OGH 4Ob150/22w

OGH4Ob150/22w19.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 31.044 EUR sA, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. Juli 2019, GZ 3 R 87/19p‑40, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 24. April 2019, GZ 2 Cg 67/18g‑36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00150.22W.1219.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I.1. Das bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof am 17. März 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

I.2. Die Schriftsätze der klagenden Partei vom 25. Februar 2020, vom 18. Juli 2022 sowie vom 24. März 2023 und der Schriftsatz der beklagten Partei vom 18. April 2023 werden zurückgewiesen.

II. Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Zu I.:

[1] 1. Der Senat hat das vorliegende Revisionsverfahren mit Beschluss vom 30. 3. 2020, GZ 4 Ob 183/19v‑45, bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag nach Art 267 AEUV unterbrochen und angeordnet, dass das Verfahren nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt wird.

[2] Nunmehr liegt die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. 7. 2022, C-145/20 , Porsche Inter Auto/Volkswagen,vor.

[3] Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.

[4] 2. Im Revisionsverfahren erstattete weitere Schriftsätze der Parteien sind überflüssig und als unzulässig zurückzuweisen (RS0041666).

Zu II.:

[5] Der Kläger erwarb am 27. 12. 2010 von einem Händler in Österreich einen Neuwagen der Marke S* um 39.000 EUR. In diesem Neuwagen ist ein 2,0 l‑Dieselmotor der Beklagten des Typs „EA189“ mit 103 kW/140 PS der Abgasklasse Euro 5 verbaut. Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007; künftig: VO 715/2007/EG ). Gemäß der EU-Betriebsgenehmigung sollte dieses Fahrzeug der Euro 5‑Abgasnorm entsprechen und einen Stickoxid‑(NOx-)Wert von 0,1369 g/km aufweisen. Der Dieselmotor war aber mit einer Software ausgestattet, die bewirkte, dass dieses Fahrzeug am Prüfstand (NEFZ) die NOx-Werte der Euro 5‑Abgasnorm erkannte und einhielt, während es im normalen Fahrbetrieb auf Straßen einen deutlich höheren NOx-Ausstoß aufwies, weil im normalen Straßenverkehr (Modus 0 oder Standardmodus 0) weniger Abgase rückgeführt wurden als am Prüfstand (Modus 1 oder NEFZ-Modus 1). Die Abgasrückführung dient vor allem der Reduktion der NOx‑Werte. Ein Teil des bei der motorischen Verbrennung entstandenen Gases wird dem Verbrennungsmotor rückgeführt und dort mit Frischluft vermengt, wodurch der Sauerstoffgehalt der Frischluft und dadurch die Verbrennungstemperatur absinkt, und es im Verbrennungsprozess zu niedrigeren NOx-Emissionen kommt. Wird die Abgasrückführung erhöht, so sinken die NOx-Emissionen, die Rußemissionen aber steigen an. Die Rußemissionen werden sodann im Dieselpartikelfilter gesammelt und in regelmäßigen Abständen abgebrannt. Zur Funktionsweise kann im Übrigen auf die Wiedergabe der Feststellungen in der einen Motor gleichen Typs betreffenden Entscheidung 10 Ob 2/23a Rz 3 verwiesen werden.

[6] Die Beklagte, die selbst Fahrzeuge der Marke V* herstellt, verkaufte das klagsgegenständliche Fahrzeug der Marke S* nicht an den Kläger. Sie führte mit dem Kläger keinerlei Vertragsverhandlungen über den Ankauf des Fahrzeugs. Sie hatte auch keine Kenntnis vom Inhalt der Vertragsverhandlungen zwischen dem Kläger und der Verkäuferin des Fahrzeugs. Die Streitteile standen zu keinem Zeitpunkt vor oder während des Vertragsabschlusses in Kontakt. Es wirkte auch kein Vertreter oder Mitarbeiter der Beklagten am Vertragsabschluss zwischen dem Kläger und der Verkäuferin des Fahrzeugs mit.

[7] Dem Kläger waren bei Ankauf des Fahrzeugs die Abgaswerte nicht unbedingt wichtig, allerdings auch nicht ganz unwichtig. Der Kläger vertraute jedoch beim Ankauf des Fahrzeugs auf den gesetzmäßigen Zustand des Fahrzeugs. Der Kläger hätte das Fahrzeug, wenn er um die gegenständliche Thematik gewusst hätte, wenn überhaupt, dann nur mit einem entsprechenden Preisnachlass erworben. Ein konkreter Rabatt, der notwendig gewesen wäre, um den Kläger bei Kenntnis der tatsächlichen Situation ebenso zum Kauf des Fahrzeugs zu bewegen, ist nicht bezifferbar.

[8] Mit Schreiben des Generalimporteurs vom 8. 10. 2015 wurde der Kläger davon informiert, dass der im Fahrzeug verbaute Dieselmotor von der Abgasthematik betroffen ist und die Stickoxidwerte (NOx) nicht den Angaben im Typenschein entsprechen. Das Software-Update am Fahrzeug des Klägers wurde rund um den 10. 3. 2017 durchgeführt. Seitdem steht nur mehr ein einziger Modus zur Verfügung.

[9] Der Kläger begehrt von der Beklagten aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes, § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB, ihn so zu stellen, als hätte er das klagsgegenständliche Fahrzeug nicht erworben, konkret die Zahlung von 31.044 EUR (Kaufpreis abzüglich eines vom Kläger angenommenen Benützungsentgelts) samt 4 % Zinsen ab Klageeinbringung Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs, hilfsweise die Zahlung von 6.000 EUR samt Zinsen, hilfsweise dazu die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden des Klägers aus dem Kauf des Fahrzeugs. Der Schaden liege darin, ein Fahrzeug in seinem Vermögen zu haben, das er bei Kenntnis der Umstände nicht gewollt hätte. Er habe darauf vertraut, ein manipulationsfreies Fahrzeug zu erwerben, das den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Darüber habe die Beklagte vorsätzlich getäuscht. Durch das Software-Update sei der gesetzeskonforme Zustand nicht hergestellt worden, weil auch das „Thermofenster“ eine unzulässige Abschalteinrichtung sei. Daher habe er Anspruch auf Schadenersatz durch Naturalrestitution.

[10] Die Beklagte bestritt die Ansprüche. Es wäre ein Benützungsentgelt von 27.000 EUR anzusetzen. Der Kläger habe keinen Schaden erlitten, weil das Fahrzeug über eine aufrechte EG-Typengenehmigung verfüge und im Straßenverkehr uneingeschränkt benutzbar sei. § 874 ABGB sei nicht anwendbar. Die Beklagte habe den Kläger nicht über vertragsrelevante Umstände getäuscht, das Fahrzeug habe dem vertraglich Geschuldeten entsprochen. Es fehlten auch der Kausalzusammenhang zwischen der behaupteten Täuschung und dem Vertragsabschluss sowie ein Verschulden der Beklagten. Mit der Durchführung des Software-Updates sei ein allfälliger – bestrittener – Mangel beseitigt worden, weil das „Thermofenster“ von den zuständigen Behörden als rechtskonforme Maßnahme zum Bauteilschutz eingestuft worden sei. Dem Kläger stünden keine Rückabwicklungsansprüche gegen die Beklagte zu, weil sie weder Vertragspartnerin noch Herstellerin des Fahrzeugs sei. Sie sei für Ansprüche, die nur gegen den Hersteller geltend gemacht werden könnten, nicht passiv legitimiert.

[11] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren und die Eventualbegehren ab. Das Berufungsgericht beurteilte die ursprüngliche „Umschaltlogik“, nicht aber das „Thermofenster“ als gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung. Nach der Durchführung des Software-Updates befinde sich das Fahrzeug in dem Zustand, der von vornherein hätte vorliegen müssen. Der Schutzzweck des Art 5 VO 715/2007/EG erfasse nicht die vermögensrechtlichen Dispositionen, die im Vertrauen auf die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte getätigt worden seien. Jedenfalls sei der Kläger durch das Software‑Update klaglos gestellt. Rechtliche Feststellungsmängel in Ansehung behaupteter doloser Handlungen und Unterlassungen der Beklagten lägen daher nicht vor.

[12] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob und unter welchen Voraussetzungen im Schadenersatzrecht eine Klaglosstellung bei einer Täuschung anzunehmen sei.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[14] 1.1. Der Oberste Gerichtshof hat gestützt auf die Rechtsprechung des EuGH bereits ausgesprochen, dass die auch beim gegenständlichen Fahrzeug zum Übergabezeitpunkt vorhandene „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023, Rz 47).

[15] Darüber hinaus wurde auch ein denselben Temperaturbereich wie im vorliegenden Fall (Außentemperaturen zwischen 15 Grad und 33 Grad Celcius) umfassendes „Thermofenster“ als Abschalteinrichtung im Sinne des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG qualifiziert, die nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG zulässig ist (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023, Rz 55 ff; 10 Ob 16/23k Rz 23 f).

[16] Infolge der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, wurde weiters klargestellt, dass der Schutzzweck von (unter anderem) Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs umfasst (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023, Rz 10 ff; 10 Ob 16/23k Rz 25 ff). Ein Verstoß gegen Art 5 VO 715/2007/EG kann den Hersteller daher auch dann ersatzpflichtig machen, wenn er in keinem Vertragsverhältnis mit dem Käufer steht (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023, Rz 18; 10 Ob 16/23k Rz 33).

[17] 1.2. Ein Schaden, der darin besteht, dass die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs eingeschränkt ist und sich das Vermögen des Erwerbers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs infolge einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung nicht entsprechend den objektiv berechtigten Verkehrserwartungen oder einem von diesen Verkehrserwartungen konkret abweichenden Willen des Erwerbers zusammensetzt (vgl 10 Ob 16/23k Rz 25; 10 Ob 27/23b Rz 15), steht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den Schutzgesetzen der Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1, Art 46 RL 2007/46/EG iVm Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023, Rz 29; RS0031143 [T39] = RS0008775 [T21]).

[18] 1.3. Ein konkreter, von den Verkehrserwartungen abweichender Wille ergibt sich aus den Feststellungen im vorliegenden Fall nicht, weil der Kläger das Fahrzeug, sofern er Kenntnis von der „Umschaltlogik“ gehabt hätte, wenn überhaupt, dann nur mit einem entsprechenden Preisnachlass gekauft hätte.

[19] 2. Zur Frage der Verletzung von Schutzgesetzen (die bereits angeführten Bestimmungen der VO 715/2007/EG ) hat der Oberste Gerichtshof jüngst bereits zu einem vergleichbaren Fall mit deckungsgleicher Konstellation ausführlich Stellung genommen (6 Ob 161/22b):

[20] 2.1. In diesem Zusammenhang sei der von der Beklagten (hier wie dort) erhobene Einwand der mangelnden Passivlegitimation zu beachten:

[21] 2.2. Der EuGH habe in der Entscheidung C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, den Schutz der Einzelinteressen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Hersteller des Fahrzeugs bejaht.

[22] Hersteller sei nach der Legaldefinition des Art 3 Z 27 der Rahmen‑RL (RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge; künftig: RL 2007/46/EG ) die Person oder Stelle, die gegenüber der Typengenehmigungsbehörde für alle Belange des Typengenehmigungs- oder Autorisierungsverfahrens sowie für die Sicherstellung der Übereinstimmung der Produktion verantwortlich sei; diese Person oder Stelle müsse nicht notwendigerweise an allen Stufen der Herstellung des Fahrzeugs, des Systems des Bauteils oder der selbständigen technischen Einheit, das bzw die Gegenstand des Genehmigungsverfahrens sei, unmittelbar beteiligt sein.

[23] „Übereinstimmungsbescheinigung“ sei nach Art 3 Z 36 RL 2007/46/EG das in Anhang IX wiedergegebene, vom Hersteller ausgestellte Dokument, mit dem bescheinigt werde, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspreche (vgl die korrespondierende Bestimmung in Anhang IX Abschnitt 0 RL 2007/46/EG ).

[24] Nach Art 18 Abs 1 RL 2007/46/EG habe der Hersteller „in seiner Eigenschaft als Inhaber der EG‑Typengenehmigung“ jedem Fahrzeug, das in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt worden sei, eine Übereinstimmungsbescheinigung beizulegen. Die Übereinstimmungsbescheinigung sei nach Art 26 Abs 1 RL 2007/46/EG für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme von Fahrzeugen zwingend vorgeschrieben.

[25] 2.3. Der EuGH leite den Schutz von Einzelinteressen des individuellen Käufers durch Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG maßgeblich aus den genannten Vorschriften über die Übereinstimmungsbescheinigung ab, weil ein Käufer aus dem Inhalt der Übereinstimmungsbescheinigung vernünftiger Weise erwarten könne, dass die unionsrechtlichen Vorschriften bei diesen Fahrzeugen eingehalten würden (C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rz 78–81).

[26] Da der Hersteller eines Fahrzeugs bei der Aushändigung der Übereinstimmungsbescheinigung an den individuellen Käufer des Fahrzeugs für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme dieses Fahrzeugs die sich aus Art 5 VO 715/2007/EG ergebenden Anforderungen beachten müsse, ermögliche diese Bescheinigung insbesondere, den Käufer davor zu schützen, dass der Hersteller seine Pflicht, im Einklang mit dieser Bestimmung stehende Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, nicht einhalte (C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rz 82).

[27] 2.4. Daraus folge, dass ein individueller Fahrzeugkäufer nur die Person oder Stelle für einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus der (bloß schuldhaften) Verletzung des als Schutzgesetz zu qualifizierenden Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Anspruch nehmen könne, die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs aufgetreten sei und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt habe (vgl 3 Ob 40/23p Rz 32 ff; vgl auch BGH VIa ZR 1119/22).

[28] 3. Diese rechtlichen Überlegungen des 6. Senats zu 6 Ob 161/22b, denen sich der erkennende Senat anschließt, gelten auch hier:

[29] 3.1. Der vom Kläger selbst vorgelegte und von der Beklagten nicht substanziiert bestrittene Datenauszug (Blg ./FF) weist nicht die Beklagte, sondern eine andere in Spanien ansässige Gesellschaft S* S.A. als Herstellerin des gegenständlichen Fahrzeugs aus.

[30] Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist dem Vorbringen der Beklagten im Rechtsmittelverfahren (Berufungsbeantwortung Punkt 2.4.3.4.) nicht zweifelsfrei zu entnehmen, dass sie nunmehr – in Abkehr von ihrer, vom Kläger wiederum nicht substanziiert bestrittenen ausdrücklichen gegenteiligen Behauptung in erster Instanz – anerkannt hätte, selbst Herstellerin des Fahrzeugs der Marke S* zu sein.

[31] 3.2. Da demnach davon auszugehen ist, dass die Beklagte nicht Fahrzeugherstellerin im oben dargelegten Sinne ist, kann der Kläger seinen Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte nicht auf Schutzgesetzverletzung stützen.

[32] 4. Die Rechtssache ist aber nicht entscheidungsreif, weil der Kläger seine Ansprüche auch auf § 874 ABGB und eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB stützte.

[33] 4.1. Ebenso wie im erstinstanzlichen Verfahren zu 6 Ob 161/22b brachte der Kläger dazu vor, die Beklagte hafte als nicht am Vertrag beteiligte Dritte, weil sie die vorsätzlich vorgenommenen Manipulationen am Fahrzeug vorsätzlich verschwiegen und in der Werbung, in den Verkaufsunterlagen und durch den Verkäufer bewusst unrichtige Angaben gemacht habe, um sich Vorteile, nämlich den gesteigerten Absatz ihrer Fahrzeuge, zu verschaffen. Die (namentlich genannten) Leiter der Aggregate-Entwicklung der Beklagten hätten bewusst die Entscheidung getroffen, die Abschalteinrichtung zu verbauen. Diese Personen sowie der (ebenfalls namentlich genannte) Leiter der Motorenentwicklung der Beklagten hätten bei der Entwicklung des streitgegenständlichen Motors führende Rollen eingenommen und seien der Beklagten als Repräsentanten zuzurechnen (hier ON 7).

[34] Die Beklagte hielt dem entgegen, sie habe mit dem Marketing und Verkauf des Fahrzeugs nichts zu tun; es träfen sie keine Aufklärungspflichten gegenüber dem Kläger. Eine Haftung der Beklagten für Repräsentanten ergebe sich aus dem Klagevorbringen nicht (hier ON 20).

[35] 5. Hierzu hat der 6. Senat ebenfalls zu 6 Ob 161/22b bereits das Folgende ausgeführt:

[36] 5.1. Die Schadenersatzpflicht nach § 874 ABGB greife auch dann Platz, wenn die arglistige Irreführung nicht durch den Vertragspartner, sondern durch einen Dritten erfolgt sei (RS0016298; 6 Ob 186/21b Rz 60).

[37] 5.2. List im Sinne des § 870 ABGB sei rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung (RS0014821), wobei dolus eventualis ausreiche (6 Ob 186/21b Rz 62; 6 Ob 244/17a; RS0014837). Das Verhalten des Täuschenden und damit der Irrtum müsse für den Vertragsabschluss kausal sein (RS0014790; RS0014821 [T3]): Der Vertragsschließende werde durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen in Irrtum geführt oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen in seinem Irrtum belassen oder bestärkt und dadurch zum Vertragsabschluss bestimmt (6 Ob 186/21b Rz 62; RS0014827 [T4, T5]).

[38] 5.3. Nach § 1295 Abs 2 ABGB sei schadenersatzpflichtig, wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufüge. Auch dafür genüge bedingter Vorsatz (6 Ob 61/21w Rz 37; RS0026603).

[39] 6. Auch diese Rechtsansicht des 6. Senats zu 6 Ob 161/22bwird vom erkennenden Senat geteilt; daraus folgt auch hier:

[40] 6.1. Der Kläger hat konkretes Vorbringen dazu erstattet, welchen Funktionsträgern innerhalb des Unternehmens der Beklagten (den Leitern der Aggregate-Entwicklung sowie der Motorenentwicklung) ein arglistiges und sittenwidriges Verhalten, nämlich die Entwicklung eines – offenkundig für den Markt bestimmten – „manipulierten“ Motors mit verbotener Abschalteinrichtung vorgeworfen wird.

[41] Darin kann eine für den Vertragsabschluss des Fahrzeugkäufers kausale Täuschung liegen, wenn der Käufer das Fahrzeug sonst nicht erworben hätte (vgl 6 Ob 158/22m ErwGr IV.2.1.; 3 Ob 40/23p).

[42] 6.2. Ausgehend von der unrichtigen Rechtsansicht, dass sich das Fahrzeug nach der Durchführung des Software-Updates trotz des Vorhandenseins des „Thermofensters“ in einem normkonformen Zustand befinde, bejahte das Berufungsgericht die Schadensbehebung und Klaglosstellung des Klägers und wies die Klage ab.

[43] 6.3. Die Rechtssache ist jedoch noch nicht entscheidungsreif, weil keine Feststellungen getroffen wurden, die eine Beurteilung des Klagebegehrens auf den Anspruchsgrundlagen des § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB zulassen. Dies macht die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht erforderlich.

[44] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 letzter Satz ZPO.

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