VwGH 2009/21/0115

VwGH2009/21/011519.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerden 1. des M, 2. der E, 3. der ED, 4. des Y, 5. des A,

6. der AD und 7. der P, alle vertreten durch die Kocher & Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark je vom 24. März 2009, Zl. E1/1537-2009 (ad 1.) und Zl. E1/1538/2009 (ad 2. bis ad 7.), jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Der Erstbeschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 und die zweit- bis siebtbeschwerdeführenden Parteien haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 57,40, jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution, zu ersetzen.

Begründung

Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eine siebenköpfige türkische Familie. Der Erstbeschwerdeführer (Vater bzw. Ehemann) erhielt zunächst mit Gültigkeit vom 4. Dezember 2000 bis 15. Mai 2001 eine Aufenthaltserlaubnis "Saisonarbeitskraft" und reiste im Dezember 2000 nach Österreich ein. In der Folge wurden ihm weitere Titel erteilt, und zwar vorerst wieder als "Saisonarbeitskraft" und dann zweimal eine Aufenthaltserlaubnis "Selbständig, § 7 Abs. 4 Z 4 FrG". Die letzte Aufenthaltserlaubnis war bis zum 30. Juni 2005 gültig, seither hält sich der Erstbeschwerdeführer ohne Titel im Bundesgebiet auf.

Die Zweitbeschwerdeführerin (Mutter bzw. Ehefrau) reiste gemeinsam mit den drei älteren Kindern (den dritt- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien) am 15. November 2003 auf Basis eines bis 29. November 2003 gültigen Besuchsvisums nach Österreich ein. Sie verblieben jedoch auch nach Ablauf des Visums im Inland und stellten einen Asylantrag (Zweitbeschwerdeführerin) bzw. Asylerstreckungsanträge (dritt- bis fünftbeschwerdeführende Parteien). Diese Anträge wurden erstinstanzlich im November 2004 und schließlich mit Berufungsbescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. Oktober 2007 abgewiesen. Die Behandlung dagegen erhobener Beschwerden lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17. Dezember 2007, Zlen. 2007/01/1221 bis 1224, ab. Mittlerweile hatte die Zweitbeschwerdeführerin im Jänner 2007 in Graz Zwillinge (die Sechst- und die Siebtbeschwerdeführerin) zur Welt gebracht.

Mit Bescheid vom 11. August 2008 wies die Bundespolizeidirektion Graz alle Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus. Den dagegen erhobenen Berufungen gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) mit den beiden nunmehr bekämpften Bescheiden vom 24. März 2009 (einerseits betreffend den Erstbeschwerdeführer und andererseits betreffend die zweit- bis siebtbeschwerdeführenden Parteien) keine Folge. Sie begründete das zusammenfassend im Wesentlichen damit, dass der Erstbeschwerdeführer zunächst im Rahmen der erteilten "Kontingentbewilligungen" als Arbeiter im Betrieb seines Schwagers beschäftigt gewesen sei. Am 29. Jänner 2003 habe er gemeinsam mit dem Schwager eine GmbH mit Sitz in Graz gegründet, deren Geschäftsführer er sei. Dessen ungeachtet halte sich der Erstbeschwerdeführer seit Ablauf des ihm zuletzt erteilten Titels mit 30. Juni 2005 unrechtmäßig in Österreich auf. Die Zweitbeschwerdeführerin sowie die drei älteren Kinder befänden sich seit Abschluss ihrer Asylverfahren (Ende 2007) ebenfalls illegal im Bundesgebiet, die beiden hier geborenen jüngsten Kinder hätten nie über eine Aufenthaltsberechtigung verfügt. Eine Legalisierung ihres Aufenthalts von Österreich aus sei den Beschwerdeführern nicht möglich. Da sie nunmehr den "vorgezeigten Weg" zur Erlangung eines Einreise- und Aufenthaltstitels nicht eingeschlagen hätten, stelle ihr Gesamtverhalten eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen dar. Das solcher Art bestehende gewichtige öffentliche Interesse an einer Ausreise der Beschwerdeführer werde durch ihre privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich, insbesondere zur Weiterführung der schulischen Ausbildung der drei älteren Kinder, nicht aufgewogen. Sie hätten nämlich keine genügende Veranlassung gehabt, von einer Erlaubnis zu einem dauerhaften Aufenthalt in Österreich auszugehen. Was den Erstbeschwerdeführer anlange, so werde seine Integration im Übrigen durch den langen unrechtmäßigen Aufenthalt seit 30. Juni 2005 relativiert. Bezüglich der anderen Beschwerdeführer sei zu berücksichtigen, dass ihr Aufenthalt zunächst lediglich auf im Ergebnis unberechtigte "Asylanträge" zurückzuführen und seit ca. eineinhalb Jahren ebenfalls unrechtmäßig sei. Die Ausweisung der Beschwerdeführer sei daher im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung (geordneter Zuzug von Fremden) dringend geboten, woran auch der gesicherte Unterhalt und die Unbescholtenheit der Beschwerdeführer nichts ändern könnten. Wenn in den Berufungen ausgeführt werde, dass die Beschwerdeführer in der Türkei über keine existentielle Grundlage mehr verfügten, so sei dem zu entgegnen, dass der Erstbeschwerdeführer seine mit dem Schwager in Österreich betriebene "Firma" auch "vom Ausland aus managen" könne.

Über die gegen diese Bescheide erhobenen, wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen:

Die Beschwerdeführer halten sich unbestritten unrechtmäßig in Österreich auf. Der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG ist daher erfüllt.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG aber nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Unter diesem Gesichtspunkt machen die Beschwerdeführer primär geltend, dass sie ordnungsgemäß gemeldet und wohnhaft sowie "sozial integriert" seien, dass der seit 2000 im Bundesgebiet aufhältige Erstbeschwerdeführer als Geschäftsführer der von ihm mitgegründeten GmbH monatlich EUR 1.500,-- beziehe, sodass der Aufenthalt der Beschwerdeführer "finanziell abgesichert" sei, dass die drei älteren Kinder in Österreich die Schule besuchten und die beiden jüngeren Kinder hier geboren worden seien, dass für alle Beschwerdeführer ein aufrechter Krankenversicherungsschutz bestehe und dass sie unbescholten seien.

All das hat die belangte Behörde im Ergebnis jedoch erkennbar ohnehin in ihre Interessenabwägung miteinbezogen. Die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Ermittlungsmängel liegen daher nicht vor. Soweit insbesondere gerügt wird, die belangte Behörde habe die in den Berufungen beantragte Einvernahme des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin unterlassen, ist ergänzend anzumerken, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 14. April 2011, Zl. 2010/21/0495).

Die belangte Behörde hielt den ins Treffen geführten integrationsbegründenden Umständen aber zutreffend entgegen, dass die Beschwerdeführer nicht auf einen (dauernden) Verbleib im Bundesgebiet hoffen durften. Das gilt zunächst für den Erstbeschwerdeführer, dem nur Aufenthaltserlaubnisse nach dem Fremdengesetz 1997 und damit lediglich solche Aufenthaltstitel zukamen, die von vornherein auf einen nur vorübergehenden Aufenthalt und nicht auf eine Niederlassung in Österreich angelegt waren. Was die Zweitbeschwerdeführerin und die drei älteren Kinder anlangt, so lag die Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus spätestens auf Grund der erstinstanzlichen Abweisung ihrer Asyl- bzw. Asylerstreckungsanträge auf der Hand, was auch bezüglich der beiden jüngsten Kinder durchschlagen muss. Wenn die Beschwerdeführer vorbringen, es sei durchaus nachvollziehbar, dass die Zweitbeschwerdeführerin und die Kinder seinerzeit bedacht gewesen seien, dem Erstbeschwerdeführer "nachzufahren", um mit ihm ein gemeinsames Familienleben zu führen, so weist das im Ergebnis nur auf eine von vornherein beabsichtigte Umgehung der österreichischen Aufenthaltsbestimmungen zum Zwecke des Familiennachzuges hin. Ein solcher kam in der gegenständlichen Konstellation jedoch von vornherein nicht in Betracht.

Die Beschwerdeführer bringen ergänzend vor, dass sie in der Türkei über keine "existentielle Grundlage" verfügten. Das wird allerdings - wie schon im Verwaltungsverfahren - nicht näher präzisiert. Außerdem bestreiten die Beschwerdeführer nicht die Feststellung der belangten Behörde, der Erstbeschwerdeführer könne seine Geschäftsführertätigkeit auch vom Ausland aus fortsetzen. Mithin kann auch in diesem Zusammenhang die Interessenabwägung der belangten Behörde nicht als verfehlt erkannt werden. Dass die belangte Behörde entgegen den Beschwerdeausführungen eine derartige Abwägung, wenn auch knapp, vorgenommen und sich nicht mit einer "Formalbegründung" begnügt hat, ergibt sich aus dem Vorgesagten.

Insgesamt ist zu betonen, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. August 2010, Zlen. 2010/21/0252 bis 0254). Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die - wie die Beschwerdeführer - nach Ablauf der Gültigkeit eines, zumal nicht auf einen dauernden Aufenthalt abzielenden, Aufenthaltstitels bzw. nach negativem Abschluss ihres Asylverfahrens in Österreich unrechtmäßig verbleiben, was nach dem eben Ausgeführten eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen darstellt.

Im vorliegenden Fall wird durch die - alle Familienmitglieder gemeinsam betreffende - Ausweisung nicht in ein Familienleben, sondern nur in das Privatleben der Beschwerdeführer eingegriffen und es liegen trotz der infolge ihres bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet erlangten Integration keine derart außergewöhnlichen Umstände vor, dass ihnen ein direkt aus Art. 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zugestanden werden müsste. Was die Kinder anlangt, so sei ergänzend angemerkt, dass sie einerseits (drittbis fünftbeschwerdeführende Parteien) die ersten Lebensjahre in der Türkei verbrachten, sodass vor allem in Hinblick auf den bei Bescheiderlassung "erst" knapp mehr als fünfjährigen Aufenthalt in Österreich eine gesellschaftliche Wiedereingliederung dort möglich erscheint und dass andererseits im Hinblick auf ihr Alter (Sechst- und Siebtbeschwerdeführerin) die Annahme gerechtfertigt erscheint, sie werden sich im Rahmen des gewohnten familiären Umfeldes an die neuen Gegebenheiten anpassen können. Eine Übersiedlung in ihr Heimatland ist daher auch aus dem Blickwinkel der dritt- bis siebtbeschwerdeführenden Parteien nicht unzumutbar (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation das hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, Zlen. 2010/21/0064 bis 0068).

Die Ansicht der belangten Behörde, die Ausweisung der Beschwerdeführer sei im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG als dringend geboten anzusehen, begegnet sohin keinen Bedenken.

Da auch die von den Beschwerdeführern erstattete Anregung auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen" den erlassenen Ausweisungen nicht im Wege steht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. November 2010, Zl. 2007/21/0556), waren die Beschwerden gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. Mai 2011

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