Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 7. Juli 1999 nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. August 1999 gemäß § 7 AsylG abgewiesen wurde. Unter einem wurde festgestellt, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig. Die Erstbehörde kam auf Grund der - ihrer Ansicht nach - mangelhaften Kenntnisse des Beschwerdeführers über die Verhältnisse in Sierra Leone zu dem Ergebnis, er sei nicht Staatsangehöriger dieses Landes, und erachtete demzufolge die auf diesen Staat Bezug nehmende Verfolgungsbehauptung für nicht glaubwürdig.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bemängelte der Beschwerdeführer, die Erstbehörde habe ihn - anstatt sich mit den Fluchtgründen zu beschäftigen - "regelrecht einer Geographieprüfung unterzogen", ohne dass auf sein Alter und seinen "Bildungsstatus" Bedacht genommen worden wäre. Der Asylwerber würde als junger, stattlicher Mann für die Rebellen, für die er nicht kämpfen wolle, "einen guten Soldaten abgeben". Die dadurch gegebene Gefährdung seines Lebens bedeute "naturgemäß für ihn die größte Furcht". Eine funktionierende Staatsmacht, die ihn vor derartigen Übergriffen schützen könnte, existiere nicht, sodass ihm nur die Möglichkeit der Flucht geblieben sei. Bei einer Abschiebung nach Sierra Leone wäre der Beschwerdeführer allein auf Grund seines Geschlechtes, seines Alters und seiner Statur mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gefährdet, einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein, was Art. 3 EMRK widerspreche.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde diese Berufung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 7 AsylG abgewiesen und neuerlich gemäß § 8 AsylG eine Feststellung über die Zulässigkeit (insbesondere) der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone getroffen. Begründend führte die belangte Behörde aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Asylwerber Staatsangehöriger von Sierra Leone oder staatenlos sei und seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Sierra Leone gehabt habe. Die Angaben zu seinem Herkunftsstaat seien "offensichtlich" falsch und die damit verbundenen Fluchtgründe entsprächen "offensichtlich" nicht den Tatsachen. Das Vorbringen zu den Fluchtgründen sei daher der Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit nicht zugrunde zu legen. Darüber hinaus traf die belangte Behörde umfangreiche Feststellungen zur "allgemeinen Situation" in Sierra Leone. Beweiswürdigend führte sie zur negativen Feststellung hinsichtlich der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers Folgendes aus:
"Im Rahmen der öffentlich mündlichen Verhandlung teilte der Asylwerber mit, dass er in Freetown, in der 'Skka Steven Street' (nach der Schreibweise des Asylwerbers) gelebt hat. In der Folge wurde der Asylwerber aufgefordert, einige Sehenswürdigkeiten von Freetown zu nennen. Dabei gab er fälschlicherweise an, dass der Cotton-Tree inmitten der 'Skka Steven Street" liege und dort ein Kreisverkehr sei. Der Asylwerber wurde darauf hingewiesen, dass der Cotton-Tree - eine wichtige Sehenswürdigkeit von Sierra Leone -
nicht in der Siaka Stevens Street (richtige Schreibweise) gelegen ist. Als Erklärung gab er an, dass er schwören würde, dass sich der Cotton-Tree in seiner Straße befinde. Als dem Asylwerber schließlich ein Stadtplan von Freetown mit dem darin eingezeichneten Cotton-Tree gezeigt wurde, gab er diesbezüglich an, dass ein Kreisverkehr Cotton-Tree genannt werde, wo man zu einer katholischen Kirche in der Howe Street gelangen würde. Nach dem Namen dieser Kirche befragt, gab dieser jedoch an, sich an den Namen dieser Kirche nicht mehr erinnern zu können. Auch wurden dem Asylwerber Fotos mit wichtigen Sehenswürdigkeiten bzw. Gebäuden von Freetown vorgelegt. Auf einem Bild war eine bekannte Sehenswürdigkeit von Freetown, nämlich die Freetown Clock, abgebildet und gab der Asylwerber fälschlicherweise an, dass es sich dabei um die St. Georg's Kathedrale, die bekannteste Kathedrale von Sierra Leone handle. Die erkennende Behörde ist der Auffassung, dass sich der Asylwerber auf die mündliche Verhandlung gut vorbereitet hat und die Fakten, die er über Sierra Leone weiß, lediglich auswendig gelernt hat und es dadurch auch zu Verwechslungen gekommen ist. Dies zeigt sich beispielsweise dadurch, dass er den Unabhängigkeitstag am 27.4. richtig nannte, jedoch angab, dass der Republikstag am 19.4. sei. Auf die Frage was dieser unter Republikstag verstehen würde, gab er an, dass damit die Tatsache gefeiert werde, dass das Land zur Republik geworden ist. Der Asylwerber hat offensichtlich nicht gewusst, dass der Unabhängigkeitstag selbst der Tag der Republik ist und am 29.4. der Revolutionstag in Sierra Leone begangen wird. Dass der Asylwerber sich gut auf die Verhandlung vorbereitet hat, zeigt sich auch dadurch, dass der Asylwerber mitteilte, dass es eine Tankstelle von Texaco auf dem Weg zum Lumley-Beach gäbe. Der Dolmetscher als Ortskundiger teilte jedoch mit, dass sich diese Tankstelle im Osten und der Lumley-Beach sich aber im Westen befindet.
Weiters konnte der Asylwerber nicht erklären, was 'Plassas' bedeutet. Auf Grund der CD-ROM-Microsoft Encarta Weltatlas-Version 99, Information zu Sierra Leone, Punkt 'Essen und Trinken' handelt es sich dabei um eine Soße aus zerstoßenen Manjokblättern, Palmöl und Cayennepfeffer, welche in Sierra Leone typischerweise mit dem wichtigsten Grundnahrungsmittel Reis zubereitet wird. Der Asylwerber teilte jedoch mit, dass es sich um einen kleinen Imbiss handelt und aus Pfefferoni, Fleisch, Palmöl, Ocra und Gumbu (zu ergänzen: besteht und) mit einem Brot gegessen wird.
Der Asylwerber verfügt zwar über Sprachkenntnisse in Krio und Mende, jedoch ist darauf hinzuweisen, dass er Krio nicht so gut spricht, als dieser vorgab, zu tun. Wie aus der Beilage L ersichtlich, werden diese Sprachen auch in anderen Ländern gesprochen und können die wenig vorhandenen Sprachkenntnisse nicht die vom Asylwerber angegebene Staatsangehörigkeit bekräftigen."
Darüber hinaus wurde von der belangten Behörde im Rahmen der Rechtsausführungen "angemerkt", dass es sich bei der vom Asylwerber vorgelegten Identitätskarte nach einer urkundentechnischen Untersuchung "um ein nachgeahmtes Formular handelt" und dass der Beschwerdeführer auf entsprechenden Vorhalt erklärt habe, es handle sich nicht um sein eigenes Dokument.
In der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes vertrat die belangte Behörde die Ansicht, es liege "offenbar eine Täuschung der Asylbehörde bzw. ein Missbrauch des Asylverfahrens" vor, weil der Beschwerdeführer vorgegeben habe, aus Sierra Leone zu stammen und in der Hauptstadt Freetown gelebt zu haben, sich jedoch "herausgestellt" habe, dass er über keine Grundkenntnisse bezüglich dieses Landes bzw. der Hauptstadt verfüge. Da der Beschwerdeführer offenbar nicht aus Sierra Leone stamme und auch nicht die Staatsbürgerschaft von Sierra Leone besitze, ergebe sich "darüber hinaus zwangsläufig", dass "eine asylrelevante Bedrohung seinerseits durch diesen Staat nicht in Betracht" komme.
Im Rahmen der Begründung des Ausspruches nach § 8 AsylG verwies die belangte Behörde neuerlich darauf, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, sein Vorbringen auch nur annähernd glaubhaft zu machen, sodass keine Anhaltspunkte dafür bestünden, er könnte in Sierra Leone einer konkret seine Person betreffenden Gefährdung ausgesetzt sein. Auch aus den Feststellungen zur allgemeinen Situation in Sierra Leone ergebe sich nicht, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde einer Gefahr im Sinne des § 57 FrG ausgesetzt wäre. Weiters sei auszuführen, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Glaubhaftmachung einer konkreten Gefährdungssituation im Sinne des § 57 FrG das Feststehen der Identität voraussetze. Da im konkreten Fall die Identität nicht feststehe, sei "schon allein deshalb" auszusprechen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone zulässig sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerde wendet sich im Ergebnis zu Recht gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde und zeigt insofern Begründungsmängel auf. Der belangten Behörde ist zunächst vorzuwerfen, dass den Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist, sie habe auf den Umstand Bedacht genommen, dass der Beschwerdeführer nach seinen Angaben im Zeitpunkt des Verlassens von Sierra Leone erst siebzehn Jahre alt gewesen ist, nur fünf Jahre die Grundschule besucht und (gemeinsam mit seinem Vater außerhalb Freetowns) eine Landwirtschaft betrieben hat. Die belangte Behörde hätte sich daher zunächst mit der Frage auseinander zu setzen gehabt, welche Kenntnisse von einem Jugendlichen dieses Alters bei seiner Schulbildung unter Bedachtnahme auf die bisherigen Lebensumstände überhaupt erwartet werden dürfen. Darüber hinaus ist zu bemängeln, dass die belangte Behörde in den wiedergegebenen Ausführungen zur Beweiswürdigung das Augenmerk nur auf einige Wissenslücken des Beschwerdeführers gelenkt hat, ohne diesen die von ihm vielfach richtig beantworteten Fragen gegenüberzustellen und diese Beweisergebnisse gegeneinander abzuwägen. So hat der Beschwerdeführer einen weitgehend richtigen Plan jener Straßen gezeichnet, welche die Siaka Stevens-Street, in der er angeblich gewohnt hat, queren. Weiters übergeht die belangte Behörde völlig, dass der Beschwerdeführer mehrere Gebäude und Sehenswürdigkeiten, unter anderem auch den Cotton-Tree auf Fotos erkannt hat. Dazu ist überdies anzumerken, dass nach den dem Verwaltungsgerichtshof zugänglichen Quellen die Unrichtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers zur Lage des Cotton-Trees - entgegen dem diesbezüglichen Vorhalt der belangten Behörde in der Berufungsverhandlung und im angefochtenen Bescheid - nicht erkannt werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch zu bemängeln, dass dem Verhandlungsprotokoll nur teilweise zu entnehmen ist, welche der in Bezug auf sein Allgemeinwissen über Sierra Leone an den Beschwerdeführer gerichteten Fragen er richtig oder falsch beantwortete und was jeweils die richtigen Antworten gewesen wären. Dies gilt sowohl für die vorgehaltenen Fotos als auch für die Angaben des Beschwerdeführers über die Lage und Bezeichnung einzelner Gebäude und Straßen und in Bezug auf seine sonstigen Ortskenntnisse.
Auch die Ausführungen der belangten Behörde zu den Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers sind nicht geeignet, die negative Feststellung zur behaupteten Staatsangehörigkeit zu tragen. Obwohl die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zugesteht, über Sprachkenntnisse in Krio und Mende zu verfügen, schränkt sie dies dahin ein, dass er Krio nicht so gut spreche, als er vorgegeben habe. Diese Begründung ist nicht nachvollziehbar, weil sich daraus weder ergibt, in welchem Umfang der Beschwerdeführer diese Sprachkenntnisse aufwies und an welchem Maßstab sie gemessen wurden. Darüber hinaus unterblieb auch eine Auseinandersetzung mit der Rechtfertigung des Beschwerdeführers, seine Eltern seien Angehörige verschiedener Stämme und sie hätten sich mit ihm einmal in der einen und einmal in der anderen Sprache verständigt und in der Schule hätte er Englisch gelernt.
Eine ins Detail gehende Abwägung durfte im vorliegenden Fall aber nicht schon deshalb unterbleiben, weil die belangte Behörde zur Auffassung kam, der Beschwerdeführer habe sich auf die mündliche Verhandlung "gut vorbereitet" und die Fakten, die er über Sierra Leone wisse, lediglich "auswendig gelernt". Die dafür herangezogenen Argumente betreffend die mangelnde Unterscheidung zwischen dem Unabhängigkeitstag und dem Revolutionstag und die Angabe zur Lage einer bestimmten Tankstelle, sind für sich genommen nicht geeignet, diese Einschätzung schlüssig zu begründen, zumal sich die belangte Behörde auch nicht in nachvollziehbarer Weise darauf stützt, der Beschwerdeführer habe gegenüber der Befragung in erster Instanz wesentlich bessere Kenntnisse über Sierra Leone und Freetown gezeigt und dies sei nur durch ein Studium von Unterlagen bis zur Berufungsverhandlung zu erklären. Die Ausführungen zur Beweiswürdigung sind insgesamt somit zu kurz und zu abstrakt gehalten, um inhaltlich überprüfbar zu sein. Die Wahl besonders bestimmter - an den Voraussetzungen des § 6 AsylG orientierter - Formulierungen für das angenommene Ausmaß der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers bietet dafür keinen Ausgleich (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 2000/20/0547).
Zur Vollständigkeit ist schließlich dem zur Begründung der Feststellung nach § 8 AsylG herangezogenen Argument, die Glaubhaftmachung einer konkreten Gefährdungssituation im Sinne des § 57 FrG setze im vorliegenden Fall das Feststehen der Identität voraus, entgegenzutreten (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465, mwN, in dem auch auf das von der belangten Behörde zur Stützung ihres Standpunktes zitierte Erkenntnis vom 21. Februar 1997, Zl. 97/18/0061, Bezug genommen wird; vgl. zuletzt auch das Erkenntnis vom 22. März 2002, Zl. 98/21/0004, mwN).
Zusammenfassend ergibt sich, dass der angefochtene Bescheid wegen der dargestellten Begründungsmängel, somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 16. April 2002
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