OGH 2Ob5/23h

OGH2Ob5/23h19.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, die Hofräte Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikingersowie die Hofrätin Mag. Fitzals weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. I* und 2. S*, beide vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. A*, und 2. V*, beide vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 30.831 EUR sA, über die Revisionen der klagenden Parteien (Revisionsinteresse: 12.642,47 EUR sA) und der beklagten Parteien (Revisionsinteresse: 15.150 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Oktober 2022, GZ 15 R 37/20a-53, womit infolge Berufungen sämtlicher Streitteile das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 20. Jänner 2020, GZ 42 Cg 62/17y-44, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00005.23H.0919.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision der klagenden Parteien wird Folge gegeben.

Der Revision der beklagten Parteien wird nicht Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird wie folgt abgeändert:

„1. Der zwischen den klagenden Parteien und der erstbeklagten Partei abgeschlossene Kaufvertrag vom 27. April 2015 über den Ankauf des Audi Q3 2.0 TDI quattro Offroad daylight, FahrgestellNr: *, um 35.850 EUR wird aufgehoben.

2. Die Klageforderung gegen die erstbeklagte Partei besteht mit 30.831 EUR zu Recht.

3. Die Klageforderung gegen die zweitbeklagte Partei besteht mit 27.792,47 EUR zu Recht.

4. Die Gegenforderung der erstbeklagten Partei besteht mit 3.038,53 EUR zu Recht.

5. Die Gegenforderung der zweitbeklagten Partei besteht nicht zu Recht.

4. Die beklagten Parteien sind daher zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien 27.792,47 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. September 2019 sowie 4 % Zinsen aus 30.831 EUR von 30. November 2017 bis 19. September 2019, die erstbeklagte Partei weitere 4 % Zinsen aus 35.850 EUR von 27. April 2015 bis 29. November 2017, Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeugs Audi Q3 2.0 TDI quattro Offroad daylight, Fahrgestellnummer * binnen 14 Tagen zu zahlen.

5. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 3.038,53 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. September 2019 wird ebenso abgewiesen wie das gegen die erstbeklagte Partei gerichtete Zinsenmehrbegehren von 4 % Zinsen aus 5.019 EUR seit 30. November 2017.“

Die beklagten Parteien sind schuldig, den klagenden Parteien die mit 22.855,64 EUR (darin 5.263,90 EUR Barauslagen und 2.931,96 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Kläger kauften am 27. April 2015 von der Erstbeklagten einen Audi Q3 um 35.850 EUR, der einen Kilometerstand von 201 km aufwies. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet, verfügt über eine EG-Betriebserlaubnis vom 28. April 2014 und ist gemäß VO (EG) Nr 715/2007 nach der Abgasnorm Euro 5 zertifiziert. Bei Übergabe des Fahrzeugs an die Kläger war darin eine Motor-Software verbaut, die erkannte, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand (NEFZ) (= Modus 1) oder im normalen Fahrbetrieb im Straßenverkehr befand (= Modus 0; in der Folge auch: Umschaltlogik). So wurde die Abgasrückführung im NEFZ erhöht, wodurch es zu einer Reduktion der Stickstoff (NOx)-Emissionen kam. Das Fahrzeug war damit zum Zeitpunkt der Übergabe nicht betriebs- und verkehrssicher.

[2] Im Herbst 2015 forderte das deutsche Kraftfahrt‑Bundesamt (KBA) die Zweitbeklagte sowie die A* AG auf, diese unzulässige Abschalteinrichtung bei allen Fahrzeugen mit dem Aggregat EA189 Euro 5 zu entfernen. Seit Ende November 2016 stand eine mit dem KBA abgestimmte und von diesem freigegebene technische Maßnahme zur Entfernung der Abschalteinrichtung zur Verfügung. Am 27. Jänner 2017 ließen die Kläger am Fahrzeug ein kostenloses Software-Update durchführen.

[3] Das Software-Update entfernte die Möglichkeit zum Umschalten beim Durchfahren des NEFZ auf dem Prüfstand, das Fahrzeug kann seither nur mehr in einem Modus (Modus 1) betrieben werden. Seit dem Update ist das Fahrzeug an sich betriebs- und verkehrssicher, die Typengenehmigung ist ebenso wie die Zulassung zum Straßenverkehr aufrecht. Allerdings besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer Betriebsuntersagung und -beschränkung durch die Zulassungsbehörde, wenn ein Fahrzeug nicht dem genehmigten Typ entspricht. Im Normalbetrieb im Straßenverkehr wird der Grenzwert von 180 mg/km NOx überschritten.

[4] Der schadstoffarme Modus, also die erhöhte Aktivierung der Abgasrückführung, wird (auch) nach dem Software-Update nur im Temperaturbereich zwischen 15 und 33 Grad Celsius und auch nur unter 1.000 Höhenmetern in vollem Umfang verwendet (sogenanntes Thermofenster). Die volle Abgasrückführung ist in Österreich damit im Durchschnitt nur in etwa 50 % der Nutzungszeit aktiviert. Das Thermofenster ist eine vorgreifende Bauteilschonung. Es war bereits bei Übergabe des Fahrzeugs verbaut und besteht auch nach Durchführung des Updates weiterhin. Eine unbedingte Notwendigkeit des Thermofensters, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, liegt angesichts der anderen vorhandenen technischen Möglichkeiten dafür nicht vor.

[5] Für die Ankaufsentscheidung der Kläger war– neben dem Preis – wesentlich, dass es sich um ein umweltfreundliches Kraftfahrzeug mit „BlueMotion Technology“ und niedrigen Abgaswerten und um ein Markenqualitätsprodukt handelte, das sich auf dem neuesten Technologiestand befindet. Sie hätten das Fahrzeug nicht erworben, wenn sie vom Einbau der Umschaltlogik gewusst hätten. Sie hätten auch dann nicht gekauft, wenn ihnen gesagt worden wäre, dass diese Abschaltvorrichtung durch ein Software-Update ausgeschaltet werden kann.

[6] Spätestens seit 2006 entwickelten drei näher genannte „Vorgesetzte“ – die als Repräsentanten der Zweitbeklagten zu qualifizieren sind – den neuen EA189‑Motor mit der Umschaltlogik im Bewusstsein, dass es sich dabei um eine unzulässige Abschaltvorrichtung handelte und die Zweitbeklagte den Einsatz dieser Software nicht offenlegen würde, um Zugang zum amerikanischen Markt sowie die EU-Typengenehmigung zu erlangen und mehr Kfz „als saubere und umweltfreundliche Dieselfahrzeuge“ verkaufen zu können, obwohl sie wussten, dass die Software lediglich im Prüfmodus zu den niedrigeren Abgaswerten führte.

[7] Die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beträgt 250.000 km. Das Fahrzeug wies zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz einen Kilometerstand von 56.345 km auf. Der Händlereinkaufspreis lag bei 15.150 EUR.

[8] Die Kläger begehren die Aufhebung des Kaufvertrags und die Zahlung von 30.831 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Im Fahrzeug sei mit der Software, die den Prüfstand erkenne und nur in diesem Fall eine hohe Abgasrückführung bewirke, eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut gewesen. Das Software-Update habe zu keiner Verbesserung geführt, vielmehr liege weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, weil die Abgasrückführung auch nach dem Update nur in einem Temperaturfenster zwischen 15 und 33 Grad Celsius Außentemperatur (Thermofenster) und damit in Österreich maximal fünf Monate im Jahr funktioniere. Die Kläger, die ein umweltfreundliches Fahrzeug hätten kaufen wollen, hätten das Fahrzeug in Kenntnis der vorhandenen Abschalteinrichtung nicht gekauft. Die Erstbeklagte hafte (unter anderem) aus Gewährleistung. Die Zweitbeklagte hafte deliktisch (unter anderem) wegen listiger Irreführung. Sie habe den Vertragsabschluss durch vorsätzliche Täuschungshandlungen mitbewirkt. Drei näher genannte leitende Angestellte der Zweitbeklagten, die ihr als Repräsentanten zuzurechnen seien, hätten bewusst eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Die Zweitbeklagte habe die Manipulationen vorsätzlich getätigt, um sich selbst Vorteile – nämlich den gesteigerten Verkauf ihrer Fahrzeuge – zu verschaffen.

[9] Die Kläger rechneten sich ein linear berechnetes Nutzungsentgelt von 5.019 EUR an.

[10] Die Beklagten bestreiten. Im Fahrzeug seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut. Die ursprünglich verbaut gewesene Umschaltlogik habe zu keinem Preisverfall oder Wertverlust geführt. Das von den Klägern erworbene Fahrzeug sei technisch sicher und fahrbereit. Ein Entzug der Zulassung drohe nicht, das Software-Update sei in Abstimmung mit den zuständigen Behörden entwickelt worden. Es liege damit weder ein Sach- noch ein Rechtsmangel vor. Ein allfälliger Mangel wäre jedenfalls geringfügig und berechtige nicht zur Wandlung. Die Zweitbeklagte habe die Kläger nicht über vertragsrelevante Umstände getäuscht.

[11] Das Benützungsentgelt sei nicht nach der linearen Berechnungsmethode zu ermitteln. Relevant sei vielmehr die Differenz zwischen dem angemessenen Kaufpreis bei Abschluss des Vertrags und dem Händlereinkaufspreis im Zeitpunkt der Wandlung. Aus dem Titel des Benützungsentgelts werde damit eine Gegenforderung von 20.700 EUR eingewendet.

[12] Das Erstgerichthob den zwischen den Klägern und der Erstbeklagten abgeschlossenen Kaufvertrag auf, erkannte die Klageforderung als mit 30.831 EUR und die Gegenforderung als mit 15.681 EUR zu Recht bestehend. Es gab dem Zahlungsbegehren mit 15.150 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 15.681 EUR sA ab. Die bei Übergabe des Fahrzeugs vorhanden gewesene Umschaltlogik sei eine unzulässige Abschalteinrichtung, das Fahrzeug daher mit einem nicht bloß geringfügigen Sachmangel behaftet gewesen. Nach dem Software-Update liege mit dem Thermofenster weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, sodass der Erstbeklagten der Nachweis einer vollständigen Verbesserung misslungen sei. Die Erstbeklagte hafte damit aus Gewährleistung. Die Zweitbeklagte hafte nach § 874 ABGB iVm § 1295 Abs 2 ABGB. Die von führenden Angestellten der Zweitbeklagten entwickelte, den Behörden gegenüber verschwiegene Umschaltlogik sei im Bewusstsein um deren Unzulässigkeit und daraus möglicherweise resultierende Probleme mit den Zulassungsbehörden eingesetzt worden, um Käufer zu gewinnen. Darin liege eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führe. Die Gegenforderung aus Benützungsentgelt sei durch Gegenüberstellung des angemessenen Kaufpreises und des Händlereinkaufspreises im Wandlungszeitpunkt zu ermitteln. Vom sich so ergebenden Wert von 20.700 EUR sei das von den Klägern bereits mit 5.019 EUR abgezogene Benützungsentgelt in Abzug zu bringen.

[13] Die Abweisung der Klage im Umfang von 3.038,53 EUR sA erwuchs in Rechtskraft.

[14] Das Berufungsgerichtgab den das restliche Klagebegehren betreffenden Berufungen sämtlicher Streitteile nicht Folge. Es qualifizierte das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung. Das Software-Update habe daher am Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung nichts geändert. Die Zweitbeklagte habe durch den bewusst rechtswidrigen Einsatz der Umschaltlogik die Kläger vorsätzlich sittenwidrig im Sinn des § 1295 Abs 2 ABGB geschädigt. Ob die Zweitbeklagte auch beim Aufspielen des Software-Updates vorsätzlich sittenwidrig gehandelt habe, sei irrelevant. § 874 ABGB verpflichte auch den selbst nicht vertragsbeteiligten Dritten zum Schadenersatz, wenn er den Vertrag durch List bewirkt habe. Der Geschädigte sei so zu stellen, als ob der Vertrag nicht geschlossen worden wäre. Das Erstgericht habe das Benützungsentgelt in Übereinstimmung mit höchstgerichtlichen Vorgaben ermittelt.

[15] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zu den Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen gegen Verkäufer und Hersteller abgasmanipulierter Fahrzeuge nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu Rs C-145/20 noch nicht Stellung genommen habe.

[16] Gegen die Abweisung eines Klagebegehrens von 12.642,47 EUR sA richtet sich die Revision der Kläger mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer weiteren Stattgebung der Klage im Anfechtungsumfang; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[17] Gegen den Zuspruch von 15.150 EUR sA richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn gänzlicher Abweisung der Klage; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[18] Die Streitteile beantragen jeweils, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die Revisionen sind aus dem vom Berufungsgericht genannten Grundzulässig. Die Revision der Kläger ist im Sinn des gestellten Abänderungsantrags berechtigt, jene der Beklagten ist nicht berechtigt.

I. Revision der Beklagten

[20] 1. Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007; in der Folge: VO 715/2007/EU ).

[21] 1.1. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EU ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

[22] Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EU normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot von Abschalteinrichtungen. Gemäß Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten.

[23] 1.2. Dass die im Übergabezeitpunkt vorhanden gewesene Umschaltlogik als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU zu qualifizieren ist (so bereits 10 Ob 44/19x Punkt E.2.1.), ziehen die Beklagten im Revisionsverfahren nicht mehr in Zweifel.

[24] 1.3. Nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ist auch das nach dem Software-Update (weiterhin) vorhandene Thermofenster aus folgenden Erwägungen als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren:

[25] 1.3.1. In Beantwortung eines Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichtshofs (10 Ob 44/19x) führte der Europäische Gerichtshof aus (C‑145/20 ), dass Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EU dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EU vorgesehene Ausnahme fallen.

[26] 1.3.2. Nach der von den Beklagten erkennbar in Anspruch genommenen Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EU muss die Abschalteinrichtung, um zulässig zu sein, notwendig sein, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinn der Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EU , wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 57 bis 60 mwN).

[27] 1.3.3. Ausgehend von den für die abschließende rechtliche Beurteilung ausreichenden Feststellungen des Erstgerichts bestand im Hinblick auf vorhandene Alternativen keine unbedingte technische Notwendigkeit zum Einsatz des Thermofensters. Schon aus diesem Grund ist das hier zu beurteilende Thermofenster als unzulässig zu qualifizieren, ohne dass es auf die Umgebungsbedingungen, unter denen das Thermofenster seine volle Wirkung entfaltet, entscheidend ankäme. Ein sekundärer Feststellungsmangel zur Überschreitung der Emissionsgrenzwerte – sofern man eine solche Feststellung überhaupt für notwendig erachtet – liegt schon im Hinblick auf die vom Erstgericht zu dieser Frage getroffene Feststellung keinesfalls vor.

[28] 1.3.4. Die in diesem Zusammenhang gerügten Mangelhaftigkeiten des Berufungsverfahrens hat der Oberste Gerichtshof geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Dass der Europäische Gerichtshof die Rechtsansicht der Kläger zur Auslegung des Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EU teilte, begründet keinen Erörterungsbedarf nach den §§ 182, 182a ZPO, weil dieser Beurteilung keine von den Beklagten unbeachtete Rechtsansicht zugrunde liegt (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 69). Ein Abweichen des Berufungsgerichts von den erstgerichtlichen Feststellungen ist nicht zu erkennen.

[29] 2. Die Erstbeklagte haftet den Klägern aus Gewährleistung.

[30] 2.1. Das Vorhandensein der Umschaltlogik im Übergabezeitpunkt begründete jedenfalls einen Sachmangel (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 51).

[31] 2.2. Liegt ein behebbarer Mangel vor, besteht gemäß § 932 Abs 1 ABGB zunächst ein Verbesserungsanspruch. Soweit – wie hier – nach dem Verbesserungsversuch (hier: Software-Update) derselbe Mangel (hier: unzulässige Abschalteinrichtung) wieder auftritt, trifft den Übergeber die Beweislast für den Erfolg seines Verbesserungsversuchs (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 45 mwN). Dieser Beweis ist den Beklagten nicht gelungen, wobei sich in concreto angesichts der umfassenden Feststellungen des Erstgerichts zum Thermofenster gar keine Beweislastfragen stellen. Der Argumentation der Beklagten, den Erfolg der Verbesserung isoliert daran zu messen, ob die Umschaltlogik als solche beseitigt wurde oder nicht, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Entscheidend ist vielmehr, ob die Verbesserung dazu geführt hat, dass der im Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung liegende Mangel beseitigt wurde oder nicht (vgl 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 36).

[32] Da das Software-Update nach den Feststellungen nur zum Austausch einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch eine andere unzulässige Abschalteinrichtung führte, liegt auch nach der angebotenen und im Anlassfall auch durchgeführten Verbesserung durch das Software-Update weiterhin ein Sachmangel in Form einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 75).

[33] 2.3. Da der Übernehmer schon bei Misslingen des ersten Verbesserungsversuchs den Sekundärbehelf (hier: Wandlung) in Anspruch nehmen kann (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 78 mwN) und – im Revisionsverfahren unstrittig – kein geringfügiger, eine Wandlung ausschließender Mangel vorliegt (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 80 f mwN), ist das gegen die Erstbeklagte gerichtete Wandlungsbegehren aus dem Titel der Gewährleistung insgesamt berechtigt.

[34] 3. Die Zweitbeklagte haftet den Klägern aus Schadenersatz wegen arglistiger Irreführung.

[35] 3.1. Die Vorinstanzen beurteilten den gegen die Zweitbeklagte gerichteten deliktischen Schadenersatzanspruch – von den Streitteilen unbeanstandet – nach österreichischem Recht (vgl 5 Ob 62/18f Punkt 1.).

[36] 3.2. Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass der Zweitbeklagten zuzurechnende leitende Angestellte in sittenwidriger Schädigungsabsicht (§ 1295 Abs 2 ABGB) den auch im hier zu beurteilenden Fahrzeug verbauten Motor EA189 mit einer Umschaltlogik versehen haben und die Zweitbeklagte daher als nach § 874 ABGB schadenersatzpflichtige listige Dritte anzusehen sei. Die arglistig in die Irre geführten Kläger könnten Vertragsaufhebung als Schadenersatz begehren (vgl Riedler in Schwimann/Kodek 5 § 874 ABGB Rz 12).

[37] 3.3. Die Beklagten lassen diese Rechtsansicht in der Revision unbeanstandet und bestreiten insoweit nicht mehr, als nicht vertragsbeteiligte Dritte (vgl RS0016298) zur Leistung von Schadenersatz nach § 874 ABGB an die Kläger wegen des Einbaus der Umschaltlogik verhalten zu sein (vgl dazu I. Vonkilch in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 874 ABGB Rz 82).

[38] 3.4. Auf den in erster Instanz (kursorisch) erhobenen Einwand fehlender Passivlegitimation kommen die Beklagten im Rechtsmittelverfahren (ebenfalls) nicht mehr zurück.

[39] 3.5. Die Beklagten stehen jedoch im Revisionsverfahren weiterhin auf dem Standpunkt, dass es zu einer nachträglichen Schadensbeseitigung durch Aufspielen des Software-Updates gekommen sei und die Kläger aus diesem Grund keinen Schadenersatzanspruch nach § 874 ABGB mehr hätten.

Dazu hat der Senat erwogen:

[40] 3.5.1. Nach der zu vergleichbaren Sachverhaltskonstellationen ergangenen Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs entfällt der Schaden, der in einem unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts sittenwidrig herbeigeführten ungewollten Vertragsschluss liegt, nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstands – etwa durch das Aufspielen des Software-Updates – nachträglich verändern. Diese Umstände führen nicht dazu, dass der ungewollte Vertragsschluss rückwirkend zu einem gewollten wird (etwa BGH vom 19. Dezember 2022 VIa ZR 371/21 Rn 11 mwN).

[41] 3.5.2. Nach österreichischer Rechtslage ist ein im Irrtum vorgenommenes Rechtsgeschäft dann nicht mehr anfechtbar, wenn die irrig angenommene Sachlage nachträglich doch noch rechtzeitig – vor Schluss der Verhandlung erster Instanz und solange der Irrende noch ein Interesse an dem Geschäft hat – eingetreten ist. Warum die irrig angenommene Sachlage doch noch eintritt, ist nicht von Bedeutung. Maßgeblich ist, dass der Irrtum durch die Änderung der Sachlage „saniert“ wird, das heißt der Irrende tatsächlich das bekommt, was er (berechtigt) zu erhalten glaubte und somit sein Beschwerdegrund wegfällt. Der Irrende ist durch die Änderung der Sachlage diesfalls „klaglos gestellt“. Dass er an dem Geschäft kein Interesse mehr hat und deshalb der nachträgliche Eintritt der irrig angenommenen Sachlage verspätet ist, ist vom Irrenden zu behaupten und zu beweisen (zu alldem 8 Ob 91/22y Rz 23 f mwN).

[42] 3.5.3. Ob diese Grundsätze einer irrtumsrechtlich möglichen Klagslosstellung auch in Fällen arglistiger Irreführung Geltung beanspruchen können, wird in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht ganz einheitlich beantwortet.

[43] Die überwiegende Judikatur geht davon aus, dass derjenige, der den anderen durch List irregeführt hat, das Geschäft nicht dadurch aufrecht erhalten kann, dass er es so gelten lässt, wie es der Irrende ohne Täuschung geschlossen hätte (RS0014786, zuletzt 4 Ob 11/13s [allerdings ohne abschließende Stellungnahme zur Richtigkeit dieser Rechtsprechung]).

[44] In der Entscheidung 1 Ob 27/97w nahm der Oberste Gerichtshof hingegen für den Fall, dass der Getäuschte am Vertrag festhalten will, an, dass auch der arglistig Täuschende durch eine Klaglosstellung den Vertrag aufrechterhalten kann.

[45] 3.5.4. Ob im Fall arglistiger Irreführung eine Klaglosstellung im Hinblick auf das dem arglistig Handelnden vorzuwerfende Verhalten schlechthin ausgeschlossen ist, muss im Anlassfall nicht abschließend beantwortet werden:

[46] Der arglistig herbeigeführte Irrtum bezog sich letztlich darauf, dass der Motor die emissionsrechtlichen Vorgaben aufgrund seiner Qualität und nicht aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfülle (vgl 8 Ob 91/22y Rz 26 und 10 Ob 44/19x Punkt 5.1.; die Kläger wollten nach den Feststellungen ein umweltfreundliches Kraftfahrzeug mit niedrigen Abgaswerten). Da auch das nach dem Software‑Update vorhandene Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist (vgl oben Punkt 1.3.), ist insoweit – selbst wenn man eine solche entgegen RS0014786 für rechtlich relevant erachten wollte – jedenfalls keine Klagslosstellung erfolgt (vgl Kogler, Falsche Abgaswerte – Rechtsfolgen, Sachverständige 2017, 71 [74]; Franz, Die Haftung des Herstellers im „Diesel-Skandal“ aus der Perspektive des österreichischen Schadenersatzrechts, ZVR 2021/60, 129 [133]).

[47] Überdies lassen sich die in 1 Ob 27/97w tragenden Erwägungen auf den vorliegenden Fall schon deswegen nicht übertragen, weil die Kläger nicht am Vertrag festhalten wollen.

[48] 3.5.5. Insgesamt kann sich die Zweitbeklagte damit nicht erfolgreich auf eine von ihr zu beweisende (8 Ob 91/22y Rz 27) Klagslosstellung durch das Software‑Update berufen.

[49] 3.6. Ob die Zweitbeklagte – wie das Erstgericht ohne entsprechendes Vorbringen der Kläger disloziert festgestellt hat – auch im Hinblick auf das Thermofenster in sittenwidriger Schädigungsabsicht gehandelt hat, ist für den Verfahrensausgang vor diesem Hintergrund nicht entscheidend. Die in diesem Zusammenhang gerügte Aktenwidrigkeit sowie Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist somit nicht relevant.

II. Revision der Kläger

[50] 1. Die Kläger weisen zutreffend darauf hin, dass nach der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0134263) der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kfz, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen ist. Er ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen. Der erkennende Senat hat sich dieser neueren Judikatur bereits mehrfach angeschlossen (2 Ob 82/23g, 2 Ob 241/22p).

[51] 2. Das im Rahmen der Rückabwicklung auch nach Ansicht der Kläger jedenfalls zu berücksichtigende Benützungsentgelt beträgt ausgehend von diesen Grundsätzen 8.057,53 EUR. Einen Teilbetrag von 5.019 EUR haben die Kläger bereits von ihrer Klageforderung in Abzug gebracht, sodass ein restliches Benützungsentgelt von 3.038,53 EUR verbleibt.

[52] 2.1. Bereicherungsansprüche des von der Rückabwicklung des Vertrags betroffenen Verkäufers – hier also der Erstbeklagten – können auch in Geld bestehen und müssen im Fall der Einwendung konkretisiert und beziffert werden, damit sie das Gericht – im Weg der prozessualen Aufrechnung – berücksichtigen kann. Derartige Ansprüche der Erstbeklagten sind somit grundsätzlich als Gegenforderungen einzuwenden (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 85 mwN).

[53] 2.2. Im Rahmen des gegen die Zweitbeklagte bestehenden Schadenersatzanspruchs (vgl zur schadenersatzrechtlichen Natur des Anspruchs nach § 874 ABGB I. Vonkilch in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 874 ABGB Rz 1 ff) ist hingegen über Einwendung eine schadenersatzrechtliche Vorteilsausgleichung vorzunehmen. Im Rahmen der Vorteilsanrechnung ist alles zu berücksichtigen, was der Geschädigte aus dem (ungewollten) Vertrag zu seinem Vorteil hat, also auch seine tatsächliche Nutzung (bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz). Der in der Nutzung des Fahrzeugs liegende Vorteil ist nach den in Punkt 1. dargelegten bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln. Diese Anrechnung im Rahmen des Vorteilsausgleichs hat durch unmittelbaren Abzug von der Klageforderung und nicht aufrechnungsweise in Form einer Gegenforderung zu erfolgen (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 37 bis 41 mwN).

III. Ergebnis und Kosten

[54] 1. Insgesamt war damit nur der Revision der Kläger Folge zu geben und das Urteil des Berufungsgerichts wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

[55] Gegen die vom Erstgericht vorgenommene Staffelung des Zinsenlaufs wenden sich die Streitteile im gesamten Rechtsmittelverfahren nicht, sodass diese der Entscheidung ohne Weiteres zu Grunde gelegt werden kann.

[56] 2. Der Ausspruch über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 43 Abs 2 1. Fall iVm § 54 Abs 1a ZPO. Die Kläger obsiegten mit rund 90 % ihres Begehrens, sodass sie Anspruch auf vollen Kostenersatz auf Basis des obsiegten Betrags haben (vgl zur vereinfachten Berechnung der Tarifquote Fucik in Rechberger/Klicka ZPO5 § 43 Rz 13). Die Einwendungen der Beklagten gegen das Kostenverzeichnis der Kläger sind teilweise berechtigt. Die Schriftsätze vom 1. 10. 2018 und vom 8. 8. 2019 waren zwar jeweils zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich, allerdings nur als Urkundenvorlagen nach TP 1 I lit a RATG zu honorieren.

[57] Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO. Der ERV-Zuschlag gemäß § 23a RATG beträgt im Rechtsmittelverfahren nur 2,10 EUR (vgl RS0126594). Die zu hoch verzeichneten Kosten für die Revisionsbeantwortung der Kläger waren zu kürzen.

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