BVwG W247 2163488-1

BVwGW247 2163488-17.6.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W247.2163488.1.00

 

Spruch:

W247 2163488-1/30E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, geboren am XXXX , vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.10.2018, zu Recht erkannt:

 

A)

 

I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

Die beschwerdeführende Partei (BF) ist afghanischer Staatsangehöriger und der Volksgruppe der Tadschiken und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig.

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer (BF) reiste spätestens am 29.09.2015 unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag (damals als Minderjähriger) den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem der BF am 29.09.2015 vor der LPD XXXX erstbefragt wurde. Nach Zulassung seines Verfahren wurde der BF am 19.01.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), RD XXXX , im Beisein eines dem BF einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache DARI, sowie im Beisein einer Vertreterin der XXXX niederschriftlich einvernommen.

 

2. Der Beschwerdeführer brachte im Rahmen seiner Erstbefragung vor, dass er in XXXX geboren sei und dass beide Eltern, 4 Brüder und 3 Schwestern in Afghanistan aufhältig wären. Als Fluchtgrund führte er an, vor ca. 6 Monaten, als der BF in der Schule gewesen sei, hätten sich zwei Taliban Kämpfer vor seiner Schule in die Luft sprengen wollen. Der BF habe aber den Vorfall beobachtet und die Polizei verständigt. Zirka 15 bis 16 Tage später sei der BF in seinem Heimatdorf von Taliban Kämpfern festgenommen und misshandelt worden. Seine Nase und sein Kopf wären gebrochen worden und er sei bewusstlos geschlagen worden. Der BF sei in einem Militärspital namens "400 Betten" aufgewacht. Der BF sei 17 Tage im Spital gewesen. Aus Angst um sein Leben, habe der Vater des BF die Flucht nach Europa organisiert. Der BF befürchte im Falle seiner Rückkehr, dass er von den Taliban getötet werde.

 

Mit Verfahrensanordnung wurde ein Gutachten zur Volljährigkeitsbeurteilung des BF eingeholt. Das medizinische Fachgutachten kam zu dem Ergebnis, dass das vom Antragsteller behauptete Geburtsdatum XXXX mit der erhobenen Befundlage nicht vereinbar ist. Der BF habe zum Untersuchungszeitpunkt ein Mindestalter von 16,25 Jahren, was dem fiktiven Geburtsdatum XXXX entspräche. Der BF wäre somit spätestens am 09.09.2017 volljährig.

 

3. Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA am 19.01.2017 machte der damals noch minderjährige BF im Wesentlichen zu den Fluchtgründen geltend, er sei während des Unterrichts in seiner Schule durstig geworden. Die Schule sei wie ein Flugdach, ohne Wände, und 10m daneben sei der Brunnen. Dem BF seien dort 2 Männer mit langen Haaren aufgefallen, die geschaufelt hätten. Einer der beiden Männer habe etwas Rundliches ausgepackt und neben sich gelegt. Der BF habe deshalb so viel Angst bekommen, dass er nicht in die Schule zurückgegangen sei und er sei zur nächsten Polizeistation gerannt, welche am Anfang der Straße ca. 3 min entfernt gewesen sei. Die Polizisten seien anschließend mit dem BF im Polizeiauto zur Schule gefahren, der BF hätte den Ort gezeigt und die Polizisten hätten die beide Männer festgenommen. Der (Schul‑) Direktor und sein Lehrer seien auf einmal aufgetaucht und hätten gefragt, was los sei. Der Direktor habe sich beim BF für seine Aufmerksamkeit bedankt und weitere Polizisten hätten den BF und Klassenkollegen in die Klasse zurückgebracht. 15 bis 16 Tage später sei dem BF auf dem Weg in die Schule ein weißer PKW aufgefallen, welcher langsam gefahren sei. Die Straße sei leer gewesen, mit Bäumen. 200m vor der Schule sei das Auto immer schneller auf den BF zugefahren. Anschließend seien zwei Männer mit Turban, langen Haaren, und Bart ausgestiegen. Ihre Augen seien schwarz bemalt gewesen. Der BF habe eine Ohrfeige bekommen und habe geschrien. Der BF sei weiter geschlagen worden und sei dabei am Hinterkopf getroffen worden. Der BF habe das Bewusstsein verloren, er sei gefesselt und ihm die Augen verbunden worden. Der BF sei an einen unbekannten Ort gebracht worden, wo der BF weiter geschlagen und beschimpft worden sei, weil er die Polizei gerufen hätte. Sie hätten deswegen 2 gute Männer verloren. Sie hätten den BF überall, am Kopf und Rücken geschlagen und als "Spitzel" bezeichnet. Es seien dort auch andere Menschen gewesen, die geschlagen worden seien. Der BF habe Geschrei und viele Stimmen gehört. Es sei auf Pashtu gefragt worden, wer Hassid sei. Einer habe den BF in die Brust getreten und der BF sei nach hinten gefallen. Der BF habe nur gehört: "Das ist der Spitzel. Tötet ihn." Der BF sei weiter geschlagen und seine Nase gebrochen worden. Der BF habe aufgrund der Schläge auf den Kopf das Bewusstsein verloren. Der BF sei erst wieder im Krankenhaus mit Infusionen und Elektroden auf der Brust aufgewacht. Der BF wäre 16 bis 17 Tage im Krankenhaus geblieben. Während der Entführung des BF sei auch ein Drohbrief an seine Wohnadresse gesendet worden, welchen der Vater gelesen habe. Der Vater habe aufgrund der Geschehnisse die Ausreise für den BF organisiert. Nachgefragt sei die Bombe olivgrün oder schlammfarben gewesen sein, voll mit Erde und habe eine Tortenform gehabt. Nach Rückübersetzung, korrigierte der BF, dass die Männer keine Schaufeln gehabt hätten und nur gegraben hätten und nah am Boden gewesen wären.

 

4. Der BF brachte durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung am 02.02.2017 eine Stellungnahme ein. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass dem BF eine Verfolgung durch die Taliban drohe und ihm von staatlichen Stellen in Afghanistan kein adäquater Schutz geboten werden könne. Anschließend beruft sich die Beschwerdeseite bezüglich der Sicherheitslage in Logar auf Entscheidungen des BVwG aus den Jahren 2015/2016. Eine Rückkehr in die Provinz Logar würde Art. 3 EMRK zu wiederlaufen. Ebenfalls brachte die Beschwerdeseite das Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul, Herat und XXXX vor und betonte, dass es sich beim BF um einen unbegleiteten Minderjährigen handeln würde. Aufgrund des geographischen Einflussbereiches der Taliban wäre eine Rückkehr des BF nach Afghanistan mit Art. 3 EMRK nicht vereinbar. Es wurden daher folgende Anträge gestellt: 1) Dem Minderjährigen den Status eines Asylberechtigten zu gewähren und festzustellen, dass ihm kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukomme, 2) in eventu dem Minderjährigen den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und ihm gleichzeitig einen befristete Aufenthaltsberechtigung gem. § 8 Abs. 4 AsylG für ein Jahr zu erteilen, 3) in eventu die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Minderjährigen als auf Dauer unzulässig festzustellen und ihm einen Aufenthaltstitel gem. § 55 AsylG 2005 zu erteilen;

 

5. Der BF brachte erstinstanzlich folgende Dokumente/Unterlagen in Vorlage:

 

* Eine Tazkira des BF;

 

* Einen an den BF adressierten Drohbrief der Taliban;

 

* Polizeiliche Bestätigung der Heimatprovinz über einen Sicherheitsvorfall an der Schule des BF;

 

* Bestätigung der Schule des BF über einen Sicherheitsvorfall;

 

* Ein Ambulanzblatt des XXXX vom 05.04.2016 wegen eines psychologischen Anfalles;

 

* Einen Kurzarztbrief über die stationäre Behandlung des BF im XXXX , wegen einer psychischen Störung;

 

* Einen Befund des LKH-Graz vom 08.01.2016 über eine dermatologische Erkrankung;

 

* Deutschkursbestätigung des BF in der Einrichtung XXXX vom 16.01.2017;

 

* Kursbesuchsbestätigung über die Teilnahme an einem Bildungsangebot der XXXX ;

 

* Unfallerhebung einer Gebietskrankenkasse an den BF;

 

* Abbildungen des BF in einem Krankenhaus mit wahrnehmbaren Kopfverletzungen;

 

6. Mit dem angefochtenem Bescheid vom 15.05.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz, sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung erlassen, sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

 

7. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat und führte aus, dass die von dem BF vorgebrachte Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft festzustellen sei. Der BF hätte in seinem Vorbringen keine glaubhaften Sachverhalte anführen können, die die Annahme rechtfertigen würden, dass er in seinem Herkunftsstaat einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention oder unmenschlichen Behandlung im Fall einer Rückkehr ausgesetzt wäre. So habe eine glaubhafte Entführung durch die Taliban tatsächlich nie stattgefunden. Auch von den beschwerdeseitig vorgebrachten zeitlichen Angaben zum behaupteten Geschehen ausgehend, hätte der BF bereits Mitte Juni 2015 in Österreich ankommen müssen, d.h. eine zeitliche Abweichung von 3,5 Monaten. Auch ließe sich für die belangte Behörde etwa nicht erklären, wie der BF lebendig den Taliban entkommen habe können. Auch aus sonstigen Gründen habe keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen einer politischen Überzeugung festgestellt werden können. Eine Rückkehr in die Heimatprovinz Logar sei derzeit aufgrund der volatilen Sicherheitslage unmöglich, allerdings habe die belangte Behörde eine IFA für Kabul angenommen.

 

8. Mit Verfahrensordnung vom 15.05.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

 

9. Mit Schriftsatz vom 28.06.2017 wurde durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde, infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, sowie wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, gegen den gegenständlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich aller Spruchpunkte eingebracht. Begründend wurde von Beschwerdeseite im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb dem Vorbringen kein Glauben geschenkt werde. In casu habe die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht gravierend verletzt. Die Angaben des BF seien nachvollziehbar, konsistent und in keiner Weise widersprüchlich. Die Beweiswürdigung erschöpfe sich an zahlreichen Stellen in unsachlichen Spekulationen, denen keinerlei Begründungswert beigemessen werden kann. Beschwerdeseitig beantragt wurde, 1.) eine mündliche Verhandlung abzuhalten, 2.) in der Sache selbst zu entscheiden und den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem mj. BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, 3.) in eventu in der Sache selbst zu entscheiden und den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem mj. BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird. 4.) in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung behoben und für auf Dauer unzulässig erklärt und in weiterer Folge dem mj. BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt wird, 5.) in eventu die Abschiebung des mj. BF für unzulässig erklären, 6.) in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit an das Bundesamt zurückzuverweisen, 6.) die kriminaltechnische Überprüfung der Echtheit der vorgelegten Tazkira zum Beweis für deren Echtheit,

7.) Offenlegung der Echtheitsüberprüfung bzw. der dbzgl. Beurteilung der in Vorlage gebrachten Schriftstücke;

 

10. Die Beschwerdevorlage vom 04.07.2017 und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsgericht am 06.07.2017 ein.

 

11. Der BF brachte am 16.07.2018, hg eingelangt am 19.07.2018, durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung eine Beschwerdeergänzung ein. Darin wird ausgeführt, dass die erstinstanzlichen Länderberichte veraltet seien. Die Entscheidung weise damit nicht die geforderte Aktualität auf. Des Weiteren moniert er mangelhafte Ermittlungen in Hinblick auf das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei dem BF auch nicht zumutbar. Zusätzlich wurde ergänzende Länderfeststellungen vorgebracht und die Anträge gestellt, 1.) dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, 2.) in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführungen eines Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundeamt zurückzuverweisen, 3.) dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, 4.) die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung plus gem. § 55 AsylG vorliegen und dem BF eine Aufenthaltsberechtigung plus von Amts wegen zu erteilen, 5.) in eventu dem BF eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gem. § 57 AsylG zu erteilen, 6.) jedenfalls eine mündlichen Verhandlung durchzuführen;

 

Vorgelegt wurden:

 

* Teilnahmebestätigung des BF am Werte- und Orientierungskurs;

 

* Zertifikat von XXXX über ein Bildungsangebot vom 07.07.2017;

 

* Diverse Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben;

 

* Teilnahmebestätigungen des BF an Deutschkursen;

 

* Semesterbestätigung der Übergangsstufe an XXXX für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprachen Deutsch vom 16.02.2018;

 

12. Mit Schriftsatz vom 11.09.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF Feststellungen zur Situation in Afghanistan vom 29.06.2018 (letzte Kurzinfo eingefügt am 22.08.2018) und das Mahringergutachten vom 30.08.2018 und wurde ihm Gelegenheit eingeräumt, dazu bis 03.10.2018 einlangend Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde den BF die Ladung für die am 10.10.2018 anberaumte mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

 

13. Am 10.10.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter der Beziehung eines Dolmetschers für die Sprache DARI eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu welcher der Beschwerdeführer ordnungsgemäß geladen wurden und an welcher dieser auch teilnahm.

 

Die Niederschrift lautet auszugsweise:

 

"RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft sowie Ihren Wohnort an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise aufgehalten haben.

 

BF: Mein Name ist XXXX , ich bin aus der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , Dorf XXXX , der Nachname leitet sich von dem Dorf ab. Ich bin afghanischer Staatsbürger, sunnitischer Moslem. Ich bin am XXXX geboren. Jedoch haben sie mich hier zum Arzt geschickt und für mich ein anderes Geburtsdatum festgestellt, den XXXX . Das letzte Mal vor meiner Ausreise, war ich in XXXX .

 

RI: Was macht Sie so sicher, dass Sie am XXXX geboren sind?

 

BF: Das hat mir meine Familie, meine Mutter gesagt.

 

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

 

BF: Ich gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und habe die Sprache Dari.

 

RI: Haben Sie Dokumente, welche ihre Identität beweisen? Wenn ja, welche?

 

BF: Ich hatte eine Tazkira, die ich beim BFA vorgelegt habe.

 

RI: Hatten Sie jemals einen Reisepass?

 

BF: Nein.

 

RI: Haben Sie sich außer an dem von Ihnen angegebenen, letzten Wohnort im Afghanistan auch an einem anderen Wohnort längere Zeit aufgehalten?

 

BF: Nach meinem letzten Ereignis war ich für drei Monate beim Freund meines Vaters, in Loghar, wo anders war ich nicht.

 

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie bisher ausgeübt?

 

BF: Ich habe acht Jahre lang die Schule besucht, aber ich habe keinen Beruf erlernt.

 

RI: Haben Sie einen Beruf ausgeübt?

 

BF: Nein.

 

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in Afghanistan und in welcher Stadt?

 

BF: Meine Tanten mütterlicherseits und väterlicherseits und meine Onkel mütterlicherseits und väterlicherseits leben in Loghar.

 

RI: Was ist mit Ihrer restlichen Verwandtschaft?

 

BF: Meine Familie lebt ebenfalls in Loghar, aber nicht mehr dort wo sie zuvor gelebt haben.

 

RI: Zählen Sie auf, wer zu Ihrer engeren Familie gehört.

 

BF: Zu meiner Familie gehören meine Eltern, meine fünf Brüder und meine vier Schwestern. Ich gebe noch an, dass meine vierte Schwester neulich geboren wurde und ich dies beim BFA nicht angegeben habe. Von den fünf Brüdern ist mein Bruder Obaid nicht mehr am Leben.

 

BFV: Meinen Sie fünf Brüder inklusive Ihnen oder exklusive?

 

BF: Fünf Brüder mit mir.

 

RI: Das bedeutet, Ihre Eltern, mittlerweile drei Brüder und vier Schwestern leben in Loghar an einem anderen Ort?

 

BF: Ja.

 

RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Familie im Afghanistan und wenn ja wie regelmäßig?

 

BF: Ich habe Kontakt zu meiner Familie. Ein bis zwei Mal im Monat, weil der Empfang dort nicht so gut ist.

 

RI: Mit wem haben Sie Kontakt?

 

BF: Mit meinem Vater

 

RI: Wie halten Sie Kontakt?

 

BF: Telefonisch.

 

RI: Wie finanziert Ihre im Afghanistan lebende Familie ihren Unterhalt?

 

BF: Mein Vater arbeitet. Somit finanziert er die Familie.

 

RI: Haben Sie Verwandte, die außerhalb von Afghanistan leben? Wenn ja, wo?

 

BF: Nein.

 

RI: Wann haben Sie Ihren Wohnort verlassen, wann sind Sie aus Afghanistan ausgereist?

 

BF: Ich habe im Jahre 2015 meinen Wohnort verlassen, an das Datum kann ich mich nicht genau erinnern.

 

RI: Wann sind Sie in Österreich eingereist?

 

BF: Am 29.09.2015 bin ich eingereist.

 

RI: Beschreiben Sie Ihre Fluchtroute?

 

BF: Ich bin aus Afghanistan zu erst in den Iran geflüchtet, Türkei, Istanbul, dann auf einer Insel in Griechenland namens Mitlini, dann in Athen, dann war ich in der Slowakei, dann in Kroatien anschließend in Österreich.

 

RI: Sind Sie seit Ihrer Einreise in Österreich wieder einmal in Afghanistan gewesen, im Rahmen einer Reise oder eines Urlaubs?

 

BF: Nein.

 

RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.

 

BF: Ich war in der achten Klasse in der Schule, plötzlich wurde ich sehr durstig. Ich wollte Wasser trinken und habe deshalb meinen Lehrer gefragt, ob er es mir erlauben würde Wasser zu trinken. Um Wasser zu trinken müsste ich von der Schule hinausgehen, weil wir außerhalb der Schule einen Wasserhahn hatten. Der Lehrer wollte es mir zuerst nicht erlauben, als er aber doch einwilligte, bin ich hinausgegangen. Draußen habe ich dann zwei Taliban gesehen, die eine Bombe in der Schule platzieren wollten. Ich habe die zwei Taliban gesehen wie sie die Erde geschaufelt haben und die Bombe dort einsetzten wollten. In dem Moment habe ich eine sehr große Angst bekommen und bin Richtung Polizeistation zu gelaufen. Ich bin laufend zu den Polizisten hin gegangen und habe ihnen erzählt, dass ich zwei Taliban gesehen hätte, mit einem Turban und dass sie dabei gewesen waren eine Grube zu schaufeln. Daraufhin sagte der Polizist ich solle ins Auto einsteigen und mit ihnen mitfahren. Wir sind dann Richtung Schule hingefahren, ich habe ihnen gezeigt, wo die Schule ist. Daraufhin sind die Polizisten ausgestiegen und zu ihnen hingegangen und haben sie festgenommen. Als die Polizisten ausgestiegen sind und zu den Taliban gingen, haben sie ihre Gewehre herausgeholt und auf die Taliban gerichtet. In dem Moment wurde es sehr laut, die Polizisten haben geschrien und der Schuldirektor und die Lehrer sind von der Schule hinausgegangen. Die Polizisten haben die Taliban angeschrien, dass sie sich nicht bewegen sollen, in dem Moment wurde es laut und der Schuldirektor und die Lehrer sind von der Schule hinausgekommen und alle haben sich im Schulhof versammelt.

 

RI: Wie haben die Taliban reagiert?

 

BF: Ich habe nicht genau gesehen, was die Taliban gemacht haben, ob sie flüchten wollten oder nicht. Aber ich habe gesehen, dass die Bombe dort platziert worden ist. Wenn ich es so beschreiben kann: Da war die Schule, da der Wasserhahn, da die Bäume. Als die Polizisten auf die Taliban zugegangen sind, haben sie die Taliban sofort festgenommen.

 

RI: Sie sagten zuvor, dass Sie aus dem Schulgebäude gingen um etwas zu Trinken. War der Wasserhahn noch am Schulgelände?

 

BF: Der Wasserhahn hat sich vor der Tür der Schule befunden. Es war nicht so, dass es ein Hof gewesen ist. Man ist von der Schule hinaus gegangen, ein paar Schritte entfernt war der Wasserhahn.

 

RI: Wo haben die Taliban das Loch ausgehoben? War das noch am Schulgelände?

 

BF: Die Taliban waren auf der anderen Straßenseite. Als ich die Schule verlassen habe, habe ich sie auf der anderen Straßenseite gesehen, ich bin dann auf die andere Straßenseite, auf die Hauptstraße umgebogen, bin drei Minuten gelaufen, bis ich die nächste Polizeistation gefunden habe. Ihnen habe ich von den Taliban erzählt.

 

RI: Wie ging es weiter?

 

BF: Die Polizeistation ähnelt nicht der Polizeistation in Österreich, sondern die Polizisten halten sich mitten auf der Straße auf. Ich bin durch die Bäume gegangen, durch einen kleinen Wald, um auf die Hauptstraße zu kommen.

 

RI: Die Schule befand sich nicht direkt an der Hauptstraße?

 

BF: Nein.

 

RI: Sie mussten durch ein Waldstück gehen um auf die Hauptstraße zu kommen?

 

BF: In der Mitte hat sich die Schule befunden.

 

RI: In der Mitte von was?

 

BF: Auf der rechten Seite von der Schule gab es eine Straße, durch die die Schüler gegangen sind um nach Hause zu gehen. Die Taliban befanden sich genau dort, auf der rechten Seite der Schule. Auf der linken Seite gab es keine Häuser, es war ein ländlicher Bereich mit Bäumen, ich bin durch diesen Bereich gegangen um auf die Hauptstraße zu kommen.

 

RI: Wo befand sich der Wasserhahn?

 

BF: Der Wasserhahn befindet sich ca. sieben bis acht Meter von der Schultür entfernt.

 

RI: Auf welcher Seite? Links oder rechts?

 

BF: Auf der rechten Seite.

 

RI: Wie ging es weiter?

 

BF: Als die Polizisten die Taliban festgenommen haben, hat mein Klassenvorstand die Polizisten gefragt, was hier los sei. Daraufhin haben die Polizisten gesagt: "Dieser Junge ist zu uns gekommen und hat uns von dem Ereignis erzählt. Und Gott sei Dank sind die Taliban nicht erfolgreich gewesen, ansonsten wären wir alle ums Leben gekommen."

 

RI: Wie ging es weiter?

 

BF: Es kamen dann weitere Polizisten und weitere Autos, daraufhin sagte mein Klassenvorstand ich solle zurück in die Schule gehen. Die Polizisten, die Lehrer haben sich bei mir bedankt. Als ich in der Klasse war, haben sich die Schüler ebenfalls bedankt und gesagt, dass dies eine heldenreiche Tat gewesen ist und das es die Pflicht eines jeden ist so zu handeln.

 

RI: Was war mit der Bombe?

 

BF: Da kamen weitere Autos und andere Polizisten, ich denke sie haben die Bombe dann mitgenommen und haben dort die Operation durchgeführt.

 

RI: Welche Operation?

 

BF: Dort wo die Bombe platziert worden ist, war ein Polizist daneben, und die anderen Polizisten waren auf der anderen Seite. Dort haben Sie die Operation durchgeführt. Damit meine ich, dass sie die Bombe von dort weggenommen haben.

 

RI: Haben Sie die Polizisten dabei beobachtet, wie sie die Bombe weggenommen haben?

 

BF: Ich habe gesehen, als sie dabei gewesen sind die Bombe wegzunehmen, aber sie haben dann alle Schüler entlassen.

 

RI: Zuvor sagten Sie Ihr Klassenvorstand hätte sie zurück in die Klasse geschickt?

 

BF: Sie haben mich zuerst in die Klasse geschickt, als die Schüler sich bei mir bedankt haben, dann haben sie uns alle gemeinsam nach Hause geschickt. Sie haben zu uns gesagt, dass wir schnell nach Hause gehen sollen, damit nicht was Anderes passiert.

 

RI: Sie haben zuvor gesagt, Sie waren dabei als die Bombe entfernt wurde. Wurde sie zuvor entschärft? Haben Sie das beobachten können?

 

BF: Als wir die Schule verlassen haben, habe ich in dem Moment gesehen, wie die Polizisten die Bombe von dort rausholen wollten, aber ich bin dann schnell nach Hause gegangen.

 

RI: Rausholen wollten oder rausgeholt haben?

 

BF: Sie waren dabei die Bombe von dort rauszuholen, aber wir waren auf dem Weg nach Hause.

 

RI: Die Bombe, die Sie beschrieben haben, war zu dem Zeitpunkt, als die Taliban festgenommen wurden, eingegraben? Sie war schon in der Erde?

 

BF: Als die Polizisten sie festgenommen haben, da war die Bombe schon eingegraben. Als ich sie beobachtet habe, hat der eine die Erde geschaufelt, eine Grube gegraben, der andere hat aus einem Sack die Bombe herausgeholt. Als ich mit der Polizei dann zurückgekommen bin, war das schon begraben.

 

RI: War es eine Bombe oder eine Mine? Was hat die Polizei gesagt?

 

BF: Das weiß ich nicht, was die Polizisten gesagt haben. Als ich die Geschichte später erfahren habe sagten sie es sei eine Bombe gewesen, etwas Rundes.

 

RI: Sie haben die Bombe selber gesehen?

 

BF: Ja.

 

RI: Beschreiben Sie wie sie aussah.

 

BF: Als ich die Bombe gesehen habe, war sie rund, ca. 20 cm im Durchmesser, sie hat wie eine Torte ausgesehen und war ca. neun oder zehn cm hoch.

 

RI: Sie sagten Sie haben als Schüler die Taliban mit der Bombe beobachtet. Bitte beschreiben Sie die Männer. Wieviele waren es, wie sahen Sie aus und wie weit standen Sie von Ihnen entfernt?

 

BF: Es waren zwei Personen, vollbärtig und mit langen Haaren. Sie waren afghanisch gekleidet.

 

RI: Wie alt waren sie ca.?

 

BF: Das weiß ich nicht.

 

RI: Wie weit standen Sie von ihnen entfernt?

 

BF: Sie waren ca 15 bis 20 Meter entfernt.

 

RI: Schätzen Sie das Alter. Waren Sie alt oder jung, oder Männer mittleren Alters?

 

BF: Man hat das nicht genau sehen können, sie waren weder alt noch jung, in der Mitte.

 

RI: Hatten Sie freies Blickfeld auf die Männer oder standen Sie hinter einem Gegenstand, wie z.B.: einem Baum verborgen?

 

BF: Ich hatte einen freien Blickwinkel.

 

RI: Wenn Sie freies Blickfeld auf die Taliban hatten, die gerade mit einer Bombe hantierten, hätten die Taliban Sie doch auch sehen müssen? Wenn ja, wie haben Sie reagiert?

 

BF: Als ich die Schule verlassen habe, habe ich die zwei Taliban gesehen, wie der eine dabei war die Bombe zu platzieren, der andere hat auf die andere Straßenseite geschaut, ob dort niemand kommt. Sie haben mich nicht gesehen und ich bin auf die andere Straßenseite, damit sie mich nicht sehen.

 

RI: Hatten die Taliban Schaufeln in der Hand?

 

BF: Ja, eine kleine Schaufel. Es war eine kleine Schaufel, sie war schwarz, es war so eine Schaufel und auf der Rückseite war etwas Spitzes. Das war zusammen. Das afghanische Wort dafür ist "Kolang".

 

RI: Nur einer der beiden hatte eine Schaufel dabei?

 

BF: Ja.

 

RI: Sie sind zu Fuß zur Polizeistation gelaufen?

 

BF: Ja.

 

RI: Selbst als Sie wegliefen, haben die Taliban Sie nicht gesehen?

 

BF: Nein.

 

RI: Wann genau ereignete sich dieser Vorfall? Wie lange vor Ihrer Flucht aus Afghanistan?

 

BF: Als ich hier in Österreich angekommen bin, war das Ereignis ca sechs Monate davor.

 

RI: Was geschah nach der Festnahme der Taliban, als Sie nach Hause entlassen wurden. Was passierte weiters?

 

BF: Danach war es 15 bis 16 Tage lang alles sehr normal. Als ich nach 15 bis 16 Tagen auf dem Weg zur Schule gewesen bin, war ich 200 Meter entfernt von der Schule, als ich gemerkt habe, dass ein weißes Auto hinter mir herfuhr.

 

RI: Welche Marke?

 

BF: Toyota, weiß. Sie sind langsam hinter mir hergefahren, dann wurden sie aufeinmal ganz schnell. Sie haben dann die Türe aufgemacht und mich von hinten gepackt. Als sie mich an der Schulter gepackt haben, haben sie mich zu sich gezogen und ins Auto hineingezerrt.

 

RI: Wie viele Leute waren im Auto?

 

BF: Es waren drei Personen, der eine hat mich gepackt und zu dem anderen hingeworfen, der andere war der Fahrer.

 

RI: Wo wurden Sie genau hingeworfen?

 

BF: Vorne saß der Fahrer, hinten saßen zwei Personen, der eine hat mich von hinten festgenommen und mich in die Mitte der Rückbank des Autos zu der anderen Person die dort saß hingeworfen. Als sie mich ins Auto hineingeworfen haben, sind sie schnell losgefahren. In dem Moment habe ich laut geschrien und gefragt: "Wer seid ihr?". Sie gaben mir eine Ohrfeige und sprachen auf Paschtu.

 

RI: Verstehen Sie Paschtu?

 

BF: Ja.

 

RI: Wie ging es weiter?

 

BF: Nach der Ohrfeige haben sie mir dann die Hände hinten zusammen gebunden, meine Augen ebenfalls, sie sind sehr schnell gefahren und haben mich geschlagen.

 

RI: Womit wurden die Augen verbunden?

 

BF: Mit einem Tuch. Sie sind mit hoher Geschwindigkeit gefahren und haben mich dann im Auto ständig geschlagen.

 

RI: Wie ging es weiter?

 

BF: Ich weiß nicht wie lange wir ca. gefahren sind, aber als wir angekommen sind, haben sie mich aus dem Auto geholt und wir sind eine Treppe hinunter gestiegen, ich habe auch Stimmen von anderen Personen gehört. Sie haben mich dort hineingeschmissen.

 

RI: Wohinein?

 

BF: Sie haben mich in einen Raum hineingeschmissen, wo sich dort überall Steine befunden haben. Ich bin dort ein paar Stunden auf dem Boden gelegen, dann sind ein paar Personen in den Raum gekommen und haben gefragt: "Wo befindet sich der Spion?". Ich weiß nicht, wen sie fragten, da meine Augen verbunden waren, meine Hände ebenfalls, als sie die Türe aufgemacht haben, wurde es sehr laut und sie fragten einfach:" Wo befindet sich der Spion?".

 

RI: Das heißt Sie wurden als Spion bezeichnet?

 

BF: Ja.

 

RI: Was geschah dann?

 

BF: Dann zeigte dort jemand auf mich, dann hat mir jemand einen sehr starken Tritt in die Brust verpasst, ich weiß nicht wer das war.

 

RI: Wenn Ihre Augen verbunden waren, wie konnten Sie dann sehen, wenn jemand auf Sie zeigte?

 

BF: Ich habe ihre Stimmen gehört, ich konnte sie nicht sehen, dann hat jemand auf Paschtu: "Hier ist er." gesagt. Sie haben mir einen sehr starken Tritt in die Brust verpasst, es war sehr schmerzhaft und sie sagten, dass sie meinetwegen zwei sehr gute Personen verloren hätten. Sie haben mich geschlagen und ich habe damals nicht das Gefühlt gehabt, dass ich dort lebend herauskomme, es war alles sehr schmerzhaft. Während der Schlägerei habe ich etwas sehr Festes auf meine Nase bekommen, ich weiß nicht womit sie mich schlugen, in dem Moment wurde mir sehr schwindelig. Sie hatten auch etwas aus Eisen in der Hand womit sie mich auf den Hinterkopf schlugen, da wurde ich ohnmächtig, ab da wusste ich nicht mehr was passiert ist. Als ich dann wieder zu Bewusstsein kam, bin ich im Krankenhaus, in einem Krankenbett, aufgewacht und habe gesehen, dass meine Nase und mein Kopf verbunden waren. Meine Nase war sehr groß und in dem Moment habe ich sehr laut geschrien. Dann ist ein Polizist ins Zimmer gekommen, da bin ich vom Bett auf den Boden gefallen.

 

RI: Wieso?

 

BF: Ich bin auf dem Bett gelegen, als ich meine Augen geöffnet habe, bin ich sehr ängstlich geworden, ich habe sehr laut geschrien, bin dann auf den Boden gefallen. Als die Polizei die Tür geöffnet hat, sagte er ich solle mich beruhigen, die Ärzte treffen gleich ein.

 

RI: Was geschah weiter?

 

BF: Ich hatte auf meiner Brust überall Pflaster. Mit Kabeln. Als ich dann auf dem Boden gefallen bin, haben sich die Kabel gelöst. Sie haben mich vom Boden aufgehoben und zurück ins Bett gelegt. Sie haben mich aufgehoben und wieder ins Bett gelegt und mir eine Infusion gegeben, ein Polizist fragte mich, ob ich die Nummer von meinem Vater oder einem anderen Familienmitglied hätte. Ich gab ihm die Nummer meines Vaters, ich habe das Foto des Polizisten beim BFA vorgelegt. Dieser Polizist hat meinen Vater angerufen, am nächsten Tag sind dann meine Eltern gekommen.

 

RI: Was passierte dann?

 

BF: Am nächsten Tag kamen meine Eltern, sie waren sehr traurig, meine Mutter hat viel geweint. Sie sprachen mit den Ärzten, diese haben gesagt, dass ich 16 bis 17 Tage im Krankenhaus bleiben muss. Ich war 16 bis 17 Tage im Krankenhaus, dann hat mich mein Vater zu seinem Freund nach Hause gebracht.

 

RI: Direkt vom Krankenhaus?

 

BF: Ja, direkt als ich entlassen worden bin. Ich hatte starke Schmerzen auf dem Hinterkopf. Meine Nase tat ebenfalls weh. Ich bin drei Monate lang beim Freund meines Vaters geblieben, bis zu meiner Genesung, und bin dann von dort geflüchtet.

 

RI: Was waren das für konkrete Verletzungen die Sie von den Misshandlungen durch die Taliban davon getragen haben?

 

BF: Meine Nase, ist gebrochen und Verletzung auf meinem Hinterkopf. Ich war auch beim Arzt und ich habe auch Bilder davon. Ich habe hinten Schnittwunden und eine Beule.

 

RI: Wo hatten Sie noch Verletzungen?

 

BF: Weitere Verletzungen habe ich am Rücken, am Handgelenk und unten am rechten Fuß.

 

RI: Welche Art von Verletzungen sind das?

 

BF: Mein Fuß ist stark verstaucht gewesen. Ich habe auf dem Rücken starke Schläge bekommen auch auf den Rippen. Am Handgelenk habe ich eine Narbe.

 

RI: Gibt es sonst Narben oder Überbleibsel von den Verletzungen?

 

BF: Narben habe ich am Rücken nicht, sondern am Kopf, aber Schmerzen habe ich starke.

 

RI: Noch immer?

 

BF: Jetzt habe ich nicht so starke Schmerzen.

 

RI: Aber Sie haben noch immer Schmerzen?

 

BF: Nein, jetzt bin ich geheilt.

 

RI: Zeigen Sie mir bitte Ihre Narben.

 

RI: Zu erkennen sind auf der Hand eine längere, unterbrochene, Narbe, auch die Verformung des Nasenrückens und auf dem Kopf sind trotz des dichten Haares des BF zwei kleine Narben zu sehen.

 

RI: Aber auf dem Rücken und am Fuß sind keine Überbleibsel von Verletzungen zu sehen?

 

BF: Nein, mein Fuß war nicht gebrochen, sondern verstaucht.

 

RI: Wie ging es weiter?

 

BF: Mein Vater hat mit einem Schlepper namens Aziz gesprochen, der Schlepper hat mich dann bis nach Österreich gebracht.

 

RI: Wie viel hat die Flucht aus Afghanistan gekostet?

 

BF: Ich weiß es nicht, mein Vater hat sich darum gekümmert.

 

RI: War das Ereignis, wo Sie von den Taliban mitgenommen und misshandelt wurden, das einzige Ereignis bei dem Sie bedroht wurden oder gab es noch andere?

 

BF: Das war das einzige.

 

RI: Haben Sie zu Ihrem Fluchtgrund noch etwas vorzubringen oder haben Sie alles erzählt?

 

BF: Ich habe keine weiteren Fluchtgründe.

 

RI wiederholt die Frage.

 

BF: Ich habe meine Fluchtgründe bekannt gegeben, sonst habe ich nichts.

 

RI: Haben Sie oder Ihre Familie jemals einen Drohbrief erhalten?

 

BF: Drohbriefe haben wir nicht erhalten, aber als ich hier war haben sie meinen Bruder namens Obeit im Alter von sieben Jahren entführt. Sie haben meinen Bruder als Geisel festgenommen und meinen Vater gesagt, sie lassen ihn erst dann frei, wenn mein Vater mich ihnen liefert. Mein Vater sagte, dass er mich seitdem sie mich entführt hatten nicht mehr gesehen hatte.

 

RI: Zu Ihrem Bruder kommen wir noch, ich möchte beim Thema Drohbrief noch einmal nachharken. Sie haben gerade angeführt, dass Sie oder Ihre Familie keinen Drohbrief erhalten haben. Die Beschwerdeseite hat jedoch am 02.05.2016 im Rahmen einer Beweismittelvorlage einen Drohbrief der Taliban an den minderjährigen Asylwerber als Beweismittel B vorgelegt. Was sagen Sie dazu?

 

BF: Ich habe einen Drohbrief erhalten, meine Familie nicht.

 

D: BF hat angegeben, dass er vorher nur gehört hätte, dass es um einen Drohbrief gegenüber seiner Familie geht, D hat aber auch so übersetzt, dass es auch um den Drohbrief gegen ihn geht.

 

BF: Die Taliban haben untereinander mich zum Tode verurteilt, dies haben sie in einem Drohbrief festgehalten und uns geschickt.

 

RI: Wann haben Sie den Brief erhalten und was stand genau drin?

 

BF: Den Brief haben wir am 12.01.1394 (D: das entspricht dem Jahr 2015, laut meinem Kalender, dem ersten April, 2015) erhalten, der Drohbrief ist auf Paschtu. Bei uns heißt der Monat "Hamal", ich weiß nicht was das hier entspricht.

 

RI: Was steht in dem Drohbrief?

 

BF: Ich kann auf Paschtu nicht so gut lesen.

 

RI: Eine Übersetzung des Briefes wird veranlasst werden. Sie wissen aber was drinnen steht. Was steht denn ungefähr drinnen?

 

BF: Dort steht, ungefähr: Hasibullah, der Sohn von Rachmatulla, aus der Provinz Loghar, Barakibarak, hat uns bei der Operation gestört und der Polizei Auskunft gegeben, deshalb haben wir beschlossen ihn zu töten. Zum Schluss stand ich solle mich drauf vorbereiten, getötet zu werden.

 

RI: Wann genau sind Sie entführt worden und wie lange waren Sie unter der Kontrolle der Taliban?

 

BF: Ich wurde 15 bis 16 Tage nach dem Ereignis entführt. Ich weiß nicht wie lange ich unter der Kontrolle der Taliban war, entführt wurde ich im Jahre 1394.

 

RI: Wurden Sie während der Misshandlungen mit dem Tode bedroht?

 

BF: Sie sagten, er muss getötet werden. Sie haben mich sehr stark geschlagen, ich hatte keine Hoffnung dort lebend herauszukommen und bin in Ohnmacht gefallen.

 

RI: Wie lange gingen die Misshandlungen? Über mehrere Stunden oder mehrere Tage? Oder über mehrere Wochen?

 

BF: Das weiß ich gar nicht, meine Augen waren verbunden und ich hatte kein Gefühl für die Zeit.

 

RI: War die Misshandlung ein Ereignis, oder wurden Sie mehrmals aus der Zelle geholt und misshandelt und wieder zurück gebracht?

 

BF: Von dem Raum haben sie mich gar nicht hinausgeholt, ich bin dort geblieben und sie haben mich dort geschlagen.

 

RI wiederholt die Frage.

 

BF: Es war 12 Uhr Mittag, als ich auf dem Weg in die Schule war, da haben sie mich ins Auto gezerrt und meine Augen verbunden. Ab da kann ich nicht genau sage, wie lange ich dort war. Ich hatte viel Angst und habe viele Schläge bekommen.

 

RI. Wurde Sie ausschließlich körperlich misshandelt oder hat man Sie auch verhört?

 

BF: Nein, ich wurde nicht verhört.

 

RI: Wurden gegenüber Ihrer Familie Lösegeldforderungen der Taliban gestellt?

 

BF: Nein.

 

RI: Wieso - glauben Sie - haben die Taliban Sie nicht an Ort und Stelle getötet?

 

BF: Das weiß ich nicht, warum sie mich nicht auf der Stelle getötet haben, ich hatte auch gar keine Hoffnung dort lebend raus zu kommen, dass ich noch am Leben bin und hier sitze, das ist ein Geschenk Gottes und ein Neuanfang.

 

RI: VORHALTUNG: Sie haben bei Ihrer Einvernahme vor dem BFA am 19.01.2017 auf Seite 5 des Protokolls - befragt nach Ihrer

Fluchtgeschichte - u.a. Folgendes angegeben: "... Ich hörte nur: Das ist der Spitzel, tötet ihn. Ich wurde weiter geschlagen, meine Nase ist gebrochen, und wegen der Schläge auf den Kopf verlor ich das Bewusstsein. Als ich wieder aufgewachte, hatte ich eine Infusion und Elektroden auf der Brust, ich war im Krankenhaus...". Meine Fragen an Sie:

 

1) Wer - glauben Sie - hat Sie ins Krankenhaus gebracht? Sie müssen zumindest im Nachhinein erfahren haben, wie Sie dorthin gelangten oder wer Sie gebracht hat?

 

BF: Ich weiß es nicht genau, aber in dem Raum in dem ich festgehalten worden bin, war ich nicht alleine, da waren auch andere Personen. Die Polizisten haben im Zuge einer Operation mich dort aufgefunden.

 

RI: Im Raum?

 

BF: Die Polizisten haben mich aufgefunden, aber ich weiß nicht wie und wo.

 

RI: Sie wurden also nicht ins Spital gebracht, sondern von der Polizei in dem Raum gefunden, wo Sie misshandelt wurden. Stimmt das?

 

BF: Ich kann nur sagen, dass die Polizisten mich ins Spital gebracht haben.

 

RI: Wie erklären Sie es sich das, das die Taliban sie einerseits als Spitzel bezeichnen, sie einerseits mit dem Tode bedrohen Sie aber dann lebendig zurücklassen? Wie erklären Sie sich das?

 

BF: Als die Taliban mich entführt haben hatten sie die Absicht mich zu töten, ich hatte keine Hoffnung dort lebend rauszukommen, ich weiß nicht wie ich es geschafft habe dort lebend raus zu kommen, aber die Hoffnung war nicht da. Sie schlugen mich so stark, dass es schlimmer als der Tod war.

 

2) Hat es im Zeitraum in dem Sie sich im Krankenhaus befunden haben weitere gegen Sie als Person gerichtete Vorfälle der Taliban gegeben?

 

BF: Nein. Im Krankenhaus, nein.

 

RI: Wann ist Ihr Bruder ermordet worden und wann haben Sie davon erfahren?

 

BF: Mein Bruder wurde vor meinem ersten Interview ermordet. Ca vier bis fünf Monate davor.

 

RI: Meinen sie die Einvernahme vor der Polizei?

 

BF auf Deutsch: Vor dem BFA.

 

RI: Vier bis fünf Monate vor welchem Interview?

 

BF: Vier bis fünf Monate vor dem Interview beim BFA, wurde er ermordet. Ich habe zu Hause angerufen, und habe es von meiner Familie erfahren.

 

RI: Wann haben Sie zu Hause angerufen und es erfahren?

 

BF: Als ich meine Familie angerufen habe, war er schon seit vier Wochen tot.

 

RI: Weiß man wer Ihren Bruder ermordet hat? Gab es ein konkretes Bekennerschreiben oder einen konkreten Bekenneranruf?

 

BF: Die Person selbst ist nicht bekannt, aber es war jemand aus der Gruppe der Taliban.

 

RI: Woher weiß man das?

 

BF: Sie haben meinen Vater in Afghanistan angerufen und haben ihm gesagt, er solle mich ihnen ausliefern und wo ich mich aufhalte, ich solle getötet werden. Daraufhin sagte mein Vater, er wisse nicht wo ich sei. Sie haben dann meinen kleinen Bruder ermordet und die Leiche vor unsere Haustür abgelegt.

 

RI: VORHALTUNG: Am 19.01.2017 hat ein Dolmetscher des BFA bei Ihrem Vater angerufen und diesem Fragen nach der Familie und dessen Job gestellt. Der Vater erwähnte zwar, dass Sie in Österreich wären und führte recht viel zu seinen beruflichen Umständen aus. Ihren Bruder erwähnt er namentlich, wusste aber über dessen Tod nichts zu berichten? Finden Sie es nicht ungewöhnlich, dass Ihr Vater Ihren Bruder unter seinen Kindern nannte, als ob dieser noch leben würde?

 

BF: Als der Dolmetscher meinen Vater anrief hat er ihn viel über seine Arbeit gefragt und ihm die Frage gestellt wie viele Kinder er hätte. Er hat nicht gefragt ob ein Kind getötet worden ist, mein Vater hat das ebenfalls nicht erwähnt. Er konnte auch nicht viel sprechen.

 

RI: Wie lange nach Ihrer Entlassung aus dem Spital sind Sie ausgereist?

 

BF: Ca. Drei Monate später.

 

RI: VORHALTUNG: In der Beschwerdeschrift vom 28.06.2017 auf Seite 8/9 haben Sie angegeben, dass Sie sich bis zu Ihrer Genesung aus Angst vor den Taliban mehrere Monate im Haus der Freunde Ihrer Familie in Logar aufgehalten hätten. Wieso haben Sie diesen Umstand nicht bereits früher vorgebracht, sondern erst, als die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid den Zeitverlauf Ihrer Fluchtgeschichte in Frage stellte?

 

BF: Sie haben mich nicht gefragt, wie lange ich in Afghanistan gewesen bin, als ich geflüchtet bin. Ich habe nur auf die Fragen eine Antwort gegeben, worüber ich gefragt wurde.

 

RI: Wie war die Adresse dieser Familie, wie hieß diese und wieviele Kinder hatten Sie?

 

BF: Die Familie befindet sich im Charkhe Loghar, der Freund meines Vaters heißt Fraidun, sie haben zwei Söhne und eine Tochter.

 

RI: Wurden Sie während dieser Zeit ärztlich versorgt? Und von wem?

 

BF: Nein, ich wurde nicht versorgt.

 

RI: Warum hätte diese Familie Sie so langen beherbergen sollen? Hätte die befreundete Familie dadurch nicht auch Probleme mit den Taliban bekommen können?

 

BF: Ich habe das Haus gar nicht verlassen, ich war nur im Zimmer drinnen.

 

RI: Hat in der Zeit in der Sie bei der der befreundeten Familie gewesen sind, Ihre eigene Familie Besuch von den Taliban erhalten?

 

BF: Nein, bei meiner Familie ist niemand gewesen. Die Distanz zwischen den beiden Wohnorten ist ca eine halbe Stunde.

 

RI: Haben Sie während des Aufenthaltes bei der befreundeten Familie Besuch von Ihrer eigenen Familie bekommen?

 

BF: Nein, sie sind gar nicht gekommen, sie hatten nur telefonisch Kontakt. Die zwei Familien hatte nicht so ein Verhältnis, dass sie sich gegenseitig besucht hätten, mein Vater war mit dem Mann befreundet, und hat mich dort versteckt.

 

RI: Die Freundschaft war immerhin stark genug um den Sohn der anderen Familie Monate lang zu verstecken.

 

BF: Er war der Freund meines Vaters, aber die Familien haben sich nicht besucht.

 

RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die eben Geschilderten?

 

BF: Nein.

 

RI: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Ethnie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland?

 

BF: Nein.

 

RI: Wurde Ihr Vater oder jemand Ihrer Familie jemals wegen der beruflichen Tätigkeit Ihres Vaters bedroht?

 

BF: Ja, mein Vater.

 

RI: Wie sah diese Bedrohung aus?

 

BF: Mein Vater hat am Flughafen in Kabul gemeinsam mit Türken auf der Baustelle gearbeitet, aus dem Grund ist er ständig nach Kabul gefahren und wieder nach Hause. Eines Tages wurde er von den Taliban aufgehalten und gefragt, was er ständig in Kabul machen würde. Wenn die Taliban erfahren würden, dass er ständig für die Amerikaner arbeitet, dann würden sie seine gesamte Familie töten. Es war ein türkisches Unternehmen, namens Yürksel. Die Taliban sagten zu meinem Vater, wenn sie erfahren würden, dass er für die Amerikaner arbeitet, dann würden sie die gesamte Familie ermorden.

 

RI: Er hat ja nicht für die Amerikaner gearbeitet?

 

BF: Er hat mit den Türken für die Amerikaner gearbeitet.

 

RI: Übt er den Job noch aus?

 

BF: Nein.

 

RI: Wann hat er damit aufgehört?

 

BF: Vor einer längeren Zeit, ich weiß es nicht.

 

RI: Was befürchten Sie konkret im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan?

 

BF: Die Befürchtung, dass ich dort getötet werde, dass ich dort nicht weiter leben kann.

 

RI: War Österreich von Anfang an das Ziel Ihrer Reise?

 

BF: Nein.

 

RI: Wo wollten Sie hin?

 

BF: Ich weiß nicht, ich wusste gar nicht wo ich hin gehe, ich wollte nach Europa.

 

RI: Wie geht es Ihnen? Sind Sie gesund?

 

BF: Ja. Es geht mir gut.

 

RI: Sind Sie zur Zeit in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?

 

BF: Ich bin nicht in ärztlicher Behandlung, eine Therapie habe ich auch nicht, ich habe nur nachts viele Alpträume, da ich sehr viel Angst habe.

 

RI: Nehmen Sie Medikamente?

 

BF: Momentan nehme ich keine Medikamente. Dass was ich vorhin erwähnt habe, habe ich vom jetzigen Zeitpunkt erwähnt. Das ich nicht in Behandlung bin, davor war ich in ärztlicher Behandlung. Ich hatte nachts immer Alpträume und bin aufgewacht und hatte Herzrasen, mittlerweile habe ich die Kontrolle über mich selbst.

 

RI: Sind Sie in Österreich politisch aktiv oder waren Sie vorher in Afghanistan politisch aktiv?

 

BF: Nein.

 

RI: Sind Sie vorbestraft, waren Sie in Ihrem Heimatland inhaftiert?

 

BF: Nein.

 

RI: Sind Sie in einem Verein oder Freizeitklub in Österreich?

 

BF: Nein.

 

RI: Haben Sie österreichische Freunde oder Bekannte?

 

BF: Ja.

 

RI: Sind Sie in Österreich bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten?

 

BF: Nein.

 

RI: Hatten Sie in Österreich bereits Kontakt zu Drogen?

 

BF: Einmal im Stadtpark war ich gemeinsam mit einer Gruppe, wir haben gemeinsam Drogen gekauft. Ich habe auch Drogen gekauft und konsumiert. Wir haben es gekauft für uns selbst und wurden von der Polizei erwischt.

 

RI: Haben Sie einen Sprachkurs in Österreich besucht? Wenn ja, wann?

 

BF: Ich habe fünf Kurse besucht. Eine Schule und eine Ausbildung für sechs Monate.

 

RI: Welche Schule?

 

BF: Zukunft Bildung Steiermark. Ich habe meine Dokumente hier.

 

BFV legt vor: Konvolut an Unterlagen. Diese werden als Beilagen zum Akt genommen.

 

RI: Auf welchem Niveau haben Sie eine Sprachprüfung abgelegt?

 

BF: Bis B1 habe ich Kurse besucht, aber keine Prüfung abgelegt.

 

RI (ohne Übersetzung): Was gefällt Ihnen an Österreich?

 

BF (ohne Übersetzung): Wegen was über Leben? Gefällt mir alles. Die Menschen, die Kultur, dann,... einfach diese Land.

 

RI (ohne Übersetzung): Was machen Sie in Ihrer freien Zeit? Was sind Ihre Hobbies?

 

BF (ohne Übersetzung): Meine Hobbys Billiard spielen und Fußball und Tischtennis.

 

RI (ohne Übersetzung): Was haben Sie letztes Wochenende unternommen?

 

BF (ohne Übersetzung): Unternommen? Letzte Wochenende habe ich, bin ich zu meinen Freunden gegangen, wir haben eine klein Party gemacht. Wir haben ein klein Party gemacht am Abend, wir haben ein bisschen Spazieren gegangen, in die Stadt dann wieder nach Hause

 

RI: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Österreich vor?

 

BF: Das Problem ist, dass mein Asylverfahren noch offen ist und für die Kurse und Schulen und Ausbildungen ist das problematisch, weil man nicht aufgenommen wird. Ich möchte in der Zukunft Pflegeassistent werden. Das ist ein Sozialberuf den ich erlernen möchte und für die österreichische Gesellschaft damit dienen möchte, das ist mein einziger Wunsch.

 

RI: Haben Sie sich schon erkundigt, was Sie für Voraussetzungen erfüllen müssen um in Österreich diesem Beruf nachgehen zu können?

 

BF: Ja.

 

RI: Wo haben Sie sich erkundigt?

 

BF: Bei diesem Beruf gibt es drei Bereiche, entweder man kümmert sich um Familien, oder um Menschen die behindert sind und mit alten Menschen. Ich möchte mit alten Menschen arbeiten, ihnen bei der Bekleidung helfen, ihnen Medikamente verabreichen und mit ihnen draußen spazieren gehen.

 

RI: Ihnen wurden vorab Länderfeststellungen zu Afghanistan mit der Aufforderungen übermittelt bis spätestens am 03.10.2018 hg einlagend eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Dies ist nicht geschehen. Ich möchte Ihnen nun Gelegenheit geben eine mündliche Stellungnahme abzugeben. Möchten Sie das?

 

RV: Ich beantrage eine einwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme.

 

RI an RV: Haben Sie noch Fragen an den Beschwerdeführer?

 

RV: Bitte Schildern sie den Vorfall betreffend Ihres Onkels väterlicherseits nach Ihrer Ausreise.

 

BF: Seit ich hier in Österreich bin gab es zwei Vorfälle, dass eine mit meinem Bruder, das andere, dass sie meinen Onkel erschossen haben. Ich weiß nicht ganz genau, die Taliban haben meinen Onkel väterlicherseits erschossen. Das habe ich bei meinem letzten Interview beim BFA angegeben, ich habe es nicht genau in Erinnerung.

 

RI: Woher wissen Sie, dass es die Taliban waren, die Ihren Onkel erschossen?

 

BF: Als ich zu Hause angerufen habe hat mir mein Vater es erzählt.

 

RI: Gab es ein Bekennerschreiben?

 

BF: Solche Vorfälle werden von den Taliban verrichtet.

 

RI: Wann wurde Ihr Onkel erschossen?

 

BF: Im Jahre 2016, an das genaue Datum kann ich mich nicht erinnern.

 

RI: Wann haben Sie davon erfahren?

 

BF: Ein bis zwei Tage danach.

 

RI: Sie haben von der Ermordung Ihres Onkels noch rechtzeitig vor der Einvernahme vor dem BFA erfahren am 19.01.2017 erfahren?

 

D: Ich glaube es liegt ein Übersetzungsfehler vor: der Onkel wurde nicht erschossen er wurde angeschossen, er lebt noch.

 

BF: Das habe ich vor dem 19.01.2017 erfahren.

 

RV: Wissen Sie wann Ihre Familie das Heimatdorf verlassen hat?

 

BF: Nachdem die Taliban meinen Bruder ermordet haben, lebt meine Familie nicht mehr im Dorf Naib, sie leben in einem anderem Dorf.

 

RI: Wie weit ist das neue Dorf von Naib entfernt?

 

BF: Ca. 45 Minuten, mit dem Auto entfernt.

 

RV: Haben Sie die Polizei im Krankenhaus gefragt, wo sie Sie gefunden haben?

 

BF: Ich habe die Polizisten nicht gefragt, wo sie mich aufgefunden haben, sondern sie haben es meinen Eltern erzählt, als ich vom Bett auf den Boden gefallen bin und sie mich aufgehoben haben., haben sie gesagt, ich solle mich beruhigen, sie werden das mit meinen Eltern besprechen.

 

RV: Der RI hat den BF nach seinen Vermutungen betreffend des Umstandes, warum er nicht von den Taliban getötet wurde, befragt. Ich erlaube mir eine Vermutung zu äußern. Es wäre denkmöglich, dass die Polizei das Versteck entdeckt hätte, bevor die Taliban den BF getötet hätten, die genauen Umstände entziehen sich jedoch der Kenntnis des BF und meiner Kenntnis. Im Übrigen verweise ich auf das Beschwerdevorbringen ab Seite 6, wo geschildert wird, durch Länderberichte, dass es auch verbreitet sei Spione lediglich vorübergehend zu entführen und zu bedrohen. Zu dem Vorhalt des RI betreffend der Nichtauskunft des Vaters des BF über die Ermordung seines Sohnes Obeit darf ich den RI auf die Möglichkeit hinweisen den Vater unter der Aktenkundigen, noch immer aktiven Telefonnummer zu kontaktieren und ich verweise auf das Beschwerdevorbringen ab Seite 15. Wo insbesondere der Umstand erwähnt wird, dass der Dolmetscher des BFA sich und den Kontext des Anrufes beim Vater des BF nicht vorgestellt hat. Betreffend der Frage des RI, ob der BF in Afghanistan jemals wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt wurde und der BF diese Frage verneinte, darf ich folgendes anmerken: Dem BF ist aufgrund mangelnder Rechtskenntnis nicht bewusst, dass er durch die Information an die Polizei und das Verraten der Taliban seine politische Gesinnung, nämlich eine talibanfeindliche Gesinnung zum Ausdruck gebracht hat und mit den staatlichen Behörden zusammen garbietet hat und wäre er daher im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ebendieser politischen Gesinnung von asylrelevanter Verfolgung bedroht. Sollten sich für den Richter Zweifel an der Echtheit bzw. Authentizität der vorgelegten Beweismittel, insbesondere der Tazkira, des Drohbriefes, der Bestätigung der Schule des BF sowie der polizeilichen Anzeige, ergeben so wird eine Echtheitsprüfung beantragt. Sollten sich an der Glaubwürdigkeit der geschilderten Fluchtgründe für das Gericht Zweifel ergeben, so wird die Überprüfung der Angaben des BF in Afghanistan beantragt. Die Namen der zu befragenden Personen, insbesondere der Klassenvorstand des BF, der Direktor der Schule des BF, die leitenden Kommandanten der Polizei Naib und die Dorfältesten sind Aktenkundig und diese Personen werden auf Nachfrage eines Vertrauensanwaltes bzw. eines SV die geschilderten, vom BF erlebten Ereignisse bestätigen.

 

Die Verhandlung wird um 14:57 Uhr unterbrochen.

 

Die Verhandlung wird um 15:07 Uhr fortgesetzt.

 

RI an BF: Ihnen wird das Sitzungsprotokoll nun rückübersetzt.

 

Schluss der Verhandlung."

 

14. Der Beschwerdeführer brachte im Rahmen der Beschwerdeverhandlung folgende Unterlagen/Dokumente ergänzend in Vorlage:

 

* Bestätigung des Lehrgangs XXXX für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch;

 

* Empfehlungsschreiben für den BF vom 20.09.2018;

 

* Empfehlungsschreiben für den BF vom 22.06.2017;

 

* Empfehlungsschreiben für den BF vom 23.06.2017;

 

* Teilnahmebestätigung für einen Wert- und Orientierungskurs vom 22.05.2017;

 

* Zertifikat für die Absolvierung eines Bildungsangebotes von XXXX ;

 

15. Der Beschwerdeführer brachte am 15.10.2018 eine weitere Stellungnahme ein. Darin führte der BF im Wesentlichen aus, es drohe ihm im gesamten Staatsgebiet Afghanistans eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner regierungsfreundlichen und talibanfeindlichen Gesinnung. Der Staat Afghanistan sei weder schutzwillig, noch fähig den BF vor der Verfolgung durch die Taliban zu schützen. Die Sicherheitslage und Versorgungslage in Kabul sei derzeit sehr prekär und daher dem BF nicht zumutbar. Ebenso sei die Sicherheits- und Versorgungslage in Herat und XXXX so prekär, dass das Leben bzw. die körperliche Unversehrtheit des BF dort nicht in Sicherheit wären. In diesem Zusammenhang wurde beschwerdeseitig u.a. auf ACCORD-Anfragebeantwortungen, auf den EASO-Bericht Afghanistan Security-Report (Stand Dez. 2017), auf den Afghanistanbericht von

XXXX (Stand Juli 2018), sowie auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchenden (Stand 30.08.2018) verwiesen. Eine Abschiebung dorthin stelle somit einen Verstoß gegen das Refoulement-Verbot dar.

 

16. Mit Schreiben vom 26.02.2019 übermittelte die belangte Behörde die Verständigung des XXXX von der Verhängung der Untersuchungshaft gegen den BF wg. § 28a SMG ab 16.02.2019.

 

17. Mit Schreiben vom 12.04.2019 übermittelte die belangte Behörde die Verständigung der XXXX von der Anklageerhebung gegen den BF wegen § 91 (1) StGB.

 

18. Laut Strafregisterauskunft vom 05.06.2019 scheint - den BF betreffend - folgende Verurteilung im Strafregister der Republik Österreich aus:

 

01) LG F.STRAFS-GRAZ XXXX vom 05.04.2019 RK 09.04.2019

 

§ 28 (1) SMG

 

§ 28a (1) 5. Fall SMG

 

Datum der (letzten) Tat 13.02.2019

 

Freiheitsstrafe 21 Monate, davon Freiheitsstrafe 14 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre

 

Junge(r) Erwachsene(r)

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 29.09.2015, der Erstbefragung des BF vor der LPD XXXX am selben Tag, der Einvernahmen des BF am 19.01.2017 vor dem BFA, der für den Beschwerdeführer eingebrachten Beschwerde vom 28.06.2017 gegen den angefochtenen Bescheid des BFA vom 15.05.2017, der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte und den von den Beschwerdeführern vorgelegten Urkunden und Unterlagen, sowie nach mündlicher Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.10.2019 werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, er wurde am XXXX in der Provinz Logar im Distrikt XXXX im Dorf XXXX geboren. Der BF gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, er ist sunnitischer Moslem. Der BF wohnte bis zu seiner Ausreise in Logar. Der BF spricht Dari als Muttersprache, versteht jedoch auch Pashtu. Der BF ist ledig und kinderlos. Der BF ist volljährig. Der BF genoss 8 Jahre Schulbildung, zuletzt besuchte er im Herkunftsland die Schule " XXXX ". Der BF ist unrechtmäßig und schlepperunterstützt spätestens am 29.09.2015 in das Bundesgebiet eingereist.

 

In Österreich halten sich keine Familienangehörigen, Verwandte des BF oder ihm sonst besonders nahestehende Personen auf. Im afghanischen Logar halten sich Eltern, drei Brüder und drei Schwestern, Tanten und teilweise erwerbstätige Onkeln des BF auf. Es besteht regelmäßiger Kontakt des BF mit seinem Vater. Der Vater des BF ist erwerbstätig und sichert so den Unterhalt der gesamten Familie, sowie auch bereits vor der Ausreise des BF. Ein Onkel des BF studiert Elektrotechnik an der Universität in Kabul.

 

Der BF ist gesund, er nimmt keine Medikamente und ist auch nicht in ärztlicher Behandlung. Der BF ist jung und arbeitsfähig. Der BF besuchte einen Deutschkurs auf dem Niveau B1, hat aber keine Sprachprüfung abgelegt und konnte in der mündlichen Verhandlung nur Deutsch auf sehr einfachem Niveau vorweisen. Der BF besuchte außerdem einen Werte- und Orientierungskurs und nahm in Österreich diverse Bildungsangebote wahr. Der BF ging in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und lebte - bis zu seiner Abmeldung - von der österreichischen Grundversorgung. Der BF verrichtete gemeinnützige bzw. ehrenamtliche Arbeiten im Bundesgebiet.

 

Es wird festgestellt, dass der BF persönlich nicht glaubwürdig ist.

 

Der BF wurde von einem österreichischen Straflandesgericht wegen dem Verbrechen des Suchtgifthandels und dem Vergehen der Vorbereitung von Suchgifthandel zu einer Freiheitstrafe von 21 Monaten, davon 14 bedingt nachgesehen, verurteilt. Der BF befindet sich seit 25.02.2019 in Haft.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

 

Das Vorbringen der Beschwerdeseite betreffen die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung durch die Taliban, weil er einen terroristischen Anschlag vereitelte, wird den Feststellungen mangels Glaubhaftmachung nicht zugrunde gelegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht.

 

Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare, innerstaatliche Schutz- bzw. Fluchtalternative in der Stadt XXXX zur Verfügung.

 

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat

 

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

 

Eine Rückkehr des BF in seine Heimatprovinz Logar ist nicht möglich.

 

Dem BF steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung. Der BF hat bis zu seiner Ausreise in Mazar-e Sharif nicht gelebt.

 

Der BF kann Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

 

Die grundlegende Versorgung der afghanischen Bevölkerung ist in Mazar-e Sharif gegeben.

 

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende

 

Situation zu geraten. Er ist in der Lage, in Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen.

 

Der BF hat die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

 

Der BF verfügt im Herkunftsstaat über familiäre Anknüpfungspunkte, welche den BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan unterstützen können.

 

Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und einer Sprache seines Herkunftsstaates (Dari) als Muttersprache vertraut und versteht auf Pashtu, da er den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan gelebt hat, dort aufgewachsen ist und auch dort 8 Jahre zur Schule gegangen ist.

 

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers - Afghanistan:

 

1.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 22.08.2018):

 

"[...]

 

Politische Lage

 

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

 

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

 

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

 

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9 .2016).

 

Parlament und Parlamentswahlen

 

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

 

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

 

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5 .2018).

 

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9 .2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

 

Parteien

 

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

 

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9 .2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

 

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

 

Parteienlandschaft und Opposition

 

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

 

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

 

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

 

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

 

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

 

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

 

Friedens- und Versöhnungsprozess

 

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

 

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

 

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

 

Sicherheitslage

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

 

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(Darstellung Staatendokumentation beruhend auf den INSO-Zahlen aus den Jahren 2015, 2016, 2017).

 

Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)

 

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO o.D.)

 

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

 

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNGASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

 

Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:

 

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO (o.D.), UN GASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

 

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

 

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

 

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(Darstellung der Staatendokumentation)

 

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

 

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

 

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

 

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

 

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

 

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

 

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

 

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

 

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

 

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

 

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

 

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

 

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

 

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

 

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

 

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

 

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

 

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

 

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

 

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

 

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

 

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

 

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

 

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

 

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

 

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

 

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

 

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

 

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

 

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

 

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

 

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

 

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

 

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

 

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

 

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

 

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

 

Zivilist/innen

 

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(UNAMA 2.2018)

 

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

 

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

 

Konkrete Informationen zu Zahlen und Tätern können dem Subkapitel "Regierungsfeindliche Gruppierungen" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

 

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

 

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

 

Weiterführende Informationen zu den regierungsfreundlichen Gruppierungen können dem Kapitel 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

 

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

 

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

 

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

 

Taliban

 

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

 

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

 

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

 

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

 

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

 

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).

 

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

 

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).

 

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).

 

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).

 

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).

 

Haqqani-Netzwerk

 

Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 1.7.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte dem Haqqani-Netzwerk seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).

 

Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden - inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 1.7.2017).

 

Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban, hat das Netzwerk mit mehreren anderen Aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansässigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).

 

Sowohl die afghanische, als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren - zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.3.2018; vgl. AJ 8.3.2018, UNGASC 27.2.2018).

 

Al-Qaida

 

Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.-20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).

 

Drogenanbau

 

In den Jahren 2016 - 2017 haben sich die Flächen zum Mohnanbau für Opium um 63% vergrößert und kommen nun auf 328.000 Hektar; insgesamt verstärkte sich die Opiumproduktion um 87% und damit auf 9.000 metrische Tonnen - die größte Menge in der afghanischen Geschichte. Die stärkste Expansion der Mohanbauflächen war in der Provinz Helmand zu verzeichnen, die als Zentrum der Opiumproduktion erachtet wird: eine Fläche von 144.000 Hektar ist dort dem Mohnanbau gewidmet. Der Mohnanbau hat sich landesweit verstärkt, auch in nördlichen Provinzen, wie z.B. Balkh und Jawzjan (UNODC 11.2017).

 

Unterstützt von ihren internationalen Partnern führt die afghanische Regierung weiterhin Operationen zur Drogenbekämpfung durch. Im gesamten Jahr 2017 wurden von afghanischen Exekutivbehörden 445 solcher Einsätze durchgeführt. Beschlagnahmt wurden dabei: 391kg Heroin, 31kg Morphium, 8.141kg Opium, 2 kg Methamphitamine, 38.547 kg Haschisch, 1.256 kg fester Vorläuferchemikalien, 1.437 flüssige Vorläuferchemikalien und 1.590 Tabletten synthetischer Drogen (MDMA - 3,4-methylenedioxymethamphetamine); diese Beschlagnahmungen führten zu 531 Verhaftungen. Die beschlagnahmte Menge an Opiaten ist die höchste registrierte Menge seit dem Jahr 2012. Auch hat sich der Preis für Opium erheblich reduziert (-41%), was mit einer großen Ernte in Verbindung gebracht wird; reduziert hat sich auch der Heroinpreis (-7%) (UNGASC 27.2.2018).

 

Im letztem Quartal 2017 wurden 750 Hektar Mohnanbauflächen in den Provinzen Nangarhar, Kandahar, Badakhshan, Balkh, Kunar, Kapisa, Laghman, Ghor, Herat, Badghis, Nimroz, Takhar, und Kabul vernichtet. Der UN zufolge wurden in den letzten drei Jahren in den nördlichen Regionen keine Mohnanbauflächen vernichtet, außer in den Provinzen Sar-e Pul und Balkh im Jahr 2017 - wo insgesamt 25 Hektar zerstört wurden. Ebenso wurden im Jahr 2017 im Süden des Landes keine Mohnanbauflächen zerstört; die Ausnahme bildet Kandahar - dort wurden 48 Hektar zerstört (SIGAR 30.1.2018).

 

Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

 

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

 

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

 

Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

 

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Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

 

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

 

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

 

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

 

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

 

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

 

[...]

 

Balkh

 

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

 

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

 

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

 

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

 

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Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Balkh

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

 

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

 

[...]

 

Logar

 

Logar befindet sich 65 km südlich von Kabul. Die Provinz grenzt im Norden an Kabul, im Osten an Nangarhar, im Süden an Paktia, im Westen an Maidan Wardak und im Südwesten an Ghazni. Logar besteht aus folgenden Distrikten: Mohammad Agha/Mohammadagha, Sarkh/Charkh, Kharwar, Baraki Barak/Barakibarak, Khwaki/Khoshi, Azrah/Azra und Pole Alam/Pul-e-Alam. Die Provizhauptstadt ist Pole Alam und befindet sich im gleichnamigen Distrikt (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o. D., UN OCHA 4.2014). In Barakibarak befindet sich ein Militärflughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation, Kapitel 3.35.). Verschiedene Teilstämme der Paschtunen, Tadschiken, Hazara und Kuchi leben in der Provinz (Pahjwok o.D.; vgl. NPS o.D.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 405.109 geschätzt (CSO 4.2017).

 

Im Distrikt Mohammadagha befindet sich die Ortschaft Mes Aynak, auf Dari "Kupferquelle", ein Ort, der für seine archäologischen Funde und Kupfervorkommen bekannt ist (Tolonews 28.2.2018; vgl. TD 28.2.2018, CNBC 6.4.2017, TaD 3.4.2017). Im Jahr 2007 unterzeichnete Afghanistan ein 30 jähriges Pachtverhältnis mit chinesischen Unternehmen zum Ausbau des Mes Aynak Kupferbergwerks; das Projekt musste jedoch aus verschiedenen Gründen (Probleme seitens der chinesischen Partner, Schwierigkeiten in der Wertschöpfungskette, Sicherheitsgründe usw.) derzeit eingestellt werden (TD 28.2.2018; vgl. FW 15.2.2018, TD 7.1.2017). Abgesehen von zwei Sicherheitsvorfällen in 2008 und 2012 wurde Mes Aynak von direkten Angriffen seitens Aufständischer verschont (FW 15.1.2017; vgl. TD 7.1.2017). Die Taliban versprachen Ende 2016, sich nicht mehr in die Bauarbeiten des Mes Aynak Kupferbauwerks einzumischen und die Regierung erhöhte das Polizeikontingent vor Ort (TD 28.2.2018; vgl. TD 7.1.2017, FW 15.1.2017, DW 1.12.2016 ).

 

Logar gehörte 2017 zu den Opium-freien Provinzen (UNODC 11.2017).

 

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

 

Logar gehört zu den volatilen Provinzen Afghanistans (Tolonews 12.2.2018; vgl. Khaama Press 21.11.2017). Einem hochrangigen Polizeibeamten zufolge hat sich die Sicherheitslage im Vergleich zur Vergangenheit verbessert. Außerdem plane man, Operationen gegen die Taliban zu verstärken (IWPR 5.3.2018). Aufgrund der Nähe zu den Außendistrikten der Stadt Kabul, fanden in Logar heftige Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften statt (Tolonews 12.2.2018).

 

Im Jahr 2017 gehörte Logar zu den Provinzen mit der höchsten Anzahl registrierter Anschläge (Pajhwok 14.1.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 156 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

 

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Im gesamten Jahr 2017 wurden in Logar 148 zivile Opfer (67 getötete Zivilisten und 81 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen und Luftangriffen. Dies bedeutet einen Rückgang von 35% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Obwohl die Gefechte u.a. in Logar stiegen, sank in der Provinz die Anzahl der zivilen Opfer in Folge von Bodenoffensiven (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Logar

 

ANA-Beamten zufolge verstärken afghanische Truppen ihre militärischen Operationen gegen die Taliban in der volatilen Provinz, um die Stellungen der Aufständischen zu zerstören (Tolonews 12.2.2018). So werden in Logar regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Pajhwok 25.3.2018; vgl. Tolonews 3.3.2018, Tolonews 12.2.2018, Pajhwok 21.1.2018, Tolonews 4.2.2018, Khaama Press 4.1.2017, Khaama Press 21.11.2017, TIE 30.10.2017, Pajhwok 14.10.2017); dabei wurden Talibananführer und Mitglieder des Haqqani-Netwerkes getötet (Tolonews 12.2.2018; vgl. Khaama Press 21.11.2017, TIE 30.10.2017, TNI 28.9.2017, Tolonews 11.9.2017). Luftangriffe werden durchgeführt (Pajhwok 25.3.2018; vgl. MENAFN 24.2.2018, Pajhwok 30.8.2017); dabei wurden Aufständische getötet (Pajhwok 25.3.2018; vgl. TNI 28.9.2017, Tolonews 3.8.2017, Pajhwok 4.1.2017). Zusammenstöße zwischen den Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 12.2.2018; vgl. Gandhara 5.11.2017).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Logar

 

Talibankämpfer sind in einigen Distrikten der Provinz aktiv (Tolonews 12.2.2018; vgl. TP 12.2.2018, Pajhwok 27.12.2017, HT 28.11.2017, Xinhua 25.10.2017, Reuters 29.4.2017). Auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, über eine Präsenz in Teilen der Provinz zu verfügen und verschiedene Angriffe in Logar auszuüben (Tolonews 11.9.2017; vgl. The Diplomat 15.11.2016, Khaama Press 30.5.2016). In einigen abgelegenen Distrikten der Provinz versuchten Taliban, ihre religiösen Ansichten in den Schulen zu verbreiten (Pajhwok 11.3.2018; vgl. IWPR 5.3.2018). Im März 2017 versuchte der IS, junge Männer in der Provinz Logar zu rekrutieren (JF 26.1.2018), auch wurden tschetschenische Staatsbürger, möglicherweise Anhänger des IS, in der Provinz Logar verhaftet (Tolonews 30.11.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in Logar IS-bezogene Vorfälle (Gefechte) registriert (ACLED 23.2.2018).

 

[...]

 

Flugverbindungen

 

Der folgenden Karte können Informationen über aktive Militär-, Regional- und internationale Flughäfen in den verschiedenen Städten Afghanistans entnommen werden.

 

Anmerkung der Staatendokumentation: Zu beachten ist, dass es innerhalb von kurzer Zeit zu Änderungen der Flugverbindungen kommen kann und in der Karte ausschließlich jene Flughäfen eingetragen sind, die laut Quellen am 8.5.2018 Linienverbindungen für Passagiere oder eine geplante Flugbewegung im Zeitraum bis sieben Tage nach der Abfrage aufwiesen.

 

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(BFA Staatendokumentation 8.5.2018, Flughafenkarte; vgl. Migrationsverket 4.5.2018).

 

Internationale Flughäfen in Afghanistan

 

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).

 

Internationaler Flughafen Kabul

 

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (Tolonews 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o. D.). Projekte zum Ausbau des Flughafens sollen gemäß der Afghanistan's Civil Aviation Authority (ACAA) im Jahr 2018 gestartet werden (Tolonews 18.12.2017).

 

Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif

 

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (Pajhwok 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Kam Air - eine private afghanische Fluglinie, führt seit kurzem auch internationale Flüge nach Delhi durch. Diese Flüge werden als nutzbringend für die afghanische Bevölkerung im Norden angesehen - sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere für jene, die spezielle medizinische Behandlungen benötigen. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu-Delhi aus angeflogen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Internationaler Flughafen Kandahar

 

Der internationale Flughafen Kandahar befindet sich 16 km von Kandahar-Stadt entfernt und ist einer der größten Flughäfen des Landes (MB o.D.). Er hat 37 Stellplätze für insgesamt 250 Flugzeuge (Pajhwok 3.6.2015). Der Flughafen ist Ziel nationaler sowie internationaler Flüge z.B. aus Indien, Iran, Dubai und anderen Abflugsorten (Pajhwok 3.6.2015; vgl. Pajhwok 16.9.2017). Ein Teil des Flughafens steht den internationalen Streitkräften zur Verfügung. Eine separate Militärbasis für einen Teil des afghanischen Heeres ist dort ebenso zu finden, wie Gebäude für Firmen (Pajhwok 3.6.2015; LCA 5.1.2018).

 

Internationaler Flughafen Herat

 

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet (HIA o.D.). Seit 2012 gilt er als internationaler Flughafen (Telesur 13.7.2017; vgl. TN 15.7.2017, Pajhwok 13.2.2012, DW 10.4.2013), von wo aus Flüge in den Iran, nach Pakistan, Dubai oder Tadschikistan gehen (HIA o.D.).

 

[...]

 

Rechtsschutz / Justizwesen

 

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).

 

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

 

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).

 

Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

 

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).

 

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9 .2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5 .2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5 .2018).

 

Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

 

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).

 

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens‑)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9 .2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).

 

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

 

[...]

 

Sicherheitsbehörden

 

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS) (USDOS 20.4.2018). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist (USDOD 6.2017).

 

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018, SIGAR 30.4.2018a, Tolonews 6.11.2017). Auch das NDS ist Teil der ANDSF (USDOS 3.3.2017).

 

Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u. a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018).

 

Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat (SIGAR 30.4.2018b). Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt (USDOD 6.2017).

 

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats." (AA 5 .2018). Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt (TG 26.5.2018; vgl. E1 2.12.2017).

 

Weiterführende Informationen über Angriffe auf Einrichtungen der Streitkräfte können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Aktuelle Tendenzen und Aktivitäten der ANDSF

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9 .2016; vgl. USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

Die USA erhöhten ihren militärischen Einsatz in Afghanistan: Im ersten Quartal des Jahres 2018 wurden US-amerikanische Militärflugzeuge nach Afghanistan gesandt; auch ist die erste U.S. Army Security Force Assistance Brigade, welche die NATO-Kapazität zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken soll, in Afghanistan angekommen (SIGAR 30.4.2018a). Während eines Treffens der NATO-Leitung am 25.5.2017 wurde verlautbart, dass sich die ANDSF-Streitkräfte zwar verbessert hätten, diese jedoch weiterhin Unterstützung benötigen würden (NATO o. D.).

 

Die ANDSF haben in den vergangenen Monaten ihren Druck auf Aufständische in den afghanischen Provinzen erhöht; dies resultierte in einem Anstieg der Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Zivilisten in der Hauptstadt. Wegen der steigenden Unsicherheit in Kabul verlautbarte der für die Resolute Support Mission (RS) zuständige US-General John Nicholson, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt sein primärer Fokus sei (SIGAR 30.4.2018a). Die ANDSF weisen Erfolge in urbanen Zentren auf, hingegen sind die Taliban in ländlichen Gebieten, wo die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte gering ist, erfolgreich (USDOD 6.2017). Für das erste Quartal des Jahres 2018 weisen die ANDSF einige Erfolge wie die Sicherung der Konferenz zum Kabuler Prozess im Februar und den Schutz der Einweihungszeremonie des TAPI-Projekts in Herat auf (SIGAR 30.4.2018a). Nachdem die Operation Shafaq II beendet wurde, sind die ANDSF-Streitkräfte nun an der Operation Khalid beteiligt und unterstützen somit Präsident Ghanis Sicherheitsplan bis 2020 (USDOD 6.2017).

 

Reformen der ANDSF

 

Die afghanische Regierung versucht die nationalen Sicherheitskräfte zu reformieren. Durch die Afghanistan Compact Initiative sollen u.a. sowohl die ANDSF als auch ihre einzelnen Komponenten ANA und ANP reformiert und verbessert werden. Ein vom Joint Security Compact Committee (JSCC) durchgeführtes Monitoring der afghanischen Regierung ergab, dass die für Dezember 2017 gesetzten Ziele des Verteidigungs- und des Innenministeriums zum Großteil erreicht wurden (SIGAR 30.4.2018a). Das Aufstocken des ANASOC, der Ausbau der AAF, die Entwicklung von Führungskräften, die Korruptionsbekämpfung und die Vereinheitlichung der Führung innerhalb der afghanischen Streitkräfte sind einige Elemente der 2017 angekündigten Sicherheitsstrategie der afghanischen Regierung. Auch soll diese im Rahmen der neuen US-amerikanischen Strategie für Südasien Beratung und Unterstützung bei Lufteinsätzen bekommen (TD 1.4.2018).

 

Mit Unterstützung der RS-Mission implementieren und optimieren das MoI und das MoD verschiedene Systeme, um ihr Personal präzise zu verwalten, zu bezahlen und zu beobachten. Ein Beispiel dafür ist das Afghan Human Resource Information Management System (AHRIMS), welches alle Daten inklusive Namen, Rang, Bildungsniveau, Ausweisnummer und aktuelle Position des ANDSF-Personals enthält. Auch ist das Afghan Personnel Pay System (APPS), das die AHRIMS-Daten u.a. mit Vergütungs- und in Lohndaten integrieren wird, in Entwicklung (SIGAR 30.4.2018a; vgl. NATO 21.7.2017).

 

Frauen in den ANDSF

 

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans besonders herausfordert (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 3.7.2014; BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Die Aufnahme afghanischer Frauen in die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANA, ANP und NDS) wurde immer von zahlreichen Herausforderungen begleitet. Die traditionelle afghanische Gesellschaft und patriarchalische Mentalität machen es Frauen schwer, am öffentlichen Leben teilzuhaben, insbesondere in Verteidigungs- und Sicherheitsorganisationen. Aus diesen Gründen erlauben die meisten Familien ihren Töchtern und Frauen nicht, sich den Verteidigungs- und Sicherheitskräften anzuschließen. Auch Unsicherheit ist wahrscheinlich ein starker Grund für das Fehlen von Frauen in den Verteidigungs- und Sicherheitsinstitutionen (AIHRC 9.12.2017).

 

Frauen sind Diskriminierung in verschiedenen Bereichen ausgesetzt, zum Beispiel in Hinsicht bestimmter Rechte und Privilegien, Weiterbildungsmöglichkeiten und den Zugang zu beruflichen Fortbildung im In- und Ausland. Einer Befragung der AIHCR zufolge, an der 648 Frauen teilnahmen (579 in der ANP, 60 in der ANA und zwölf im NDS), gaben die befragten Frauen an, dass in den drei Institutionen Diskriminierung gegen Frauen stattfindet. Einige Gründe, warum Frauen im Verteidigungs- und Sicherheitssektor nicht die gleichen Möglichkeiten zur beruflichen Fortbildung und zur Weiterbildung erhalten, liegen in den Institutionen selbst; andere hängen mit Familie und Gesellschaft zusammen. Ein Anteil der befragten Frauen (17%) in den Provinzen (Kabul, Parwan, Kapisa und Panjshir) gaben gegenüber AIHCR an, keinen Zugang zu geschlechtergetrennten, geeigneten Toiletten und Umkleidebereichen zu haben. Das Fehlen von Umkleidebereichen bietet eine Grundlage für Missbrauch und Belästigung von Frauen und führt dazu, dass viele Frauen den Arbeitsplatz aufgeben. Auch gaben 13,2% der Befragten an, sexuell belästigt worden zu sein. Die Unterschiede beim Ausmaß der Belästigungen in den drei Verteidigungs- und Sicherheitsorganisationen (ANP, ANA und NDS) sind gering, jedoch in der ANP höher als in ANA und NDS (AIHRC 9.12.2017).

 

Im letzten Quartal des Jahres 2017 errichtete das afghanische Innenministerium ein Komitee zur Prävention von sexueller Belästigung und Gewalt; auch wurde eine Arbeitsanweisung dafür errichtet und die Aufgaben der bestellten Mitglieder erarbeitet - Berater/innen der Koalitionspartner sollen dem Komitee zur Seite stehen, um sicherzustellen, dass die Bemühungen gegen sexuelle Belästigung und Gewalt stark und effektiv sind (SIGAR 30.1.2018). Die AIHRC, in Kooperation mit dem afghanischen Verteidigungsministerium und dem Innenministerium erarbeitet derzeit ein Programm für den Ombudsmann, um externe Berichterstattung, Kontrolle und Opferunterstützung für weibliche Mitarbeiter der beiden Ministerien errichten. Dieses Programm soll Mitgliedern der ANDSF und der afghanischen Bevölkerung die Möglichkeit geben, geschlechtsspezifische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gefahrlos der AIHRC melden zu können (USDOD 12.2017; vgl. AIHRC 9.12.2017).

 

Im Allgemeinen verbesserte sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte seit 2001, wenngleich sexuelle Belästigung und Gewalt sowie geschlechtsspezifische Gewalt die erfolgreiche Integration und Verbleib von Frauen in der ANDSF bedrohen. Um dieses Risiko zu minimieren, hat das Verteidigungsministerium außerdem ein Gender Integration Office gegründet, welches aktiv Leitlinien und Prozesse errichtet, um sexuelles Fehlverhalten zu vermeiden und zu melden. Außerdem bietet das Büro Unterstützung für männliche und weibliche Opfer sexuellen Fehlverhaltens an (USDOD 12.2017).

 

Ein Dutzend Frauen arbeiten in der Crisis Response Unit der afghanischen Polizei. Diese Einheit ist die Ersthelfer bei großen Angriffen. Die konkrete Mitgliederanzahl dieser Einheit ist unbekannt, wird landesweit auf 5.000 Mitglieder geschätzt; von den 254 Planstellen, die für Frauen vorgesehen sind, sind 83 tatsächlich besetzt. Die Frauen nehmen - so wie Männer auch - an den Operationen dieser Einheit teil und sind nicht nur für die Sicherheitskontrolle von Frauen zuständig. Eine der Mitarbeiterinnen dieser Einheit berichtet davon, monatlich 640 USD Grundgehalt zu erhalten (zusätzlich kommen noch kleine Belohnungszahlungen für Kampfoperationen hinzu); sie könne damit ihre Mutter, ihren Bruder und drei junge Kinder versorgen, die bei Verwandten leben, während sie manchmal monatelang auf Einsatz ist (LAT 3.3.2017).

 

Die türkische Polizeiakademie Sivas Police Vocational School hat bisher 1.956 afghanische Männer und 1.027 Frauen polizeilich in der Türkei ausgebildet. Die sechste Ausbildungsklasse für Frauen der afghanischen Nationalpolizei läuft mit Anfang des Jahres 2018; an dieser nehmen derzeit 243 Kandidatinnen teil (HDN 15.2.2018). Auch in Indien wurden bereits 4.000 Mitglileder der afghanischen Nationalpolizei und Nationalarmee in der Vergangenheit ausgebildet. Zum ersten Mal wird in Indien auch weibliches Militärpersonal an der Offiziersakademie in Chennai (Anm.: Bundesstaat Tamil Nadu) zu Offizierinnen ausgebildet. 17 Frauen entstammen der afghanischen Armee selbst, drei aus der Luftwaffe und eine nicht bekannte Anzahl aus Spezialeinheiten sowie weiteren Bereichen des afghanischen Verteidigungsministeriums (NDTV 6.12.2017).

 

Nachdem das von der afghanischen Regierung und der NATO angestrebte Ziel, den Frauenanteil in den ANDSF von 2010 bis 2020 auf 10% zu bringen, nicht realisierbar scheint, setzte sich die Regierung ein neues Ziel: Bis 2025 sollen 5.000 Frauen in die nationale Armee und 10.000 Frauen in die nationale Polizei eintreten (TD 30.4.2018). Nichtsdestotrotz lag am 3. März 2018 der Frauenanteil in den ANDSF bei 4.335, was einen Rückgang um 297 Frauen im Vergleich zum vergangenen Quartal ausmacht. Insgesamt arbeiteten 3.040 Frauen für die ANP, 1.295 für die ANA, 72 für die ASSF und 98 für die AAF.

1.504 waren Offiziere, 1.551 Unteroffiziere, 1.305 einberufenes Personal und 145 Kadetten. Aktuell ist das Women's Participation Program (WPP) im Laufen, eine Initiative zur Steigerung und Förderung des weiblichen Anteils innerhalb der afghanischen Sicherheitsinstitutionen. Das Programm fördert sichere und geschützte Einrichtungen, angemessene Ausrüstung, Ausbildung usw. (SIGAR 30.4.2018a).

 

Geheimdienstliche Tätigkeiten

 

Das Sammeln sowie der Austausch von geheimdienstlichen Daten verbesserte sich sowohl im Verteidigungs- als auch im Innenministerium. Die drei geheimdienstlichen Verbindungszentren, das Network Targeting and Exploitation Center (NTEC) im Innenministerium, das National Military Intelligence Center (NMIC) in der ANA (unter dem Verteidigungsministerium, Anm.) und das Nasrat, auch National Threat Intelligence Center, unter dem NDS, tauschen sich regelmäßig aus (USDOD 6.2017). Obwohl der Austausch von geheimdienstlichen Informationen als Stärke der ANDSF gilt, blieb Mitte 2017 die geheimdienstliche Analyse schwach (USDOD 6.2017). Gemäß einem Bericht von SIGAR finden Ausbildungen zur Verbesserung der geheimdienstlichen Fähigkeiten des MoI und des MoD im Rahmen der Resolute Support Mission statt (SIGAR 30.4.2018a).

 

Das National Directorate for Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist für die Untersuchung von Strafsachen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 20.4.2018). Die Bush- und die Obama-Administration konzentrierten sich auf den Ausbau des ANA- und ANP-Personals und vernachlässigten dadurch den afghanischen Geheimdienst. Die Rekrutierungsmethode für NDS-Personal war mit Stand Juli 2017 sehr restriktiv und der Beitritt für Bewerber ohne Kontakte fast unmöglich (TD 24.7.2017).

 

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

 

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber auf der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist es weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug das ANP-Personal etwa 129.156 Mann. Im Vergleich zu Jänner 2017 hat sich die Anzahl der ANP-Streitkräfte um 24.841 Mann verringert (SIGAR 30.4.2018b).

 

Quellen zufolge dauert die Grundausbildung für Streifenpolizisten bzw. Wächter acht Wochen. Für höhere Dienste dauern die Ausbildungslehrgänge bis zu drei Jahren (DB 23.3.2010). Lehrgänge für den höheren Polizeidienst finden in der Polizeiakademie in Kabul statt, achtwöchige Lehrgänge für Streifenpolizisten finden in Polizeiausbildungszentren statt, die im gesamten Land verteilt sind (GRIPS 1.2010). Die standardisierte Polizeiausbildung wird nach militärischen Gesichtspunkten durchgeführt, jedoch gibt es Uneinheitlichkeit bei den Ausbildungsstandards. Es gibt Streifenpolizisten, die Dienst verrichten, ohne eine Ausbildung erhalten zu haben (USIP 5.2014). Die Rekrutierungs- und Schulungsprozesse der Polizei konzentrierten sich eher auf die Quantität als auf den Qualitätsausbau und erfolgten hauptsächlich auf Ebene der Streifenpolizisten statt der Führungskräfte. Dies führte zu einem Mangel an Professionalität. Die afghanische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die beruflichen Fähigkeiten, die Führungskompetenzen und den Grad an Alphabetisierung innerhalb der Polizei zu verbessern (MoI o.D.).

 

Die Mitglieder der ALP, auch bekannt als "Beschützer", sind meistens Bürger, die von den Dorftältesten oder den lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer designiert werden (SIGAR 30.4.2018a). Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinschaft wurde angenommen, dass die ALP besser als andere Streitkräfte in der Lage sei, die Sachverhalte innerhalb der Gemeinde zu verstehen und somit gegen den Aufstand vorzugehen (AAN 5.7.2017; vgl. AAN 22.5.2018). Die Einbindung in die örtliche Gemeinschaft ist ein integraler Bestandteil bei der Einrichtung der ALP-Einheiten, jedoch wurde die lokale Gemeinschaft in einigen afghanischen Provinzen diesbezüglich nicht konsultiert, so lokale Quellen (AAN 22.5.2018; vgl. AAN 5.7.2017). Finanziert wird die ALP ausschließlich durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium und die afghanische Regierung verwaltet die Geldmittel (SIGAR 30.4.2018a; vgl. AAN 31.1.2017).

 

Die Personalstärke der ALP betrug am 8. Februar 2017 etwa 29.006 Mann, wovon 24.915 ausgebildet waren, 4.091 noch keine Ausbildung genossen hatten und 58 sich gerade in Ausbildung befanden (SIGAR 30.4.2018a). Die Ausbildung besteht in einem vierwöchigen Kurs zur Benutzung von Waffen, Verteidigung an Polizeistützpunkten, Thematik Menschenrechte, Vermeidung von zivilen Opfern usw. (AAN 5.7.2017).

 

Die monatlichen Ausfälle der ANP im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 ca. 2%. Über die letzten zwölf Monate blieben sie relativ stabil unter 3% (SIGAR 30.4.2018a).

 

Afghanische Nationalarmee (ANA)

 

Die afghanische Nationalarmee (ANA) überwacht und kommandiert alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte (USDOD 6.2017). Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 20.4.2018).

 

Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug der Personalstand der ANA 184.572 Mann. Im Vergleich zum Jänner 2017 ist die Anzahl der ANA-Streitkräfte um 6.861 Mann gestiegen (SIGAR 30.4.2018b). Die monatlichen Ausfälle der ANA im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 im Durchschnitt 2%. Im letzten Jahr blieben sie relativ stabil unter 2% (SIGAR 30.4.2018a).

 

Quellen zufolge beginnt die Grundausbildung der ANA-Soldaten am Kabul Military Training Center (KMTC) und beträgt zwischen sieben und acht Wochen (RSIS 1.6.2007; vgl. JCISFA 3.2011). Anschließend gibt es verschiedene weiterführende Ausbildungen für Unteroffiziere und Offiziere (JCISFA 3.2011).

 

Resolute Support Mission (RS)

 

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Rängen der Armee und Polizei. Die Personalstärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 Mann (durch 39 NATO-Mitglieder und andere Partner). NATO-Generalsekräter Jens Stoltenberg verlautbarte am 9. November 2017, dass sie zukünftig auf 16.000 Mann angehoben werden soll (NATO o.D.). Die RS-Mission befasst sich mit zahlreichen Aspekten bzw. Problematiken der afghanischen Sicherheitsbehörden. Involviert ist die Mission z. B. in die Förderung von Transparenz, in den Kampf gegen Korruption, den Ausbau der Streitkräfte, die Verbesserung des Geheimdienstes usw. (SIGAR 30.4.2018a).

 

Das Hauptquartier befindet sich in Kabul/Bagram mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e-Sharif im Norden, Herat im Westen, Kandahar im Süden und Laghman im Osten (NATO o.D.). Die US-amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan (United States Forces-Afghanistan, USFOR-A) und die Resolute Support Mission werden von General John Nicholson koordiniert (SIGAR 30.4.2018a; vgl. AJ 16.5.2018). Korruption, Vetternwirtschaft, schwache Führung usw. sind einige der Faktoren, welche die Leistungsfähigkeit der ANDSF unterminieren. Einer Quelle zufolge ist der Einsatz von ausländischen Sicherheitskräften ein wirksames Mittel für die Verbesserung von einigen Bereichen wie die Institutionalisierung einer meritokratischen Anwerbung, Beförderungen im afghanischen Sicherheitsbereich und die Entpolitisierung der ANDSF (TD 24.7.2017).

 

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Allgemeine Menschenrechtslage

 

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen (AA 5 .2018).

 

Zu den bedeutendsten Menschenrechtsfragen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen, Festnahmen (u. a. von Frauen wegen "moralischer Straftaten") und sexueller Missbrauch von Kindern durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind Gewalt gegenüber Journalisten, Verleumdungsklagen, durchdringende Korruption und fehlende Verantwortlichkeit und Untersuchung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen. Diskriminierung von Behinderten, ethnischen Minderheiten sowie aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung, besteht weiterhin mit geringem Zuschreiben von Verantwortlichkeit. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Straffreiheit derjenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind ernsthafte Probleme. Missbrauchsfälle durch Beamte, einschließlich der Sicherheitskräfte, werden von der Regierung nicht konsequent bzw. wirksam verfolgt. Bewaffnete aufständische Gruppierungen greifen mitunter Zivilisten, Ausländer und Angestellte von medizinischen und nicht-staatlichen Organisationen an und begehen gezielte Tötungen regierungsnaher Personen (USDOS 20.4.2018). Regierungsfreundlichen Kräfte verursachen eine geringere - dennoch erhebliche - Zahl an zivilen Opfern (AI 22.2.2018).

 

Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 5 .2018). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 5 .2018; vgl. MPI 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 5 .2018). Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen operieren in der Regel ohne staatliche Einschränkungen und veröffentlichen ihre Ergebnisse zu Menschenrechtsfällen. Regierungsbedienstete sind in dieser Hinsicht einigermaßen kooperativ und ansprechbar (USDOS 20.4.2018). Die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Afghanistan Independent Human Rights Commission AIHRC bekämpft weiterhin Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte, das Komitee für Drogenbekämpfung, berauschende Drogen und ethischen Missbrauch sowie der Jusitz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (USDOS 20.4.2018).

 

Im Februar 2016 hat Präsident Ghani den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).

 

Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

 

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Tadschiken

 

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte (CRS 12.1.2015; vgl. LIP 5.2018); und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (LIP 5.2018). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (LIP 5.2018). Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Der Hauptführer der "Nordallianz", einer politisch-militärischen Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist (CRS 12.1.2015). Trotz seiner gemischten Abstammung, sehen ihn die Menschen als Tadschiken an (BBC 29.9.2014). Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war (CRS 12.1.2015). Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015); ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist (BBC 29.2.2014).

 

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

 

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Meldewesen

 

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).

 

Das afghanische Bevölkerungsgesetz von 2014 beinhaltet u. a. Regelungen zur Bürgerregistrierung. Gemäß Artikel 9 des Gesetzes sollen nationale Personalausweise [Anm.: auch Tazkira genannt. Eine Tazkira gilt sowohl als Personenstandsregisterauszug als auch als Personalausweis] zum Zwecke des Identitätsnachweises und der Bevölkerungsregistrierung ausgestellt werden (NLB/NA 2014). Das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist jedoch kaum entwickelt. Ein Personenstandsregisterauszug (Tazkira) wird nur afghanischen Staatsangehörigen nach Registrierung und dadurch erfolgtem Nachweis der Abstammung von einem Afghanen ausgestellt. Er gilt sowohl als Nachweis für die Staatsangehörigkeit, sowie als Geburtsurkunde. In der Tazkira sind Informationen zu Vater und Großvater, jedoch nicht zur Mutter enthalten. Tazkiras können sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch am jeweiligen Geburtsort, nicht jedoch von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt werden. Sie können jedoch über eine afghanische Auslandsvertretung beim afghanischen Innenministerium beantragt werden (AA 5 .2018). Allein die Auslandsvertretungen im Iran haben Ausnahmeregeln und können eine Tazkira vor Ort ausstellen. Es gibt Pläne dafür, dieselben Befugnisse auch afghanischen Auslandsvertretungen in Pakistan zu erteilen (BFA/Migrationsverket 10.4.2018). In der Regel erfolgt der Nachweis der Abstammung durch die Vorlage der Tazkira eines Verwandten 1. Grades oder durch Zeugenerklärungen in Afghanistan (AA 5 .2018). Einer Quelle zufolge können Frauen Tazkiras und Pässe für sich und ihre Kinder ohne die Anwesenheit eines männlichen Zeugen beantragen (vertrauliche Quelle 9.5.2018).

 

Eintragungen in der Tazkira sind oft ungenau. Geburtsdaten werden häufig lediglich in Form von "Alter im Jahr der Beantragung", z. B. "17 Jahre im Jahr 20xx" erfasst, genauere Geburtsdaten werden selten erfasst und wenn, dann meist geschätzt (AA 5 .2018). Insgesamt sind in Afghanistan im Moment sechs Tazkira-Varianten im Umlauf (AAN 22.2.2018). Die Vorlage einer Tazkira ist Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses. Es sind Fälle bekannt, in denen afghanische Auslandsvertretungen Reisepässe nach nur oberflächlicher Prüfung ausstellten, ohne Vorlage einer Tazkira und ggf. aufgrund der Aussage zweier Zeugen. Ein derart ausgestellter Reisepass stellt daher im Gegensatz zur Tazkira nur bedingt einen Nachweis der Staatsangehörigkeit dar (AA 5 .2018). Nicht jeder afghanische Bürger besitzt eine Tazkira (AAN 27.5.2018).

 

Über die Einführung von elektronischen Personalausweisen, auch e-Tazkiras genannt, wurde lange Zeit diskutiert. Am 15.2.2018 beantragten Präsident Ghani, seine Ehefrau, Vizepräsident Muhammad Sarwar Danesh und weitere 200 Familien in Afghanistan die ersten elektronischen Personalausweise (AAN 22.2.2018).

 

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Grundversorgung und Wirtschaft

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

 

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).

 

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

 

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

 

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

 

Projekte der afghanischen Regierung

 

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.

a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).

 

Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

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Medizinische Versorgung

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5 .2018).

 

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen (WHO o.D.). Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht (TWBG 10.2016; vgl. USAID 25.5.2018). Gründe dafür waren u. a. eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. (TWBG 10.2016). Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (AF 11.2017).

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011-2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012-2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren (WHO o.D.).

 

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (TWBG 10.2016). In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 - 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt (AA 5 .2018). Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Krankenkassen und Gesundheitsversicherung

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden (MoPH 7.2005; vgl. MedCOI 4.1.2018). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken (MedCOI 24.2.2017). Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (IOM 5.2.2018).

 

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen (MoPH 7.2005; vgl. AP&C 9.2016). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 5 .2018).

 

Beispiele für Behandlung psychischer erkrankter Personen in Afghanistan

 

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben (AA 9 .2016; vgl. AP 18.8.2016). Beispielweise wurde in der Provinz Badakhshan durch internationale Zusammenarbeit ein Projekt durchgeführt, bei dem konventionelle und kostengünstige e-Gesundheitslösungen angewendet werden, um die vier häufigsten psychischen Erkrankungen zu behandeln: Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Erste Evaluierungen deuten darauf hin, dass in abgelegenen Regionen die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter konnte reduziert werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (AA 5 .2018).

 

Krankenhäuser in Afghanistan

 

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen (IOM 5.2.2018). Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich (RFG 2017). In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw. fachlicher Expertise nicht behandelt werden können (IOM 5.2.2018). Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen (RFG 2017). Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung (IOM 5.2.2018).

 

Es folgt eine Liste einiger staatlicher Krankenhäuser:

 

* Ali Abad Krankenhaus: Kart-e Sakhi, Jamal Mina, Kabul University

Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2510 355 (KUMS o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

 

* Antani Krankenhaus für Infektionskrankheiten: Salan Watt, District 2, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2201 372 (LN o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

 

* Ataturk Kinderkrankenhaus: Behild Aliabaad (in der Nähe von der Kabul University), District 3, Kabul, Tel.: +93 (0)75 2001893 / +93 (0)20 250 0312 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.a, MoPH 11.2012)

 

* Istiqlal/Esteqlal Krankenhaus: District 6, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500674 (LN o.D.; vgl. AB 20.1.2016, MoPH 11.2012)

 

* Ibne Sina Notfallkrankenhaus: Pull Artal, District 1, Kabul, Tel.:

+93 (0)202100359 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.b, MoPH 11.2012)

 

* Jamhoriat Krankenhaus: Ministry of Interior Road, Sidarat Square, District 2,Kabul Tel: +93 (0)20 220 1373/ 1375 (LN o.D.; HPIC o.D.c, MoPH 11.2012)

 

* Malalai Maternity Hospital: Malalai Watt, Shahre Naw, Kabul, Tel.:

+93(0)20 2201 377 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.d, MoPH 11.2012)

 

* Noor Eye Krankenhaus: Cinema Pamir, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2100 446 (LN o.D.; vgl. IAM o.D., MoPH 11.2012)

 

* Rabia-i-Balki Maternity Hospital: Frosh Gah, District 2, Kabul, Tel.: +93(0)20 2100439 (LN o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

 

* Wazir Akbar Khan Krankenhaus: Wazir Akbar Khan, Kabul, Tel.: +93 (0)78 820 0419 (MoPH 11.2012; vgl. Tolonews 1.6.2017)

 

* Herat Regionalkrankenhaus: Khaja Ali Movafaq Rd, Herat (MoPH 2013; vgl. Pajhwok 3.8.2017)

 

* Mirwais Nika Krankenhaus in Kandahar, Tel.: +93 (0)79 146 4237 (ICRC 28.1.2018; vgl. ICRC 3.2.2017)

 

Es gibt zahlreiche private Kliniken, die auf verschiedene medizinische Fachbereiche spezialisiert sind. Es folgt eine Liste einiger privater Gesundheitseinrichtungen:

 

* Amiri Krankenhaus: Red Crescent, 5th Phase, Qragha Road, Kabul,

Tel.: +93 (0)20 256 3555 (IOM 5.2.2018)

 

* Shfakhanh Maljoy Frdos/Ferdows: Chahr Qala-e-Chahardihi Road,

Kabul, Tel.: +93 (0)70 017 3124 (Cybo o.D.)

 

* Khair Khwa Medical Complex: Qala Najar Ha, Kabul, Tel.: +93 (0)72 988 0850 (KMC o.D.)

 

* DK - German Medical Diagnostic Center: Ansari Square, 3d Street, Shahr-e Nau, Kabul, Tel.: +93 (0)70 606 0141 (MK o.D.)

 

* French Medical Institute for Mothers and Children: Hinter der Kabul University, Aliabad, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500 200 (FMIC o. D.)

 

* Luqmah Hakim: Bagh-e Azadi Ave, Herat, Tel.: +93 (0)79 232 5907 (IOM 5.2.2017; vgl. LHH o.D.)

 

* Alemi Krankenhaus: Mazar-e Sharif (BFA Staatendokumentation 4.2018)

 

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Rückkehr

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

 

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

 

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Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Ausführliche Informationen zu den Programmen und Maßnahmen der erwähnten Organisationen sowie weitere Unterstützungsmaßnahmen können dem FFM-Bericht Afghanistan 4.2018 entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Afghanische Flüchtlinge in Pakistan

 

Die pakistanische Regierung hat die Gültigkeit der PoR-Cards (Proof of Registration Cards) für die 1.4 Millionen afghanische Flüchtlinge im Land bis 30.6.2018 verlängert - vorbehaltlich der Prüfung nach den bevorstehenden Bundeswahlen in Pakistan und der Ernennung des neuen Kabinetts. Zusätzlich hat NADRA (National Database and Registration Authority) damit begonnen, die sogenannte Afghan Citizen Card (ACC) an 878.000 nicht registrierte Afghanen zu verteilen, die sich seit 16.8.2017 in 21 Registrierungszentren in Pakistan haben registrieren lassen; bis 28.2.2018 wurden der Registrierungsprozess für die ACC abgeschlossen, die Zentren bleiben nach wie vor offen, um die Karten zu verteilen. Die Karten sind bis 30.6.2018 gültig; deren Besitzer sind verpflichtet bis dahin nach Afghanistan zurückzukehren, um Dokumente zu beantragen (einen afghanischen Pass und ein Visum für Pakistan) bevor sie nach Pakistan zurückkehren. Die restlichen rund 200.000 nicht-registrierten Afghan/innen könnten möglicherweise einer Deportation ausgesetzt sein. Bis 12.3.2018 erhielten 175.321 ihre ACC (IOM 20.3.2018).

 

Afghanische Flüchtlinge im Iran

 

Die letzten zwei bis drei Jahre zeigen doch auf eine progressivere Entwicklung für Afghanen im Iran, wo sich die Maßnahmen der iranischen Behörden auf einen höheren Integrationsgrad der Afghanen zubewegen. Die freiwillige Rückkehr der afghanischen Flüchtlinge ist immer noch das Hauptziel der iranischen Flüchtlingspolitik, aber man hat eingesehen, dass dies im Moment nicht in größerem Maße geschehen kann. Deshalb versucht man Maßnahmen zu ergreifen, die die Situation für die Afghanen verbessern, während man darauf wartet, dass eine Rückkehr stattfinden kann. Es gibt heute einen politischen Willen, die Fähigkeit der Afghanen, sich besser selbst zu versorgen und selbstständiger zu werden, zu unterstützen, aber gleichzeitig sind die Ressourcen des Iran begrenzt und dies bedeutet eine große Herausforderung für die iranischen Behörden. Es gibt auch von den iranischen Behörden nicht zuletzt aus sicherheitsmäßigen Aspekten Interesse daran, mehr Kenntnisse über die Anzahl der sich illegal im Land aufhaltenden Staatsbürger zu erhalten. Dieses hatte zur Folge, dass die iranischen Behörden im Jahr 2017 mit einer Zählung (headcount) und der Registrierung der Afghanen, die sich illegal im Land aufhalten, begonnen haben. In dieser ersten Runde hat man einige ausgewählte Kategorien priorisiert, beispielsweise nicht-registrierte Afghanen, die mit iranischen Staatsbürgern verheiratet sind und Kinder in der Schule haben (BFA/Migrationsverket 10.4.2018).

 

Trotz aller Kritik sind sich UNHCR und NGOs einig, dass dem Iran im Umgang mit afghanischen Flüchtlingen mehr Anerkennung zusteht, als ihm zuteil wird (AN 17.3.2018). So haben sich die Zugangsmöglichkeiten für afghanische Flüchtlinge zum Gesundheits- und Bildungswesen sowie zu sozialen Absicherungsmaßnahmen in Iran verbessert (BFA/Migrationsverket 10.4.2018; vgl. AN 17.3.2017, EN 26.10.2017, DW 22.9.2017). Der Iran hat einen Präzedenzfall geschaffen, indem allen Flüchtlingen im Land Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversicherung Salamat Universal Public Health Insurance (UPHI) eröffnet wurde; diese Versicherung ist jenen Versicherungsleistungen ähnlich, zu denen iranische Staatsbürger/innen Zugang haben (UNHCR 17.10.2017; vgl. GV 3.1.2015).

 

Im Gegensatz zu Pakistan leben nur 3% der afghanischen Flüchtlinge in Iran in Camps (BFA/Migrationsverket 10.4.2018; vgl. UNHCR 17.10.2017). Auch wenn die Flüchtlingslager für Amayesh-registrierte ("Amayesh" ist die Bezeichnung für das iranische Flüchtlingsregistrierungssystem, Anm.) Personen vorgesehen sind, leben dort in der Praxis auch nicht-registrierte Afghanen (BFA/Migrationsverket 10.4.2018).

 

Die Mehrheit der Afghanen, die sich sowohl legal als auch illegal im Land aufhalten, wohnen in von Afghanen dominierten urbanen und halb-urbanen Gebieten. Schätzungen zufolge leben circa 57% der Afghanen im Iran in der Provinz Teheran, Isfahan sowie Razavi-Chorsan (mit Maschhad als Hauptort). Um die 22% leben in den Provinzen Kerman, Fars und Ghom, während die Übrigen in den anderen Provinzen verteilt sind. Die afghanische Flüchtlingspopulation im Iran besteht aus einer Anzahl unterschiedlicher ethnischer Gruppen. Schätzungen über die registrierten Afghanen zufolge gehört die Mehrheit von ihnen der Ethnie der Hazara an, gefolgt von Tadschiken, Paschtunen, Belutschen und Usbeken. Es fehlen Zahlen zur nicht-registrierten Gemeinschaft, dennoch stellen auch hier die Hazara und die Tadschiken eine Mehrheit dar (BFA/Migrationsverket 10.4.2018).

 

Weiterführende Informationen über die Lage afghanischer Flüchtlinge im Iran können dem von der Staatendokumentation des BFA übersetzten LIFOS-Bericht über Afghanen im Iran entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

[...]

 

Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)

 

Mit dem Begriff "unbegleitete Minderjährige" werden Personen bezeichnet, die unter 18 Jahre alt sind bzw. das nationale Volljährigkeitsalter nicht erreicht haben und getrennt von ihren Eltern bzw. ohne die Obhut eines Vormundes leben (MPI 11.2017).

 

Ca. 58% der nach Afghanistan zurückkehrenden Jugendlichen sind minderjährig. Besonders gefährdet sind aus dem Iran kommende unbegleitete Minderjährige, deren Anzahl im Jahr 2017 auf ca. 2.000 geschätzt wurde (HO 4.2018). Schätzungen zufolge waren ungefähr 15% der aus dem Iran zurückgeführten Afghanen zum Zeitpunkt ihre Rückkehr zwischen 15 und 17 Jahre alt, dennoch gab es auch einige Zehnjährige darunter (MPI 11.2017). Die Rückkehr ist oft nicht freiwillig und zahlreiche Heimkehrer sind unbegleitete Buben, die willkürlichen Festnahmen und Misshandlungen ausgesetzt sind (BAAG 3.2018). Unbegleitete Minderjährige, die im Iran oder anderswo aufgewachsen sind, sind bei Rückführungen besonders gefährdet, da sie nie in Afghanistan gelebt haben (MPI 3.2018). Schätzung von IOM zufolge ist die Anzahl der nach Afghanistan zurückkehrenden unbegleiteten Minderjährigen von 2.110 im Jahr 2015 auf 4.419 im Jahr 2017 gestiegen (IOM 28.2.2017).

 

Einer Aussage des Direktors der Afghanistan Migrants Advice and Support Organisation aus dem Jahr 2015 zufolge gibt es in Afghanistan keine auf UMF spezialisierten Reintegrationsprogramme. Wegen der hohen Zahl an Rückkehrern und Rückkehrerinnen beschränken sich die Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen auf die Bereitstellung von Grundversorgungsdiensten wie Unterkunft, Essen und Transport (HO 4.2018). Unbegleitete Minderjährige werden durch Vormundschaftsvereinbarungen von IOM versorgt (MPI 11.2017).

 

Quellen zufolge entscheidet meist der weitere Familienkreis, ein minderjähriges Familienmitglied nach Europa zu schicken. Ohne familiäre Unterstützung wäre es dem Minderjährigen meistens gar nicht möglich, die Reise nach Europa anzutreten; dies ist eine wichtige Netzwerkentscheidung, die u.a. die Finanzen der Familie belastet. Jedoch gibt es auch Fälle, in denen der Minderjährige unabhängig von seiner Familie beschließt, das Land zu verlassen und nach Europa zu reisen. Meist sind dies junge Leute aus gebildeten, wohlhabenden Familien. Dies wird oft durch den Kontakt zu Freunden und Bekannten im Ausland, die über soziale Medien ein idealisiertes Bild der Lebensbedingungen in Europa vermitteln, gefördert (EASO 2.2018). Eine größere Anzahl an unbegleiteten Minderjährigen ist auf der Suche nach Arbeit in den Iran, nach Pakistan, Europa und in urbane Zentren innerhalb Afghanistans migriert; viele von ihnen nutzten dafür Schlepperdienste (MPI 3.2018).

 

[...]

 

1.4.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018:

 

"[...]

 

C. Interne Flucht-, Neuansiedelungs- oder Schutzperspektive

 

I.2. Analyse der Zumutbarkeit

 

a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers

 

Ob eine Flucht- oder Neuansiedlungsalternative "zumutbar" ist, muss im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände der Antragstellenden beurteilt werden; maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse sowie der jeweilige Bildungs- und Berufshintergrund.

 

[...]

 

Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Lebensgrundlagen hat oder über erwiesene und nachhaltige Unterstützung verfügt, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

 

Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen.

 

[...]

 

I.3. Interne Schutzalternative (IFA/IRA)

 

Im Lichte der vorliegenden Beweise von schwerwiegenden und weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in Gebieten unter deren wirksamer Kontrolle und der Unfähigkeit des Staates, für Schutz vor derartigen Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist nach Ansicht von UNHCR eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben. Hinsichtlich Personen, die über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen, kann eventuell im Ausnahmefall anderes gelten.

 

UNHCR ist der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative auch in den von aktiven Kampfhandlungen zwischen regierungsnahen und regierungsfeindlichen Kräften oder zwischen verschiedenen regierungsfeindlichen Kräften betroffenen Gebieten nicht gegeben ist.

 

[...]

 

UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.

 

Im Hinblick auf die Überlegungen betreffend die Analyse der Relevanz und Zumutbarkeit Kabuls als vorgeschlagener interner Schutzalternative, sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen, von Konflikt und Menschenrechtsverletzungen geprägten Lage und deren negativen Auswirkungen auf den größeren sozioökonomischen Kontext, steht UNHCR auf dem Standpunkt, dass eine interne Schutzalternative in Kabul grundsätzlich nicht gegeben ist.

 

[...]"

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

 

2.2. Die Feststellungen zum derzeitigen Familien- und Privatleben und dem Integrationsausmaß des BF ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF. Die Feststellungen über die Wahrnehmung von diversen Bildungsangeboten ergeben sich aus den vorgelegten Teilnahmebestätigungen. Die Feststellungen zur gerichtlichen Verurteilung des BF im Bundesgebiet ergeben sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug.

 

2.3. Die Feststellung zum Geburtsdatum des BF ergibt sich aus dem medizinischen Fachgutachten zur Altersfeststellung. Wie den o.a. Länderfeststellungen zu entnehmen ist (siehe Seite 56, Punkt II. 1.4.1., Meldewesen), sind die Eintragungen in der Tazkira auch hinsichtlich des eingetragenen Geburtsdatum oftmals ungenau. Wenn im Rahmen der Beschwerdeschrift auf den Seiten 18ff eingewandt wird, dass es auch bei Altersfeststellungen zu Abweichungen im Ergebnis kommen kann, so vermag die Beschwerdeseite in casu nicht damit zu überzeugen. Da im Rahmen der mündlichen Verhandlung das Geburtsdatum 04.08.2000 vom BF behauptet wurde, sich aus dem Gutachten zur Altersfeststellung jedoch der XXXX ergibt, kann in casu zweifelsfrei festgestellt werden, dass der BF sowohl zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als auch im Zeitpunkt der gegenständlichen, hg Entscheidung die Volljährigkeit bereits erreicht hatte. Daher wird vom erkennenden Gericht im beschwerdeseitigen Antrag auf kriminaltechnische Untersuchung der Echtheit der vorgelegten Tazkira auf Seite 18 der Beschwerdeschrift kein realer Mehrwert zum Zwecke der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes gesehen und diesem Antrag keine Folge gegeben. Gleiches gilt in weiterer Folge für den Antrag zur Offenlegung der Echtheitsprüfung auf Seite 25 der Beschwerdeschrift, soweit es die o.a. Tazkira betrifft. Soweit die Beschwerdeseite auf Seite 25 der Beschwerdeschrift die Offenlegung etwaiger Echtheitsprüfungen bzw. dbzgl. Beurteilungen anderer beschwerdeseitig in Vorlage gebrachte Schriftstücke betrifft, ging dieser Antrag in Ermangelung einer konkreten Antragformulierung, nämlich zu welchen der beschwerdeseitig im Verfahren in Vorlage gebrachten Schriftstücke nun eine etwaige Echtheitsprüfung durch die belangte Behörde beschwerdeseitig vermutet würde, deren Offenlegung somit im Rahmen der Beschwerdeschrift beantragt werde, ins Leere. Soweit die Beschwerdeseite im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 10.10.2018 auf Seite 25 des Protokolls beantragt hat im Zweifel die Echtheit bzw. Authentizität der vorgelegten Beweismittel, insbesondere der Tazkira, des Drohbriefes, der Bestätigung der Schule des BF, sowie der polizeilichen Anzeige im Rahmen einer Echtheitsüberprüfung untersuchen zu lassen, so ist diesem Antrag entgegenzuhalten, dass die vorgelegten Unterlagen der freien Beweiswürdigung unterliegen und eine Echtheitsüberprüfung aufgrund der im Verfahren getätigten widersprüchlichen, inkohärenten und unglaubhaften Angaben des BF zum gegenständlichen Fluchtgrund unterbleiben kann (vgl. auch dazu VwGH vom 08.04.2003, Zl. 2002/01/0438).

 

2.4. Die Feststellungen zum Sprachniveau des BF ergeben sich aus den vorgelegten Teilnahmebestätigungen an Sprachkursen durch den BF, sowie aus dem im Zuge der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck von dessen Sprachkenntnissen.

 

2.5. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus den Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und den vorgelegten medizinischen Unterlagen. Mentaler Stress im Zusammenhang mit Abschiebungsdrohungen, sowie wiederkehrende Alpträume bilden in Hinblick auf den hohen Eingriffsschwellenwert ("high treshold") kein ausreichendes "real risk" einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Darüberhinausgehende Verschlechterungen des Gesundheitszustandes aufgrund der Abschiebung wären im Übrigen vom der Antragsteller konkret nachzuweisen; bloße Spekulationen sind nicht ausreichend (vgl. AsylGH vom 23.07.2012 E 13 419689-2/2012). Derartiges wurde jedoch nicht substantiiert vorgebracht.

 

2.6. Die Feststellungen zum Auftreten des BF in der Beschwerdeverhandlung ergeben sich aus der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters.

 

2.7. Die Feststellung zur unrechtmäßigen Einreise nach Österreich stützt sich auf die Tatsache, dass der Beschwerdeführer in Umgehung der für die Einreise geregelten Vorschriften - ohne die erforderlichen Dokumente - spätestens am 29.09.2015 nach Österreich eingereist ist.

 

2.8. Primär ist festzuhalten, dass das BFA ein durchwegs mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt hat. Dem Beschwerdeführer wurde ausreichend die Möglichkeit eingeräumt, seine persönlichen Fluchtgründe in Bezug auf ihren Herkunftsstaat geltend zu machen und es kann daher nicht der belangten Behörde angelastet werden, wenn der Beschwerdeführer davon nicht mit Erfolg Gebrauch gemacht hat.

 

2.9. Zum Vorbringen im Zusammenhang mit den gegenständlichen Fluchtgründen:

 

2.9.1. Mit dem Vorbringen der BF zur Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat Afghanistan vermochte der BF eine aktuelle asylrelevante Bedrohung nicht glaubhaft darzutun:

 

Die von Beschwerdeseite vorgebrachte Gefährdungslage für den Beschwerdeführer beruht auf der Behauptung, dass der BF von den Taliban entführt, misshandelt und mit dem Tode bedroht wurde. Weiters sei nach seiner erfolgten Ausreise ein Bruder des BF entführt und getötet wurden. Weiters sei nach seiner erfolgten Ausreise auch ein Onkel des BF väterlicherheits angeschossen worden.

 

Voranzustellen ist, dass es Aufgabe des Asylwerbers ist, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Kann ein Beschwerdeführer sein Vorbringen nicht durch Bescheinigungsmittel untermauern, ist es umso wichtiger, sein Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen jedenfalls für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007). Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357). Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen bedarf es einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen (vgl. etwa VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020, 16.04.2002, 2000/20/0200 und 14.12.2006, 2006/01/0362). Die Dichte dieses Vorbringens darf nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden (vgl. dazu auch die UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr. 8 - Asylanträge von Kindern vom 22.12.2009, Rz 4). Im Zeitpunkt seiner Einvernahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht war der Beschwerdeführer jedoch bereits volljährig.

 

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist unter diesen Gesichtspunkten zu würdigen und ist hierzu Folgendes auszuführen:

 

2.9.1.1. Zunächst gilt es festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im bisherigen Verfahren hinsichtlich seines ersten - dem Fluchtvorbringen zugrundeliegendem - Zusammentreffens mit Mitgliedern der Taliban keine kohärenten Angaben zu tätigen im Stande war:

 

Gab der BF im Rahmen seiner Ersteinvernahme am 29.09.2015 auf Seite 6 noch an, zwei Talibankämpfer hätten sich vor seiner Schule in die Luft sprengen wollen, brachte er demgegenüber in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA (Seite 4 des BFA-Protokolls) und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (Seite 7 des VH-Protokolls) vor, er habe zwei Taliban dabei beobachtet, wie diese eine Bombe in bzw. bei der Schule platzieren wollten. Hat der BF auf Seite 7 des VH-Protokolls noch angegeben, er hätte zwei Taliban dabei gesehen, "...die eine Bombe in der Schule platzieren wollten...", so brachte er auf Nachfrage vor, dass die Bombe nicht auf dem Schulgelände, sondern vielmehr auf der anderen Straßenseite von den Taliban vergraben worden wäre (Seite 7 des VH-Protokolls) und der BF zu dem Zeitpunkt ca. 15 bis 20 Meter von den Taliban entfernt gestanden sei (Seite 10 des VH-Protokolls). Trotz dieser knappen Entfernung und trotz eines freien Blickfeldes (Seite 10 des VH-Protokolls) habe der BF zunächst keinerlei Angaben zum Alter der Talibankämpfer tätigen können. Erst auf Nachfrage durch den verhandlungsleitenden Richter brachte der BF schließlich vor: "Man hat das nicht genau sehen können, sie waren weder alt noch jung, in der Mitte" (Seite 10 VH-Protokoll).

 

Hat der BF im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 19.01.2017 vor dem BFA anfangs angegeben, die Taliban hätten vor der Schule eine Grube geschaufelt, so stellte er nach erfolgter Rückübersetzung im Protokoll auf Seite 7 ausdrücklich klar, dass die Männer ohne Schaufeln gegraben hätten. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG widersprach der BF dieser von ihm vor dem BFA getätigten Klarstellung wiederum, indem er vorbrachte einer der beiden Männer hätte eine kleine Schaufel gehabt, welche schwarz gewesen sei und auf der Rückseite "etwas Spitzes" gehabt habe (Seite 11 des VH-Protokolls). Das afghanische Wort hierfür sei "Kolang" (vgl. Seite 11 des Verhandlungsprotokolls).

 

Auch hinsichtlich der fluchtauslösenden Entführung und Misshandlung durch die Taliban gelang es dem BF nicht im Verfahren ein stimmiges und plausibles Bild des behaupteten Geschehens zu vermitteln. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA schilderte der BF am 19.01.2017 auf Seite 4, dass 15 bis 16 Tage nach dem Sicherheitsvorfall 200m vor der Schule ein weißer PKW am Schulweg auf den BF zugefahren wäre. Es wären zwei Personen aus dem Auto ausgestiegen, hätten den BF geohrfeigt, auf den BF eingeschlagen, worauf dieser das Bewusstsein verloren hätte, gefesselt und die Augen verbunden bekommen hätte und an einen ihm unbekannten Ort verbracht worden wäre. In der mündlichen Verhandlung jedoch wich der BF insoferne von dem vor dem BFA geschilderten Entführungshergang ab, als der weiße PKW hinter dem BF hergefahren sei und plötzlich sehr schnell geworden wäre. Die Unbekannten hätten die Türen des PKW aufgemacht und den BF von hinten gepackt und zu sich in das Auto hineingezerrt (vgl. Seite 11 des Verhandlungsprotokolls). Die Ohrfeige habe der BF somit erst im Auto bekommen; eine Bewusstlosigkeit des BF infolge der erfolgten Schläge im Auto wurde vom BF vor dem BVwG nicht geschildert (vgl. Seite 12 des Verhandlungsprotokolls), sondern lediglich angegeben: "Nach der Ohrfeige haben sie mir dann die Hände hinten zusammen gebunden, meine Augen ebenfalls, sie sind sehr schnell gefahren und haben mich geschlagen". Die zahlreichen oben angeführten Widersprüchlichen bzw. Unstimmigkeiten des BF in den o.a. Schilderungen vermitteln den Eindruck, dass der BF nicht von selbst Erlebten berichtet, sondern vielmehr ein unfertiges Erzählkonstrukt wiedergibt, dessen Details er nach Belieben ergänzt oder anpasst.

 

2.9.1.2. Sowohl vor dem BFA, als auch vor dem BVwG berichtete der BF übereinstimmend davon, dass er von den Männern an jenem unbekannten Ort geschlagen worden wäre, dass ihm die Nase gebrochen worden sei und der BF als "Spitzel" bzw. "Spion" bezeichnet worden sei. Zusätzlich hatte der BF vor dem BF auf Seite 4f des BFA-Protokolls angegeben, dass die Entführer ihn beschimpft hätten, da er die Polizei gerufen habe und sie deswegen zwei gute Männer verloren hätten. Weiters hätte einer gerufen: "Das ist ein Spitzel, tötet ihn". Erst auf Nachfrage durch den verhandlungsleitenden Richter gab der BF auch in der mündlichen Verhandlung auf Seite 16 des VH-Protokolls an, dass ihm während seiner Misshandlungen durch die Entführer mit den Tod gedroht worden sei. Vor dem BVwG brachte der BF weiters vor, dass am Entführungsziel jemand auf den BF gezeigt hätte; daraufhin sei der BF stark in die Brust getreten worden. Auf Vorhalt des verhandlungsleitenden Richters, wie der BF denn hätte sehen können, dass jemand auf ihn gezeigt habe, wenn dem BF von den Entführern doch die Augen verbunden worden seien, vermochte der BF im Wesentlichen nur rechtfertigend anzugeben, dass er Stimmen gehört habe und jemand auf Pashtu "Hier ist er" gesagt habe. (vgl. Seite 12 iVm 13 des Verhandlungsprotokolls). Auf die Frage der belangten Behörde am 19.01.2017 auf Seite 5 des BFA-Protokolls, warum er noch am Leben sei und die Taliban ihn nicht getötet hätten, wusste der BF keine Antwort darauf zu geben. Er meinte: "Ich weiss es nicht. Vielleicht war ich schon tot und habe noch ein Leben geschenkt bekommen". Selbst auf nochmalige Nachfrage brachte der BF nur vor:

"Ich weiss es nicht". Auch vor dem BVwG vermeinte der BF auf die Frage, warum er nicht getötet worden sei, auf Seite 17 den Grund nicht zu kennen. Erst auf Nachfrage, wie der BF denn ins Krankenhaus gelangt sei, gab der BF jedoch zusätzlich an, dass ihn die Polizei im Zuge einer Operation an jenem unbekannten Ort gefunden habe. Am Ende der mündlichen Verhandlung griff die Beschwerdeführervertreterin (BFV) diese Aussage des BF auf und stellte weitere Vermutungen dahingehend an, dass es denkmöglich wäre, dass die Polizei das Versteck entdeckt hätte, bevor die Taliban den BF getötet hätten. Dies wäre eine Erklärung, warum der BF von den Taliban nicht getötet worden sei. Gleich darauf räumte die BFV jedoch sofort ein, dass sich die genauen Umstände jedoch der Kenntnis der BFV und des BF entziehen würden. Hierzu ist anzumerken, dass es für das erkennende Gericht unglaubhaft erscheint, dass dem BF die genauen Umstände seiner behaupteten Befreiung bis dato unbekannt sein sollen. Zum einen hätte er die Möglichkeit gehabt sich bei den Polizisten, welche ihn gefunden haben, über diese Umstände genauer zu erkundigen. Vielmehr wäre vernünftigerweise sogar davon auszugehen, dass es einen Entführungs- und Misshandlungsopfer ein persönliches Anliegen sein sollte, konkret zu erfahren, wie er seinem Tode entkommen konnte, vor allem da auch nach seiner Verbringung ins Krankenhaus dem BF durchaus noch weiter Gefahr durch seine behaupteten Entführer drohen würde. Wenn der BF andererseits auf Seite 25 des VH-Protokolls angibt, dass er die Polizisten nicht gefragt habe, wo er gefunden worden sei, jene Polizisten dies aber mit den Eltern des BF besprochen hätten, erscheint es darüber hinaus unwahrscheinlich, dass der BF zumindest diesen Umstand nicht später durch die Eltern erfahren hätte, zumal er mit seinem Vater nach eigenen Aussagen in regelmäßigen Kontakt steht und der BF davon ausgehen kann, dass dieses Detail der Entführungsgeschichte sicherlich im Rahmen seines Asylverfahrens von Interesse sein könnte. Das im Rahmen der Befragung vor dem BVwG zu Tage getretene Desinteresse des BF daran, die genaueren Hintergründe seiner Befreiung noch im Herkunftsstaat näher zu hinterfragen, und die erst recht spät - nämlich vor dem BVwG erstmalig - behauptete Befreiung des BF im Zuge einer Polizeioperation im Talibanversteck, belasten das Fluchtvorbringen des BF schwer mit Unglaubhaftigkeit.

 

2.9.1.3. Auch der Umstand, dass der BF während seines gesamten Krankenhausaufenthaltes von 16-17 Tagen (Seite 18, VH-Protokoll), sowie weitere drei Monate danach bei einem Freund der Familie unbehelligt leben konnte, spricht gegen eine zu diesem Zeitpunkt bestehende Bedrohung des BF durch die Taliban (siehe VH-Protokoll Seite 15). Verstärkt wird dieser Eindruck zusätzlich dadurch, dass der BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf die Frage, ob er oder seiner Familie jemals Drohbriefe erhalten hätten, dies zuerst klar verneinte. Erst nach Vorhaltung durch den verhandlungsleitenden Richter, dass die Beschwerdeseite bereits am 02.05.2016 im Rahmen einer Beweismittelvorlage einen Drohbrief der Taliban an den minderjährigen BF als Beweismittel B vorgelegt hatte, meinte der BF ausweichend: "Ich habe einen Drohbrief erhalten, meine Familie nicht". In weiterer Folge versuchte der BF seine vorige, widersprüchliche Aussage zum Drohbrief zunächst dadurch zu erklären, er davor nur gehört habe, dass es um einen Drohbrief gegenüber seiner Familie gehe. Die Dolmetscherin stellte jedoch klar, dass sie die Frage des Richters an den BF zuvor so übersetzt habe, dass es auch um einen Drohbrief gegen den BF gehe. Somit vermochte der BF mit seinem Erklärungsversuch nicht zu überzeugen. Es ist für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, dass eine Person, welche behauptet von den Taliban entführt, misshandelt und mit dem Tod bedroht worden zu sein, über das Vorhandensein eines gegen ihn gerichteten Drohbriefes - soweit dieser tatsächlich an ihn gerichtet worden ist - derart irren kann, dass ihm dieser erst nach entsprechender Vorhaltung durch den Richter wieder in Erinnerung kommt, zumal das Vorhandensein eines solchen Drohbriefen nicht nur bereits erstinstanzlich vom BF behauptet worden ist, sondern von diesem auch der entsprechende Brief als Beweismittel in das Verfahren eingebracht worden ist. Auch an dieser Stelle erhärtet sich der Verdacht weiter, dass der BF nicht von tatsächlich Erlebtem berichtet.

 

2.9.1.4. Der BF brachte im Verfahren weiters vor, die Taliban hätten seinen kleinen Bruder ca. 4 bis 5 Monate vor der BFA-Einvernahme des BF am 19.01.2017 getötet. Auffällig ist dabei, dass der Vater des BF in einem Telefongespräch mit dem Dolmetscher im Rahmen der BFA-Einvernahme am 19.01.2017 zwar den besagten Bruder namentlich erwähnte, jedoch nicht einmal ansatzweise über dessen angeblichen Tod berichtete (vgl. Seite 7 des BFA-Protokolls iVm Seite 19 des Verhandlungsprotokolls). Auf Vorhaltung dieser Unstimmigkeit in der mündlichen Verhandlung meinte der BF: "Als der Dolmetscher meinen Vater anrief, hat er ihn viel über seine Arbeit gefragt und ihm die Frage gestellt, wie viele Söhne er hätte. Er hat nicht gefragt, ob ein Kind getötet worden ist, mein Vater hat das ebenfalls nicht erwähnt. Er konnte auch nicht viel sprechen". Hiermit vermag der BF letztlich nicht zu überzeugen. Wie dem BFA-Protokoll auf Seite 7 zu entnehmen ist, hat der Vater des BF auf die Frage der Dolmetscherin nach den Namen seiner Söhne geantwortet: " XXXX , der ist in Österreich, XXXX ". Da der Vater der BF bei der Aufzählung der Namen seiner Söhne - auch ohne entsprechende Nachfrage durch den Dolmetscher - ohne Weiteres zu der Auskunft bereit gewesen war, dass sich sein Sohn XXXX in Österreich befände, wäre auch vernünftigerweise davon auszugehen, dass der Vater des BF bei Erwähnung des Namens XXXX zumindest den nicht unwesentlichen Umstand angemerkt hätte, dass dieser nicht mehr leben würde. Unabhängig davon hatte der BF vor dem BFA am 19.01.2017 angemerkt, sie hätten die Leiche seines Bruders hinter dem Haus gefunden (vgl. Seite 3 des BFA-Protokolls). In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG hingegen wich der BF von seiner bisherigen Erzählung dahingehend ab, dass die Leiche seines Bruders vor die Haustüre gelegt worden (vgl. Seite 19 des Verhandlungsprotokolls). Auch wenn von Seiten des erkennenden Gerichts nicht der Umstand verkannt wird, dass der BF zum Zeitpunkt der behaupteten Auffindung der Leiche seines Bruders bereits in Österreich weilte und daher nur über Erzählungen der Eltern vom Leichenfund wissen konnte, so handelt es sich beim Tod eines so nahe Verwandten, wie eines Bruders, doch um ein so einschneidendes Erlebnis, dass dem BF die genauen Schilderungen der Eltern - soweit es sich so zugetragen hat - in Erinnerung bleiben hätten müssten. Auch hier vermag der BF mit der Behauptung der Ermordung des Bruders durch die Taliban kein glaubhaftes Vorbringen zu erstatten.

 

Soweit der BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung berichtet hat, sein Onkel väterlicherseits sei von den Taliban angeschossen worden, konnte er keine näheren Angaben zu diesem Vorfall tätigen. So habe er davon nur über die Eltern gehört, und wisse nur das Jahr 2016 als zeitliche Einordnung. Obwohl sich dieser behauptete Vorfall zeitlich vor der BFA-Einvernahme des BF ereignet habe (Seite 24, VH-Protokoll), hat sich der BF hierzu beim BFA nicht geäußert. Weder hat der BF im Verfahren hierzu ein Beweismittel vorgelegt, noch vermochte er substantiierbare Angaben zu diesem Vorfall zu tätigen. Dieses Vorbringen wird vom erkennenden Gericht als Steigerung des Fluchtvorbringens angesehen und ist somit mit Unglaubhaftigkeit belastet.

 

2.9.1.5. Weitere Unstimmigkeiten ergeben in den beschwerdeseitigen Vorbringen im Verfahren aus den zeitlichen Einordnungen des behaupteten Geschehens. So wies die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf Seite 70 zu recht auf den Umstand hin, dass der BF den bis zu diesem Zeitpunkt getätigten beschwerdeseitigen Angaben folgend, bereits Mitte Juni 2015 in Österreich hätte ankommen müssen, er den Antrag auf internationalen Schutz jedoch erst am 29.09.2015 eingebracht hat. Die belangte Behörde wies somit auf eine zeitliche Abweichung von 3,5 Monaten hin. Diesen zeitlichen Widerspruch versuchte der BF erstmals im Rahmen der Beschwerdeschrift auf Seite 15 mit der Ergänzung klarzustellen, dass der BF direkt nach dem Krankenhausaufenthalt aufgrund seiner Verletzungen viel zu schwach gewesen sei, um zu fliehen. Der mj. BF habe sich also bis zu seiner Genesung aus Angst vor den Taliban mehrere Monate im Haus von Freunden seiner Familie in Logar versteckt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung konkretisierte der BF auf Seite 19 des VH-Protokolls den Zeitraum zwischen Krankenhausaufenthalt und Ausreise mit ca. 3 Monaten. Auf Vorhaltung in der mündlichen Verhandlung, warum der BF den mehrmonatigen Aufenthalt bei Freunden in Logar vor der eigentlichen Ausreise erstmals im Rahmen der Beschwerdeschrift angegeben habe und somit erst nachdem die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid den Zeitverlauf seiner Fluchtgeschichte in Frage gestellt hatte, antwortete der BF: "Sie haben mich nicht gefragt, wie lange ich in Afghanistan gewesen bin, als ich geflüchtet bin. Ich habe auf die Fragen eine Antwort gegeben, worüber ich gefragt wurde". Hiermit vermag der Beschwerdeführer im Ergebnis nicht durchzudringen. Der BF ist im bisherigen Verfahren bei jeder Befragung nachweislich über seine Mitwirkungspflicht an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes aufgeklärt worden. Der Umstand, dass der BF trotz behaupteter Entführung, Misshandlung und Bedrohung mit dem Tode nicht unmittelbar nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus ausgereist ist, sondern vor seiner Flucht weitere 3 Monate im Logar verbracht, ist ein nicht unwesentlicher Teil seiner Fluchtgeschichte. Das Verschweigen dieses mehrmonatigen Aufenthalts des BF in Logar nach dem fluchtauslösenden Ereignis steht der vorher erwähnte Mitwirkungspflicht des BF somit klar entgegen. Zudem erscheinen auch die Angaben des BF vor dem BVwG - diesen Aufenthalt bei den Freunden der Familie betreffend - wenig plausibel. Befragt, ob er während des Aufenthaltes bei der befreundeten Familie Besuch von seiner eigenen Familie bekommen habe, erwiderte der BF auf Seite 20 des VH-Protokolls, dass er nur telefonischen Kontakt mit seiner Familie gehabt habe und ergänzte: "... Die zwei Familien hatten nicht so ein Verhältnis, dass sie sich gegenseitig besucht hätten,...". Auf Nachfrage, dass die Freundschaft immerhin so stark gewesen sein muss, um den Sohn der anderen Familie monatelang zu verstecken, brachte der BF vor: "Er war der Freund meines Vaters, aber die Familien haben sich nicht besucht". In Anbetracht des Umstandes, dass der BF in casu behauptet von den Taliban verfolgt, entführt, misshandelt und mit dem Tode bedroht worden zu sein, würde die Beherbergung des BF über mehrere Monate die behauptete Gastfamilie zumindest in die höchste Gefahr bringen - durch diese Beherbergung eines von den Taliban erklärten Spion - ebenfalls ins Fadenkreuz der Taliban zu geraten. Vor diesem Hintergrund ist die Behauptung des BF unglaubhaft, dass die Gastfamilie nicht einmal befreundet genug wäre, um von der Familie des BF besucht werden zu können.

 

2.9.1.6. Schlussendlich legt der BF zur Untermauerung seiner Angaben eine Sachverhaltsbestätigung der Sicherheitskommandantur der Provinz Logar vor. Darin wird bestätigt, dass der BF einen Bombenanschlag verhindert habe und von den Taliban bedroht werde. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass weder eine Entführung durch die Taliban noch die Misshandlungen erwähnt werden; jedoch von einem "Drohbrief" die Rede ist. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass in Afghanistan die Korruption sehr hoch ist. Bestechung bleibt im öffentlichen Sektor weiterhin verbreitet und Schmiergeldzahlungen können direkt oder indirekt von Beamten gefordert oder auch von Bürgern selbst angeboten werden. Korruption ist insbesondere im Rechtswesen und bei administrativ Behörden sehr hoch. Die inhaltliche Richtigkeit der vorgelegten Unterlage unterliegt somit der freien Beweiswürdigung. Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten war sohin von der inhaltlichen Unrichtigkeit des vorlegten Dokumentes auszugehen. Daran kann auch eine Echtheitsüberprüfung der Bestätigung der Sicherheitskommandantur nichts ändern.

 

Die Schulbestätigung, sowie die Abbildungen des verletzen BFs sind zwar geeignet gewisse Behauptungen des BF zu belegen, wie den Schulbesuch des BF an dieser Schule, sowie eine Verletzung des BF mit anschließenden Spitalsaufenthalt. Sie können allerdings im Wesentlichen nichts zur Frage beitragen, ob der BF von den Taliban tatsächlich entführt und misshandelt worden sei, zumal die Verletzungen des BF auf den vorgelegten Bildern auch sonstigen Ursprungs sein könnten, welcher mit den behaupteten Misshandlungen durch die Taliban nicht in Zusammenhang stehen. Die Dorfältesten bzw. der Schuldirektor waren nach eigenen Vorbringen bei Platzierung der Mine, der Entführung und Bedrohung durch die Taliban nicht dabei. Wesentliche Verfahrensergebnisse waren von einer Einvernahme dieser Personen daher nicht zu erwarten.

 

2.9.1.8. In einer Gesamtschau sind die von Beschwerdeseite zum gegenständlichen Fluchtgrund vorgebrachten Angaben in sich widersprüchlich, unplausibel und in der realitätsfernen Darstellung des behaupteten Geschehens unglaubhaft. Es ist dem Beschwerdeführer somit nicht gelungen ist, eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat Afghanistan in ausreichendem Maße substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen.

 

Das aufgezeigte unglaubhafte Vorbringen des BF führt in der Folge nicht nur zur Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens, sondern indiziert auch sein persönliche Unglaubhaftigkeit (siehe Pkt. 2.11.)

 

2.10. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:

 

Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des BF im Herkunftsstaat ergeben sich - unter Berücksichtigung der vom UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative für Afghanistan - aus den o.a. Länderberichten in Zusammenschau mit den vom BF getätigten Angaben.

 

Aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsprovinz ist eine Rückkehr dorthin nicht möglich (siehe II.1.4. Länderfeststellungen).

 

Aufgrund der bestehenden Sicherheitslage in der Stadt XXXX (siehe dazu Punkt II.1.4.) ist eine Rückkehr des BF dorthin möglich. Auch ist die Stadt XXXX über den Luftweg aufgrund des vorhandenen internationalen Flughafens gut bzw. sicher erreichbar. In XXXX ist die allgemeine Lage als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, auch wenn es dort zu vereinzelten Anschlägen kommt. Innerhalb von XXXX existieren in verschiedenen Vierteln unterschiedliche Sicherheitslagen. Aus den Länderberichten ergibt sich etwa, dass sich die in der Stadt XXXX verzeichneten Anschläge hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen (etwa Regierungs- und Polizeigebäude) oder NGO's sowie gezielt auf internationale Sicherheitskräfte ereignen. Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngegenden nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in XXXX - nach wie vor - als ausreichend sicher zu bewerten ist.

 

Bezüglich Versorgungslage in XXXX ist aus den festgestellten Länderberichten zu entnehmen, dass trotz Dürresituation im Umland von XXXX eine Lebensmittelknappheit auch vor dem Hintergrund der Landflucht in der Provinz Balkh nicht besteht. Auch haben die meisten Leute Zugang zu erschlossenen Wasserquellen. Zudem besteht die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten bzw. stehen alternativ auch günstige Unterkünfte in Teehäusern zur Verfügung. Schließlich gibt es für die medizinische Versorgung Krankenhäuser in XXXX ; ebenso gibt es dort die Möglichkeit, Medikamente zu besorgen (siehe dazu Punkt II.1.4.). Insgesamt ist es für das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die Stadt XXXX nicht ersichtlich, dass die Versorgung der afghanischen Bevölkerung dort nicht grundsätzlich gegeben ist.

 

Im Übrigen wurden darüber hinausgehende außergewöhnliche Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen würden vom BF nicht hinreichend subtantiiert vorgebracht bzw. sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

 

Der BF verfügt über keine Ortskenntnisse in XXXX , da er sich dort nie aufgehalten hat.

 

Der volljährige und eigenen Angaben zufolge gesunde Beschwerdeführer verfügt über keine Berufserfahrung im Herkunftsstaat, hat aber eine fundierte achtjährige Schulausbildung vorzuweisen und auch in Österreich Weiterbildungen in Anspruch genommen, sodass er jedenfalls die Möglichkeit hätte, beruflich Fuß zu fassen. Auch die Aufnahme von Hilfstätigkeiten ist dem BF in der Anfangsphase zumutbar. Aufgrund dieser Umstände ist davon auszugehen, dass der BF in der Lage ist, in seinem Herkunftsstaat seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft zu befriedigen. Da der seine gesamte Familie in Afghanistan aufhältig ist, ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Vater des BF diesen - zumindest in der Anfangszeit - Unterstützung zukommen lassen wird, bis der BF Selbsterhaltungsfähigkeit erlangt hat. Dies entspricht der Unterstützungspflicht im Rahmen der Großfamilie, welche - wie den Länderberichten zu entnehmen ist - tief in der afghanischen Tradition verwurzelt ist. Ein großteils funktionierendes Bankensystem in Afghanistan ist gemäß den Länderfeststellungen vorhanden, sodass auch ein Transfer monetärer Mittel möglich ist. Zudem ist ein Geldtransfer im Rahmen eines informellen Geldüberweisungssystems (hawala) möglich. Daher kann der BF auch von seinen Familienangehörigen in XXXX bei einer Verbringung nach Mazar-e Sharif unterstützt werden. Auch haben sich keine Anhaltspunkte im Verfahren ergeben, dass der BF bei einer Rückkehr von seinen Familienangehörigen nicht auch strukturell (etwa durch Herstellen von Kontakten in Hinblick auf Wohnungs- und Arbeitssuche in Mazar-e Sharif) unterstützt werden könne.

 

Zudem hat der BF die Möglichkeit, eine Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

 

Da der BF den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht hat, ist er mit den kulturellen, sprachlichen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates in hinreichendem Maße vertraut. Darüber hinaus hat der BF auch in Österreich einen afghanischen Bekanntenkreis. Der BF spricht eine Landessprache Dari und versteht seinen Angaben zu Folge auch Pashtu.

 

Es ist daher anzunehmen, dass er im Herkunftsstaat im Falle einer Rückkehr in der Lage sein wird, sich ein ausreichendes Einkommen zu sichern und somit nicht in eine hoffnungslose Lage geraten wird. Dafür spricht zuletzt auch die Tatsache, dass der BF in der Lage war, völlig auf sich alleine gestellt über ihm unbekannte Länder die Flucht bis nach Österreich zu meistern, wobei er sicherlich ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit unter Beweis stellen musste.

 

Insgesamt konnte der BF eine Gefährdungssituation nicht aufzeigen, der er im Falle einer Rückkehr in exponierter Weise ausgesetzt wäre. Unter Beachtung der zur Verfügung stehenden Berichtslage, sowie der sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (wie z.B. familiäre Anknüpfungspunkte, selbständige berufliche Tätigkeit, usw.) ergibt sich, dass eine Rückkehr des BF nach Afghanistan möglich ist.

 

Die allgemeinen Feststellungen zur Situation in Afghanistan ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mit letzter Kurzinformation vom 22.08.2018, und den dort zu den einzelnen Themen äußerst umfangreich angeführten Quellen (diesbezüglich wird auf den Akteninhalt verwiesen, da gesonderte und teils seitenlange Anführung der Quellen zu einer unübersichtlichen und der Lesbarkeit abträglichen Überlänge führen würde) sowie den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, auf welche die Beschwerdeseite im Rahmen der schriftlichen Stellungnahme vom 15.10.2018 explizit Bezug genommen hat und somit als Beweismittel in das Verfahren eingebracht hat. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Da der Beschwerdeführer diesen Informationen auch in seiner Stellungnahme nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten ist und die von ihm angeführten, zusätzlichen Quellen entweder nicht die erforderliche Aktualität aufweisen (z.B.:

EASO-Berichte vom August und Dezember 2017, Stahlmanngutachten vom 28.03.2018)) oder nicht den durch die Staatendokumentation gewährleisteten Qualitätsstandards gerecht werden, konnten sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden.

 

Soweit in der Beschwerde gerügt wird, dass sich das BFA bei seiner Entscheidungsfindung auf teilweise veraltete Länderfeststellungen gestützt habe, so erscheint dieser Einwand berechtigt. Dieser Mangel wurde jedoch im Beschwerdeverfahren schon durch den Umstand saniert, dass seitens des Bundesverwaltungsgerichtes die oben angeführten Länderinformationen, in das Verfahren eingebracht wurden und dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme dazu eingeräumt worden war.

 

2.11. Zur persönlichen Glaubwürdigkeit des BF:

 

Das widersprüchliche, unstimmige und unplausible Vorbringen führt nicht nur zur Unglaubhaftigkeit der im Verfahren aufgestellten Fluchtgründe, sondern indizieren auch - wie im vorliegenden Fall - die fehlende persönliche Glaubwürdigkeit des BF. Unter Berücksichtigung des widersprüchlichen, gesteigerten und unplausiblen Vorbringens hinterließ der BF in der öffentlich-mündlichen Beschwerdeverhandlung einen persönlich unglaubwürdigen Eindruck. Die evidente Bedeutung des persönlichen Eindrucks hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen betont (siehe etwa VwGH vom 24.06.1999, Zl .98/20/0435 bzw. VwGH vom 20.05.1999, Zl. 98/20/0505).

 

Aus diesen Gründen war der BF als persönlich unglaubwürdig zu beurteilen.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen, und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

3.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

3.3. Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

3.4. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

3.5. Zu Spruchteil A

 

3.5.1. Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates oder wegen Schutzes in einem EWR-Staat oder in der Schweiz zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

 

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Ausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

 

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist ein Flüchtling, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011).

 

Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten.

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

 

3.5.1.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten damit, dass der Beschwerdeführer keine Bedrohung oder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnte.

 

3.5.1.2. Mit dieser Beurteilung ist die belangte Behörde im Ergebnis im Recht.

 

3.5.1.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht vorliegt:

 

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung anknüpft.

 

Die Verfolgung aus dem Grund der (unterstellten) politischen Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK liegt in jenen Fällen vor, in denen der ungerechtfertigte Eingriff an die (wenn auch nur vermutete) politische Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung der betroffenen Person anknüpft.

 

Eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen konnte vom Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft gemacht werden (vgl. Beweiswürdigung). Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen ist, notorisch oder amtsbekannt ist, war davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht existiert.

 

3.5.1.4. Wie bereits ausführlich dargelegt (siehe Punkt II.2.9), ist es dem BF dahingehend nicht gelungen eine Bedrohung oder eine Verfolgung glaubhaft zu machen. In diesem Zusammenhang ist auch die persönliche Unglaubwürdigkeit des BF zu beachten (siehe Punkt II.2.11.). Mangels Glaubhaftmachung einer Verfolgung im Herkunftsstaat scheidet daher nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 eine Zuerkennung des Status als Asylberechtigten aus (vgl. VwGH 22.10.2014, Ra 2014/19/0086, mwN). Sonstige Anhaltspunkte für eine asylrelevante, gegen den BF gerichtete, Bedrohung sind nicht hervorgekommen und wurden solche von ihm auch gar nicht behauptet.

 

3.5.1.5. Im Ergebnis ist daher die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.

 

3.5.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

§ 8 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies ist dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.04.1999, 98/20/0561; 20.05.1999, 98/20/0300).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören - der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten (oder anderer in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnter) Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwSlg. 15.437 A/2000;

VwGH 25.11.1999, 99/20/0465; 08.06.2000, 99/20/0203; 08.06.2000, 99/20/0586; 21.09.2000, 99/20/0373; 25.01.2001, 2000/20/0367;

25.01.2001, 2000/20/0438; 25.01.2001, 2000/20/0480; 21.06.2001, 99/20/0460; 16.04.2002, 2000/20/0131). Diese in der Rechtsprechung zum AsylG 1997 erwähnten Fälle sind nun z.T. durch andere in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnte Fallgestaltungen ausdrücklich abgedeckt. Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat (unter dem Gesichtspunkt des § 57 FremdenG, dies ist nun auf § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu übertragen) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, 98/21/0427).

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zahl 95/18/0049; 05.04.1995, Zahl 95/18/0530;

04.04.1997, Zahl 95/18/1127; 26.06.1997, Zahl 95/18/1291;

02.08.2000, Zahl 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zahl 93/18/0214).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zahl 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zahl 98/01/0122; 25.01.2001, Zahl 2001/20/0011).

 

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zahl 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zahl 95/21/0294; 25.01.2001, Zahl 2000/20/0438; 30.05.2001, Zahl 97/21/0560).

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. vs. Vereinigtes Königreich, Zahl 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zahl 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zahl 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB. Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK in Verbindung mit § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. § 50 Abs. 1 FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. vs. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zahl 2000/01/0443;

13.11.2001, Zahl 2000/01/0453; 09.07.2002, Zahl 2001/01/0164;

16.07.2003, Zahl 2003/01/0059).

 

Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zahl 2001/21/0137).

 

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht. Dabei ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 mit Verweis auf VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

 

3.5.2.1. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:

 

Im Falle des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Feststellungen zu seiner persönlichen Situation vor dem Hintergrund der spezifischen Länderfeststellungen keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses der Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan.

 

3.5.2.2. Hinsichtlich der Bezugspunkte bei der Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes hat der VfGH in seinem Erkenntnis vom 13.09.2013, U370/2012 Folgendes ausgeführt:

 

"Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers als Zielort wegen der dem Beschwerdeführer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (VfGH 12.03.2013, U1674/12; 12.06.2013, U2087/2012)."

 

Da der Beschwerdeführer aus der Provinz XXXX stammt und die dortige Sicherheitslage als sehr volatil zu bezeichnen ist, kommt eine Rückführung des Beschwerdeführers in diese Region aufgrund der dort drohenden Gefahr für Leib und Leben nicht in Betracht.

 

Zu prüfen bleibt, ob der BF gemäß § 11 Abs. 2 AsylG 2005 auf eine andere Region des Landes - nämlich die Stadt XXXX - aufgrund der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände verwiesen werden kann (vgl. VfGH 11.10.2012, U677/12).

 

Für die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind zwei getrennte und selbständig zu prüfende Voraussetzungen zu prüfen. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiären Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Daher scheidet das ins Auge gefasste Gebiet aus, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen. Von dieser Frage ist getrennt zu beurteilen, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann, bzw. dass vom ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in dem betreffenden Gebiet niederzulassen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

 

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet wesentliche Bedeutung zukommt. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in dem ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiären Schutz rechtfertigen würden, findet.

 

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, muss es möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute des Asylwerbers führen können (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

 

Dem Beschwerdeführer steht jedoch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in XXXX zur Verfügung:

 

In einem jüngst ergangenen Beschluss vom 12.07.2018, Ra 2018/18/0376, billigte der Verwaltungsgerichtshof im Ergebnis die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, die Städte XXXX (oder XXXX ) kämen - auch ohne dortige soziale Anknüpfungspunkte - im Falle eines 29-jährigen, aus XXXX stammenden, arbeitsfähigen und der tadschikischen Volksgruppe zugehörigen Afghanen mit zwölfjähriger Schulbildung als innerstaatliche Fluchtalternativen in Betracht.

 

Was die Sicherheitslage betrifft, wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen zwar keineswegs verkannt, dass die Situation (auch) in XXXX nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über XXXX , sowie größere Transitrouten hat. Zur Sicherheitslage in der Provinz XXXX geht weiters aus den Länderfeststellungen hervor, dass diese relativ ruhige Provinz trotz Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, sowie Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte, nach wie vor zu den stabilsten Provinzen Afghanistans zählt. Sicherheitsrelevante Vorfälle sind im Vergleich zu anderen Provinzen gering und die Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2017 ging im Vergleich zum Vorjahr drastisch zurück. XXXX befindet sich - so wie andere Provinzhauptstädte - unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung und ist über den internationalen Flughafen auch gut erreichbar, weshalb davon auszugehen ist, dass XXXX ausreichend sicher und für den Beschwerdeführer auch erreichbar ist.

 

Individuelle gefahrenerhöhende Umstände, aus denen sich eine spezifische Gefährdung des BF ableiten ließe, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Daher ist bei einer Ansiedlung des BF in der Stadt XXXX allein auf Grund der dargestellten Sicherheitslage nicht von einer realen Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK auszugehen.

 

Im Hinblick auf die zu erwartenden Lebensumstände des Beschwerdeführers ist diesem eine Ansiedlung in XXXX auch zumutbar:

 

Obwohl die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie der Zugang zu Arbeit und darauf aufbauend der Zugang zu Wohnraum und Nahrung, angesichts der großen Anzahl von Binnenvertriebenen und Rückkehrern in den Provinzhauptstädten Afghanistans nur eingeschränkt möglich ist, zeigt sich im Hinblick auf XXXX anhand der vorliegenden Länderinformationen insofern ein günstigeres Bild, als die Stadt ein wichtiger Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan ist, sich die Region wirtschaftlich gut entwickelt, neue Arbeitsplätze entstehen und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz XXXX zu reduzieren.

 

Hinsichtlich der Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmittel und Trinkwasser gilt es zwar als notorische Tatsache, dass es im Umland von XXXX zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung kommt, demgegenüber liegen derartige Meldungen zur Stadt XXXX nicht vor und wurden auch vom Beschwerdeführer nicht in Vorlage gebracht. Im Hinblick auf eine Großstadt wie XXXX kann jedoch von entsprechenden Berichten bzw. Hinweisen ausgegangen werden, wenn die dort lebende Bevölkerung mehr keinen Zugang zu grundlegender Versorgung haben sollte. Diesfalls würde auch eine Zuwanderung aus ländlichen Regionen in die Stadt zum Stillstand kommen. Auch sind keine Berichte bekannt, wonach die Grundversorgung der Bevölkerung (mit Nahrungsmittel und Trinkwasser) in XXXX generell nicht mehr gewährleistet oder zusammengebrochen wäre und ist davon auszugehen, dass trotz der aktuellen Dürre in der Provinz Balkh die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in XXXX nach wie vor zumindest grundlegend gewährleistet ist.

 

Ferner ist medizinische Versorgung in XXXX , sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. Ebenso sind Medikamente grundsätzlich verfügbar. Insgesamt ist es für das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die Stadt XXXX nicht ersichtlich, dass die Versorgung der afghanischen Bevölkerung dort nicht grundsätzlich gegeben ist.

 

Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Gegebenheiten in XXXX ist zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers auszuführen, dass es ihm als einem jungen, uneingeschränkt arbeitsfähigen, ledigen Mann auch zumutbar ist, sich in dieser Stadt niederzulassen. Der Beschwerdeführer verfügt über eine fundierte achtjährige afghanische Schulbildung und spricht die Landessprachen Dari und Pashtu und hat in Österreich weiter fortgebildet. Vor dem Hintergrund der oben dargelegten Verhältnisse am Arbeitsmarkt in XXXX ist es dem Beschwerdeführer sohin zumutbar, durch eigene Erwerbstätigkeit und notfalls die Aufnahme von Gelegenheitstätigkeiten seine Existenz zu sichern und für seine Grundbedürfnisse aufzukommen. Außerdem kann der Beschwerdeführer Rückkehrhilfe, etwa von UNHCR oder IOM, in Anspruch nehmen, um unmittelbar nach seiner Rückkehr übergangsweise - auch im Hinblick auf den Zugang zu einer einfachen Unterkunft - in der Stadt XXXX das Auslangen zu finden. Angesichts der angespannten Arbeits- und Wohnsituation in Afghanistan wird der Beschwerdeführer zwar anfangs und während einer gewissen Übergangsphase mit Schwierigkeiten bei der Arbeits- und Wohnraumsuche konfrontiert werden. Angesichts der guten wirtschaftlichen Entwicklung in XXXX wird es dem Beschwerdeführer jedoch nach einer Übergangsphase möglich sein, dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Der BF hat den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan gelebt, hat in seinem Herkunftsstaat eine fundierte Schulbildung genossen und ist somit mit gesellschaftlichen, sprachlichen und kulturellen Gepflogenheiten in Afghanistan bestens vertraut. Der BF stand während der Zeit seines Aufenthaltes im permanenten Kontakt mit seinen in Afghanistan lebenden Verwandte und spricht Deutsch auf einfachem Niveau. Es kann in casu also nicht von einer sprachlichen oder kulturellen Entwurzelung des BF während seiner Zeit in Österreich gesprochen werden. Vielmehr wird er bei einer Verbringung in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Probleme haben sich den Gegebenheiten in Afghanistan anzupassen.

 

Besondere, in der Person des Beschwerdeführers gelegene Umstände, die in seinem Fall der Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.

 

Soweit Stahlmann in ihrem Gutachten pauschal in den Raum stellt, dass in Afghanistan der Zugang zu sozialen Netzwerken notwendig sei, um das Überleben zu sichern, hat etwa das VG Baden-Würtemberg in seiner Entscheidung vom 12.10.2018, Zl. A 11 S 316/17, folgende Erwägungen, denen sich das BVwG anschließt, getroffen:

 

"Indes beantworten diese Aussagen nicht die Frage, wie es um die Überlebenssicherung von alleinstehenden Rückkehrern steht, wenn diese trotz der fehlenden Vorstellbarkeit des Alleinstehens in größerer Zahl tatsächlich in Afghanistan erscheinen. Hier bleibt es für die vom Senat zu treffende Risikoprognose dabei, dass sich eine tatsächliche Gefahr zeitnaher Verelendung im Falle der Rückkehr nicht belegen lässt. Die aktuellen Erhebungen der Sachverständigen bestätigen insoweit, dass Stahlmanns Ausführungen hinsichtlich der Risiken für abgeschobene Rückkehrer zu allgemein sind, um damit das konkrete Schicksal eines einzelnen Rückkehrers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren.

 

Insbesondere lässt sich aus dem Fehlen eines - bereits bestehenden - familiären oder sozialen Netzwerks in Kabul nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK herleiten. Ein solches traditionelles Unterstützungsnetzwerk, das durch (unterstützungsfähige und -willige) Mitglieder der (erweiterten) Familie oder ihrer größeren ethnischen Gruppe gebildet wird, ist auch nach - aktuell fortbestehender - Auffassung von UNHCR im Falle von alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im arbeitsfähigen Alter ohne besonderen Schutzbedarf trotz der schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan nicht geboten, um zu verhindern, dass im Falle der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein kontinuierlicher Prozess in Gang gesetzt wird, in dem sie verelenden und bleibende schwere physische und seelische Schäden davontragen.

 

Die Recherchen Stahlmanns sind nach Auffassung des Senats nicht geeignet, diese Wertung in Frage zu stellen: Zu mehr als 90 % der Fälle ist es ihr - methodisch bedingt - nicht gelungen, weitere Erkenntnisse über den Verbleib und das weitere Schicksal nach Verlassen der Übergangsunterkunft zu gewinnen. Soweit Stahlmann die Schicksale nachverfolgen konnte, erweisen sich diese als zu unterschiedlich, um daraus verallgemeinernde Schlussfolgerungen zu ziehen; über die Schicksale derjenigen, die das Land wieder verlassen haben, liegen zudem keine zureichenden Informationen vor."

 

Auch ist in Bezug auf den in der Stellungnahme vom 15.10.2018 erfolgten Verweis auf die (unter einem auszugsweise zitierten) UNCHR-Richtlinien vom 30.08.2018 auszuführen, dass diese - vorausgesetzt die Gegend der Neu- bzw. Wiederansiedlung ist - so wie das auf XXXX zutrifft - von keinem aktiven Konflikt betroffen, indizieren, dass alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne besonderem Bedürfnissen (v. a. spezifische Vulnerabilitäten wie Alter oder Krankheit) bei Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten, Bildung und Erwerbsmöglichkeiten eine interne Fluchtalternative bzw. Neuansiedlung in urbanen und semi-urbanen Gegenden (unter Beachtung der Anzahl der dortigen Binnenvertriebenen) zumutbar ist, auch wenn diese im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet keinen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungswerk haben. Zu beachten ist, dass es dabei auf einen "gesicherten" Zugang zu den erwähnten Kriterien nicht ankommt (vgl. VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, Rz 23). In casu ist - wie oben erwähnt - zusätzlich zu beachten, dass der BF in in Afghanistan über ein familiäres Netz verfügt, welches ihm bei Rückkehr nach Afghanistan eine Hilfe in der Anfangsphase in XXXX sein wird.

 

Auch nach Ansicht des EGMR ist die allgemeine Situation in Afghanistan nicht dergestalt, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. EGMR Urteil Husseini v. Sweden vom 13.10.2011, Beschwerdenummer 10611/09, Ziffer 84 sowie das rezente Erkenntnis des EGMR, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoße würde: EGMR AGR/Niederlande, 12.01.2016, 13.442/08 und das dementsprechende rezente Erkenntnis des VwGH vom 23.02.2016, Zl. Ra 2015/01/0134-7).

 

Insgesamt ist zu befinden, dass unabhängig vom individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers keine außergewöhnlichen, exzeptionellen Umstände hervorgekommen sind, die ihm im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan drohen könnten und die ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm. § 8 AsylG 2005 darstellen könnten, wie etwa eine dramatische Versorgungslage (z.B. Hungersnöte), eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar der Verlust des Lebens (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v. United Kingdom und Henao v. The Netherlands, Unzulässigkeitsentscheidung vom 24.06.2003, Beschwerde Nr. 133699/03).

 

Zudem ist, wo oben bereits ausgeführt wurde, auch im gegebenen Zusammenhang die innerstaatliche Fluchtalternative einschlägig. Es kommt daher auch aus dem Grunde des Vorliegens der innerstaatlichen Schutz- bzw. Fluchtalternative die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht in Betracht.

 

Im gegenständlichen Fall haben sich in einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde. Die bloße Möglichkeit einer allenfalls drohenden extremen (allgemeinen) Gefahrenlage in Afghanistan reicht nicht aus, sondern es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; konkret zu Afghanistan: zB Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 29.06.2010, Zl. BVerwG 10 C 10.09; weiters EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 84; 20.12.2011, J.H. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 48839/09, Rz 55).

 

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

3.5.2.3. Aufgrund der vorgenommenen Prüfung im Einzelfall (VfGH 13.09.2012, U370/2012) unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände des BF, sowie unter Beachtung der Rechtsprechung des VwGH und VfGH und Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

 

3.5.3. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkt III. bis VI. des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

"1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist."

 

3.5.3.1. Der BF befindet sich seit September 2015 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

 

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

3.5.3.2. Der BF ist als afghanischer Staatsangehöriger kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz sein Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK umfasst auch nicht formalisierte eheähnliche Lebensgemeinschaften zwischen Mann und Frau; bei solchen ist normalerweise das Zusammenleben der beiden Partner in einem gemeinsamen Haushalt erforderlich, es können aber auch andere Faktoren wie etwa die Dauer oder die Verbundenheit durch gemeinsame Kinder unter Beweis stellen, dass die Beziehung hinreichend konstant ist (EGMR vom 27.10.1994, 18535/91 Kroon und andere gg. die Niederlande, Z 30; EGMR vom 22.04.1997, 21.830/93, X,Y und Z gg. Vereinigtes Köngreich, Z 36).

 

Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der Verwaltungsgerichtshof stellen in ihrer Rechtsprechung darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist (VwGH 30.04.2009, 2009/21/086, VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721 und die dort zitierte EGMR-Judikatur).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, 44328/98, Solomon v. Niederlande; 09.10.2003, 48321/99, Slivenko v. Lettland; 22.04.2004, 42703/98, Radovanovic v. Österreich;

31.01.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande;

31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie ua v. Norwegen).

 

Art. 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. Zum geschützten Privatleben gehört das Netzwerk der gewachsenen persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen (EGMR vom 09.10.2003, 48321/99, Slivenko gg. Lettland). So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als "Privatleben" relevant sein.

 

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Nach der Rechtsprechung des EGMR hängt es von den Umständen des jeweiligen Falles ab, ob es angebracht ist, sich eher auf den Gesichtspunkt des Familienlebens zu konzentrieren als auf den des Privatlebens (EGMR 23.04.2015, 38030/12, Khan, Rn. 38; 05.07.2005, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 59). Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Ewald Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in:

Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52).

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

 

3.5.3.3. Der BF war zum Aufenthalt in Österreich nur auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz berechtigt, der sich als nicht begründet erwiesen hat. Anhaltspunkte dafür, dass ihm ein nicht auf asylrechtliche Bestimmungen gestütztes Aufenthaltsrecht zukäme, sind nicht ersichtlich. Der BF hat keine Familienangehörige in Österreich. Eine Lebensgemeinschaft wurde weder behauptet, noch kam sie im Verfahren hervor. Ein schützenswertes Familienleben des Beschwerdeführers im Bundesgebiet im oben dargestellten Sinn liegt daher nicht vor.

 

Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen:

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Soweit Kinder von einer Ausweisung betroffen sind, sind nach der Judikatur des EGMR die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 18. Oktober 2006, Üner gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 46410/99, Randnr. 58, und vom 6. Juli 2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 41615/07, Randnr. 146). Maßgebliche Bedeutung hat der EGMR dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Randnr. 66, vom 17. Februar 2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Randnr. 60, und vom 24. November 2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Randnr. 46; siehe dazu auch das hg. Erk. vom 17. Dezember 2007, 2006/01/0216 bis 0219) befinden (VwGH 21.04.2011, 2011/01/0132).

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (Vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541).

 

3.5.3.4. Geht man nun im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich aus, fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu Lasten des Beschwerdeführers aus und würde die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen

Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK darstellen:

 

Der BF verfügt über stärkere Bindungen zum Herkunftsstaat: er hat dort den weit überwiegenden Teil seines Lebens verbracht. Er wurde in Afghanistan sozialisiert, spricht Dari als Muttersprache,versteht Pashtu und besuchte dort 8 Jahre die Schule. Zudem halten sich Familienangehörige von ihm in Afghanistan auf, sodass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen. Dadurch, dass der BF in Afghanistan sozialisiert wurde, er dort ausgebildet wurde und in der Heimatprovinz über Anknüpfungspunkte verfügt und er durch Erwerbstätigkeit auch bei einer Rückkehr seine Existenz zu sichern imstande ist, kann die Rückkehrsituation zu keinem Überwiegen der Interessen an einem Verblieb in Österreich führen.

 

Im Gegensatz dazu ist sie in Österreich schwächer integriert: Der Beschwerdeführer hält sich seit September 2015 im Bundesgebiet auf und geht die Dauer seines Aufenthaltes zwar über einen bloß kurzen Aufenthalt hinaus. Er verfügte jedoch nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts des Asylverfahrens. Der Beschwerdeführer ist illegal nach Österreich eingereist und stellte in weiterer Folge einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher sich als unberechtigt erwiesen hat.

 

Der BF verfügt über keine nennenswerten sozialen Bindungen im Bundesgebiet; er unterhält allenfalls freundschaftliche Kontakte. Er ist beruflich nicht integriert und lebte von der österreichischen Grundversorgung. Der Beschwerdeführer nahm Teil an einen Deutschkurs auf dem Niveau B1, legte aber im Bundesgebiet nie eine Sprachprüfung ab. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung konnte der BF lediglich Deutsch nur auf sehr einfachem Niveau aufweisen. Zu Gute gehalten werden dem BF außerdem die vorgelegten Unterstützungserklärungen, sein Ausbildungswille und die gemeinnützigen bzw. ehrenamtlichen Tätigkeiten.

 

Eine darüberhinausgehende außergewöhnliche Integration des Beschwerdeführers ist nicht hervorgekommen.

 

Weiters wurde der BF jedoch von einem österreichischen Strafgericht ua. wegen dem Verbrechen des Suchtgifthandels zu einer teilweise bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Dieses Fehlverhalten des Fremden bewirkt eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und ist derart schwerwiegend, dass auch allfällige stark ausgeprägte private und familiäre Interessen zurücktreten müssen (vgl. VwGH vom 08.02.1996, 95/18/009 und VwGH vom 24.03.2000, 99/21/0291).

 

Im Hinblick auf die Zeitspanne, seit der sich der Beschwerdeführer in Österreich aufhält (seit September 2015), kann selbst unter Miteinbeziehung integrativer Merkmale eine von Art. 8 EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" noch nicht angenommen werden (vgl. VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt "jedenfalls" nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten). Die bisherige Rechtsprechung legt keine grundsätzliche Jahresgrenze fest, sondern verlangt die Vornahme einer Interessenabwägung im speziellen Einzelfall. So hat der Verwaltungsgerichtshof darüberhinaus zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 30.07.2015, Zl. 2014/22/0055; VwGH 23.06.2015, Zl. 2015/22/0026; VwGH 10.11.2010, Zl. 2008/22/0777, VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479). In diesem Zusammenhang ist auch auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst die Umstände, dass ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl. VwGH vom 06.11.2009, 2008/18/0720 sowie 25.02.2010, 2010/18/0029).

 

Die Dauer des Verfahrens übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

 

Das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seiner bestehenden privaten Kontakte und das Interesse an einer Weiterbildung in Österreich ist noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste: Der Beschwerdeführer durfte sich hier bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (vgl. zB VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

Zur Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme trotz langjährigem Aufenthalt in Österreich und mangelnder Integration in Österreich ist insbesondere auf folgende höchstgerichtliche Rechtsprechung hinzuweisen: VwGH 17.11.2005, 2005/21/0370 (7-jähriger Aufenthalt mit "nicht stark ausgeprägter Integration" - Ausweisung zulässig), VwGH 25.9.2007, 2007/18/0348 (5-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 3.7.2007, 2007/18/0361(5-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 26.9.2007, 2006/21/0288 (7-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 8.11.2006, 2006/18/0316 (8-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 25.9.2007, 2007/18/0416 (4-jähriger Aufenthalt - "kein individuelles Bleiberecht" - Ausweisung zulässig), VwGH 28.2.2008, 2008/18/0087 (eineinhalbjähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 18.5.2007, 2007/18/0136 (11-jähriger unrechtmäßiger Aufenthalt (von insgesamt 15 Jahren) - Ausweisung zulässig), VwGH 8.11.2006, 2006/18/0316 (4-jähriger unrechtmäßiger Aufenthalt nach 4-jährigem Asylverfahren - Ausweisung zulässig), VfGH 29.9.2007, B 1150/07, EuGRZ 2007, 728 (11-jähriger Aufenthalt, zwei Scheinehen, zwei Asylanträge - Ausweisung zulässig).

 

Den schwach ausgeprägten, privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften, sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

 

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet das persönliche Interesse der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

 

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 liegen vor: Da der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Da der Antrag der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen wurde, liegt weder ein Fall des § 8 Abs. 3a noch des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vor. Die Beschwerdeführerin gab nicht an, über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen.

 

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde im gegenständlichen Erkenntnis verneint.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seiner Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wären, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005. Das Vorliegen einer asylrelevanten Bedrohung des Beschwerdeführers in seinem Heimatstaat wurde von Seiten des Beschwerdeführers nicht glaubhaft gemacht, eine innerstaatliche Fluchtalternative wird im gegenständlichen Erkenntnis jedenfalls mit XXXX aufgezeigt.

 

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan ist gegeben, da nach den die Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

Eine Abschiebung nach Afghanistan ist daher zulässig.

 

Gem. § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 2 Wochen festgelegt worden.

 

3.6. Zu Spruchpunkt B) - Zulässigkeitsentscheidung hinsichtlich der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes, des EuGH und des EGMR); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

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