hat begonnen, nachdem die Wechselkursentwicklung und der Vertrauensverlust in die Lira die Verbraucherpreise stark anstiegen ließen. Die Inflation betrug in den ersten drei Quartalen 2019 durchschnittlich 17% (WB 2.11.2019).
Stagnierendes Produktionsniveau, steigende Produktionskosten und hohe Verbraucherpreise haben zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten und sinkenden Reallöhnen geführt. Die türkische Wirtschaft hat von Mai 2018 bis Mai 2019 rund 840.000 Arbeitsplätze verloren, was 2,9% der Gesamtbeschäftigung entspricht. Die Arbeitslosenquote stieg zwischen Mai 2018 und Mai 2019 von 10,6% auf 14%, wobei die Jugendarbeitslosigkeit einen Anstieg von 19,6% auf 25,6% verzeichnete. Die durchschnittlichen Reallöhne sanken zwischen 2017 und 2018 um 2,6%. Am stärksten betroffen sind ärmere Haushalte, da viele einkommensschwache Arbeitskräfte im Baugewerbe und in der Landwirtschaft beschäftigt sind - den Sektoren, in denen der größte Beschäftigungsrückgang zu verzeichnen war (WB 2.11.2019).
Weitere Tendenzen: chronisch hohes Leistungsbilanzdefizit; starke Abhängigkeit von Energieimporten (mehr als 50% des Defizits); fehlende Leistungsfähigkeit in höherwertigen Wirtschaftssektoren, in Teilen beschränkte globale Wettbewerbsfähigkeit, niedrige lokale Wertschöpfung in der Produktion; Abhängigkeit von ausländischen Kapitalflüssen (auch durch die geringe Sparquote: 13% BIP) hoher Anteil an Schwarzarbeit und geringer Anteil von Frauen in der Erwerbsarbeit. Stark entwickelt ist die Westtürkei mit dem Marmara-Raum und der Ägäis. Dabei erwirtschaftet die Region Istanbul mit ca. 20% der Bevölkerung 40% der gesamten Wertschöpfung. Unterentwickelt ist der Südosten und Osten des Landes, gekennzeichnet oft durch bittere Armut und wirtschaftliche Rückständigkeit (GIZ 9.2019a).
Unter den OECD-Staaten hat die Türkei eine der höchsten Werte hinsichtlich der sozialen Ungleichheit und gleichzeitig eines der niedrigsten Haushaltseinkommen. Während im OECD-Durchschnitt die Staaten 20% des Brutto-Sozialproduktes für Sozialausgaben aufbringen, liegt der Wert in der Türkei unter 13%. Die Türkei hat u.a. auch eine der höchsten Kinderarmutsraten innerhalb der OECD. Jedes fünfte Kind lebt in Armut (OECD 2019).
Quellen:
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2019a): Länderinformationsportal: Türkei: Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/tuerkei/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 11.10.2019
OECD (2019): Society at a Glance 2019: OECD Social Indicators, https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/soc_glance-2019-en.pdf?expires=1573813322&id=id&accname=guest&checksum=2EE74228759055A97295ED4460FC22E0 , Zugriff 15.11.2019
WB – World Bank (2.11.2019): Turkey Economic Monitor, October 2019: Charting A New Course, https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/32634/Turkey-Economic-Monitor-Charting-a-New-Course.pdf?cid=ECA_EM_Turkey_EN_EXT&deliveryName=DM48511 , Zugriff 15.11.2019
14.1. Sozialbeihilfen/-versicherung
Letzte Änderung am 29.11.2019
Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294, über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität, und Nr. 5263, zur Organisation und den Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität, gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftung für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardımlaşma ve Dayanişma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben. Auch Ausländer, die im Sinne des Gesetzes internationalen Schutz beantragt haben oder erhalten, haben einen Anspruch auf Gewährung von Sozialleistungen. Welche konkreten Leistungen dies sein sollen, führt das Gesetz nicht auf (AA 14.6.2019).
Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik gibt es aber verschiedene Programme für mittellose Familien, wie z.B. Sachspenden (Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien, etc.); Kindergeld (eine einmalige Zahlung, die sich nach der Anzahl der Kinder richtet und Lira 300 für das erste, Lira 400 für das zweite und Lira 600 für das dritte Kind beträgt); finanzielle Unterstützung für Schwangere in einmaliger Höhe von Lira 149 unter bestimmten Bedingungen, wie geleistete Sozialversicherungsabgaben durch den Ehepartner oder vorherige Erwerbstätigkeit der Mutter selbst; Wohnprogramme; Einkommen für Behinderte und Altersschwache (dreimonatlich zwischen Lira 1.527 und 2.589 je nach Grad der Behinderung). All diese Hilfeleistungen des Staates sind an bestimmte Bedingungen gekoppelt, die von den Einzelnen nicht immer erfüllt werden können. Es gibt zwei unterschiedliche Arten von „Witwenunterstützung“. Jede Witwe (ohne Einkommen) hat im Jahr 2019 den Anspruch auf Lira 550 (alle zwei Monate). Diese Leistung wird vom Familienministerium bereitgestellt. Dann gibt es zum zweiten die Witwenrente, die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners richtet (max. 75% des Bruttomonatsgehalts des verstorbenen Ehepartners, jedoch max. Lira 4.263) (ÖB 10.2019).
Das Sozialversicherungssystem besteht aus zwei Hauptzweigen, nämlich der langfristigen Versicherung (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung) und der kurzfristigen Versicherung (Berufsunfälle, berufsbedingte und andere Krankheiten, Mutterschaftsurlaub) (SGK 2016a). Das türkische Sozialversicherungssystem finanziert sich nach der Allokationsmethode durch Prämien und Beiträge, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und dem Staat geleistet werden. Für die arbeitsplatzbezogene Unfall- und Krankenversicherung inklusive Mutterschaft bezahlt der unselbständig Erwerbstätige nichts, der Arbeitgeber 2%; für die Invaliditäts- und Pensionsversicherung beläuft sich der Arbeitnehmeranteil auf 9% und der Arbeitgeberanteil auf 11%. Der Beitrag zur allgemeinen Krankheitsversicherung beträgt für die Arbeitnehmer 5% und für die Arbeitgeber 7,5% (vom Bruttogehalt). Bei der Arbeitslosenversicherung zahlen die Beschäftigten 1% vom Bruttolohn (bis zu einem Maximum) und die Arbeitgeber 2%, ergänzt um einen Betrag des Staates in der Höhe von 1% des Bruttolohnes (bis zu einem Maximumwert) (SGK 2016b; SSA 9.2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 10.10.2019
ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 10.10.2019
SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016a): Das Türkische Soziale Sicherheitssystem, http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/de/detail/das_turkische , Zugriff 10.10.2019
SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016b): Financing of Social Security, http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/en/detail/social_security_system/social_security_system , Zugriff 10.10.2019
SSA – Social Security Administration (9.2018): Social Security Programs Throughout the World: Europe, 2018: Turkey, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/europe/turkey.html , Zugriff 10.10.2019
14.2. Arbeitslosenunterstützung
Letzte Änderung am 29.11.2019
Im Falle von Arbeitslosigkeit gibt es für alle ArbeiterInnen in der Türkei Unterstützung, auch für diejenigen, die in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, in staatlichen und in privaten Sektoren tätig sind (IOM 2019). Im Jahr 2017 sah eine Novelle des Arbeitslosenversicherungsgesetzes die Ausweitung des Versicherungsschutzes auf Selbständige zum 1. Januar 2020 vor. Der Betroffene muss in den letzten 120 Arbeitstagen Beiträge gezahlt haben und in den drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens für 600 Arbeitstage eingezahlt haben. Der Anspruch auf das Arbeitslosengeld muss innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf des Arbeitsvertrages geltend gemacht werden oder er erlischt. Der Arbeitslose muss registriert sein und für eine geeignete Beschäftigung zur Verfügung stehen (SSA 9.2018). Bei 600 Tagen Beitragszahlung erhält man 180 Tage Arbeitslosenhilfe, bei 900 Tagen Beitragszahlung erhält man 240 Tage Arbeitslosenhilfe, und bei 1080 Tagen Beitragszahlung erhält man 300 Tage Arbeitslosenunterstützung (IOM 2019; vgl. SSA 9.2018, ÖB 10.2019). Das minimale Taggeld beträgt 40% des durchschnittlichen Tagesverdienstes des Versicherten in den letzten vier Monaten. Das maximale monatliche Arbeitslosengeld beträgt 80% des gesetzlichen monatlichen Bruttomindestentgelts (SSA 9.2018; vgl. ÖB 10.2019). Nach der Erhöhung des Mindestlohnes (Jänner 2019) hat sich auch die Höhe des Arbeitslosengeldes geändert. Der Mindestarbeitslosenbetrag liegt nun bei Lira 1.015 (rund € 159), der Maximalbetrag bei Lira 2.030 (rund € 317) (ÖB 10.2019).
Quellen:
IOM – International Organization for Migration (Autor), veröffentlicht von ZIRF – Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (2019): Länderinformationsblatt Türkei 2019, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_Turkey_DE.pdf , Zugriff 10.10.2019
ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 10.10.2019
SSA – Social Security Administration (9.2018): Social Security Programs Throughout the World: Europe, 2018: Turkey, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/europe/turkey.html , Zugriff 10.10.2019
15. Medizinische Versorgung
Letzte Änderung am 2.3.2020
Die vorhandenen Systeme sind nicht ausreichend, um eine medizinische Versorgung auf angemessenem Niveau für alle Bürger zu gewährleisten. Derzeit wird um eine Reform der Krankenversicherung gerungen, das heißt die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung auf einer beitragsfinanzierten Grundlage. Dies erscheint angesichts der großen Anzahl der in der Schattenwirtschaft tätigen Arbeiter zumindest herausfordernd. Das staatliche Gesundheitswesen besteht aus Krankenhäusern (Träger: SSK, Gesundheitsministerium, Universitäten), Polikliniken, Gesundheitsstationen (Variante 1: mit Pflegekraft, Variante 2: mit Arzt), niedergelassenen Ärzten und weiteren ambulanten Einrichtungen. Für die Versicherten ist die Behandlung kostenlos. Allerdings sind materielle und personelle Ausstattung oft mangelhaft, sodass mehr als eine ausreichende Basisversorgung nicht möglich ist. Selbst in Krankenhäusern sind die Patienten auf die Pflege durch Verwandte angewiesen. Medikamentenengpässe sind nicht selten. Auf 1.100 Einwohner kommt ein Arzt. Das liegt weit unter dem OECD-Durchschnitt (350 Einwohner pro Arzt). Nicht-Sozialversicherte haben keinen Anspruch auf Leistungen. Für sie und Kinder unter 18 Jahren gibt es die Grüne Karte (yeşil kart), mit der ärztliche Hilfe von den Ärmsten beansprucht werden kann. Daneben gibt es ein privates ärztliches Versorgungssystem, das gehobenen internationalen Standards genügt. Auch die Krisenmedizin ist auf einem guten Stand (GIZ 12.2019).
Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und post-operationelle Versorgung dagegen oft mangelhaft, nicht zuletzt aufgrund der mangelhaften sanitären Zustände und Hygienestandards in den staatlichen Spitälern, vor allem in ländlichen Gebieten und kleinen Provinzstädten (ÖB 10.2019). Trotzdem hat sich das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit wächst die Zahl der Krankenhäuser (2017: 1.518), davon ca. 60% in staatlicher Hand mit einer Kapazität von knapp 226.000 Betten. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der „Praxisgebühr“ gratis (AA 14.6.2019).
Die Gesundheitsreform ist als Erfolg zu werten, da mittlerweile 90% der Bevölkerung eine Krankenversicherung haben, und die Müttersterblichkeit bei Geburt um 70%, und die Kindersterblichkeit um 2/3 gesunken ist. Die Welt-Bank warnt jedoch vor explodierenden Kosten. Zahlreiche Ärzte kritisieren die sinkende Qualität der Behandlungen aufgrund der reduzierten Konsultationsdauer und der geringeren Ressourcen pro Patient (ÖB 10.2019).
Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. Im Fall von Krebsbehandlungen kann nach aktuellen Medienberichten aufgrund des gesunkenen Wertes der türkischen Währung keine ausreichende Versorgung mit bestimmten Medikamenten aus dem Ausland gewährleistet werden; es handelt sich aber nicht um ein flächendeckendes Problem (AA 14.6.2019).
Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil-Regelung ausgenommen. Nach und nach hat das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Sağlık Ocağı) abgelöst und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung geführt. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig (AA 14.6.2019).
NGOs, die sich um Bedürftige kümmern, sind in der Türkei vereinzelt in den Großstädten vorhanden, können jedoch kaum die Grundbedürfnisse der Bedürftigen abdecken (ÖB 10.2019).
Um vom türkischen Gesundheits- und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Guvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Kosten von Behandlungen in privaten Krankenhäusern werden von privaten Versicherungen gedeckt. Versicherte der SGK erhalten folgende Leistungen kostenlos: Impfungen, Diagnosen und Laboruntersuchungen, Gesundheitschecks, Schwangerschafts- und Geburtenbetreuung, Notfallbehandlungen. Beiträge sind einkommensabhängig und fangen bei Lira 76,75 an (IOM 2019).
Rückkehrer aus dem Ausland werden bei der SGK-Registrierung nicht gesondert behandelt. Sobald Begünstigte bei der SGK registriert sind, gelten Kinder und Ehepartner/-in automatisch als versichert und profitieren von einer kostenlosen Gesundheitsversorgung. Rückkehrer können sich bei der ihrem Wohnort nächstgelegenen SKG-Behörde registrieren (IOM 2019).
Der freiwillige Mindestbetrag für die Grundversorgung – sofern keine Versicherung durch den Arbeitgeber bereits besteht – beträgt zwischen 6 bis 12% des monatlichen Einkommens. Personen ohne ein reguläres Einkommen müssen ca. 13 EUR/Monat in die Krankenkasse einzahlen. Bei Nachweis über ein sehr geringes Einkommen (weniger als 150,- EUR/Monat) werden die Grundversorgungsbeiträge vom Staat übernommen (ÖB 10.2019).
Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Insgesamt standen 2017 elf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.000 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen von einigen Regionalkrankenhäusern. Insgesamt 36 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige (AMATEM) befinden sich in 33 Provinzen. Zusätzlich werden in 50 ambulanten und 44 stationären Gesundheitszentren Behandlungsmöglichkeiten angeboten. Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite, allerdings versorgt das Gesundheitsministerium derzeit alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphinen, auch können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten künftig in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben. Es gibt zwei staatliche Onkologie-Krankenhäuser (Ankara, Bursa) unter der Verwaltung des Gesundheitsministeriums. Nach jüngsten offiziellen Angaben gibt es darüber hinaus 33 Onkologie-Stationen in staatlichen Krankenhäusern mit unterschiedlichen Behandlungsverfahren. 166 Untersuchungszentren (sog. KETEM) bieten u. a. eine Früherkennung von Krebs an. Im Rahmen der häuslichen Krankenbetreuung sind in allen Provinzen mit 765 Gesundheitsbussen mobile Teams im Einsatz (bestehend meist aus Arzt, Krankenpfleger, Fahrer, ggf. Physiotherapeut etc.), die Kranke zu Hause betreuen. Diese Betreuung wird vom Gesundheitsministerium gebührenfrei angeboten. Etwa 15% der Bevölkerung profitieren von diesen Angeboten. Eine AIDS-Behandlung kann in allen Provinzen mit staatlichen (93 Krankenhäusern) wie auch Universitätskrankenhäusern (68 Krankenhäuser) durchgeführt werden. In Istanbul stehen drei, in Ankara und Izmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine solche Behandlung zur Verfügung (AA 14.6.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 11.10.2019
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2019): Länderinformationsportal: Türkei: Gesundheitswesen, https://www.liportal.de/tuerkei/gesellschaft/#c26139 , Zugriff 2.3.2020
IOM – International Organization for Migration (Autor), veröffentlicht von ZIRF – Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (2019): Länderinformationsblatt Türkei 2019, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_Turkey_DE.pdf , Zugriff 11.10.2019
ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 11.10.2019
16. Behandlung nach Rückkehr
Letzte Änderung am 29.11.2019
Türkische Staatsangehörige, die im Ausland für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, drohen polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Es kann davon ausgegangen werden, dass türkische Stellen Regierungsgegner, darunter insbesondere Anhänger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Gülen-Anhänger, im Ausland ausspähen (AA 14.6.2019). Personen, die für die PKK oder eine Vorfeldorganisation der PKK tätig waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen. Ähnliches gilt für andere Terrororganisationen (z.B. DHKP-C, türkische Hisbollah, Al-Qaida). Seit dem versuchten Militärputsch im Juni 2016 werden Personen, die mit dem Gülen-Netzwerk in Verbindung stehen, in der Türkei als Terroristen eingestuft. Nach Mitgliedern der Gülen-Bewegung, die im Ausland leben, wird zumindest national in der Türkei gefahndet; über Sympathisanten werden (eventuell nach Vernehmungen bei der versuchten Einreise) oft Einreiseverbote verhängt (ÖB 10.2019). Das türkische Außenministerium sieht auch die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) bzw. die Volksverteidigungseinheiten (YPG) als Teilorganisationen der als terroristisch eingestuften PKK (MFA o.D.).
Die türkische Regierung hat im Nachgang zu dem Putschversuch 2016 zahlreiche ausländische Regierungen um Mithilfe bei der Ermittlung von Mitgliedern des sog. „Gülen-Netzwerkes“ gebeten. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung zumindest als Propaganda für eine terroristische Organisation führen (AA 14.6.2019).
Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Im sich anschließenden Verhör durch einen Staatsanwalt oder durch einen von ihm bestimmten Polizeibeamten, wird der Festgenommene mit den schriftlich vorliegenden Anschuldigungen konfrontiert, ein Anwalt in der Regel hinzugezogen. Der Staatsanwalt verfügt entweder die Freilassung oder überstellt den Betroffenen dem zuständigen Richter, dieser entscheidet dann. Wenn aufgrund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Strafverfahren anhängig ist, wird die Person bei der Einreise festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt. Der Staatsanwalt überprüft von Amts wegen, ob der Betroffene von den geltenden Amnestiebestimmungen profitieren kann, oder ob Verjährung eingetreten ist. Sollte das Verfahren aufgrund der vorgenannten Bestimmungen ausgesetzt oder eingestellt sein, wird der Festgenommene freigelassen. Andernfalls fordert der Staatsanwalt beim Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, einen Haftbefehl an. Der Verhaftete wird verhört und mit einem richterlichen Haftbefehl dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, überstellt. Es ist in den letzten Jahren jedoch kein Fall bekannt geworden, in dem ein in die Türkei zurückgekehrter Asylwerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (AA 14.6.2019).
Abgeschobene türkische Staatsangehörige werden von der Türkei rückübernommen. Das Verfahren ist jedoch oft langwierig. Probleme von Rückkehrern infolge einer Asylantragstellung im Ausland sind nicht bekannt. Nach Artikel 23 der türkischen Verfassung bzw. Paragraf 3 des türkischen Passgesetzes ist die Türkei zur Rückübernahme türkischer Staatsangehöriger verpflichtet, wenn zweifelsfrei der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit vorliegt (ÖB 10.2019).
Die Pässe türkischer Staatsangehöriger im Ausland, die von den türkischen Behörden der Beteiligung an der Gülen-Bewegung verdächtigt werden, werden für ungültig erklärt und durch einen Ein-Tages-Pass ersetzt, mit dem sie in die Türkei zurückkehren können, um vor Gericht gestellt zu werden, wo sie ihre Unschuld zu beweisen haben. Lehrer und Militärangehörige scheinen besonders betroffen zu sein, sowie kritische Journalisten und, darüber hinaus, Kurden (UKHO 2.2018).
Es gibt Vereine, welche von türkischen Rückkehrern gegründet wurden. Hier werden spezielle Programme angeboten, welche die Rückkehrer in Fragen wie Wohnungssuche, Versorgung etc. unterstützen und zugleich eine Netzwerkplattform zur Verfügung stellen. Im Folgenden eine kleine Auswahl:
• Rückkehrer Stammtisch Istanbul, Frau Çiğdem Akkaya, LinkTurkey, E-Mail: info@link-turkey.com
• Die Brücke, Frau Christine Senol, Email: info@bruecke-istanbul.org , http://bruecke-istanbul.com/
• TAKID, Deutsch-Türkischer Verein für kulturelle Zusammenarbeit, ÇUKUROVA/ADANA, E-Mail. almankulturadana@yahoo.de , www.takid.org (ÖB 10.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf , Zugriff 23.10.2019
MFA - Republic of Turkey, Ministry of Foreign Affairs (o.D.): PKK, http://www.mfa.gov.tr/pkk.en.mfa , Zugriff 23.10.2019
ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 23.10.2019
UKHO - United Kindom Home Office (2.2018): Country Policy and Information Note Turkey: Gülenist movement, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/682868/Turkey_-_Gulenists_-_CPIN_-_v2.0.pdf , Zugriff 23.10.2019
2. Beweiswürdigung:
2.1. Das erkennende Gericht hat durch die vorliegenden Verwaltungsakte Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
Ergänzend nahm das BVwG in tagesaktuelle länderkundliche Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer Einsicht, welche in den verfahrensrelevanten Teilen als notorisch bekannt vorausgesetzt werden können.
Die Feststellungen zur Person der BF ergeben sich aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben, den vorgelegten Dokumenten sowie ihren Sprach- und Ortskenntnissen.
Zur Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten – von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen – diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten –immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse- der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen –allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden- aufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010).
2.2. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348). Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschieberelevanten Situation ist seit Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht eingetreten.
Im gegenständlichen Fall ist anzuführen, dass die belangte Behörde ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchführte und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenfasste. Die Erstbehörde hat sich mit dem individuellen Vorbringen auseinandergesetzt und auch die von den BF in ihrem Herkunftsstaat vorzufindende allgemeine Lage mit jener, welche die BF bei Erlassung des Erkenntnisses des BVwG im Erstverfahren vorfanden, verglichen.
In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig ist.
Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten -– z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).
Weiter ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG [numehr: § 3 AsylG] bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen diese Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts [1991] 137 f; s.a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck AsylG 1997, Rz 314, 524).
2.3. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.02.1993, Zl. 92/03/0011; 01.10.1997, Zl. 96/09/0007). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).
Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).
2.4. Der belangten Behörde ist insofern zuzustimmen, als sie zum Schluss kommt, dass die BF in der Türkei keiner asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt waren bzw. im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.
Darüber hinaus geht aber auch das BVwG aus folgenden Erwägungen von der Unglaubwürdigkeit der Angaben der BF1 aus:
Von der BF1 wurde vorgebracht, dass sie mehrere Jahre lang von ihrem mittlerweile geschiedenen Gatten körperlich misshandelt und bedroht worden wäre. Im gesamten Verfahren führte die BF1 bis dato jedoch nur allgemein und meist sehr vage derartige Übergriffe aus. Sie konnte ihre Ausführungen auch durch keinerlei schriftliche Nachweise, wie Polizeiberichte und Behandlungsberichte bzw. ärztliche Befunde, stützen. Auch zu zeitlichen Abläufen wurden keine konkreten Angaben getätigt, beispielhaft angeführte Vorfälle konnten bestenfalls mit der Jahreszahl bekanntgegeben werden. Wäre die BF1 tatsächlich über einen längeren Zeitraum hinweg von ihrem Exmann traktiert worden, müßte sie nach Ansicht des Gerichtes allerdings in der Lage sein, die Übergriffe konkret zu schildern und sie auch zeitlich entsprechend konkret einzuordnen.
Ein weiteres Indiz der Unglaubwürdigkeit ist aufgrund der zeitlichen Abfolge festzustellen. So reiste die BF1 mit ihren Kindern am 20.09.2018 mit einem Visum C nach Österreich ein. Das Visum hatte Gültigkeit bis 19.11.2018. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK wurde jedoch erst am 28.11.2018 gestellt, demnach über zwei Monate nach Einreise in das Bundesgebiet und erst 9 Tage nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums. Der Aufenthalt im Bundesgebiet war zudem ab 19.11.2018 rechtswidrig. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK wurde vom Bundesamt in der Folge negativ beschieden. Auch die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, rechtskräftig mit 03.01.2020, als unbegründet abgewiesen und darin unter anderem nicht festgestellt, dass die BF1 in der Türkei von ihrem Exmann geschlagen wurde und dass wegen eines Streits von den Nachbarn die Polizei gerufen wurde, die den Exmann verwarnte.
Nach dem abweisenden Erkenntnis hat sich die BF1 dann offenbar entschlossen einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Dieser Antrag wurde jedoch wieder nicht sogleich bei Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, sondern erst nach einer „Bedenkzeit“ von rund vier Wochen am 05.02.2020 gestellt. Nicht nur, dass sich die BF1 nach Verstreichen der 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abermals rechtswidrig im Bundesgebiet aufhielt und der Antrag auf internationalen Schutz demnach erst über 16 Monate nach erfolgter Einreise in Österreich gestellt wurde, wäre es nach allgemeinen Menschenverstand doch begreiflich und vor allem geboten gewesen, dass sie bei der erstmöglichen Gelegenheit um Schutz gebeten hätte, wenn sie in ihrem Herkunftsstaat tatsächlich asylrelevant verfolgt worden wäre. Dies demonstriert jedenfalls sehr eindeutig die wahre Intention der Reise nach Österreich, welche darin wurzelt, zu den im Bundesgebiet wohnhaften Eltern und Geschwistern zu ziehen. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet aus diesem Grund die Vorgehensweise der BF1 in Zusammenhang mit der Asylantragstellung als absolut lebensfremd.
Vor dem Hintergrund, dass es die BF trotz mehrfacher Möglichkeiten ab September 2018 unterließen einen Antrag auf internationalen Schutz bei den österreichischen Behörden zu stellen, im Zusammenhalt mit dem Umstand, dass mehrere Familienangehörige der BF in Österreich leben und insbesondere eine Einreise oder ein Erhalt eines Aufenthaltstitels für die BF für Österreich nach den fremdenrechtlichen oder niederlassungsrechtlichen Bestimmungen offenbar nicht möglich war, erhärtet sich die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, dass die BF die Türkei primär rein aus wirtschaftlichen oder privaten Interessen verlassen hat und die Asylantragstellung lediglich mißbräuchlich zum Zwecke des Erhalts von Aufenthaltstiteln für Österreich erfolgte.
In diesem Zusammenhang ist auf die Richtlinie 2011/95/EG des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes zu verweisen, welche in ihrem Art. 4 Abs. 5 lit. d vorsieht, dass dann, wenn für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise fehlen, diese Aussagen keines Nachweises bedürfen, wenn der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war. Im gegenständlichen Fall haben es die BF unterlassen, internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beantragen. Gewichtige Gründe für das Unterlassen einer rechtzeitigen Antragstellung liegen nicht vor und wurde Derartiges auch von den BF nie behauptet.
Zur häuslichen Gewalt gab die BF1 bei der polizeilichen Erstbefragung bekannt, dass sie ihr ehemaliger Gatte ständig bedroht hätte, sie hätte sich vor ihm verstecken müssen, ihr Leben wäre in Gefahr gewesen. In der Einvernahme vor dem Bundesamt versuchte sie die vagen Angaben der Erstbefragung dahingehend zu steigern, indem sie vorbrachte, dass ihr Ex-Gatte Alkoholiker wäre und auch Drogen konsumiere. Zudem hätte er kein Geld nach Hause gebracht. Wenn er dann nachts nach Hause gekommen wäre, hätte er sie geschlagen, auch wenn sie geschlafen hätte. Auch die Schwiegermutter wäre sehr traurig gewesen über das Verhalten ihres Sohnes. Einmal wäre er sogar mit einem Messer auf sie losgegangen, ein anderes Mal hätte er ihr während des Essens mit einer Gabel in das Bein gestochen. So wären bei ihr Stichwunden, blaue Flecken oder ein geschwollener Kopf entstanden, weswegen sie auch von den Nachbarn angesprochen worden wäre. Dieser Zustand hätte jahrelang fortgedauert, die BF1 hätte jedoch nichts tun können. Zudem hätte er ihr für den Fall einer Scheidung mit dem Tod gedroht. Auch wären Ausflüge mit den Kindern nicht möglich gewesen, weil er kein Geld nach Hause gebracht hätte, ebenso hätten keine Kleidung, Spielzeug oder Lebensmittel erworben werden können. Finanziell wäre sie von der Schwiegermutter, ihrem Vater und ihrer Schwester unterstützt worden. Wenn die Familie der BF1 auf Urlaub kam, hätten die Kinder auch Geschenke bekommen. Sie wäre auch einmal bei der Polizei gewesen, aber die hätte nichts unternommen. Auf Nachfragen gab die BF1 dann bekannt, dass die Gewalt zwei Jahre nach der Trauung begonnen hätte, also ungefähr 2011. Nach der Scheidung hätte er sie wieder mit dem Tod bedroht, wenn er sie mit einem anderen Mann sehen würde. Ebenfalls auf Nachfrage gab die BF1 bekannt, dass ihr Gatte von der Polizei weggewiesen worden wäre. An dieser Stelle ist erneut festzuhalten, dass bereits im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.01.2020 nicht festgestellt werden konnte, dass der BF1 im Herkunftsstaat häusliche Gewalt zuteil geworden wäre.
Obwohl die BF1 bekannt gab, dass sie mehrmals vom ehemaligen Gatten bei dessen Gewalttätigkeiten verletzt worden wäre, konnte nicht eine Behandlungsbestätigung eines Arztes bzw. ein diesbezügliches ärztliches Attest vorgewiesen werden. Dazu befragt, führte die BF1 aus, dass sie nicht in ärztlicher Behandlung gewesen wäre und es deswegen auch keine Atteste geben würde. Dies ist nicht zuletzt deswegen unglaubwürdig, weil zumindest jener behauptete Vorfall, bei dem vom Exmann mit einer Gabel auf das Bein der BF1 eingestochen worden wäre, zu einer behandlungsbedürftigen Verletzung geführt haben müsste. Auch wenn die BF1 bekannt gibt, dass sie durch vom Ex-Gatten geworfene Gegenstände mehrmals am Kopf verletzt worden wäre, stellt eine Kopfverletzung zumeist ebenfalls eine Verletzung dar, die eine Behandlung erfordert. Auch hätte sie zu keiner Zeit das Haus verlassen dürfen, führte die BF1 weiter aus. Aus diesem Grund wäre es ihr nicht möglich gewesen, einen Arzt zu konsultieren oder das Krankenhaus aufzusuchen. Dies steht jedoch im krassen Widerspruch dazu, dass sie in der Einvernahme kurz davor bekannt gab, dass sie ihr ehemaliger Gatte immer dann bedrohte, wenn er sie draußen gesehen hätte, beispielsweise beim Einkaufen im Supermarkt.
Lebensfremd ist auch das Vorbringen im Bezug auf die Scheidung. So wäre sie eben für den Fall einer Scheidung mit dem Tod bedroht worden. Dies ist schon alleine aus der Überlegung heraus unglaubwürdig, weil die Scheidung schlussendlich einvernehmlich erfolgte. Gegen die Ausführungen der BF1 spricht auch deutlich der Umstand, dass ihre Familie zu ihr auf Urlaub gekommen wäre. Wenn der Ex-Gatte tatsächlich Alkoholiker und gewaltsam gewesen wäre, hätte die Familie während des Aufenthaltes dies mit Sicherheit mitbekommen und hätte sie zumindest damit begonnen, die BF zu fragen, ob es irgendwelche Probleme gäbe bzw. es ihr und den Kindern gut gehe. Die Familie hätte im Rahmen der Urlaube ja auch immer Geschenke für die Kinder der BF1 mitgenommen und der Vater unterstützt sie bis dato mit finanziellen Mitteln, was eindeutig demonstriert, dass die Familie selbstverständlich Wert auf das Wohlergehen der BF1 und ihrer beiden Kinder legt. Nach erfolgter Scheidung wäre die BF1 abermals mit dem Tod bedroht worden. Diesmal für den Fall, dass sie der Ex-Gatte mit einem anderen Mann sehen würde. Zudem hätte er sie gezwungen zu ihm zurückzukehren, weswegen die Drohungen nicht weniger geworden wären.
In sich widersprechend waren dann die Angaben zum Zeitpunkt, ab dem sich die BF1 ihrer Familie anvertraut hätte. So gibt sie bekannt, dass sie ihrer Familie sieben Monate vor der Einreise in das Bundesgebiet von den Drohungen erzählt hätte. Bezüglich der Gewalt hätte sie jedoch erst sieben Monate vor der Ausreise der Familie erzählt. Tatsächlich handelt es sich somit um den genau gleichen Zeitpunkt, weil sieben Monate vor Einreise eben auch sieben Monate vor Ausreise bedeutet.
Auch absolut lebensfremd sind die Angaben der BF1 im Hinblick auf ein polizeiliches Einschreiten wegen der Gewalttätigkeiten. So gab sie bekannt, dass sie lediglich einmal die Polizei verständigt hätte. Obwohl die häusliche Gewalt spätestens 2011 begonnen haben soll, sei erst 2015 die Polizei darüber informiert worden. Noch merkwürdiger mutet an, dass die Exekutive nicht wie man erwarten könnte bei Gewalttätigkeiten mit Verletzungsfolgen verständigt worden wäre, sondern deswegen, weil ständig Gewalt angwendet werden würde. Lebensnah betrachtet wäre die Verständigung der Polizei nach dem behaupteten Vorfall mit dem Gabelstich in das Bein erfolgsversprechender gewesen, hätte die BF1 so doch eine tatsächliche sichtbare Verletzung vorweisen können und sich nicht nur auf fortgesetzte Gewalt berufen müssen, so schlimm diese bei tatsächlichem Vorliegen natürlich wäre. Die BF1 teilte jedenfalls mit, dass die Polizei beim einzigen Einschreiten, im Jahr 2015 kurz vor der Scheidung, gemeint hätte, dass solche Familienstreitigkeiten üblich wären. Dennoch hätten sie eine Wegweisung ausgesprochen. Die behauptete Wegweisung des Gefährders zeigt somit deutlich, dass die staatliche Hilfe sehr wohl funktioniert, Voraussetzung ist allerdings, dass sie auch in Anspruch genommen werden muss. Warum die BF1 zumindest ab diesem Zeitpunkt nicht öfter davon Gebrauch gemacht haben will, bleibt deswegen unverständlich, zeigt andererseits abermals, dass die beschriebene Gewalt so nicht stattgefunden hat.
Auch hätte die BF1 nie probiert in ein Frauenhaus zu gehen, wie sie bei der Einvernahme vor dem Bundesamt bekannt gab. Befragt dazu führte sie aus, dass eine Freundin einmal dort gewesen wäre und berichtet hätte, dass so viel geschrieen werden würde. Dies könne sie ihren Kindern nicht antun. Dies zeigt einmal mehr, dass der Fluchtgrund der BF1 so nicht der Warhheit entspricht. Im Verhältnis zu körperlichen Misshandlungen, Drohungen und ständiger Angst sind Schreie und ein vielleicht lautes Umgebungsfeld jedenfalls eher hinzunehmen als häusliche Gewalt. Würde tatsächlich jahrelang häusliche Gewalt auf die BF1 eingewirkt haben, wäre doch gerade Schutz und Ruhe vor dem Gefährder in einem Frauenhaus erstrebenswert. Tatsächlich war die BF1 nicht einmal willig, Schutz in einem der zahlreichen Frauenhäuser zu suchen. Zudem geht aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.01.2020 hervor, dass die von Frauen bekanntgegebenen Angaben in den Frauenhäusern als gegeben hingenommen werden. Der Staat übernimmt zudem die Verantwortung gegenüber der Frau und ihren Kindern in Bezug auf Verpflegung, Gesundheit und Bildung.
Noch unplausibler dann die Ausführungen zum ehemaligen Gatten, wenn die BF1 behauptet, dieser würde sie überall finden, weil er einen langen Arm zu wichtigen Leute hätte. Einige Fragen zuvor wurde konträr dazu die Frage, ob der Ex-Gatte politisch oder wirtschaftlich einflussreich sei, von der BF1 dezidiert mit „Nein“ beantwortet. Zudem handelt es sich bei der Stadt XXXX um eine Stadt mit über 230.000 Einwohnern. Die BF1 führt jedoch weiter aus, das der ehemalige Gatte einen großen Freundes- und Bekanntenkreis hätte und einen eigenen Betrieb führen würde, weswegen er umso bekannter wäre. Auf Nachfrage gibt sie dann jedoch bekannt, dass er doch keinen eigenen Betrieb gehabt hätte, sondern für den Chef des Betriebes Pide (Fladenbrot) zubereitete.
2.5. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vermochte es die BF1 jedenfalls nicht, die Widersprüche aus der Einvernahme aufzuhellen. Zudem verwickelte sie sich in weitere Widersprüche und nicht nachvollziehbare Angaben.
So teilte sie mit, dass die Scheidung 2016 erfolgt sei. Ein genaues Datum wisse sie jedenfalls nicht, sie glaube im Juli. Die BF1 kann demnach die Scheidung nicht einmal einem konkreten Monat zuordnen. Dies ist nicht nachvollziehbar, weil mit der Scheidung – zumindest rechtlich – ein jahrelanges Martyrium geendet hätte und sie sich dieses einschneidende Datum sehr wohl eingepägt hätte. Jedenfalls hätte nach der Scheidung im Jahr 2016 die Möglichkeit bestanden, endgültig einen Schlussstrich zu ziehen und gemeinsam mit den beiden Kindern das Land zu verlassen. Die BF1 verblieb desssen ungeachtet noch bis September 2018 in der Türkei.
Ebenfalls nicht nachvollziehbar und widersprüchlich gab sie bekannt, dass sie im Winter 2018 den Entschluss gefasst hätte, das Land zu verlassen. Auf Nachfrage versuchte sie zwar aufzuklären, dass sie Jänner, Februar 2018 meinte, was in Anbetracht der tatsächlichen Ausreise im September jedoch ohnehin nicht relevant ist. Selbst wenn der Entschluss im Februar 2018 gefasst worden wäre, ließ die BF1 ohnhin wieder sieben Monate bis zur tatsächlichen Ausreise verstreichen, was ein weiteres Indiz dafür ist, dass die BF1 keine häusliche Gewalt bzw. keine Verfolgung durch den Exgatten im Herkunftsstaat erlitt.
Entgegen der Befragung vor dem Bundesamt teilte die BF1 in der mündlichen Verhandlung mit, dass die erste Verfolgungshandlung sofort nach der Scheidung erfolgt sei. Es waren mehrere Nachfragen notwendig, bis die BF1 schließlich bekannt gab, dass es auch während der Ehe schon Verfolgungshandlungen gegeben hätte. Nochmals dazu befragt, wann diese begonnen hätten, gab die BF1 konträr zur Befragung durch das Bundesamt bekannt, dass diese ein Jahr nach der Vermählung ihren Anfang genommen hätten. Vor dem Bundesamt führte die BF1 noch aus, dass es nach zwei Jahren Ehe erstmals zu Verfolgungshandlungen gekommen wäre. Weiter konnte die BF1 trotz mehrerer Nachfragen keine konkreten Szenarien beschreiben und beschränkte sie sich auf vage und allgemeine Darstellungen. Auch nach konkreter Aufforderung gab sie nur lapidar zur Antwort, dass man eh wisse, wie das bei Türken halt so sei. Noch einmal dazu aufgefordert, konrete Vorfälle zu bezeichnen, führte die BF1 erneut nur allgemein gehalten aus, dass der Ex-Gatte jeden Tag alkoholisiert gewesen sei und sie geschlagen hätte. Er wäre mit einem Messer auf sie losgegangen und steigerte ihr Vorbringen schließlich noch damit, dass er auch mit einem Stock auf sie losgegangen wäre. Er hätte nicht gewollt, dass sie eine soziale Umgebung hätte. Auch zur letzten Gewaltanwendung befragt divergieren die Antworten der BF1: Teilt sie vorerst mit, dass sie sich an die letzte Gewaltanwendung nicht so genau erinnern könne, führte sie kurze Zeit später aus, dass sich der letzte Übergriff ein bis zwei Wochen for der Ausreise zugetragen hätte.
Auch bezüglich der Wegweisung des Ex-Gatten durch die Polizei unterscheiden sich die in der mündlichen Verhandlung getätigten Aussagen massiv von jenen in der Einvernahme vor dem Bundesamt. So teilte die BF1 in der Verhandlung mit, dass die Wegweisung für die Dauer von 14 Tagen erfolgt wäre, in der Einvernahme vor dem BFA gab sie noch bekannt, dass es eine Woche gewesen sei. Zudem mutet es merkwürdig an, dass die Polizei verständigt wurde, weil der Ex-Gatte ständig Gewalt anwende, ohne dies auch nur in irgendeiner Form belegen zu können. Bei dem behaupteten Vorfall mit dem Gabelstich in das Bein wäre die Polizei hingegen nicht verständigt worden, was völlig lebensfremd ist, weil in diesem Fall auch Verletzungsmerkmale offensichtlich gewesen wären.
In der Verhandung führte die BF1 dann schließlich auch zum ersten Mal aus, dass sie ihrer Familie im Mai 2016 erstmals von den Übergriffen erzählt hätte und nicht, wie in der Einvernahme vor dem Bundesamt angegeben, sieben Monate vor der Ausreise, demnach Februar 2018. Unter diesem Aspekt ist es noch weniger nachvollziehbar, dass die BF1 bis September 2018 mit der Ausreise zuwartete. Gab sie doch bis zu diesem Zeitpunkt an, dass die Familie vorher nichts gewusst hätte.
Bezüglich der Scheidung gab die BF1 bekannt, dass sie diese wollte. Auf die Frage, ob es eine einvernehmliche oder strittige Scheidung gewesen wäre, führte sie aus, dass der Ex-Mann damit einverstanden gewesen wäre. Bei der Rückübersetzung wurde diese Antwort von der Rechtsvertretung zwar dahingehend abgeändert, dass der Ex-Mann diese akzeptiert hätte, was am Ergebnis jedoch ohnehin nichts ändert. Die Argumentation in der Einvernahme, als die BF1 ausführt, dass sie ihr Ex-Gatte für den Fall der Scheidung mit dem Tod bedroht hätte, führt sich somit von selbst ad absurdum. Tatsächlich ist die Ehe geschieden worden und wurde dies vom Ex-Mann zudem akzeptiert.
Bezüglich der in der Verhandlung behaupteten Bedrohung über Instagram bleibt festzuhalten, dass von der freundlichen Rechtsvertretung am 27.09.2020 eine diesbezügliche Nachricht in Vorlage gebracht wurde. Vom Dolmetscher wurde die darauf befindliche Nachricht mit „Ich werde dir dein Leben nehmen, vergiss es nicht“ übersetzt. Von der rechtsfreundlichen Vertretung wurde im Rahmen der Rückübersetzung dann Mutmaßungen und Spekulationen über andere Bedeutungen der Nachricht geäußert, bzw. wenn sich der Ex-Gatte verschrieben hätte, welche Bedeutung dann die Passage „El yada Gec“ oder „Er yada Gec“ hätte. Die BF1 gab bekannt, dass dies „Jetzt oder in Zukunft“ bedeuten würde, von DDr. LUKITS wurde wiederum aus dem mitgeführten Wörterbuch zitiert, dass es „früher oder später“ heißen müsste. Außerdem legt das Gericht Wert auf die Feststellung, dass der beigezogene Dolmetscher gerichtlich beeidet ist und seit Jahrzenten als äußerst korrekt und gewissenhaft nicht nur dem BVwG, sondern auch der Polizei und der Strafjustiz bekannt ist, während der Rechtsvertreter offensichtlich nur rudimentäre Türkischkenntnisse hat und sich eines Wörterbuchs bedienen musste.
Allen Spekulationen und Mutmaßungen zum Trotz kann festgehalten werden, dass auf dem Ausdruck der Nachricht ohnehin nicht verifiziert werden kann, wer der Adressat ist, weil weder ein Name, noch eine Account-Bezeichnung ersichtlich ist. Auch bezüglich des Hinweises der rechtsfreundlichen Vertretung auf eine Verletzung an der Innenseite des linken und rechten Mittelfingers, die bei einem Messerangriff des Ex-Mannes entstanden sein sollen wird festgehalten, dass diese sichtbar sind. Von wem oder durch welche Gegenstände diese entstanden sind, lässt sich naturgemäß im nachhinein nicht beurteilen und kann dies keinesfalls beweisen, dass sie tatsächlich vom Ex-Gatten herbeigeführt worden wären.
Weil die BF1 bei der Rückübersetzung den Dolmetscher fortlaufend unterbrochen hat und diesen ständig in Diskussionen verwickeln wollte, obwohl ihr vor und auch während der Rückübersetzung mehrfach mitgeteilt wurde, dass sie dies zu unterlassen habe, wurde die Rückübersetzung schließlich abgebrochen und aus diesem Grund die letzten drei Seiten des Verhandlungsprotokolls nicht mehr rückübersetzt. Dem Rechtsvertreter standen jedoch auch diese 3 Seiten selbstverständlich zur Durchsicht zur Verfügung.
Zum Vorbringen der BF1 wird abschließend ausgeführt, dass dieses stetig gesteigert wurde und sich die BF1 auch beim erörterten Vorbringen mehrmals selbst widersprach. Die doch recht drastischen Widersprüche und Unplausibilitäten hinsichtlich der behaupteten langjährig erlittenen häuslichen Gewalt lassen aus diesem Grund mehr als schwere Zweifel an einer tatsächlich erlebten Fluchtgeschichte aufkommen.
2.6. Für die minderjährigen BF2 und BF3 wurde von der BF1 die gleichen Fluchtgründe geltend gemacht und mitgeteilt, dass diese keine eigenen Gründe hätten.
2.7. In der Beschwerde wird moniert, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft gewesen wäre, vor allem deswegen, weil sich das Bundesamt nicht ausreichend mit der Situation in Frauenhäusern in der Türkei auseinandergesetzt hätte, nicht ausreichend auf den BF2 und die BF3 eingegangen wäre, vor allem deswegen, weil der BF2 auch von seinem Vater geschlagen worden wäre. Auch wären die Länderfeststellungen unvollständig und unrichtig. Auch auf die Situation von Frauen wäre nicht eingegangen worden und ist nicht nachvollziehbar, dass dem Vorbringen die Glaubwürdigkeit abgesprochen wurde.
Vom Bundesverwaltungsgericht wird dazu festgestellt, dass die belangte Behörde ein mängelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst hat. Den BF ist es nicht gelungen, der Beweiswürdigung der belangten Behörde dermaßen konkret und substantiiert entgegen zu treten, dass Zweifel an der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufgekommen wären. Von den BF wurde es unterlassen, durch klare, konkrete und substantiierte Ausführungen darzulegen, warum sie vom Vorliegen einer mangelhaften Ermittlungstätigkeit durch die belangte Behörde ausgehen. Da somit weder aus dem amtswegigen Ermittlungsergebnis im Beschwerdeverfahren noch aus den Ausführungen der BF ein substantiierter Hinweis auf einen derartigen Mangel vorliegt, kann ein solcher nicht festgestellt werden.
Zudem wurde bezüglich der Situation von Frauenhäusern auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation verwiesen, weswegen die diesbezügliche Monierung in der Beschwerde nicht nachvollzogen werden kann. Abgesehen davon war die BF1 ohnehin nicht ernsthaft daran interessiert, ein Frauenhaus aufzusuchen, weil sie den dort vorherrschenden Lärm den Kindern nicht zumuten wolle, wie sie in der Einvernahme vor dem Bundesamt mitteilte. Noch abstruser mutet die Behauptung an, dass Bundesamt hätte sich nicht mit dem BF2 befasst, dieser wäre ebenfalls vom Vater geschlagen worden. Von der BF1 wurde in der Einvernahme vor dem Bundesamt eine diesbezüglich gestellte Frage explizit mit Nein beantwortet. Die Kinder wären nie geschlagen worden, der Vater hätte sie zwar angeschrien, aber nie zugeschlagen.
Darüber hinaus wäre der Umstand, dass sich ein Vorbringen mit den Länderfeststellungen in Einklang bringen lässt, alleine nicht geeignet, um ein Vorbringen als glaubwürdig zu beurteilen. Der Großteil der zitierten Passagen aus Berichten kann nicht mit dem individuellen Vorbringen der BF1 sowie einer etwaigen Gefährdungssituation für ihre Person in Verbindung gebracht werden.
Von der freundlichen Rechtsvertretung wurde mit Eingabe vom 28.09.2020 ein vorbereitender Schriftsatz eingebracht. Darin wird moniert, dass der BF1 im Zuge der Vorbereitung einige Unrichtigkeiten aufgefallen wären. Auch könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Unterlagen aufgrund der sprachlichen Mankos der BF1 weitere Fehler oder Unvollständigkeiten beinhalten können. Dem Bundesverwaltungsgericht ist es aufgrund des pauschalen und spekulativen Verweises, dass Unterlagen Fehler und Unvollständigkeiten pro futuro enthalten könnten, ohne konkrete Ausführungen zu tätigen, verwehrt diesbezüglich zu argumentieren. Auch zur Ausführung, dass bei der Erstbefragung eine Rückübersetzung nur in Bezug auf die Niederschrift stattgefunden hätte, nicht jedoch auf den Gesundheitsfragebogen (Seite 8 der Niederschrift der Erstbefragung) ist es dem Bundesverwaltungsgericht nicht ersichtlich, auf welchen Mangel hier aufmerksam gemacht werden soll. Zum einen befindet sich auf Seite 8 der Erstbefragung kein Gesundheitsfragebogen, zum anderen war die rechtsfreundliche Vertretung persönlich während der Befragung anwesend und unterfertigte nach Rückübersetzung die Richtigkeit der Befragung mit seiner eigenhändigen Unterschrift. Auch der Hinweis, dass bei der Besprechung mit der seinerzeitigen Vertretung ein offensichtlich nicht geeigneter Dolmetscher beigezogen wurde und die Beschwerdeschriftsätze vor Einreichung nicht zur Durchsicht übermittelt wurden, ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht von Belang. Von entscheidender Bedeutung ist hiebei, dass wenn die Einvernahme derart fehlerhaft verlaufen wäre, davon auszugehen wäre, dass die BF1 dies jedenfalls im Zuge der Befragung vor der belangten Behörde erörtert hätte. Dabei ist nochmals festzuhalten, dass die Erstbefragung rückübersetzt wurde und die BF1 sowie ihre ebenfalls anwesende rechtsfreundliche Vertretung jederzeit die Möglichkeit gehabt hätten, eine falsche Protokollierung anzumerken. Für eine unvollständige oder falsche Protokollierung von Angaben eines Beschwerdeführers zum Fluchtgrund im Rahmen der Erstbefragung besteht aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes kein Ansatz. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes stellt sich das Vorbringen der BF1 über die angebliche Unrichtigkeit der Niederschriften als bloße Schutzbehauptung dar und ist jedenfalls nicht geeignet, deren Unrichtigkeit substantiiert darzutun.
Die niederschriftliche Einvernahme der BF1 vor dem Bundesamt wurde unter Anwesenheit einer geeigneten Dolmetscherin sowie unter Beachtung der verfahrensrechtlichen Vorschriften durchgeführt. Aus der der BF1 rückübersetzten mängelfreien Niederschrift sind keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten ersichtlich. Die BF1 bestätigte abschließend, dass sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen habe können und dass sie die Dolmetscherin gut verstanden habe. Ferner bestätigte sie eigenhändig die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift sowie deren Rückübersetzung. Diese Niederschrift über die Einvernahme der BF1 vor dem Bundesamt liefert vollen Beweis über den Verlauf und den Gegenstand der Amtshandlung (§ 15 AVG) und konnte demnach der Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden.
Dass die Kinder vom Ex-Gatten der BF1 nicht geschlagen wurden, hat die BF1 in der Einvernahme selbst bekannt gegeben. Weitere Ausführungen zu Haftungserklärung, dass Nachbarn die Polizei zweimal gerufen hätten und die Anzahl der in Österreich befindlichen Geschwister der BF1 üben keine relevante Änderung des Sachverhaltes aus und würden dementsprechend nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Zur fehlenden Fluchtalternative, weil die BF1 neben der Gefahr durch den Ehemann (gemeint ist vermutlich der Ex-Gatte) als alleinstehende Frau mit zwei Kindern ohne Schutz durch (männliche) Verwandte ihr Überleben nicht sichern könnte und von sexueller und sonstiger Ausbeutung bedroht wäre, ist anzuführen, dass die zitierte Stelle der Einvernahme sich auf die Frage bezieht, was dagegengesprochen hätte, wenn die Schwiegermutter oder ihre Schwägerin die BF1 in Sicherheit gebracht hätten. Aus der allgemeinen und inhaltsleeren Antwort, dass man als Frau in der Türkei aufgeschmissen sei, eine sexuelle oder sonstige Ausbeutung abzuleiten, ist ein reines konstrukt. Dass sich die BF1 nun auch auf die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden geschiedenen Frauen mit Kindern beruft, der deswegen eine asylrelevante Gefahr drohen würde ist anzumerken, dass dies von der BF1 in der mündlichen Verhandlung mit keinem Wort erwähnt wurde und die BF1 selbst vom Gegenteil überzeugte, indem sie nach der Scheidung noch über zwei Jahre als geschiedene Frau mit unmündigen Kindern in der Türkei verbrachte und bis auf die behaupteten Probleme mit dem Ex-Gatten keinerlei Schwierigkeiten zu gewärtigen hatte. Das übrige Vorbringen des Schriftsatzes (Hochzeit, Drohungen, Gewalttätigkeiten usw.) wurde bereits an früherer Stelle ausreichend erörtert.Ferner wird noch auf die akute Gefahr vewiesen, dass die BF1 durch ihren Ex-Mann emordet werden könnte, was die erwähnten und beigefügten Länderinformationen und Anfragebeantwortungen untermauern sollten. So hätte die BF1 auch noch im Jahr 2020 eine Morddrohung per Instagram erhalten, diesbezüglich wurde jedoch schon abgeklärt, dass aus dieser Nachricht nicht einmal hervorgeht, wer Empfänger der Nachricht ist.
Auch bezüglich vorhandener Verletzungun wurde bereits ausgeführt, dass nicht festgestellt werden kann, von wem und wann diese tatsächlich verursacht worden sind.
Von der rechtsfreundlichen Vertretung wird noch moniert, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative fehlen würde, weil der BF1 mit ihren beiden Kinden eine solche nicht zuzumuten wäre. Dazu ist auszuführen, dass der Ex-Gatte die BF aufgrund der Bevölkerungsanzahl und dem nicht funktionierenden Meldesystem nicht in der gesamten Türkei finden würde und die BF vom Vater der BF1 wie bereits vor der Ausreise finanziell unterstützt werden könnte. Diese finanzielle Unterstützung des Vaters erfolgte auch bereits jahrelang vor der Ausreise. Aufgrund des Umstandes, dass die BF1 keiner Tätigkeit nachging, wäre ihr ein Auskommen ohne familiäre Unterstützung auch schon vor der Ausreise nicht möglich gewesen. Zudem ist es der BF1 nicht verwehrt, soziale Hilfe in Anspruch zu nehmen und zumindest eine Tätigkeit auf Teilzeitbasis auszuüben. Bezüglich des Privat- und Familienlebens wird noch auf die Interessensawägung gem. Art 8 EMRK hingewiesen und vor allem darauf, dass das Kindeswohl Beachtung finden müsste.
Von der rechtsfreundlichen Vertretung wurde in den am 12.10.2020 eingebrachten Protokollanmerkungen gerügt, dass der Vater der BF1 am Betreten des Bundesverwaltungsgerichts, Außenstelle Linz, vom Sicherheitspersonal gehindert wurde. Dies wäre deswegen relevant, weil die erkennende Richterin bei der Schilderung der Übergriffe des Ex-Mannes festhielt, dass die BF1 diese völlig emotionslos geschildert hätte. Wäre der Vater der BF1 im Saal anwesend gewesen, hätte er bezeugen können, dass die BF1 diese Antwort nicht emotionslos geschildert hätte. Aus diesem Grund wird auch der Antrag gestellt, die ausgewiesene Rechtsvertretung als Zeugen zu vernehmen. Zudem hätte die BF1 bei der Rückübersetzung schon bestritten, dass die Anwort emotionslos erfolgt sei. Der Dolmetscher hätte diese Rüge jedoch nicht weitergegeben, weswegen diese auch nicht protokolliert worden wäre.
Für das Bundesverwaltungsgericht macht es im ggst. Fall zum einen keinen Unterschied ob der Übergriff emotionslos oder nicht geschildert wurde, weil dem Vorbringen der BF1 ohnehin – wie oben aufgezeigt - die Glaubwürdigkeit abgesprochen wird. Aus diesem Grund war auch keine nähere Auseinandersetzung mit etwaigen Emotionen bei der Antwort auf diese Frage in der Beweiswürdigung mehr notwendig. Zudem ist dem Protokoll der mündlichen Verhandlung sehr wohl zu entnehmen, dass die emotionslose Schilderung von der rechtlichen Vertretung bestritten wurde, dies wurde auch dementsprechend protokolliert. Auch bezüglich der Rügen während der Rückübersetung und der Unterstellung, dass diese nicht protokolliert worden wären, ist anzuführen, dass sämtliche Rügen der rechtfreundlichen Vertretung ordnungsgemäß (kursiver Text) protokolliert wurden. Die Rückübersetzung wurde einzig aus dem Grund abgebrochen, weil die BF1 dahingehend unbelehrbar war, dass sie den Dolmetscher nicht ständig in Diskussionen verwickeln möge. Weil auch unzählige Aufforderungen der Richterin keinen ordnungsgemäßen Ablauf mehr zuließen, wurde die Rückübersetzung kurz vor Protokollende abgebrochen. Auf die nicht rückübersetzten Passagen wurde zudem auch in den Protokollanmerkungen der rechtlichen Vertretung kein Bezug genommen. Dazu tritt, dass den Dolmetscher als nichtamtlichen Sachverständigen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit (§ 289 StGB) im Falle einer vorsätzlich falschen bzw. nicht vollständigen Übersetzung trifft und hätte dies bzw. eine Verurteilung wohl erhebliche Auswirkungen auf seine berufliche Existenz und ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb der Dolmetscher seine berufliche Existenz wegen der BF1 aufs Spiel setzen sollte. Im Übrigen wurde der nicht mehr rückübersetzte Teil der Niederschrift dem Rechtsvertreter sehr wohl zur Durchsicht vorgelegt.
Zur in der Verhandlung vorgelegten Bestätigung den Gesundheitszustand des BF2 betreffend sind folgende Überlegungen maßgeblich:Obwohl von der rechtlichen Vertretung im vorbereitenden Schriftsatz vom 27.09.2020 die posttraumatische Belastungsstörung mit keinem Wort erwähnt wurde, überrascht das vier Tage später verfasste Schreiben der Mag. XXXX , welche dieses Zustandsbild feststellte. Zusammenfassend führte Mag. XXXX aus, dass eine Überstellung in die Türkei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Retraumatisierung verbunden wäre und keinesfalls zugemutet werden sollte. Das Bundesverwaltungsgericht hält dessen ungeachtet fest, dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und der selbstmordgefährdet war, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Türkei ist kein ausreichendes „real risk“.
Das BVwG geht daher zusammenfassend davon aus, dass die BF die Türkei lediglich aus persönlichen Motiven heraus bzw. aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben. Dies wird vor allem auch dadurch demonstriert, dass die BF1 bekannt gab, dass der Erwerb von Kleidung und Spielzeug nur aufgrund der finanziellen Unterstützung des in Österreich wohnhaften Vaters möglich war und sie im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt zudem bekannt gab, dass sie in der Türkei nichts haben würde und nicht wüßte, wovon sie leben sollte. Auch die behauptete häusliche Gewalt entspricht nicht den Tatsachen, weil die BF1 wohl kaum mehr neun Jahre unbeschadet in der Türkei gelebt hätte. So lebte sie auch noch über zwei Jahre nach der erfolgten Scheidung und nachdem sie sich der Familie anvertraut haben will, in der Türkei. Aus diesem Grund sah das erkennende Gericht, ebenso wie bereits das BFA auch keine Veranlassung für weitergehende Erhebungen im Herkunftsstaat der BF1.
Zusammenfassend ist zum Vorbringen der BF1 auszuführen, dass das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangte, dass in den Angaben des BF glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht erkennbar waren.
2.8. Unter Heranziehung dieses Sachverhaltes und der offensichtlich mißbräuchlichen Asylantragstellung im Zusammenhang mit der allgemein gehaltenen, widersprüchlichen und teilweise nicht nachvollziehbaren Begründung der Anträge auf internationalen Schutz ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen der BF nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung der Asylanträge und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung – wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung – von Aufenthaltstiteln für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurde.
Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch, in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.
Selbst wenn die Erstbefragung keine detaillierte Aufnahme des Ausreisegrundes umfasst, wäre dennoch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedenfalls zu erwarten gewesen, dass von Asylwerbern schon in der Erstbefragung zuerst die unmittelbar erlebten Vorfälle grob dargelegt werden, anstatt sich auf allgemeine Aussagen zu beziehen und erst in Folge, nämlich anlässlich der Befragung des belangten Bundesamtes ein stark gesteigertes und zudem in sich widersprechendes Vorbringen zu erstatten.
Im gegenständlichen Fall wurde die Beschwerdeführerin1 einerseits ausführlich über die Bedeutung vollständiger Angaben belehrt und andererseits in den Einvernahmen auch befragt, ob sie alles vortragen konnte, was für das Verfahren erheblich erscheint. Dies wurde auch mehrfach bejaht. Angesichts der Angaben der BF1 bestand aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls kein Anlass zur Nachfrage, ob den BF noch andere Nachteile in der Türkei als die von der BF1 geschilderten befürchten würde. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens kann somit nicht erkannt werden. Dass die BF1 etwa aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage gewesen sein soll, bestimmte Tatsachen vorzubringen, wurde im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert behauptet und wurde den Einvernahmen auch ein Dolmetscher für die Sprache Türkisch beigezogen. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht verneinte die BF1 schließlich Schwierigkeiten mit dem im Verfahren erster Instanz beigezogenen Dolmetscher auf Nachfrage und fügte die rechtliche Vertretung nach der Rückübersetzung hinzu, dass das, was die BF1 gesagt habe, richtig ist.
2.9. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubhaft anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Vor diesem Hintergrund bestehen bereits im Hinblick auf die Steigerung des Vorbringens massive Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der BF.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es nun für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274; 26.06.2018, Ra 2018/20/0307 mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung (Vorverfolgung) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn eine Person im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob die Person im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203 mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat daher auch zu prüfen, ob den Beschwerdeführern zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ihrem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten haben.
Das Bundesverwaltungsgericht kann keine Rückkehrgefährdung erkennen, da die BF kein exponiertes persönliches Profil aufweisen, welches auf eine gegenüber der Durchschnittsbevölkerung höheres Risiko hindeutet.
2.10. Bezüglich der Situation von Frauen in der Türkei ist festzuhalten, dass, wenn sich die BF1 wegen ihrer Eigenschaft als alleinstehende und geschiedene Frau mit zwei unmündigen Kindern als verfolgt erachtet, eine Gruppenverfolgung sämtlicher Angehöriger des weiblichen Geschlechts in der Türkei ausweislich der Feststellungen nicht vorliegt. Festzuhalten bleibt weiter, dass nach der Rechtsprechung des VwGH Frauen Asyl beanspruchen können, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017-0018, m.w.N.). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (zuletzt VwGH 28.06.2018, Ra 2017/19/0579). Dabei führt nicht jede Änderung in der Lebensführung während ihres Aufenthaltes in Österreich, die im Fall der Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu, dass der Asylwerberin internationaler Schutz gewährt werden muss, sondern nur eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung, in der die Inanspruchnahme oder Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt und die im Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (zuletzt VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Die weiblichen BF konnten nicht glaubhaft machen, dass sie im Bundesgebiet einen Lebensstil tatsächlich leben, der einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein anerkannten und verbreiteten Werten im Herkunftsstaat darstellen würde, wobei insbesondere in diesem Punkt der persönliche Eindruck in der Verhandlung zu berücksichtigen ist.
Der allgemeine Hinweis darauf, dass es für Frauen in der Türkei gefährlich sei bzw. der pauschale Verweis auf die „Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der Frauen“ ist für sich alleine nicht geeignet, eine Gefährdung im Rückkehrfall glaubhaft zu machen (vgl. dazu VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, worin der Grundsatz wiederholt wird, dass das Vorbringen des Asylwerbers eine entsprechende Konkretisierung aufweisen muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen und dass die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, dem nicht gerecht wird).
Die weiblichen BF1 und BF3 sind im Fall einer Rückkehr in die Türkei auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund ihres weiblichen Geschlechts oder ihres westlichen Lebensstils gefährdet, wie bereits erörtert wurde.
Die Feststellungen betreffend die nicht vorhandene politische Betätigung der BF sowie die nicht vorhandenen Schwierigkeiten mit den Behörden ihres Heimatstaates beruhen auf den diesbezüglichen Angaben der BF1 vor der belangten Behörde und den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung. Die gegen die BF behaupteten Verfolgungshandlungen und Übergriffe des ehemaligen Gatten, konnten nicht glaubhaft gemacht werden. Den BF droht auch von staatlicher Seite keine Verfolgung.
Darüber hinaus konnten die BF keine mit ihrer kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit oder ihrer sunnitischen Religionszugehörigkeit in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten vor der Ausreise glaubhaft machen.
Da die BF1 keine staatliche Strafverfolgung in der Türkei aufgrund eines Kapitalverbrechens in den Raum gestellt hat und die Todesstrafe in der Türkei darüber hinaus abgeschafft ist, war dem folgend zur Feststellung zu gelangen, dass die BF im Fall einer Rückkehr nicht der Todesstrafe unterzogen würden. Ebenso kann aus dem Vorbringen keine anderweitige individuelle Gefährdung durch drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe abgeleitet werden, zumal keine aktuellen polizeilichen Maßnahmen wider die Beschwerdeführerin glaubhaft gemacht wurden und auch andere begangene Delikte nicht hervorgekommen sind.
2.11. Die BF1 verfügte vor ihrer Ausreise über ein Wohnhaus in XXXX , Köyu, das ihrem Vater gehört. Den BF steht die Rückkehr dorthin offen. Auch ist es den BF möglich, in einer der türkischen Metropolen Unterkunft zu nehmen, soziale Hilfe und die finanzielle Unterstützung des Vaters der BF1 in Anspruch zu nehmen. Aber auch Frauenhäuser stehen der BF1 zur Verfügung. So geht aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.01.2020 hervor, dass alle Frauen, auch kurdischer Herkunft, mit Kindern zu Frauenhäusern gehen und dort ihre Notlage, die zudem als gegeben hingenomen wird, erklären können. Bei freien Ressourcen kann die Frau mit ihren Kindern in den Frauenhäusern leben, der Staat übernimmt die volle Verantwortung hinsichtlich Verpflegung, Gesundheit, Bildung der Frau und Kinder.
Schließlich ist im vorliegenden Beschwerdefall zu beachten, dass es sich bei den beschwerdeführenden Parteien um eine Frau mit minderjährigen Kindern und damit um vulnerable und besonders schutzbedürftige Personen handelt. Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob den beschwerdeführenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besonders zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die BF tatsächlich vorfinden (siehe dazu statt aller VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336 mwN; VfGH 11.12.2018, E 2025/2018).
Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass die minderjährigen BF2 und BF3 keiner besonders gefährdeten Gruppe angehören und ist auch von einer Rückkehr der minderjährigen Kinder gemeinsam mit ihrer Mutter davon auszugehen, sodass die Betreuung, Erziehung und Beaufsichtigung der Minderjährigen sichergestellt ist.
Dass den minderjährigen BF2 und BF3 im Rückkehrfall keine geschlechtsspezifische Gewalt, Zwangsprostitution, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit oder Zwangsehe droht, wurde eingangs bereits erörtert.
Die BF1 vermitteltet den Eindruck, am Wohlergehen ihrer Kinder interessiert zu sein. Hinweise auf gewalttätige Übergriffe auf die Minderjährigen im Bundesgebiet liegen nicht vor. Ausgehend davon ist auch nicht zu befürchten, dass die minderjährigen BF im Rückkehrfall einem davon abgeleiteten Risiko ausgesetzt wären oder sie sonst von häuslicher Gewalt betroffen wären.
In der Türkei sind die ausreichende Grundversorgung mit Nahrung und medizinische Versorgung gegeben und steht den schulpflichtigen Kindern auch ein diskriminierungsfreier Zugang zum Schulsystem offen.
Ob der obenstehenden Erwägungen und den getroffenen Feststellungen zur Sicherheitslage in der Herkunftsregion der BF ist nicht zu besorgen, dass die minderjährigen BF als besonders vulnerable Personen im Rückkehrfall von terroristischen oder kriminellen Aktivtäten betroffen wären. Aufgrund der Verfahrensergebnisse ist auch nicht davon auszugehen, dass sie mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit sonstiger Gewalt, wie etwa Blutrache oder einem Ehrenmord, zum Opfer fallen würden.
Das Bundesverwaltungsgericht kann in Ansehung der persönlichen Profile der BF auch kein amtswegig wahrzunehmendes besonderes Gefährdungsmoment erkennen.
Aufgrund der oben dargelegten Erwägungen zur sozioökonomischen Lage kann schließlich nicht die reale Gefahr erkannt werden, dass die BF im Rückkehrfall von einer unzureichenden Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern oder von Unterernährung betroffen wären. Hinweise auf Versorgungsengpässe bzw. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, die Kinder für ihre Bedürfnisse benötigen, liegen ausweislich der Feststellungen nicht vor.
Die minderjährigen BF (zehn und sechs Jahre alt) befinden sich im anpassungsfähigen Alter, das in der Rechtsprechung der Höchstgerichte zwischen sieben und elf Jahren angenommen wird, sodass die Anpassung an jene Lebensverhältnisse, in denen sie vor ihrer Ausreise acht bzw. vier Jahe gelebt haben, bei einer Rückkehr mit ihrer Mutter zumutbar ist.
Ausgehend von den persönlichen Profilen der BF und den Erwägungen zur Lebensgrundlage im Herkunftsstaat geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die minderjährigen BF im Wege der Versorgung durch ihre Mutter und der durch die finanzielle Hilfe des Großvaters mütterlicherseits erlangbaren Hilfe nicht nur eine hinreichende Absicherung im Hinblick auf die Güter des täglichen Bedarfs, sondern insbesondere auch im Hinblick auf ihre altersgerechten Bedürfnisse erfahren werden.
In Ansehung der BF sind folgende Erwägungen zu im Rückkehrfall zu erwartenden sozioökonomischen Lage maßgeblich:
Demnach ist BF1 ist in XXXX geboren und hat acht Jahre die Schule besucht. Danach führte sie den Haushalt und kümmerte sich um die Erziehung der Kinder. Mit ihren Kindern hat sie zuletzt im Dorf XXXX , welches ca. 45 Minuten Fahrzeit von XXXX entfernt liegt, bei der Tante gelebt. Gegenüber dem Haus der Tante befindet sich das Haus des Vaters der BF1. Laut den Angaben der BF1 leben noch zwei Onkeln, eine Tante und der Großvater väterlicherseits in der Türkei.
Der BF2 besuchte dem Alter entsprechend in der Türkei die Schule, die BF3 war zum Zeitpunkt der Ausreise noch nicht schulpflichtig. Beide Kinder leben seit ihrer Geburt bei und von der Mutter.
Keiner der BF leidet an einer schweren Erkrankung, bzw. steht in ärztlicher Behandlung. Die BF sind auch keine Angehörigen der COVID-19 Risikogruppe.
Bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörung des BF2 wird ausgeführt, dass die Behandlung psychischer Erkrankungen überwiegend in öffentlichen Institutionen erfolgt. Dazu stehen seit 2017 elf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.000 zur Verfügung.
Sämtliche BF sind mit der Sprache sowie den Gebräuchen in ihrem Herkunftsstaat vertraut und konsumierten in der Türkei dem Alter entsprechend Schulbildung.
Der BF1 steht es frei, im Rückkehrfall einer Beschäftigung nachzugehen. Auch ist es ihr zumutbar, zumindest eine Teilzeitbeschäftigung aufzunehmen, um Beruf und Kindererziehung vereinen zu können. Die minderjährigen BF können nach der Rückkehr die Schule besuchen.
Im Hinblick auf die zur Zeit vorherrschende Pandemie wegen des Coronavirus, der daraus resultierenden Krankheit COVID-19 und der Situation in der Türkei kann aufgrund des typischen Krankheitsverlaufes und der persönlichen Situation der BF (aus den Altersangaben und den Angaben der BF zu ihrem Gesundheitszustand kann nicht geschlossen werden, dass die BF zur Gruppe der von COVID-19 besonders Gefährdeten gehört) und des Umstandes, dass der türkische Staat, wie sich aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt, auf die Situation bisher angemessen reagierte, nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Art. 2 bzw. 3 EMRK ausgesetzt wären. Ebenfalls kann dies nicht aus der Verpflichtung, sich anlässlich der Einreise einer Untersuchung zu unterziehen, bzw. sich in Quarantäne zu begeben, abgeleitet werden.
Zwar kann die wirtschaftliche Situation im Land für den Großteil der Bevölkerung durchaus als angespannt bezeichnet werden und wird die Wirtschaftsentwicklung sicherlich durch die Corona-Pandemie – wie in anderen Staaten der Erde auch – weiter gedämpft. Dass es Menschen in der Türkei grundsätzlich nicht möglich wäre, einer Arbeit nachzugehen oder dort massenhaftes Elend und Hunger herrschen würden, lässt sich der Quellenlage und der aktuellen Medienberichterstattung jedoch nicht entnehmen.
Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass den BF im Rückkehrfall als türkische Staatsbürger der Zugang zum dortigen Sozialsystem (siehe dazu die Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Türkei) offensteht, sodass insgesamt eine gesicherte Existenzgrundlage in der Türkei als erwiesen anzusehen ist. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass in der Türkei (wie nahezu weltweit) infolge der gegen die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 ergriffenen Maßnahmen mit wirtschaftlich nachteiligen Entwicklungen zu rechnen ist. Da die Türkei eine Industrienation ist, der OECD angehört und vom IWF unter die zwanzig Staaten mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt weltweit gereiht wird, geht das Bundesverwaltungsgericht indes nicht davon aus, dass die aktuellen Ereignisse zu einem dermaßen gravierenden Zusammenbruch der türkischen Wirtschaft führen werden, der mit einem Entzug der Lebensgrundlage für breite Bevölkerungsschichten verbunden ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Staat Türkei (wie nahezu alle anderen Staaten weltweit) entsprechende Maßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage einerseits und zur Absicherung der eigenen Staatsangehörigen in ihren Grundbedürfnissen andererseits ergreifen wird.Da für die BF darüber hinaus im Fall einer Rückkehr im Haus des Vaters der BF1 eine Wohnmöglichkeit in dessen Haus besteht, ist jedenfalls von einer Deckung der Grundbedürfnisse auszugehen. Dass die Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in die Türkei in eine existentielle Notlage im Hinblick auf die Versorgung mit Lebensmitteln und mit Wohnraum geraten würden, wurde im Übrigen auch nicht substantiiert vorgebracht. Zudem ist es dem Vater der BF1 nicht verwehrt, seine Tochter und die beiden Enkel nach wie vor von Österreich aus finanziell zu unterstützen, wie er es auch schon jahrelang vor der Ausreise und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet zu tun pflegt.
Der Vollständigkeit halber ist allgemein auf den versuchten Militärputsch in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 sowie den daran anschließenden und im Juli 2018 ausgelaufenen Ausnahmezustand einzugehen. Das Bundesverwaltungsgericht verweist diesbezüglich zunächst auf die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Türkei, welche die wesentlichen Ereignisse seit dem versuchten Militärputsch in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 abbilden. Darüber hinaus ist eine individuelle Betroffenheit der BF von diesen Ereignissen und den daraus erwachsenden Folgen dem Bundesverwaltungsgericht nicht erkennbar. Die BF hielten sich zur Zeit des versuchten Militärputsches in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 zwar in der Türkei auf, eine Beteiligung am Militärputsch kann den Aussagen der BF aber nicht einmal ansatzweise entnommen werden. Die BF gehören auch keiner gefährdeten Berufsgruppe an und brachten weder vor der belangten Behörde noch vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft ernsthafte Kontakte mit der Gülen-Bewegung, geschweige denn eine Mitgliedschaft ebendort, zum Ausdruck.
Die Sicherheitslage in der Türkei ist als angespannt zu bezeichnen und ist die Türkei nach wie vor mit einer gewissen terroristischen Bedrohung durch Gruppierungen wie den Islamischen Staat oder der PKK konfrontiert. Die BF haben indes diesbezüglich jedoch nicht dargetan, dass sie von der prekären Sicherheitslage in einer besonderen Weise betroffen wäre. Von einer allgemeinen, das Leben eines jeden Bürgers betreffenden, Gefährdungssituation im Sinne des Artikels 3 EMRK in der Türkei ist jedenfalls nicht auszugehen. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die türkischen Behörden ausweislich der getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat grundsätzlich fähig und auch willens sind, Schutz vor strafrechtswidrigen Übergriffen zu gewähren.
Hinsichtlich des bloßen Umstands der kurdischen Abstammung der BF ist zur Vollständigkeit auszuführen, dass sich entsprechend der herangezogenen Länderberichte und aktuellen Medienberichte die Situation für Kurden – abgesehen von den Berichten betreffend das Vorgehen des türkischen Staates gegen Anhänger und Mitglieder der als Terrororganisation eingestuften PKK und deren Nebenorganisationen, wobei eine solche Anhängerschaft hinsichtlich der BF nicht festgestellt werden konnte – nicht derart gestaltet, dass von Amts wegen aufzugreifende Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer eine maßgeblichen Intensität erreichenden Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse gerade an der Person der BF haben sollten, wurden nicht glaubhaft vorgebracht.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Zu A)
3.2. Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten
3.2.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:
„§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) …
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. | dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder |
2. | der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat. |
...“
Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag des BF inhaltlich zu prüfen war.
Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.
3.2.2. Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (in etwa VwGH vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731; vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre überhaupt fraglich, ob unter solchen Umständen noch von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (vgl. VwGH vom 20.05.2015, Zl. Ra 2015/20/0030 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153).
Die StatusRL 2011/95/EU sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 und vom 01.09.2005, 2005/20/0357).
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:
Es ist festzuhalten, dass die BF zur Furcht im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat vorbringen, dass sie Angst vor dem Ex-Gatten bzw. Vater hätten. Dass sie durch staatliche Behörden verfolgt worden wären bzw. ihnen eine Verfolgung durch staatliche Behörden drohen würde, wurde von ihnen zu keinem Zeitpunkt in substantiierter Weise behauptet oder belegt.
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft, wobei als zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ erachtet wird. Diese ist dann gegeben, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erschließt sich jedoch, dass die behauptete Furcht der BF, aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht begründet ist.
Im Bewusstsein dessen, dass die politische Lage in der Türkei angespannt ist, muss auch darauf hingewiesen werden, dass sich beschwerdegegenständlich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergaben, dass die örtlichen Sicherheitskräfte des Herkunftsstaates den BF gegenüber nicht schutzfähig oder schutzwillig gewesen wären.
3.2.3. Wie im gegenständlichen Fall aber bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen der BF zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).
Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von den BF behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).
Im Übrigen mangelt es diesem Vorbringen am erforderlichen zeitlichen Zusammenhang mit der späteren endgültigen Ausreise im Herbst 2018, weswegen diesen Ereignissen allein schon aus diesem Grund keine Asylrelevanz zukommen kann. Die Voraussetzung einer wohlbegründeten Furcht wird in der Regel nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0430, siehe auch VwGH 30.08.2007, Zl. 2006/19/0400; vgl. zur notwendigen Berücksichtigung der Umstände im Einzelfall auch das Erkenntnis des VwGH vom 07.11.1995, Zl 94/20/0793). Es fehlt im gegenständlichen Fall unzweifelhaft an einem zeitlichen Konnex zwischen jenen Vorfällen und seiner Ausreise sowie an der erforderlichen hinreichenden Aktualität einer Verfolgung bzw. Bedrohung. Die rein subjektive Befürchtung der BF1, ihr könne womöglich im Fall einer Rückkehr etwas zustoßen, vermag eine asylrelevante Gefährdung nicht aufzuzeigen. Es ergibt sich somit aus diesem Grund in Zusammenschau mit den getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat keine glaubhaft aktuelle und konkrete Gefährdung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.
Im vorliegenden Fall gelangt das Bundesverwaltungsgericht aus oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführer keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt waren oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wären, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).
Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten somit aus.
Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.
Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).
3.3. Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat
3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten:
„§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. | der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder |
2. | … |
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 … zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht.…“
Bereits § 8 AsylG 1997 beschränkte den Prüfungsrahmen auf den „Herkunftsstaat“ des Asylwerbers. Dies war dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen war, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300). Diese Grundsätze sind auf die hier anzuwendende Rechtsmaterie insoweit zu übertragen, als dass auch hier der Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Bestehend der Voraussetzungen, welche allenfalls zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen, sich auf den Herkunftsstaat beschränken.
Art. 2 EMRK lautet:
„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. (2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:
a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;
b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;
c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.“
Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.
Art. 3 EMRK lautet:„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).
Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).
Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).
Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.
Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffenen Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).
Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der bP zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.
Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).
Gem. der Judikatur des EGMR muss ein BF die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)
Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).
Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).
Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.
Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlich bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).
Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen: ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).
Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).
Dessen ungeachtet sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).
3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:
Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.
Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates der BF scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.
Da sich der Herkunftsstaat der BF nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.
Die Sicherheitslage hat sich zwar seit Juli 2015 verschlechtert, kurz nachdem die PKK verkündete, das Ende des Waffenstillstandes zu erwägen, welcher im März 2013 besiegelt wurde. Seither ist landesweit mit politischen Spannungen, gewaltsamen Auseinandersetzungen und terroristischen Anschlägen zu rechnen. Vom Sommer 2015 bis Ende 2017 kam es zu einer der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge in der Geschichte der Türkei aufgrund von Terroranschlägen der PKK, des Islamischen Staates und (in sehr viel geringerem Ausmaß) von Terroranschlägen linksextremistischer Gruppierungen. Die Intensität des Konflikts mit der PKK innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 ausweislich einer aktuellen Einschätzung des Auswärtigen Amtes nachgelassen.
Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben den Feststellungen zufolge auf die Sicherheitslage, wobei an dieser Stelle festzuhalten ist, dass die Herkunftsregion der BF nicht im unmittelbaren Grenzgebiet zu Syrien liegt. Außerdem ist festzuhalten, dass die BF nicht vorbrachten, von Kampfhandlungen oder Ausgangssperren betroffen gewesen zu sein. Eine individuelle Betroffenheit von Kampfhandlungen oder Ausgangssperren im Rückkehrfall ist demnach nicht zu befürchten, zumal die BF bezüglich ihres Aufenthalts in XXXX bis September 2018 keine Schilderungen diesbezüglich gemacht haben, sodass weitergehende Feststellungen hiezu nicht geboten sind.
Im Hinblick auf den versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführer weder in diesen verwickelt waren, noch einer seither besonders gefährdeten Berufsgruppe angehören und auch nicht der Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung bezichtigt werden.
Was die Folgen der COVID-19-Pandemie in der Türkei betrifft, so ist festzuhalten, dass es sich hiebei um eine derzeit weltweite auftretende Erkrankung handelt und in Ermangelung von Heilmitteln und Impfstoffen derzeit kein Staat der Welt Sicherheit vor dieser Erkrankung bieten kann, was die aktuellen Entwicklungen in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika belegen. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/ China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei der überwiegenden Mehrheit der Betroffenen leicht. Sehr schwere Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf. Der Beschwerdeführer gehört diesen Risikogruppen (vgl. dazu die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II. Nr. 203/2020) nicht an, sodass aus diesem Grund von keiner Art. 3 EMRK-Relevanz im konkreten Fall der Beschwerdeführer auszugehen ist. Eine durch die Lebensumstände im Zielstaat bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK setzt darüber hinaus in jedem Fall nach der Rechtsprechung eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr voraus. Die bloße Möglichkeit eines dem Art. 3 EMRK widersprechenden Nachteils reicht hingegen nicht aus, um Abschiebungsschutz zu rechtfertigen (VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174). Eine mögliche Ansteckung der Beschwerdeführer in der Türkei mit COVID-19 und ein diesbezüglicher außergewöhnlicher Krankheitsverlauf ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht absehbar und eine reale und nicht auf Spekulationen gegründete Gefahr somit nicht zu erkennen. Ergänzend ist festzustellen, dass die Beschwerdeführer auch keine Bedenken bezüglich der Rückkehrsituation im Lichte der COVID-19-Pandemie dargelegt haben. Eine bei der Rückkehr aus medizinischen Gründen allenfalls vorgeschriebene Quarantäne stellt keinen Eingriff in Art. 3 EMRK dar und findet ihre sachliche Rechtfertigung in der Hintanhaltung der Verbreitung von SARS-CoV-2.
Es kann auch nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in die Türkei die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), hat doch die BF1 selbst vorgebracht, dass ihr im Dorf XXXX , das ihrem Vater gehörende Haus zur Verfügung stehen würde. Zudem würde mit finanzieller Unterstützung des Vaters, die auch schon vor der Ausreise aus dem Herkunftsstaat erfolgte, im Falle einer Rückführung nicht jegliche Existenzgrundlage fehlen und sie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) keiner lebensbedrohenden Situation ausgesetzt sein. Auch spricht mit der vom Vater geleisteten finanziellen Unterstützung nichts gegen eine Ansiedlung in einem anderen Landesteil der Türkei.
Konträr zu den Darstellungen der BF1 geht das Bundesverwaltungsgericht nicht davon aus, dass der geschiedene Gatte über die Ressourcen verfügt, die BF im gesamten türkischen Staatsgebiet zu verfolgen, womit den BF jedenfalls die Möglichkeit der Unterkunftnahme in einem anderen Landesteil möglich wäre. Darüber hinaus stehen den Beschwerdeführern die in der Türkei vorhandenen Systeme der sozialen Sicherheit, darunter Sozialleistungen für Bedürftige durch die Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität als Anspruchsberechtigter offen, da sie über die türkische Staatsbürgerschaft verfügen. Ausweislich der Feststellungen zu Sozialbeihilfen in der Türkei sind nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 bedürftige Staatsangehörige anspruchsberechtigt, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt demgemäß nicht vor.
Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat der BF in einigen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.
Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.
Weitere, in der Person der BF begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.
Zur individuellen Versorgungssituation der BF wird weiter festgestellt, dass diese im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügen. Bei der BF1 handelt es sich um eine mobile, gesunde und arbeitsfähige Frau. Einerseits stammen die BF aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehören sie keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.
So war es der BF1 nach erfolgter Scheidung durch die finanzielle Hilfe des in Österreich aufhältigen Vaters noch jahrelang vor dem Verlassen des Herkunftsstaates möglich, dort das Leben mit ihren zwei Kindern zu meistern.
Zudem befinden sich in der Türkei noch der Großvater väterlicherseits, zwei Onkeln und eine Tante.
Bei den BF2 und BF3 handelt es sich um minderjährige Kinder, somit um besonders vulnerable Personen (vgl. dazu etwa die Begriffsdefinition in Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU ), sodass sich das Bundesverwaltungsgericht im Besonderen mit der Lage der minderjährigen BF im Rückkehrfall auseinandersetzen hat (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0089). In diesem Zusammenhang ist zunächst wesentlich, dass ausweislich der Feststellungen und der dazu angestellten beweiswürdigenden Erwägungen nicht nur von einer gesicherten Existenzgrundlage der Mutter auszugehen ist, sondern sich aufgrund der finanziellen Unterstützung des Vaters der BF1 ein für eine bescheidene Lebensführung hinreichendes Auslangen für die gesamte Familie auch unter Berücksichtigung der minderjährigen BF erwarten lässt. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, die Kinder für ihre Bedürfnisse benötigen (Obst, Milch oder medizinische Produkte), konnten im Rahmen der Recherche nicht erhoben werden, sodass keine dahingehenden Schwierigkeiten im Herkunftsstaat feststellbar sind.
Im gegenständlichen Fall sind die Mutter und die beiden Kinder türkische Staatsbürger; es sind alle im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen und teilen die Kinder somit das sozioökonomische Schicksal der Mutter. Wie beweiswürdigend näher ausgeführt, sind die Grundversorgung mit Nahrung und medizinische Versorgung in der Türkei gegeben und steht den schulpflichtigen Kindern auch ein diskriminierungsfreier Zugang zum Schulsystem offen. Eine Verletzung des Kindeswohles ist daher nicht ersichtlich, weswegen auch keine reale Gefahr einer Verletzung des Art 3 EMRK erkennbar ist. Auch aufgrund der Sicherheitslage ist eine Verletzung des Kindeswohls nicht zu besorgen.
Dass die minderjährigen BF in der Türkei nicht von geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsrekrutierung oder Zwangsarbeit betroffen sein werden, wurde bereits erörtert.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK hat kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland einer Abschiebung nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaats gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0142; 11.11.2015, Ra 2015/20/0196, mwN). Ausweislich der getroffenen Feststellungen leidet der BF2 nicht an einer schweren Erkrankung, es wurde eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Ferner steht ihm in seinem Herkunftsstaat der Zugang zu ärztlicher Hilfe sowie eventuell notwendiger Medikation offen. Im Übrigen legt der Beschwerdeführer auch nicht dar, welche Art von Spezialbehandlung er konkret benötigen würde, die in der Türkei nicht gewährleistet wäre.
Soweit im Schreiben der Mag. XXXX behauptet wird, dass eine Überstellung des BF2 aus medizinischer bzw. therapeutischer Sicht nicht vertretbar sei , ist festzuhalten, dass der Maßstab der Beurteilung der Zulässigkeit der Überstellung des BF2 aus juristischer und therapeutisch/medizinischer Sicht ein unterschiedlicher ist. Wenngleich es die Aufgabenstellung der Angehörigen eines medizinischen bzw. therapeutischen Berufes ist, den bestmöglichen psychischen Zustand des Patienten zu erhalten bzw. (Wieder-)herzustellen und aus dieser Sicht daher jede Maßnahme strikt abzulehnen ist, welche diesem Ziel entgegensteht, hat der BF2 aus juristischer Sicht jede Maßnahme hinzunehmen, welche keinen Eingriff in die durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellt. Diese Gegenüberstellung zeigt, dass der BF2 aus juristischer Sicht Beeinträchtigungen der Gesundheit hinzunehmen hat, welche von Angehörigen eines medizinischen bzw. therapeutischen Berufes jedenfalls abzulehnen sind, nämlich genau jene, welche zwar aus medizinisch-therapeutischen Sicht eine Beeinträchtigung bzw. ein Hindernis zur (Wieder-) herstellung der Gesundheit, aber noch keinen Eingriff in die durch Art. 3 EMRK dargestellten Rechte darstellen.
Aufgrund der hier vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung mag zwar dem Verfasser des erörternden Bescheinigungsmittels insoweit nicht entgegengetreten werden, als hieraus ableitbar ist, dass eine Überstellung in die Türkei zu einer Beeinträchtigung des gesundheitlichen Zustandes des BF2 führen bzw. eine Wiederherstellung der psychischen Gesundheit erschwert bzw. verzögert werden kann, womit jedoch noch nicht gesagt ist, dass dies zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führt.
Die genannten allgemeinen Ausführungen gelten auch beim Vorliegen psychischer Erkrankungen bzw. Störungen. Zur Verdeutlichung der vom EGMR gesetzten Schwelle sei hier auf die Application no. 7702/04 by SALKIC and others against Sweden hingewiesen, wo die Zulässigkeit der Abschiebung schwer traumatisierter und teilweise suizidale Tendenzen aufweisende Bosnier nach Bosnien und Herzegowina bejaht wurde, wobei hier wohl außer Streit gestellt werden kann, dass das bosnische Gesundheitssystem dem schwedischen qualitätsmäßig unterliegt.
Was die Folgen der COVID-19-Pandemie in der Türkei betrifft, so ist festzuhalten, dass es sich hiebei um eine derzeit weltweite auftretende Erkrankung handelt und in Ermangelung von Heilmitteln und Impfstoffen derzeit kein Staat der Welt Sicherheit vor dieser Erkrankung bieten kann, was die aktuellen Entwicklungen in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika belegen. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei der überwiegenden Mehrheit der Betroffenen leicht. Sehr schwere Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf. Die BF gehören diesen Risikogruppen (vgl. dazu die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II. Nr. 203/2020) nicht an, sodass aus diesem Grund von keiner Art. 3 EMRK-Relevanz im konkreten Fall der Beschwerdeführer auszugehen ist. Eine durch die Lebensumstände im Zielstaat bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK setzt darüber hinaus in jedem Fall nach der Rechtsprechung eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr voraus. Die bloße Möglichkeit eines dem Art. 3 EMRK widersprechenden Nachteils reicht hingegen nicht aus, um Abschiebungsschutz zu rechtfertigen (VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174). Eine mögliche Ansteckung in der Türkei mit COVID-19 und ein diesbezüglicher außergewöhnlicher Krankheitsverlauf sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht absehbar und eine reale und nicht auf Spekulationen gegründete Gefahr somit nicht zu erkennen. Ergänzend ist festzustellen, dass die Beschwerdeführer auch keine Bedenken bezüglich der Rückkehrsituation im Lichte der COVID-19-Pandemie dargelegt hat. Eine bei der Rückkehr aus medizinischen Gründen allenfalls vorgeschriebene Quarantäne stellt keinen Eingriff in Art. 3 EMRK dar und findet ihre sachliche Rechtfertigung in der Hintanhaltung der Verbreitung von SARS-CoV-2.
3.3.3. Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat die dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht über eine allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die BF somit nicht in ihren Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.
Weder droht im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde die Gefahr, der Todesstrafe unterzogen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen, sodass die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide zu Recht abgewiesen wurden.
3.4. Frage der Erteilung von Aufenthaltstiteln und Erlassung von Rückkehrentscheidungen
3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:
1. § 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:
§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“
§ 57 AsylG 2005, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.
(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.
(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“
§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
§ 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln:
2. § 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
3. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
4. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
5. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,
6. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder
7. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
8. (2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.
(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
9. (4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.
10. (5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.
11. (6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.
12. (7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.
13. (8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
14. (9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige
1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,
2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder
3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist
15. soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.
16. (10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
17. (11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist
1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder
2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.
Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.
18. (12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.
19. (13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn
1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und
2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.“
(14) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise allgemein und für den jeweiligen Aufenthaltstitel dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten.
§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:
„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,
2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I. Nr. 68/2017 aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.
Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel “Daueraufenthalt – EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.
(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“
§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.
(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.
Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
3.4.2. Die gegenständlichen, nach, nicht rechtmäßiger, Einreise in Österreich gestellten Anträge auf internationalen Schutz waren abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel des drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fallen die BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.
Es liegen keine Umstände vor, dass den BF allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargelegt.
Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
3.4.4. Die BF haben, von den Eltern, Geschwistern und weiteren Verwandten der BF1 abgesehen, in Österreich keine über ihre Kernfamilie hinausgehenden Verwandten und leben auch sonst mit keiner nahestehenden Person zusammen. Sie möchten offensichtlich das künftige Leben in Österreich gestalten und halten sich seit September 2018 im Bundesgebiet auf. Sämtliche BF reisten mit einem Visum C in das Bundesgebiet ein. Sie beziehen keine Grundversorgung und haben keine Deutschkurse besucht, sodass davon ausgegangen werden kann, dass innerhalb der Familie – zumindest überwiegend – türkisch gesprochen wird und auch die Kinder diese Sprache beherrschen. Der BF2 besucht die dritte Klasse der Volksschule, die BF3 den Kindergarten.
Die BF1 ist jedoch volljährig und arbeitsfähig. Abgesehen von der Unterkunftnahme während des Aufenthaltes im Bundesgebiet sind keine Hinweise auf eine ein- oder wechselseitige Abhängigkeit gegenüber den Angehörigen, wie zB eine Pflegeverhältnis, erkennbar. Mögen die Beschwerdeführer in Ermangelung einer anderen privaten Wohnmöglichkeit seit September 2018 auch mit den Eltern der BF1 an einer gemeinsamen Wohnadresse leben, so kann von einer besonderen Beziehungsintensität nicht ausgegangen werden, zumal vor der Einreise in das Bundesgebiet in der Türkei kein gemeinsames Familienleben bestand, weil die Eltern der BF1 schon jahrelang im Bundesgebiet aufhältig sind.
Vom Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8
EMRK
ist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. (vgl. dazu EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981, 118; EKMR 14.3.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention,
EMRK
- Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art.
8
; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1, ebenso VwGH vom 26.1.2006, 2002/20/0423).
Bei dem Begriff „Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK“ handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention.
Die Rückkehrentscheidung stellt somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, sondern allenfalls einen solchen in das Privatleben.
3.4.5. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.
Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.
Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der geltenden Judikatur Folgendes:
- Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:
Die BF sind seit September 2018 in Österreich aufhältig. Sie reisten mit einem Visum C in das Bundesgebiet ein und stellten im November 2018 Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art 8 EMRK, die abgewiesen wurden. Die dagegben eingebrachten Beschwerden wurden vom BVwG mit rechtskräftigen Erkenntnis vom 03.01.2020 als unbegründet abgewiesen. Bis zur Stellung der Anträge auf internationalen Schutz am 05.02.2020 waren die drei BF aus diesem Grund rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig. Danach konnten sie ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung der unbegründeten Asylanträge vorübergehend legalisieren. Hätten sie diese unbegründeten Asylanträge nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.
- das tatsächliche Bestehen eines Privatlebens:
Wie bereits erörtert, verfügen die BF über familiäre Anknüpfungspunkte. Dessen ungeachtet bestehen keine relevanten privaten Anknüpfungspunkte, gibt die BF1 doch dahingehend bekannt, dass sie keine österreichischen Freunde hat.
- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens
Die BF begründeten ihr Privatleben zu einem Zeitpunkt als sie mit einem Visum C im Septmber 2018 in das Bundesgebiet einreisten. Nach abgewiesenen Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art 8 EMRK, war der Aufenthalt lediglich durch die Stellung unbegründeter Asylanträge vorübergehend legalisiert. Auch war der Aufenthalt der BF zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt.
Letztlich ist auch festzuhalten, dass die BF nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zur Gänze abzubrechen. So stünde es ihnen frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN).
- Grad der Integration
Die BF sind –in Bezug auf ihr Lebensalter- erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig, haben hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und waren im Asylverfahren nicht in der Lage, ihre Anträge ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen.
Die BF1 besuchte bis dato keine Deutschkurse, erkundigte sich nicht bezüglich einer legalen Beschäftigung, ist kein Mitglied in einem Verein, hat keine österreichischen Freunde und leistet auch keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Es wurden auch keine Unterstützungsschreiben oder Einstellungszusagen vorgelegt.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier ohnehin nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).
- Bindungen zum Herkunftsstaat
Die BF verbrachten den überwiegenden Teil ihres Lebens in der Türkei, wurden dort sozialisiert, bekennen sich zum Islam und sprechen die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso ist davon auszugehen, dass in der Türkei Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- und/oder Bekanntenkreises der BF1 existieren, da nichts darauf hindeutet, dass sie vor der Ausreise im Herkunftsstaat in völliger sozialer Isolation gelebt hätte. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es den BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.
Auch betreffend der minderjährigen BF2 und BF3 ist festzuhalten, dass diese derzeit zehn und sechs Jahre alt sind und somit ebenfalls mehr als die Hälfte ihres Lebens in der Türkei verbracht haben. Die Abwägung zwischen den Bindungen zum Herkunftsstaat und den nunmehrigen Bindungen zu Österreich sind aus diesem Grund auch nicht anders zu bewerten, als im Hinblick auf die Mutter. Zudem hat in die Überlegungen einzufließen, dass die minderjährigen BF noch jung sind und über ihr Umfeld bzw. ihre Mutter die Kultur und Sprache ihres Herkunftsstaates auch nunmehr (weiter) vermittelt bekommen. Auch kann aufgrund der Sprachkenntnisse der Mutter davon ausgegangen werden, dass im Familienverband zumindest überwiegend in der Sprache des Herkunftsstaates kommuniziert wird und somit dieser „Vermittlungseffekt“ bis in die Gegenwart nachwirkt.
Ebenso befinden sich die minderjährigen BF in einem Alter erhöhter Anpassungsfähigkeit (vgl. Dr. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN). Es kann daher angenommen werden, dass es ihnen unter Nutzung dieser Fähigkeiten gelingt, sich spiegelbildlich betrachtet, ebenso wie in die österreichische auch wieder in die Gesellschaft ihres Herkunftsstaats vollständig zu integrieren.
Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist gerade Kindern, welche noch im jungen Alter sind und die mit ihren Eltern gemeinsam ausreisen, die (Re-)Integration im Herkunftsstaat der Eltern zumutbar. So nahm der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 30.08.2011, Zl. 2009/21/0015 an, dass bei einem 6 Jahre und 3 Monate dauernden Aufenthalt in Österreich erwartet werden kann, die Kinder werden sich im Rahmen des gewohnten familiären Umfeldes an die neuen Begebenheiten im Herkunftsstaat der Eltern anpassen können (vgl. auch VwGH vom 19. Mai 2011, Zlen. 2009/21/0115, 116, mwN). Selbst Schwierigkeiten bei der (Re) Integration sind in derartigen Fällen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen in Kauf zu nehmen (vgl. VwGH vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0282).
- strafrechtliche Unbescholtenheit
Die BF1 ist bislang strafrechtlich unbescholten, die BF 2 und BF3 sind strafunmündig.
Diese Feststellung stellt laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.
- Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts
Die BF hielten sich vom 03.01.2020 bis zum 05.02.2020 rechtswidrig im Bundesgebiet auf.
Soweit die minderjährigen BF hierbei keinen Einfluss auf das Verhalten ihrer Mutter hatten, wird auf die noch zutreffenden Ausführungen hinsichtlich der objektiven Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern hingewiesen, welche hier sinngemäß gelten.
- die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren
Den BF musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung der Asylanträge nur ein vorübergehender ist.
- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer
Ein derartiges Verschulden kann der Aktenlage nicht entnommen werden.
-Kindeswohl
Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 § 1666 Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).
Bei der Beurteilung, ob im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verletzung von durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten droht, ist nach der Judikatur des VwGH eine eventuelle besondere Vulnerabilität der Betroffenen im Speziellen zu berücksichtigen, wobei der VwGH auch auf die Definition schutzbedürftiger Personen in Art. 21. Der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) verweist (vgl. zuletzt VwGH vom 13.12.2018, Zl. Ra 2018/18/0336 sowie vom 30.08.2017, Zl. Ra 2017/18/0089 zum Irak sowie VwGH vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 und diverse andere zu Afghanistan). Art. 21 der Aufnahmerichtlinie zählt als besonders schutzbedürftige Personen unter anderem Minderjährige auf.
Der Verfassungsgerichtshof hat - aufgrund der vom BVwG selbst herangezogenen UNHCR-Richtlinien- in seiner Entscheidung vom 12.12.2018, Zl E 667/2018 hinsichtlich einer Familie aus Kabul festgehalten, dass Familien mit besonderem Schutzbedarf - nach Ansicht des UNHCR - nur dann eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offensteht, wenn sie Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, die Zurückkehrenden tatsächlich zu unterstützen. Die zugrundeliegende Entscheidung des BVwG wurde behoben, da vom BVwG nicht näher begründet wurde, warum es davon ausging, dass der Bruder der Erstbeschwerdeführerin eine sechsköpfige Familie ausreichend unterstützen könne bzw wolle. Es sei verabsäumt worden, die Erstbeschwerdeführerin zur konkreten Lebenssituation ihres Bruders und ihrer Schwester zu befragen.
Demnach wird von der Judikatur – zuletzt auch in einer Einzelentscheidung hinsichtlich des sicheren Herkunftsstaates Georgien (VwGH vom 07.03.2019, Ra 2018/21/0216 bis 0217-13) - eine konkrete Auseinandersetzung damit gefordert, welche Rückkehrsituation eine Familie mit minderjährigen Kindern im Herkunftsstaat tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479) sowie der Unterkunftsmöglichkeit (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Im vorliegenden Fall ist daher insbesondere zu berücksichtigen, dass unter den BF zwei minderjährige Kinder – somit Angehörige einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe - sind. Daher ist eine konkrete Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation, die die minderjährige BF bzw. die Mutter mit den minderjährigen Kindern im Heimatstaat tatsächlich vorfinden würden, erforderlich.
Im gegenständlichen Fall sind die Mutter und die beiden Kinder türkische Staatsbürger und sind alle im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen. Die Kinder teilen somit das sozioökonomische Schicksal der Mutter. Den BF stehen nach der Rückkehr sowohl private, karitative als auch bei Bedarf staatliche Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie Unterkunft finden werden und wird auf die Beweiswürdigung oben verwiesen. Eine Verletzung des Kindeswohles ist daher nicht ersichtlich.
- Zurechenbarkeit des Verhaltens der Mutter
Das ho. Gericht verkennt zwar nicht, dass sich die Kinder das Verhalten der Mutter im Rahmen der Interessensabwägung gemäß Art. 8 EMRK nicht im vollen Umfang subjektiv verwerfen lassen müssen, doch ist dieses Verhalten dennoch nicht unbeachtlich.
Der Verfassungsgerichtshof hielt in seiner Entscheidung vom 10.03.2011, Zl. B1565/10 (betreffend einem im Alter von 8 Jahren mit seinen Eltern eingereisten, im Entscheidungszeitpunkt 17jährigen, welcher beinahe die gesamte Schullaufbahn in Österreich absolvierte und herausragende sportliche Leistungen für einen österreichischen Sportklub erbrachte) fest, dass es in der Verantwortung des Staates gelegen ist, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem 17jährigen die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre, - neun Jahre verstreichen. Es sei die Aufenthaltsverfestigung des 17jährigen zwar überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgt, keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung sei vorgelegen; jedoch sei ihm als Minderjährigem, der seine Eltern nach Österreich begleitete, dies nicht in jenem Maße zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten. In diesem Fall wurde festgehalten, dass keine Anpassungsfähigkeit des 17jährigen mehr vorliege, der wesentliche Teile seiner Kindheit und Jugend in Österreich verbrachte (im Gegensatz zu Kindern, die sich im Zeitpunkt ihrer Ausweisung noch in anpassungsfähigem Alter befinden; vgl EMRK 26.01.99, Fall Sarumi, Appl 43279/98) und wurden grundsätzliche Ausführungen zur herabgesetzten Verantwortlichkeit von Minderjährigen getroffen.
Auch in der Entscheidung des VfGH vom 07.10.2010, Zl. B 950-954/10-08 wurde unter Bezugnahme auf das mangelnde Verschulden der Beschwerdeführer an der 7jährigen Verfahrensdauer festgehalten, dass die belangte Behörde bei ihrer Interessenabwägung zusätzlich stärker gewichten hätte müssen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer den Großteil ihres Lebens ins Österreich verbracht haben, sich mitten in ihrer Schulausbildung befanden und sich hier sowohl schulisch als auch gesellschaftlich sehr gut integriert haben.
Insbesondere hätte die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB VfGH 12.6.2010, U614/10) – in diesem Fall die Integration der Beschwerdeführer während ihrer einzigen Asylverfahren, welche für die Bf. 1, 2, 3 und 4 sieben Jahre (in denen keine einzige rechtskräftige Entscheidung ergangen ist) dauerten, erfolgte. Dass dies auf eine schuldhafte Verzögerung durch die Beschwerdeführer zurückzuführen wäre, wurde von der belangten Behörde weder dargestellt, noch war es aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten ersichtlich.
Obwohl der Verfassungsgerichtshof in diesen beiden Entscheidungen die den Beschwerdeführern nicht zurechenbarer Dauer der Asylverfahren als wesentliches Argument für eine Interessensabwägung zu Gunsten der Beschwerdeführer herangezogen hat, ist dennoch aus dem Beschluss des VfGH vom 12.6.2010, U614/10 ableitbar, dass in gewissen Fällen trotz fehlender subjektiver Vorwerfbarkeit des Verhaltens der Minderjährigen im Hinblick auf die Verfahrensdauer dennoch das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung in Bezug auf die minderjährigen Kinder eine Rolle spielt.
Es wird in diesem Zusammenhang auf die Erkenntnisse des VfGH vom 12.6.2010, erstens Zl. U 614/10 (Beschwerdeführerin wurde 1992 geboren, war zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich minderjährig, hatte zumindest am Anfang ihres Aufenthaltes in Österreich keinen Einfluss auf das bzw. die Asylverfahren, entzog sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Alter der mündigen Minderjährigkeit und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge), zweitens Zl. U613/10 (Beschwerdeführerin wurde 1962 geboren, war während des gesamten Verfahrens handlungsfähig und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge) und den Beschluss desselben Tages Zl. U615/10 ua (minderjährige Asylwerber während des gesamten Asylverfahrens, welche auf den Verlauf des Verfahrens bzw. der Verfahren keinen Einfluss hatten) hingewiesen. In diesen Verfahren stellte der VfGH in Bezug auf die 1962 geborene Beschwerdeführerin im vollen Umfang und in Bezug auf die 1992 geborene Beschwerdeführerin (Tochter der 1962 geborenen Beschwerdeführerin) in einem gewissen eingeschränkten Umfang fest, dass sich diese das Verhalten, welches zum langen Aufenthalt in Österreich führte, zurechnen lassen müssen und es daher nicht zu ihren Gunsten im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK geltend machen können. Obwohl die minderjährigen Beschwerdeführer auf das Verhalten ihrer 1962 geborenen Mutter und 1992 geborenen Schwester keinerlei Einfluss hatten und ihnen deren Verhalten, insbesondere jenes der Mutter, nicht subjektiv vorgeworfen werden konnte, wurde die Behandlung derer Beschwerden dennoch mit Beschluss U615/10 ua. abgewiesen.
Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).
Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine (damals) Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).
Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).
Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der (damals) Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.
Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.
3.4.6. Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der von den BF in ihrem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnisse mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen der privaten Interessen der BF am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.
Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).
Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende, außergewöhnliche und berücksichtigungswürdige Integration der BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Die BF halten sich im Vergleich zum Lebensalter erst einen kurzen Zeitraum in Österreich auf, die BF1 arbeitet nicht, absolvierte weder Deutsch- noch Integrationskurse, war nicht ehrenamtlich tätig und verfügt über keine österreichischen Freunde, wodurch eine gesellschaftliche Integration nicht erkennbar ist. Die BF haben den Großteil des Lebens in der Türkei verbracht und wurden dort sozialisiert. Es ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen Beziehungen zum Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zur Türkei eine – wenn überhaupt vorhandene – Integration in Österreich bei weitem überwiegen und die minderjährigen BF über ihre Mutter Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat haben.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse der BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordneten Rückkehrentscheidungen eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in den Beschwerden nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig wären.
3.5. Abschiebung
3.5.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).
Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in die Türkei unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt und wurden bzw. werden hierzu bereits an entsprechend passenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses Ausführungen getätigt, welche die in § 50 Abs. 1 und 2 FPG erforderlichen Subsumptionen bereits vorwegnehmen.
Es kamen keine Umstände hervor, die im Abschiebungsfall zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK führen würden und wird auf die Ausführungen im Rahmen des subsidiären Schutzes verwiesen. Es kamen auch keine Umstände hervor, welche insbesondere beim Ausspruch betreffend die Abschiebung zu berücksichtigen gewesen wären.
Eine im § 50 Abs. 3 FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.
3.5.2. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG.
Dass besondere Umstände, die die Drittstaatsangehörigen bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidungen geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Es wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zu den privaten und familiären Bindungen der BF und der Vorhersehbarkeit der Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes verwiesen. Die eingeräumte Frist erscheint angemessen und wurden diesbezüglich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift getroffen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen bereits festgehalten, dass es sich bei den in § 55 Abs. 2 und 3 FPG genannten „besonderen Umständen“, die gegebenenfalls im Rahmen der gebotenen Abwägung zu einer Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise über 14 Tage hinaus führen können, ohnehin nur um solche handeln kann, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind (VwGH vom 31.07.2020; Ra 2020/19/0252; vgl. VwGH 20.2.2014, 2013/21/0114; vgl näher zu der nach § 55 FPG zu setzenden Frist VwGH 16.5.2013, 2012/21/0072, mwN).
Im Hinblick darauf, dass das Gesetz bei der Verlängerung der in einer Rückkehrentscheidung festgelegten Ausreisefrist ebenfalls auf die "Regelung der persönlichen Verhältnisse" abstellt und die (Verlängerung der) Ausreisefrist auch der Sache nach i.W. dieselbe Zielrichtung hat wie der Durchsetzungsaufschub, ist die erwähnte Rechtsprechung auch bei der Auslegung des§ 55 Abs. 2 und 3 FPG einzubeziehen. Demnach muss es sich bei den in diesen Bestimmungen genannten "besonderen Umständen" um solche handeln, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind.
Dass bei der Beurteilung, ob derartige Gründe vorliegen, ein weites Verständnis geboten ist, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, die als Beispielsfall den Abschluss eines bereits begonnenen Semesters eines schulpflichtigen Kindes, der nicht im unmittelbaren und direkten Zusammenhang mit der "Vorbereitung und Organisation der Ausreise" steht, "oder gleichwertige Gründe" nennen. Dabei wurde offenbar auf den mit dieser Bestimmung umgesetzten Art. 7 Abs. 2 RückführungsRL Bedacht genommen und in diesem Sinn auch noch "die Dauer des bisherigen Aufenthaltes" als möglicher besonderer Umstand iSd § 55 Abs. 2 und 3 FPG erwähnt. Außerdem werden in der beispielsweisen Aufzählung der genannten Richtlinienbestimmung neben dem "Vorhandensein schulpflichtiger Kinder" überdies "das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen" angeführt.
Vor diesem Hintergrund ist § 55 Abs. 2 und 3 FPG auszulegen und zu beurteilen, ob im jeweiligen Einzelfall besondere Gründe im genannten Sinn, welche die Einräumung einer mehr als 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise notwendig machen, gegeben sind. Dabei ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Weiters ist zu beachten, dass es sich bei den Gründen, die eine Verlängerung der Ausreisefrist rechtfertigen können, schon definitionsgemäß um vorübergehende Umstände handeln muss; ihre Beseitigung bzw. ihr Wegfall muss absehbar sein.
3.5.3. Die Verhältnismäßigkeit der seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.
3.5.4. Da auch alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Rückkehrentscheidungen und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, waren die Beschwerden auch gegen diese Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.
3.6. Abweisung des Antrages auf Einvernahme des Rechtsvertreters als Zeugen
3.6.1. Im vorliegenden Fall hat die rechtliche Vertretung die Einvernahme des ausgewiesenen Rechtsvertreters als Zeugen beantragt. Dies zum Beweis darüber, dass der Vater der BF1, der am Betreten des Gebäudes aufgrund geltender COVID-19 Bestimmungen gehindert wurde, hätte bezeugen können, dass die BF1 die behaupteten Übergriffe ihres ehemaligen Gatten in der Verhandlung nicht emotionslos, sondern sogar sichtlich traumatisiert geschildert hätte.
3.6.2. Aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung folgt jedoch, dass Beweisanträge nicht mehr berücksichtigt werden müssen, wenn sich das Verwaltungsgericht aufgrund der bisher vorliegenden Beweise/Ergebnisse des bisher durchgeführten Ermittlungsverfahrens ein klares Bild über die maßgebenden Sachverhaltselemente machen kann (vgl. mit Verweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 Rz 23).
Auch aufgrund der übrigen Ergebnisse des Beweisverfahrens ergab sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ein hinreichend schlüssiges Gesamtbild, insbesondere betreffend die Unglaubwürdigkeit der BF1 und die Unglaubhaftigkeit ihrer Verfolgungsbefürchtungen im Rückkehrfall, sodass im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu den getroffenen Feststellungen gelangt werden konnte (vgl. VwGH 13.09.2002, Zl. 99/12/0139; 20.03.2014, Zl. 2012/08/0194). Zudem wurde die Stimmungslage der BF1 ohnehin nicht beweiswürdigend verwertet und würde die zeugenschaftliche Einvernahme auch nicht zu einem anderen Ergebnis führen.
Dem Antrag war daher nicht zu entsprechen.
B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, der hier vertretenen Zurechnungstheorie und den Anforderungen an einen Staat und dessen Behörden, um von dessen Willen und Fähigkeit, den auf seinem Territorium aufhältigen Menschen Schutz vor Übergriffen zu gewähren ausgehen zu können, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht. Entsprechende einschlägige Judikatur wurde bereits zitiert.
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