VwGH Ra 2017/20/0153

VwGHRa 2017/20/015310.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführers Mag. Honeder, in den Rechtssachen der Revisionen

1. des Z und 2. der M H, beide in K, beide vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 29. März 2017,

1) Zl. G307 2140370-1/11E und 2) Zl. G307 2140366-1/11E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1;
BFA-VG 2014 §19 Abs4;
BFA-VG 2014 §19 Abs5 Z2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
HerkunftsstaatenV 2009 §1 Z7;

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Zur Zulässigkeit der Revisionen wird - auf das Wesentliche zusammengefasst - vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe unrichtigerweise die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des albanischen Staates bejaht. Das Verwaltungsgericht habe einerseits seiner Entscheidung nicht die aktuelle Berichtslage zugrunde gelegt und andererseits nicht auf die besonderen Umstände der Situation des Erstrevisionswerbers, der Angehöriger der Staatsgarde - diese sei eine Spezialeinheit der albanischen Polizei und für den Personenschutz des jeweiligen Präsidenten zuständig - gewesen sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen, indem es die Länderberichte selektiv zum Nachteil der Revisionswerber gewertet habe. Zudem sei im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung bei der Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK nicht ausreichend auf die Schwangerschaft der Zweitrevisionswerberin und die mittels Kaiserschnitt erfolgte Geburt des Kindes Rücksicht genommen worden.

5 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 19 Abs. 5 Z 2 BFA-VG die Bundesregierung ermächtigt ist, mit Verordnung festzulegen, dass auch andere als in § 19 Abs. 4 BFA-VG genannte Staaten als sichere Herkunftsstaaten gelten. Dabei ist vor allem auf das Bestehen oder Fehlen von staatlicher Verfolgung, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Verletzungen von Menschenrechten Bedacht zu nehmen.

Gemäß § 1 Z 7 Herkunftsstaaten-Verordnung gilt Albanien als sicherer Herkunftsstaat, was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der albanischen Behörden spricht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. November 2016, Ra 2016/18/0233).

6 Den angefochtenen Entscheidungen ist unzweifelhaft zu entnehmen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Beurteilung auf die in den in Beschwerde gezogenen Bescheiden enthaltenen Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur Situation in Albanien, die wiederum auf die darin erwähnten Beweismittel gegründet sind, gestützt hat. Vor diesem Hintergrund trifft der Vorwurf der revisionswerbenden Parteien, es sei nicht die aktuellste Berichtslage verwertet worden, nicht zu. Darin finden nämlich durchwegs auch neuere Quellen als der von den revisionswerbenden Parteien zitierte Bericht Erwähnung. Zudem enthalten diese auch ausführliche Feststellungen zum Thema "Blutrache", denen gerade auch der in den Revisionen zitierte Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13. Juli 2016 zugrunde gelegt wurde.

Dass die aus den die Lage in Albanien betreffenden Feststellungen in ihrer Gesamtheit, insbesondere zu den Themen "Sicherheitslage", "Rechtsschutz/Justizwesen", "Sicherheitsbehörden", "Korruption" und "Blutrache", vom Bundesverwaltungsgericht gezogenen rechtlichen Schlüsse fehlerhaft wären, vermögen die Revisionen nicht aufzuzeigen. Die Behauptung einer bloß selektiven Verwertung von Feststellungen stellt sich am Boden des Inhalts der angefochtenen Entscheidungen als nicht zutreffend dar.

Soweit der Erstrevisionswerber auf besondere Umstände seines Falles verweist, legt er nicht dar, worin diese besondere Umstände bestehen sollten. Warum ihm als ehemaligen Polizeibeamten kein staatlicher Schutz - es wurde keine vom albanischen Staat, sondern eine von Privatpersonen ausgehende Verfolgung behauptet - zuteil werden würde, lassen die Revisionen im Dunkeln.

Die revisionswerbenden Parteien sind in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates nicht bereits dann gesprochen werden kann, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. nochmals das bereits erwähnte sich ebenfalls mit der Situation in Albanien und dem Thema "Blutrache" befassende Erkenntnis vom 16. November 2016, mwN).

Soweit sich die revisionswerbenden Parteien in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts richten, ist ihnen entgegenzuhalten, dass sich das diesbezügliche Vorbringen seinem Inhalt nach nicht auf die Beweiswürdigung, sondern auf die - bereits oben behandelte - rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts bezieht.

7 Bezüglich der nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz vorgenommenen Interessenabwägung sind die revisionswerbenden Parteien darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 6. April 2017, Ra 2017/20/0091, und vom 30. Mai 2017, Ra 2017/19/0054 bis 0056, jeweils mwN). Mit dem Revisionsvorbringen wird nicht aufgezeigt, dass die im Einzelfall vorgenommene Abwägung des Bundesverwaltungsgerichts unvertretbar erfolgt wäre.

Wenn die Zweitrevisionswerberin im Zusammenhang mit der Interessenabwägung schließlich auch Umstände ins Treffen führt, die sich nach Erlassung der angefochtenen Erkenntnisse ereignet haben, ist sie auf das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) hinzuweisen. Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG kann aber nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot fällt (vgl. den hg. Beschluss vom 19. Juni 2017, Ra 2016/19/0297 bis 0299, mwN).

8 Die Revisionen waren sohin gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 10. August 2017

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