OGH 10Ob16/23k

OGH10Ob16/23k25.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober, Dr. Thunhart und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 25.617,86 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2019, GZ 2 R 151/19t‑23, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 21. August 2019, GZ 5 Cg 118/18z‑19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00016.23K.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

I. Das mit Beschluss vom 24. Februar 2023, AZ 10 Ob 40/22p, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 17. Februar 2021 eingereichten, zu C‑100/21 behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochene Revisionsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird fortgesetzt.

Der Fortsetzungsantrag der klagenden Partei wird, soweit er (weitere) Ausführungenenthält, zurückgewiesen.

Die Eingabe der klagenden Partei vom 18. Juli 2022 wird zurückgewiesen.

II. Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

[1] I.1. Der Senat hat das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 24. 2. 2023, AZ 10 Ob 40/22p, bis zur Entscheidung des EuGH über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 17. 2. 2021 beim Europäischen Gerichtshof eingereichten, zu C‑100/21 gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

[2] I.2. Nunmehr hat der EuGH mit Urteil vom 21. 3. 2023, C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, diese Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsverfahren ist daher antragsgemäß fortzusetzen.

[3] I.3. Soweit im Fortsetzungsantrag darüber hinaus auch weitere Ausführungen (Anregung zum Auftrag eines Schriftsatzwechsels „vor der nächsten Tagsatzung“) enthalten sind, verstößt dies gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels, nach dem auch Nachträge oder Ergänzungen unzulässig sind (RS0041666). Aus dem gleichen Grund ist auch die Eingabe des Klägers vom 18. 7. 2022 zurückzuweisen.

 

Zu II.:

[4] Der Kläger kaufte mit Vertrag vom 9. 12. 2008 den von der Beklagten hergestellten VW Tiguan Track and Field TDI D‑PF 4MOTION als Neuwagen um einen Kaufpreis von 35.200 EUR.

[5] Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007; künftig: VO 715/2007/EG ). Es ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse EU 5 ausgestattet.

[6] Der Dieselmotor war mit einer Software ausgestattet, die bewirkte, dass dieses Fahrzeug am Prüfstand (NEFZ) die Stickoxid-(NOx-)Werte der Euro 5 Abgasnorm einhielt, während es im normalen Fahrbetrieb auf Straßen einen deutlich höheren NOx-Ausstoß aufwies, weil im normalen Straßenverkehr (Modus 0 oder Standardmodus 0) weniger Abgase rückgeführt wurden als am Prüfstand (Modus 1 oder NEFZ-Modus 1). Die Abgasrückführung dient vor allem der Reduktion der NOx-Werte, zur Funktionsweise kann auf die Feststellungen in der einen Motor gleichen Typs betreffenden Entscheidung 10 Ob 2/23a (Rz 3) vom 21. 2. 2023 verwiesen werden.

[7] Das für die Erteilung der EG‑Typengenehmigung zuständige deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (künftig: KBA) bewertete diese „Umschaltlogik“ (Standardmodus 0 und NEFZ-Modus 1) als unzulässige Abschalteinrichtung. Es erteilte die EG-Typengenehmigung, weil die „Umschaltlogik“ ihr gegenüber nicht offengelegt wurde.

[8] Am 15. 10. 2015 verhängte das KBA der Beklagten gegenüber eine „Nachträgliche Anordnung einer Nebenbestimmung zur EG-Typengenehmigung“ gemäß § 25 Abs 2 (deutsche) EG-FGV (Verordnung über die EG‑Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge, EG‑Fahrzeuggenehmigungs-verordnung), mit der es (unter anderem) anordnete, zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der genehmigten Aggregate des Typs EA189 EU 5 die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen.

[9] Um den vom KBA geforderten Zustand herzustellen, hat die Zweitbeklagte ein Software-Update entwickelt. Dieses bewirkt, dass die „Umschaltlogik“ eliminiert wird, wodurch das Fahrzeug durchgehend im Modus 1 betrieben wird.

[10] Die Fahrzeuge verfügen auch nach dem Software‑Update über ein sogenanntes „Thermofenster“. Bei diesem handelt es sich um eine Abschalteinrichtung, die dazu dient, dass die volle Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius bis zu einer Seehöhe von 1.000 Metern erfolgt. Bei Temperaturen darüber oder darunter wird die Abgasrückführung sukzessive reduziert. Bei voller Abgasrückführung bei kalten Temperaturen kommt es zu Versottungen im Motorbereich, wobei Abscheidungen im Ventil und im Kühler abgelagert werden. Dadurch kann es zum Ausfall des Ventils und auch zu einer Reduktion der Wirksamkeit des Abgasrückführkühlers kommen. Dadurch sinkt der Wirkungsgrad und dies kann letztendlich zu einem Ausfall des Motors führen.

[11] Das KBA bestätigte, dass mit dem Software‑Update die unzulässige Abschalteinrichtung eliminiert sei und es sich beim Thermofenster um keine unzulässige Abschaltvorrichtung handle, da diese dem Schutz des Motors diene.

[12] Der Kläger ließ das Software-Update im März 2017 durchführen.

[13] Der Kläger hätte das gegenständliche Fahrzeug gleichfalls gekauft, wenn er zum Kaufzeitpunkt Kenntnis davon gehabt hätte, „dass beim Fahrzeug eine Software eingebaut ist, welche eine Abschalteinrichtung betreffend die NOx-Emissionen in Bezug auf den Prüfzyklus darstellt“.

[14] Der Kläger begehrt von der Beklagten aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes, ihn so zu stellen, als hätte er das klagegegenständliche Fahrzeug nicht erworben, konkret die Zahlung von 25.617,86 EUR (Kaufpreis abzüglich vom Kläger angenommenes Benützungsentgelt) Zug um Zug gegen die Übergabe des Fahrzeugs, hilfsweise – soweit eine Naturalrestitution nicht möglich sei – die Zahlung von 6.000 EUR, hilfsweise dazu die Feststellung, dass die Beklagte für jeden Schaden hafte, der dem Kläger aus dem Kauf des Fahrzeugs entstehe.

[15] Er stützt sich auf eine arglistige Irreführung durch die Beklagte und das In-Verkehr-Bringenvon „gesetzwidrigen“ Fahrzeugen mit unzulässiger Abschalteinrichtung. Er brachte insbesondere vor, dass Repräsentanten der Zweitbeklagten um die „Manipulationssoftware“ (die unzulässige Abschalt-einrichtung) gewusst hätten. Unabhängig vom Eintritt einer in Geld messbaren Vermögenseinbuße liege einSchaden des Klägers darin, ein Fahrzeug in seinem Vermögen zu haben, das er bei Kenntnis der Umstände nicht gewollthätte. Er habe darauf vertraut, ein manipulationsfreies Fahrzeug zu erwerben, das den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Hätte er zum Zeitpunkt des Ankaufs (unter anderem) gewusst, dass das Fahrzeug von der Beklagten manipuliert worden sei und deshalb repariert werden müsse, hätte er es nicht gekauft. Der Schaden, ein Fahrzeug zu besitzen, das nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspreche, sei im Übrigen unabhängig davon, ob er es gekauft hätte. Durch das Software-Update sei der gesetzeskonforme Zustand nicht hergestellt worden, weil auch das „Thermofenster“ eine unzulässige Abschalteinrichtung sei. Daher habe er Anspruch auf Schadenersatz durchNaturalrestitution.

[16] Die Beklagte beantragte die Klageabweisung. Sie vertrat den Standpunkt, der Kläger habe keinen Schaden erlitten, weil das Fahrzeug über eine aufrechte EG‑Typengenehmigung verfüge und im Straßenverkehr uneingeschränkt benutzbar sei. Sie habe den Kläger nicht über vertragsrelevante Umstände getäuscht, das Fahrzeug habe vielmehr dem vertraglich Geschuldeten entsprochen. Zur behaupteten Verletzung des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG brachte sie vor, aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens nur für jene verursachten Schäden zu haften, deren Verhinderung die übertretene Verbotsnorm bezwecke. Art 5 VO 715/2007/EG bezwecke nicht die Verhinderung von Vermögensschäden der Fahrzeughalter und scheide daher als Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren aus. Eine sittenwidrige Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB oder Betrug nach § 146 StGB lägen nicht vor, weil es an der Schädigungsabsicht der Beklagten fehle.

[17] Die Vorinstanzen wiesen das Haupt- und die Eventualbegehren ab.

[18] Rechtlich qualifizierten sie die „Umschaltlogik“ als eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung. Hingegen sei das „Thermofenster“ zwar eine Abschalteinrichtung. Diese sei aber erlaubt, weil sie unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG falle, dies unabhängig davon, ob „das Umweltschutzziel“ in weniger als der Hälfte des Jahres erreicht werden könne. Daher habe das Software-Update den gehörigen Zustand hergestellt. Das Update habe weder die EG-Typengenehmigung zum Erlöschen gebracht noch sei zu erwarten, dass die Nutzungsbewilligung von der Behörde entzogen werde. Der Kläger könne sich nicht auf die Verletzung eines Schutzgesetzes stützen, weil Art 5 VO 715/2007/EG vermögensrechtliche Dispositionen einzelner Käufer nicht schütze. Ein Schadenersatzanspruch nach § 874 ABGB scheitere daran, dass er das Fahrzeug auch in Kenntnis der Abschalteinrichtung gekauft hätte und zudem durch das Software-Update klaglos gestellt sei. Daher scheide ein Schadenersatzanspruch auf welcher Rechtsgrundlage immer aus. Es fehle an einer Grundlage für das Feststellungsbegehren.

[19] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Vorliegen eines unbehebbaren Rechtsmangels vorliege, wenn der Hersteller Fahrzeuge, die von der EG-Typengenehmigung abwichen, herstelle und veräußere und wenn nach einem Software‑Update die Emissionsgrenzwerte nur im Prüfstandsbetrieb eingehalten würden.

[20] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Abänderung und Klagestattgebung beantragt, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[21] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

[22] Die Revision ist zulässig, weil die Voraussetzungen des deliktischen Schadenersatzanspruchs eines Fahrzeugkäufers gegen den Hersteller bei Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG einer Klarstellung bedürfen. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[23] II.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH ausgesprochen, dass die auch beim gegenständlichen Fahrzeug zum Übergabezeitpunkt vorhandene „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist (Teilurteil 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 47]; 10 Ob 44/19x [ErwGr 2.1.]).

[24] Darüber hinaus wurde auch das nach dem Software-Update vorhandene „Thermofenster“, aufgrund dessen der emissionsmindernde Betriebsmodus nicht mehr nur im Prüfbetrieb, sondern auch im Fahrbetrieb zum Einsatz kommt, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius voll wirksam ist, als Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG qualifiziert, die nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG zulässig ist (Teilurteil 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 55 ff]).

[25] II.2. Die von der Beklagten vertretene Rechtsansicht, der Schutzzweck von (unter anderem) Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG erfasse Vermögensschäden der Fahrzeughalter nicht, kann nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG, nicht geteilt werden.

[26] II.2.1. Darin beantwortet er die an ihn gestellten Vorlagefragen wie folgt:

1. Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1 und Art 46 der Richtlinie 2007/46/EG in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG sind dahin auszulegen, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 dieser Verordnung ausgestattet ist.

2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften Sache des Rechts des betreffenden Mitgliedstaats ist, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegen, der dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestatteten Fahrzeugs tatsächlich entstanden ist, vorausgesetzt, dass dieser Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht.

[27] II.2.2. In seiner Entscheidungsbegründung rekapituliert der EuGH zunächst, dass ein individueller Käufer, der ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und somit mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftiger Weise erwarten kann, dass die VO 715/2007/EG und insbesondere deren Art 5 bei diesem Fahrzeug eingehalten werden (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 81 unter Hinweis auf C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 54).

[28] Diese ursprünglich (in C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 54) für das Vertragsverhältnis zwischen Fahrzeugkäufer und Händler konstatierte berechtigte Verkehrserwartung ist nach dem Urteil C‑100/21 auch für das außervertragliche Verhältnis zwischen einem Fahrzeugerwerber und dem Fahrzeughersteller relevant.

[29] Konkret leitet der EuGH aus den Bestimmungen über die Übereinstimmungsbescheinigung (Art 18 Abs 1 und Art 26 Abs 1 der Rahmen‑RL [RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeug-anhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge; künftig: RL 2007/46 ]) ab, dass die Übereinstimmungsbescheinigung „eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs herstellt, mit der diesem gewährleistet werden soll, dass das Fahrzeug mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften der Union übereinstimmt“ (C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 82).

[30] Weiters folgert der EuGH aus den von ihm zitierten unionsrechtlichen Bestimmungen (Art 18 Abs 1, 24 Abs 1 RL 2007/46 über die Übereinstimmungsbescheinigung, Art 46 RL 2007/46 betreffend Sanktionen), dass ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestattet ist (Rn 89).

[31] Auf der Rechtsfolgenseite müssen die Mitgliedstaaten daher einen Anspruch auf Schadenersatz durch den Hersteller des Fahrzeugs vorsehen, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (Rn 91).

[32] In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung eines solchen Ersatzes durch die betreffenden Käufer wegen des Erwerbs eines solchen Fahrzeugs ist es Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, diese Modalitäten festzulegen (Rn 92), wobei nationale Rechtsvorschriften es dem Käufer nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, einen angemessenen Ersatz des entstandenen Schadens zu erhalten (Rn 93).

[33] II.3.1. Aus der zitierten Entscheidung des EuGH – insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren (vgl EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 23 u 69) – ergibt sich somit, dass ein Verstoß gegen Art 5 der VO 715/2007/EG den Hersteller auch dann ersatzpflichtig machen kann, wenn er in keinem Vertragsverhältnis mit dem Käufer steht (vgl das Endurteil 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023).

[34] II.3.2. Für diesen Schadenersatzanspruch macht der EuGH grundsätzliche Vorgaben, nämlich in dem Sinn, dass die Mitgliedstaaten in einem solchen Fall einen Schadenersatzanspruch zu Gunsten eines Käufers gegenüber dem Hersteller vorzusehen haben, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 91). Dabei handelt es sich um einen im nationalen Recht wurzelnden Schadenersatzanspruch, der am unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen ist (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 93), also eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen muss (vgl EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90). Im Übrigen richten sich die Modalitäten dieses Schadenersatzanspruchs nach nationalem Recht (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 92), hier also unstrittig nach österreichischem Recht.

[35] II.3.3.1. Eine unionsrechtliche Vorgabe eines Schadenersatzanspruchs ist das Vorliegen eines Schadens: Der EuGH betont, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs ein Schadenersatzanspruch zusteht, wenn ihm ein Schaden entstanden ist (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 91).

[36] Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeugkäufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der EuGH an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG‑Typen-genehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich“ zu einem Schaden führen kann (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 84). Damit stellt der EuGH klar, dass ein deliktischer Schadenersatzanspruch nicht als ein von einem Schadenseintritt losgelöster Akt der privaten Durchsetzung von Emissionsnormen zu sehen ist. Vielmehr geht es um den Ausgleich der objektiven Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung, mit der der individuelle Fahrzeugerwerber konfrontiert ist.

[37] Der Schadensbegriff des ABGB wird diesen unionsrechtlichen Voraussetzungen gerecht. Als Schaden im Sinn des § 1293 ABGB ist jeder Zustand zu verstehen, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Im vorliegenden Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs besteht dieses geringere rechtliche Interesse – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit.

[38] Ein Schadenseintritt wäre lediglich dann zu verneinen, wenn das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach.

[39] II.3.3.2. Im vorliegenden Fall kann (anders als in dem der Entscheidung 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 zugrunde liegenden Fall) nicht abschließend beurteilt werden, ob dem Kläger ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist:

[40] Dass das Fahrzeug latent mit einer Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Nutzungsmöglichkeit behaftet ist, ergibt sich im vorliegenden Fall daraus, dass es mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist und auch bei Installation des (vom Kläger abgelehnten) Software-Updates eine unzulässige Abschalteinrichtung weiterhin (in Form des festgestellten „Thermofensters“) vorliegen würde.

[41] In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass die Frage, ob aufgrund der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung des Fahrzeugs droht, an der objektiven Rechtslage zu messen ist (in diesem Sinn auch BGH 8. 12. 2021, VIII ZR 190/19 Rz 82).

[42] Es fehlen aber ausreichende Feststellungen dazu, ob das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach.

[43] Der Kläger brachte in diesem Zusammenhang vor, er hätte das Fahrzeug bei Kenntnis davon, dass es von der Beklagten „manipuliert“ worden sei, nicht den rechtlichen Vorschriften entspreche und deswegen überarbeitet („repariert“) werden müsse, nicht gekauft.

[44] Die von den Vorinstanzen getroffene Feststellung, der Kläger hätte das Fahrzeug gleichfalls gekauft, wenn er Kenntnis davon gehabt hätte, dass „eine Software eingebaut ist, welche eine Abschalteinrichtung betreffend die NOx‑Emissionen in Bezug auf den Prüfzyklus darstellt“ bzw, er hätte es „bei Kenntnis der programmierten Abschalteinrichtung“ gleichfalls gekauft (Berufungsurteil S 14), reicht nicht aus, um daraus den Schluss zu ziehen, dem Kläger sei kein Schaden entstanden, weil diese Feststellung nicht ausreichend erkennen lässt, welche von den objektiven Verkehrserwartungen abweichenden Umstände der Kläger konkret in Kauf genommen und das Fahrzeug dennoch erworben hätte:

[45] Die getroffene Feststellung gibt keine Auskunft darüber, ob er das Fahrzeug gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass es sich bei der vorhandenen Software („Umschaltlogik“) um ein verbotenes Konstruktionselement handelte, das der Typengenehmigungsbehörde verschwiegen wurde, sodass nur deshalb die EG-Typengenehmigung erteilt wurde (worauf der Kläger mit seinem Vorbringen, er habe auf ein „manipulationsfreies“ Fahrzeug vertraut, Bezug genommen hat). Ebenso wenig lässt die Feststellung erkennen, ob der Kläger die Notwendigkeit des Software‑Updates und die vom EuGH angesprochene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 84; vgl zu dieser Unsicherheit auch die mit der Entscheidung des EuGH vom 8. 11. 2022, C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe e.V., eröffnete Möglichkeit bestimmter Umweltvereinigungen, Verwaltungsentscheidungen anzufechten, mit denen eine EG-Typengenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wurde, die möglicher Weise gegen Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verstoßen) in Kauf genommen und den gegenständlichen Neuwagen dennoch erworben hätte.

[46] II.3.3.3. Dies macht die Aufhebung der angefochtenen Urteile und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht erforderlich. Dieses wird im fortgesetzten Verfahren Feststellungen im dargestellten Sinn zu treffen haben. Dabei ist zu beachten, dass die Qualifikation der „Umschaltsoftware“ und des „Thermofensters“ als gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtungen abschließend erledigte Streitpunkte (RS0042031) darstellen.

[47] II.4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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