European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00149.22A.0627.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Das Rekursverfahren wird fortgesetzt.
II. Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte von der beklagten Autohändlerin am 9. 12. 2011 einen Neuwagen der Marke Audi Q5 zum Preis von 46.400,15 EUR. Er ging davon aus, dass das Fahrzeug regelkonform und zulassungsfähig war.
[2] Das Fahrzeug wurde ihm am 23. 3. 2012 übergeben. Es ist mit einem Dieselmotor der Volkswagen AG vom Typ EA189 EU5 ausgestattet. Darin war eine „Umschaltlogik“ verbaut, die anhand verschiedener Parameter ermittelte, ob das Fahrzeug gerade ein Verfahren zur Ermittlung der Fahrzeugemissionen am Rollprüfstand durchläuft. War dies der Fall (Modus 1) wurde die Abgasrückführungsrate im Vergleich zum sonstigen Fahrbetrieb (Modus 0) erhöht und damit die Emission von NOK gesenkt.
[3] Mit Bescheid vom 15. 10. 2015 ordnete das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typengenehmigung der betroffenen Fahrzeuge zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der Aggregate des Typs EA189 EU5 an. Darin wurde auf Basis eines von VW vorgelegten Zeit- und Maßnahmenplans die Herstellerin angewiesen, die entsprechende Software aus den betroffenen Fahrzeugen zu entfernen, weil es sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle.
[4] Beim Fahrzeug des Klägers wurde am 13. 3. 2017 ein Software-Update durchgeführt, mit dem die „Umschaltlogik“ entfernt wurde, sodass die Abgasrückführung nicht mehr allein deshalb, weil sich das Fahrzeug in einem Fahrzyklus zur Ermittlung von Emissionswerten am Rollenprüfstand befindet, aktiviert wird.
[5] Nicht festgestellt werden konnte, dass bzw welche Veränderungen des Fahrzeugverhaltens mit dieser technischen Maßnahme verbunden sind, insbesondere auch nicht, dass sich dadurch Verbrauch, Leistung, Beschleunigungsverhalten, Gesamtlaufleistung oder die Haltbarkeit einzelner Komponenten (negativ) verändert hätten.
[6] Weiters konnte nicht festgestellt werden, ob „beim Fahrzeug vor und/oder nach der technischen Maßnahme eine Reduzierung der Abgasreinigung unterhalb und oberhalb einer konkreten Temperatur oder oberhalb einer bestimmten Seehöhe vorgesehen ist, insbesondere nicht, ab welchen konkreten Werten dies allenfalls erfolgt“. Eine solche Maßnahme könnte die unter bestimmten Umgebungsbedingungen eintretende erhöhte Beanspruchung des Abgasrückführsystems vermeiden. Ein derartiges „Thermofenster ist aber in der gesamten Branche üblich“.
[7] Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz betrug der Händlereinkaufspreis für das Fahrzug 15.000 EUR.
[8] Der Kläger begehrt die Aufhebung des Kaufvertrags und die Zahlung von 38.656,98 EUR (Kaufpreis abzüglich anteiligem, linear berechnetem Benützungsentgelt) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, in eventu die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige, aus dem Kauf des Fahrzeugs resultierende Schäden. Er habe ein Fahrzeug mit niedrigem Schadstoffausstoß und geringem Verbrauch erwerben wollen. Der tatsächliche Schadstoffausstoß im Straßenverkehr sei jedoch gegenüber dem Prüfstand erheblich erhöht. Bei der verbauten Software handle es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Verordnung (EG) Nr 715/2007. Das Fahrzeug erfülle daher nicht die gewöhnlich vorausgesetzten und zugesicherten Eigenschaften. Die Manipulationsfreiheit, insbesondere die nicht bloß scheinbare Einhaltung der im Datenblatt angeführten Schadstoffwerte, sei gewöhnlich vorausgesetzt. Da das Fahrzeug nicht mit der Typengenehmigung übereinstimme, sei die Zulassung aufzuheben, sodass auch ein Rechtsmangel vorliege. Der Mangel sei unbehebbar, weil eine Nachbesserung nicht ohne Nachteile für den Kläger (erhöhter Treibstoffverbrauch, erhöhter Schadstoffausstoß, Risiko eines geringeren Wiederverkaufswerts) vorgenommen werden könne. Er sei daher aus Gewährleistung, Irrtum sowie im Rahmen der schadenersatzrechtlichen Naturalrestitution zur Aufhebung des Vertrags und dessen Rückabwicklung berechtigt. Es liege überdies ein gemeinsamer Irrtum vor. Bei Kenntnis der Manipulation hätte er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen.
[9] Die Beklagtewendet ein, sie sei bloß Händlerin und nicht Herstellerin des Fahrzeugs oder des Motors. Das Fahrzeug sei technisch sicher und fahrbereit. Es könne uneingeschränkt verwendet werden und verfüge über alle Genehmigungen. Die Software sei keine verbotene Abschalteinrichtung. Der Kläger habe überdies am 13. 3. 2017 ein Software-Update durchführen lassen. Durch diese technische Maßnahme sei eine allfällige unzulässige Abschalteinrichtung beseitigt und ein allfälliger Mangel behoben worden.
[10] Das Software-Update habe keinerlei negative Auswirkungen auf die Motorleistung oder die Haltbarkeit der Fahrzeugkomponenten. Auch ein nachteiliger Einfluss auf den Verkehrswert des Fahrzeugs sei nicht gegeben. Damit sei der Kläger klaglos gestellt. Dass dem Kläger ein Schaden drohe, sei nicht ersichtlich, weswegen ein rechtliches Interesse für das Eventualfeststellungsbegehren fehle. Der Kläger habe sich überdies für die zwischenzeitliche Nutzung des Fahrzeugs jedenfalls ein angemessenes Nutzungsentgelt von 31.415 EUR (Differenz zwischen Kaufpreis und Händlereinkaufspreis) anrechnen zu lassen. Dazu erhob die Beklagte eine Gegenforderung.
[11] Das Erstgericht wies das Haupt- und auch das Eventualbegehren ab. Die ursprünglich im Fahrzeug des Klägers verbaute Software sei zwar als eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd VO Nr 715/2007/EG zu qualifizieren. Dieser Mangel sei jedoch mit der Durchführung des Software-Updates behoben worden. Es drohe auch keine Aufhebung der Zulassung, sodass der Kläger klaglos gestellt sei. Damit bestünden weder Gewährleistungs- noch irrtumsrechtliche Ansprüche (mehr). Auch drohe dem Kläger kein Schaden, sodass auch das Eventualfeststellungsbegehren nicht berechtigt sei. Überdies treffe die Beklagte kein Verschulden, weil ihr das Vorliegen der Abschalteinrichtung nicht bekannt gewesen und ihr ein allfälliges Verschulden des Herstellers nicht zuzurechnen sei.
[12] Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf, trug diesem die Ergänzung des Verfahrens auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu.
[13] Ein Neufahrzeug sei nicht schon deshalb mangelfrei, weil es technisch sicher und fahrbereit sei und über alle Genehmigungen verfüge. Bereits die – unstrittig auf den Zustand des Fahrzeugs bei Übergabe zurückzuführende – Notwendigkeit, ein Software-Update durchzuführen, um die Auflagen des deutschen KBA zu erfüllen und eine drohende Untersagung des weiteren Betriebs zu vermeiden, stelle eine negative Abweichung von der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Neufahrzeuge dar. Um die Ansprüche des Klägers aus Gewährleistung zum Erlöschen zu bringen, habe daher die beklagte Übergeberin als anspruchsvernichtende Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, dass sie den Mangel durch Verbesserung beseitigt habe. Durch das Software-Update sei zwar die Umschaltlogik aus dem Fahrzeug entfernt worden. Allerdings habe das Erstgericht nicht feststellen können, ob bzw welche (negativen) Auswirkungen die vorgenommene Verbesserungsmaßnahme auf das Fahrzeugverhalten, insbesondere Verbrauch, Leistung, Beschleunigung, Gesamtlaufleistung oder die Haltbarkeit einzelner Komponenten habe.
[14] Bedinge eine Verbesserungsmaßnahme allenfalls nachteilige Veränderungen in diesen Bereichen, handele es sich beim Software-Update gerade um keine geeignete Verbesserungsmaßnahme, weil diese zu einer Vertragswidrigkeit in anderen Bereichen führen würde. Die Beklagte, deren Sphäre der ursprüngliche Mangel zuzuordnen sei, könne sich auch nicht auf die Schwierigkeit des „Negativbeweises“ berufen. Die Beweispflicht der Beklagten umfasse daher auch den Umstand, dass die Verbesserungsmaßnahme zu keinen sonstigen Mängeln geführt habe. Damit gingen die Negativfeststellungen des Erstgerichts zu ihren Lasten, sodass ihr der Beweis einer geeigneten Mängelbehebung nicht gelungen und nach wie vor von einer Mangelhaftigkeit auszugehen sei. Zwar sei die Betriebssicherheit und Benutzbarkeit des Fahrzeugs gegeben; gegen die Annahme eines bloß geringfügigen, die Wandlung ausschließenden Mangels spreche aber dessen Art selbst (Einsatz einer gegen Normen verstoßenden Software). Berücksichtige man überdies die lange Dauer bis zum Vorliegen eines verbindlichen Zeit- und Maßnahmenplans sowie die mit der technischen Maßnahme, die den Mangel beheben hätte sollen, verbundenen Unsicherheiten, schlage die gebotene Interessensabwägung zu Gunsten des Klägers aus.
[15] Nach Auflösung eines Vertrags durch Wandlung habe jeder Teil alles zurückzustellen, was er aus einem solchen Vertrag zu seinem Vorteil erlangt habe. Bei Rückabwicklung eines Kaufvertrags sei der primäre Bereicherungsanspruch des beklagten Verkäufers auf die Rückgabe der vom Käufer empfangenen Leistung, also auf Rückgabe der Sache in Natur gerichtet. Bereicherungsansprüche des beklagten Verkäufers könnten aber auch in Geld bestehen, so wenn der mit dem Wandlungsbegehren durchdringende Kläger im Fall der fortgesetzten Benützung der Sache ein dem verschafften Nutzen angemessenes Entgelt entrichten müsse. Die Beklagte habe in erster Instanz ein solches Benützungsentgelt in der von ihr angenommenen Höhe als Gegenforderung eingewendet.
[16] Grundsätzlich sei jener Aufwand zu ermitteln, den ein Käufer hätte tragen müssen, um sich den Gebrauchsnutzen eines gleichwertigen Gegenstands durch Kauf und Weiterverkauf nach Gebrauch zu verschaffen. Ergebe sich bei der Gegenüberstellung dieser Größenordnungen, dass die gebrauchte Sache schon durch den Verlust der Neuheit eine erhöhte Wertminderung erfahre, dürfe dies aber nicht zur Gänze zu Lasten des Käufers, der die Wandlung nicht zu vertreten habe, veranschlagt werden. Gegenüberzustellen sei daher der für den erworbenen Pkw konkret angemessene Kaufpreis mit dem Händlereinkaufspreis im Wandlungszeitpunkt. Das Erstgericht habe zwar Feststellungen zum konkret angemessenen Kaufpreis und dem Händlereinkaufspreis getroffen, es fehle jedoch eine Feststellung, inwieweit durch den (bloßen) Verlust der Neuheit des Fahrzeugs eine Wertminderung eingetreten sei, sodass das Verfahren ergänzungsbedürftig sei.
[17] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof seizulässig, weil der Beurteilung der Mangelhaftigkeit, der Reichweite der den Übergeber treffenden Beweislast für den Erfolg eines Verbesserungsversuchs sowie der Berechnung des Benützungsentgelts aufgrund der Vielzahl an zum „VW-Skandal“ gerichtsanhängigen Verfahren eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
[18] Dagegen richtet sich der vom Kläger beantwortete Rekurs der Beklagten, mit dem sie dieWiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts anstrebt. Der Kläger strebt mit seinem von der Beklagten beantworteten Rekurs an, dass der Klage stattgegeben werde, in eventu wendet er sich gegen die Rechtsansicht des Erstgerichts zur Berechnung des Benützungsentgelts.
Rechtliche Beurteilung
[19] Beide Rekurse sind aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; sie sind im Ergebnis aber nicht berechtigt.
Zu I. (Verfahrensfortsetzung):
[20] Der Senat hat das Rekursverfahren zu 1 Ob 192/19w mit Beschluss vom 26. 3. 2020 bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das zu 10 Ob 44/19x des Obersten Gerichtshofs am 17. 3. 2020 gestellte Vorabentscheidungsersuchen unterbrochen.
[21] Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, über dieses Vorabentscheidungsersuchen entschieden. Das Verfahren ist daher fortzusetzen.
Zu II. (Beurteilung in der Sache):
[22] 1. Das Vorhandensein der „Umschaltlogik“ im Übergabezeitpunkt begründet einen Sachmangel:
[23] 1.1. Mit Urteil vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, hat der Europäische Gerichtshof die ihm im Verfahren zu 10 Ob 44/19x des Obersten Gerichtshofs gestellten Fragen wie folgt beantwortet:
„1. Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge fällt, nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn es, obwohl es über eine gültige EG-Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann, mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung verboten ist.
2. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.
3. Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 1999/44 ist dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verboten ist, nicht als 'geringfügig' eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte.“
[24] 1.2. Demnach ist ein KFZ, das im Zeitpunkt der bedungenen Übergabe mit einer gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, nicht vertragskonform im Sinne der Verbrauchsgüterkauf-RL (Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, Abl L 171/12 vom 7. 7. 1999), konkret von Art 2 Abs 2 lit d dieser Richtlinie, weil es nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftiger Weise erwarten kann.
[25] 1.3. Zu 10 Ob 2/23a gelangte der Oberste Gerichtshof daher in einem ebenfalls gegen einen KFZ‑Händler geführten Verfahren mit ausführlicher Begründung zum Ergebnis, dass das Vorhandensein der „Umschaltlogik“ als eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotenen Abschalteinrichtung einen Mangel iSd § 922 ABGB begründe. Da es sich dabei um einen Mangel der Substanz des Fahrzeugs handle, sei er als Sachmangel zu qualifizieren.
[26] 1.4. Die Vorinstanzen sind in ihren Entscheidungen übereinstimmend ebenfalls davon ausgegangen, dass die bei Übergabe des Fahrzeuges an den Kläger eingebaute „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Nr 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist und einen (Sach‑)Mangel begründet. Dagegen wendet sich die Beklagte in ihrem Rekurs auch nicht mehr. Sie geht in ihrem Rechtsmittel vielmehr davon aus, dass der Mangel mit Durchführung der „technischen Maßnahme“ (der Installation des Software-Updates) am 13. 3. 2017 beseitigt und damit die Mängelfreiheit am Fahrzeug des Klägers hergestellt worden sei. Den Kläger treffe allerdings die Beweislast dafür, dass trotz der vorgenommenen Verbesserung ein (anderer) Mangel (noch) vorhanden sei. Insoweit habe das Berufungsgericht die Verteilung der Beweislast verkannt.
2. Beweislastverteilung und mögliche Auswirkungen des Software-Updates vom 13. 3. 2017:
[27] 2.1. Die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels trägt der Übernehmer der Sache oder Leistung (RS0124354 [T6]; RS0018553; P. Bydlinski in KBB6 § 924 Rz 3). Im Verfahren dritter Instanz ist nicht mehr strittig, dass das Vorhandensein der „Umschaltlogik“ als eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotenen Abschalteinrichtung einen Mangel iSd § 922 ABGB begründet.
[28] 2.2. Liegt ein behebbarer Mangel vor, besteht gemäß § 932 Abs 1 ABGB zunächst ein Verbesserungsanspruch. Um diesen Verbesserungsanspruch zum Erlöschen zu bringen, muss der Übergeber als anspruchsvernichtende Tatsache behaupten und beweisen, dass er den Mangel durch Verbesserung beseitigt hat (2 Ob 34/11f; allgemein: RS0106638 [T2]). Tritt daher nach einem Verbesserungsversuch derselbe Mangel wieder auf, trifft den Übergeber die Beweislast für den Erfolg seines Verbesserungsversuchs (2 Ob 34/11f; 10 Ob 2/23a).
[29] 2.3. Nach § 932 Abs 2 ABGB hatte der Kläger zunächst (nur) einen Anspruch auf Verbesserung. Die Beklagte hat am 13. 3. 2017 einen solchen Verbesserungsversuch vorgenommen. Nach den Feststellungen wurde dadurch die im Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse EU5 bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger im Motorsteuerungsgerät enthaltenen „Umschaltlogik“ entfernt.
[30] 2.4. Da die Beklagte dem Kläger aus dem Kaufvertrag ein nicht mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug schuldete, setzt eine erfolgreiche Verbesserung iSd § 932 ABGB voraus, dass das Fahrzeug nicht mehr mit einer solchen verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Für die Frage, ob in der Vornahme des Software-Updates eine taugliche Verbesserung liegt, ist daher zu beurteilen, ob dieser Zustand durch die von der Beklagten am 13. 3. 2017 durchgeführte Maßnahme erreicht worden ist (dazu unten 3.).
[31] 2.5. Davon zu trennen ist die Frage, ob die Durchführung des Software-Updates (neben der Entfernung der „Umschaltlogik“) allenfalls zu negativen Auswirkungen auf Verbrauch, Leistung, Beschleunigung, Gesamtlaufleistung oder die Haltbarkeit einzelner Komponenten des Fahrzeugs geführt hat. Mit der Behauptung einer solchen möglichen Folge für das Fahrzeugverhalten hat sich der Kläger auf eine durch die Verbesserungsmaßnahme hervorgerufene Mangelhaftigkeit berufen, die mit der zunächst geltend gemachten Abweichung vom vertraglich vereinbarten Zustand (der verbotenen Abschalteinrichtung [der „Umschaltlogik“]) in keinem Zusammenhang steht, sondern erst durch die Installierung des Software-Updates hervorgerufen worden sein soll. Damit behauptet der Kläger aber nicht, dass derselbe Mangel wieder aufgetreten (eine verbotene Abschaltvorrichtung noch vorhanden) sei, sondern er macht andere, durch die Verbesserungsmaßnahme verursachte Mängel geltend. Das Vorliegen von solchen anderen (neuen) Mängeln hat nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger zu beweisen (RS0018553; vgl auch RS0106638).
[32] 2.6. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die Beweislast für die Behauptung, die Verbesserung eines Mangels habe zu anderen Mängeln geführt, den Übernehmer trifft.
[33] 2.7. Damit kann aber die Annahme des Berufungsgerichts, die Negativfeststellung zu den Auswirkungen der Verbesserungsmaßnahme auf das (sonstige) Fahrzeugverhalten gehe zu Lasten der Beklagten und das Wandlungsbegehren des Klägers sei deshalb berechtigt, nicht aufrecht erhalten werden. Sie hätte zur Folge, dass der Übergeber nach Durchführung eines Verbesserungsversuchs losgelöst vom Erfolg dieser Maßnahme zu beweisen hätte, dass an der übergebenen Sache kein (anderer) Mangel hafte.
[34] Dass das Erstgericht nicht feststellen konnte, ob bzw welche (negativen) Auswirkungen die vorgenommene Verbesserungsmaßnahme auf das Fahrzeugverhalten, insbesondere Verbrauch, Leistung, Beschleunigung, Gesamtlaufleistung oder die Haltbarkeit einzelner Komponenten, hatte, schlägt daher nicht zum Nachteil der Beklagten aus und kann deren Haftung nicht begründen. Diese Negativfeststellungen gehen vielmehr zu Lasten des Klägers, dem der Beweis einer solchen Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs nicht gelungen ist.
3. Zur Behebung des bei Übergabe des Fahrzeugs vorhandenen Sachmangels durch das Software-Update:
[35] 3.1. Eine erfolgreiche Verbesserung iSd § 932 ABGB setzt – wie erwähnt – voraus, dass das Fahrzeug des Klägers nach Durchführung des Software-Updates vom 13. 3. 2017 nicht mehr mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.
[36] 3.2. Der Kläger legte seinem Schriftsatz vom 6. 9. 2017 zugrunde, dass auch nach Installation des Updates ein Thermofenster vorhanden sei, aufgrund dessen der emissionsmindernde Betriebsmodus zwar im Fahrbetrieb zum Einsatz komme, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam sei. Diese Tatsachenbehauptung hat er in der Tagsatzung vom 16. 11. 2018 zu seinem Vorbringen erhoben. Die Beklagte replizierte dazu, dass das vom Kläger angesprochene Thermofenster von den zuständigen Behörden als rechtskonforme und notwendige Maßnahme zum Bauteilschutz von Motoren bestätigt und freigegeben worden sei. Damit hat die Beklagte im Verfahren erster Instanz zugestanden, dass auch nach erfolgter Installation der Software das vom Kläger beschriebene Thermofenster vorliegt.
[37] 3.3. Ein Zugeständnis in erster Instanz kann auch noch in dritter Instanz verwertet werden (RS0040083). Dies gilt nicht nur, wenn das Erstgericht zur zugestandenen Tatsache keine Feststellung traf, sondern auch dann, wenn es eine Negativfeststellung traf, weil dem Geständnis wegen der Dispositionsmaxime gegenüber einer solchen Feststellung der Vorrang zukommt (vgl RS0040118 [T2]; RS0039949 [T6]; RS0040119 [T6]).
[38] Das ist hier der Fall: Das Erstgericht konnte nicht feststellen, ob beim Fahrzeug (vor und/oder) nach der technischen Maßnahme eine Reduzierung der Abgasreinigung unterhalb und oberhalb einer konkreten Temperatur oder oberhalb einer bestimmten Seehöhe vorgesehen ist, insbesondere nicht, ab welchen konkreten Werten dies allenfalls erfolgt. Es traf damit eine Negativfeststellung zum Vorliegen eines Thermofensters, wie es der Kläger behauptet und die Beklagte eingeräumt hatte. Diese Negativfeststellung ist wegen des in erster Instanz erfolgten Zugeständnisses unbeachtlich. Den weiteren Überlegungen ist daher zugrundezulegen, dass der im Fahrzeug des Klägers verbaute Motor mit einem „Thermofenster“ arbeitet.
[39] 3.4. Bereits in der Entscheidung zu 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 hat der Oberste Gerichtshof mit Bezug auf ein Aggregat des Typs EA189 EU5 ausgeführt:
„I.C.3.3. Die neu installierte Software beinhaltet ein 'Thermofenster', aufgrund dessen der emissionsmindernde Betriebsmodus nicht mehr nur im Prüfbetrieb, sondern auch im Fahrbetrieb zum Einsatz kommt, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam ist.
I.C.3.4. Dass das 'Thermofenster' als Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007 zu qualifizieren ist, ist nicht zweifelhaft (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 81). Zu prüfen ist daher weiter, ob die hier zu beurteilende Abschalteinrichtung – das 'Thermofenster' in seiner konkreten Ausgestaltung – verboten ist.
I.C.3.5. Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU normiert ein grundsätzliches, von Ausnahmen durchbrochenes Verbot von Abschalteinrichtungen. Nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Von diesem Verbot normiert Art 5 Abs 2 Satz 2 drei Ausnahmen. Die Beklagten nehmen für sich – wenn auch nur indirekt durch Verweis auf die Rechtsansicht des KBA – die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU in Anspruch.
I.C.3.6. Nach dieser Bestimmung muss die Abschalteinrichtung, um zulässig zu sein, notwendig sein, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 62; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 74; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 89, ÖJZ 2023/16 [Brenn]).
Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann 'notwendig' im Sinn des Art 5 Abs 2 Satz 1 lit a VO 715/2007/EU , wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 95).
I.C.3.7. Der Europäische Gerichtshof hat darüber hinaus klargestellt, dass – ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU normierten Voraussetzungen – eine Abschalt-einrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU fällt (Urteile C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73, 81; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 65, 70; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 77, 82; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 90 f).
I.C.3.8. Unabhängig davon, ob die in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU normierten Voraussetzungen des Motorschutzes erfüllt sind, ist die Abschalteinrichtung somit jedenfalls unzulässig, wenn sie den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste. Es kommt für die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung daher darauf an, ob sie aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen im überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt ist und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist.“
[40] 4. Diese Grundsätze werden auch vom erkennenden Senat geteilt.
[41] 4.1. Deren Anwendung auf den vorliegenden Fall führt zum Ergebnis, dass nicht abschließend beurteilt werden kann, ob die Voraussetzungen einer Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EU erfüllt sind. Zwar ist von einem „Thermofenster“ und damit von einer Abschaltvorrichtung iSd Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG auszugehen. Die Feststellungen erlauben aber keine abschließende Beurteilung der Frage, ob und inwiefern ohne eine solche Maßnahme beim vorliegenden Fahrzeugtyp eine konkrete Gefahr beim Betrieb entstünde, die durch keine andere technische Lösung abgewendet werden könnte. Zur Frage, ob der bei Übergabe des Fahrzeugs vorhandene Mangel durch das von der Beklagten durchgeführte Software-Update behoben wurde, also das Fahrzeug nach Durchführung der Verbesserung nicht mehr mit einer verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet wäre, fehlen damitaussagekräftige Feststellungen. Zudem wäre eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jedenfalls unzulässig. Zu dieser Frage liegt, anders als im Verfahren zu 10 Ob 2/23a, mangels eines entsprechenden Vorbringens der Klägerin kein Zugeständnis der Beklagten vor.
4.2. Zur Beweislast für das Vorliegen der Verbotsausnahme:
[42] 4.2.1. Nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig. Davon normiert Art 5 Abs 2 Satz 2 drei Ausnahmetatbestände. Danach ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten (Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG ), die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist (lit b) oder die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind (lit c).
[43] 4.2.2. Auszugehen ist damit zunächst davon, dass eine Abschaltvorrichtung verboten ist, wenn keine der genannten Ausnahmen vorliegt. Im Verfahren ist nicht mehr strittig, dass im Motor des Fahrzeugs eine solche Einrichtung auch nach dem Software-Update vom 13. 3. 2017 verbaut ist. Damit trifft die Beweislast für die Zulässigkeit aber die Beklagte. Denn wer behauptet, dass eine Ausnahme von einer allgemeinen Regel vorliegt, der hat die dafür maßgebenden Tatsachen auch zu beweisen (RS0040188, vgl auch RS0037797).
[44] 4.2.3. Dies ergibt sich im konkreten Fall auch aus der Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofs: Zur Verbotsausnahme nach Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG hat der Europäische Gerichtshof in C‑145/20 ausgeführt, „dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen“. Der Europäische Gerichtshof hat darüber hinaus klargestellt, dass – ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen – eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, nicht unter diese Verbotsausnahme fällt. Gleiches gilt, wenn eine solche Einrichtung nicht „notwendig“ iSd Art 5 Abs 2 Satz 1 lit a VO 715/2007/EG ist (dazu 10 Ob 2/23a I.C.3.6.).
[45] Erforderlich ist damit auch nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs der Nachweis für die technische Notwendigkeit einer Abschalteinrichtung (des „Thermofensters“) in der engen Auslegung des Europäischen Gerichtshofs. Mangels sachlicher Rechtfertigung für eine Differenzierung muss das auch für die Fragen gelten, ob die Abschalteinrichtung unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, um den Motor zu schützen, und ob es im Zeitpunkt der Typenbewilligung eine andere (allenfalls auch teurere) technische Lösung gegeben hätte. Unklarheiten gehen insofern daher auch aus unionsrechtlicher Sicht zu Lasten des Übergebers.
[46] 4.2.4. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten: Steht fest oder ist – wie im vorliegenden Fall – nicht strittig, dass im Fahrzeug des Übernehmers eine grundsätzlich verbotene Abschalteinrichtung (ein Thermofenster) verbaut ist, trifft den Übergeber die Beweislast dafür, dass eine solche Einrichtung unter die Verbotsausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG fällt. Verbleibende Unklarheiten gehen zu seinen Lasten.
[47] 4.3. Gelingt der Nachweis nicht, wäre davon auszugehen, dass trotz des Software-Updates eine verbotene Abschalteinrichtung vorliegt. Die Wandlung wäre in diesem Fall berechtigt. Denn nach ständiger Rechtsprechung kann der Übernehmer schon bei Misslingen des ersten Verbesserungsversuchs den Sekundärbehelf (Wandlung oder Preisminderung) in Anspruch nehmen (10 Ob 2/23a [I.C.4.1.]; 9 Ob 68/23y [Pkt 5.3]; RS0018702). Nach der Entscheidung des EuGH vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen (Rn 82 ff), wäre ein solcher Mangel jedenfalls nicht als geringfügig anzusehen (vgl auch 10 Ob 2/23a [I.C.4.2. ff])
[48] 5. Für den Fall, dass das Erstgericht die Wandlung als berechtigt ansehen sollte, wird es im ergänzend durchzuführenden Verfahren zudem die Frage des im Zuge der Rückabwicklung des Kaufvertrags der Beklagten zustehenden Benützungsentgelts zu beurteilen haben.
[49] 5.1. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, nach der auf eine Gegenüberüberstellung des für den erworbenen Pkw konkret angemessenen Kaufpreises mit dem Händlereinkaufspreis im Wandlungszeitpunkt abzustellen wäre, übersieht, dass der Kläger, der nach der Geltendmachung der Wandlung die Sache weiterhin genutzt und einen tatsächlichen Gebrauchsnutzen gezogen hat, nach der Rechtsprechung auch für den Zeitraum nach der Wandlung ein angemessenes Nutzungsentgelt zu leisten hat (9 Ob 68/23y [Pkt 6.1] mwN). Die Beklagte hat dazu bereits im Verfahren erster Instanz eingewendet, dass sich der Kläger den Vorteil für die „zwischenzeitige Nutzung“ anrechnen lassen müsse, und zielte damit erkennbar auf die gesamte Dauer der Fahrzeugnutzung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ab. Die von ihr erhobene Gegenforderung ist – wenn auch anhand ihrer Berechnungen – ziffernmäßig konkretisiert.
[50] 5.2. Zur Berechnung der Höhe des Gebrauchsnutzens schließt sich der erkennende Senat der in der Entscheidung zu 10 Ob 2/23a [I.D.2.] vertretenen Rechtsauffassung an, nach der – zusammengefasst – der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Fahrzeugs, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern (linear) zu berechnen ist.
[51] 6. Den Rekursen ist daher im Ergebnis nicht Folge zu geben. Dem fortgesetzten Verfahren ist allerdings die in dieser Entscheidung dargelegte Rechtsansicht zugrunde zu legen.
[52] 7. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf §§ 50, 52 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)