European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00151.22T.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
I.1. Das mit Beschluss vom 30. März 2020 bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof am 17. März 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.
I.2. Die Bezeichnung der klagenden Partei(en) wird wie aus dem Kopf ersichtlich richtiggestellt.
I.3. Die Schriftsätze der klagenden Parteien vom 25. Oktober 2022 sowie vom 11. Juli 2023 und der beklagten Partei vom 6. September 2022 werden zurückgewiesen.
II. Der Revision der klagenden Parteien wird teilweise Folge gegeben.
II.1. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden in Ansehung der Abweisung des Feststellungsbegehrens als Teilurteil bestätigt.
Die Kostenentscheidung betreffend das Teilurteil bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
II.2. Im Übrigen, in Ansehung der Abweisung des Zahlungs- und des Eventualzahlungsbegehrens sowie der Kostenentscheidung, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache wird insofern an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des diesbezüglichen Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
BegründungundEntscheidungsgründe:
Zu I.:
[1] 1. Der Senat hat das vorliegende Revisionsverfahren mit Beschluss vom 30. 3. 2020, GZ 4 Ob 12/20y‑49, bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag nach Art 267 AEUV unterbrochen und angeordnet, dass das Verfahren nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt wird.
[2] Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen,liegt vor. Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.
[3] 2. Der vormalige Kläger R* ist am 9. 9. 2019 verstorben; die Verlassenschaft wurde bereits mit – vor Erstattung der Revision gefasstem und in Rechtskraft erwachsenem – Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 6. 2. 2020, AZ *, seiner Witwe und seinen beiden Kindern zu je einem Drittel eingeantwortet; aufgrund dieser Gesamtrechtsnachfolgen (vgl Nunner‑Krautgasser in Fasching/Konecny 3 Vor § 1 ZPO [2015] Rz 148 f) war die Bezeichnung der klagenden Partei(en) nach § 235 Abs 5 ZPO von Amts wegen richtigzustellen (vgl RS0039627; RS0000737).
[4] 3. Im Revisionsverfahren erstattete Schriftsätze der Parteiensind unzulässig und daher zurückzuweisen (RS0041666).
Zu II.:
[5] Die Leasinggesellschaft P* AG (die unstrittig in der Folge alle klagsgegenständlichen Ansprüche an den vormaligen Kläger als Leasingnehmer und späteren Fahrzeugerwerber und -eigentümer abgetreten hat) erwarb am 2. 9. 2010 von der beklagten Autohändlerin um 23.182,65 EUR den Neuwagen VW Golf Variant NEU CL BM Technology TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) *.
[6] Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 6. 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007). Es ist mit einem 1,6 l‑Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse Euro 5 ausgestattet.
[7] Gemäß der EU‑Betriebsgenehmigung sollte dieses Fahrzeug der Euroabgasnorm 5 und dieser entsprechende Stickoxid‑(NOx‑)Abgaswerte aufweisen. Der Dieselmotor war aber mit einer Software („Umschaltlogik“) ausgestattet, die bewirkte, dass das Fahrzeug nur am Prüfstand (NEFZ) die NOx-Werte der Euro 5‑Abgasnorm einhielt, während es im normalen Fahrbetrieb auf Straßen einen deutlich höheren NOx-Ausstoß aufwies, weil im normalen Straßenverkehr (Modus 0 oder Standardmodus 0) weniger Abgase rückgeführt wurden als am Prüfstand (Modus 1 oder NEFZ-Modus 1). Die Abgasrückführung dient der Reduktion der NOx-Werte. Ein Teil des bei der motorischen Verbrennung entstandenen Gases wird dem Verbrennungsmotor rückgeführt und dort mit Frischluft vermengt, wodurch der Sauerstoffgehalt der Frischluft und dadurch die Verbrennungstemperatur absinkt, und es im Verbrennungsprozess zu niedrigeren NOx‑Emissionen kommt. Wird die Abgasrückführung erhöht, so sinken die NOx‑Emissionen, die Rußemissionen aber steigen an und werden im Dieselpartikelfilter gesammelt.
[8] Für den gegenständlichen Fahrzeugtyp wurde vom zuständigen deutschen Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die EG-Typengenehmigung erteilt. Die „Umschaltlogik“ (Standardmodus 0 und NEFZ-Modus 1) war dem KBA gegenüber nicht offengelegt.
[9] Am 15. 10. 2015 ordnete das KBA (unter anderem) an, zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der genehmigten Aggregate des Typs EA189 Euro 5 die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen.
[10] Um den geforderten Zustand herzustellen, hat der Hersteller ein Software-Update entwickelt. Dieses bewirkt, dass die „Umschaltlogik“ eliminiert wird, wodurch das Fahrzeug durchgehend im Modus 1 betrieben wird. Die Fahrzeuge verfügen auch nach dem Software-Update über ein sogenanntes „Thermofenster“, bei dem die volle Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius erfolgt, jedoch außerhalb dieses Temperaturbereichs sowie wenn das Fahrzeug über 1.000 m Seehöhe fährt, „sukzessive zurückgemindert“ bzw „nicht sofort deaktiviert, sondern [...] nur sukzessive verringert“ wird, wodurch „in diesem Bereich NOx‑Überschreitungen auftreten können“.
[11] Der vormalige Kläger ging davon aus, dass er ein Fahrzeug kaufen werde, das den gesetzlichen (unionsrechtlichen) Vorgaben entspricht. Hätte er gewusst, dass wegen einer vom Hersteller implementierten Software zu befürchten ist, dass er das Fahrzeug im Straßenverkehr nicht mehr benützen darf, hätte er es nicht gekauft. Er erfuhr mit Schreiben des Generalimporteurs vom 8. 10. 2015 davon, dass sein Fahrzeug von den Abgasmanipulationen betroffen ist. Die Beklagte hatte vor der im Herbst 2015 beginnenden medialen Berichterstattung zum „VW‑Dieselabgas‑Skandal“ keine Kenntnis von der Motorsteuerungssoftware.
[12] Das Software‑Update am klägerischen Fahrzeug wurde am 18. 4. 2017 durchgeführt.
[13] Die Kläger begehrten vorerst 14.347,65 EUR samt 4 % Zinsen seit 11. 10. 2010, nämlich die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und unter Abzug eines Benützungsentgelts von 8.335 EUR, das sie sich anrechnen ließen; in der letzten erstinstanzlichen Tagsatzung wurde das Klagebegehren auf Rückzahlung des gesamten Kaufpreises von 23.182,65 EUR, „in eventu“ 14.347,65 EUR, ausgedehnt. Weiters wurde die (mit 5.000 EUR bewertete) Feststellung begehrt, dass die Beklagte den Klägern für künftige Schäden „aus Verkauf und Lieferung“ des Fahrzeugs hafte. Die Kläger würden vom Gewährleistungsbehelf der Wandlung Gebrauch machen und erklären, vom Kaufvertrag zurückzutreten. Hilfsweise wurde auch gemeinsamer Irrtum, „allenfalls“ auch von der Beklagten veranlasster Irrtum und arglistige Täuschung („wegen vorsätzlicher Unterdrückung von wahren Tatsachen“) geltend gemacht und das Rückersatzbegehren auch darauf gestützt. Der Vertragsschluss zwischen den Parteien sei sittenwidrig, der Vertrag sei nichtig. Die Mängel des erhöhten Schadstoffausstoßes und der Manipulation der Motorsteuerung, welche eine Herabsetzung des (Wiederverkaufs-)Werts des Fahrzeugs bewirkt habe, seien wesentlich und unbehebbar und durch das Update nicht behoben. Die EU‑Typgenehmigung des Updates sei zufolge des Thermofensters mit der auf einen Temperaturbereich von 15 Grad Celsius bis 33 Grad Celsius Außentemperatur und 250 m Seehöhe eingeschränkten Wirksamkeit – was die Beklagte verschwiegen habe – nicht rechtmäßig erteilt worden. Die Beklagte habe als Erfüllungsgehilfin der Herstellerin den vormaligen Kläger und Millionen andere Fahrzeugkäufer absichtlich in betrügerischer Weise und arglistig getäuscht. Wenn der vormalige Kläger von den Mängeln des Fahrzeugs und von der von der Beklagten als Erfüllungsgehilfin verheimlichten Software gewusst hätte, welche die Schadstoffemissionen in betrügerischer Weise und arglistig verändere, hätte er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Der vorsätzliche Schädiger und Betrüger solle nicht an die „Wohltat der Nutzungsentschädigung“ gelangen, bei der es sich um einen Vorteilsausgleich handle.
[14] Die Beklagteerwiderte, es liege kein Mangel des Fahrzeugs vor, es entspreche zumal nach Durchführung des Updates den unionsrechtlichen Vorschriften. Es sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Die volle Abgasregelung finde zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius statt, im Übrigen werde zum Schutz von Motor und Abgasanlage eine Korrektur der Abgasreduktionsrate über die Frischluftzufuhr vorgenommen. Beachtlicher Irrtum, List oder Sittenwidrigkeit lägen nicht vor, das Feststellungsinteresse fehle. Das der Beklagten zustehende Benützungsentgelt sei höher als der in der Klage abgezogene Betrag; es werde ein Benützungsentgelt von 19.182,65 EUR (der Differenz zwischen Kaufpreis und derzeitigem Händlereinkaufspreis von 4.000 EUR) compensando eingewendet. Der Beginn des Zinsenlaufs werde bestritten.
[15] Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab, weil der ursprüngliche Mangel des Fahrzeugs durch das Software‑Update behoben worden sei. Gemeinsamer Irrtum könne schon deshalb nicht vorliegen, weil die Kläger klaglos gestellt seien. Die Beklagte habe nicht rechtswidrig und schuldhaft oder arglistig gehandelt, sodass das Feststellungsbegehren, das zudem nicht subsidiär erhoben worden sei, nicht berechtigt wäre.
[16] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Der Hersteller sei nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers, der für jedes Verschulden des Produzenten haften würde. Durch das Update sei der Mangel der „Umschaltlogik“ behoben worden, es lägen weder Rechts- noch Sachmängel vor, zumal die Abgasreduktion eine unionsrechtlich zulässige Maßnahme sei. Irrtumsrechtliche Anfechtung werde im Berufungsverfahren nicht mehr geltend gemacht, zudem seien die Kläger klaglos gestellt. Auch Ausführungen zum Feststellungsbegehren enthalte die Berufung nicht mehr.
[17] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert seines Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR nicht übersteige, und ließ die ordentliche Revision im Hinblick auf die Vielzahl an von manipulativer Software betroffenen Fahrzeuge zu.
[18] Die ordentliche Revision der Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt die Abänderung im klagsstattgebenden Sinne; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[19] Die Beklagte beantragt Zurück-, hilfsweise Abweisung der Revision.
[20] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; sie ist teilweise im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[21] Die Kläger machen in der Revision ausdrücklich nur geltend, dass das Berufungsgericht das Wandlungsbegehren bejahen hätte müssen, weil das Software‑Update keine Verbesserung des ursprünglichen Mangels bewirkt habe, sondern ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung sei.
[22] 1.1. Schon das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Kläger in der Berufung die Abweisung des Feststellungsbegehrens nicht mehr konkret bekämpft haben; dies gilt auch für die Revision.
[23] 1.2. Ergänzend ist festzuhalten, dass sich das Feststellungsbegehren ausdrücklich auf Schäden „aus Verkauf und Lieferung“ des Fahrzeugs bezogen hatte, nach den Feststellungen die Beklagte aber beim Verkauf des Fahrzeugs von der ursprünglichen „Umschaltlogik“ nichts wusste. Die weitwendigen klägerischen Ausführungen, warum Handlungen der Fahrzeugherstellerin einen Schadenersatzanspruch gegen die beklagte Händlerin begründen würden, gingen daher, wie die Vorinstanzen im Ergebnis richtig erkannten, ins Leere.
[24] 1.3. Die Abweisung des Feststellungsbegehrens war daher als Teilurteil zu bestätigen; der diesbezügliche Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 4 ZPO.
[25] 2. Wie bereits zuvor in der Berufung kommen die Kläger auch in ihrer Revision auf Irrtum oder Arglist beim Kauf als Anspruchsgrundlagen nicht mehr zurück; auch auf diesen selbständigen Anspruchsgrund ist nicht mehr einzugehen (vgl RS0041570; RS0043338; RS0043352 [T30, T31]).
[26] Da auch sonstige Anspruchsgründe weder in erster Instanz noch im Rechtsmittelverfahren substanziiert ins Treffen geführt wurden, hat sich das weitere Verfahren auf den Anspruchsgrund der Gewährleistung zu beschränken.
[27] 3.1. Nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
[28] 3.2. Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG normiert nur drei Ausnahmetatbestände von diesem grundsätzlichen Verbot von Abschalteinrichtungen. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten. Die weitere Ausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit b VO 715/2007/EG (dass die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist) ist hier nicht einschlägig. Nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit c VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, (ausnahmsweise) nicht unzulässig, wenn „die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind“.
[29] 3.3. Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638; RS0037797). Soweit sich die Beklagte auf eine Ausnahme vom Verbot des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG stützen will, läge es daher an ihr, die für die Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen (6 Ob 155/22w Rz 66; 1 Ob 149/22a Rz 46; 10 Ob 31/23s Rz 25).
[30] 4.1. Der Oberste Gerichtshof hat unter Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen,bereits ausgesprochen, dass die auch beim gegenständlichen Fahrzeug zum Übergabezeitpunkt vorhandene „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist (10 Ob 2/23a [Teilurteil vom 21. 2. 2023] Rz 47; 9 Ob 68/22y Rz 26; vgl schon 10 Ob 44/19x Pkt E.2.1).
[31] 4.2. Ebenfalls bereits geklärt ist, dass eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne von Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG ist, wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 62; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 74; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 94 f; ÖJZ 2023/16 [Brenn]; 10 Ob 31/23s Rz 28; 2 Ob 5/23h Rz 26; 6 Ob 155/22w Rz 38 f; 10 Ob 2/23a [Teilurteil vom 21. 2. 2023] Rz 59 f).
[32] Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs fällt eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, überdies – ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen – nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 74, 81; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 65, 70; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 77, 82; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 90 f; 10 Ob 2/23a [Teilurteil vom 21. 2. 2023] Rz 61 f; 10 Ob 31/23s Rz 31 mwN).
[33] 4.3. Zur Frage der Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit c VO 715/2007/EG hat der Oberste Gerichtshof zusammengefasst dahin Stellung genommen (10 Ob 31/23s Rz 36 ff mwN), dass die VO 715/2007/EG dem Risiko, dass Emissionsgrenzwerte unter Prüfbedingungen eingehalten werden, die Wirkung des Emissionskontrollsystems jedoch ansonsten (unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind) verringert wird, durch das grundsätzliche Verbot von Abschalteinrichtungen begegnet. Das bedeutet, dass bei einer Abschalteinrichtung, deren Wirkung unter Prüfbedingungen auf die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte geprüft werden konnte, keine Umgehung der Messverfahren anzunehmen ist; eine solche Abschalteinrichtung könnte nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit c VO 715/2007/EG zulässig sein. Eine Abschalteinrichtung, die unter den genormten Prüfbedingungen nicht aktiv ist – etwa weil sie bei anderen Temperaturen aktiviert wird, als sie während des Prüfstandstests herrschen oder die Bedingungen der Abschalteinrichtung in den sonstigen Prüfverfahren (etwa zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen) nicht abgebildet werden –, wäre daher nicht nach dieser Verbotsausnahme zulässig, weil diesfalls ihre „Bedingungen“ im Prüfverfahren nicht „im Wesentlichen enthalten“ sind.
[34] 5.1. Der Oberste Gerichtshof hat zur Frage der gewährleistungsrechtlichen Ansprüche eines Käufers gegen einen ihm ein Fahrzeug verkaufenden Fahrzeughändler bereits ausgesprochen, dass ein auch nach Durchführung des Software-Updates verbleibendes „Thermofenster“, das dazu dient, dass die volle Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius erfolgt und nur zwischen vier und fünf Monaten des Jahres voll aktiv ist (wodurch im übrigen, überwiegenden Teil des Jahres die Abgasrückführung hingegen durch die programmierte Abschalteinrichtung reduziert wäre), selbst dann nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG zulässig wäre, wenn sie erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Da eine solche Abschalteinrichtung – das hier zu beurteilende „Thermofenster“ – unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres aktiv wäre, wäre ein damit ausgestattetes Fahrzeug nach der – auch hier anzuwendenden – Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rz 73, 81; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 65, 70; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 77, 82; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 90 f) weiterhin mangelhaft im Sinne des § 922 ABGB (vgl 10 Ob 2/23a [Teilurteil vom 21. 2. 2023] Rz 53 ff [insb Rz 71 ff]).
[35] 5.2. Auch hier liegt nach dem Software-Update ein sogenanntes „Thermofenster“ vor, bei dem die volle Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius erfolgt, jedoch außerhalb dieses Temperaturbereichs sowie wenn das Fahrzeug über 1.000 m Seehöhe fährt, „sukzessive zurückgemindert“ bzw „nicht sofort deaktiviert, sondern [...] nur sukzessive verringert“ wird, wodurch „in diesem Bereich NOx‑Überschreitungen auftreten können“.
[36] Nach diesen Feststellungen kann nicht – dem Regel-Ausnahme-Verhältnis entsprechend – davon ausgegangen werden, dass im überwiegenden Teil des Jahres keine Reduktion der Abgasrückführung stattfände.Zufolge des gebotenen engen Verständnisses der unionsrechtlichen Ausnahmeregelungen konnte die Beklagte damit nicht nachweisen, dass die gegenständliche Abschalteinrichtung unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fällt, dass die Abschalteinrichtung nicht im überwiegenden Teil des Jahres ausschließlich deshalb funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt ist. Somit ist auch hier das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren (ebenso etwa 10 Ob 2/23a [Teilurteil vom 21. 2. 2023], Rz 55 ff; 10 Ob 16/23k Rz 23 f; 2 Ob 5/23h Rz 4, 24; 4 Ob 150/22w Rz 15); die Klagsabweisung kann damit nicht auf eine Behebung des Mangels bzw eine Klaglosstellung gestützt werden.
[37] 6. Die Urteileüber die Zahlungsbegehren können jedoch aus einem anderen Grund keinen Bestand haben, der sich ebenfalls aus der vom Obersten Gerichtshof zu 10 Ob 2/23a (Teilurteil vom 21. 2. 2023) Rz 83 ff bereits dargelegten Rechtslage ergibt:
[38] 6.1. Nach Auflösung eines Vertrags durch Anfechtung oder Wandlung hat gemäß § 877 ABGB (bei Gewährleistung in Verbindung mit § 932 ABGB) in Verbindung mit §§ 1435 ff ABGB jeder Teil alles zurückzustellen, was er aus einem solchen Vertrag zu seinem Vorteil erlangt hat. Stehen beiden Teilen Rückforderungsansprüche zu, so brauchen diese nur Zug um Zug erfüllt zu werden (RS0016321; 4 Ob 70/18z; 8 Ob 59/16h).
[39] Bei einem Kaufvertrag ist der primäre Bereicherungsanspruch des beklagten Verkäufers auf die Rückgabe der vom Käufer empfangenen Leistung, also auf Rückgabe der Sache in Natur gerichtet (4 Ob 70/18z; 6 Ob 265/01s). Bereicherungsansprüche des beklagten Verkäufers können aber auch in Geld bestehen. Im Fall der Einwendung müssen sie konkretisiert und beziffert werden, damit sie das Gericht – im Weg der prozessualen Aufrechnung – berücksichtigen kann (vgl 6 Ob 265/01s). Derartige Ansprüche des Beklagten sind somit grundsätzlich als Gegenforderungen einzuwenden (4 Ob 70/18z; vgl 8 Ob 74/13k; 10 Ob 32/15a ua).
[40] Die Rückabwicklung Zug um Zug ist nur auf Einrede zu beachten. Der Beklagte muss seinen Bereicherungsanspruch daher grundsätzlich durch Zug-um-Zug-Einrede geltend machen (RS0086350; 4 Ob 70/18z; 8 Ob 59/16h). Der Kläger kann die Zug-um-Zug-Verpflichtung allerdings auch selbst durch entsprechende Beifügung in der Klage anbieten (4 Ob 70/18z; 9 Ob 5/15y; vgl RS0041069), wie dies ausdrücklich auch in Bezug auf die Rückstellung des Fahrzeugs geschehen ist.
[41] Zieht der Kläger weiters das Benützungsentgelt schon von sich aus in der Klage vom geltend gemachten Zahlungsanspruch ab, so rechnet er mit einem Teil seiner Kapitalforderung gegen eine (von ihm erwartete und akzeptierte) Gegenforderung des Beklagten auf (4 Ob 70/18z; RS0019850 [T12]).
[42] 6.2. Diese „außergerichtliche“ (= nicht bloß in eventu compensando erklärte) Aufrechnung wird unbedingt und ohne Rücksicht auf den Bestand der Hauptforderung erklärt, setzt also die Anerkennung der Hauptforderung voraus und stellt ihr nur die Gegenbehauptung entgegen, dass sie wegen Schuldtilgung nicht mehr bestehe (RS0033970). Bei dieser Aufrechnungserklärung handelt es sich um die Ausübung eines Gestaltungsrechts durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf die Herbeiführung der Aufrechnungswirkung gerichtet ist (vgl RS0033712). Ein solches Gestaltungsrecht wird regelmäßig durch formlose empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt, wird mit deren Zugang an den Empfänger wirksam und erlischt mit seiner Ausübung; es ist unwiderruflich, und nur wegen Willensmängeln anfechtbar (vgl RS0013923).
[43] 6.3. Die Kläger haben hier ursprünglich in der – vor Zustellung an die Beklagte verbesserten und modifizierten – Klage die Erklärung abgegeben, von der Forderung auf Rückzahlung des Kaufpreises eine Forderung der Beklagten auf Benützungsentgelt von 8.335 EUR ohne weitere Einschränkungen oder Bedingungen abzuziehen. Dies ist nach dem Gesagten als – der Beklagten auch zugekommene – Willenserklärung der Kläger zu verstehen, gegen eine im Umfang von 8.335 EUR als berechtigt anerkannte Forderung der Beklagten auf Benützungsentgelt mit einem Teil seiner eigenen Forderung in dieser Höhe unwiderruflich aufzurechnen.
[44] In der Folge haben die Kläger jedoch in der letzten Tagsatzung vor Schluss der mündlichen Verhandlung das primäre Klagebegehren auf Rückzahlung des gesamten Kaufpreises ausgedehnt, ohne sich zu erklären, warum sie an die zuvor erklärte Rechtsgestaltung nicht mehr gebunden sein sollten, insbesondere aus welchem Rechtsgrund diese etwa angefochten werden sollte. Zudem haben die Kläger das bis dahin erhobene niedrigere Begehren als Eventualbegehren aufrechterhalten, sodass nicht nachvollziehbar ist, für welchen Eventualfall dieses Hilfsbegehren erhoben worden wäre und zu Recht bestehen könnte, käme dieses doch nur bei Abweisung des primären Zahlungsbegehrens zum Tragen, das aber das Eventualbegehren im Umfang von 14.347,65 EUR einschließt. Ein bedingtes Eventualbegehren wäre wiederum mit der zuvor erörterten unbedingten Anerkennung eines Benützungsentgelts der Beklagten unvereinbar.
[45] Das zuletzt erhobene Klagebegehren ist daher in sich unschlüssig. Da diese Unschlüssigkeit mit den Klägern von den Vorinstanzen nicht erörtert wurde, kommt die Abänderung ihrer Urteile im Sinne eines Unschlüssigkeitsurteils nicht in Frage, sondern ihre Entscheidungen müssen auch zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung (vgl RS0037300) aufgehoben werden.
[46] 6.4. Die Kläger werden ihr Zahlungsbegehren im erörterten Sinne und im Lichte ihrer bisherigen Erklärungen schlüssig zu stellen bzw zu ergänzen haben. An dieser Stelle genügt der Hinweis, dass Fragen der bei der subjektiv-konkreten Schadensberechnung zur Anwendung kommenden Rechtsfiguren der schadenersatzrechtlichen Vorteilsanrechnung bzw des Vorteilsausgleichs kein Gegenstand der hier relevanten bereicherungsrechtlichen Nutzungsabgeltung sind: Diese gebührt für ungerechtfertigt, rechtsgrundlos erlangte Vorteile, wogegen es im Schadenersatzrecht auf den von einem Ersatzberechtigten erlittenen Nachteil ankommt (vgl 7 Ob 190/04y und Koziol/Spitzer in KBB7 [2023] § 1041 ABGB Rz 4, jeweils mwN).
[47] 6.5. Zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass die Frage des Rechtsmangels in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geklärt ist: Eine im für das Vorliegen eines solchen Rechtsmangels maßgebenden Zeitpunkt der Übergabe bloß befürchtete mangelnde Rechtsbeständigkeit der EG‑Typengenehmigung bzw die bloß befürchtete, also nicht konkret drohende Aufhebung der Zulassung ist kein Rechtsmangel (vgl etwa 3 Ob 40/23p Rz 23 ff; 2 Ob 122/23i Rz 19 ff; 8 Ob 70/23m Rz 14).
[48] 7.1. Die teilweise Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen war daher unvermeidlich. Dem fortgesetzten Verfahren werden zusammengefasst die auf die Anspruchsgrundlagen Irrtum und Arglist gestützten Ansprüche sowie die Qualifikation der „Umschaltsoftware“ ebenso wie des „Thermofensters“ als gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung als abschließend erledigte Streitpunkte zugrundezulegen sein (RS0042031).
[49] 7.2. Das Erstgericht wird im Fall, dass den Klägern die Schlüssigstellung ihres Zahlungsbegehrens gelingt und es das Wandlungsbegehren als berechtigt erachtet, über das der Beklagten zustehende und von ihr compensando eingewandte Benützungsentgelt abzusprechen haben.
[50] Dabei kann schon jetzt gesagt werden, dass diese als zuletzt im Verfahren geltend gemachte prozessuale Gegenforderung nur dann weiter zuspruchsmindernd zu berücksichtigen wäre, wenn es betraglich über ein von den Klägern durch Aufrechnung im oben dargelegten Sinne bereits abgezogenes Benützungsentgelt hinausginge.
[51] 7.3. Bei der Berechnung des Benützungsentgelts wäre auf die vom Obersten Gerichtshof bereits zu 10 Ob 2/23a (Teilurteil vom 21. 2. 2023) Rz 92 ff (insb Rz 102 ff) nach eingehender Analyse von Rechtsprechung und Schrifttum dargelegte Berechnungsweise zurückzugreifen (lineare Berechnungsmethode; nunmehr stRsp, der sich auch der erkennende Senat anschließt: RS0134263). Allfälligen Unklarheiten im Tatsächlichen könnte mit der Anwendung des § 273 ZPO begegnet werden (RS0134263 [T3]; vgl RS0018534 [T5]; 3 Ob 131/19i).
[52] 7.4. Gegebenenfalls wäre auch für die Frage der Vergütungszinsen ebenfalls auf die zu 10 Ob 2/23a (Teilurteil vom 21. 2. 2023) Rz 123 ff eingehend dargelegten Grundsätze Bedacht zu nehmen.
[53] 8. Der Kostenvorbehalt betreffend den aufgehobenen Urteilsteil beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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