European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00186.21B.0622.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 9.340,22 EUR (darin enthalten 1.556,70 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Gegenstand des Verfahrens ist ein Schadenersatzanspruch, den die Klägerin mit der Behauptung verfolgt, der Beklagte habe sie durch arglistige Täuschung ihres Geschäftsführers dazu verleitet, ihre Geschäftsanteile an der W* GmbH (künftig: W*) an die D* GmbH (künftig: die Erwerberin) abzutreten, woraus ihr ein Schaden von 9.595.200 EUR entstanden sei.
[2] Die Klägerin ist Teil einer von A* aufgebauten Unternehmensgruppe, die über zahlreiche Gesellschaften im Betrieb von Baumärkten, dem Handel mit Baumaterialien, Werkzeugen und weiteren Produkten sowie in der Vermietung und Verpachtung von eigenen oder geleasten Grundstücken, Gebäuden und Wohnungen tätig ist.
[3] Der Beklagte war viele Jahre lang Wirtschafts- und Steuerberater der gesamten Unternehmensgruppe. Er war auch Vertrauter von A*. Daneben war er, wie im Folgenden dargestellt, Organ von Gesellschaften des Konzerns.
Folgende juristische und natürliche Personen sind in diesem Verfahren relevant:
Die A* Privatstiftung (künftig: Privatstiftung). Stiftungsvorstand: Beklagter, Mag. M*, He*; Vorstandsvorsitzender: Beklagter;
Die Klägerin: Sitz: * (Österreich); Gesellschafter: die Privatstiftung mit einem Anteil von 99,9975 %, A* mit einem Anteil von 0,0025 %; Geschäftsführer: A*;
Die W*: Sitz: * (Deutschland); Gesellschafter: Klägerin mit zwei Geschäftsanteilen von je 30 %; O* GmbH (künftig: O*) mit einem Geschäftsanteil von 30 %, J* GmbH mit einem Geschäftsanteil von 10 %; Geschäftsführer: A*, Beklagter, H*;
Die O* stand im wirtschaftlichen Eigentum des Beklagten; er war ihr Geschäftsführer.
[4] Geschäftsführer der J*gesellschaft mbH war H*.
[5] Die Erwerberin: Sitz: * (Deutschland); wirtschaftlicher Eigentümer und Geschäftsführer: F*.
[6] Unternehmensgegenstand der W* ist der An- und Verkauf von Grundstücken sowie die Immobilienentwicklung von Studentenappartements, Seniorenheimen und Wohnungseigentumsobjekten. Im hier interessierenden Zeitraum war sie überwiegend in Bayern tätig.
[7] Die Vorinstanzen trafen detaillierte Feststellungen zu den seit 2013 stattgefundenen Gesprächen über die weitere Entwicklung der W*, zur Eigenmitteleinbringung in die W* im Jahr 2013 durch ein nachrangiges Gesellschafterdarlehen der O*, das durch eine Kreditaufnahme des Beklagten finanziert wurde, für die die Privatstiftung, die J* GmbH und die W* selbst Garantieerklärungen abgaben, und zur Erörterung der schlechten finanziellen Situation in der gesamten Unternehmensgruppe im September 2014, worauf die Mitglieder des Stiftungsvorstands A* hinwiesen. Tatsächlich bestand in der gesamten Unternehmensgruppe dringender Sanierungsbedarf. Die Situation war aber nicht derart ernst, dass nur noch eine Abwicklung möglich gewesen wäre. In den Folgejahren fand eine nachhaltige Sanierung, unter anderem durch Veräußerung einzelner Unternehmensbestandteile, statt. A* war über den generellen Status der einzelnen Unternehmen aufgrund der Stiftungssitzungen und monatlicher Berichte überblicksmäßig informiert; er gab auch stets die wesentlichen Entscheidungen vor. In das laufende Tagesgeschäft der W* war er nicht involviert.
[8] Bereits zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt vor dem Herbst 2014 waren H*, F* und der Beklagte in gemeinsamen Besprechungen zur Ansicht gekommen, dass sie die W* ohne A* bzw die Klägerin weiterführen wollten. Sie planten daher, die Anteile der Klägerin zu erwerben, gingen aber davon aus, dass A* nicht bereit sein würde, sie ihnen bzw ihren Gesellschaften zu übertragen. Daher entschlossen sie sich, die Anteile verdeckt zu erwerben, A* also über den wahren Käufer zu täuschen.
[9] Der Beklagte teilte A* in Umsetzung dieses Plans im Herbst 2014 mit, dass er bzw die O* ihre Anteile an der W* verkaufen wollen und riet ihm, dasselbe zu tun. Insbesondere bestehe eine erhebliche Regressproblematik. Außerdem sei die W* maßgeblich von F* abhängig, und es sei zu bedenken, wie es weitergehen solle, wenn dieser (aufgrund seines Alters und gesundheitlichen Zustands) nicht mehr zur Verfügung stehe.
[10] Ob der Beklagte äußerte, dass die W* wirtschaftlich am Ende sei und weitere Projekte nicht mehr realisiert werden könnten, sodass sie bis Ende 2016 abgewickelt werden müsse, steht nicht fest. Der Beklagte stellte die Situation der W* aber jedenfalls negativ und so dar, dass ein Verkauf wirtschaftlich wesentlich vorteilhafter wäre. Letztlich konnte sich dann deshalb auch A* einen Verkauf der Anteile vorstellen.
[11] Vereinbart wurde, dass H* gemeinsam mit bzw über F* versuchen solle, einen möglichen Käufer zu finden. Weiters bestand Konsens, ein Gutachten über den Unternehmenswert einzuholen. Dieses wurde am 15. 10. 2014 bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Auftrag gegeben.
[12] Das Gutachten wurde am 28. 11. 2014 fertiggestellt. Darin wurde von einer begrenzten Fortführung der W* bis zum 31. 12. 2017 „aufgrund der derzeitigen angespannten Finanzierungssituation“ ausgegangen und nach dem Ertragswertverfahren zum Bewertungsstichtag 28. 11. 2014 ein Unternehmenswert von 4.496.000 EUR ermittelt. Im Gutachten ist (unter anderem) ausgeführt, dass aufgrund der zu geringen Eigenkapitaldecke eine Projektplanung über den 31. 12. 2017 hinaus nicht abbildbar sei, es sei daher von einer endlichen Planung bis zum 31. 12. 2017 auszugehen; es werde die Aufgabe des Unternehmens zu diesem Stichtag unterstellt.
Der ermittelte Unternehmenswert war aus fachlicher Sicht nicht korrekt, weil die getroffenen Annahmen aus fachlicher Sicht nicht ausreichten, um von einer begrenzten Lebensdauer des Unternehmens auszugehen. Es wäre vielmehr eine unbegrenzte Lebensdauer zu unterstellen gewesen, woraus sich zum Bewertungsstichtag 28. 11. 2014 ein korrekter Unternehmenswert zwischen 14,9 und 16,15 Mio EUR ergeben hätte. Der Wert der Anteile der Klägerin war der entsprechende Bruchteil davon, also 60 %. Abgesehen von der fachlich nicht vertretbaren Annahme der endlichen Bewertung – die freilich für den ermittelten Unternehmenswert entscheidend war – waren die dem Gutachten zugrunde gelegten Zahlen korrekt. Ob der Unternehmenswert von zumindest 14,9 Mio EUR am Markt bei einem Verkauf erzielbar gewesen wäre, steht nicht fest. Ebenso wenig steht fest, ob der Beklagte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Vorgabe gemacht hatte, eine endliche Bewertung vorzunehmen, und ob ihm klar war, dass die endliche Betrachtungsweise fachlich unrichtig und der im Gutachten ausgewiesene Wert daher deutlich zu niedrig war.
[13] Anfang Dezember 2014 präsentierte F* eine tatsächlich nicht an einem Erwerb interessierte Person als möglichen Kaufinteressenten. Der vorgebliche Interessent unterfertigte aus Gefälligkeit gegenüber F* eine von diesem vorformulierte Interessenbekundung. Der Beklagte, F* und H* erzählten A* davon, wobei der Beklagte wusste, dass der Kaufinteressent nur zum Schein als Vertragspartner genannt worden war. Dieses Wissen verschwieg er A* bewusst.
[14] Zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt teilte einer der Beteiligten A* mit, dass für seine Anteile ein Kaufpreis von 1,8 Mio EUR in Frage käme. Dieses Angebot wurde vom Beklagten mitentschieden und mit seinem Wissen A* unterbreitet.
[15] Es folgten weitere, im einzelnen festgestellte E‑Mails zwischen F*, H* und dem Beklagten, die jeweils an den Geschäftsführer der Klägerin weitergeleitet wurden und in denen auf einen Eigenkapitalbedarf der W* von 10 bis 20 Mio EUR, den fehlenden finanziellen Spielraum für weitere Projekte und die Verhandlungen mit dem (vorgeblichen) Kaufinteressenten hingewiesen wurde. Der Beklagte teilte zudem (mit E‑Mail vom 22. 1. 2015) mit, seine Geschäftsführertätigkeit in der W* zurückzulegen.
[16] In dieser Zeit entschloss sich A* die Anteile der Klägerin zu verkaufen. Entscheidend war letztlich ein Abendessen mit F*, bei welchem dieser – nach Rücksprache mit dem Beklagten – zusicherte, dass neben dem „offiziellen“ Kaufpreis von 1,8 Mio EUR noch weitere 300.000 EUR als Provision an A* persönlich fließen könnten. Ausschlaggebend war weiters, dass dieser Kaufpreis in einer angemessenen Relation zu dem im Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ausgewiesenen Unternehmenswert stand. Hätte A* den wahren Unternehmenswert gekannt, hätte er nicht bzw nicht um diesen Preis verkauft. Um welchen anderen Preis er dann allenfalls verkauft hätte, steht nicht genau fest, aber jedenfalls nur um einen vielfachen.
[17] In der Folge kam es zum Austausch von Angebotsentwürfen zwischen der Klägerin und einem deutschen Notar sowie zu weiterer, im Einzelnen festgestellter Korrespondenz.
[18] Am 5. 3. 2015 unterfertigte A* für die Klägerin das verbindliche Angebot zur Übertragung deren Anteile an der W* an die Erwerberin um 1,8 Mio EUR. Laut Angebot verpflichtete sich der Erwerber, den Veräußerer von sämtlichen übernommenen persönlichen Haftungen für Verbindlichkeiten der Gesellschaft freizustellen. In diesem Sinne wurde auch A* von allfälligen künftigen Ansprüchen und Haftungen befreit. Der Wert dieser Enthaftung ist nicht feststellbar. A* (für 3,25 Mio EUR) bzw die Klägerin (für den Rest) hafteten zu diesem Zeitpunkt für Forderungen gegen die W* über 6,5 Mio EUR.
[19] Am selben Tag schloss A* mit der durch F* vertretenen Erwerberin anlässlich der Abtretung eine weitere Vereinbarung ab, wonach die Erwerberin ihm persönlich eine Provision von 300.000 EUR bezahle.
[20] Bereits zuvor, am 3. 3. 2015 hatte der Beklagte für die O* ein entsprechendes Angebot zur Abtretung deren Anteile um 900.000 EUR abgegeben.
[21] Am 17. 3. 2015 erklärten alle Gesellschafter der W* ihre Zustimmung zu den Anteilsabtretungen und verzichteten auf allfällige Vorkaufs-, Ankaufs- oder sonstige Erwerbsrechte.
[22] Mit Erklärung vom 24. 3. 2015 nahm F* für die Erwerberin das Angebot zur Anteilsübertragung der Klägerin – nicht aber jenes der O* – an. Am selben Tag schlossen der Beklagte, F* und H* einen Treuhandvertrag, wonach der Beklagte und H* für je einen abgetretenen Anteil der klagenden Partei Treugeber waren und der Erwerberin als Treuhänderin alle für die Übernahme der Beteiligung erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen hatten. Diese verpflichtete sich, Gewinne abzuführen und von Stimmrechten nur nach Weisung der Treugeber Gebrauch zu machen.
[23] Ob A* bei Abgabe des Angebots noch davon ausging, dass der vermeintliche Kaufinteressent wirtschaftlich hinter der Erwerberin stand, steht nicht fest, ebenso wenig ob der Beklagte, H* oder F* ihm jemals erklärt hatten, dass der (vermeintliche) Interessent kein Interesse mehr habe.
[24] A* hätte nicht verkauft, wenn er gewusst hätte, dass die Anteile der Klägerin wirtschaftlich gesehen vom Beklagten und H* bzw deren Gesellschaften erworben würden und der Beklagte seine Anteile nicht verkaufen werde.
[25] Der Beklagte hatte von vornherein (auch am 3. 3. 2015) vor, die Anteile der Klägerin über die oben beschriebene Treuhandkonstruktion zu erwerben. Er hatte sein eigenes Angebot daher nur zum Schein abgegeben. A* ließ er darüber bewusst im Unklaren.
[26] Dem Beklagten war klar, dass A* nicht verkauft hätte, wenn dieser gewusst hätte, dass er selbst nicht verkauft, sondern vielmehr die Anteile der Klägerin im Wege einer Treuhandkonstruktion erwirbt.
[27] Mit Abtretungsvertrag vom 5. 3. 2015/24. 3. 2015 veräußerte die Klägerin, vertreten durch A*, ihre beiden Geschäftsanteile an der W* an die Erwerberin, vertreten durch F*, um einen Kaufpreis von 1,8 Mio EUR. A* persönlich erhielt im Zuge dieses Rechtsgeschäfts eine Provision von 300.000 EUR. Vertragsgemäß wurden die Klägerin, die Privatstiftung und A* von ihren Haftungen für Schulden der W* freigestellt.
[28] Mit schriftlicher Erklärung vom 29. 5. 2017 erklärte die Klägerin gegenüber der Erwerberin, sämtliche Willenserklärungen, sowohl schuldrechtlicher als auch dinglicher Art, die sie mit ihrem notariell beurkundeten Angebot zur Geschäftsanteilsübertragung abgegeben habe, wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 Abs 1 BGB anzufechten. Die von der Beklagten vorgelegte Urkunde – deren Echtheit nicht bestritten wurde, sodass ihr Inhalt vom Obersten Gerichtshof ohne Weiteres verwertet werden kann (vgl RS0121557) – nennt als Anfechtungsgründe, dass die Klägerin „durch arglistige Täuschung über die angebliche wirtschaftliche Notwendigkeit der Veräußerung ihrer Geschäftsanteile an der W*, über die Absicht der O*, ihre Geschäftsanteile an der W* ebenfalls zu veräußern, über den verdeckten Erwerb ihrer Geschäftsanteile durch die übrigen Gesellschafter der W*, über ein Treuhandverhältnis zur [Erwerberin] und über den objektiven Wert ihrer Geschäftsanteile an der W* veranlasst wurde, das 'Angebot zur Geschäftsanteilsübertragung' vom 5. 3. 2015 gegenüber der [Erwerberin] abzugeben“.
[29] Am 7. 9. 2017 brachte die Klägerin beim Landgericht München I zu AZ * gegen die W* sowie gegen die Erwerberin – deren Firma in der Zwischenzeit von D* auf W* Vertrieb GmbH geändert worden war – eine Klage ein (künftig: Verfahren vor dem Landgericht München I). Konkret begehrte sie (vgl die vom Beklagten vorgelegte, hinsichtlich der Echtheit nicht bestrittene und daher verwertbare [RS0121557] Beilage ./41), erstens im Weg der Zwischenfeststellungsklage festzustellen, dass die Klägerin Gesellschafterin der W* und Inhaberin der Geschäftsanteile Nr 3 und 4 der W* sei; zweitens die Erwerberin zu verpflichten, der Einreichung einer Gesellschafterliste der W* zum Handelsregister des Amtsgerichts München durch die Erwerberin zuzustimmen, die die Klägerin als Gesellschafterin der W* und Inhaberin Geschäftsanteile Nr 3 und 4 ausweise; drittens die W* zu verpflichten, beim Amtsgericht München eine Gesellschafterliste der W* dieses Inhalts einzureichen.
[30] Die dortigen Verfahrensparteien schlossen in der Verhandlung am 10. 10. 2018 einen verfahrensbeendenden Vergleich, mit dem sich die W* und H* als deren Bürge zur Zahlung von 800.000 EUR an die Klägerin verpflichteten und damit alle bekannten und unbekannten wechselseitigen Ansprüche der Verfahrensparteien und deren Geschäftsführer endgültig abgegolten sein sollten. Gemäß Punkt V des Vergleichs verpflichtete sich die Klägerin, die zur Löschung des Widerspruchs, der im Handelsregister zur Gesellschafterliste der W* eingetragen war, erforderlichen Erklärungen in der dafür notwendigen Form abzugeben.
Mit diesem Vergleich wollten die Vergleichsparteien auch die (allfällige) Wirkung der Anfechtungserklärung beseitigen. Zwischen ihnen sollte damit einvernehmlich klargestellt werden, dass die Klägerin ab Erfüllung der Zahlungsverpflichtung auf eine Rückübertragung der Anteile gegenüber der W* und der Erwerberin verzichtet. Sie waren sich einig, dass dieser Vergleich Ansprüche gegenüber Dritten nicht berührt. Die im Vergleich festgehaltene Zahlungsverpflichtung wurde erfüllt.
[31] Die Klägerinbrachte vor, der Beklagte habe ihren Geschäftsführer in einem ausgeklügelten Gesamtplan über den wahren Wert der Anteile der W* getäuscht und ihn zur Abtretung der Anteile der Klägerin weit unter deren Wert verleitet. Dadurch habe der Beklagte die Klägerin vorsätzlich und sittenwidrig am Vermögen geschädigt. Zum Stichtag 28. 11. 2014 habe der Unternehmenswert der W* 20,488 Mio EUR betragen, sodass die Anteile der Klägerin von 60 % einen Wert von 12.292.800 EUR gehabt hätten. Bei Gegenüberstellung des erhaltenen Kaufpreises von 2,1 Mio EUR ergebe sich ein Schaden „in mehrfacher Millionenhöhe“, von dem zunächst nur 2 Mio EUR, infolge Klageausdehnung (mit Schriftsatz vom 31. 5. 2019) 5 Mio EUR als Teileinklagung geltend gemacht würden. Die Erfüllung des im Verfahren vor dem Landgericht München I abgeschlossenen Vergleichs reduziere zwar den Gesamtschaden der Klägerin, dieser übersteige aber dennoch 5 Mio EUR.
[32] Rechtlich stützte sich die Klägerin auf § 1295 Abs 1 ABGB als Generalklausel, auf die Verletzung eines Schutzgesetzes (§§ 146, 147 StGB), das das Vermögen schütze, auf den Eingriff in das Eigentum der Klägerin an ihren Geschäftsanteilen und auf absichtliche sittenwidrige Schädigung iSd § 1295 Abs 2 ABGB. Ergänzend stützte die Klägerin die Haftung des Beklagten auf die Verletzung seiner Treuepflichten als Mitglied des Vorstands der Privatstiftung (die 99,9 % der Geschäftsanteile an der Klägerin hält), als Geschäftsführer der W* und als (wirtschaftlicher) Mitgesellschafter der Klägerin in der W*.
[33] Die Klägerin habe die tatsächlichen Umstände des Verkaufs der Geschäftsanteile an die Erwerberin erst im Juni 2016 im Rahmen der Aufarbeitung der Vergangenheit erfahren. Soweit der Beklagte behaupte, nach einem Obsiegen im Verfahren vor dem Landgericht München I wäre die Klägerin schadlos gestellt, treffe dies nicht zu, weil sich die Gesellschaft negativ entwickelt habe. Darüber hinaus sei die Rechtsfrage der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der von der Klägerin erklärten Anfechtung in diesem Verfahren offen geblieben. Aufgrund des Vergleichs sollte die Erwerberin Inhaberin der streitgegenständlichen Geschäftsanteile sein, hingegen habe die Klägerin damit nicht auf Schadenersatzansprüche gegenüber dem Beklagten verzichtet. Selbst wenn im Vergleichsabschluss die Bestätigung des angefochtenen Rechtsgeschäfts liege, berühre dies nicht die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gemäß § 826 BGB oder § 823 Abs 2 BGB iVm § 263 dStGB.
[34] Die Klägerin habe im vorliegenden Fall alles unternommen, um den eingetretenen Schaden möglichst zu minimieren, indem sie ihre Rechte zunächst durch einstweilige Verfügung gesichert, dann den erforderlichen Hauptsacheprozess angestrengt und versucht habe, über eine wirtschaftliche Stabilisierung der W* zu verhandeln. Die zuständige Kammer des Landgerichts München I habe allerdings – anders als die Klägerin – vertreten, dass die Einreichung einer Gesellschafterliste, die die Klägerin als Gesellschafterin ausweise, nur Zug um Zug gegen Rückzahlung des seinerzeit erhaltenen Kaufpreises von 1,8 Mio EUR möglich gewesen wäre. Dadurch wäre der Klägerin aber ein noch größerer Schaden entstanden, weil sie nur wertlose Anteile an der W* zurückerlangt hätte.
[35] Selbst wenn der Vergleich über den Anfechtungsanspruch einen Verzicht auf Schadenersatzansprüche wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs 1 BGB enthalten sollte – was bestritten werde –, sei der geltend gemachte Schadenersatzanspruch auf Basis anderer Rechtsgrundlagen nicht von der Vergleichswirkung erfasst.
[36] Der Beklagte beantragte die Klageabweisung. Er brachte vor, die Klägerin habe die wirtschaftliche Situation der W* im Detail gekannt. In den Jahren 2014/2015 hätten massive Liquiditätsengpässe bestanden, aufgrund derer der Geschäftsführer der Klägerin entschieden habe, sich von der Beteiligung an der W* zu trennen. Der Beklagte habe weder ein rechtswidriges noch ein schuldhaftes noch ein für den Verkaufsentschluss der Klägerin kausales Verhalten gesetzt. Er habe die Klägerin weder über die wirtschaftliche Situation der W* noch über deren wahren Wert noch über seine eigenen Verkaufsabsichten getäuscht. Er habe auch nicht gegen Treuepflichten verstoßen. Im Bewertungsgutachten der Wirtschaftstreuhandgesellschaft sei zu Recht von einer endlichen Betrachtungsweise ausgegangen worden.
[37] In der mündlichen Streitverhandlung am 12. 6. 2018 brachte der Beklagte ergänzend vor, die Klägerin habe im Verfahren * vor dem Landgericht München I gegen die W* und die Erwerberin eine Klage auf Wiederherstellung ihres Gesellschafterstandes in der W* eingebracht, die auf den auch im vorliegenden Verfahren vorgetragenen Sachverhalt gestützt sei. Obsiege die Klägerin in diesem Verfahren, sei sie wieder Gesellschafterin der W* mit einem Geschäftsanteil von 60 % des Stammkapitals; dadurch wäre der vorige Zustand wiederhergestellt und die Klägerin schadlos gestellt.
[38] Darüber hinaus sei der Klägerin schon deshalb kein Schaden entstanden, weil ihre Anfechtungserklärung der Klägerin vom 29. 5. 2017 gemäß § 142 Abs 1 BGB zur rückwirkenden Nichtigkeit der Übertragung der Geschäftsanteile der Klägerin an der W* geführt habe, sodass die Klägerin nach wie vor deren Gesellschafterin sei. Ein Schaden sei daher nicht eingetreten.
[39] Der am 10. 10. 2018 abgeschlossene Vergleich ändere daran nichts. Sofern darin eine neuerliche Abtretung der Geschäftsanteile liege, wäre er von der Klägerin in Kenntnis der Umstände wiederholt worden, die behauptete Täuschung des Beklagten dafür daher nicht kausal.
[40] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.
[41] Das Berufungsgerichtließ außerdem die Revision zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Ermittlung der Schadenshöhe bei einer irrtümlichen Abtretung von GmbH‑Geschäftsanteilen bestehe.
[42] Rechtlich erörterte es, es könne dahinstehen, ob die Klägerin und die Erwerberin schlüssig österreichisches Recht gewählt hätten. Da der Abtretungsvertrag zwischen der Klägerin und der Erwerberin nicht Gegenstand des Rechtsstreits sei, stelle sich „in dieser Hinsicht“ die Frage des anzuwendenden Rechts nicht. Rechtlich relevant sei vielmehr die Anfechtung dieses Vertrags durch die Klägerin. Diese sei – entgegen dem Erstgericht – nach österreichischem Recht zu beurteilen. Hingegen sei die Frage, ob den Beklagten eine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht getroffen habe, gegebenenfalls, ob er gegen eine solche verstoßen habe, nach dem Gesellschaftsstatut der W*, also nach deutschem Recht, zu beurteilen. Hinsichtlich der übrigen zur Begründung des Schadenersatzanspruchs geltend gemachten Pflichtverletzungen des Beklagten ergebe sich kein Auslandsbezug. Fragen der deliktischen Haftung des Beklagten seien gemäß Art 4 Abs 1 Rom II‑VO nach österreichischem Recht zu beurteilen, weil der von der Klägerin behauptete Schaden an ihrem Sitz in Österreich eingetreten sei. Der im Verfahren des Landgerichts München I geschlossene Prozessvergleich sei nach deutschem Recht zu beurteilen.
[43] Materiell könne der geltend gemachte Schadenersatzanspruch nicht aus einer Treuepflichtverletzung des Beklagten abgeleitet werden, weil nicht er selbst, sondern die O* Gesellschafterin der W* gewesen sei. Der Schadenersatzanspruch könne auch nicht auf (schweren) Betrug iSd §§ 146, 147 Abs 3 StGB gestützt werden, weil der Beklagte den erforderlichen bedingten Vorsatz, die Klägerin an ihrem Vermögen zu schädigen, nicht verwirklicht habe.
[44] Hingegen sei beim „zivilrechtlichen Betrug“ kein Schädigungsvorsatz erforderlich. Der Beklagte habe den Geschäftsführer der Klägerin getäuscht, indem er ihn entgegen Treu und Glauben nicht darüber aufgeklärt habe, dass die O* ihre Geschäftsanteile behalten werde und dass – wirtschaftlich betrachtet – er selbst gemeinsam mit H* die Geschäftsanteile der Klägerin erwerben würde. Diese Täuschung sei kausal für den Verkauf der Geschäftsanteile der Klägerin gewesen. Nach § 875 ABGB werde der listig irreführende – auch ein irreführender Dritter wie der Beklagte – der irregeführten Vertragspartei gegenüber schadenersatzpflichtig. Den Beklagten treffe daher dem Grunde nach eine Schadenersatzpflicht gemäß §§ 874 f ABGB. Ein Mitverschulden der Klägerin scheide aus.
[45] Das Beklagtenvorbringen, wonach der Klägerin kein Schaden entstanden sei, weil sie durch ihre Vertragsanfechtungserklärung vom 29. 5. 2017 wieder ex tunc Eigentümerin der Geschäftsanteile an der W* geworden sei, sei nicht berechtigt. Die Klägerin habe die Anfechtung außergerichtlich sowie mit ihrer gegen die Erwerberin vor dem Landgericht München I erhobenen Klage erklärt. Beim Abtretungsvertrag handle es sich um einen Kaufvertrag, dessen Anfechtung sich gemäß Art 4 Abs 2 Rom I‑VO nach österreichischem Recht richte. Maßgeblich sei, dass das Verfahren mit einem Prozessvergleich geendet habe, mit dem die Vertragsparteien die (allfällige) Wirkung der Anfechtungserklärung hätten beseitigen wollen. Zwischen ihnen sollte einvernehmlich klargestellt werden, dass die Klägerin ab der Erfüllung der Zahlungsverpflichtung aus dem Vergleich gegenüber der W* und der Erwerberin auf eine Rückübertragung der Anteile verzichte. Die Klägerin habe damit von ihrem nach § 870 ABGB bestehenden Recht Gebrauch gemacht, am Abtretungsvertrag festzuhalten. Dadurch sei die Eintragung im deutschen Handelsregister in Bezug auf die Veräußerung der Geschäftsanteile durch die Klägerin nachträglich richtig und die Erwerberin Inhaberin der abgetretenen Geschäftsanteile. Der Vergleich sei kein Neuabschluss des Abtretungsvertrags, sondern beinhalte einen Verzicht der Klägerin auf die Vertragsanfechtung sowie eine Nachzahlung auf den Kaufpreis, die als Vertragsanpassung zu werten sei. Die Schadenersatzpflicht des Beklagten nach §§ 874 f ABGB bleibe durch den Vergleichsabschluss unberührt.
[46] Für die Ermittlung der Schadenshöhe sei davon auszugehen, dass der Schädiger den Geschädigten so zu stellen habe, wie er ohne schuldhaftes Verhalten gestellt wäre. Der Schaden sei durch eine Differenzrechnung zu ermitteln; es sei die wirkliche, durch das schädigende Ereignis eingetretene Lage mit der hypothetischen Lage ohne dieses Ereignis zu vergleichen. Gehe man davon aus, dass für den Vergleich auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz abzustellen sei, müsste die Entwicklung des Unternehmenswerts der W* seit dem Zeitpunkt des Anteilsverkaufs der Klägerin berücksichtigt werden. Dies werde der Ermittlung des Schadens der Klägerin aber nicht gerecht. Die Schadensermittlung bei GmbH‑Geschäftsanteilen sei nicht bei der Schadensermittlung bei volatilen Wertpapieren zu vergleichen, weil der Wert einer GmbH maßgeblich von unternehmerischen Entscheidungen abhänge und die Klägerin auch am unternehmerischen Erfolg der W* nach Abschluss des Anteilskaufvertrags nicht mehr profitiert habe, sodass ihr auch deren Misserfolg nicht mehr zur Last falle. Maßgeblich sei im vorliegenden Fall, dass sich das Vermögen der Klägerin durch den Abschluss des Anteilskaufvertrags um zumindest 8,94 Mio EUR, das seien 60 % des (Mindest-)Unternehmenswerts von 14,9 Mio EUR, reduziert habe. Davon seien der Kaufpreis, die an den Geschäftsführer der Klägerin geleistete Provision und der Vergleichsbetrag abzuziehen, was einen Schaden von 6,04 Mio EUR ergebe. Der eingeklagte Teilbetrag sei davon gedeckt.
Rechtliche Beurteilung
[47] Die Revision des Beklagten ist zur Präzisierung der kollisionsrechtlichen Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
1. Zum auf den Schadenersatzanspruch anzuwendenden Recht
[48] 1.1. Ist fremdes Recht maßgebend, so ist es von Amts wegen anzuwenden (RS0040189; RS0009230 [T1]). Für das Rechtsmittelverfahren folgt daraus, dass die allfällige unrichtige Lösung der Rechtsanwendungsfrage im Rahmen der rechtlichen Beurteilung der Sache (gegebenenfalls auch gegen den Willen der Parteien) wahrzunehmen ist (RS0040031). Voraussetzung ist nur, dass überhaupt eine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge vorliegt (2 Ob 130/20m; 3 Ob 153/18y; RS0045126 [T2, T7]). Letzteres ist hier der Fall.
[49] 1.2. Für die kollisionsrechtliche Anknüpfung des hier geltend gemachten Schadenersatzanspruchs ist die Rom II‑VO maßgeblich. Diese gilt für außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen (Art 1 Abs 1 Satz 1 Rom II‑VO), die nicht gemäß Abs 2 dieser Bestimmung vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind.
[50] 1.3. Beim hier zu beurteilenden Schadenersatzanspruch wegen absichtlicher sittenwidriger Schädigung bzw aus arglistiger Irreführung handelt es sich um ein außervertragliches Schuldverhältnis im Sinn der Rom II‑VO. Der Bezug zum Recht mehrerer Staaten ergibt sich daraus, dass der geltend gemachte Schaden der Klägerin mit Sitz in Österreich durch die Veräußerung von Geschäftsanteilen an einer GmbH mit Sitz in Deutschland entstanden sein soll.
[51] 1.4. Die Bereichsausnahme des Art 1 Abs 2 lit d Rom II‑VO liegt insofern, als es um die Beurteilung des Schadenersatzanspruchs der Klägerin geht, nicht vor. Soweit die Verletzung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten zu beurteilen wäre – was allerdings, wie sich aus dem Folgenden ergibt, nicht erforderlich ist –, wäre die Ermittlung von deren Bestand und Inhalt vielmehr gesondert anzuknüpfen.
[52] 1.5. Die Anknüpfung nach der Rom II‑VO erfolgt primär nach einer wirksamen Rechtswahl iSd Art 14 der Verordnung, dann nach deren Sonderanknüpfungen der Art 5 bis 9 der Verordnung, schließlich nach der Grundregel des Art 4 Rom II‑VO (vgl Neumayr in KBB6 Rom II‑VO Vor Art 1 Rz 3).
1.6. Im vorliegenden Fall kann die Frage, ob die Verfahrensparteien schlüssig österreichisches Recht für die Beurteilung des Schadenersatzanspruchs der Klägerin wählten, offen bleiben, weil die objektive Anknüpfung des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs nach Art 4 Rom II‑VO ohnehin zur Anwendung österreichischen Rechts auf diesen Anspruch führt. Eine Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts zur Beurteilung des Schadenersatzanspruchs wird von den Parteien nicht behauptet und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.
[53] 1.7. Es liegt auch kein Fall einer Sonderanknüpfung nach den Art 5 bis 9 Rom II‑VO vor. Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch ist daher nach der allgemeinen Kollisionsregel des Art 4 Rom II‑VO anzuknüpfen.
[54] 1.8. Nach Art 4 Abs 1 der Verordnung ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung als Grundregel das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.
[55] Haben jedoch die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und die Person, die geschädigt wurde, zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so unterliegt die unerlaubte Handlung nach Art 4 Abs 2 Rom II‑VO dem Recht dieses Staats.
[56] Art 4 Abs 3 Rom II‑VO sieht eine Ausweichklausel für den Fall einer einzelfallbezogenen engeren Verbindung zu einem anderen Staat vor.
[57] Innerhalb des Art 4 geht das Recht des Staates, in dem der Geschädigte und der in Anspruch genommene Haftpflichtige im Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art 4 Abs 2 Rom II‑VO) dem Abs 1 vor (Neumayr in KBB6 Rom II‑VO Art 4 Rz 1).
[58] 1.9. Da die Klägerin und der Beklagte zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt (Art 23 Rom II‑VO) in Österreich hatten und eine engere Verbindung zu einem anderen Staat nicht vorliegt, ist der geltend gemachte Schadenersatzanspruch nach österreichischem Recht zu beurteilen.
2. Zur arglistigen Irreführung und zur adäquaten Verursachung
2.1. Revisionsvorbringen
[59] 2.1.1. Das Berufungsgericht bejahte die Haftung des Beklagten gemäß § 874 ABGB.
[60] 2.1.2. Der Beklagte zieht nicht in Zweifel, dass die Schadenersatzpflicht wegen wissentlicher Irreführung zum Vertragsabschluss gemäß § 874 ABGB auch dann Platz greift, wenn die arglistige Irreführung nicht durch den Vertragspartner, sondern – wie hier – durch einen Dritten, nämlich den Beklagten, erfolgte (vgl 4 Ob 73/14k; 9 Ob 84/18w; RS0016298).
[61] In seiner Revision macht der Beklagte vielmehr geltend, es liege gar keine listige Irreführung vor, weil er nicht zur Aufklärung der Klägerin über den wahren wirtschaftlichen Erwerber verpflichtet gewesen sei. Darüber hinaus fehle es an der (adäquaten) Kausalität und dem Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil der Schaden der Klägerin nicht im Verkauf der Geschäftsanteile liege, sondern darin, dass sie dafür einen zu geringen Kaufpreis erhalten habe. Dieser Schaden beruhe auf dem unrichtigen Bewertungsgutachten und sei dem Beklagten nicht zurechenbar.
2.2. Zum Vorliegen von Arglist
[62] 2.2.1. List iSd § 870 ABGB ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung (RS0014821). Grobe Fahrlässigkeit reicht nicht aus, wohl aber dolus eventualis (6 Ob 244/17a; RS0014827 [T6]). Das Verhalten des Täuschenden muss für den Irrtum kausal sein (4 Ob 11/13s; RS0014790; RS0014821 [T3]). List setzt ein für die Entstehung des Irrtums vorsätzliches Verhalten des Irreführenden voraus (6 Ob 244/17a). Der Vertragsschließende wird durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen in Irrtum geführt oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen in seinem Irrtum belassen oder bestärkt und dadurch zum Vertragsabschluss bestimmt (RS0014827 [T4, T5]). Ob der Irrtum positiv durch Vorspiegelung falscher oder irreführender Tatsachen erregt wurde oder ob vorsätzlich Tatsachen verschwiegen wurden, ist für die Beurteilung, ob List vorliegt, irrelevant (3 Ob 520/94). Der Unterscheidung kommt nur insofern Bedeutung zu, als für eine Irreführung durch Verschweigen von Tatsachen als zusätzliche Voraussetzung zu fordern ist, dass der Irreführende gegenüber dem Irregeführten zur Aufklärung verpflichtet war (RS0014817; vgl RS0014820; RS0014790 [T4]). Die Erweckung eines Motivirrtums ist ausreichend (RS0079857; RS0014792 [T7]).
[63] 2.2.2. Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Beklagte, H* und F* die W* ohne die Klägerin und ihren Geschäftsführer weiterführen wollten, dass sie planten, die Geschäftsanteile der Klägerin zu erwerben und den Entschluss fassten, den Geschäftsführer der Klägerin über den wahren Käufer zu täuschen. Darüber hinaus steht fest, dass und mit welchen Vorgangsweisen sie diesen Entschluss in die Tat umsetzten. Nach dem festgestellten Sachverhalt setzten der Beklagte sowie H* und F* in Umsetzung dieses Plans eine Reihe von aktiven Täuschungshandlungen. Unter anderem teilte der Beklagte dem Geschäftsführer der Klägerin wahrheitswidrig mit, dass er die Anteile seiner Gesellschaft (der O*) an der W* verkaufen wolle; er stellte auch zum Schein ein Verkaufsangebot. Dabei war dem Beklagten stets klar, dass der Geschäftsführer der Klägerin nicht verkauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass der Beklagte die Anteile der O* an der W* behalten und seinerseits die Anteile der Klägerin über eine Treuhandkonstruktion erwerben würde.
[64] 2.2.3. Der Beklagte hat durch sein Verhalten dem Geschäftsführer der Klägerin bewusst und aktiv falsche Tatsachen vorgespiegelt. Dadurch, und nicht erst durch den Umstand, dass er seine eigene Täuschung nicht nachträglich offenlegte, wurde die Fehlvorstellung des Geschäftsführers der Klägerin herbeigeführt. Da die Täuschung nicht durch Verschweigen erfolgte, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die von der Klägerin ins Treffen geführten Treuepflichten des Beklagten eine Aufklärung der Klägerin erforderlich gemacht hätten. Die Voraussetzungen der arglistigen Irreführung iSd § 870 ABGB wurden von den Vorinstanzen vielmehr zutreffend bejaht.
[65] 2.2.4. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob der Willensmangel vorlag, ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses durch den Irregeführten (RS0115484). Der Umstand, dass die (verdeckte) Treuhand zu einem späteren Zeitpunkt aufgelöst wurde, sodass die Treuhänderin die Geschäftsanteile an der W* auch wirtschaftlich erwarb, ändert daher nichts am Vorliegen von Arglist im Hinblick auf die Veräußerung der Geschäftsanteile durch die Klägerin.
2.3. Zum adäquaten Kausalzusammenhang
[66] 2.3.1. Ein adäquater Kausalzusammenhang liegt auch dann vor, wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden hinzu getreten und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge dieses Hinzutreten als wahrscheinlich zu erwarten ist, jedenfalls aber nicht außerhalb der menschlichen Erwartung liegt; es kommt nur darauf an, ob nach den allgemeinen Kenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht gerade außergewöhnlich ist (6 Ob 232/18p; 6 Ob 182/18k; RS0022918). Es genügt, dass die generelle Eignung zur Schadensherbeiführung von jedem vernünftigen Menschen erkannt werden konnte, wenn auch die Einzelfolge gerade nicht erkennbar war (6 Ob 232/18p; 6 Ob 182/18k; RS0022918 [T2]). Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs ist objektiv und nicht danach zu beurteilen, was dem Schädiger subjektiv voraussehbar war (RS0022546 [T4]).
[67] Durch Handlungen, die auf dem freien Willen Dritter beruhen, wird die Adäquität nicht notwendigerweise ausgeschlossenen, sondern es kommt allein darauf an, ob dieses Verhalten des Dritten nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag (2 Ob 275/97y; 6 Ob 182/18k). Es besteht keine Haftung, wenn mit der Handlung des Dritten nach der Lebenserfahrung nicht gerechnet werden musste (2 Ob 275/97y; 1 Ob 253/01i; RS0022621; RS0022918 [T19]). Bei der Beurteilung der Zurechnung der weiteren Schäden zum Ersttäter ist eine wertende Betrachtung geboten (6 Ob 182/18k mwN).
[68] 2.3.2. Hat ein Schädiger (Ersttäter) eine rechtswidrige Handlung dem Geschädigten gegenüber gesetzt und kommt es durch die einem Dritten (Zweittäter) vorwerfbare (oder ihm sonst zuzurechnende) Handlung zur Schadensentstehung oder Schadenserweiterung, so haften beide in der Regel solidarisch (6 Ob 182/18k; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1295 ABGB Rz 20).
[69] 2.3.3. Im vorliegenden Fall war die arglistige Irreführung des Geschäftsführers der Klägerin darüber, dass der Beklagte die Geschäftsanteile der O* an der W* nicht verkaufen, sondern im Gegenteil (wirtschaftlich) gemeinsam mit H* die Geschäftsanteile der Klägerin erwerben würde, nach den Feststellungen kausal (im Sinn einer conditio sine qua non, vgl RS0128162) dafür, dass die Klägerin ihre Geschäftsanteile überhaupt veräußerte.
[70] 2.3.4. Es ist nicht unüblich, dass ein Gesellschafter vor der beabsichtigten Veräußerung von Geschäftsanteilen ein Bewertungsgutachten einholt, um seine Preisvorstellungen daran auszurichten; dass dabei ein unrichtiger Wert ermittelt wird, liegt auch nicht außerhalb der Lebenserfahrung.
[71] 2.3.5. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung liegt die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts durch ein unrichtiges Gutachten, das aufgrund eines fachlichen Fehlers einen zu niedrigen Wert der Geschäftsanteile ausweist, im Rahmen der Lebenserfahrung. Der (auch) dadurch verursachte Schaden ist daher im vorliegenden Fall vom Beklagten adäquat verursacht.
[72] 2.3.6. Hat der Schädiger vorsätzlich gehandelt, führt der Umstand, dass der Geschädigte fahrlässig gehandelt hat, nicht zu einer Schadensteilung: Die Zurechnung des Schadens zum Verantwortungsbereich des Schädigers überwiegt so stark, dass die Fahrlässigkeit des Geschädigten nicht ins Gewicht fällt (RS0016291 [T1]). Davon ausgehend erblickte das Berufungsgericht in dem Umstand, dass der Geschäftsführer der Klägerin das Bewertungsgutachten nur (zumindest) überblicksweise las, kein Mitverschulden der Klägerin. Dem hält die Revision keine stichhältigen Argumente entgegen. Vielmehr wird zugestanden, dass selbst für den Beklagten, der jahrelang Steuerberater der Unternehmensgruppe war, keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des Gutachtens erkennbar waren; aus welchen Gründen der Geschäftsführer der Klägerin dann die Unrichtigkeit hätte erkennen müssen, wird nicht dargetan.
[73] 2.3.7. Das Berufungsgericht hat die Haftung des Beklagten dem Grunde nach daher zutreffend bejaht.
3. Zum Vorliegen eines Schadens
3.1. Zum Schadenseintritt und zum behaupteten Wegfall des Schadens
[74] 3.1.1. Wie ausgeführt, ist der geltend gemachte Schadenersatzanspruch nach österreichischem Recht zu beurteilen.
[75] 3.1.2. Der weite Schadensbegriff des ABGB umfasst jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Ein Nachteil am Vermögen ist jede Minderung im Vermögen, der kein volles Äquivalent gegenübersteht (RS0022537 [T1]).
[76] 3.1.3. Bereits durch den Abschluss des Kaufvertrags über die Geschäftsanteile entstand der Klägerin ein Vermögensschaden, weil sie dadurch zur Vornahme des Verfügungsgeschäfts – der Übertragung der Geschäftsanteile – zu einem unter deren Wert liegenden Kaufpreis verpflichtet war.
[77] 3.1.4. Der Beklagte steht auf dem Standpunkt, der zunächst eingetretene Schaden sei nachträglich weggefallen, weil es der Klägerin gelungen sei, ihn durch ihre eigene Vorgangsweise zur Gänze zu beseitigen, indem sie das Verpflichtungs- und das Verfügungsgeschäft mit Erklärung vom 29. 5. 2017 gegenüber der Erwerberin wegen arglistiger Irreführung anfocht, wodurch die Geschäftsanteile auf die Klägerin zurückgefallen seien.
[78] 3.1.5. Zur Prüfung der Auswirkungen der Anfechtungserklärung der Klägerin auf den eingetretenen Schaden ist inzidenter – auf Grundlage des im vorliegenden Verfahren dazu erstatteten Vorbringens und der dazu getroffenen Feststellungen – zu prüfen, welche Rechtswirkungen die Anfechtungserklärung im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Erwerberin entfaltete. Klarzustellen ist, dass eine derartige inzidente Entscheidung keine Rechtskraftwirkung entfaltet und nur für die Parteien des vorliegenden Verfahrens – also nicht im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Erwerberin – wirkt.
[79] Ausgehend von der Beurteilung der Rechtswirkungen der Anfechtung ist zu beurteilen, ob es sich bei dem zwischen den dortigen Verfahrensparteien vor dem Landgericht München I geschlossenen Vergleich tatsächlich – wie der Beklagte vorbringt – um eine Vermögensdisposition der Klägerin handelt, durch den sie ihren bereits beseitigten Schaden neuerlich zum Entstehen brachte.
3.2. Zur kollisionsrechtlichen Anknüpfung der Veräußerung von GmbH-Anteilen
[80] 3.2.1. Bei der Übertragung von GmbH-Anteilen ist zwischen dem schuldrechtlichen Verpflichtungs- und dem Verfügungsgeschäft zu differenzieren (Neumayr in KBB6 § 10 IPRG Rz 4; vgl 6 Ob 525/89).
[81] 3.2.2. Das Verpflichtungsgeschäft ist dem Vertragsstatut unterworfen (Neumayr in KBB6 § 10 IPRG Rz 4). Demnach ist das anwendbare Recht nach den Regeln der Rom I‑VO zu ermitteln. Der Ausschluss gesellschaftsrechtlicher Materien vom Anwendungsbereich der Rom I‑VO greift für schuldrechtliche Geschäfte, die die Verpflichtung zur Übertragung von Geschäftsanteilen begründen, nicht (Eckert, Internationales Gesellschaftsrecht [2010] 384 f).
[82] 3.2.3. Das Vertragsstatut bestimmt sich primär nach dem von den Parteien gewählten Recht (Art 3 Rom I‑VO), mangels Rechtswahl der objektiven Anknüpfung nach Art 4 Rom I‑VO. Die Rechtswahl kann ausdrücklich oder schlüssig erfolgen (Neumayr in KBB5 Rom I‑VO Art 3 Rz 5). Art 3 Abs 2 Rom I‑VO gestattet eine nachträgliche Rechtswahl, die auch noch während eines anhängigen Verfahrens – auch konkludent – erfolgen kann (Neumayr in KBB5 Rom I‑VO Art 3 Rz 6). Eine konkludente Rechtswahl kann etwa darin liegen, dass sich beide Parteien im Verfahren auf Regelungen einer bestimmten Rechtsordnung für die Beurteilung ihres Rechtsverhältnisses berufen (RS0040169 [T3]; 1 Ob 63/18y).
[83] 3.2.4. Gemäß Art 10 Abs 1 Rom I‑VO sind auch Willensmängel – insbesondere Irrtum, arglistige Täuschung und Drohung – nach dem Vertragsstatut anzuknüpfen (Hausmann in Staudinger, Kommentar zum BGB, Internationales Vertragsrecht 1 [2021], Rom I‑VO Art 10 Rz 24). Das Vertragsstatut entscheidet auch über die Rechtsfolgen von Willensmängeln; es legt fest, ob der Willensmangel kraft Gesetzes zur Nichtigkeit der Vertragserklärung führt oder ob es der Anfechtung durch gestaltende Willenserklärung oder Klageerhebung bedarf (Hausmann in Staudinger, Rom I‑VO Art 10 Rz 25).
[84] 3.2.5. Hingegen fällt die Frage, unter welchen Voraussetzungen es zum dinglichen Rechtsübergang an verkauften Gesellschaftsanteilen kommt, unter die Bereichsausnahme des Gesellschaftsrechts gemäß Art 1 Abs 2 lit f Rom I‑VO. Diese Frage untersteht daher nicht der Rom I‑VO, sondern dem autonomen Kollisionsrecht der lex fori (Czernich, Kollisionsrechtliche Frage grenzüberschreitender Unternehmens- und Anteilskäufe, in Althuber/Schopper, Handbuch Unternehmenskauf & Due Diligence, Band I: Legal² [2015] Rz 24; ders, Der internationale Unternehmenskauf vor dem Schiedsgericht: Anwendbares Recht, GES 2014, 437 [441]; Eckert, Internationales Gesellschaftsrecht 131). Da das Sachstatut des § 31 IPRG nur körperliche Sachen erfasst, ist es nicht auf Gesellschaftsanteile anwendbar. Der dingliche Übergang der Anteile unterliegt vielmehr dem Personalstatut der juristischen Person (Czernich in Althuber/Schopper, Rz 24; ders, GES 2014, 441; Eckert, Internationales Gesellschaftsrecht 391; vgl 6 Ob 525/89).
[85] 3.2.6. Eine Rechtswahl der Parteien des Anteilskaufvertrags (also der Klägerin und der Erwerberin) im Zuge des Vertragsabschlusses lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. Entgegen dem Revisionsvorbringen kommt dem Abschlussort und der Beiziehung eines deutschen Notars kollisionsrechtlich keine maßgebliche Bedeutung zu (vgl Czernich in Althuber/Schopper, Rz 13). Auch die Hinterlegung der Gesellschafterliste der W* beim (deutschen) Handelsregister kann im Hinblick darauf, dass es sich um eine dort eingetragene Gesellschaft handelt, nicht als Ausdruck einer Rechtswahl angesehen werden.
[86] 3.2.7. Auch eine nachträgliche einvernehmliche Rechtswahl der Klägerin und der Erwerberin lässt sich aus dem festgestellten Sachverhalt – der für die hier vorzunehmende Inzidentbeurteilung des Verhältnisses zwischen der Klägerin und der Erwerberin maßgeblich ist –nicht ableiten. Aus den Feststellungen ergibt sich zwar, dass die Klägerin ihre Anfechtungserklärung vom 29. 5. 2017 und ihre Klage vor dem Landgericht München I auf Bestimmungen des BGB stützte. Es ergibt sich aber nicht, dass – wie in der Revision behauptet – auch die Erwerberin mit einer Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts einverstanden war.
[87] Dass der Beklagte im vorliegenden Verfahren von der Anwendung deutschen Rechts auf den Anteilskaufvertrag ausgeht, hat auf das Vorliegen einer Rechtswahl im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Erwerberin keinen Einfluss.
[88] Die Anknüpfung des Anteilskaufvertrags hat daher (für die hier vorzunehmende Inzidentgeurteilung) nach Art 4 Rom I‑VO zu erfolgen.
[89] 3.2.8. Im vorliegenden Fall ist nicht die Sonderregel des Art 4 Abs 1 lit a Rom I‑VO maßgeblich, weil diese Vorschrift nur Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen, nicht hingegen Geschäftsanteile erfasst (vgl Czernich in Althuber/Schopper, Rz 17; ders, GES 2014, 440).
[90] 3.2.9. Nach der allgemeinen Regel des Art 4 Abs 2 Rom I‑VO ist das Recht jener Partei anzuwenden, die die vertragscharakteristische Leistung erbringt. Ergibt sich allerdings aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderem Staat aufweist, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden (Art 4 Abs 3 Rom I‑VO).
[91] Eine Regeldurchbrechung iSd Art 4 Abs 3 Rom I‑VO ist auf Ausnahmekonstellationen beschränkt, weil ansonsten die Grundnorm der Maßgeblichkeit der vertragscharakteristischen Leistung durchbrochen würde (Czernich in Althuber/Schopper, Rz 18; ders, GES 2014, 440; vgl 1 Ob 19/11t zum EVÜ). Für eine derartige stärkere Verbindung kann bei einem Kaufvertrag über einen Mehrheitsanteil an einer Gesellschaft sprechen, dass nicht der Anteilserwerb, sondern der Erwerb des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens im Vordergrund des Geschäfts steht (Czernich in Althuber/Schopper, Rz 18). Die Ausnahme ist aber eng auszulegen, die stärkere Verbindung des Vertrags zu einem anderen Staat muss offensichtlich sein (Eckert, Internationales Gesellschaftsrecht 128 f).
[92] 3.2.10. Die vertragscharakteristische Leistung erbrachte im vorliegenden Fall die Klägerin, die ihre Geschäftsanteile verkaufte. Art 4 Abs 2 Rom I‑VO führt daher zur Anwendung des Rechts der Klägerin, also des österreichischen Rechts.
[93] Das von der W* betriebene Unternehmen war zwar überwiegend in Bayern tätig, woraus sich ein Bezug zu Deutschland ergibt. Für die Erwerberin stand das Unternehmen aber nicht im Vordergrund; sie hatte lediglich die Funktion einer Treuhänderin. Für den Beklagten als wirtschaftlichen Erwerber ging es darum, sich der Klägerin als Mitgesellschafterin zu entledigen. Für den Geschäftsführer der Klägerin war entscheidend, dass sich für ihn ein Verkauf als wirtschaftlich vorteilhafter darstellte. Ein besonderer Bezug zu Deutschland ergibt sich aus der dargestellten Motivationslage nicht. Dazu kommt als ergänzender Bezugspunkt zu Österreich, dass der Geschäftsführer der Klägerin vertraglich von seinen persönlichen Haftungen freigestellt wurde.
[94] Aus den dargestellten Umständen ergeben sich Bezüge zu Österreich und zu Deutschland. Eine offensichtlich engere Beziehung zu Deutschland (Art 4 Abs 3 Rom I‑VO) kann dem Vertrag insgesamt aber nicht entnommen werden.
[95] 3.2.11. Auf den Anteilskaufvertrag (das Verpflichtungsgeschäft) ist daher gemäß Art 4 Abs 2 Rom I‑VO österreichisches Recht anzuwenden.
[96] 3.2.12. Das für den dinglichen Rechtserwerb an den Geschäftsanteilen maßgebliche Recht richtet sich nach dem Personalstatut der W*. Das ist gemäß § 10 IPRG der Sitz ihrer Hauptverwaltung. Das dingliche Verfügungsgeschäft ist daher nach deutschem Sachrecht zu beurteilen.
[97] 3.2.13. § 15 dGmbHG verlangt sowohl für das Verpflichtungs- (§ 15 Abs 4 GmbHG) als auch für das Verfügungsgeschäft (§ 15 Abs 3 dGmbHG; nach deutscher Terminologie als Abtretung bezeichnet) die notarielle Form, wobei beide Geschäfte in einer gemeinsamen Urkunde verbunden werden können (vgl nur Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht5 [2021] § 15 GmbHG Rz 5; Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG I³ [2019] § 15 GmbHG Rz 42, 115). Ein ohne Beachtung der Form geschlossener obligatorischer Vertrag wird gemäß § 15 Abs 4 Satz 2 dGmbHG durch die formgültige dingliche Abtretung geheilt.
[98] 3.2.14. Die Parteien ziehen die Beurteilung des Berufungsgerichts, das vom formwirksamen Abschluss des Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfts des Anteilskaufvertrags unter Einhaltung der Form des § 15 Abs 3 dGmbH für die (dingliche) Übertragung der Geschäftsanteile und daraus folgend von einem (zunächst) wirksamen Erwerb der Geschäftsanteile durch die Erwerberin ausging, nicht in Zweifel. Der Beklagte rügt vielmehr, das Berufungsgericht habe die Rechtswirkungen der Anfechtungserklärung der Klägerin unrichtig beurteilt.
3.3. Zur Vertragsanfechtung
[99] 3.3.1. Die Anfechtung des Anteilskaufvertrags wegen Arglist ist – wie ausgeführt – nach österreichischem Recht zu beurteilen.
[100] 3.3.2. Gemäß §§ 877, 1487 ABGB muss das Anfechtungsrecht seitens des Irrenden gerichtlich geltend gemacht werden. Dies kann aber auch in der Form geschehen, dass der Irrende unter der Behauptung der Ungültigkeit des Geschäfts auf Rückstellung der von ihm bewirkten Leistung klagt (RS0016253 [T1]). Die Gestaltungswirkung tritt bei einer Anfechtung wegen List oder Irrtums erst mit Rechtskraft des Urteils ein (RS0108542; vgl RS0018814).
[101] 3.3.3. Die außergerichtliche Anfechtungserklärung der Klägerin vom 29. 5. 2017 führte daher nicht zur Auflösung des Anteilskaufvertrags. Auch wenn die mit der arglistigen Irreführung begründete Klage der Klägerin vor dem Landgericht München I – gerichtet auf Einreichung einer die Klägerin als Gesellschafterin der W* ausweisenden Gesellschafterliste zum Handelsregister und Feststellung ihrer Gesellschafterstellung in der W* – die Voraussetzung der gerichtlichen Geltendmachung des Willensmangels erfülle, fehlt es für die Beseitigung des Verpflichtungsgeschäfts an der gerichtlichen Gestaltungswirkung, weil das Verfahren durch Prozessvergleich endete.
[102] 3.3.4. Hingegen ist für die Anfechtung des Verfügungsgeschäfts nach deutschem Recht die formfreie – und zwar auch dann, wenn das angefochtene Geschäft formbedürftig war – einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ausreichend (Busche in MünchKomm BGB9 § 143 Rz 4). Die wirksame Anfechtung des Verfügungsgeschäfts im Verhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber führt dazu, dass die Abtretung als von Anfang an nichtig anzusehen ist (Löbbe in Habersack/Caper/Löbbe, GmbHG I³ § 15 Rz 149; zum Rückfall der erworbenen Geschäftsanteile an den Veräußerer siehe BGH II ZR 25/89 NJW 1990, 1915; vgl VII ZR 409/02; VIII ZR 37/06 NZG 2007, 271; XI ZR 465/07 NZG 2010, 991 [993 f]; vgl Altmeppen in Altmeppen, dGmbHG10 [2021] § 15 Rz 20; Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, dGmbHG³ [2017] § 15 Rz 129).
[103] 3.3.5. Da im vorliegenden Fall der (obligatorische) Anteilskaufvertrag, aufgrund dessen die Klägerin zur Übertragung der Geschäftsanteile an die Erwerberin verpflichtet ist, durch die Vertragsanfechtung nicht beseitigt wurde, ist der Schaden der Klägerin nicht weggefallen. Ob die außergerichtliche Anfechtung des Verfügungsgeschäfts nach deutschem Recht wirksam war und die Geschäftsanteile infolgedessen ohne weiteren Übertragungsakt an die Klägerin zurückfielen oder ob die Berechtigung an den Geschäftsanteilen wegen einer allfälligen Unwirksamkeit der Anfechtung des Verpflichtungsgeschäfts ohnehin bei der Erwerberin verblieben, ist für den eingetretenen Schaden nicht entscheidend. Denn selbst im Fall eines Rückfalls der Geschäftsanteile an die Klägerin wäre diese aus dem aufrechten Anteilskaufvertrag zur Übertragung der Anteile an die Erwerberin verpflichtet.
[104] Der Einwand des Beklagten, der Schaden der Klägerin sei bereits aufgrund ihrer Anfechtungserklärung vom 29. 5. 2017 weggefallen, ist daher nicht berechtigt.
3.4. Zum Prozessvergleich
[105] 3.4.1. Der Beklagte meint weiter, nach dem Wegfall des Vermögensschadens durch die Anfechtungserklärung sei der danach abgeschlossene Prozessvergleich als eigenständige, mit der ursprünglichen schädigenden Handlung des Beklagten – der arglistigen Irreführung – nicht mehr im Zusammenhang stehende nachteilige Vermögensdisposition der Klägerin zu beurteilen.
[106] 3.4.2. Wie ausgeführt bewirkte die Anfechtungserklärung nicht den Wegfall des Anteilskaufvertrags, sodass der bereits zuvor eingetretene, dem Beklagten zuzurechnende Vermögensschaden der Klägerin dadurch nicht weggefallen ist. Die Argumentation des Beklagten zur „Selbstschädigung“ der Klägerin durch den Abschluss des Prozessvergleichs beruht daher auf einer unrichtigen Prämisse. Der Vergleichsabschluss bewirkte vielmehr, dass die Klägerin für ihre – nach wie vor aus dem Anteilskaufvertrag bestehende – Verpflichtung zur Verschaffung der Geschäftsanteile an der W* eine zusätzliche Zahlung von 800.000 EUR lukrieren konnte, die sie sich als Vorteil auf den geltend gemachten Schadenersatzanspruch anrechnen lässt.
[107] 3.4.3. Auch der Prozessvergleich führte daher nicht zum gänzlichen Wegfall des bereits eingetretenen Vermögensschadens der Klägerin.
3.5. Zur Schadensberechnung
[108] 3.5.1. Das Berufungsgericht stellte die Grundsätze der Schadensberechnung im Weg der Differenzmethode zutreffend dar, sodass darauf verwiesen werden kann. Konkret kam es zum Ergebnis, dass für den Vergleich der tatsächlichen Vermögenslage der Klägerin mit der hypothetischen Lage ohne das schädigende Ereignis auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Unternehmenskaufvertrags durch die Klägerin abzustellen sei; es ermittelte die Differenz zwischen dem (Mindest‑)Wert der Geschäftsanteile zum Stichtag des Bewertungsgutachtens des Wirtschaftsprüfungsunternehmens – dem 28. 11. 2014 – und den von der Klägerin erlangten Leistungen (Kaufpreis, an den Geschäftsführer geleistete Provision und Zahlung aufgrund des Prozessvergleichs).
[109] 3.5.2. In der Revision wird zwar darauf hingewiesen, dass der Wert der Geschäftsanteile zum Stichtag 28. 11. 2014 und nicht zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses festgestellt wurde. Der Beklagte behauptet aber gar nicht konkret, dass in der Zwischenzeit eine Änderung des Werts stattgefunden habe. Soweit er meint, zum Stichtag hätte ein niedrigerer Wert der Geschäftsanteile zugrunde gelegt werden müssen, bekämpft er in Wahrheit die von den Vorinstanzen aus dem Sachverständigengutachten gezogenen Schlüsse. Die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen kann vor dem Obersten Gerichtshof aber nicht mehr aufgegriffen werden.
[110] 3.5.3. Die Negativfeststellung des Erstgerichts dazu, ob für die Geschäftsanteile tatsächlich ein Preis von zumindest 14,9 Mio EUR erreicht worden wäre, ist – wie sich eindeutig in Zusammenschau mit der Beweiswürdigung des Erstgerichts ergibt – nicht dahin zu verstehen, dass in Wahrheit ein Verkehrswert der Geschäftsanteile nicht ermittelbar gewesen wäre; damit sollte vielmehr ausgedrückt werden, dass, nachdem der Veräußerung der Geschäftsanteile ein unrichtiges Bewertungsgutachten zugrunde lag, die Feststellung der Höhe des unter Zugrundelegung eines fachlich richtigen Bewertungsgutachtens erzielten Kaufpreises zwangsläufig hypothetisch ist. Soweit die Revision daraus schließt, der Wert der Geschäftsanteile sei in Wahrheit nicht ermittelbar gewesen, trifft dies nicht zu.
[111] 3.5.4. Während der objektiv-abstrakte Schaden der Differenz der gemeinen Werte des beschädigten Rechtsguts vor und nach der Beschädigung ohne Rücksicht auf die Rückwirkungen des Schadenereignisses auf das sonstige Vermögen und auf die subjektiven Umstände des Geschädigten entspricht, ist das Interesse die Differenz zwischen der Vermögenslage des Geschädigten, wie sie sich im Beurteilungszeitpunkt ohne schädigendes Ereignis darstellen würde, und dem nach dem schädigenden Ereignis tatsächlich vorhandenen Vermögensstand (RS0030119).
[112] 3.5.5. Im Fall der Schädigung eines Depotberechtigten durch einen gefälschten Verkaufsauftrag für sehr volatile Wertpapiere wurde dem Geschädigten gegenüber der beklagten Bank die Naturalrestitution durch Übergabe der genauen Stückzahl der verkauften Aktien zugestanden. Soweit der dortige Kläger die Naturalrestitution als untunlich ansah und den (Geld-)Ersatz des gemeinen Werts der nachträglich im Kurs gefallenen Wertpapiere zum Schädigungszeitpunkt begehrte, erblickte der Oberste Gerichtshof darin eine von der Ausgleichsfunktion des Schadenersatzrechts nicht gedeckte Überwälzung des Anlegerrisikos auf die beklagte Bank. Er sprach daher aus, das Prinzip des objektiv-abstrakten Schadenersatzes auf Basis des gemeinen Werts zum Schädigungszeitpunkt gelte nicht unbedingt (1 Ob 46/11p EvBl 2012/53 [Karner]).
[113] 3.5.6. Dass der vorliegende Fall, in dem die Klägerin aufgrund des – durch die vorsätzliche Täuschung des Beklagten bewirkten – Verlusts ihrer Geschäftsanteile keinen Einfluss mehr auf die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft nach dem Schädigungszeitpunkt nehmen konnte, mit dem Verkauf volatiler Wertpapiere, denen Kursschwankungen immanent sind (1 Ob 46/11k), nicht vergleichbar ist, hat das Berufungsgericht bereits zutreffend dargelegt (§ 510 Abs 3 ZPO). Aus dieser Entscheidung können daher für die Schadensberechnung im vorliegenden Fall keine Rückschlüsse gezogen werden.
[114] 3.5.7. Auch der Entscheidung 6 Ob 244/12v (GesRZ 2013, 209 [Apathy]) lag eine mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Sachverhaltskonstellation zugrunde, in der der klagende Gesellschafter durch eine rechtswidrige, weil gegen den Treuhandvertrag verstoßende, Kapitalerhöhung seine einem Hälfteanteil entsprechende Einflussposition in der Gesellschaft durch Verwässerung seiner Anteile verlor.
[115] Im vorliegenden Fall ging die Klägerin aber ihrer Geschäftsanteile und dadurch eines in ihrem Vermögen zuvor vorhandenen Gutes verlustig. Dieser Schaden kann auch in Geld ausgedrückt werden.
[116] 3.5.8. Soweit sich der Beklagte gegen eine Schadensermittlung bezogen auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts wendet, ist er darauf zu verweisen, dass sich die Klägerin ihren nachträglich aus dem Prozessvergleich erlangten Vorteil ohnehin anrechnen ließ.
4. Zur Mangelhaftigkeit des Berufungs-verfahrens
[117] Der gerügte Verfahrensmangel, den der Beklagte darin erblickt, dass das Berufungsgericht § 405 ZPO verletzt habe, weil es den Anspruch auf eine von der Klägerin gar nicht angezogene arglistige Irreführung gestützt habe, wurde geprüft, er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
5. Kosten
[118] Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.
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