BVwG L521 2173751-1

BVwGL521 2173751-114.7.2020

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:L521.2173751.1.00

 

Spruch:

 

L521 2173751-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 03.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 28.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am Tag der Antragstellung legte der Beschwerdeführer dar, den Namen im Spruch genannten Namen zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX im Irak geboren, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und sei ledig.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 13.07.2015 mit einem Kraftfahrzeug von seinem Wohnort XXXX (ein Bezirk der Stadt Mossul) illegal auf dem Landweg in die Türkei verlassen zu haben. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Türkei sei er schlepperunterstützt auf dem Seeweg auf eine griechische Insel gelangt und von dort aus anschließend zunächst mit einer Fähre nach Athen und dann mit einem Reisebus nach Saloniki gebracht worden. Die griechisch-mazedonische Grenze habe er zu Fuß überschritten. In der Folge sei er mit verschiedenen Personenkraftwagen nach Österreich verbracht worden.

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er vor den Milizen des Islamischen Staates geflüchtet sei. Sein Freund sei vom Islamischen Staat getötet und seine Leiche von einem Dach herabgeworfen worden. Er selbst habe arbeiten müssen, um dem Islamischen Staat Almosen entrichten zu können. Sollte er nicht bezahlen, würden ihn Kämpfer des Islamischen Staates töten.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer zunächst am 14.02.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, im Beisein einer Vertrauensperson sowie eines gerichtlich beeideten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, die arabische Sprache zu verstehen und der Einvernahme in gesundheitlicher Hinsicht folgen zu können sowie dass er bislang im Verfahren wahrheitsgemäße Angaben getätigt habe.

Zur Person befragt legte der Beschwerdeführer insbesondere dar, er bekenne sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung und habe im Herkunftsstaat sechs Jahre die Grundschule besucht. Nach dem Eintritt in das Berufsleben habe er den Beruf des Kochs erlernt und bis zur Ausreise als Koch gearbeitet.

In Mossul habe er im Haus im Eigentum seines Vaters im Bezirk XXXX gemeinsam mit seiner Familie gelebt. Gegenwärtig würden sich die Eltern des Beschwerdeführers sowie seine drei Brüder und seine fünf Schwestern in Mossul aufhalten. Seine Brüder wären als Maler, als Friseur sowie als Kellner in einem Teehaus erwerbstätig und würde dermaßen das Auskommen der Familie sicherstellen.

Befragt nach dem Grund für das Verlassen des Heimatstaates führte der Beschwerdeführer aus, er hege seit dem Jahr 1993 Ausreisegedanken. Den Irak habe er tatsächlich am 17.07.2015 verlassen. Der Islamische Staat habe seinen Freund vom Dach eines Hauses herabgeworfen. Ein Bruder habe ihn daraufhin darüber informiert, dass sein Name vom Islamischen Staat auf einem Zettel veröffentlicht worden sei, woraufhin er sich umgehend für die Flucht entschieden habe. Bei der Flucht sei er gestürzt und habe sich dabei an der Stirne verletzt. Unbekannte Personen hätten ihn daraufhin mitgenommen und illegal in die Türkei gebracht.

Auf Nachfrage legte der Beschwerdeführer dar, homosexuell zu sein und dass er mit dem ermordeten Freund eine Beziehung unterhalten habe. Auf weitere Nachfrage zu seiner sexuellen Orientierung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er habe im 18. Lebensjahr seine Neigung verspürt und sich mit seinem Freund angefreundet, da er bereits gewusst habe, dass dieser homosexuell sei. Neigungen zu Frauen habe er nicht verspürt. Vielmehr sei er am Markt mit seinem Freund unterwegs gewesen und habe dabei dessen Hand gehalten. Im Anschluss daran habe er sich mit seinem Freund in ein verlassenes Haus begeben und dort den Geschlechtsverkehr mit ihm durchgeführt. Er kenne auch irakische Datingportale für homosexuell orientierte Personen, habe aber deren Namen vergessen. Im Bundesgebiet unterhalte er keine gleichgeschlechtlichen Kontakte.

3. Am 27.09.2017 wurde der Beschwerdeführer neuerlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer neuerlich, die arabische Sprache sowie den anwesenden Dolmetsch zu verstehen und der Einvernahme in gesundheitlicher Hinsicht folgen zu können sowie dass er bislang im Verfahren wahrheitsgemäße Angaben getätigt habe.

In der Folge erörterte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem Beschwerdeführer eingehend die von ihm vorgebrachte homosexuelle Orientierung. Der Beschwerdeführer legte dabei im Wesentlichen dar, er „stehe sowohl auf Frauen als auch Männer“. Mit 18 oder 19 Jahren habe er „einen mitgenommen und .. mich mit ihm vergnügt“. Er habe dieser Person auch Geld für die Durchführung des Geschlechtsverkehrs gegeben. Er habe zuletzt auch in Österreich einen gleichgeschlechtlichen Kontakt mit einer namentlich näher bezeichneten Person in XXXX unterhalten. Er habe dieser Person beim Kennenlernen mitgeteilt, dass er „psychisch krank“ sei, diese Person habe ihm dann mitgeteilt, „er sei es auch“. Danach wären sie „in den Wald gegangen“ und hätten sich „vergnügt“. Auf weitere Nachfrage legte der Beschwerdeführer dar, dass er auch mit einer Österreicherin mit einem „schweren Namen“ sexuell verkehrt habe. Lokale für Personen mit seinen sexuellen Vorlieben könne er nicht benennen, es gäbe „ein Kino in Wien“, den Namen wisse er nicht.

4. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2017wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen sowie unter einem gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für eine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe seinen Herkunftsstaat aufgrund des dortigen Bürgerkrieges verlassen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine sexuelle Orientierung werde hingegen nicht als glaubwürdig erachtet. Es könne auch keine Gefährdung des Beschwerdeführers für den Fall einer Rückkehr in den Irak erkannt werden. Der Beschwerdeführer verfüge nach wie vor über Familienangehörige in Mossul, sodass ihm eine Rückkehr möglich und in Anbetracht seiner Arbeitsfähigkeit auch zumutbar wäre.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 28.09.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

6. Gegen den dem Beschwerdeführer am 29.09.2017 eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der dem Beschwerdeführer beigegebenen und von ihm bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise den angefochtenen Bescheid in seinem Spruchpunkt III. abzuändern und eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig zu erklären oder schließlich die Frist für die freiwillige Ausreise zu verlängern. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt. Ferner wird beantragt „falls nicht alle zu Lasten des BF gehenden Rechtswidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht wurde, diese amtswegig aufzugreifen“.

In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach neuerlicher Darlegung des aus seiner Sicht maßgeblichen Sachverhaltes vor, das belangte Bundesamt stützte die angefochtene Entscheidung auf unzureichende und „teilweise unrichtig[e]“ Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat, wobei es das belangte Bundesamt insbesondere unterlassen habe, sich mit der Situation homosexuell orientierter Personen im Irak auseinanderzusetzen. Ferner wären die herangezogenen Quellen nicht hinreichend aktuell, das belangte Bundesamt habe sich zudem nicht mit der Schutzfähigkeit der irakischen Behörden auseinandergesetzt und auch nicht geprüft, ob dem Beschwerdeführer nicht schon aufgrund der Asylantragstellung Verfolgung drohen würde. Das belangte Bundesamt habe auch keine Recherchen vor Ort durchgeführt, diese hätten erheben, das dem Beschwerdeführer tatsächlich asylrelevante Verfolgung drohen würde. In der Beschwerde werden in der Folge über achtzehn Seiten hinweg Berichte zur Lage im Herkunftsstaat und vornehmlich zur Lage von homosexuell orientierten Personen sowie zu terroristischen Anschlägen auszugsweise zitiert.

Im Hinblick auf die Beweiswürdigung wird im Wesentlichen vorgebracht, der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen sehr detailliert und lebensnahe gestaltet. Das belangte Bundesamt hab das Recht auf Parteiengehör verletzt, da sich der Organwalter des belangten Bundesamts auf Aussagen eines Freundes von ihm berufen habe, der Beschwerdeführer habe dazu nicht Stellung nehmen können. Es werde daher die „Ausforschung und Ladung“ dieser Person als Zeuge beantragt. In der Folge tritt der Beschwerdeführer den einzelnen Erwägungen des belangten Bundesamtes entgegen und es wird abschließend gerügt, dass sich das belangte Bundesamt unzulässigerweise auf Widersprüche in Bezug auf die Angaben bei der Erstbefragung gestützt habe. Dem Beschwerdeführer sei zusammenfassend aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der homosexuellen Menschen internationaler Schutz bzw. zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen.

7. Zur Vorbereitung der für den 27.05.2019 anberaumten mündlichen Verhandlung wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.05.2019 aktuelle länderkundliche Dokumente zur allgemeinen Lage im Irak und insbesondere zur Lage im Gouvernement Ninawa zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb einer Frist von zwei Wochen schriftlich Stellung zu nehmen.

Der Beschwerdeführer übermittelte dazu im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung am 13.05.2020 eine Äußerung des Inhaltes, dass die vorgehaltenen Länderdokumentationsunterlagen würden insgesamt 1062 Seiten umfassen würden. Es fehle jedoch jegliche Beschreibung, wie diese Quellen „in Relation zum vom BF vorgebrachten Sachverhalt gesetzt werden können/sollen“. Der „Kern juristischer Arbeit“ bestehe aber darin, „wenn man schon Beweismittel in das Verfahren einbringt, diese auch mit dem Vorbringen des BF abzugleichen und in Beziehung zueinander zu stellen“. Die Zweckdienlichkeit und Eignung der vorgehaltenen Länderdokumentationsunterlagen würde sich dem „BF zum überwiegenden Teil leider nicht erschließen“. Es werde daher beantragt, die Beweisthemen, auf die sich die einzelnen Quellen beziehen würden, „mitsamt einer gehörigen und ausreichenden Erklärung zu benennen“. Erst dann könne – sofern es von der Rechtsvertretung für notwendig erachtet werden – eine Stellungnahme abgegeben werden. Das Vorgehen des Bundesverwaltungsgerichtes werde bemängelt und beantragt, dass zumindest in der Verhandlung am 27.05.2019 eine adäquate und ausführliche inhaltliche Erörterung sämtlicher Länderquellen vorgenommen werde. Die in § 45 Abs. 3 AVG geforderte Kenntnisnahme des übermittelten „Konvoluts im Umfang von über 1000 Seiten“ im Rahmen sei der Rechtsvertretung im Rahmen der eingeräumten Frist nicht möglich und es erschließe ich auch nicht das Beweisthema.

8. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.05.2020 wurde dem Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung die Erstreckung der Frist für eine Stellungnahme zu den ihm übermittelten Länderberichten auf den 31.10.2019 sowie die Abberaumung der für den 27.05.2019 in Aussicht genommenen Verhandlung bekanntgegeben. Darüber hinaus wurde das Beweisthema bekannt gegeben und eine inhaltliche Einschränkung in Bezug auf die Relevanz der übermittelten Länderberichte vorgenommen.

9. Am 31.10.2019 übermittelte der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung eine Stellungnahme und teilte mit, die vorgehaltenen Länderinformationen zur Kenntnis zu nehmen. In Bezug auf die Lage im Herkunftsstaat sei von Relevanz, dass schiitische Milizen das Machtvakuum nach der militärischen Niederlage ausgefüllt hätten und der Beschwerdeführer als bekennender Sunnite Verfolgung aus religiösen Gründen fürchte. Der Beschwerdeführer habe darüber hinaus glaubhaft dargelegt, dass er als homosexuelle Mann geoutet worden sei, weshalb er auch weiterhin mit Verfolgung zu rechnen habe.

10. Am 03.07.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation darzulegen. Ferner wurde der Beschwerdeführer zu seiner vorgebrachten sexuellen Orientierung befragt. Dem Beschwerdeführer wurden darüber hinaus aufgrund der dynamischen Lageentwicklung im Herkunftsstaat aktualisierte bzw. weitere länderkundliche Dokumente ausgefolgt und eine Stellungnahme dazu freigestellt.

11. Die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers übermittelte am 13.07.2020 eine Mitteilung, wonach von einer Stellungnahme zu den in der mündlichen Verhandlung ausgefolgten länderkundliche Dokumenten abgesehen werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, er ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in der Stadt Mossul im Gouvernement Ninawa geboren und lebte dort bis zur Ausreise in einem Haus im Eigentum seines Vaters im Bezirk XXXX im Ostteil Mossuls. Der Beschwerdeführer ist Moslem und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er ist ledig und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprache Arabisch in Wort und Schrift.

Der Beschwerdeführer ist gesund, er steht nicht in medizinischer Behandlung und nimmt keine Medikamente ein. Er verletzte sich bei einem selbst verschuldeten Sturz mit dem Fahrrad am 04.04.2019 an der Schulter und erhielt Schmerztabletten, ohne dass weitere Verletzungen diagnostiziert werden. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer wegen einer Kieferhöhlenentzündung, wegen Überknöchelns mit dem rechten Fuß sowie wegen einer Ohrenentzündung ärztlich behandelt. Sämtliche Erkrankungen bzw. Beschwerden sind ausgeheilt.

Der Beschwerdeführer besuchte in Mossul die Grundschule im Ausmaß von sechs Jahren und trat anschließend zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt in das Berufsleben ein. Er war bis zur Ausreise in der Gastronomie als Koch und als Kellner erwerbstätig.

Die Eltern des Beschwerdeführers sowie seine drei Brüder und seine fünf Schwestern verblieben nach der Ausreise des Beschwerdeführers weiterhin in der Stadt Mossul. Die Eltern des Beschwerdeführers leben derzeit in ihrem Haus in der Stadt Mossul, sie bestreiten ihren Lebensunterhalt derzeit im Wege von Unterstützungsleistungen. Ein Bruder des Beschwerdeführers sowie seine fünf Schwestern leben ebenfalls in der Stadt Mossul, wobei die Schwestern allesamt verheiratet sind und von ihren Ehemännern versorgt werden. Der Bruder in Mossul aufhältige Bruder des Beschwerdeführers ist derzeit ohne Beschäftigung. Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers lebt in der Stadt Erbil in der autonomen Region Kurdistan – er ist den Angaben des Beschwerdeführers zufolge derzeit ebenfalls ohne Beschäftigung – und der dritte Bruder des Beschwerdeführers lebt in Bagdad und arbeitet als Taxifahrer.

Der Beschwerdeführer steht mit seinen Angehörigen in sporadischem Kontakt, wobei der Kontakt durch die unzureichende Internetverbindung behindert wird.

Der Beschwerdeführer gehörte dem Islamischen Staat vor seiner Ausreise nicht an, ebenso finden sich unter seinen Angehörigen keine Anhänger des Islamischen Staates.

Der Beschwerdeführer verließ den Irak an einem nicht zweifelfrei feststellbaren Tag im Monat Juli 2015 illegal auf dem Landweg in die Türkei und gelangte in der Folge schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und weiter nach Österreich, wo er am 28.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit und seines sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer hatte außerdem im zeitlichen Nahebereich vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften zu gewärtigen.

Der Beschwerdeführer wurde an einem nicht feststellbaren Tag im Jahr 2010 in Mossul von Sicherheitskräften geschlagen, da er sich nicht ausweisen konnte. Das Ereignis veranlasste den Beschwerdeführer nicht zur Ausreise, es kam auch bis zu seiner tatsächlichen Ausreise im Juli 2015 zu keinen weiteren Konfrontationen mit Sicherheitskräften.

Der Beschwerdeführer verließ die Stadt Mossul an einem nicht feststellbaren Zeitpunkt im Juli 2015 aufgrund der Präsenz der Milizen des Islamischen Staates in der Stadt Mossul, ohne dass es zu persönlichen Konfrontationen mit Kämpfern des Islamischen Staates kam oder Verfolgungshandlungen wider den Beschwerdeführer gesetzt wurden. Nicht festgestellt werden kann, dass ein Freund des Beschwerdeführers von den Milizen des Islamischen Staates hingerichtet wurde. Der Beschwerdeführer wurde außerdem nicht von den Milizen des Islamischen Staates im Wege von Lautsprecherdurchsagen oder Flugzetteln als homosexuell orientiert geoutet. Ein Grund für die Notwendigkeit einer Ausreise aus dem Irak kann in Ansehung des Beschwerdeführers ebenfalls nicht festgestellt werden.

Es kann abseits davon nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat dort einer anderweitigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen oder extremistische Gruppierungen oder psychischer und/oder physischer Gewalt seitens verbliebener Anhänger des Islamischen Staates im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer ist im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund seines Bekenntnisses zum sunnitischen Islam ausgesetzt. Zudem wird dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Anhängerschaft bzw. Unterstützung des Islamischen Staates oder ein sonstiges Naheverhältnis zum Islamischen Staat vor der Ausreise unterstellt werden.

Wider den Beschwerdeführer besteht im Irak weder ein Haftbefehl, noch wird er in anderer Weise von zivilen oder militärischen Behörden oder Gerichten gesucht. Der Beschwerdeführer ist im Rückkehrfall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von strafrechtlicher Verfolgung bedroht.

1.3. Der Beschwerdeführer ist nicht homosexuell oder bisexuell orientiert. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Irak einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte – insbesondere Familien- oder Stammesmitgliedern – wegen einer bestehenden oder ihm unterstellten homosexuellen oder bisexuellen Orientierung ausgesetzt wäre.

1.4. Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

1.5. Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit im Herkunftsstaat erworbener grundlegender Schulbildung und Berufserfahrung in der Gastronomie. Der Beschwerdeführer verfügt über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat und eine Wohnmöglichkeit im Haus seines Vaters im weitgehend unversehrt gebliebenen Ostteil der Stadt Mossul. Ihm ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bzw. zumindest die Annahme von Gelegenheitsarbeiten zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

Die Stadt Mossul ist über den Flughafen Erbil und anschließend die Schnellstraße 2 (via Kalak und Bartella) oder über den Flughafen Bagdad und anschließend die Schnellstraße 1 (via Samarra, Tikrit und Baidschi) sicher erreichbar.

1.6. Der Beschwerdeführer verfügt über irakische Ausweisdokumente (Personalausweis des Registeramtes Mossul, ausgestellt am 28.10.2009, Staatsbürgerschaftsnachweis, ausgestellt am 28.12.1998) im Original.

1.7. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 28.08.2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein, ist seither durchgehend im Bundesgebiet als Asylwerber aufhältig und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel. Er ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig und alleinstehend.

Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Er war zunächst in einer Unterkunft für Asylwerber in der Stadtgemeinde XXXX untergebracht, seit dem 28.08.2017 unterhält der Beschwerdeführer einen Wohnsitz in einer Unterkunft für Asylwerber in der Stadtgemeinde XXXX .

Der Beschwerdeführer war im Bundesgebiet bislang nicht legal erwerbstätig. Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren keine Einstellungszusage und auch keinen Arbeitsvorvertrag in Vorlage, er geht jedoch davon aus, im Wege eines Freundes bei einem Transportunternehmen einen Arbeitsplatz zu erhalten. Wie sich die Arbeitszeiten und die Entlohnung gestalten würden, ist dem Beschwerdeführer nicht bekannt. Ihm ist auch der Name dieses Unternehmens nicht geläufig.

Der Beschwerdeführer besuchte zunächst vom 19.12.2016 an bis zum 02.02.2017 einen von einer privaten Initiative organisierten Deutschkurs in der Stadtgemeinde XXXX . In weiterer Folge absolvierte der Beschwerdeführer eigene Angaben zufolge einen oder zwei weitere Deutschkurse, erhielt jedoch keine Bestätigungen über den Kursbesuch. Eigenen Angaben zufolge trat er außerdem zu einer Prüfung über Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau A1 an, erhielt jedoch kein Zeugnis. Der Beschwerdeführer verfügt über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache, die er selbst als „nicht so gut“ einschätzt und die er verbessern möchte.

Im Bundesgebiet leben keine Verwandten des Beschwerdeführers. Er pflegt normale soziale Kontakte zu seinem Freundeskreis am Ort seiner Unterbringung und in Linz, er verlässt jedoch insgesamt nur selten sein Quartier. Der Beschwerdeführer ist weder in einem Verein noch in einer sonstigen Organisation Mitglied. Er verrichtete eine Remunerantentätigkeit für die Stadtgemeinde XXXX im Ausmaß von 22 Stunden im April 2019 und reinigte Verkehrsflächen für EUR 5,00 pro Stunde. In seiner Unterkunft führt der Beschwerdeführer Reinigungstätigkeiten durch, wofür er ebenfalls EUR 5,00 pro Stunde erhält. Sein Unterkunftgeber teilt mit, dass der Beschwerdeführer die ihm übertragenen Arbeiten zur vollsten Zufriedenheit erledigt und beschreibt ihn als hilfsbereiten, integrationswilligen, freundlichen und pünktlichen Menschen.

1.8. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.9. Zur gegenwärtigen Lage im Gouvernement Ninawa werden folgende Feststellungen getroffen:

Das Gouvernement Ninawa ist im Nordwesten des Irak gelegen und grenzt einerseits im Westen an Syrien und im Norden und im Osten an die Gouvernements Dohuk und Erbil, sohin die autonomen Region Kurdistan. Im Süden und Südosten grenzt das Gouvernement Ninawa an die Gouvernements Anbar und Salah ad-Din. Ninewa ist mit 37 323 km² (8,6% der Gesamtgröße des Irak) das drittgrößte Gouvernement und hat die zweitgrößte Bevölkerung im Irak (3.729.998 Menschen im Jahr 2018). Die Hauptstadt von Ninawa ist Mossul im Nordosten und mit geschätzte Bevölkerung von mehr als 1,5 Millionen Einwohnern. Die zweitgrößte Stadt ist Tal Afar, nordwestlich von Mossul. Andere große Städte sind Sinjar im Westen und Qayara im Süden.

Das Gouvernement Ninawa ist in neun Distrikte gegliedert, nämlich Mossul, Tel Kayf, Sheikhan, Akre, Tel Afar, Sinjar, Ba’aj, al-Hatra, und Hamdaniya. Mossul ist ein wichtiger regionaler Verkehrsknotenpunkt mit direkten Straßenverbindungen nach Bagdad, Kirkuk, Erbil, Dohuk sowie nach Syrien und in die Türkei, über Tal Afar und die syrische Grenze bei Rabia im Norden und nach Sinjar und Syrien im Westen

Ninewa ist das ethnisch vielfältigste Gouvernement des Irak. Die Mehrheit bilden sunnitische Araber, aber auch andere Gruppen teilen Macht und Einfluss: Die Kurden dominieren in den Distrikten Akre und Sheikhan. Die Distrikte Akre und Sheikhan wurden von der KRG seit der Errichtung der Grünen Linie nach dem Waffenstillstand zwischen Saddam Hussein und den Kurden im Jahr 1991 verwaltet. Die Ninewa-Ebene, östlich und nordöstlich von Mosul, ist das Gebiet, auf dem die Mehrheit der Christen des Gouvernements und die Angehörigen der ethno-religiösen Gruppe der Shabak leben (dieses Gebiet enthält auch große Ölfelder). In Tal Afar sind die Turkmenen (sowohl sunnitischer als auch schiitischer Religion) mehrheitlich vertreten, während in Sinjar mehrheitlich Jesiden leben, ebenso wie in ihrer heiligen Stadt Lalish im Distrikt Sheikhan. Aufgrund der ethnischen Vielfalt in Ninewa erhielt ein Großteil des Gouvernements die Einstufung als umstrittenes Gebiet gemäß Artikel 140 der irakischen Verfassung. Die Kontrolle über die nördlichen und östlichen Teile des Gouvernements bleibt umstritten. Die Grenzlinie der Kontrollgebiete zwischen kurdischen und irakischen Einheiten liegt heute in der Ninewa-Ebene und im Tal-Afar-Distrikt.

In Ninewa ging der Besetzung durch den Islamischen Staat ein jahrelanger Zustand von gewalttätigem Extremismus und organisiertem Verbrechen voraus, verursacht von verschiedenen konkurrierenden Milizen, von denen einige Vorläufer des Islamischen Staates und/oder Rivalen waren. Ninewa wird sowohl als „langjähriges Zentrum des sunnitisch-arabischen Nationalismus im Irak“ und als Hochburg von Al-Qaida im Irak beschrieben.

Mossul wurde im Juni 2014 vom Islamischen Staat handstreichartig übernommen und besetzt. Angriffe der Milizen des Islamischen Staates auf Sinjar, Zummar und die Ninewa-Ebene im August 2014 vertrieben fast eine Million Menschen innerhalb weniger Wochen. Der Fall von Mosul im Juni 2014 und der Rückzug der kurdischen Streitkräfte aus weiten Teilen des Gouvernements führten im August 2014 zu einer großflächigen Verfolgung der Minderheiten durch den Islamischen Staat: Turkmenen, Christen, Jesiden, Shabak, Kaka'i und andere Gruppen waren Folter, öffentlichen Hinrichtungen, Kreuzigungen, Entführungen und sexueller Sklaverei ausgesetzt.

Die Rückeroberung Mossul dauerte mehr als neun Monate. Der militärische Sieg über die Milizen des Islamischen Staates wurde erst Anfang Juli 2017 offiziell bekannt gegeben. Dabei war die Schlacht und insbesondere der zweite Teil mit der Eroberung der historischen Stadt West-Mosul die bislang härteste Auseinandersetzung zwischen den Milizen des Islamischen Staates und irakischen Regierungstruppen. Die Stadt erlitt während des gesamten Konflikts schwere Schäden. Während der Feindseligkeiten wurde eine große Zahl von Zivilisten getötet, Schätzungen zufolge waren 4.194 Tote und Verwundete zu beklagen. Eine Quelle gab an, dass mehr als 40.000 Zivilisten infolge der massiven Luft- und Artillerieangriffe der irakischen Sicherheitskräfte und der internationalen Koalition getötet worden sein könnten. Noch heute sind die Trümmer mit Sprengkörpern verschiedener Art kontaminiert, darunter nicht explodierte Minen und Sprengfallen.

Im November 2018 veröffentlichte die UNAMI einen Bericht, wonach 202 Massengräber seit Juni 2014 entdeckt wurden, von denen Berichten zufolge die überwiegende Mehrheit Opfer des Islamischen Staates beinhalten. Schätzungen vom UNAMI zufolge wurden 6.000 bis über 12.000 Opfer des Islamischen Staates dermaßen begraben, wobei die meisten in Massengräbern den Gouvernements Ninewa (95), Kirkuk (37), Salah al-Din (36) und Anbar (24) beigesetzt sind. Zu den Opfern zählen Frauen, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen, Mitglieder und ehemalige Mitglieder der irakischen Streitkräfte und der Polizei sowie einige ausländische Arbeiter. Die meisten Massengräber in Ninawa wurden um Mosul und Distrikt Sinjar aufgefunden. Die unbestätigte Zahl der Opfer in den Massengräbern in Ninewa liegt zwischen 4.000 und 10.500. Minderheitengemeinschaften reagierten auf die Bedrohung durch den Islamischen Staat und die Tatsache, dass die irakische Armee und in gewissem Ausmaß auch die Peschmerga während der Offensive des Islamischen Staates 2014 ihre Posten aufgaben, indem sie lokalen Milizen in großer Zahl etablierten und ihre Loyalität dahingehend ausrichteten.

Sicherheitskräfte im Gouvernement Ninawa

Nach dem Sieg über das sogenannte Kalifat sind in Ninewa eine Vielzahl von bewaffneten Gruppen aktiv. Die wichtigsten bewaffneten Akteure können in die folgenden Kategorien eingeteilt werden: Irakische Sicherheitskräfte (ISF), Volksmobilmachungseinheiten (PMF), kurdische Sicherheitskräfte (Peschmerga)n an der autonomen Region Kurdistan ausgerichtete Milizen, nicht ausgerichtete Milizen, ausländische Streitkräfte und Aufständische.

Die regulären Einheiten der ISF in Ninewa untersteht dem Ninewa Operations Command (NOC), mit Ausnahme des Counterterrorism Service (CTS), der der irakischen Regierung direkt unterstellt ist. Das NOC befindet sich in Ost-Mosul. Quellen zufolge sind stellen die ISF in Ninewa der (zahlenmäßig) bedeutendste Teil der staatlichen Sicherheitskräfte. Das CTS hat den Ruf, die am besten ausgebildete, effektivste und disziplinierteste Einheit des Irak zu sein. Es hat die Fähigkeit, über konfessionelle Grenzen hinweg zu rekrutieren, und dies hat zu seiner weit verbreiteten Akzeptanz im Irak beigetragen. Die CTS-Soldaten durchlaufen vor der Aufnahme ein striktes Überprüfungsverfahren und dürfen sich weder politischen Parteien anschließen, noch sich konfessionell äußern bzw. betätigen. Das CTS besteht aus drei Brigaden, von denen die ISOF-2 die zentrale Einheit in Ninewa und hauptsächlich in der Nähe von Mossul stationiert ist. Bei den Kämpfen um Mossul hatte das CTS eine zentrale Rolle und erlitt schwere Verluste bei den Kämpfen. Es kehrte zu seiner früheren Rolle als schnelle Reaktionstruppe mit hoher Mobilität zurück. Die Kommandostruktur des CTS arbeitet parallel zum NOC und berichtet nicht an das Verteidigungsministerium, sondern direkt an den Premierminister.

Das Gouvernement Ninewa ist seit Februar 2018 in drei Bereiche unterteilt. Die Stadt Mossul wird von der örtlichen Polizei kontrolliert. Die Außenbezirke von Mossul werden von verschiedenen PMF-Milizen kontrolliert, wobei sowohl schiitische als auch lokale Milizen vertreten sind. Der Rest des Gouvernements, insbesondere die südlichen und nördlichen Gebiete von Ninewa, wird von der irakischen Armee kontrolliert. Die irakische Armee unterhält eine namhafte Streitmacht in Ninewa, nämlich die 15. und 16. Infanteriedivision, die 20. Infanteriedivision und Teile der 9. Panzerdivision sind derzeit dem NOC zugeordnet. Vor der militärischen Auseinandersetzung mit dem Islamischen Staat hatte die irakische Armee ein schwieriges Verhältnis zur sunnitisch-arabischen Bevölkerung in Ninewa. Sie war bekannt für Misshandlungen an Kontrollpunkten und harsche Reaktionen auf aufständische Angriffe. Darüber hinaus erfolgte die Rekrutierung in den früheren Jahren der US-Besatzung nach dem Sturz Saddam Husseins überwiegend in kurdischen Kreisen, weil sunnitische Araber nicht bereit waren, in der (neuen) irakischen Armee Dienst zu leisten. Nach der Befreiung vom Islamischen Staat hat sich das Image der irakischen Armee in Ninewa erheblich verbessert, obwohl viele lokale Führer sich dafür einsetzen, ihren Einfluss zu verringern. Auch das Verteidigungsministerium strebt den Abzug von Armeeeinheiten aus Städten und eine Konzentration auf große Armeestützpunkte an. Dessen ungeachtet kommt der irakischen Armee weiterhin eine wichtige Rolle bei der Sicherung von Mossul zu, indem sie Checkpoints besetzt und sicherheitspolitische Entscheidungen beeinflusst. Ein Teil der neuen Popularität der irakischen Armee rührt von der Präferenz der sunnitischen Bevölkerung für die Armee im Vergleich zu den von den Schiiten dominierten Milizen her.

Die lokale Polizei ist innerhalb des Gouvernements Ninawa tätig und weniger militarisiert als die irakische Bundespolizei. Lokale Polizeikräfte verfügten häufig nur über ungepanzerte Fahrzeuge und tragen nur leichte Schusswaffen. Die Polizei des Gouvernements Ninewa (shurta muhafiza Ninewa) ist für die Gefahrenabwehr und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit im Gouvernements verantwortlich und steht der lokalen Bevölkerung theoretisch am nächsten. Lokale Polizeikräfte sind auch in erster Linie für die Abwehr von Terrorismus und Kriminalität verantwortlich. Aus diesem Grund sind sie einem höheren Risiko ausgesetzt, von Aufständischen angegriffen zu werden. Sie werden vor Ort angeworben, dies bedeutet jedoch auch, dass sie und ihre Familien leichter entführt oder ermordet werden können. Quellen gaben im April 2018 an, dass die Stadt Mossul von der örtlichen Polizei kontrolliert wird.

Irakische Grenzschutzbeamte (haras hadud alIraq) operieren hauptsächlich an der syrischen Grenze im Westen von Ninewa, insbesondere in der Grenzstadt Rabia. Die Grenzschutzbeamten sind auch dafür verantwortlich, Kämpfer des Islamischen Staates daran zu hindern, aus Syrien nach Ninewa einzusickern. Sie erhalten jedoch Unterstützung von den PMF bei der Sicherung abgelegener Grenzregionen.

Die irakische Bundespolizei (shurta itihadiya) und ihre Emergency Response Division (ERD, furqa ar-red as-suriya) wurden bei der Befreiung von Mossul eingesetzt, sind aber derzeit nur mehr untergeordnet im Gouvernement Ninawa vertreten. Einige Einheiten der irakischen Bundespolizei wurden Anfang 2018 nach Kirkuk verlegt, die im Gouvernement Ninawa verbliebenen Einheiten werden aber als schlagkräftig beschrieben.

PMF-Einheiten kontrollieren Quellen zufolge den östlichen Teil des Gouvernements Ninewa und gelten (nach der irakischen Armee) als zweitbedeutendster Akteur in Ninewa. Die Außenbezirke von Mosul werden von verschiedenen PMF-Milizen kontrolliert, darunter sind sowohl schiitische als auch lokale Milizen. In einem Bericht der International Crisis Group vom Juli 2018 wurde festgestellt, dass sich mehrere PMF-Milizen, darunter Asa'ib Ahl al-Haqq, die al-Abbas Fighting Division und Kataeb Sayed al-Shuhada, in der Nähe von Mossul befinden. Im Süden des Gouvernements unterhält Saraya al-Salam einige Einheiten, während im Westen die Milizen Sarayat al-Jihad, Harakat Hizbollah al-Nujaba und die Ali al-Akbar-Brigade aktiv sind. Seit Mai 2017 wird die Stärke der PMF-Milizen in Ninewa auf 18 000 Kämpfer geschätzt. In einem Bericht vom Februar 2018 wies die International Crisis Group darauf hin, dass Sinjar seit Oktober 2017 von vom Iran unterstützten PMF-Milizen militärisch und politisch kontrolliert wird. Im Distrikt Sinjar sind PMF-Milizen an der irakisch-syrischen Grenze stationiert, diese haben jesidische Stammesführer kooptiert und rekrutieren Jesiden vor Ort. Sie kontrollieren auch strategische Straßen und ernennen Verwaltungsbeamte.

Anfang August 2018 erließ der stellvertretende Vorsitzende des irakischen Komitees für Volksmobilisierung drei Anordnungen zur Umstrukturierung und Umverteilung der PMF, die in Ninewa zuerst umgesetzt wurden. Die PMF begann zunächst, sich aus den Unterbezirken Rabi’a und Zummar in Tal Afar und aus Teilen von Sinjar zurückzuziehen. Am 21.08.2018 hob der Ministerpräsident die Anordnungen jedoch auf und stellte ihre Rechtmäßigkeit in Frage, ohne zuvor den Oberbefehlshaber konsultiert und mit dem irakischen Befehl für gemeinsame Operationen abgestimmt zu haben. Der Premierminister erklärte später, dass die Neuverteilung von PMF-Milizen den Aufständischen die Möglichkeit bieten würde, Angriffe zu starten, und verfügte, dass alle PMF-Operationen durch das Büro des Premierministers koordiniert werden müssten, welches künftig das Komitee für Volksmobilisierung leiten würde.

Die im Gouvernement Ninewa stationierten schiitischen Schabak-Milizen ergänzen größeren PMF-Einheiten, insbesondere jene der Badr-Brigaden. Die Schabak-Kämpfer sind Teil der 30. Brigade der PMF, zu der auch eine chaldäische Subtruppe gehört, die als Babylon-Brigade bekannt ist und von dem chaldäischen Kommandeur Rayan al-Kildani angeführt wird. Die Babylon-Brigade war in Frontkampf- und bei der Sicherung von Gebieten aktiv und wurde für ihre harsche Behandlung sunnitischer Araber bekannt. Die Einheit hat auch PMF-Einheiten bei Operationen im Gouvernement Ninewa in den Orten Qayara und Nimrud begleitet. Sie betreiben auch weiterhin Checkpoints in Bartela.

Andere lokale Gruppen sind die Ninewa Plains Protection Units (NPU), eine vorwiegend christliche Miliz, die die Sicherheit in Karakosch überwacht. Sie wird von der Assyrischen Demokratischen Union gesponsert und ist in die PMF eingegliedert. Die Ninewa Plains Forces (NPF) ist eine schiitische Schabak-Einheit in Ost-Mosul und in der Ninewa-Ebene, die ebenfalls Teil der PMF ist. Eine weitere Gruppe ebenfalls mit dem Namen Ninewa Plains Forces ist eine von der autonomen Region Kurdistan unterstützte christliche Gruppe (siehe dazu unten). Die Babylon-Brigade ist eine gemischte christlich-schiitisch- arabische Einheit mit einer Schabak-Komponente, die ebenfalls Einfluss auf die Ninewa-Ebene hat und enge operative Beziehungen zu den NPF unterhält. Die Al-Hashd al-Turkmani ist eine schiitisch-turkmenische Einheit und hauptsächlich innerhalb der 16. und 52. PMF-Brigade organisiert, sie sind im Tal Afar-Gebiet stationiert. Das Lalish-Bataillon ist eine jesidische Einheit, die keine umstrittenen Beziehungen zur Führung der PMF unterhält, aber nicht so viel Unterstützung erhält, wie schiitische Gruppen. Die Haras Ninewa sind eine weitgehend sunnitische Einheit, angeführt von dem ehemaligen Gouverneur Atheel al-Nujaifi und ausgebildet von der türkischen Armee im Bashiqa-Lager nordöstlich von Mosul. Laut einem Bericht der International Crisis Group vom Juli 2018 erhält die Gruppe zeitweise Gehälter von vom Komitee für Volksmobilisierung. Die Haras Ninewa wurden gegründet, um den islamischen Staat zu bekämpfen und dienen nunmehr als Leibwächter von Atheel al-Nujaifi.

Die Ali al-Akbar Brigade, eine dem schiitischen Großayatollah Ali al-Sistani zuzuordnende Einhauet unterhält eine bedeutende Präsenz im westlichen Ninewa (Tal Afar und die Jazeera-Wüste). Die Badr Organization, Asa‘ib Ahl al-Haqq und Kata’ib Hisbollah sind als bedeutende nicht-lokale Kräfte der PMF in Ninewa präsent und haben erheblichen Einfluss auf viele der kleineren lokalen Gruppen, aber ihre begrenzte Präsenz hindert sie daran, das Territorium direkt zu kontrollieren. Ihre Versuche, unter der lokalen sunnitischen Bevölkerung zu rekrutieren, haben sich als größtenteils ineffektiv erwiesen. Trotz mangelnder öffentlicher Präsenz müssen sie immer noch als bedeutende Akteure im Gouvernement Ninawa angesehen werden.

Stammesmobilisierungskräfte (Hashd al-Asha’ari) sind lokal angeworben, hauptsächlich sunnitische Milizen, oft von den Stämmen Shamar und Jabour. Die Trennung dieser Milizen, die vom irakischen Geheimdienst gesteuert werden, vom Komitee für Volksmobilisierung, hat mit der Unterstützung der USA für das Hashd al-Asha'ari-Programm zu tun: Die USA lehnen es ab, direkt mit iranisch geleiteten PMF-Einheiten zusammenzuarbeiten. Die sunnitischen Stämme wiederum wollen nicht in überwiegend schiitischen PMF-Einheiten eine untergeordnete Rolle einnehmen, sodass gesonderte Einheiten aufgestellt wurden. Die einzelnen Einheiten der Hashd al-Asha’ari sind auf 100-300 Kämpfer beschränkt, da Bagdad zögert, größere sunnitische Stammeskräfte zu schaffen, die die staatliche Kontrolle in diesem Gebiet herausfordern könnten.

Im Gouvernement Ninawa sind nach dem Rückzug der kurdischen Peschmerga als Folge der Auseinandersetzungen nach dem Unabhängigkeitsreferendum im Oktober 2017 noch kurdische bzw. kurdisch orientierte Milizen aktiv. Die Jazeera-Brigade ist eine sunnitische Stammeseinheit, hauptsächlich aus Rabia und Zummar und war die erste sunnitische Einheit, die mit kurdischen Behörden zusammenarbeitete. Sie tragen kurdische Flaggen und Zerevani-Aufnäher. Die Kämpfer werden von den Stämmen Jibbour, Juhaysh Mu’amara, Sharabi und Shamar angeworben, die Einheit ist ungefähr 2000 Mann stark. Die Jazeera Brigade berichtet an die Zerevani (militarisierte Polizeikräfte der autonomen Region Kurdistan). Die bereits erwähnten Ninewa Plains Forces (NPF) sind eine christliche Einheit in der Ninewa-Ebene und werden vom Ministerium für Peshmerga-Angelegenheiten zusammen mit den nachstehend beschriebenen NPGF (Ninewa Plains Guard Forces) als Teil der Sicherheitskräfte der autonomen Region Kurdistan angesehen. Sie sind eine kleine Truppe von 50-100 Hilfskämpfern, die organisatorisch an die PDK-Peschmerga angegliedert ist. Die jesidische Ezidikhan Defense Force (Hêza Parastina Ezidkhane, HPE) war vor dem Rückzug der kurdischen Streitkräfte nach dem Referendum im Oktober 2017 eine Partnerschaft mit kurdischen Behörden eingegangen. Der HPE-Führer Haider Sesho (Haidar Saso) wurde auf Befehl des ehemaligen kurdischen Präsidenten Masoud Barzani verhaftet und erst nach Zusage seiner Loyalität freigelassen. Quellen, die im April 2018 befragt wurden, identifizierten die HPE und die Sinjar Resistance Unit (YBŞ) als die beiden Sicherheitsakteure, die den größten Teil des Distrikts Sinjar kontrollieren. Die steht in einer losen Verbindung zur PMF-Organisation.

Die Ninewa Plains Guard Force (NPGF) sind die größte christliche Miliz mit Verbindungen zur autonomem Region Kurdistan und unterhalten ihren Sitz in Karakosch. Sie sind Teil der Zerevani und bereits seit 2004 in der Region etabliert. Die NPGF werden von der PDK unterstützt. Dwekh Nawsha ist eine weitere christliche Miliz, die der Assyrischen Patriotischen Partei zuzuordnen ist. Die Gruppe operiert hauptsächlich in der Nähe von Tel as Soqf nördlich von Mossul mit einer nur kleinen Anzahl von Kämpfern. Sie erhalten Waffen und Geldmittel von der PDK, sind aber nicht offiziell in die kurdischen Streitkräfte integriert.

An unabhängigen Milizen sind die Sinjar Protection Units (Yekîneyên Berxwedana Şengalê, YBŞ), eine jesidische Miliz mit Nähe zur PKK bzw. zur YPG zu erwähnen. Quellen, die im April 2018 befragt wurden, identifizierten die HPE und die YBŞ als die beiden Sicherheitsakteure, die den größten Teil des Distrikts Sinjar kontrollieren. Die YBŞ wird weithin als der PKK zugehörig angesehen. Jesidische Kämpfer sind überwiegend im Gebiet von Sinjar stationiert. Sie unterhalten Verbindungen hauptsächlich zur PDK, aber auch zu den PMF und zur PKK. Die Kurdische Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) ist auch selbst in Sinjar präsent. Am 18.11.2018 erklärte ein Sprecher der autonomen Region Kurdistan, dass die anhaltende Präsenz der PKK in Sinjar inakzeptabel sei.

Aufgrund der Anzahl und Verschiedenartigkeit der Milizen fehlt es den Gemeinschaften häufig an der Fähigkeit, festzustellen, ob bewaffnete Gruppen unter der Aufsicht einer legitimen Behörde handeln. Milizen und kriminelle Organisationen in Ninewa machen sich diese Mehrdeutigkeit zunutze und behaupten, „Hashd“ („Fake Hashd“) zu sein, um ihre Handlungen zu rechtfertigen. Es gibt auch Gruppen, die zunächst tatsächlich innerhalb des PMF-Rahmens tätig waren, von denen sich die PMF aber nach kriminellen Aktivitäten oder konfessioneller Gewalt distanzierten.

Obwohl der Islamischen Staat seit Ende 2017 kein Territorium im Irak kontrolliert, führt verbliebene Kämpfer des Islamischen Staates weiterhin asymmetrische Angriffe gegen irakische Sicherheitskräfte im Nord- und Nordzentralirak (Ninawa, Salah al-Din und Kirkuk) und im Zentralirak durch (Diyala, Anbar und Bagdad). Dem Institute for the Study of War zufolge übt der Islamische Staat in ländlichen Gegenden des Distriks Mosul einen erheblichen physischen und psychischen Druck auf die Bevölkerung aus. Der Islamische Staat kann aber in diesen Gegenden kein Gebiet faktisch beherrschen Es bestehen jedoch Anzeichen dafür, dass der Islamische Staat die Kontrolle durch die irakischen Sicherheitskräfte herausfordert, etwa die Aufgabe bevölkerungsreicher Dörfer, die Zerstörung landwirtschaftlicher Produkte und Infrastrukturen und wiederholte Überfälle und Morde, die auf die lokale soziale Hierarchie abzielen. Zivilisten in diesen Gebieten könne sich nicht auf angemessenen Schutz durch dich Sicherheitskräfte verlassen. Im Dezember 2018 schätzte der Experte Michael Knights, dass der Islamische Staat über Angriffszellen in mindestens 27 Gebieten des Irak verfügt, zu denen in Ninewa die die Städte Mossul, Qayyarah, Hatra und die Pipeline Irak-Türkei ebenso gehören, wie ein Korridor südwestlich von Mossul, Badush und Sindschar bis zur syrischen Grenze. Islamisten würden ihre Angriffe in der Nacht verüben, wichtige Teile des Landes wären nur für Teile des Tages wirklich befreit worden. Schätzungen der Jamestown Foundation vom Januar 2019 zufolge haben irakische Quellen geschätzt, dass sich in Mosul mindestens 300 Kämpfer des Islamischen Staates in Schlafzellen befinden und bereit sind, Aktionen durchzuführen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Quellen, die im April 2018 befragt wurden, stellten fest, dass der Islamische Staat keine Gebiete im Gouvernement Ninewa kontrolliert. Die Präsenz von Kämpfern beschränkte sich auf entlegeneren Gebieten nahe der irakisch-syrischen Grenze und die Region Badoush zwischen Mosul und Tel Afar. Schläferzellen wären in Mossul und den umliegenden Dörfern geortet. Angriffe werden in der Nacht in Form von terroristischen Anschlägen oder gezielten Morden durchgeführt.

Die nachstehende Grafik zeigt, dass die Anzahl der zivilen Opfer von Gewaltakten im Gouvernement Ninawa im Jahr 2018 gegenüber den Vorjahren signifikant gesunken ist, was auf die Beendigung der Kämpfe im Jahr 2017 zurückzuführen ist (Anmerkung: Die Datenbank Iraq Body Count kommt zu abweichenden Werten, siehe dazu die weitere Grafik).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Entwicklung der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Gouvernement Ninawa und Anzahl der Opfer nach der Datenbank Iraq Body Count, wobei die Darstellung jedwede Art von Gewaltanwendung (insbesondere Bombenanschläge, Selbstmordattentate, Attacken mit Schusswaffen und außergerichtliche Tötungen [„exekutions“]) umfasst.

Im Vergleich mit anderen Gouvernements war das Gouvernement Ninewa das Gouvernement mit der höchsten Gewaltintensität (getötete Zivilisten / 100.000 Einwohner) im Jahr 2017 und auch im Jahr 2018, obwohl die Zahl ziviler Opfer im Jahr 2018 auf 46,46 Opfer je 100.000 Einwohner gesunken ist. Im Jahr 2018 verzeichneten Iraq Body Count für das Gouvernement Ninewa 217 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 1.596 Todesopfern unter der Zivilbevölkerung, ein deutlicher Rückgang im Vergleich zu 2017, als 600 Vorfälle gemeldet wurden, die zu 9.211 Todesfällen unter der Zivilbevölkerung führten.

Die Bezirke mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen waren Mossul (einschließlich Hamdaniya und Tilkaif) mit 183 sicherheitsrelevanten Vorfällen, gefolgt von Sinjar mit 14 sicherheitsrelevanten Vorfällen, und Telafar mit 8 sicherheitsrelevanten Vorfällen.

Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Im Jahr 2018 führte der Islamische Staat weiterhin asymmetrische Angriffe gegen irakische Sicherheitskräfte im Norden und Norden durch -Zentralirak (Ninewa, Salah al-Din und Kirkuk) und in der Zentralregion (Diyala, Anbar und Bagdad). Dabei konzentrierte sich der Islamische Staat nach dem Verlust von Mosul auf ländlichen Gegenden im Gouvernement Ninewa. Im Jahr 2018 trat der Islamische Staat schwerpunktmäßig in Wüstengebieten südlich von Mossul in Erscheinung, wie Qayyarah, Hatra, Ash Shura, die südwestlichen Außenbezirke der Stadt Mossul (Atshana, Sahaji und Tall Zallat) und die Wüste zwischen der Autobahn Bagdad-Mosul und der Pipeline Irak-Türkei - dem sogenannten Jurn-Korridor (benannt nach zwei Dörfern in der Region). Obwohl die Aktivitäten insgesamt als gering eingestuft wurden, kam es in den ersten 10 Monaten des Jahres 2018 zu 37 Morden an lokalen Führern, darunter 17 Ortsvorstehern und einem Anführer der Tribal Resistance Force. In den ersten 10 Monaten des Jahres 2018 verzeichnete der Experte Michael Knights 17,1 Angriffe von Kämpfern des Islamischen Staates pro Monat in Ninewa, davon und 3 in Mossul. Seiner Einschätzung zufolge ist der Hauptgrund für den Rückgang der Angriffe die weitgehende Inaktivität des Islamischen Staates in der Stadt Mossul selbst. Während des Jahres fanden außerdem in der Stadt Tel Afar, dem zweiten historischen Zentrum des Islamischen Staates in Ninewa, keine wahrnehmbaren Aktivitäten von Aufständischen statt.

In Bezug auf die Aktivitäten des Islamischen Staates im Gouvernement Ninewa im Jahr 2018 gab des Experte Joel Wing an, dass es vor allem in der ersten Jahreshälfte regelmäßig Schießereien mit den Sicherheitskräften gegeben habe. Erst gegen Ende des Jahres habe der Islamische Staat auch Ortschaften angegriffen, etwa mittels Autobomben. Informationen der Vereinten Nationen zufolge hat der Islamische Staat im Oktober 2018 Ortsvorsteher in Ninewa gezielt und ermordet und sie beschuldigt, Informationen über den Islamischen Staat an die Behörden weitergegeben zu haben. Zwischen dem 1. Januar und dem 18. August 2018 wurden in Ninewa sieben Ortsvorstehern getötet und zwei weitere verletzt. Angriffe des Islamischen Staates richtete sich auch gegen Polizisten und PMF-Milizionäre. Improvisierte Sprengsätze und Schießereien stellten Hauptursachen für zivile Opfer in den Monaten August bis Oktober 2018 waren. In der letzten Hälfte des Jahres 2018 habe der Islamische Staat begonnen, im Süden des Gouvernement Ninewa schwerer bewaffnet Gruppen von Kämpfern einzusetzen, die vereinzelte Außenposten, Autobahnen und Dorfzugangsstraßen attackierten.

In seinem Bericht vom Juli 2018 erklärte der UN-Sicherheitsrat, dass die irakischen Sicherheitskräfte zwar weiterhin Kämpfer des Islamischen Staates in den Distrikten Tal Afar, Ba'aj und Sinjar neutralisieren würden, der Islamische Staat jedoch seine asymmetrischen Angriffe fortsetze. In Mossul und Umgebung wären mehrere Kämpfer des Islamischen Staates, auch weibliche, festgenommen oder getötet wurden. In zwei getrennten Operationen im August 2018 verhaftete die Polizei Personen, die im Verdacht standen, mit dem Islamischen Staat in Verbindung zu stehen. Am 13.08.2018 wurden fünf Frauen in Ostmossul und am 26.08.2018 weitere 41 Personen, darunter Frauen, in den Bezirken Badush und Qayyaraj in Mossul festgenommen. Eine Sprengstofffabrik des Islamischen Staates sei im Distrikt Sinjar entdeckt worden. Im Oktober 2018 wurden Sicherheitsoperationen gegen den Islamishcen Staat in Ninewa, Anbar, Diyala und Salah al-Din durchgeführt, dabei töteten am 14.11.2018 irakische Truppen über 20 Kämpfer des Islamischen Staates während einer militärischen Operation in Badush-Höhen in Ninewa. Weitere 14 Kämpfer wurden von Sicherheitskräften festgenommen.

Am 07.01.2018 wurde der Bürgermeister der Stadt al-Rashidiya in der Nähe seines Hauses in der Region al-Qubba nördlich von Mosul von nicht identifizierten bewaffneten Männern getötet. Am 29.01.2018 gaben die Behörden bekannt, dass 10 Kämpfer des Islamischen Staates getötet wurden, als sie versuchten, eine Region südlich von Mossul zu infiltrieren.

Im Februar 2018 wurden auch in West- und Süd-Ninewa aufständische Aktivitäten gemeldet. Nach Angaben des UN-Sicherheitsrates wurden Zivilisten von unbekannten bewaffneten Männern im Bezirk Mossul angegriffen: Am 21.02.2018 stoppten bewaffnete Männer im Osten Mosuls das Auto Ortsvorstehers und ermordeten ihn. Die Täter werden verdächtigt, mit dem Islamischen Staat in Verbindung zu stehen. Am 20.02.2018 wurde berichtet, dass in West-Mosul ein Sprengsatz innerhalb des Hauses einer Familie von Binnenvertriebenen detonierte, die gerade zurückgekehrt waren. Dabei wurden zwei Personen getötet. Am 25.02.2018 neutralisierten irakische Truppen 30 Kämpfer des Islamischen Staates, die sich in einer Höhle im Distrikt Al-Ba'aj westlich von Mosul versteckten Im Februar und März 2018 versuchte der Islamische Staat, Stammesführer aus dem Stamm der Jabour zu ermorden und zu entführen, da dieser Stamm dem Islamischen Staat feindlich gegenübersteht. Bei einem solchen Angriff am 12.03.2018 griffen Kämpfer des Islamischen Staates das Haus eines Stammesführers in der Nähe von Qayyara an und töteten ihn und sechs weitere Personen. Bei einem weiteren Vorfall am 05.03.2018 wurde berichtet, dass vier Polizisten in Mossul bei einem Zusammenstoß mit Kämpfer des Islamischen Staates getötet wurden.

Am 20.04.2018 wehrten irakische Truppen den Angriff einer Gruppe von Kämpfern des Islamischen Staates an der irakisch-syrischen Grenze nahe Rabei ab, dabei fielen 18 Kämpfer des Islamischen Staates. Am 28.04. 2018 wurde ein führendes Mitglied des Islamischen Staates nach einer Sicherheitsoperation im Osten von Mossul verhaftet. Im Vorfeld der Parlamentswahlen im Mai 2018 wurde Faruq Mohammed al-Zarzwr, ein Kandidat in Ninewa, von bewaffneten Männern in seinem Haus in der Stadt Qayyara getötet. Obwohl der Islamisch Staat die Verantwortung für den Angriff übernahm, bestätigte der Sprecher des Obersten Gerichtshofs, dass der Mord eine Straftat war und der Sohn des Opfers als Täter identifiziert wurde. Ende Mai 2018 berichtete Joel Wing über sechs Konfrontationen mit Aufständischen, die zu Schießereien führten. Am 09.06.2018 wurden zwei Polizisten bei einem bewaffneten Zusammenstoß mit Kämpfern des Islamischen Staates im Bezirk al-Hadar südlich von Mosul getötet. Joel Wing berichtete im Juli 2018, dass Kämpfer des Islamischen Staates entlang der syrischen Grenze aktiv waren. Am 30.08.2018 griffen Kämpfer des Islamischen Staates das Haus eines PMF-Kommandanten in der Stadt al-Shoura, südlich von Mosul, an und töteten ihn und sieben Mitglieder seiner Familie.

Am 15.08.2018 ermordeten Bewaffnete den Bürgermeister des Stadtteils Tall al-Rumman in Westmossul. Am 17.08.2018 ermordeten zwei maskierte Bewaffnete auf einem Motorrad den Bürgermeister des Stadtteils Yarmuk in Westmossul. Am 21.09.2018 töteten Kämpfer des Islamischen Staates einen Bürgermeister und einen Zivilisten in der Region Hatra. Bei einem weiteren bewaffneten Angriff am 23.09.2018 wurde ein Bürgermeister von Kämpfern des Islamischen Staates südlich von Mosul getötet. Am 23.10.2018 starben mindestens sechs Menschen (darunter zwei Soldaten) bei Autobombenexplosion in der Nähe eines Marktplatzes in der Stadt Qayyara, es gab dabei auch 30 Verletzte. Der Militärkommandant in Mossul beschuldigte den Islamischen Staat, den Angriff durchgeführt zu haben. Am 08.11.2018 tötete eine Autobombenexplosion in der Nähe eines beliebten Restaurants in der Abu Layla Straße in Mossul vier Zivilisten und verletzte zwölf weitere. Am 15.11.2018 wurden bei der Explosion eines improvisierten Sprengsatzes auf dem Weg nach Badush zwei Zivilisten und ein Polizist getötet, vier irakische Schüler starben bei einem Sprengstoffanschlag auf einen Schulbus in einem Bezirk südlich von Mosul am 22.11.2018, sieben weitere wurden verletzt. Im Dezember 2018 übernahm des Islamische Staat die Verantwortung für einen Autobombenanschlag in Tel Afar, bei dem zwei Menschen getötet und elf weitere verletzt wurden. Der Vorfall war der erste derartige Angriff seit der Befreiung der Stadt im August 2017.

Die irakischen Sicherheitskräfte sind war numerisch der bedeutendste Akteur im Gouvernement Ninawa. Schwächend wirkt sich indes aus, dass die irakischen Sicherheitskräfte nicht die Kontrolle über alle bewaffneten Akteure ausüben und konkurrierende Akteure versuchen, die Vorherrschaft in den von ihnen kontrollierten Bereichen zu behaupten. Derzeit wird die Stadt Mossul von der lokalen Polizei kontrolliert, die Außenbezirke von PMF-Milizen und lokale Milizen sowie der Rest des Gouvernements von der irakischen Armee. Die irakische Armee kontrolliert insbesondere die Gebiete des Südens, während die PMF-Milizen teilweise im Osten präsent sind. Die Präsenz von PMF-Milizen in Sinjar wirkt sich jesidischen Einheiten zufolge die Stabilität der Region negativ aus und verhindert den Wiederaufbau, die Entminung und die sichere Rückkehr der Jesiden in ihre Heimat. Es wird berichtet, dass es häufig zu Zusammenstößen zwischen PMF-Milizen und regulären Sicherheitskräften kommt, wie z.B. im Februar 2018, als es bei Stetigkeiten an einem Kontrollpunkt zwischen Kataeb Sayed al-Shuhada-Kämpfern und Soldaten des 8. Regiments der Armee im westlichen Mossul zu einem Schusswechsel zwischen den Einheiten kam und die Kataeb vier der Soldaten des Regiments kurzzeitig auf fragwürdigem Befehl festhielt. Quellen, die im April 2018 befragt wurden, wiesen darauf hin, dass sicherheitsrelevante Vorfälle in Mossul hauptsächlich auf organisierte kriminelle Aktivitäten zurückzuführen sind. Die kriminellen Gruppen bestehen dabei oft aus ehemaligen Mitgliedern von Milizen. In einigen Fällen sei es so, dass Mitglieder der PMF-Milizen tagsüber Sicherheitsakteure und nachts Kriminelle sein können.

Den irakischen Streitkräften und PMF-Milizen wird vorgeworfen, ihre Macht zu nutzen, um durch illegale Aktivitäten Einnahmen zu erzielen, was wiederum ihre Kampfkraft schwächt und Unsicherheit in der lokalen Gemeinschaft schafft. In einem Bericht vom Juli 2018 stellte die International Crisis Group fest, dass die Anwohner behaupteten, dass die in Mossul tätigen PMF-Milizen illegale durch Erpressung oder Plünderung erzielen würden. Die PMF-Milizen würden ihre Befugnis daraus ableiten, dass ihre Kämpfer im Kampf gegen den Islamischen Staat getötet wurden und damit die Kontrolle über territoriale und staatliche Institutionen übernehmen. Unter der Bezeichnung „Fake Hashd“ werden alle Arten von Akteuren zusammengefasst, die die grundsätzliche Popularität der PMF ausnutzen und alle Arten von Systemen oder Situationen schaffen, um Geld zu verdienen, wie z.B. die Einrichtung von irregulären Kontrollpunkten zur Generierung von Bestechungsgeldern oder andere Arten von kriminellen Aktivitäten. Manchmal schließen sich Menschen einer Gruppe an, weil sie glauben, dass es sich um eine PMF-Miliz handelt, nur um später herauszufinden, dass sie sich einer kriminellen Gruppierung angeschlossen haben. Die Jamestown Foundation erklärte in einer Analyse vom Januar 2019, dass es keine wirklichen Anstrengungen gegeben habe, um die Ursachen anzugehen, die zum Aufstieg des Islamischen Staates führten.

Vertreibung und Rückkehr

Die Anzahl der vertriebenen Personen betrug im Dezember 2018 noch 1.073.994 Personen, von denen 539.436 Personen innerhalb des Gouvernements an einem anderen Ort lebten. Laut IOM ist das Gouvernements Ninawa mit 1.614.150 Rückkehrern jedoch auch das Gouvernements mit den meisten Rückkehrern.

HRW stellte im Jahresbericht 2018 fest, dass Familien mit wahrgenommenen Verbindungen zum Islamischen Staat in einigen Gebieten von Ninewa an der Rückkehr gehindert wurden. UNHCR berichtete außerdem, dass Stammesführer, Sicherheitsakteure und die örtliche Bevölkerung sich der Rückkehr von Familien mit wahrgenommenen Verbindungen zum Islamischen Staat widersetzen würden. 175 Familien, die aus dem Dorf Al Abour im Distrikt Mossul vertrieben wurden, durften einem Bericht zufolge im November 2018 nicht zurückkehren durften, bis sie Verwandte mit wahrgenommenen Verbindungen zu Extremisten verstoßen haben oder diese vom Bundesgericht in Bagdad und der örtlichen Polizei freigesprochen wurden. UNHCR berichtete auch von mehreren Fällen der abgelehnten Rückkehr von Familien, die der Mitgliedschaft beim islamischen Staat beschuldigt wurden, in Tal Afar, Ba'aj, Mosul, Haj Ali-Lager und Qayara. Anfang September 2018 haben Sicherheitskräfte mindestens 22 weiblich geführte Haushalte und Familien aus Dörfern bei Mossul aufgrund ihrer angeblichen Zugehörigkeit zum Islamischen Staat zwangsweise in Lager umgesiedelt.

Die höchste Anzahl von Rückkehrern entfällt auf den Distrikt Mosul, gefolgt von den Distrikt Tal Afar und Al-Hamdaniya. Mossul hat mit 955.140 zurückgelehrten Personen mit Abstand die meisten Rückkehrer. Die meisten Rückkehrer kehren von anderen Orten innerhalb des Gouvernements zurück, gefolgt von Rückkehrer aus den Gouvernements Erbil und Dohuk. Die Rückkehr aus dem de facto von der autonomen Region Kurdistan verwalteten Distrikte Sheikhan und Akre wird als Intra-Gouvernement gezählt. Berichten zufolge gab es nur sehr wenige Rückkehr nach Baaj, wo die Badr-Miliz die Kontrolle hat. Diejenigen, die nicht nach Mossul und Tal Afar zurückkehren können, begründen dies hauptsächlich mit der Zerstörung ihrer Wohnung bzw. ihres Hauses.

Nur sehr wenige jesidische Vertriebene sind nach Sinjar zurückgekehrt, was in erster Linie auf die instabile Sicherheitslage, die Präsenz verschiedener Sicherheitsakteure in der Region und die Wahrnehmung von Unsicherheit zurückzuführen ist. Darüber hinaus soll die autonome Region Kurdistan die Rückkehr von jesidischen Binnenvertriebenen, die in autonomen Region Kurdistan leben, nach Sinjar behindern, angeblich durch Anreize wie auch durch Ausübung von Druck.

Einem Bericht von IOM vom September 2018 zufolge kehrten 238.401 Familien im Gouvernement Ninawa zurück. IOM definierte vier Kategorien („category of severity“) im Hinblick auf die nach der Rückkehr vorgefundenen Bedingungen, nämlich very high, High, medium und Low. Die Mehrheit der zurückkehrenden Familien in Ninewa (54 %) fand mittelschwere Bedingungen („medium severity“) vor, gefolgt von 29 %, deren Rückkehr in die Kategorie „low severity“ eingestuft wurde. Nur 15 % der Rückkehrfamilien wären mit „high severity“ bei der Rückkehr mit hohen Schweregraden konfrontiert, gefolgt von kleinen Segment von 2%, das bei der Rückkehr mit sehr hohen Schwierigkeiten konfrontiert sei („very high severity“). Hohen Schwierigkeiten wurden in Sinjar, Westmossul, das Tel Afar, Ba'aj und der Wüstenstreifen von Al-Tal, Hatra und Muhalabiya in Ninawa festgestellt. IOM zufolge ist Sinjar der Bezirk, in dem die Binnenvertriebenen am wenigsten bereit sind, innerhalb des folgenden Jahres zurückzukehren. Die Rückkehr nach Sinjar wird auch durch die schweren Zerstörungen in der Region und den Mangel an Infrastruktur und Dienstleistungen für die Bevölkerung behindert. IOM sieht Sinjar als eines der Gebiete an, in das es am schwierigsten ist, im Irak zurückzukehren.

UNOCHA geht in einer Einschätzung vom November 2018 davon aus, dass in Ninewa 2.168.222 Menschen in einer Notlage sind. Die Gegend um Sinjar gilt dabei als solche, die die größten Zerstörungen aufweist: Bewässerungsbrunnen wurden oft mit Schutt, Öl oder anderen Fremdkörpern sabotiert, und Pumpen, Kabel, Generatoren und Transformatoren gestohlen oder zerstört. Der Islamische Staat setzte Obstgärten in Brand oder holzte sie ab und zerstörte Stromleitungen. Obwohl der Irak 2018 einen Wiederaufbauplan verabschiedete, sei es der Regierung nicht gelungen ist, das volle Ausmaß der Zerstörung landwirtschaftlicher Lebensgrundlagen sinnvoll anzugehen oder Pläne zur Unterstützung der Landwirte beim Wiederaufbau des zerbrochenen Landes im Irak und der damit verbundenen Lebensgrundlagen umzusetzen. Sauberes Wasser bleibt ebenfalls ein großes Anliegen der Bevölkerung in Rückkehrgebieten. Der Zerstörungsgrad ist in Westmossul ebenfalls hoch, aber auch andere Gebiete im Gouvernement erlitten schwere Schäden, wie die Städte Karakosch, Zummar, Rabia, Tal Afar und Qayara. Ba'aj soll die Stadt mit dem höchsten Zerstörungsgrad im gesamten Irak sein. Nicht nur Wohngebäude wurden beschädigt, sondern auch die Infrastruktur. So wurden in der Stadt Ba'aj das einzige Krankenhaus und alle primären Gesundheitszentren durch den Konflikt zerstört oder beschädigt. Vor der Krise verfügte die Stadt über ein funktionierendes Krankenhaus und elf Zentren für die medizinische Grundversorgung. In Westmossul unterstützte die WHO die Verlegung von zwei Feldkrankenhäusern aus anderen Städten. Drei Gesundheitseinrichtungen in Westmossul werden zerstört, 23 teilweise beschädigt.

Die Rückkehr der Binnenvertriebenen nach Mossul findet statt, aber der westliche Teil ist immer noch vollständig zerstört und fast niemand kehrt in diesen Teil der Stadt zurück. Durch die Zerstörung fehlt es an Wohnungen. Darüber hinaus befinden sich noch viele Leichen in den Ruinen und der Aufräumprozess wurde mehrmals wegen der Gefahr von Krankheiten gestoppt. Der UN-Sicherheitsrat stellte im Juli 2018 fest, dass seit Anfang 2018 rund 18.000 Sprengkörper in Mossul und Falludscha geräumt wurden. Im Stadtteil Chatuniyah entdeckten die Behörden mehrere Waffen- und Munitionsherstellungsanlagen des Islamischen Staates. Durch nicht geräumte Kampfmittel kommt es häufig zu Unfällen und einige Bereiche der Stadt blieben noch unzugänglich.

Sicherheit von Verkehrswegen

Reisen auf der Straße von Mossul nach Sinjar sind schwierig, da es etwa 30 Kontrollpunkte gibt, die jeweils von verschiedenen Gruppen besetzt sind und das Ausmaß der Kontrolle und Unvorhersehbarkeit von Gruppe zu Gruppe variiert. Im Juni 2018 neutralisierten irakische Truppen 17 Kämpfer des Islamischen Staates, als dies einen gefälschten Kontrollpunkt auf der Straße zwischen Hatra und Mossul einrichteten, um Zivilisten zu entführen. Im August 2018 forderte der Premierminister die Armee auf, für eine bessere Straßensicherheit auf der Straße Shingal-Talasqaf-Batnaya-Mossul zu sorgen, die die jesidische Stadt Shingal mit Mossul verbindet. Im Dezember 2018 beschloss die irakische Regierung, alle Zollkontrollpunkte auf innerprovinziellen Straßen zu entfernen, aber die Maßnahme wurde nicht vollständig umgesetzt. Auf der Straße, die Dohuk mit Mossul verbindet, sollen mehrere Kontrollpunkte der Regierung und von Milizen besetzt sein, die den Handel behindern. Anderweitige Einschränkungen sind nicht feststellbar.

1.10. Zur gegenwärtigen Lage in Mossul werden darüber hinaus folgende Feststellungen getroffen:

Sicherheitslage:

Seit Februar 2018 ist das Gouvernement Ninewa in drei Einflusssphären geteilt. Die Stadt Mossul wird von der lokalen Polizei kontrolliert. Die Vororte Mossuls werden von verschiedenen PMF-Milizen kontrolliert; es handelt sich sowohl um schiitische als auch um lokale Milizen. Der Rest des Gouvernements wird von der irakischen Armee kontrolliert.

Um die Stadt Mossul sind Einheiten der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq, der Kata’ib Sayyid Al-Schuhada und der dem schiitischen Geistlichen Ali Al-Sistani loyalen Sarayat al-Ataba al-Abbasiya nachgewiesen. Medienberichten zufolge wurde im Jahr 2018 ein Polizist von Einheiten der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq getötet, als dieser versuchte, in einen Streit zwischen dieser Miliz und Zivilisten einzugreifen. Am 14.04.19 kam es in Mosul zu Zusammenstößen zwischen der irakischen Polizei und PMF-Milizen, als die Polizei die Milizionäre daran hinderte, ihren Kontrollpunkt zu überschreiten, da sie keine Aufgaben in der Gegend zu erfüllen hätten.

Auch in der Stadt Mossul werden Schläferzellen des Islamischen Staates vermutet. Die Aktivitäten des Islamischen Staates bewegen sich allerdings auf einem geringen Niveau. Aufgrund der Präsenz der Sicherheitskräfte ist es für Schläferzellen schwierig, Angriffe durchzuführen, wobei die Bewegungsfreiheit von Schläfern im (zerstörten) westlichen Teils der Stadt Mossul höher sein dürfte. Sicherheitskräfte fahnden nach Schläferzellen und zerschlagen diese, sie entdecken in der Stadt Mossul auch immer noch Tunnels und Verstecke des Islamischen Staates. Einem Bericht vom 07.01.2019 zufolge wurden drei Kämpfer des Islamischen Staates in Mossul festgenommen. Beamte der Stadtregierung kritisieren Insuffizienzen bei solchen Operationen aufgrund langer Entscheidungswege. Die Stationierung zahlreicher Sicherheitskräfte in der Stadt Mossul hat jedoch insgesamt zu einer deutlichen Verbesserung der Sicherheitslage geführt. Eine Quelle betont, dass die derzeitigen sicherheitsrelevanten Vorfälle zumeist willkürlich sind und auf organisierte kriminelle Aktivitäten zurückzuführen seien. Die kriminellen Gruppen bestehen aus aktiven und ehemaligen Mitgliedern bewaffneter Gruppen. Kämpfer der PMF stehen mitunter unter Verdacht, tagsüber als Sicherheitsakteure aufzutreten und bei Nacht kriminellen Aktivitäten wie Entführungen oder Erpressungen nachzugehen.

Am 08.11.2018 starben bei der Autobombenexplosion im Zentrum von Mossul seit der Befreiung von den Milizen des Islamischen Staates drei Menschen, zwölf wurden verletzt. Die Explosion traf ein beliebtes Restaurant in Mossul. Bereits am 25.10.2018 explodierte eine Autobombe in der Nähe eines Marktes im Süden Mossuls und forderte fünf Todesopfer. Am 17.02.19 sprengten Sicherheitskräfte eine Autobombe in Mossul. Eine weitere Autobombe detonierte am 28.02.2019 in der Nähe der Universität in Mosul. Am 26.04.19 töteten irakische Sicherheitskräfte in Mosul einen mutmaßlichen Selbstmordattentäter.

Während der dreijährigen Besetzung der Stadt verminte der Islamische Staat große Teile Mossuls und platzierte dort Sprengfallen. Während der Kampfhandlungen zur Befreiung der Stadt wurde diese mit Minen, Streumunition, Blindgängern von Artilleriegeschossen und Handgranaten kontaminiert. Im Westen der Stadt, wo die Kämpfe besonders heftig waren, gibt es Schuttfelder, die mit Sprengkörpern übersät sind, und die einen hohen technischen Aufwand zur Beseitigung und Räumung erfordern. Am 30.10.2018 wurde bei einer Bombenexplosion in der Al Nuri-Moschee in West-Mossul ein Kind getötet, zwei weitere wurden verletzt. Eine lokale Quelle berichtet, dass die explodierte Bombe unter den Trümmern versteckt war und von den spielenden Kindern entdeckt wurde. Die verletzten Kinder wurden zur Behandlung in Krankenhäuser gebracht.

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Ninewa 40 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 33 Toten und 25 Verletzten verzeichnet, im Februar 2020 waren es zwölf Vorfälle mit 35 Toten und 15 Verletzten. Die meisten der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Ninewa ereigneten sich im Süden des Gouvernements.

Sozioökonomische Lage:

Bevor der Islamische Staat die Stadt Mossul eroberte, hatte Mossul ca. 1,8 Millionen Einwohner. Im Frühling 2018 betrug die Einwohnerzahl etwa eine Million Menschen. Bei den Kampfhandlungen zur Befreiung Mossuls von den Milizen des Islamischen Staates wurde ein Großteil der Stadtviertel westlich des XXXX zerstört und liegt auch heute noch in Trümmern. Die Stadtviertel östlich des XXXX sind demgegenüber nur in einem geringen Ausmaß von Zerstörungen betroffen. Während sich die Altstadt als staubbraune Ödlandschaft voller Ruinen präsentiere, würden andernorts Wagen Granatäpfel und Wassermelonen anbieten, Friseurläden eröffnen, Cafeterien, gebratene Hühner anbieten und kleine Geschäfte Werkzeuge und Öl verkaufen. Auch wenn es dem Wiederaufbauprozess an Unterstützung und Finanzierung mangelt, hat sich der Ostteil der Stadt Mossul revitalisiert. Dies hat dazu geführt, dass sich auch eine Reihe von Binnenflüchtlingen, die ursprünglich nicht von dort stammten, auf der Suche nach einer Lebensgrundlage in Mossul dort niedergelassen haben.

Die New York Times in einem ausführlichen Artikel vom 29.05.2018 über den Weg von Mossul zurück zur Normalität und beschreibt, wie ein Jahr nach der Vertreibung des Islamischen Staates das Leben in vielen Teilen der Stadt zurückkehrt und das Gefühl der Sicherheit wieder spürbar wird. Neue Geschäfte sind geöffnet und die Menschen halten zum ersten Mal seit Jahren bis spät Abends im öffentlichen Raum auf. Man gewinne den Eindruck, dass Mossul endlich von kriminellen Banden und radikalen Islamisten befreit worden sei. Auch die wieder geöffnete Universität bringt Leben und Energie in die vom Krieg verwüstete Stadt zurück. Einige der ersten Studenten, die seit der Niederlage von Islamischen Staates ihren Abschluss gemacht hätten, hätten zu boomender irakischer Popmusik in einer Empfangshalle im Osten Mossuls gefeiert. In Form von riesigen „I love you“-Ballons sei auch der diesjährige Valentinstag gefeiert worden. Am Ufer des XXXX habe ein Vergnügungspark eröffnet.

Trotz der Anzeichen für ein Wiederaufleben einer Stadt wären die Erinnerungen an den Krieg vor allem in der Altstadt nach wie vor sichtbar. Zivile Fahrzeuge, die in der gesamten Altstadt zerstört und verlassen wurden, würden langsam eingesammelt und als ruhiges, rostiges Symbol für die schrecklichen Kämpfe diene. Mossul zeige sich laut New York Times als Stadt voller Widersprüche.

Die New York Times berichtet weiters in einem Artikel vom 06.05.2018, dass die Verwaltung von Mossul nicht über das erforderliche Personal verfüge, um sich auf Räumungsarbeiten und die Beseitigung von Blindgängern zu konzentrieren. Dafür werden auch Müllmänner eingesetzt – eine Aufgabe für die sie nicht ausgebildet wären. Der Artikel berichtet außerdem über das wachsende Müllproblem der Stadt als eine der größten Herausforderungen der Stadtverwaltung. Mit der Rückkehr der Bewohner häufe sich der Abfall. Müllwägen habe der Islamische Staat zu Autobomben umfunktioniert und diese wären durch Luftangriffe oder von Kämpfern des Islamischen Staates gesprengt worden. Vielerorts habe nun die Rückkehr der Bewohner zum Entstehen informeller Müllhalden geführt. Trotz der Probleme hätte sich der Alltag in Mossul laut New York Times in vielerlei Hinsicht wieder normalisiert, was angesichts des Ausmaßes der Zerstörungen der letzten Jahre bemerkenswert sei.

Schon im Sommer 2017 führte die NGO REACH eine Untersuchung durch, um die Situation der Märkte, der Infrastruktur, der Sicherheit und der Lieferanten in West-Mossul besser verstehen und einen Überblick über Preis und Verfügbarkeit der wichtigsten Güter für den täglichen Bedarf geben zu können. Die Ergebnisse zeigen, dass sich Unternehmer durch infrastrukturelle Probleme insbesondere hinsichtlich der Verfügbarkeit von Elektrizität und Wasser stärker betroffen gefühlt haben als durch mangelnde Sicherheit. Gleichzeitig zeigt die Untersuchung, dass die befragten Einzelhändler und Großhändler sehr optimistisch sind, das Angebot bei Bedarf und Marktnachfrage verdoppeln zu können. Insgesamt wurde festgestellt, dass die untersuchten Warengruppen weit verbreitet sind und auf den einzelnen Marktplätzen nur begrenzte Engpässe festzustellen sind.

Bereits vor den Kämpfen herrschte in Mossul Wohnungsmangel. Dieser wurde nun verschärft, weil Häuser durch Plünderungen, Brände oder Kampfeinwirkung zerstört oder beschädigt wurden. Während seiner Herrschaft beschlagnahmte und verkaufte der Islamische Staat Immobilien, was zu Eigentumskonflikten führte. Das von der Regierung kürzlich eingeführte Entschädigungsverfahren für diejenigen, deren Häuser im Kampf zerstört wurden, ist kompliziert und durch Vetternwirtschaft und Korruption beeinträchtigt. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) plane, von 2019 an insgesamt 10.000 Häuser im Westen Mosuls zu sanieren. Das Programm ist jedoch nur für Häuser vorgesehen, die weniger als zu 60 Prozent beschädigt sind. Der Wohnungsmangel hat Berichten zufolge die Mietpreise in die Höhe getrieben, wodurch die Wohnungen für diejenigen, die gerade versuchen würden, ihre Arbeit wiederaufzunehmen, unerschwinglich wären. Der Ärger der Bevölkerung über unzureichenden Wohnraum würden den Ärger über den Zustand der Wasser- und Stromversorgung und die schwache lokale Regierung noch übersteigen.

Während der Kämpfe wurden neun von dreizehn öffentlichen Krankenhäusern in Mossul beschädigt, was die Kapazitäten des Gesundheitswesens und die Zahl der Krankenhausbetten um 70% senkte. Der Wiederaufbau der Gesundheitseinrichtungen verläuft äußerst schleppend und es gibt immer noch weniger als 1.000 Krankenhausbetten für eine Bevölkerung von 1,8 Millionen Menschen. Dies ist die Hälfte des international anerkannten Mindeststandards für die Erbringung von Gesundheitsleistungen. Die gefährlichen Lebensbedingungen in Mossul – schlechte Hygiene aufgrund von Wasser- und Strommangel, beschädigte Gebäude und das Vorhandensein von improvisierten Sprengsätzen und Sprengfallen – stellen ebenfalls ein Risiko für die Gesundheit der Menschen dar und erhöhen den Bedarf an Gesundheitseinrichtungen. Ein USAID/OFDA-Partner hat den Zugang der Bevölkerung in Mossul und Umgebung zu sauberem Trinkwasser verbessert. Zwischen April 2017 und Mai 2018 wurde die Wasserversorgungsinfrastruktur repariert, von der fast 12.900 Haushalte oder rund 77.300 Menschen profitierten. Mittels Wassertransporten wurden weitere 2.000 Haushalte und somit rund 12.000 Menschen mit sauberem Trinkwasser versorgt. Während der abschließenden Bewertung des Projekts gaben etwa 95 Prozent der befragten Haushalte an, aufgrund der Verbesserung der Wasserversorgungssysteme täglich Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, und die Mehrheit der Befragten - 84 bzw. 74 Prozent - berichteten von einer verbesserten Wasserqualität und einer Verringerung der Fälle von akutem Durchfall in den Haushalten. Die Versorgung mit fließendem Wasser (insbesondere in der Altstadt) und Strom weist trotz dieser wesentlichen Verbesserungen in den vergangenen Monaten nach wie vor Lücken auf. Ein großes Problem stellt auch die Müllentsorgung dar.

Die Bewohner Mossuls leiden unter einem Mangel an Arbeitsplätzen und unzureichender Unterstützung für den Wiederaufbau zerstörter Wohnungen und Dienstleistungen, trotz einer gut finanzierten internationalen humanitären Hilfe. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch. Diese Schwierigkeiten haben dazu beigetragen, dass die Zahl der Rückkehrer geringer geworden ist, was die Wiederbelebung der Stadt beeinträchtigt und ein Faktor für die anhaltende Unsicherheit ist. Einige öffentliche Dienste haben ihre Arbeit wiederaufgenommen, darunter auch einige Schulen. Die Internationale Organisation für Migration berichtete, dass zum Stichtag 15.12.2018 1.614.150 Vertriebene im Gouvernement Ninawa zurückgekehrt sind, davon 955.140 nach Mossul.

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) stellt Stabilisierungsprogramme zur Verfügung, die unabhängig von Maßnahmen der Regierung verwaltet werden und die sich auf Ernährungssicherheit, Gesundheit, Unterkünfte und andere Sektoren konzentrieren. Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), Unicef, die Internationale Organisation für Migration (IOM) und das Welternährungsprogramm gehören zu den größten der 18 an der Mossul-Mission beteiligten Organisationen, ebenso wie 79 internationale NGOs und 54 nationale NGOs, die in Koordinierungsmechanismen vertreten sind. Im Jahr 2018 berichteten humanitäre Organisationen, dass sie allein in Mossul über 500.000 Menschen erreichten. Die überwiegende Mehrheit der Wiederaufbauprojekte von Regierungsorganisationen und NGO zielt auf die Altstadt von Mosul ab und konzentriert sich auf die Straßenreinigung, den Wiederaufbau von Schulen und grundlegender Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung. Auch die Leistungen des Public Distribution Systems (PDS) werden in Mossul wieder angeboten.

Im Januar 2019 beschuldigt ein Parlamentsabgeordneter der Provinz Ninawa die Einheiten der PMF, täglich hunderte Fässer Öl zu stehlen. Milizen der PMF sollen außerdem den Schritthandel in Mossul kontrollieren und auf die Vergabe von Land, den Zugang zu Internetdienstleistungen und lokale Märkte Einfluss nehmen.

1.11. Zur aktuellen Lage im Staat Irak werden schließlich folgende (allgemeinen) Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1. Aktuelle Ereignisse

13.01.2020: Am 10.01.20 fanden in Bagdad und anderen Städten im Südirak große Kundgebungen anlässlich des 100. Protesttages statt. Am 10.01.20 wurden der Journalist Ahmed Abdul Samad und sein Kameramann Safaa Ghali von Unbekannten in Basra erschossen. Samad hatte zuvor von den Protesten berichtet. Reporter ohne Grenzen zufolge wurden seit Beginn der Proteste sechs Journalisten von Unbekannten getötet (vgl. BN v. 02.12.19). 4

Lokale Medien berichteten, dass 166 Aktivisten zwischen dem 01.10.19 und dem 28.12.19 entführt oder verschwunden seien. Die Irakische Hohe Menschenrechtskommission (IHCHR) geht von 68 entführten oder verschwundenen Personen aus und dokumentierte 33 gezielte Tötungsversuche, wobei 14 Personen ums Leben kamen.

Am 27.12.19 kam es zu einem Raketenangriff – mutmaßlich durch die proiranische irakische Miliz Kata’eb Hizbollah (KH) – auf eine irakische Militärbasis, dabei wurden ein amerikanischer Auftragnehmer getötet und vier amerikanische und zwei irakische Soldaten verletzt. Bereits zuvor war es vermehrt zu Angriffen auf amerikanische Truppen und Ziele im Irak gekommen (vgl. BN v. 16.12.19). Am 29.12.19 führten die USA Vergeltungsschläge auf drei Einrichtungen der KH durch, dabei sollen mehrere KH-Kämpfer verletzt und getötet worden sein. Am 31.12.19 demonstrierten KH-Unterstützer und Anhänger der Volksmobilisierungsfront vor der amerikanischen Botschaft innerhalb der hochgesicherten Green Zone im Zentrum von Bagdad. Demonstranten stürmten dabei den Eingangsbereich der Botschaft und setzten diesen in Brand. Unklar ist, wie diese die Sicherheitskontrollen zur Green Zone passieren konnten.

Am 03.01.20 führten die USA einen Drohnenangriff durch, bei dem u.a. der iranische General Qassem Soleimani (Kommandeur der Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarde) und Abu Mahdi al-Muhandis (stellvertretender Anführer der irakischen Volksmobilisierungsfront) in der Nähe des internationalen Flughafens von Bagdad getötet wurden. Der Iran führte am 08.01.20 einen Vergeltungsschlag auf zwei irakische Militärbasen in der Provinz Anbar und in Erbil durch, dabei kam es zu materiellen Schäden. Es kommt seither immer wieder zu Raketenangriffen auf irakische Militärbasen, die amerikanische Truppen beherbergen, mutmaßlich durch proiranische irakische Milizen. Zuletzt wurden am 12.01.20 bei einem Angriff auf eine Militärbasis in Salah ad-Din vier irakische Soldaten verletzt; amerikanische Truppen befanden sich zu dem Zeitpunkt des Angriffs nicht in der Basis.

Die regierungskritischen Proteste halten seit dem 25.10.19 in weiten Teilen des Irak an. Die aktuelle Regierung steht nicht nur wegen Korruption und Misswirtschaft, sondern auch wegen der iranischen Einflussnahme auf die Innenpolitik in der Kritik. Seit den Wahlen 2018 sind Vertreter proiranischer Milizen in Form der Fatah-Allianz im Parlament vertreten. Seit Beginn der Proteste wurden u.a. General Qassem Soleimani und Abu Mahdi al-Muhandis öffentlich kritisiert. Soleimani war in den letzten Monaten mehrmals nach Bagdad gereist und soll maßgeblich hinter der gewaltsamen Antwort der Regierung auf die Proteste stehen (vgl. BN v. 02.12.19).

20.01.2020: Regierungskritische Demonstranten in Nasriyah stellten der irakischen Regierung ein Ultimatum, um bis zum 19.01.20 einen neuen Premierminister zu benennen. Mangels Reaktion seitens der Regierung, die nur noch geschäftsführend im Amt ist, blockierten Demonstranten Hauptverkehrsstraßen, die Bagdad mit den südlichen Provinzen verbinden. Seit dem 01.10.19 wurden lokalen Berichten zufolge mehr als 669 Personen getötet und über 25.000 bei den Protesten verletzt. Es kommt immer wieder zu gezielten Angriffen, Tötungen und Entführungen von Aktivisten. Am 18.01.20 entging die durch das Anführen von Demonstrationen bekannt gewordene Aktivistin Nahawand Turki in Nasriyah (Dhi Qar) einem Tötungsversuch.

Am 15.01.20 kamen bei einem türkischen Luftangriff auf ein Militärfahrzeug der jesidischen Miliz YBŞ (Wiederstandseinheiten Shingal) in Sinune (Sinjar) mindestens vier Kämpfer ums Leben. Kurdischen Medien zufolge sollen ein jesidischer Kommandant der YBŞ, Zardasht Shingali, und vier weitere Kämpfer bei dem Angriff getötet worden sein. Ein Zivilist sei verwundet worden. Die jesidische Miliz, YBŞ, wurde 2014 im Kampf gegen den IS gegründet und steht Berichten zufolge den kurdischen Gruppen YPG und PKK nahe. Die türkische Luftwaffe führt immer wieder Luftangriffe auf die Region Sinjar durch (vgl. BN v. 11.11.19).

27.01.2020: Am 20.01.20 berechtigte der Nationale Sicherheitsrat die irakischen Sicherheitskräfte, Personen, die Straßen und Kreisverkehre außerhalb der genehmigten Protestorte blockieren, zu verhaften. Sicherheitsquellen zufolge wurden daraufhin in Bagdad mindestens neun Personen verhaftet. Zwischen dem 20.01.20 und dem 22.01.20 kam es zu Übergriffen auf regierungskritische Demonstranten seitens der Sicherheitskräfte u.a. in Bagdad, Kerbala, Baaquba (Diyala) und Basra. Der Irakischen Kommission für Menschenrechte zufolge wurden zwölf Demonstranten getötet und 230 weitere Personen verletzt.

Am 24.01.20 protestierten Tausende Anhänger des schiitischen Geistlichen Moqtada Sadr gegen die US-amerikanische militärische Präsenz im Irak. Da der Marsch von den seit dem 01.01.19 protestierenden, regierungskritischen Demonstranten großteils nicht unterstützt wurde, zog Sadr seine Unterstützung für diese Proteste zurück und forderte seine Anhänger auf, die Protestlager in Bagdad und anderen Städten zu verlassen. Seit dem 25.01.20 gingen Sicherheitskräfte unter Einsatz von scharfer Munition und Tränengasgranaten gegen regierungskritische Demonstranten vor. In Bagdad, Basra, Nasriyah und anderen Städten brannten Sicherheitskräfte und unbekannte Dritte Protestzelte nieder, u.a. auch solche, in denen medizinische Versorgung geleistet wurde. Bei den Übergriffen kamen mindestens vier Demonstranten ums Leben; Dutzende weitere wurden verletzt. Derzeit werden die zerstörten Zeltlager von den Demonstranten wiederaufgebaut.

Medienberichten zufolge sind am 27.01.20 fünf Raketen in der hochgesichterten „Grünen Zone“ in Bagdad, in der sich auch die US-Botschaft befindet, niedergegangen. Die Botschaft sei direkt getroffen und drei Personen seien verletzt worden. Der letzte Raketenangriff ereignete sich am 20.01.20.

Am 16.01.20 warnte die Koordinatorin der UN-Mission im Irak, Marta Ruedes, vor der landesweiten Aussetzung humanitärerer Hilfsaktionen. Jeden Monat erhielten humanitäre Akteure eine Genehmigung der Behörden, welche ihnen u.a. ermöglicht, Checkpoints zu passieren. Die Genehmigungen für die Mehrheit der internationalen humanitären Akteure seien im Januar 2020 ausgelaufen und nicht erneuert worden. Bereits im November 2019 berichtete das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), dass die im Rahmen der regierungskritischen Proteste verhängten Ausgangssperren und die Abschaltung des Internets Hilfseinsätze verzögert oder behindert hatten. Seit Anfang Dezember 2019 seien bereits 2.460 Hilfseinsätze abgesagt worden; rund 2,4 Millionen Menschen seien von den Ausfällen betroffen. 6,7 Millionen Menschen seien derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen.

03.02.2020: Nachdem Präsident Braham Salah dem Parlament ein Ultimatum gesetzt hatte, um einen neuen Premierminister zu nominieren, wurde am 01.02.20 Mohammad Tawfiq Allawi benannt. Allawi war bereits Kommunikationsminister unter Nouri al-Maliki. Er hat nun einen Monat Zeit, eine neue Regierung zu bilden.

Kurz nach seiner Ernennung kam es in Bagdad und anderen Teilen des Iraks zu regierungskritischen Protesten. Gleichzeitig erklärte Moqtada Sadr, Vorsitzender des größten politischen Blocks im Parlament, seine Unterstützung für Allawi und wies seine Anhänger, die als Blaue Mützen bekannt sind, an, die Sicherheitskräfte bei der Einhaltung der öffentlichen Ordnung zu unterstützen. Die Blauen Mützen hatten sich bis zum 24.01.20 unter die regierungskritischen Demonstranten gemischt, um eine Art Schutzmacht zwischen ihnen und den irakischen Sicherheitskräften zu bilden. Nachdem Sadr offiziell seine Unterstützung für die Proteste zurückzog, verließen die Blauen Mützen die Protestlager, welche wenig später von Sicherheitskräften angegriffen wurden (vgl. BN v. 27.01.20).

Am 01.02.20 übernahmen die Blauen Mützen die Kontrolle über das türkische Restaurant, ein leerstehendes mehrstöckiges Gebäude im Zentrum von Bagdad, das zum Wahrzeichen der regierungskritischen Proteste geworden ist. Trotz des Aufrufes Sadrs, die Proteste und Streiks zu beenden, kam es auch am 02.02.20 in Bagdad und anderen Städten zu studentischen Massenprotesten gegen Allawi und Straßensperren. Beobachter warnen vor einer Eskalation zwischen den Anhängern Sadrs und den bislang friedlichen regierungskritischen Demonstranten.

Am 30.01.20 nahm die von den USA angeführte Internationale Allianz gegen den IS die gemeinsamen Militäroperationen mit den irakischen Streitkräften wieder auf. Diese Militäroperationen waren am 05.01.20 eingestellt worden, nachdem es zum Raketenbeschuss von irakischen Militärbasen, die amerikanische Truppen beherbergen, gekommen war. Grund für die Wiederaufnahme seien Medienberichten zufolge die anhaltenden militärischen Aktivitäten des IS.

10.02.2020: In der Stadt Najaf griffen am 05.02.20 Anhänger Moqtada al-Sadrs ein regierungskritisches Protestcamp an. Die sogenannten Blauen Mützen, wie die Anhänger Sadrs genannt werden, werden beschuldigt, Benzinbomben geworfen zu haben und unter Einsatz von Schuss- und Stichwaffen sowie Stöcken versucht zu haben, das Lager zu räumen. Berichten zufolge seien acht Personen getötet und mindestens 100 Personen verletzt worden. Augenzeugenberichten zufolge seien Sicherheitskräfte nicht zum Schutz der Demonstranten eingeschritten. Laut Medienberichten hat Sadr ein Abkommen mit Hadi al-Amiri, dem Leiter des Fatah-Blocks und Anführer der Badr-Organisation, in Qom (Iran) abgeschlossen. Ziel sei die Unterstützung Allawis als Premierminister (vgl. BN v. 03.02.20) und die Beendigung der Proteste gewesen. Am 09.02.20 hielten studentische Proteste und Streiks in mehreren Städten weiter an.

Am 05.02.20 explodierte in einem Protestlager am Zelt des regierungskritischen Aktivisten Dr. Alaa al-Rikabi in Nasriyah eine Sprengvorrichtung, dabei wurde mindestens ein Demonstrant verletzt. Seit Beginn der regierungskritischen Proteste im Oktober 2019 kommt es immer wieder zu gezielten Angriffen auf Aktivisten.

Am 04.02.20 wurde ein Milizenführer der Saraya al-Salam, Abu Muqtada al-Izrajawi, nahe seiner Wohnung in der Provinz Maysan bei einem Angriff verletzt. Er erlag später den Schussverletzungen. Am 06.02.20 wurde ein weiterer Milizenführer der Saraya al-Salam, Sheikh Hazim al-Halfi, in Basra Stadt erschossen. Die Hintergründe und Täter sowie ob die Vorfälle miteinander im Zusammenhang stehen ist bis dato unklar. Die Saraya al-Salam (*2014) geht aus der ehemaligen Mahdi-Armee (2003-2008) hervor. Die Saraya al-Salam wurde im Zuge des Kampfes gegen den IS gegründet. Sie untersteht dem Politiker und schiitischen Geistlichen, Moqtada Sadr und ist Teil der Volksmobilisierungsfront (Hashd al-Shaabi).

Am 06.02.20 demonstrierten Dutzende gegen die Präsenz der Milizen der Volksmobilisierungsfront (Hashd al-Shaabi) in der Region Sahel (Ninewa). Kritisiert wird u.a. die Einmischung der Volksmobilisierungsfront in politische, wirtschaftliche und sicherheitsrelevante Angelegenheiten. Die Volkmobilisierungsfront vertreibe Anwohner und verweigere intern Vertriebenen die Rückkehr in ihre Heimatorte. Zudem würden durch sie Steuern und Gebühren für den Warentransport nach Mosul und in die Region Kurdistan-Irak erhoben.

17.02.2020: Am 13.02.20 marschierten tausende Frauen in Bagdad und anderen Städten im Südirak, um ihre Solidarität mit den regierungskritischen Demonstrationen zu bekunden. Die Frauen riefen zudem zu Geschlechtergleichheit auf. Irakische Frauen sind seit Beginn der Proteste aktiv an der Bewegung beteiligt.

24.02.2020: Am 17.02.20 kritisierte die Vorsitzende der UN-Mission im Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert, abermals den Einsatz von exzessiver Gewalt gegen regierungskritische Demonstranten. Zwischen dem 14.02. und 16.02.20 wurden mindestens 50 Personen durch Steine, Brandbomben und den Einsatz mit Schrot geladenen Jagdgewehren verletzt. Hennis-Plasschaert rief die irakischen Behörden auf, die Identität unbekannter bewaffneter Akteure aufzuklären und Demonstranten zu schützen.Obwohl die regierungskritischen Proteste weiter andauern haben sie an Stärke eingebüßt, nachdem Moqtada Sadr seine Unterstützung zurückgezogen hat (vgl. BN v. 27.01.20).

Das irakische Ministerium für Planung veröffentlichte am 16.02.20 aktuelle Zahlen zur Armutsrate, die auf einer Untersuchung aus dem Jahr 2018 beruhen. Der Erhebung zufolge sei die Armutsrate auf 20% gesunken (Vergleich 2014: 22,5%). Zwischen den einzelnen Provinzen gibt es erhebliche Unterschiede: Während die Armutsrate in der Provinz Suleimaniya mit 4,5% am niedrigsten ist, liegt sie in der Provinz Muthanna bei 52%.

Einem UN-Bericht vom 17.02.20 zufolge haben etwa 355.000 Kinder und Jugendliche keinen Zugang zum formalen Schulsystem. Kinder, die unter der IS-Herrschaft zu Jugendlichen oder jungen Erwachsenen geworden waren, können die fehlenden Schuljahre kaum aufholen oder hätten keine Alternativen zum konventionellen Schulsystem. Kinder und Jugendliche, die in Vertriebenenlagern lebten, seien zudem von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit betroffen oder hätten teilweise die notwendigen zivilstaatlichen Dokumente für die Registrierung an einer Schule nicht.

09.03.2020: Nach dem Rücktritt des Premierminister-Kandidaten (vgl. BN v. 02.03.20) gewannen die regierungskritischen Proteste erneut an Stärke. Die Menschen forderten einen innen- und außenpolitisch unabhängigen Kandidaten. Der irakische Präsident, Braham Salih, hat bis zum 16.03.20 Zeit, einen neuen Kandidaten für das Amt des Premierministers zu benennen. Es kommt nach wie vor zu teils schweren Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Erst am 04.03.20 wurden in Bagdad bei Ausschreitungen mindestens 160 Personen verletzt. Zudem kam es abermals zu Übergriffen auf Demonstrierende. So wurde in Bagdad Hussein Rahm durch Messerstiche mutmaßlicher Sadr-Anhänger verletzt. In Nasriyah wurde die Aktivistin Rana Abd al-Halim entführt, nachdem sie öffentlich Kritik an Moqtada Sadr geübt hatte. Ein weiterer Aktivist, Ali al-Hafli, wurde in Basra von Unbekannten erschossen. Die Vorsitzende der UN-Mission im Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert, kritisierte erneut, dass die Regierung ihrer Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung gegen unbekannte Dritte nicht nachkomme.

Am 08.03.20 kam es in Bagdad und mehreren Städten im Südirak zu großen Kundgebungen anlässlich des Weltfrauentages. Irakische Mädchen und Frauen forderten Frauenrechte und drückten ihre Unterstützung für die regierungskritischen Demonstrationen aus. Die letzten Frauenmärsche (vgl. BN v. 17.02.20) hatte der Geistliche, Moqtada Sadr, als „Hurerei und Sünde“ verurteilt.

Lokalen Medien zufolge kritisierte der Generalsekretär des Peshmergaministeriums, Jabbar Yawar, dass nach wie vor keine effektive Einigung in Bezug auf die Sicherheit in den umstrittenen Gebieten zwischen Bagdad und Erbil erzielt werden konnte. Seit Januar 2019 gäbe es angesichts anhaltender IS-Aktivitäten Bemühungen, eine Einigung zu erzielen. Yawar beschuldigte die irakische Zentralregierung, weder zum Schutz der Region fähig zu sein, noch bereit zu sein, mit den Peshmerga zusammenzuarbeiten.

Einer Reportage von Reuters zufolge befinde sich das irakische Gesundheitssystem in einer Krise, die vor allem durch fehlende Medikamente und ausgebildetes Personal bestimmt sei. Viele ausgebildete Praktiker verlassen aufgrund der Arbeitsbedingungen und Drohungen das Land. Laut einer Studie des irakischen Gesundheitsministeriums stünde die Mehrheit der notwendigen Medikamente nicht ausreichend oder gar nicht zur Verfügung. Viele in den Apotheken zur Verfügung stehenden Medikamente würden aus dem Ausland geschmuggelt und bergen Gesundheitsrisiken, z.B. überschrittenes Ablaufdatum. Besonders der Zugang zu Krebsbehandlungen und Medikamenten seien prekär, wodurch ein Großteil der Betroffenen auf kostspielige Alternativen im Ausland, z.B. Indien, ausweiche. Nach einer Rückkehr in den Irak sei eine Weiterbehandlung oft entweder zu kostenintensiv oder nicht vorhanden. Für 1.000 Personen stehen 0,8 Krankenhausbetten und 1,2 Ärzte zur Verfügung, damit liegt der Irak unter dem regionalen Durchschnitt. Der Platzmangel wirke sich negativ auf die Behandlungsqualität in Notaufnahmen und Krankenstationen aus. Am 15.09.19 trat der Gesundheitsminister, Alaa Alwan, von seinem Amt zurück. Grund seien Drohungen und Wiederstände gegen Reformversuche im Gesundheitswesen gewesen. Korruption und Missmanagement seien die Hauptursachen der Krise. Die Verbesserung des Gesundheitssystems wiederum ist eine der Hauptforderung der regierungskritischen Proteste, die seit Oktober 2019 in Bagdad und den südlichen Provinzen anhalten.

16.03.2020: Am 11.03.20 kam es zu Raketenangriffen auf die irakische Militärbasis Taji (Bagdad). Dort sind auch internationale Truppen stationiert. Bei dem Angriff kamen Medienberichten zufolge zwei US-amerikanische und ein britischer Soldat ums Leben, mehr als zehn weitere wurden verletzt. Keine Gruppe bekannte sich zudem Angriff. Die USA machen die pro-iranischen Miliz, Kataeb Hizbollah, für die Angriffe verantwortlich. Die USA führten am 13.03.20 mehrere Luftschläge gegen Waffendepots der Miliz aus. Der irakische Präsident Braham Salih verurteilte die Luftschläge als Eingriff in die Souveränität des Irak.Am 14.03.20 kam es zu einem erneuten Raketenangriff auf die Militärbasis Taji. Bei dem Angriff seien mehrere Soldaten verletzt worden. Bereits im Dezember 2019 kam es zu vermehrten Raketenangriffen auf US-amerikanische Ziele (vgl. BN vom 16.12.20). Die Spannungen eskalierten im Januar 2020 mit dem US-amerikanischen Drohnenangriff auf den iranischen Kommandanten Qassem Soleimani in Bagdad (vgl. BNvom 13.01.20).

Die Kataeb Hizbollah (KH) gilt als pro-iranische, schiitische Miliz, die der Volksmobilisierungsfront (Hashdal-Shaabi) angehört. Der Anführer der KH, Abu Mahdi al-Muhandis, wurde ebenfalls im Januar bei dem Drohnenangriff getötet (vgl. BN vom 13.01.20). Die Volksmobilisierungsfront wurde 2014 im Kampf gegen den IS gegründet und 2016 offiziell in die irakischen Streitkräfte eingegliedert. Die irakische Regierung hat nur bedingt Kontrolle über die einzelnen Milizen der Volksmobilisierungsfront.

Erneut wurde in Bagdad ein Journalist, Tawfik al-Tamimi (Chef der Zeitschrift Al-Sabah), entführt. Al-Tamimi ist der dritte bekannt gewordene Entführungsfall seit Beginn der Proteste im Oktober 2019. Zweiweitere Journalisten wurden mittlerweile wieder freigelassen. Reporter ohne Grenzen berichtet, dass allein im Januar 2020 mindestens drei Journalisten getötet wurden und vier einem Tötungsversuch entkommen sind.

23.03.2020: Am 16.03.20 beauftragte das Hohe Föderale Gericht den Präsidenten Braham Saleh mit der Nennung eines neuen Premierminister-Kandidaten. Daraufhin wies Saleh den ehemaligen Gouverneur von Najaf, Adnan al-Zurfi, an, eine neue Regierung zusammenzustellen. Die Ernennung al-Zurfis stößt in vielen politischen Parteien auf Ablehnung. Auch regierungskritische Demonstranten lehnen al-Zurfis Nominierung ab. Die seit Oktober 2019 anhaltenden Proteste pausieren derzeit aufgrund der Corona-Krise. Aktivisten riefen über soziale Medien dazu auf zuhause zu bleiben. Die Regierung verhängte Ausgangssperren, schränkte die Mobilität (z.B. keine Inlandsflüge) zwischen den Provinzen ein und schloss Schulen und Universitäten.

Am 18.03.20 kam es in den Provinzen Ninewa und Diyala aufgrund starker Regefälle zu Überflutungen. Die Fluten fielen in Zeiten der Ausgangssperre zur Eindämmung des Coronavirus. Viele Familien waren in ihren Häusern und mussten evakuiert werden. Die zentralirakische Regierung und kurdische Regionalregierung implementieren Ausgangssperren und schränken die Bewegungsfreiheit zwischen den Provinzen ein, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Dies erschwert den Zugang zu der betroffenen Bevölkerung. Zudem wurden nach dem IS wiederaufgebaute Häuser erneut beschädigt oder zerstört.

30.03.2020: Die Regierung verlängert die wegen des Coronavirus verhängte Ausgangssperre bis zum 11.04.20. Bis dahin bleiben Bildungs- und Freizeiteinrichtungen geschlossen, religiöse Zusammenkünfte wie Pilgerfahrten sind untersagt, Geschäfte sind nur wenige Stunden am Tag für die Deckung des täglichen Bedarfes geöffnet. Die Bevölkerung ist angehalten zuhause zu bleiben. Reisen zwischen den Provinzen sind außer in Notfällen und für die Erhaltung des Güterverkehrs untersagt. Inlandsflüge sind derzeit eingestellt. Kommerzielle Passagierflüge von und zu irakischen Flughäfen wurden für den Zeitraum 17.03.20 bis 28.03.20 eingestellt. Geltende Einschränkungen werden laufend erneuert.

Auch die kurdische Regionalregierung verhängt Ausgangssperren. Der öffentliche Verkehr beschränkt sich auf ein Minimum und Reisen zwischen den kurdischen sowie zwischen den kurdischen und irakischen Provinzen sind nur noch in Ausnahmefällen gestattet. Die Sicherheitskräfte sind autorisiert, Personen zu verhaften, die die Ausgangssperre nicht einhalten. In der Provinz Dohuk wurden Ausgangssperren über alle Flüchtlings- und Vertriebenenlager verhängt. Konsequenzen sind zum einen der beinahe vollständige Stillstand des öffentlichen Lebens innerhalb der Camps zum anderen die Einstellung der Bewegungen außerhalb der Camps. Dies bedeutet, dass Tagelöhner ihre Arbeitsstellen nicht mehr erreichen können und kein Einkommen mehr haben. Zudem ist die Arbeit von Hilfsorganisationen unterbrochen. Dadurch werde beispielsweise Essen nicht mehr geliefert.

06.04.2020: In mehreren irakischen Provinzen wurden Häftlinge unter bestimmten Bedingungen, z.B. auf Kaution oder auf Bewährung, freigelassen, um den Druck in den überfüllten Gefängnissen angesichts der COVID-19-Pandemie zu senken. Die Freilassungen werden von lokalen Gerichten umgesetzt und sind zeitlich begrenzt.

Im März 2020 gab es weniger sicherheitsrelevante Vorfälle, die auf Anschläge von IS-Kämpfern zurückzuführen sind. Die meisten waren in Diyala zu verzeichnen, gefolgt von Bagdad, Salahaddin, Ninive und Anbar.

Die Regierung hat die Ausgangssperren mindestens bis zum 19.04.20 verlängert. Die kurdische Regionalregierung hat Ausgangssperren bis zum 10.04.20 verlängert und gab bekannt, dass Behörden mindestens bis zum 16.04.20 geschlossen seien. Die Flughäfen im Irak und der Kurdischen Region Irak (KRI) bleiben bis zum 11.04.20 geschlossen.

Humanitäre Organisationen berichten weiterhin, dass die Ausgangssperren die Hilfsmaßnahmen, u.a. präventive Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie, behindern würden. Der Transport zwischen den zentralirakischen und kurdischen Provinzen sei weiterhin eingeschränkt. In einigen Provinzen konnten Ausnahmeregelungen erzielt werden. Diese wurden jedoch nicht namentlich genannt.

Das Gesundheitsministerium ist die einzige offizielle Quelle für Zahlen der mit dem Coronavirus infizierten Patienten. Nach einem Bericht mit wesentlich höheren Infiziertenzahlen entzogen die irakischen Behörden Reuters die Lizenz zur Berichterstattung zunächst für drei Monate und drohten mit einer Geldstrafe. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verweise darauf, dass die Zahl der Infizierten in den folgenden Tagen ansteigen würde, da nun drei spezielle Testlabore in Najaf, Bagdad und Basra eröffnet worden seien. Statt 100 Tests pro Tag seien nun bis zu 4.500 Tests täglich möglich.

20.04.2020: Am 09.04.20 wurde der Geheimdienstchef, Mustafa Kadhimi, mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Seit Adel Abd al-Mahdis Rücktritt im November 2019 sind zwei Premierministerkandidaten an der Regierungsbildung gescheitert. Fehlende Einigkeit unter den führenden Parteien sowie fehlende Unterstützung für die Kandidaten werden als Gründe für das Scheitern gesehen. Zudem haben auch die Wahlen 2018 das bestehende politische System verändert, da zwei Drittel der Minister neu in das Parlament gewählt wurden. Kadhimi hat nun 30 Tage Zeit, um mit den politischen Blöcken zu verhandeln und die Mitglieder seines Kabinetts auszuwählen, bevor er es vom Parlament bestätigt werden muss. Aufgrund der derzeitigen COVID-19-Pandemie, der sinkenden Öl-Preise und anhaltenden Sicherheitsvorfälle scheinen die politischen Parteien in Kadhimi einen Kompromiss zu sehen. Trotzdem wurde Kadhimi zuvor vom pro-iranischen Fateh Block und der Kataeb Hizbollah (KH) beschuldigt, bei der Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani und des irakischen KH-Führers Abu Mahdi al-Muhandis im Januar 2020 beteiligt gewesen zu sein. Regierungskritische Demonstranten sollen Kadhimis Kandidatur abgelehnt haben. Seit Oktober 2019 finden im Irak regierungskritische Proteste statt, die trotz der COVID-19-Pandemie in kleineren Umfängen anhalten.

Die zentralirakische Regierung verlängert Ausgangssperren und Bewegungseinschränkungen bis voraussichtlich den 23. oder 24.04.2020. Die kurdische Regionalregierung gab bekannt, dass staatliche Behörden bis zum 02.05.2020 geschlossen blieben. Die Bewegungseinschränkungen gelten voraussichtlich bis Mitternacht des 23.04.2020. Für Reisen zwischen den kurdischen Städten und Provinzen muss eine Genehmigung beim kurdischen Innenministerium beantragt werden. Am 18.04.2020 kam es in Erbil zu Protesten von u.a. Mechatronikern gegen die strikten Schutzmaßnahmen. Der Krisenstab gab daraufhin bekannt, dass in einigen Industriegebieten in Erbil die Arbeit unter bestimmten zeitlichen Vorgaben ab dem 21.04.2020 wiederaufgenommen werden könne. Kommerzielle Flüge sind im gesamten Irak seit dem 17.03.2020 bis voraussichtlich 24.04.2020 untersagt.

Am 16.04.20 riefen vier UN-Organisationen dazu auf, ein Gesetz gegen häusliche Gewalt zu verabschieden. Auslöser für den Aufruf seien Berichte über sexuellen Missbrauch und Selbstverletzungen bis hin zu Selbstmord aufgrund von häuslicher Gewalt während der COVID-19-Schutzmaßnahmen. Der Fall der 20-jährigen Malak al-Zubaidi sorgte in den sozialen Medien für Aufsehen. Al-Zubaidi soll von ihrem Ehmann gefoltert, von ihrer Familie isoliert und schließlich in Brand gesetzt worden sein. Anderen Berichten zufolge habe sie sich aufgrund von Bedrohungen seitens des Ehemannes selbst angezündet. Am 18.04.2020 erlag die Frau im Krankenhaus ihren Verletzungen. Dem zentralirakischen Parlament liegt seit 2015 ein Gesetzesentwurf vor, der bislang jedoch nicht verabschiedet worden ist. Laut irakischer Verfassung ist zwar Gewalt in der Familie verboten; das „Disziplinieren“ von Ehefrauen aber durch andere Gesetze erlaubt. In der Autonomen Region Kurdistan besteht seit 2011 ein Gesetz gegen häusliche Gewalt.

Am 15.04.2020 führte die türkische Luftwaffe Angriffe auf mutmaßliche Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Distrikt Makhmour (ca. 60 Kilometer südwestlich von Erbil) aus. Unterschiedlichen Medienaussagen zufolge wurden dabei zwischen zwei und drei Zivilistinnen aus dem Flüchtlingslager Makhmour getötet. Laut einer anonymen Sicherheitsquelle seien vier Peshmerga leicht verletzt, nach türkischen Aussagen seien außerdem vier PKK-Kämpfer zu Schaden gekommen. Die zentralirakische Regierung kritisierte die Türkei, wieder die irakische Souveränität zu verletzten. Die Türkei führt routinemäßig Land- und Luftoperationen gegen die PKK in der Region Kurdistan-Irak (KR-I) durch, außerdem in Gebieten, wie Shingal/Sinjar und Makhmour, die zwischen der KR-I und der irakischen Zentralregierung umstritten sind.

27.04.2020: Am 19.04.2020 kündigte die zentralirakische Regierung Lockerungen der COVID-19-Schutzmaßnahmen an, welche dennoch bis voraussichtlich 22.05.2020 verlängert werden. Eine nächtliche Ausgangssperre sowie eine Ausgangsperre am Wochenende bleiben bestehen. Auch internationale und nationale Reisen (zwischen den Provinzen) bleiben weiterhin verboten. Schulen, Einkaufszentren, Gebetsstätten und Veranstaltungshallen sind nach wie vor geschlossen. Allerdings dürfen Geschäfte mit minimaler Personalbesetzung öffnen. In öffentlichen Transportmitteln ist die Zahl der Fahrgäste auf vier beschränkt und es herrscht Maskenpflicht. In der Autonomen Region Kurdistan wurden die COVID-19-Schutzmaßnahmen zwar bis zum 01.05.20 verlängert, lokale Behörden dürfen jedoch Anpassungen der Ausgangsbeschränkungen zwischen Mitternacht und 18 Uhr vornehmen. Ab dem 24.04.2020 sind Einkaufzentren, Geschäfte und Kliniken unter strengen Hygienemaßnahmen wieder offen, auch Taxifahrer dürften ihre Arbeit wiederaufnehmen. Zu den Hygienemaßnahmen zählt die Masken- und Handschuhpflicht. Einem Medienbericht zufolge dürfen Bürger, die in Städten unter Kontrolle der zentralirakischen Regierung gestrandet waren, in die Autonome Region Kurdistan zurückkehren, sofern sie negativ auf das Coronavirus getestet sind. Das nationale Flugverbot für kommerzielle Flüge bleibt voraussichtlich bis zum 22.05.2020 bestehen. Humanitäre Organisationen berichten nach wie vor von Schwierigkeiten beim Erhalt von Passierscheinen, was vor allem die Freizügigkeit zwischen den Provinzen behindere.

Aktivisten zufolge wurden am 21.04.2020 regierungskritische Demonstranten von unbekannten Dritten in Zivil mit Schusswaffen angegriffen worden. Irakischen Sicherheitsquellen zufolge sei es hingegen zu einer Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und dem Inhaber eines Klimaanlagengeschäftes gekommen. Mindestens sechs Personen wurden dabei verletzt. Yusra Rajab, die parlamentarische Abgeordnete des Menschenrechtskomitees, warnte, dass Angriffe auf Demonstranten und das Nichteingreifen der Sicherheitskräfte eine Bedrohung für den Frieden darstelle. Seit Oktober 2019 kommt es in Bagdad und im Südirak zu Massenprotesten gegen die amtierende Regierung, Korruption und Misswirtschaft. Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie haben sich die Proteste abgeschwächt, finden jedoch vereinzelt in Form von stillen Kundgebungen oder im virtuellen Raum weiterhin statt

Medienberichten zufolge gab die zentralirakische Regierung bekannt, dass die Überweisungen für Lohnzahlung von Staatsbediensteten in der Autonomen Region Kurdistan Irak ausgesetzt werden. Grund sei, dass die KR-I ihren im Staatsbudget festgeschriebenen Verpflichtungen nicht nachkomme und Öl selbstständig verkaufe, anstatt einen Teil an Bagdad abzugeben. Regierungsangaben zufolge würde auch die zentralirakische Regierung Schwierigkeiten haben, ihren Staatsbediensteten Löhne zu zahlen. Grund seien die ausfallenden Einnahmen aufgrund sinkender Öl-Preise.

11.05.2020: Am 07.05.20 hat das Parlament dem neuen Ministerpräsidenten, Ex-Geheimdienstchef Mustafa al-Kasimi, das Vertrauen ausgesprochen und auch 15 Ministern seines Kabinetts zugestimmt. Al-Kasimi gilt als Kompromisskandidat. Am 10.05.20 kam es in Bagdad erneut zu Protesten. Die Demonstranten forderten nur wenige Tage nach der Wahl der neuen Regierung politische Reformen, bessere Lebensbedingungen sowie dass diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die für den Tod Hunderter Menschen bei Massenprotesten verantwortlich sind.

Es wird weiterhin auch von nicht protestbezogenen sicherheitsrelevanten Vorfällen sowohl mit zivilen Opfern als auch Sicherheitskräften berichtet. Kämpfer des IS sind weiterhin aktiv. Die irakischen Sicherheitskräfte führen nach wie vor Sicherheitsoperationen gegen IS-Kämpfer durch.

Bis zum 10.05.20 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2.676 Fälle von COVID-19-Erkrankungen, 107 Todesfälle und 1.702 Personen, die genesen sind, im Irak bestätigt. Ungefähr 15 % der Fälle wurden in der Autonomen Region Kurdistan registriert.

25.05.2020: Am 19.05.20 kam es erneut zu einem Raketeneinschlag nahe der amerikanischen Botschaft in Bagdad. Es handelte sich um den ersten Raketenangriff auf die sogenannte Grüne Zone seit mehreren Wochen. Zu dem Angriff bekannte sich niemand. Die amerikanische Regierung hatte in der Vergangenheit stets proiranische Milizen für Anschläge auf die Grüne Zone verantwortlich gemacht.

15.06.2020: Am 07.06.20 kam es in mehreren Provinzen, darunter Najaf, Muthanna, Diwaniyah, Dhi-Qar und Babil, zu Demonstrationen, u.a. wegen Korruptionsvorwürfen. Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften lösten eine Reihe von Bränden aus. Am 09.06.20 wurde ein Demonstrant getötet.

Es wird weiterhin auch von nicht protestbezogenen sicherheitsrelevanten Vorfällen sowohl mit zivilen Opfern als auch mit Sicherheitskräften berichtet. Kämpfer des IS sind weiterhin aktiv. Insbesondere betroffen waren die Provinzen Diyala, Ninive, Kirkuk, Salahaddin. Irakische Sicherheitskräfte und kurdische Peshmerga führten Sicherheitsoperationen gegen IS-Kämpfer durch.

Bis zum 01.06.20 hat die Weltgesundheitsorganisation (WFIO) 6.439 Fälle von COVID-19 in Irak bestätigt, 205 Todesfälle und 3.156 Patienten, die genesen sind. Ungefähr 11% der Fälle wurden in der Region Kurdistan-Irak (KR-I) registriert.

Laut dpa-Meldung vom 15.06.20 haben türkische Kampfjets Stellungen der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in Irak angegriffen und Höhlen von PKK-Kämpfern zerstört. Die Operation Claw-Eagle (Adlerkralle) habe sich u.a. gegen Ziele in den Kandil-Bergen nahe der iranischen Grenze sowie Stellungen in Sinjar gerichtet. Bereits am 10.06.20 hatte das türkische Militär Luftangriffe durchgeführt, bei denen acht Mitglieder der PKK getötet wurden. Die Luftangriffe richteten sich auf die Gebiete Zap und Haftanin nahe der türkischen Grenze in der Region Kurdistan-Irak.

22.06.2020: Es kommt weiterhin zu sicherheitsrelevanten Angriffen durch Kämpfer des IS, sowohl mit zivilen Opfern als auch Opfern unter den Sicherheitskräften. Ebenso starten die irakischen Sicherheitskräfte Sicherheitsoperationen gegen Kämpfer des IS. Besonders betroffen sind die Provinzen Diyala, Salahaddin, Ninive, Kirkuk und Bagdad.

Am 18.06.20 meldete das Gesundheitsministerium, dass die Zahl der bestätigten COVID-19-Fälle im Land auf 25.717 angestiegen sei. Die Gebiete, aus denen die meisten neuen Fälle gemeldet wurden, waren Bagdad, Sulaimaniyah und die Provinz Maysan

29.06.2020: Es kommt weiterhin zu sicherheitsrelevanten Angriffen durch Kämpfer des IS, sowohl mit zivilen Opfern als auch Opfern unter den Sicherheitskräften. Die Sicherheitskräfte starten Operationen gegen Kämpfer des IS. Ein Sprecher des irakischen Militärs teilte am 23.06.20 mit, dass der Iraqi Counter Terrorism Service (CTS) bei Sicherheitsoperationen in den Qarachogh-Bergen in der Nähe von Makhmour, zwischen den Provinzen Ninive und Erbil, zwölf IS-Kämpfer getötet habe. Die Internationale Koalition gegen den IS unterstützte die CTS-Operation mit 59 Luftangriffen auf IS-Verstecke in der Gegend. Am 24. Juni veröffentlichte das Iraqi Joint Operations Command die Ergebnisse der dritten Phase einer groß angelegten Sicherheitsoperation mit dem Titel "Iraq's Heroes". In der Erklärung hieß es, dass die irakischen Bodentruppen, unterstützt von der Luftwaffe, ein Gebiet von 4.853 Quadratkilometern durchsuchten, darunter 89 Dörfer. Die irakischen Sicherheitskräfte entdeckten u.a. Verstecke und Munitionsbestände und beschlagnahmten verschiedene Waffen, Sprengstoffe und Fahrzeuge.

Am 25.06.20 meldete das irakische Gesundheitsministerium, dass die Zahl der bestätigten COVID-19-Fälle im Land auf 39.139 angestiegen ist. Dies stellt einen Anstieg um 13.422 Fälle gegenüber der Woche dar. Die Gesamtzahl der Todesfälle wird mit 1.437 und die Gesamtzahl der Genesungen mit 18.051 angegeben. Die Gebiete, aus denen die meisten neuen Fälle gemeldet wurden, war die Provinz Bagdad, gefolgt von den Provinzen Basra und Dhi Qar. UNHCR zufolge wurden mehr als 40 % der Fälle in der Provinz Bagdad festgestellt. Laut Pressemeldung hat sich die Situation in vielen irakischen Krankenhäusern verschlechtert.

06.07.2020: Es kommt weiterhin zu sicherheitsrelevanten Angriffen durch Kämpfer des IS, sowohl mit zivilen Opfern als auch Opfern unter den Sicherheitskräften. Die irakischen Sicherheitskräfte starten Operationen gegen Kämpfer des IS. Besonders betroffen sind die Provinzen Diyala, Salahaddin, Ninive, Kirkuk und Bagdad.

Der WHO zufolge lag die Zahl der bestätigten COVID-19-Fälle am 05.07.20 bei 58.354. Die Zahl der Todesfälle wird mit 2.368 angegeben. Die meisten neuen Fälle wurden aus der Provinz Bagdad gemeldet, gefolgt von den Provinzen Salahaddin und Suleimaniyah.

2. Politische Lage

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat mit allen Merkmalen der Gewaltenteilung (AA 02.03.2020), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Der Islam ist Staatsreligion und „eine“ (nicht „die“) Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 02.03.2020).

Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, Council of Representatives bzw. Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018). Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018) Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 02.03.2020).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 09.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018). Am 02.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.03.2020 wurde der als säkular geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020). Adnan al-Zurfi zog seine Kandidatur am 09.04.2020 zurück, woraufhin Geheimdienstchef Mustafa al-Kadhimi zum neuen Ministerpräsidenten designiert wurde (SN 09.04.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 12.01.2019). Die ethnische und religiöse Zusammensetzung der einzelnen Regionen des Irak ist aus der Grafik im Punkt Minderheiten ersichtlich.

2.1. Protestbewegung

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da‘wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Am Dienstag den 1.10.2019 kam es in zehn irakischen Gouvernements, Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala und Najaf, zu teils gewalttätigen Demonstrationen. Diese haben sich am Mittwoch den 2.10. auch auf die Gouvernements Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din ausgeweitet. In vielen Gebieten eskalierten die Proteste (Joel Wing 3.10.2019), die Sicherheitskräfte verloren mancherorts die Kontrolle und Demonstranten besetzten Regierungsgebäude (FAZ 3.10.2019). Die Regierungssitze in Dhi Qar, Babil, Diwaniya und Maysan wurden in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Eine weitere Forderung der Demonstranten ist die Abschaffung des ethnisch-konfessionellen Systems (muhasasa) zur Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019).

Im Zusammenhang mit diesen Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Im Zuge der Proteste kam es in mehreren Gouvernements von Seiten anti-iranischer Demonstranten zu Brandanschlägen auf Stützpunkte pro-iranischer PMF-Fraktionen und Parteien, wie der Asa‘ib Ahl al-Haq, der Badr-Organisation, der Harakat al-Abdal, Da‘wa und Hikma (Carnegie 14.11.2019; vgl. ICG 10.10.2019), sowie zu Angriffen auf die iranischen Konsulate in Kerbala (RFE/RL 4.11.2019) und Najaf (RFE/RL 1.12.2019).

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweiig riefen die Behörden im Oktober und November 2019 Ausgangssperren aus (AI 18.2.2020; vgl. Al Jazeera 5.10.2019; ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und implementierten zeitweilige Internetblockaden (UNAMI 10.2019; vgl. AI 18.2.2020; USDOS 11.3.2020).

Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News 30.10.2019). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vgl. Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vgl. Guardian 29.10.2019). Die irakische Menschenrechtskommission berichtete Ende Dezember 2019, dass seit Beginn der Proteste am 1.10.2019 mindestens 490 Demonstranten getötet wurden (AAA 28.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020), darunter 33 Aktivisten, die gezielt getötet wurden. Mehr als 22.000 Menschen wurden verletzt. 56 Demonstranten gelten nach berichteten Entführungen als vermisst, während zwölf weitere wieder freigelassen wurden (AAA 28.12.2019). Mitte Jänner 2020 berichtet Amnesty International von 600 Toten Demonstranten seit Beginn der Proteste (AI 23.1.2020).

Die in Reaktion auf die Proteste eingeleiteten Reformen, die insbesondere soziale Maßnahmen und die kurzfristige Schaffung von Arbeitsplätzen im – ohnehin aufgeblähten – öffentlichen Sektor umfassen, entfalteten nicht die beabsichtigte Wirkung eines Abflauens der Proteste. Tiefergehende Strukturreformen, wie eine Reform der Verfassung, werden hingegen nur langsam und schrittweise angegangen (AA 02.03.2020).

3. Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Weiterhin ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Dies gilt insbesondere für den Zentralirak außerhalb der Hauptstadt Bagdad. PMF-Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig und weitgehend unkontrolliert. Im Sinjar haben sich zudem PKK bzw. PKK-nahe Strukturen entwickelt. Diese Entwicklungen gehen mit Repressionen einher, mitunter auch extralegalen Tötungen sowie Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession (AA 02.03.2020).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 02.03.2020). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Die im Folgenden dargestellte Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle und ziviler Opfer ist im Kontext der Bevölkerungsanzahl eines Gouvernements zu sehen. Im Folgenden findet sich eine Tabelle mit Schätzungen der Bevölkerungszahlen der irakischen Provinzen (herausgegeben von der Republik Irak, mit Stand 2009):

(Quelle: Republik Irak, zitiert bei UK HO 3.2017)

3.1. Islamischer Staat (IS)

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Der IS hat einen Strategiewechsel vorgenommen und setzt diesen in Form einer asymmetrischen Kriegsführung aus dem Untergrund mit kleineren Anschlägen auch nach dem Tod des Anführers al-Baghdadi fort (AA 02.03.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten dar (UN General Assembly 30.7.2019). Übergriffe und Gräueltaten im Irak gehen nach wie vor hauptsächlich vom IS aus, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).

Der IS setzt derzeit auf Gewaltakte gegen Sicherheitskräfte sowie regierungstreue Zivilpersonen, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe haben das Ziel, Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften zu entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a). Insbesondere in den Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo grundlegende Strukturen wiederaufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist aber nach wie vor fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala getötet, um eine Stadt in der Nähe einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).

Am 7.7.2019 begann die „Operation Will of Victory“, an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilization Forces (PMF), Tribal Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition teilnahmen (ACLED 7.8.2019; vgl. Military Times 7.7.2019). Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel (Diyaruna 7.10.2019; vgl. The Portal 9.10.2019). Die am 7. Juli begonnene erste Phase umfasste Anbar, Salah ad-Din und Ninewa (Military Times 7.7.2019). Phase zwei begann am 20. Juli und betraf die nördlichen Gebiete von Bagdad sowie die benachbarten Gebiete der Gouvernements Diyala, Salah ad-Din und Anbar (Rudaw 20.7.2019). Phase drei begann am 5. August und konzentrierte sich auf Gebiete in Diyala und Ninewa (Rudaw 11.8.2019). Phase vier begann am 24. August und betraf die Wüstenregionen .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 9 von 137 von Anbar (Rudaw 24.8.2019). Phase fünf begann am 21.9.2019 und konzentrierte sich auf abgelegene Wüstenregionen zwischen den Gouvernements Kerbala, Najaf und Anbar, bis hin zur Grenze zu Saudi-Arabien (PressTV 21.9.2019). Eine sechste Phase wurde am 6. Oktober ausgerufen und umfasste Gebiete zwischen dem südwestlichen Salah ad-Din bis zum nördlichen Anbar und Ninewa (Diyaruna 7.10.2019).

Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).

3.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 06.02.2018).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020).

Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020). Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, womit erstmals seit langem eine Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres eintrat. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer, im Februar 2020 147 zivile Todesopfer verzeichnet, was im Vergleich zum Vorjahr wiederum eine Verbesserung bedeutet (IBC 2.2020).

3.3. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak (zur Lage in Ninawa siehe im Detail oben 1.9.)

Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019).

In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt (Rudaw 31.5.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (Crisis Group 14.12.2018). Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (Crisis Group 14.12.2018).

4. Rechtsschutz / Justizwesen

Die Bundesjustiz besteht aus dem Obersten Justizrat (Higher Judicial Council), dem dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 2.9.2019). Der Oberste Gerichtsrat erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 02.03.2020).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz, Art. 19 Abs. 1 und Art. 86 ff. der Verfassung bezeichnen die Rechtsprechung als unabhängige Gewalt. (Stanford 2013; vgl. AA 02.03.2020; USDOS 11.3.2020). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 11.3.2020). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 02.03.2020). Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 4.3.2020).

Belastbaren Erkenntnisse zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis liegen nicht vor. Eine Verfolgung von Straftaten findet aber weiterhin nur unzureichend statt (AA 02.03.2020). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 4.3.2020). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern und einer rechtsstaatlichen Tradition. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen erheblich ausgedehnt. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Ehemalige „IS“-Kämpfer oder Personen, die dessen beschuldigt werden, werden aktuell in großer Zahl (Details werden von der Regierung nicht preisgegeben) mit unzulänglichen Prozessen zu lebenslanger Haft oder zum Tode verurteilt und häufig auch hingerichtet (AA 02.03.2020).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 26.2.2019). Nicht nur Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).

Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 11.3.2020) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen (USDOS 11.3.2020).

Die Behörden verletzen oft die Verfahrensrechte von Personen, die verdächtigt werden, dem IS anzugehören, sowie jene anderer Häftlinge (HRW 14.1.2020). Die Verurteilungsrate der im Schnelltempo durchgeführten Verhandlungen tausender sunnitischer Moslems, denen eine IS-Mitgliedschaft oder dessen Unterstützung vorgeworfen wurde, lag 2018 bei 98% (USCIRF 4.2019). Menschenrechtsgruppen kritisierten die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS (FH 4.3.2020; vgl. CEDAW 30.9.2019). Rechtsanwälte beklagen einen häufig unzureichenden Zugang zu ihren Mandanten, wodurch eine angemessene Beratung erschwert wird. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 11.3.2020). Anwälte und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit unterstützen, sind gefährdet durch Sicherheitskräfte bedroht oder sogar verhaftet zu werden (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Laut einer Studie über Entscheidungen von Berufungsgerichten in Fällen mit Bezug zum Terrorismus, haben erstinstanzliche Richter Foltervorwürfe ignoriert, auch wenn diese durch gerichtsmedizinische Untersuchungen erhärtet wurden und die erzwungenen Geständnisse durch keine anderen Beweise belegbar waren (HRW 25.9.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Für das Anti-Terror-Gericht in Ninewa beobachtete HRW im Jahr 2019 eine Verbesserung bei den Gerichtsverhandlungen. So verlangten Richter einen höheren Beweisstandard für die Inhaftierung und Verfolgung von Verdächtigen, um die Abhängigkeit des Gerichts von Geständnissen, fehlerhaften Fahndungslisten und unbegründeten Anschuldigungen zu minimieren (HRW 14.1.2020).

Am 28.3.2018 kündigte das irakische Justizministerium die Bildung einer Gruppe von 47 Stammesführern an, genannt al-Awaref, die sich als Schiedsrichter mit der Schlichtung von Stammeskonflikten beschäftigen soll. Die Einrichtung dieses Stammesgerichts wird durch Personen der Zivilgesellschaft als ein Untergraben der staatlichen Institution angesehen (Al Monitor 12.4.2018). Das informelle irakische Stammesjustizsystem überschneidet und koordiniert sich mit dem formellen Justizsystem (TCF 7.11.2019).

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 11.3.2020).

5. Sicherheitskräfte und Milizen

Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, löste die Übergangsverwaltung der siegreichen Militärkoalition das irakische Militär auf und entließ das gesamte Personal. Anstatt dessen sollten politisch neutrale Streitkräfte neu aufgebaut werden. Die entlassenen Offiziere und Soldaten bildeten einen großen Pool für Aufständische (Fanack 2.9.2019).

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur, sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) (USDOS 11.3.2020). Neben den regulären irakischen Streitkräften und Strafverfolgungsbehörden existieren auch die Volksmobilisierungskräfte (PMF), eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, die sich aus etwa 40, überwiegend schiitischen Milizgruppen zusammensetzt, und die kurdischen Peshmerga der Kurdischen Region im Irak (KRI) (GS 18.7.2019).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 11.3.2020; vgl. GS 18.7.2019).

5.1. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus unterschiedlichsten Militär- und Polizeieinheiten, die dem Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF) und dem Counter-Terrorism Service (CTS) unterstehen.

Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 11.3.2020). Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 150.000-185.000 Armee-Angehörige (ohne PMF-Milizen und Peschmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen (AA 02.03.2020).

Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Es gibt Berichte über nicht näher quantifizierbare Fälle von Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums, sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 11.3.2020), deren Verfolgung nur unzureichend stattfindet. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Es gibt kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Den Sicherheitskräften wurden zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen („forced disappearance“) zur Last gelegt, insbesondere im Zuge von Antiterror-Operationen, aber auch an Checkpoints (AA 02.03.2020).

Die weiterführende Professionalisierung der Armee und vor allem auch der Bundes- und lokalen Polizei wird im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition, bei der Sicherheitssektorreform und mit Hilfe internationaler Militär- und Polizeiausbildung aktiv und umfassend unterstützt (AA 02.03.2020).

5.2. Volksmobilisierungseinheiten (PMF)

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018) mit geschätzt über 120.000-160.000 bewaffneten Mitgliedern (AA 02.03.2020). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vgl. FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).

Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen (insbesondere Badr-Brigaden, Asa’ib Ahl a-Haq und Kata’ib Hisbollah, die nationalistisch-schiitischen Milizen (etwa die Abbas Combat Division), die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind (darunter auch Milizen von Christen, Jesiden, Turkmenen, Schabak). Zu letzteren zählen auch die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vgl. Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019).

Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 02.03.2020). Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus (Reuters 29.8.2019).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten. Dies hat es den PMF erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen und sich ökonomische Vorteile und lukrative Einkommensquellen zu sichern. Es gibt eine Vielzahl an Vorwürfen von Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF, auch im Umfeld der aktuellen Demonstrationen. (AA 02.03.2020; vgl. FPRI 19.8.2019). Leiter der PMF-Dachorganisation, der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission, ist Falah al-Fayyad, dessen Stellvertreter Abu Mahdi al-Mohandis eng mit dem Iran verbunden war (Al-Tamini 31.10.2017). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen, von denen der mächtigste Hadi Al-Amiri ist, Kommandant der Badr Organisation (FPRI 19.8.2019). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen sie, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten des Assad-Regimes in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind (USDOS 13.3.2019).

Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden. Es ist keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch den Premierminister und die ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).

Am 1.7.2019 hat der irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi verordnet, dass sich die PMF bis zum 31.7.2019 in das irakische Militär integrieren müssen (FPRI 19.8.2019; vgl. TDP 3.7.2019; GS 18.7.2019), oder entwaffnet werden müssen (TDP 3.7.2019; vgl GS 18.7.2019). Es wird angenommen, dass diese Änderung nichts an den Loyalitäten ändern wird, dass aber die Milizen aufgrund ihrer nun von Bagdad bereitgestellte Uniformen nicht mehr erkennbar sein werden (GS 18.7.2019). Einige Fraktionen werden sich widersetzen und versuchen, ihre Unabhängigkeit von der irakischen Regierung oder ihre Loyalität gegenüber dem Iran zu bewahren (FPRI 19.8.2019). Die Weigerung von Milizen, wie der 30. Brigade bei Mossul, ihre Posten zu verlassen, weisen auf das Autoritätsproblem Bagdads über diese Milizen hin (Reuters 29.8.2019).

Die Schwäche der ISF hat es außerdem vornehmlich den schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 02.03.2020). Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und in einer Form der kollektiven Bestrafung sunnitische Araber im Allgemeinen, wobei diese Aktivitäten von den PMF häufig als Vergeltungsmaßnahmen nach Angriffen des IS gesetzt werden. Es kann zu Diskriminierung, Misshandlungen und auch Tötungen kommen (DIS/Landinfo 5.11.2018; vgl. USDOS 21.6.2019).

Die PMF sollen einem Bericht über die Lage in den sogenannten umstrittenen Gebieten zufolge aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten die Fähigkeit haben, jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor. Nach dem Oktober 2017 gab es jedoch Berichte über Verstöße von PMF-Angehörigen gegen die kurdischen Einwohner in Kirkuk und Tuz Khurmatu, wobei es sich bei den angegriffenen zumeist um Mitglieder der politischen Partei KDP und der Asayish gehandelt haben soll (DIS/Landinfo 5.11.2018).

Geleitet wurden die PMF von Jamal Jaafar Mohammad, besser bekannt unter seinem Nom de Guerre Abu Mahdi al-Mohandis, einem ehemaligen Badr-Kommandanten, der als rechte Hand von General Qasem Soleimani, dem Chef der iranischen Quds-Brigaden fungierte (GS 18.7.2019). Am 3.1.2020 wurden Abu Mahdi Al-Muhandis und Generalmajor Qassem Soleimani bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Als Rechtfertigung diente unter anderem ein Raketenangriff, der der Kataib-Hezbollah (KH) zugeschrieben wurde, auf einen von US-Soldaten genutzten Stützpunkt in Kirkuk, bei dem ein Vertragsangestellter getötet wurde (MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020).

Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 23.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 23.2.2020).

Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

Die PMF genießen auch breite Unterstützung in der irakischen Bevölkerung für ihre Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat nach dem teilweisen Zusammenbruch der irakischen Armee im Jahr 2014 (TDP 3.7.2019). Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen, wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017).

Einige PMF haben sich Einkommensquellen erschlossen, die sie nicht aufgeben wollen, darunter Raub, Erpressung und Altmetallbergung (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass die PMF einen Teil der lokalen Wirtschaft in Ninewa kontollieren, was von diesen zurückgewiesen wird (Reuters 29.8.2019). Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distrikt-Vorsteher und andere Amtsträger auszuüben (ACCORD 11.12.2019). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mossul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).

Neben der Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017).

6. Folter und unmenschliche Behandlung

Folter und unmenschliche Behandlung sind laut der irakischen Verfassung ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte (AA 02.03.2020), oder auch um Geständnisse zu erzwingen (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020; AI 10.4.2019) und Gerichte diese als Beweismittel akzeptieren (USDOS 11.3.2020) auch für die Vollstreckung von Todesurteilen (AI 10.4.2019). Laut Informationen von UNAMI sollen u.a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören (AA 02.03.2020). Ehemalige Häftlinge berichten auch über Todesfälle aufgrund von Folter (AI 26.2.2019). Auch Minderjährige werden Folter unterzogen, um Geständnisse zu erpressen (HRW 6.3.2019).

Weiterhin misshandeln und foltern die Sicherheitskräfte der Regierung, einschließlich der mit den Volksmobilisierungskräften (PMF) verbundenen Milizen und Asayish, Personen während Verhaftungen, Untersuchungshaft und nach Verurteilungen. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums sowie in Einrichtungen unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung (KRG). Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen (USDOS 11.3.2020). Eine Studie zu Berufungsgerichtsentscheidungen zeigt, dass Richter bei fast zwei Dutzend Fällen aus den Jahren 2018 und 2019 Foltervorwürfe ignorierten und auf Grundlage von Geständnissen ohne weitere Beweise Schuldsprüche erließen. Einige dieser Foltervorwürfe waren durch gerichtsmedizinische Untersuchungen erhärtet. Die Berufungsgerichte sprachen die Angeklagten in jedem dieser Fälle frei (HRW 14.1.2020). Trotz der Zusage des damaligen Premierministers Haidar Abadi im September 2017, den Vorwürfen von Folter und außergerichtlichen Tötungen nachzugehen, haben die Behörden im Jahr 2019 keine Schritte unternommen, um diese Missstände zu untersuchen (HRW 14.1.2020).

7. Wehrdienst, Rekrutierungen und Wehrdienstverweigerung

Im Irak besteht keine Wehrpflicht. Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden (AA 02.03.2020; vgl. CIA 21.8.2019). Nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft (BasNews 7.8.2019). Juden sind per Gesetz vom Militärdienst ausgeschlossen (USDOS 21.6.2019). Die irakische Regierung und das irakische Parlament planen, die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu prüfen. Hierbei wird auch die Möglichkeit erwogen, anstelle des Militärdienstes eine Ersatzzahlung leisten zu können (BasNews 7.8.2019).

Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu sieben Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar (MoD 10.2007). Die Armee hat kaum die Kapazitäten, um gegen Desertion von niederen Rängen vorzugehen. Es sind keine konkreten Fälle bekannt, in denen es zur Verfolgung von Deserteuren gekommen wäre (DIS/Landinfo 5.11.2018). Im Jahr 2014 entließ das Verteidigungsministerium Tausende Soldaten, die während der IS-Invasion im Nordirak ihre Posten verlassen haben und geflohen sind (MEMO 6.11.2019). Angehörige des irakischen Militärdienstes, die sich nach 2014 erstmalig unerlaubt vom Dienst entfernt haben (Desertion), können sich auf der Grundlage eines Beschlusses des Ministerrates vom Juni 2019 wieder der irakischen Armee verpflichten und so einer Strafverfolgung auf der Grundlage des Militärstrafgesetzes entgehen. Dies soll nach Regierungsangaben über 52.000 Soldaten und 2.000 Angehörige von Spezialkräften umfassen (AA 02.03.2020).

Die Rekrutierung in die Volksmobilisierungskräfte (PMF) erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis. Viele schließen sich den PMF aus wirtschaftlichen Gründen an. Desertion von den PMF kam in den Jahren 2014 bis 2015 seltener vor als bei der irakischen Armee. Desertion von Kämpfern niederer Ränge hätte wahrscheinlich keine Konsequenzen oder Vergeltungsmaßnahmen zur Folge (DIS/Landinfo 5.11.2018).

Auch in der Autonomen Region Kurdistan herrscht keine Wehrpflicht. Kurdische Männer und Frauen können sich freiwillig zu den Peshmerga melden (DIS 12.4.2016; vgl. NL 1.4.2018, Clingendael 3.2018). Rekruten für die Peshmerga unterzeichnen einen Vertrag für eine bestimmte Dienstzeit, nach dessen Ablauf die Person freiwillig gehen kann (EASO 3.2019).

Es gibt Vorwürfe der Rekrutierung von Kindersoldaten durch Einheiten der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), der Shingal Protection Units (YBS) und von PMF-Milizen (USDOS 11.3.2020).

8. Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert.

Die bereits in der irakischen Verfassung (Art. 102) vorgesehene Einrichtung einer unabhängigen MR-Kommission erfolgte im April 2012 mit der Berufung der 11 Kommissionsmitglieder durch das irakische Parlament. Der Kommission fehlt es jedoch an einem administrativen Unterbau. Internationale Beobachter kritisierten, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. 2018 trat die Kommission etwas mehr in der Öffentlichkeit in Erscheinung und beschäftigte sich u. a. mit Vermissten in den ehemals von IS besetzen Gebieten. Im Zuge der seit Oktober stattfindenden Demonstrationen hat die Kommission durch eine aktive Rolle, insbesondere durch die Veröffentlichung von aktuellen und zutreffenden Opfer- und Verletztenzahlen, ihre Reputation gesteigert, verfügt aber nicht über ausreichendes politisches Gewicht, um die Politik entscheidend beeinflussen zu können. Mitglieder der Kommission waren durch ihre regierungskritischen Äußerungen auch selber Repressionsdrohungen ausgesetzt. Mangelnde Sacharbeit und Effektivität wird auch dem Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament vorgeworfen (AA 02.03.2020).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Rekrutierung von Kindersoldaten durch Elemente der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Shingal Protection Units (YBS) und PMF-Milizen; Menschenhandel; Kriminalisierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 11.3.2020).

Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 21.6.2019). Es wird berichtet, dass tausende Männer und Buben, die aus Gebieten unter IS-Herrschaft geflohen sind, von zentral-irakischen und kurdischen Kräften willkürlich verhaftet wurden und nach wie vor als vermisst gelten. Sicherheitskräfte einschließlich PMFs haben Personen mit angeblichen IS-Beziehungen auch in Lagern inhaftiert und gewaltsam verschwinden lassen (AI 26.2.2019).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten Enteignungen, außer im öffentlichen Interesse und gegen eine gerechte Entschädigung. In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Eigentum von mutmaßlichen IS-Angehörigen, sowie Mitgliedern religiöser und konfessioneller Minderheiten, durch Regierungstruppen und PMF-Milizen konfisziert und besetzt (USDOS 11.3.2020). Die Regierung, einschließlich des Büros des Premierministers, untersucht Vorwürfe über Missbräuche und Gräueltaten, bestraft die Verantwortlichen jedoch selten (USDOS 11.3.2020).

Im Zuge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste haben Sicherheitskräfte unter anderem scharfe Munition gegen Demonstranten eingesetzt und hunderte Menschen getötet (HRW 31.1.2020).

Der IS begeht weiterhin Gräueltaten, etwa in Form von Selbstmordattentaten und durch improvisierte Sprengsätze (IEDs). Die Behörden untersuchen IS-Handlungen und verfolgen IS-Mitglieder nach dem Anti-Terrorgesetz von 2005 (USDOS 11.3.2020).

9. Todesstrafe

Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Der Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (AA 02.03.2020; vgl. HRC 5.6.2018; HRW 14.1.2020). Problematisch sind die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag unter anderem auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art (AA 02.03.2020). So beinhalten beispielsweise die irakischen Anti-Terrorismus-Gesetze die Vollstreckung der Todesstrafe auch für ein breites Spektrum an Handlungen, die nicht als schwere Verbrechen, wie Mord, definiert sind (FP 31.1.2020). Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 02.03.2020).

Aktuelle Daten liegen nicht vor, da die irakische Regierung die Zahlen nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen berichtet und, auch auf Nachfrage keine verlässlichen Angaben macht (AA 02.03.2020). Amnesty International zufolge wurden 2018 mindestens 271 Todesurteile ausgesprochen und mindestens 52 Hinrichtungen vollzogen (AI 10.4.2019). Zwischen Jänner und August 2019 wurden Angaben des irakischen Justizministeriums zufolge über 100 Personen hingerichtet. 8.022 Gefangene saßen im August 2019 in der Todeszelle (HRW 14.1.2020). Aktuell werden insbesondere ehemalige IS-Kämpfer – oder Personen, die dessen beschuldigt werden – in großer Zahl in unzulänglichen Prozessen zu lebenslanger Haft oder zum Tode verurteilt (AA 02.03.2020). Über zwei Dutzend Frauen wurden wegen der wahrgenommenen IS-Mitgliedschaft eines männlichen Angehörigen, meist des Ehemanns, zum Tode verurteilt (AI 26.2.2019).

Das irakische Strafgesetzbuch verbietet das Verhängen der Todesstrafe gegen jugendliche Straftäter, d.h. Minderjährige und Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren zum Zeitpunkt der Begehung der mutmaßlichen Straftat (HRC 5.6.2018; vgl. HRW 14.1.2020), sowie gegen schwangere Frauen und Frauen bis zu vier Monaten nach einer Geburt. In diesem Fall wird die Todesstrafe in eine lebenslange Haft umgewandelt (HRC 5.6.2018).

10. Religionsfreiheit

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Art. 2 Abs. 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 02.03.2020). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den „erwiesenen Bestimmungen des Islams“ widerspricht. In Art. 2 Abs. 2 der irakischen Verfassung wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 21.6.2019).

Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes. Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 02.03.2020).

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 21.6.2019).

Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was als Sicherheitsrisiko kritisiert wurde. Mit Einführung eines neuen Personalausweises im Jahr 2015 wurde der Eintrag zur Religionszugehörigkeit dauerhaft abgeschafft. Allerdings wurde auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen: Art. 26 des Gesetzes zum Personalausweis stipuliert, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden. Darüber hinaus gilt, dass Kinder mit einem muslimischen Elternteil oder einem unbekannten Elternteil automatisch als muslimischen Glaubens registriert werden. Dies führt zu rechtlichen Schwierigkeiten und verstärkt soziale Ausgrenzung von Kindern aus „IS“-Zwangsehen bzw. –Vergewaltigungen (AA 02.03.2020). Christen, die formell als Muslims registriert sind, aber den christlichen oder einen anderen Glauben praktizieren, berichten auch, dass sie gezwungen sind, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (USDOS 21.6.2019; vgl. USCIRF 4.2019).

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Schabak und Faili Kurden). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 02.03.2020).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Religiöse Minderheiten leiden im Alltag jedoch unter weitreichender faktischer Diskriminierung. Übergriffe werden selten strafrechtlich geahndet (AA 02.03.2020). Die Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen in Kirkuk, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch PMF-Milizen (USDOS 11.3.2020). Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren (USDOS 11.3.2020).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikane und Restriktionen durch lokale Behörden (USDOS 21.6.2019). Vertreter religiöser Minderheiten berichten außerdem über Druck auf ihre Gemeinschaften, Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 21.6.2019).

11. Minderheiten

In der irakischen Verfassung vom 15.10.2005 ist der Schutz von Minderheiten verankert (AA 02.03.2020). Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten faktisch unter weitreichender Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 02.03.2020). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 4.3.2020). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch PMF-Milizen, in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 11.3.2020).

Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20%) (AA 02.03.2020). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI), oft benachteiligt. Zudem ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen – eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 02.03.2020).

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer-Sabäern, Kaka‘i, Schabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 02.03.2020).

In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 02.03.2020; vgl. KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der KRI durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017). Es gibt auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Schabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 13.3.2019).

Im Gouvernement Ninewa wurden alle Distriktverwaltungen angewiesen, einem Bundesgesetz von 2017 Folge zu leisten und den Familien von PMF-Märtyrern, die im Kampf gegen den IS gefallen sind (zumeist Schiiten), Land zuzuweisen. Diese Anordnung schloss auch Distrikte mit sunnitischer und nicht-muslimischer Mehrheit ein. Es kam zu Widerstand unter Verweis auf das in der Verfassung verankerte Verbot eines erzwungenen demografischen Wandels, insbesondere im mehrheitlich christlichen Distrikt Hamdaniya (USDOS 21.6.2019).

 

Religiöse/konfessionelle Verteilung im Irak (Anmerkungen zur Karte siehe unten)

(Quelle: BMI 2016)

 

Ethnische und linguistische Verteilung im Irak (Quelle BMI 2016)

Anmerkungen zu den beiden Karten: Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016). Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend die Minderheit, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017).

Die territoriale Niederlage des IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Viele Schiiten und religiöse Minderheiten, die vom IS vertrieben wurden, sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Rückkehr irakischer Streitkräfte in Gebiete, die seit 2014 von kurdischen Streitkräften gehalten wurden, führte Ende 2017 zu einer weiteren Runde demografischer Veränderungen, wobei manche kurdischen Bewohner auszogen und Araber zurückkehrten. In Gebieten, die von schiitischen Milizen befreit wurden, gab es wiederum Berichte von der Vertreibung sunnitischer Araber (FH 4.3.2020). Aufgrund der konfliktbedingten internen Vertreibungen und Rückkehrbewegungen hat sich seit 2014 die Demographie einiger Gebiete von mehrheitlich sunnitisch zu mehrheitlich schiitisch bzw. zu konfessionell gemischt entwickelt, insbesondere in den Gouvernements Bagdad, Basra und Diyala. Im Distrikt Khanaqin in Diyala ist die Anzahl der Orte mit einer sunnitischen Mehrheit von 81 auf 73 gesunken, jene mit einer kurdisch-sunnitischen Mehrheit von 20 auf 17. Im Gouvernement Babil sind vormals arabisch-sunnitisch-schiitische Mischstädte wie Jurf al-Sakhr und Musayab vollständig schiitisch geworden. In der KRI hat die Präsenz sunnitischer Araber zugenommen, sodass die Anzahl der Orte mit einer sunnitisch-arabischen Mehrheit seit 2014 von 2 auf 25 angewachsen ist (IOM 2019).

Ebenso wurde ein Rückgang von assyrischen Christen in vormals gemischt-konfessionellen Regionen im Gouvernement Ninewa verzeichnet, sowie von vormals ethnisch-konfessionell gemischten Orten in den Distrikten Mossul, Sinjar und Telfar, in denen die Zahl der kurdischen Sunniten, Jesiden und Schabak zurückging. Im Gouvernement Diyala sind turkmenisch-sunnitische Mischgebiete verschwunden, während sich die turkmenische Präsenz in der Region um Kirkuk verstärkt zu haben scheint (IOM 2019).

11.1. Sunnitische Araber

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit des ehemaligen Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert. Sunniten beanstanden die „schiitische Siegerjustiz“ in Zusammenhang mit der Verfolgung tatsächlichen oder mutmaßlichen IS-Kämpfern und die einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten (AA 02.03.2020). Bei Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (USDOS 21.6.2019). Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 02.03.2020). Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen Binnenvertriebenen durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga (USDOS 11.3.2020).

12. Relevante Bevölkerungsgruppen

12.1. (Mutmaßliche) IS-Mitglieder, IS-Sympatisanten und „IS-Familien“ (Dawa‘esh)

Frauen und Kinder von Angehörigen des Islamischen Staates (IS) sind wegen ihrer Verbindung zum IS stigmatisiert (USDOS 11.3.2020). Das Fehlen von Ausweispapieren wirkt sich für vermeintliche ehemalige IS-Angehörige bzw. deren Familien negativ auf Bewegungsfreiheit, Recht auf Arbeit und Sozialleistungen aus (HRW 14.1.2020).

Irakische Sicherheitskräfte hielten mutmaßliche IS-Angehörige willkürlich fest, viele davon monatelang. Verdächtige werden regelmäßig ohne Gerichtsbeschluss oder Haftbefehl und ohne Nennung eines Grundes für die Festnahme verhaftet (HRW 14.1.2020). Regierungstruppen der Zentralregierung und der Kurdischen Region im Irak (KRI) werden für das Verschwindenlassen tausender mutmaßlicher IS-Mitglieder und Personen, die ihnen nahe stehen, verantwortlich gemacht (USDOS 11.3.2020). In den Gouvernements Diyala und Babil wurden sunnitische Araber durch Angehörige der PMF-Milizgruppe Kata‘ib Hizbullah eingeschüchtert oder entführt, sowie sunnitisch-arabische IDPs an der Rückkehr in ihre Herkunftsorte gehindert (USDOS 21.6.2019). Regierungskräfte und Milizen haben in einigen Gouvernements mutmaßliche IS-Sympathisanten und Familienangehörige mutmaßlicher IS-Mitglieder aus deren Häusern vertrieben und diese beschlagnahmt (USDOS 11.3.2020; vgl. USDOS 21.6.2019). Derartige Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger, insbesondere im Gouvernement Ninawa (AA 02.03.2020). Bewaffnete Akteure unter der Kontrolle der irakischen Behörden bestrafen Familien mit einer vermeintlichen Beziehung zum IS (AI 26.2.2019). Außerdem werden IS-Verdächtige, sowie Personen mit Verbindungen zu IS-Angehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kinder, im Rahmen der Anti-Terrorismus-Gesetze rechtlich verfolgt (FP 31.1.2020). Dabei wird über die weit verbreitete Anwendung von Folter durch zentral-irakische und kurdische Sicherheitskräfte zur Gewinnung von Geständnissen berichtet (HRW 14.1.2020).

Die Bewegungsfreiheit von Personen mit angenommenen IS-Verbindungen werden eingeschränkt. Zudem sind Familienmitglieder von IS-Angehörigen oft nicht bereit oder in der Lage an ihre Herkunftsorte zurückzukehren (USDOS 1.11.2019; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Auch das Fehlen von Dokumenten hindert Menschen an der Rückkehr in ihre Heimatregionen (HRW 14.6.2019; vgl. NRC 4.2019). Überhaupt wirkt sich das Fehlen von Ausweispapieren negativ auf die Bewegungsfreiheit aus. Personen ohne Papiere sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, willkürlich verhaftet oder an Kontrollpunkten festgehalten zu werden (HRW 14.1.2020; vgl. HRW 14.6.2019; NRC 4.2019).

Personen mit angenommenen IS-Verbindungen erhalten keinen Zugang zu Dienstleistungen (USDOS 1.11.2019; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Die Entschädigungskommissionen von Mossul im Gouvernement Ninewa hat erklärt, dass Familien von IS-Mitgliedern eine Entschädigung erhalten können, wenn sie vom irakischen Geheimdienst NSS eine Sicherheitsfreigabe für ihre Heimkehr erhalten. Es wird aber berichtet, dass allen Familien von mutmaßlichen IS-Mitgliedern diese Genehmigung verweigert wird (USDOS 11.3.2020). Das Fehlen von Dokumenten schränkt mitunter den Zugang zu grundlegenden Diensten zusätzlich ein (NRC 4.2016; vgl. HRW 14.6.2019; HRW 14.1.2020).

Nach Schätzungen von Hilfsgruppen fehlten Anfang 2019 mindestens 156.000 IDPs zumindest ein Teil ihrer wesentlichen zivilen Dokumente. Personen, denen zivile Dokumente fehlen oder die abgelaufene Dokumente erneuern wollen, benötigen eine Sicherheitsfreigabe. Um diese zu erhalten, müssen sie sich an den zuständigen Geheimdienst wenden. Die Beamten werden ihre Namen durch eine Datenbank von Personen laufen lassen, die wegen ihrer mutmaßlichen Verbindungen zu IS als „gesucht" markiert sind. Wenn ihr Verwandter auf einer dieser Listen steht, wird die Freigabe verweigert (HRW 14.6.2019). Oft werden Anti-Terrorismusgesetze herangezogen, um Sicherheitsfreigaben zu verlangen oder die Ausstellung von Dokumenten zu verweigern (NRC 4.2019). Aufgrund des Familiennamens, der Stammeszugehörigkeit oder des Herkunftsgebietes von Familien wird mitunter eine IS-Angehörigkeit vermutet. Dadurch kommt es zur Weigerung, eine Sicherheitsfreigabe zu erteilen, was wiederum die Beschaffung von Dokumenten verunmöglicht. Einige Familien wurden genötigt, zur Erlangung der Sicherheitsfreigabe Verwandte, die verdächtigt werden, sich dem IS angeschlossen zu haben, anzuzeigen (HRW 14.1.2020).

Irakische Sicherheitskräfte konfiszieren Dokumente von Personen, die aus IS-Territorien geflohen sind bzw. von Personen, die in Flüchtlingslagern ankommen (HRW 28.8.2019; vgl. NRC 4.2019). Es kommt auch zur Vernichtung abgelaufener Dokumente oder zur Verhaftung ansuchender Personen (HRW 14.6.2019). Familien, deren Kinder im IS-Territorium geboren wurden, haben Schwierigkeiten, für ihre Kinder Geburtsurkunden, und darauf aufbauende, weiterführende Unterlagen zu erhalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Ehemann tot, vermisst oder inhaftiert ist (HRW 28.8.2019). Speziell jenen Kindern, die zwischen 2014 und 2017 in Gebieten unter der Kontrolle des IS geboren wurden oder lebten, fehlen zivile Dokumente. Die irakische Regierung verweigert bzw. erschwert aber Tausenden von Kindern, deren Eltern tatsächlich oder wahrgenommen dem IS angehörten, die Ausstellung ziviler Dokumente (HRW 28.8.2019; vgl. AI 26.2.2019). Etwa 43.000 bis 45.000 solcher Kinder droht dadurch Staatenlosigkeit (Independent 30.4.2019; vgl. NRC 4.2019; OHCHR 11.9.2019). Außerdem wirkt sich das Fehlen von Dokumenten auf alle mit Dokumenten einhergehenden Rechte aus, wie etwa dem Recht auf Bildung (HRW 28.8.2019; vgl. AI 26.2.2019). Laut einem Dokument aus dem September 2018 soll zwar Kindern, denen die notwendigen Dokumente fehlen, das Einschreiben an Schulen ermöglicht werden; doch wird undokumentierten Kindern immer noch die Einschreibung an staatlichen Schulen untersagt (HRW 28.8.2019). Auch im Jahr 2019 wurden tausende Kinder ohne zivile Papiere daran gehindert, sich an staatlichen Schulen anzumelden – einschließlich Schulen in Flüchtlingslagern (HRW 14.1.2020).

Amnestie: Ein im August 2016 verabschiedetes allgemeines Amnestiegesetz (Nr. 27/2016) gewährt allen Personen, die zwischen 2003 und dem Datum der Verabschiedung des Gesetzes verurteilt wurden, die Möglichkeit einen Antrag auf Amnestie zu stellen. Ausgenommen sind Personen, die wegen 13 Arten von Verbrechen verurteilt wurden, darunter Terrorakte, die Todesfälle oder dauerhafte Invalidität zur Folge hatten, Menschenhandel, Vergewaltigung, Geldwäsche und Veruntreuung sowie Diebstahl staatlicher Gelder (Al-Monitor 30.8.2016). Dieses Gesetz sieht theoretisch auch eine Amnestie für jede Person vor, die sich gegen ihren Willen dem IS oder einer anderen extremistischen Gruppe angeschlossen und keine schwere Straftat begangen hat (HRW 6.3.2019; vgl. Al-Monitor 30.8.2016). Richter, die mit Fällen der Terrorismusbekämpfung befasst sind, weigern sich jedoch häufig, das Gesetz anzuwenden (HRW 6.3.2019).

13. Bewegungsfreiheit

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 11.3.2020).

Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der Islamische Staat (IS) richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vgl. Zeidel/al-Hashimis 6.2019).

Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 11.3.2020).

Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS, zwischen 2014 und 2017, führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.2019). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 4.3.2020).

Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren. Eine Kontrolle der eigenen Staatsangehörigen findet bei der Ausreise zwar statt. Fälschungen werden nur selten erkannt (in der RKI häufiger). Es besteht bisher keine Möglichkeit für irakische Grenzbeamte, auf eine zentrale Datenbank ausgestellter Reisepässe zurückzugreifen (AA 02.03.2020).

Einreise und Einwanderung in die Kurdische Region im Irak (KRI)

Die Kurdischen Region im Irak (KRI) schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 11.3.2020). Während die Einreise in die Gouvernements Erbil und Sulaymaniyah ohne Bürgen möglich ist, wird für die Einreise nach Dohuk ein Bürge benötigt. Insbesondere Araber aus den ehemals vom IS kontrollierten Gebieten, sowie Turkmenen aus Tal Afar im Gouvernement Ninewa benötigen einen Bürgen aus Dohuk, es sei denn, sie erhalten eine vorübergehende Reisegenehmigung vom Checkpoint in der Nähe des Dorfes Hatara. Diese Genehmigung wird für kurzfristige Besuche aus medizinischen oder ähnlichen Gründen erteilt (UNHCR 11.2019).

Inner-irakische Migration aus dem Zentralirak in die KRI ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert (AA 02.03.2020). Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der kurdischen Geheimpolizei des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 02.03.2020; vgl. UNHRC 11.2019). Eine Sicherheitsfreigabe ist dabei in allen Regionen der KRI notwendig (UNHCR 11.2019). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, dass sie einen in der Region ansässigen Bürgen vorweisen können (USDOS 11.3.2020). Eine zusätzliche Anforderung für alleinstehende arabische und turkmenische Männer ist, dass sie eine feste Anstellung und ein Unterstützungsschreiben ihres Arbeitgebers vorweisen müssen (UNHCR 11.2019). In Dohuk muss eine Person in Begleitung des Bürgen, der die Einreise ermöglicht, vorstellig werden, um eine Aufenthaltskarte („Informationskarte“) zu erhalten (UNHCR 11.2019). Die Aufenthaltsgenehmigung ist in der Regel einjährig erneuerbar (UNHCR 11.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Personen ohne feste Anstellung erhalten jedoch nur eine einmonatige, erneuerbare Genehmigung (UNHCR 11.2019). Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die KRI einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehen lassen (USDOS 11.3.2020).

Die KRI-Behörden wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Checkpoints werden manchmal für längere Zeit geschlossen. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 11.3.2020).

Einreise und Einwanderung in den Irak unter der Zentralregierung

Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Najaf, Qadissiya und Wassit. Für den Zugang zu den Gouvernements Maysan und Muthanna wird hingegen ein Bürge benötigt, der die Person an einem Grenz-Checkpoint in Empfang nimmt, oder mit ihr bei der zuständigen Sicherheitsbehörde für eine Freigabe vorstellig wird. Ohne Bürge wird der Zugang wahrscheinlich verweigert, auch wenn die Sicherheitsbehörden über einen Ermessensspielraum für Ausnahmen verfügen (UNHCR 11.2019).

Für die Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar (Anm.: etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadisiya und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Eine Ausnahme stellt der Bezirk Khanaqin dar, in dem Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS), und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.2019).

14. Grundversorgung und Wirtschaft

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 02.03.2020). Der irakische humanitäre Reaktionsplan schätzt, dass im Jahr 2019 etwa 6,7 Millionen Menschen dringend Unterstützung benötigten (IOM o.D.; vgl. USAID 30.9.2019). Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die grassierende Korruption verstärkt vorhandene Defizite zusätzlich. In vom Islamischen Staat (IS) befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 02.03.2020).

Insgesamt ist die Bevölkerung des Irak sehr jung, das Durchschnittsalter liegt geschätzt bei unter 20 Jahren. Genaue Zahlen zur Bevölkerungsgröße und ihrer Verteilung gibt es nicht; die letzte reguläre Volkszählung fand 1957 statt. Eine neue Erhebung ist für Oktober 2020 vorgesehen (AA 02.03.2020).

Nach Angaben der Weltbank (2018) leben über 70 % der Iraker in Städten, wobei die Mehrzahl der Stadtbewohner in prekären Verhältnissen lebt (AA 02.03.2020). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018). Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 02.03.2020).

Wirtschaftslage

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mossul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im April 2019 (GIZ 1.2020c). Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich nach den wirtschaftlichen Herausforderungen und innenpolitischen Spannungen der letzten Jahre. Während das BIP 2016 noch um 11% wuchs, verzeichnete der Irak 2017 ein Minus von 2,1%. 2018 zog die Wirtschaft wieder an und verzeichnete ein Plus von ca. 1,2% aufgrund einer spürbaren Verbesserung der Sicherheitsbedingungen und höherer Ölpreise. Für 2019 wurde ein Wachstum von 4,5% und für die Jahre 2020–23 ebenfalls ein Aufschwung um die 2-3%-Marke erwartet (WKO 18.10.2019).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 1.2020c). Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Der Irak besitzt kaum eigene Industrie jenseits des Ölsektors. Hauptarbeitgeber ist der Staat, öffentliche Gehälter wurden in den letzten Jahren aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise gar nicht oder erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt. (AA 02.03.2020).

Die Arbeitslosenquote, die vor der IS-Krise rückläufig war, ist über das Niveau von 2012 hinaus auf 9,9% im Jahr 2017/18 gestiegen. Unterbeschäftigung ist besonders hoch bei IDPs. Fast 24% der IDPs sind arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 17% im Landesdurchschnitt). Ein Fünftel der wirtschaftlich aktiven Jugendlichen ist arbeitslos, ein weiters Fünftel weder erwerbstätig noch in Ausbildung (WB 12.2019).

Die Armutsrate im Irak ist aufgrund der Aktivitäten des IS und des Rückgangs der Öleinnahmen gestiegen (OHCHR 11.9.2019). Während sie 2012 bei 18,9% lag, stieg sie während der Krise 2014 auf 22,5% an (WB 19.4.2019). Einer Studie von 2018 zufolge ist die Armutsrate im Irak zwar wieder gesunken, aber nach wie vor auf einem höheren Niveau als vor dem Beginn des IS-Konflikt 2014, wobei sich die Werte, abhängig vom Gouvernement, stark unterscheiden. Die südlichen Gouvernements Muthanna (52%), Diwaniya (48%), Maisan (45%) und Dhi Qar (44%) weisen die höchsten Armutsraten auf, gefolgt von Ninewa (37,7%) und Diyala (22,5%). Die niedrigsten Armutsraten weisen die Gouvernements Dohuk (8,5%), Kirkuk (7,6%), Erbil (6,7%) und Sulaymaniyah (4,5%) auf. Diese regionalen Unterschiede bestehen schon lange und sind einerseits auf die Vernachlässigung des Südens und andererseits auf die hohen Investitionen durch die Regionalregierung Kurdistans in ihre Gebiete zurückzuführen (Joel Wing 18.2.2020). Die Regierung strebt bis Ende 2022 eine Senkung der Armutsrate auf 16% an (Rudaw 16.2.2020).

Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Arbeitsmöglichkeiten haben im Allgemeinen abgenommen. Die monatlichen Einkommen im Irak liegen in einer Bandbreite zwischen 200 und 2.500 USD (Anm.: ca. 185-2.312 EUR), je nach Position und Ausbildung. Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD (Anm.: ca. 0,9 EUR) pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land sind derzeit keine dieser Weiterbildungsprogramme, die nur durch spezielle Fonds zugänglich sind, aktiv (IOM 1.4.2019).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 02.03.2020). Sie deckt nur etwa 60% der Nachfrage ab, wobei etwa 20% der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 17.9.2019). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. In der RKI erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag, insbesondere im Sommer und Winter (höherer Verbrauch durch Klimatisierung und Heizperiode) (AA 02.03.2020).

Wasserversorgung

Etwa 70% des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes, vor allem in der Türkei und im Iran. Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark reduziert. Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt und dient somit als Lebensgrundlage für etwa 13 Millionen Menschen (GRI 24.11.2019).

Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Insbesondere Dammprojekte der irakischen Nachbarländer, wie in der Türkei, haben großen Einfluss auf die Wassermenge und Qualität von Euphrat und XXXX . Der damit einhergehende Rückgang der Wasserführung in den Flüssen hat ein Vordringen des stark salzhaltigen Wassers des Persischen Golfs ins Landesinnere zur Folge und beeinflusst sowohl die Landwirtschaft als auch die Viehhaltung. Das bringt in den besonders betroffenen südirakischen Gouvernements Ernährungsunsicherheit und sinkenden Einkommensquellen aus der Landwirtschaft mit sich (EPIC 18.7.2017).

Die Wasserversorgung wird zudem von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem fehlt es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem (Leitungs-)Wasser (AA 02.03.2020). Kritisch wird die Wasserversorgung in den Sommermonaten immer wieder in der Hafenstadt Basra (ca. 2 Mio. Einwohner), die insbesondere im Sommer 2018 unter einer Wasserkrise litt. Über 100.000 Fälle von registrierten Magen-Darm-Erkrankungen waren auf die schlechte Wasserqualität zurückzuführen (AA 02.03.2020).

Nahrungsmittelversorgung

Etwa 1,77 Millionen Menschen im Irak sind von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, ein Rückgang im Vergleich zu 2,5 Millionen Betroffenen im Jahr 2019 (USAID 30.9.2019; vgl. FAO 31.1.2020). Die meisten davon sind IDPs und Rückkehrer. Besonders betroffen sind jene in den Gouvernements Diyala, Ninewa, Salah al-Din, Anbar und Kirkuk (FAO 31.1.2020).

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurden unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Trotz konfliktbedingter Einschränkungen und Überschwemmungen entlang des XXXX (betroffene Gouvernements: Diyala, Wasit, Missan und Basra), die im März 2019 aufgetreten sind, wird die Getreideernte 2019 wegen günstiger Witterungsbedingungen auf ein Rekordniveau von 6,4 Millionen Tonnen geschätzt (FAO 31.2.2020). Trotzdem ist das Land von Nahrungsmittelimporten abhängig (FAO 31.1.2020). Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (UNFAO) schätzt, dass der Irak zwischen Juli 2018 und Juni 2019 etwa 5,2 Millionen Tonnen Mehl, Weizen und Reis importiert hat, um den Inlandsbedarf zu decken (USAID 30.9.2019).

Im Südirak und insbesondere Basra führen schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass Landwirte ihre Flächen mit verschmutztem und salzhaltigem Wasser bewässern, was zu einer Degradierung der Böden und zum Absterben von Nutzpflanzen und Vieh führt (HRW 22.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen (K4D 18.5.2018; vgl. USAID 30.9.2019). Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schwerer Ineffizienz gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).

15. Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 02.03.2020). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung vollständig sicherzustellen (AA 02.03.2020). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

SARS-CoV-2 (siehe dazu auch Kapitel 1)

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf.

Die Bestätigung erster Fälle des COVID-19 Virus in Syrien und im Gaza-Streifen schüren Ängste vor einer verheerenden Ausbreitung des Virus in einigen der vulnerabelsten Staaten im Nahen Osten, darunter auch der Jemen (TDS 24.3.2020a). Aufgrund schwacher Gesundheitsversorgung, schlechter sanitärer Infrastruktur, Kampfhandlungen oder politischer Einschränkungen könnte sich der Virus besonders in den zahlreichen und dicht besiedelten Flüchtlingslagern der Region rasch ausbreiten und kaum einzudämmen sein. Auch überfüllte Gefängnisse werden als besondere Problemzonen angesehen (TWP 20.3.2020; vgl. FNS 3.2020).

Die Staaten des Nahen Ostens setzen unterschiedliche Maßnahmen und Restriktionen, um die globale Pandemie des Corona-Virus möglichst einzudämmen. Viele schlossen ihre Grenzen und stoppten Flüge (TDS 23.3.2020). Im Irak benutzten die Behörden zum ersten Mal seit dem Golfkrieg 1990 ein Lautsprechersystem, um die Bevölkerung aufzufordern zu Hause zu bleiben und Menschenansammlungen zu meiden (TDS 23.3.2020). Humanitäre Organisationen fürchten dort besonders um die 1.5 Millionen Zivilisten, die im Zuge der Kämpfe gegen den sogenannten Islamischen Staat vertrieben wurden. In dicht besiedelten Lagern oder Wohnblöcken haben viele nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln. Das saubere Wasser, das sie haben, wird zum Kochen und nicht zum Händewaschen benötigt (TWP 20.3.2020). Schulen, Universitäten, Einkaufszentren und andere Plätze, an denen sich größere Menschenansammlungen bilden können, wurden ebenso geschlossen, wie die irakischen Grenzen (Al Jazeera 26.3.2020).

Im Irak wurde am 22.02.2020 der erste COVID-19-Fall bestätigt. Mit 26.04.2020 wurden im Irak 1.763 Personen positiv auf COVID-19 getestet, davon sind 86 verstorben. 1.224 Personen waren am 25.04.2020 von ihrer Erkrankung genesen. Die aktuelle Anzahl der Neuerkrankungen, der genesenen Personen und der Anzahl der Todesfälle kann unter https://coronavirus.iq/ abgerufen werden.

Der Irak wird bei der Bewältigung der regionalen Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie von China unterstützt. Am 07.03.2020, am 08.04.2020 und am 20.04.2020 trafen Hilfslieferungen und medizinisches Personal aus China im Irak ein.

Am 19.04.2020 beschlossen die irakischen Behörden, die zur Hintanhaltung der Verbreitung von COVID-19 verhängte Ausgangssperre zwischen dem 21.04.2020 und dem 22.05.2020 zwischen 6.00 Uhr und 19.00 Uhr aufzuheben, nicht jedoch an Freitagen und an Samstagen.

Der irakische Planungsminister Nuri Sabah Al-Dulaimi verlautbarte am 23.04.2020, dass die Behörden Bürgern, die ihr Einkommen aufgrund von Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus verloren haben, innerhalb von zehn Tagen eine Ausgleichszahlung auszahlen würden. Die Höhe der Zahlung wurde mit 30.000 IQD pro Person festgesetzt (ca. 25 USD). Al-Dulaimi zufolge stellten 18 Millionen Bürger Anträge, IOM berichtet von 2,5 Millionen Anträgen.

Im Südirak werden derzeit Weizen und Gerste geerntet. Die irakische Regierung kündigt in Zusammenhang mit der Verbreitung von COVID-19 an, dass die Weizenpreise in Abgabestellen der Regierung ähnlich wie in den Vorjahren sein werden. Die Preise für Lebensmittel bzw. das Preisniveau auf Märkten sind im Allgemeinen stabil. An Bedürftige werden Nahrungsmittel verteilt, wobei beabsichtigt ist, die Kapazitäten je nach Bedarf und Ressourcen zu erhöhen. Obwohl der Irak mit einem überdurchschnittlichen Weizenertrag in der Saison 2019/2020 rechnet, werden weiterhin große Mengen Weizen importiert, um die Lagerbestände zu erhöhen. Weizenimporte stammen hauptsächlich aus Australien, Kanada und den Vereinigten Staaten.

Die Öleinnahmen im Irak sinken derzeit aufgrund der Entwicklung der Rohölpreise. Die irakische Regierung gibt bei der Erstellung des Haushaltes 2020 von Durchschnittspreisen von 56 USD pro Barrel aus. Das Premium-Rohöl des Irak, Basrah Light, wurde im Mai kurzzeitig nur für ca. 14 USD pro Barrel verkauft. Bis in den Juli 2020 stieg der Preis jedoch wieder auf über USD 46 pro Barrel.

16. Rückkehr

Europa gilt auch als derzeit besonders erstrebenswerte Zielregion, wobei über die Lebensbedingungen in Europa idealisierte Vorstellungen verbreitet werden. Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 02.03.2020).

Studien zufolge ist die größte Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). Es liegen keine Erkenntnisse vor, die auf eine systematische Diskriminierung zurückgeführter Iraker schließen lassen (AA 02.03.2020).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger (IOM 1.4.2019). Die Miete für 250 m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD (Anm.: ca. 296 EUR) (IOM 13.6.2018). Die Wohnungspreise in der KRI sind 2018 um 20% gestiegen, während die Miete um 15% gestiegen ist, wobei noch höhere Preise prognostiziert werden (Ekurd 8.1.2019). In den Städten der KRI liegt die Miete bei 200-600 USD (Anm.: ca. 185-554 EUR) für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 12 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 8-19 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 23-31 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000-60.000 IQD (Anm.: ca. 31-46 EUR) für privaten oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom. Die Rückkehr von IDPs in ihre Heimatorte hat eine leichte Senkung der Mietpreise bewirkt. Generell ist es für alleinstehende Männer schwierig Häuser zu mieten, während es in Hinblick auf Wohnungen einfacher ist (IOM 1.4.2019). Es besteht keine öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrer. Private Immobilienfirmen können jedoch helfen (IOM 1.4.2019).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussen sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 12.2019).

Im Zuge seines Rückzugs aus der nordwestlichen Region des Irak, 2016 und 2017, hat der Islamische Staat (IS) die landwirtschaftlichen Ressourcen vieler ländlicher Gemeinden ausgelöscht, indem er Brunnen, Obstgärten und Infrastruktur zerstörte. Für viele Bauerngemeinschaften gibt es kaum noch eine Lebensgrundlage (USCIRF 4.2019). Im Rahmen eines Projekts der UN-Agentur UN-Habitat und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) wurden im Distrikt Sinjar, Gouvernement Ninewa, binnen zweier Jahre 1.064 Häuser saniert, die während der IS-Besatzung stark beschädigt worden waren. 1.501 Wohnzertifikate wurden an jesidische Heimkehrer vergeben (UNDP 28.4.2019).

ERRIN ist ein Rückkehr- und Reintegrationsprogramm auf europäischer Ebene mit dem Hauptziel, Reintegrationsunterstützung im Herkunftsland anzubieten. ERRIN ist eine Spezifische Maßnahme (Specific Action) im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU, wird von den Niederlanden (Repatriation and Departure Service (R&DS) – Ministry of Security and Justice of the Netherland) geleitet und zu 90% aus Europäischen Mitteln finanziert. Im Rahmen eines zentralen Ausschreibungsverfahrens werden Leistungsanbieter (Service Provider) zur Umsetzung von Reintegrationsprojekten in Drittstaaten ausgewählt. Im Anschluss werden mit ihnen, im Namen der partizipierenden Partnerorganisationen (Mitgliedsstaaten und assoziierende Saaten), Verträge geschlossen. Die Höhe und der Umfang der Reintegrationsleistung, also jene Leistung, die ein Rückkehrer oder eine Rückkehrerin erhält, wird von jeder Partnerorganisation selbst bestimmt (BMI 12.2018).

17. Dokumente und Staatsbürgerschaft

Artikel 18 der irakischen Verfassung besagt, dass jede Person, die zumindest über einen irakischen Elternteil verfügt, die Staatsbürgerschaft erhält und somit Anspruch auf Ausweispapiere hat (Irakische Nationalversammlung 15.10.2005; vgl. HRW 28.8.2019; USDOS 11.3.2020). Dies wird in Artikel 3 des irakischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 2006 bestätigt, jedoch wird in Artikel 4 darauf hingewiesen, dass Personen, die außerhalb des Iraks von einer irakischen Mutter geboren werden und deren Vater entweder unbekannt oder staatenlos ist, vom Minister für die irakischen Staatsbürgerschaft in Betracht gezogen werden können. Dies geschieht, wenn sich die besagte Person innerhalb eines Jahres nach ihrer Vollmündigkeit für die irakische Staatsbürgerschaft entscheidet. Wenn dies aus schwierigen Gründen unmöglich ist, kann die Person trotzdem noch um die irakische Staatsbürgerschaft ansuchen. In jedem Fall muss der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Bewerbung aber im Irak ansässig sein (Irakische Nationalversammlung 7.3.2006). Eine Doppelstaatsbürgerschaft ist per Staatsbürgerschaftsgesetz No.26/2006, Artikel 10 erlaubt (RoI MoFA 2020).

Der irakische Personalausweis (arabisch: bitaqat hawwiyat al-ahwal al-shakhsiya) wird für alle behördlichen Angelegenheiten benötigt, wie beispielsweise Gesundheits- und Sozialdienste, Schulen, sowie für den Kauf und Verkauf einer Unterkunft und eines Autos. Er wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente, wie den Reisepass, benötigt. Im Oktober 2015 ist ein neues nationales Ausweisgesetz in Kraft getreten. Laut diesem soll ein neuer biometrischer Personalausweis vier Karten ersetzen: den alten Personalausweis, den Staatsangehörigkeitsnachweis, den Aufenthaltsnachweis und den Lebensmittelausweis. Seit der Jahreswende 2015/2016 werden die neuen Ausweise sukzessive ausgestellt, bisher mehr als zehn Millionen. Viele Iraker besitzen nach wie vor ihren alten Personalausweis und die erforderlichen Staatsangehörigkeitsbescheinigungen. Zwar haben die alten Ausweise kein Ablaufdatum, doch werden sie laut irakischen Behörden im Jahr 2024 ihre Gültigkeit verlieren. Die alten Ausweise werden dabei nach wie vor an Orten ausgegeben, an denen die notwendigen Gegebenheiten für die Ausstellung der neuen Dokumente nicht vorhanden sind. So werden etwa nach Angaben der irakischen Behörden in Teilen der Gouvernements Ninewa, Diyala, Salah ad-Din und Anbar immer noch alte Personalausweise und Staatsangehörigkeitsbescheinigungen ausgestellt. Von den 356 Ausweisämtern des Landes stellen derzeit 266 die neuen elektronischen Ausweise aus. Da Ausweise in der Regel nur an den Orten der Aufenthaltsmeldung ausgestellt werden, benötigen IDPs häufig die Hilfe anderer, um zumindest an einen alten Ausweis zu kommen (FIS 17.6.2019).

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 02.03.2020).

Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen Nationalpass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Die Türkei erkennt grundsätzlich jedes Dokument, das zur Einreise in die Türkei berechtigt, auch für den Transit nach Irak an. Iraker brauchen für die Türkei kein Transitvisum. Personen, die aus EU-Mitgliedstaaten in die Türkei eingereist sind und in ihren - Reisedokumenten (z. B. in Flüchtlingsausweisen) Vermerke wie „nicht gültig für Irak“ tragen, wird die Ausreise aus der Türkei Richtung Irak nicht gestattet (AA 02.03.2020).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers und der im Gefolge seiner Einvernahme in Vorlage gebrachten Unterlagen sowie des Inhaltes der gegen die im Verfahren angefochtenen Bescheide erhobenen Beschwerden, ferner durch Vernehmung des Beschwerdeführers als Partei in der vor dem erkennenden Gericht am 03.07.2020 durchgeführten mündlichen Verhandlung, Einholung aktueller Auszüge aus dem Strafregister und dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich und im Wege der Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, den Country of Origin Information Report von EASO vom März 2019 zum Irak betreffend Targeting of Individuals, den Country of Origin Information Report von EASO vom März 2019 zum Irak betreffend Security Situation, den Country of Origin Information Report von EASO vom März 2019 zum Irak betreffend Iraq Body Count – civilian deaths 2012, 2017-2018, den Country of Origin Information Report von EASO vom Februar 2019 zum Irak betreffend zentrale sozioökonomische Indikatoren, den Country of Origin Information Report von EASO vom Februar 2019 zum Irak betreffend interne Mobilität, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.09.2018 betreffend Sicherheitslage, Wohnverhältnisse und Versorgung in Mossul, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29.08.2019 betreffend Sicherheitslage, Wohnverhältnisse, Grund- und medizinische Versorgung in Mossul, den Artikel der New York Times vom 29.05.2018 zur Lage in Mossul, den Artikel von Irin News vom 17.04.2018 zur Lage in Mossul, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.04.2018 betreffend Sicherheitslage in Mossul, Übergriffe auf Sunniten und Rückkehrer, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 21.03.2018 betreffend Sicherheitslage in der Provinz Ninawa, besonders für arabische SunnitInnen, die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 27.03.2017 betreffend Lage von (sunnitischen Rückkehrern) in vom Islamischen Staat befreite und von schiitischen Milizen kontrollierte Gebiete, das Themendossier schiitische Milizen von ACCORD vom 19.07.2019, das Themendossier von ACCORD vom 19.02.2020 betreffend aktuelle politische Entwicklungen und Protestlage.

Der Beschwerdeführer stellte im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht keine über die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die „Ausforschung und Ladung“ des (nicht namentlich benannten) bisexuellen Freundes des bescheiderlassenden Referenten des belangten Bundesamtes hinausgehenden Beweisanträge.

Beweisanträge dürfen nach der Rechtsprechung abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich nicht geeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (VwGH 28.09.2018, Ra 2018/08/019; 23.06.2017, Ra 2016/08/0141, jeweils mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat die beantragte mündliche Verhandlung durchgeführt und sich einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschafft. Das Bundesverwaltungsgericht ist diesfalls nicht an die verwaltungsbehördliche Beweiswürdigung gebunden (VwGH 01.03.2016, Ra 2015/11/0106; 24.03.2020, Ra 2019/09/0159). Da die Beweiswürdigung mithin aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht von diesem selbst nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung vorgenommen wird, ist vollkommen unerheblich, welche Einschätzungen dem bescheiderlassenden Referenten des belangten Bundesamtes von einem bisexuellen Freund mitgeteilt wurde, zumal sich das Bundesverwaltungsgericht in der untenstehenden Beweiswürdigung nicht auf solche Einschätzungen beruft. Auf den beantragten Zeugenbeweis kommt es demnach nicht an, sodass dem Beweisantrag nicht zu folgen war.

2.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts des belangten Bundesamtes, das ein umfassendes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Abstammung und seinem Religionsbekenntnis sowie dessen persönlichen und familiären Lebensumständen im Herkunftsstaat bis zur Ausreise sowie seinen Familienverhältnissen unter dem Punkt 1.1. ergeben sich aus den im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers in den Verfahren vor dem belangten Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht, es liegen dazu von wenigen Ausnahmen – auf die noch einzugehen sein wird – abgesehen keine gegenläufigen Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vor.

Die Identität des Beschwerdeführers steht in Anbetracht seines im Original in Vorlage gebrachten irakischen Personalausweises sowie des ebenfalls im Original vorliegenden irakischen Staatsbürgerschaftsnachweises fest.

Der Beschwerdeführer legte im Hinblick auf seinen gesundheitlichen Zustand zuletzt in der mündlichen Verhandlung dar, dass er gesund sei. Er brachte unter Einem jedoch zahlreiche Befunde über medizinische Behandlungen in Vorlage, die er im Bundesgebiet in Anspruch nahm. Aus den Befunden gehen die festgestellten Behandlungen sowie Medikamentenabgaben hervor, nicht jedoch eine gegenwärtige Erkrankung des Beschwerdeführers.

Eine erste Divergenz trat hinsichtlich des vom Beschwerdeführer erlernten bzw. vor der Ausreise ausgeübten Berufes auf, zumal der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung und vor dem belangten Bundesamt angab, den Beruf des Kochs erlernt und ausgeübt zu haben (AS 23 und AS 128). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer demgegenüber an, dass er als Kellner gearbeitet habe. Es ist demnach festzustellen, dass der Beschwerdeführer in der Gastronomie als Koch und als Kellner erwerbstätig war.

Ein nicht auflösbarer Widerspruch liegt hinsichtlich des Zeitpunktes des Verlassens des Herkunftsstaates vor. Zunächst brachte der Beschwerdeführer anlässlich der Erstbefragung vor, dass er den Irak am 13.07.2015 illegal mit einem Personenkraftwagen verlassen habe (AS 25). Von einem längeren Aufenthalt in der Türkei war bei der Schilderung der Reisebewegungen keine Rede, wobei der bei der Erstbefragung dargelegte zeitliche Ablauf der Reisebewegungen grundsätzlich schlüssig ist. Bei der Einvernahme vor dem belangten Bundesamt legte der Beschwerdeführer mit dem 17.07.2015 zwar ein geringfügig abweichendes Ausreisedatum das (AS 130), in einer Gesamtwürdigung seiner weitgehend stringenten Angaben kann ausgehend davon die Ausreise aus dem Irak im Juli 2015 festgestellt werden. § 19 Abs. 1 AsylG 2005 zufolge dient die Erstbefragung im Übrigen insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute, sodass die Verwertung der Angaben zur Reiseroute aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes zulässig ist und aufgrund der geringen zeitlichen Distanz zur Ausreise davon ausgegangene werden kann, dass Angaben zur Reiseroute gerade bei der Erstbefragung noch entsprechend präsent sind.

Das demgegenüber in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht angegebene angebliche Ausreisedatum 22.02.2014 erweist sich aus den untenstehenden Gründen als nicht glaubwürdig und ist daher den Feststellungen nicht zugrunde zu legen.

Zum Wohnort der Familie des Beschwerdeführers in Mossul ist abschließend festzuhalten, dass der Bezirk XXXX im von Zerstörungen weitgehend verschonten und zuerst von den Milizen des Islamischen Staates befreiten Ostteil der Stadt zwischen den Flüssen XXXX und XXXX und der vom Islamischen Staat zerstörten XXXX gelegen ist.

2.3. Aufgrund der dynamischen Lageentwicklung in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers und der Dauer des Beschwerdeverfahrens sah sich das Bundesverwaltungsgericht veranlasst, zuletzt eine Aktualisierung der im Verfahren herangezogenen Berichte zur Lage im Herkunftsstaat vorzunehmen. Die für die gegenständliche Entscheidung maßgebliche Einschätzung der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat beruht im Wesentlichen auf den dem Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen.

Die getroffenen Feststellungen zur gegenwärtigen Lage im Gouvernement Ninawa unter Punkt 1.9. gründen sich auf die betreffende Einschätzung des European Asylum Support Office (EASO) in den Berichten vom März 2019 zum Irak betreffend Security Situation und vom März 2019 zum Irak betreffend Iraq Body Count – civilian deaths 2012, 2017-2018 sowie auf den zuletzt von der Staatendokumentation zur Verfügung gestellten aktuellen Opferzahlen. Der Beschwerdeführer ist dem Inhalt dieser Berichte nicht entgegengetreten.

Die Feststellungen betreffend die gegenwärtige Lage in der Stadt Mossul unter Punkt 1.10. beruhen auf den Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 28.09.2018 und vom 29.08.2019 betreffend Sicherheitslage, Wohnverhältnisse und Versorgung in Mossul sowie ergänzend auf den in im Artikel der New York Times vom 29.05.2018 und im Artikel von Irin News vom 17.04.2018 zur Lage in Mossul getätigten Ausführungen. Der Beschwerdeführer ist dem Inhalt dieser Berichte ebenfalls nicht entgegengetreten.

Die zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat unter Punkt 1.11. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, welche in der mündlichen Verhandlung erörtert und dem Beschwerdeführer zuvor zur Erstattung einer Stellungnahme ausgefolgt wurden, wobei aufgrund der dynamischen Lageentwicklung die aktuellsten Ereignisse im Irak anhand der Angaben der wöchentlich erscheinenden Briefing Notes des (deutschen) Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zusätzlich festgestellt wurden. Zur Sicherstellung der notwendigen Ausgewogenheit in der Darstellung wurden Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer ist den ihm zunächst mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.05.2019 zur Stellungnahme übermittelten Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat nicht entgegengetreten. In seiner Stellungnahme vom 31.10.2019 verweist der Beschwerdeführer vielmehr unter Bezugnahme auf die übermittelten Erkenntnisquellen auf die Richtigkeit des eigenen Verfahrensstandpunktes.

In der Beschwerde wird moniert, dass das belangte Bundesamt die angefochtene Entscheidung auf unzureichende und „teilweise unrichtig[e]“ Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat stützen würde, wobei es das belangte Bundesamt insbesondere unterlassen habe, sich mit der Situation homosexuell orientierter Personen im Irak auseinanderzusetzen. Dem ist entgegenzuhalten, dass das belangte Bundesamt dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend seine behauptete sexuelle Orientierung die Glaubwürdigkeit abgesprochen hat und es schon deshalb nicht geboten war, spezifische Feststellungen zur Lage homosexuell orientierter Personen im Irak zu treffen. Eine Mangelhaftigkeit des angefochtenen Bescheides wird dahingehende nicht aufgezeigt. Entsprechendes gilt für diese Entscheidung, zumal die behauptete homosexuelle bzw. bisexuelle Orientierung des Beschwerdeführers auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubwürdig dargelegt wurde und dementsprechend auch nicht festgestellt werden konnte.

Wenn weiters moniert wird, dass die Schutzfähigkeit der irakischen Behörden nicht hinreichend überprüft worden sei, ist dem entgegenzuhalten, dass sich die Frage der Schutzfähigkeit der Behörden des Herkunftsstaates nur dann relevant ist, wenn zuvor festgestellt wurde, dass dem Beschwerdeführer von dritter Seite Verfolgung droht. Nur in solch einem Fall ist entscheidend, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (statt aller VwGH 20.01.2020, Ra 2020/14/0009). Wenn – wie im gegenständlichen Fall – die Gefahr einer im Rückkehrfall eintretenden individuellen Gefährdung durch nichtstaatliche Akteure überhaupt verneint wird, stellt sich die Frage nach der Schutzfähigkeit der (irakischen) Behörden von vornherein nicht.

Im Hinblick auf die Aktualität der herangezogenen Quellen hat das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren aufgrund der dynamischen Lageentwicklung aktuelle Quellen herangezogen und zusätzlich die aktuellsten Ereignisse im Irak anhand der Angaben der wöchentlich erscheinenden Briefing Notes des (deutschen) Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge festgestellt. Das (deutschen) Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge beobachtet die Lage in zahlreichen Staaten laufend und publiziert wesentliche Sachverhalte wöchentlich, sodass die notwendige Aktualität gewährleistet ist.

Wenn schließlich moniert wird, dass das belangte Bundesamt keine Recherchen vor Ort durchgeführt habe, ist dem einzusetzen, dass derartige Recherchen im Verfahren erster Instanz einerseits nicht beantragt wurden und andererseits auch kein Recht auf Recherchen vor Ort besteht (VwGH 02.05.2018, Ra 2018/18/0159 mwN).

Der im Verfahrensgang dargestellten Rüge der dem Beschwerdeführer zugewiesenen Rechtsberatungsorganisation in der Stellungnahme vom 13.05.2019 ist – ungeachtet des Umstandes, dass nach der Verlängerung der Stellungnahmefrist am 31.10.2019 eine inhaltliche Stellungnahme abgegeben wurde und keine weiteren Beanstandungen der Vorgehensweise des Bundesverwaltungsgerichtes im Verfärben erfolgte – auf Folgendes hinzuweisen:

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien ist Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Ein Recht darauf, dass bestimmte Beweismittel erläutert werden oder deren Relevanz im Vorhinein dargelegt wird (was gerade bei Länderberichten einer vorgreifenden Beweiswürdigung gleichkommen würde, zumal es der Partei freisteht, eigene Länderberichte in Vorlage zu bringen), aus der zitierten Gesetzesstelle daraus entgegen der Ansicht der rechtsfreundlichen Vertretung der Beschwerdeführer nicht abzuleiten. Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in dieser Hinsicht in seiner Rechtsprechung, dass das Verwaltungsgericht die Pflicht hat, von Amts wegen für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu sorgen. Dabei kommt nach § 46 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalts geeignet und nach Lage des einzelnen Falls zweckdienlich ist. Damit ist der Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel statuiert, aus dem sich auch der Grundsatz der (prinzipiellen) Gleichwertigkeit aller Beweismittel ergibt (vgl. VwGH 26.5.2014, 2013/08/0075). Was als Beweismittel heranzuziehen ist, hat letztlich die Behörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht zu bestimmen; entscheidend ist, ob von dem betreffenden Beweismittel ein Beitrag zur Feststellung des Sachverhalts zu erwarten ist (VwGH 31.07.2018, Ro 2015/08/0033). Die im Verfahren herangezogenen Berichte sind aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedenfalls zweckdienlich, um Feststellungen zur gegenwärtigen allgemeinen Lage im Irak sowie zur Lage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers zu treffen. Dass aus § 46 AVG – über die Frage hinaus, was als Beweismittel zweckdienlich ist – ein Anspruch der Partei erwächst, dass ihr Unterlagen näher erörtert werden, kann das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennen. Die Beweiswürdigung im Sinn des § 45 Abs. 2 AVG zählt nicht zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens, zu denen im Rahmen des Parteiengehörs zwingend eine Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen wäre (vgl. statt aller VwGH 28.05.2019, Ra 2018/15/0051 mwN). Ausgehend davon ist nicht der aufgrund der Beweiswürdigung – die freilich erst nach Schluss der Verhandlung erfolgen kann – festzustellende Sachverhalt dem Parteiengehör zu unterziehen, sondern ist vielmehr das bisherige Ergebnis des Ermittlungsverfahrens vorzuhalten. Bei den vorgehaltenen Berichten handelt es sich um rechtserhebliche Länderberichte über Tatsachen, nämlich die Lage im Herkunftsstaat, die aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes die Lage im Herkunftsstaat zutreffend wiederspiegeln und deren Inhalt demnach grundsätzlich im Sinn der Rechtsprechung vom Bundesverwaltungsgericht „als erwiesen erachtet“ wird. Die eingangs zitierten Berichte wurden aus diesem Grund zu Gehör gebracht, insbesondere um den beschwerdeführenden Parteien die Gelegenheit einzuräumen, weitere und allenfalls inhaltlich anderslautende Berichte in Vorlage zu bringen.

Ein Recht auf nähere Erläuterung dieser Berichte bzw. darauf, dass der Rechtsvertretung bereits im Vorfeld die zu treffenden Feststellungen wörtlich zur Kenntnis gebracht werden, besteht aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht und wäre eine solche Vorgehensweise schon deshalb nicht möglich, weil dem Bundesverwaltungsgericht vor der mündlichen Verhandlung regelmäßig nicht bekannt ist, welches ergänzende Tatsachenvorbringen in der Verhandlung allenfalls noch erstattet wird und welche weiteren Berichte oder Berichtsteile aufgrund eines neuen oder ergänzenden Vorbringens oder vom Beschwerdeführer selbst noch vorgelegter Berichte allenfalls noch relevant sein könnten. Der rechtsfreundlichen Vertretung ist eine solche Einschätzung demgegenüber sehr wohl möglich, steht diese doch in Kontakt mit ihrem Klienten und ist über dessen Standpunkt im Verfahren – schon aufgrund der Erhebung der Beschwerde – orientiert. Ausgehend davon und in Anbetracht der Anforderungen an Rechtsberater (§ 48 BFA-VG) darf erwartet werden, dass die rechtsfreundliche Vertretung in der Lage ist, die Relevanz der einzelnen Passagen der ihr vorgehaltenen Berichte im Kontext der Herkunft des Beschwerdeführers und des Fluchtvorbringens einzuschätzen.

Dessen ungeachtet wurde dem Verlangen der rechtsfreundlichen Vertretung der Beschwerdeführer nach einer genauen Bezeichnung der wesentlichen Passagen der vorgehaltenen Länderdokumentationsunterlagen seitens des Bundesverwaltungsgerichtes entsprochen und darüber hinaus die Frist zur Abgabe einer Stellungnahme erstreckt, sodass am 31.10.2019 eine inhaltlich Stellungnahme auch abgegeben wurde.

2.4. Die unter Punkt 1.7. getroffenen Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und seinen privaten Aktivitäten gründen sich auf die entsprechenden Ausführungen des Beschwerdeführers in den Verfahren vor dem belangten Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht, denen keine gegenteiligen Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens gegenstehen. Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zwar medizinische Unterlagen und ein Empfehlungsschreiben vor, jedoch keine Bestätigungen über den Besuch von Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache oder die Absolvierung von Prüfungen. Es wurden auch keine Einstellungszusagen in Vorlage gebracht, sodass Feststellungen nur im Umfang der Darlegungen des Beschwerdeführers getroffen werden können.

Die Feststellungen betreffend die vom Beschwerdeführer in Anspruch genommenen bzw. abgelehnten Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber ergeben sich schließlich zweifelsfrei aus dem angefertigten und in der mündlichen Verhandlung verlesenen Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich.

Aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister geht im Hinblick auf die unter Punkt 1.8. getroffenen Feststellungen zweifelsfrei hervor, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers nicht geduldetet ist und er lediglich über ein Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 für die Dauer des Asylverfahrens verfügt. Ausweislich seines Vorbringens in der mündlichen Verhandlung ist sein Aufenthalt auch nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde außerdem nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO. Er ist ausweislich des amtswegig angefertigten Auszuges aus dem Strafregister unbescholten.

2.5 Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte vor Ort zu verifizieren, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153; 15.03.2016, Ra 2015/01/0069).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt dabei positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass ein Vorbringen im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden kann, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650).

2.6. Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen im Hinblick auf die Veranlassung zur Ausreise glaubwürdig und in sich schlüssig darzulegen. Darüber hinaus kann die behauptete homosexuelle bzw. bisexuelle Orientierung des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden. Im Einzelnen:

2.6.1. Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren vor dem belangten Bundesamt im Wesentlichen vor, die Stadt Mossul aufgrund der Ermordung seines Freundes durch die Milizen des Islamischen Staates sowie aus Angst vor Verfolgung aufgrund seines Outings als homosexueller Mann (AS 131) und eines Haftbefehles des Islamischen Staates verlassen zu haben (AS 133).

Individuell gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen brachte der Beschwerdeführer werde vor dem belangten Bundesamt vor, noch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht. Ausgehend davon kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die Stadt Mossul nach der Eroberung der Stadt durch die Milizen des Islamischen Staates verließ, ohne dass es zu persönlichen Konfrontationen mit Kämpfern des Islamischen Staates kam oder Verfolgungshandlungen wider den Beschwerdeführer gesetzt wurden.

Nähere Feststellungen zum Verlassen des Herkunftsstaates können jedoch nicht getroffen werden, zumal sich das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Ereignissen vor der Ausreise einerseits gravierend widersprüchlich darstellte und andererseits das Vorbringen insgesamt vage und unsubstantiiert blieb.

Schon eingangs der mündlichen Verhandlung entfernte sich der Beschwerdeführer maßgeblich von seinem im Verfahren erster Instanz vertretenen Standpunkt, indem er – wie bereits angesprochen – erstmals im verfahren die Behauptung aufstellte, dass er den Irak bereits am 22.02.2014 verlassen habe. In Anbetracht des Vorbringens im Verfahren erster Instanz, wonach die Ausreise im Juli 2015 erfolgt sei, divergieren die Angaben des Beschwerdeführers um nahezu eineinhalb Jahre, was auf eine gravierende Unsicherheit im eigenen Standpunkt hinweist. Um Missverständnisse auszuschließen wurden dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung Nachfragen zum Ausreisedatum gestellt und ihm die Widersprüchlichkeit seiner Angaben vorgehalten, wobei der Beschwerdeführer im Ergebnis auf dem 22.02.2014 als Ausreisedatum beharrte, ohne den Widerspruch aufzuklären.

Mit seinem neuen Vorbringen entzieht der Beschwerdeführer freilich seinen weiteren Darlegungen in Bezug auf die ausreisekausalen Vorfälle die Grundlage. Der Islamische Staat hat die Stadt Mossul nämlich erst am 10.06.2014 erobert und war demgemäß erst ab diesem Zeitpunkt dazu in der Lage, in der Stadt öffentliche Hinrichtungen durchzuführen oder Lautsprecherdurchsagen vorzunehmen. Es mag zutreffen, dass der Islamische Staat bereits vor der Eroberung Mossuls am 10.06.2014 terroristische Aktivitäten entfaltete, jedoch keine offene Präsenz. Dass Mossul (erst) am 10.06.2014 von den Milizen des Islamischen Staates erobert wurde ist im Übrigen aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes eine notorische Tatsache und darüber hinaus im Wege der Einsichtnahme in zahllose Medienberichte überprüfbar (vgl. statt aller https://www.tagesschau.de/ausland/mossul-rebellen-102.html ). Der gegenteilige Standpunkt des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung überzeugt in Anbetracht dessen nicht, darüber hinaus gab der Beschwerdeführer selbst an, dass er nicht wissen würde, wann der Islamische Staates in Mossul einmarschiert sei. Dem Beschwerdeführer ist somit nicht nur Widersprüchlichkeit seines Standpunktes anzulasten, sondern auch Unkenntnis in wesentlichen Belangen, zumal von einem Einwohner Mossul aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes verlangt werden darf, zu wissen, wann die eigene Heimatstadt an die Milizen des Islamischen Staates gefallen ist.

Bereits die erörterten Aspekte lassen das Vorbringen des Beschwerdeführers gänzlich unglaubwürdig erscheinen.

Ein weiterer gravierender Widerspruch betrifft die zur Ergreifung des Beschwerdeführers angeblich unternommenen Maßnahmen. Während der Beschwerdeführer vor dem belangten Bundesamt zunächst darlegte, dass sein Name „auf einem Zettel veröffentlicht“ worden sei (AS 130) und er später noch steigernd darlegte, dass der Islamische Staat einen Haftbefehl erlassen habe (AS 133), schilderte er demgegenüber in der mündlichen Verhandlung, dass sein Name „über die Lautsprecher gerufen“ worden sei und dass er getötet hätte werden sollen. Die Darlegungen des Beschwerdeführers sind folglich auch in diesem zentralen Aspekt nicht stringent. Weitere Divergenzen in der Darlegung runden das gewonnene Bild ab. So legte der Beschwerdeführer vor dem belangten Bundesamt etwa dar, dass er bei der Flucht gestürzt sei und sich dabei an der Stirn verletzt habe. Infolgedessen hätten ihn unbekannte Personen mitgenommen (AS 130). In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer demgegenüber vor, dass er zunächst mit seinem eigenen Personenkraftwagen von Mossul weggefahren und dann in ein anderes Fahrzeug umgestiegen sei und so den Irak verlassen habe. Von einem Sturz und der Unterstützung durch unbekannte Dritte war keine Rede mehr. Anstatt dessen berichtete der Beschwerdeführer erstmals, dass er „Iraker, die in der Türkei“ leben bei „der Arbeit unterstützt und hin und her geführt“ habe, was wiederum vor dem belangten Bundesamt gänzlich unterwähnt blieb.

Ob der erörterten gravierenden Widersprüchlichkeiten kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, dass das Vorbringen betreffend die zur Ausreise führenden Gründe nicht glaubwürdig ist. Ergänzend tritt hinzu, dass das Antwortverhalten des Beschwerdeführers sowohl vor dem belangten Bundesamt, als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht von kurzen und unsubstantiierten Angaben gekennzeichnet war, was gegen die Wiedergabe eines tatsächlich erlebten Sachverhaltes spricht. So erwähnte der Beschwerdeführer etwa zu keinem Zeitpunkt den Namen seines angeblich hingerichteten Freundes. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinterließ der Beschwerdeführer außerdem einen uninteressierten und teilnahmslosen persönlichen Eindruck. Er vermittelte dem Bundesverwaltungsgericht nicht den Eindruck, gerade von den schwierigsten Stunden seiner Existenz berichten zu müssen, in welchen er – behauptetermaßen vollkommen überstürzt und aus Angst vor Verfolgung und nach der öffentlichen Hinrichtung seines Freundes – seine Heimatstadt und seine nahen Angehörigen verlassen musste.

In einer Gesamtwürdigung vermag das Bundesverwaltungsgericht mangels einer glaubwürdigen Darlegung keine positiven Feststellungen in Bezug auf die vorgebrachten Ausreisegründe zu treffen.

Der weiters vom Beschwerdeführer im Gefolge der mündlichen Verhandlung geschilderte Vorfall, wonach er im Jahr 2010 in Mossul von Sicherheitskräften geschlagen wurde, da er sich nicht ausweisen konnte, veranlasste den Beschwerdeführer ausweislich seiner Darlegungen jedenfalls nicht zur Ausreise, es kam auch bis zu seiner tatsächlichen Ausreise im Juli 2015 behauptetermaßen zu keinen weiteren Konfrontationen mit Sicherheitskräften. Darüber hinaus ist zum geschilderten Vorfall mit Sicherheitskräften anzumerken, dass dem Ereignissen schon deshalb keine Asylrelevanz zukommen kann, weil es am erforderlichen zeitlichen Zusammenhang mit der späteren endgültigen Ausreise im Juli 2015 mangelt. Wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist nach der Rechtsprechung nämlich nur anzunehmen, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0430, siehe auch VwGH 30.08.2007, Zl. 2006/19/0400). Der erforderliche zeitliche Zusammenhang ist bei einer Ausreise mehr als vier Jahre nach dem vorgebrachten Ereignis nicht mehr gegeben, zumal der Beschwerdeführer auch nicht vorbrachte, dass er sich in dieser Zeit verborgen hielt.

2.6.2. Der Beschwerdeführer brachte bereits vor dem belangten Bundesamt vor, homosexuell zu sein. Ihm wurden aufgrund seines Vorbringens zunächst am 14.02.2017 und nochmals 27.09.2017 Fragen zur vorgebrachten sexuellen Orientierung gestellt. Der Beschwerdeführer beanstandete die Modalitäten dieser Einvernahme in der Beschwerde bzw. in der mündlichen Verhandlung nicht und führte dazu befragt vielmehr aus, dass die Einvernahmen zufriedenstellend verlaufen wären.

Das Bundesverwaltungsgericht hält in diesem Zusammenhang zunächst fest, dass dem Beschwerdeführer bereits vor dem belangten Bundesamt Fragen zu den nach der Richtlinie des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge vom 23.10.2012 zu Anträgen auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder der geschlechtlichen Identität wesentlichen Aspekten bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines solchen Vorbringens gestellt. Das belangte Bundesamt hat sich insbesondere mit Selbstfindung des Beschwerdeführers im Hinblick auf die behauptete sexuelle Orientierung sowie mit seinen Liebes- und sexuellen Beziehungen sowie den Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft beschäftigt (vgl. Seiten 27-29 der Richtlinie des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge vom 23.10.2012). Kritisch ist zu bemerken, dass das belangte Bundesamt auch Fragen zu sexuellen Praktiken gestellt hat, was nicht im Focus solcher Einvernahmen stehen soll, zumal Aussagen zu sexuellen Praktiken nicht aussagekräftig sind.

Auch in der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer unter Beachtung der in der Richtlinie des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge vom 23.10.2012 zu Anträgen auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder der geschlechtlichen Identität befragt. Die Aufnahme weiterer Beweise zur vorgebrachten sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers war indes nicht möglich. Der Beschwerdeführer bot nämlich zum Beweis seines Vorbringens weder Zeugen auf, noch legte er Beweismittel wie etwa Lichtbilder oder Unterstützungserklärungen vor, die Rückschlüsse auf seine sexuelle Orientierung zulassen würden.

Die Glaubwürdigkeit der Ausführungen des Beschwerdeführers in Bezug auf seine sexuelle Orientierung kann daher lediglich anhand seiner Ausführungen vor dem belangten Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung beurteilt werden. In einer Gesamtwürdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seiner behaupteten sexuellen Orientierung, der Angaben des Zeugen und des in der mündlichen Verhandlung gewonnene Eindrucks gelangt das Bundesverwaltungsgericht dabei aus nachstehenden Gründen zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer nicht homosexuell oder bisexuell orientiert ist und dieses Vorbringen lediglich zum Zweck der Erlangung von internationalen Schutz erstattet wurde. Im Einzelnen:

In der zitierten Richtlinie des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge vom 23.10.2012 wird zur Frage der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer behauptete sexuellen Orientierung insbesondere festgehalten, dass bei der Klärung der Frage nach der sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität eher die Prüfung von Aspekten betreffend die Empfindungen und Wahrnehmungen von Antragstellenden, ihrer Gefühle und Erfahrungen in Bezug auf Andersartigkeit, Stigmatisierung und Scham auszuleuchten ist, anstelle den Fokus auf sexuelle Praktiken zu richten.

Dem Beschwerdeführer gelang es in diesem Zusammenhang nicht, über seine Empfindungen und Gefühle sowie seine Erfahrungen in Bezug auf Andersartigkeit, Stigmatisierung und Scham substantiiert und glaubwürdig zu berichten.

So legte er bereits vor dem belangten Bundesamt auf die Fragen, wie er die behauptete sexuelle Orientierung erkannt habe, nur dar, im Alter von ca. 18 Jahren seine sexuelle Orientierung gespürt und dann die „Neigung zu Geschlechtsverkehr mit Männern bekommen“ zu haben (AS 131). Über seine Empfindungen und Gefühle sprach der Beschwerdeführer nicht, auch machte er erkennbar den Ausgangspunkt seiner behaupteten sexuellen Orientierung an äußeren sexuellen Aktivitäten – hier der behaupteten Beziehung zu einem Freund, mit dem sich nach einem Spaziergang auf dem Markt zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs in ein leerstehendes Haus begeben habe – und nicht an einer inneren Auseinandersetzung mit der ihm bewusst gewordenen Andersartigkeit. Schon aus diesem Grund sind Zweifel an der behaupteten sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers angebracht. In der Folge konnte der Beschwerdeführer auch vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht einmal annähernd Angaben zu seiner Gefühlslage beim Eingehen der behaupteten Beziehung tätigen, er antwortete vielmehr nur mit der Bemerkung „Ich war zufrieden“.

Das Antwortverhalten des Beschwerdeführers war vielmehr von einem auffälligen Fokus auf die Durchführung des Geschlechtsverkehrs gekennzeichnet. Vor dem belangten Bundesamt legte der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang – wie bereits angesprochen – explizit dar, dass er seine sexuelle Orientierung erkannt habe, als er mit seinem Freund die Hand gehalten habe und mit ihm dann ein leerstehendes Haus zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs aufgesucht habe. Auf die kritische Nachfrage des belangten Bundesamtes, dass es vom Kennenlernen bis zum Geschlechtsverkehr ein weiter Weg sei, antwortete der Beschwerdeführer lediglich, dass man „einige Zeit miteinander Hand in Hand“ gehen würde „und dann passiert was“. Bei der zweiten Einvernahme vor dem belangten Bundesamt drückte sich der Beschwerdeführer noch plakativer aus, indem er neuerlich zu seinem Coming-Out befragt antwortete, er habe gespürt, „dass ich so halt bin“. Dann habe er „einen mitgenommen und .. mich mit ihm vergnügt“ (AS 173). Auch bei der Schilderung seines behaupteten homosexuellen Kontaktes im Bundesgebiet zentrierte der Beschwerdeführer seine Schilderung auf die Durchführung des Geschlechtsverkehrs („Ich habe ihn mitgenommen und habe es mit ihm gemacht“).

Die Darlegungen des Beschwerdeführers konzentrieren sich somit in klischeehafter Weise auf die Durchführung sexueller Handlungen. Die Empfindungen und Wahrnehmungen des Beschwerdeführers sowie seine Gefühle und Erfahrungen in Bezug auf Andersartigkeit, Stigmatisierung und Scham waren nicht zu ergründen, was im Kontext der Richtlinie des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge vom 23.10.2012 zu Anträgen auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder der geschlechtlichen Identität per se bereits gegen die vorgebrachte sexuelle Orientierung spricht. Ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer behauptetermaßen seit seinem 18. Lebensjahr über seine Neigung zu Männern orientiert ist, wäre nämlich zu erwarten, dass der Beschwerdeführer doch einen gewissen Einblick in seine Gefühle und sein Beziehungsleben im Herkunftsstaat hätte geben könne. Über seine Gefühlslage konnte der Beschwerdeführer demgemäß nicht berichten, was auf ein mangelndes diesbezügliches (Einfühlungs-)Vermögen hindeutet, was wiederum nur daraus resultieren kann, dass der Beschwerdeführer tatsächlich nicht homosexuell ist.

Von wesentlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich der Beschwerdeführer auch bei der Erörterung seiner behaupteten sexuellen Orientierung in gravierendste Widersprüche verwickelte.

So legte der Beschwerdeführer – wie bereits angesprochen – bei seiner Einvernahme am 14.02.2017 aus, dass er eine Beziehung zu einem Freund eingegangen sei und sich nach einem gemeinsamen Spaziergang auf dem Markt – verbunden mit dem Halten der Hände – mit diesem zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs in ein leerstehendes Haus begeben habe (AS 131). Bei der Einvernahme am 27.09.2017 legte der Beschwerdeführer demgegenüber dar, dass er „einen mitgenommen und .. mich mit ihm vergnügt“ habe, er habe dafür Geld bezahl (AS 173). Von einer Beziehung war keine Rede mehr, sondern von Prostitution, was einen gravierenden Widerspruch darstellt.

Der Beschwerdeführer äußerte sich außerdem zu seiner sexuellen Orientierung nicht stringent. Während er sich am 14.02.2017 als homosexueller Mann präsentierte, der „nicht zu Frauen … sondern zu Männern“ eine Neigung habe (AS 131), beschrieb er sich am 27.09.2017 nach zunächst ausweichenden Antworten als „straight, bisexuell, metrosexuell“, sowie dass er sowohl auf Frauen als auch auf Männer „stehen“ würde (AS 173). In der mündlichen Verhandlung bekräftigte der Beschwerdeführer, dass er bereits im Irak auch weibliche Sexualpartner gehabt habe. Die Flexibilität im eigenen Standpunkt lässt die vorgebrachte homosexuelle bzw. bisexuelle Orientierung nicht glaubwürdig erschienen.

In der mündlichen Verhandlung setzten sich die Widersprüche fort, zumal der Beschwerdeführer überraschend darlegte, schon im Jahr 2008 seine Neigung zu Männern erkannt und mit einem Mann den Geschlechtsverkehr durchgeführt zu haben. Im Jahr 2008 war der Beschwerdeführer aber nicht 18 Jahre alt (sondern schon im Jahr 2008), was insoweit relevant ist, als der Beschwerdeführer vor dem belangten Bundesamt darlegte, seine Neigung zu Männern im 18. Lebensjahr erkannt zu haben (AS 130).

Ein weiterer gravierender Widerspruch trat bei der Erörterung des Beziehungslebens des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu tage, zumal der Beschwerdeführer überraschend darlegte, dass er weder Beziehungen zu Frauen, noch Beziehungen zu Männer im Bundesgebiet unterhalten und auch keine sexuellen Kontakte gepflegt habe, da er „die ganze Zeit im Camp“ sei und sich keine Gelegenheit ergebe. Noch vor dem belangten Bundesamt führte der Beschwerdeführer am 27.09.2017 aus, dass er sowohl mit einem Mann, als auch mit einer Österreicherin „mit einem schweren Namen“ im Bundesgebiet den Geschlechtsverkehr im Wald bzw. in einem Park durchgeführt habe (AS 173 – 175). In der mündlichen Verhandlung verneinte der Beschwerdeführers zunächst jedwede dahingehenden Aktivitäten, sodann korrigierte er sich auf Nachfrage seines Vertreters hinsichtlich des sexuellen Kontaktes mit einem Mann, beharrte jedoch darauf, keinen sexuellen Kontakt mit einer Frau unterhalten zu haben. Der Widerspruch bleibt somit jedenfalls teilweise bestehen, wobei selbst die teilweise Richtigstellung erst auf Nachfrage erfolge. Eine glaubwürdige Verantwortung liegt ungeachtet dessen in Anbetracht der zahlreichen und gravierenden Divergenzen in den Darlegungen des Beschwerdeführers nicht vor. Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass eine zeugenschaftliche Einvernahme des angeblichen Sexualpartners des Beschwerdeführers nicht möglich war, da dessen Name nicht ausreichend unterscheidungskräftig ist, vom Beschwerdeführer keine Anschrift bekannt gegeben wurde und der Beschwerdeführer auch darlegte, derzeit über keine Informationen über die angesprochene Person zu verfügen. Eine amtswegige Ladung des angeblichen Sexualpartners des Beschwerdeführers scheitert somit schon an der fehlenden eindeutigen Identifizierbarkeit, wobei auch bezeichnend ist, dass die Ladung diese präsumtiven Zeugen in der Beschwerde nicht einmal angeregt, geschweige denn beantragt wird.

Dass der Beschwerdeführer die Namen irakischer Datingportale vergessen haben will (AS 131) und er im Bundesgebiet weder einschlägige Lokale besucht, noch Kontakt zu LBTIQ-Unterstützungsorganisationen aufgenommen hat, rundet das gewonnene Bild ab. Gänzlich atypisch ist dabei, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet behauptetermaßen gar kein Interesse zeigt, den Kontakt zu LBTIQ-Unterstützungsorganisationen bzw. zur Community zu suchen, um seine behauptete sexuelle Orientierung in Österreich offen und frei ausleben zu können. Die vom Beschwerdeführer dazu abgebebenen Erklärungen, dass der Weg nach Wien weit sei und er „die ganze Zeit im Camp sitze“, überzeugt schon deshalb nicht, weil der Beschwerdeführer damit gerade sein Desinteresse an einer Kontaktaufnahme mit Unterstützungsorganisationen bzw. der Community zum Ausdruck bringt. Seinen Ausführungen zufolge sind ihm LBTIQ-Unterstützungsorganisationen nämlich gar nicht bekannt („die befinden sich sicher in Wien“), was den Schluss zulässig, dass der Beschwerdeführer nicht einmal entsprechende Recherchen betreibt und auch nicht im Wege des Internets Anschluss zu LBTIQ-Unterstützungsorganisationen bzw. zur Community sucht.

Ein letztes Indiz für die mangelnde Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers stellen seine Ausführungen zum Ausleben seiner sexuellen Orientierung im Herkunftsstaat dar. Einerseits wird dazu in der Beschwerde unter Bezugnahme auf länderkundliche Berichte zutreffend dargelegt, dass LBTIQ-Personen im Zentralirak ihre sexuelle Orientierung aus Angst vor Diskriminierung, Einschüchterung und möglichen gewaltsamen Übergriffen in der Regel nicht öffentlich ausleben. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei mit seinem (ersten) Freund händchenhaltend in Mossul am Markt spazieren gegangen und hätte dann mit ihm in einem leerstehenden Haus den Geschlechtsverkehr durchgeführt sowie dass er von der homosexuelle Orientierung dieses Freundes schon zuvor gewusst habe, weil „Leute .. erzählt [hätte], dass er so was macht“ bzw. die homosexuelle Orientierung im Freundeskreis bekannt gewesen sei, stellt sich der Beschwerdeführer diametral zu den eigenen Ausführungen in der Beschwerde, die einen derart offenen Zugang zur Homosexualität als gänzlich unwahrscheinlich erscheinen lassen. Dass der Beschwerdeführer in Anbetracht seiner behaupteten sexuellen Orientierung und der damit ausweislich des Vorbringens in der Beschwerde verbundenen Gefahr nicht bereits viel früher den Irak verließ, ist im Übrigen ebenfalls nicht nachvollziehbar.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend seine angebliche sexuelle Orientierung auf Grundlage der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung sowie des Verfahrens erster Instanz ob der vorstehenden Erwägungen zusammenfassen als nicht glaubwürdig und vermag deshalb nicht zur Feststellung zu gelangen, dass der Beschwerdeführer homosexuell oder bisexuell orientiert ist. Vielmehr ist das Motiv des diesbezüglichen Vorbringens darin zu suchen, dass es in einem engen Zusammenhang mit dem ebenfalls nicht glaubwürdigen Fluchtgrund steht. Hinweise auf eine dem Beschwerdeführer unzutreffend unterstellte homosexuelle oder bisexuelle Orientierung kamen im Verfahren nicht hervor. In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung keine auf seine behauptete sexuelle Orientierung bezogenen Rückkehrbefürchtungen vorbrachte.

Das Bundesverwaltungsgericht merkt im gegebenen Zusammenhang ergänzend an, dass aufgrund der Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs (EuGH 02.12.2014, C‑148/13 bis C‑150/13, A u. a. gegen Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie) weder eine Befragung zu den sexuellen Praktiken eines Asylbewerbers zulässig ist, noch diesbezügliche weitere Erhebungen oder Test durchgeführt werden dürfen, sodass sich das Bundesverwaltungsgericht auf die vorstehenden Erwägungen zu beschränken hat und aus diesem Grund insbesondere auch nicht der Anregung des Beschwerdeführer zu folgen war, seinen Penis zu untersuchen.

2.6.4. Zusammenfassend verbleibt als glaubwürdiges Ausreisemotiv das Vorrücken der Milizen des Islamischen Staates im Sommer 2014 sowie die Eroberung der Stadt Mossul, wobei es zu keinen persönlichen Konfrontationen mit Kämpfern des Islamischen Staates kam oder Verfolgungshandlungen wider den Beschwerdeführer gesetzt wurden. Nicht festgestellt werden kann, wann und aus welchem Grund der Beschwerdeführer die Stadt Mossul verließ und aus welchen Gründen er die autonome Region Kurdistan verlassen musste, zumal die Milizen des Islamischen Staates zu keinem Zeitpunkt in die autonome Region Kurdistan vorrückten und die Bedrohung durch den Islamischen Staat somit kein glaubhaftes Ausreisemotiv für die letztlich aus der autonomen Region Kurdistan erfolgte Ausreise aus dem Staat Irak in die Türkei darstellt.

2.6.5. Von entscheidungswesentlicher Bedeutung ist im Hinblick auf die vorgebrachten Rückkehrbefürchtungen, dass in Anbetracht der getroffenen Feststellungen zur Lage im Gouvernement Ninawa feststeht, dass unter den zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Vorzeichen nicht mehr von der Ausübung pseudostaatlicher Gewalt durch die Milizen des Islamischen Staates in Mossul bzw. im Gouvernement Ninawa ausgegangen werden kann.

Das Gouvernement Ninawa einschließlich seiner Hauptstadt Mossul stehen ausweislich der Feststellungen seit etwa Mitte des Jahres 2017 unter der stabilen Kontrolle verschiedener irakische Sicherheitsakteure, insbesondere der irakischen Armee, lokaler Polizeikräfte und verschiedener PMF-Milizen unterschiedlicher religiöser und ethnischer Herkunft. Gleichwohl verfügt der Islamische Staat über Rückzugsgebiete in den ländlichen Gebieten des Gouvernements und ist in den Nachtstunden aktiv. Des Weiteren ist nicht auszuschließen, dass die Milizen des Islamischen Staates weiterhin etwa durch Schläfer im gesamten Stadtgebiet von Mossul und in ländlichen Gegenden des Gouvernement Ninawa in der Lage sind, Anschläge oder anderweitige terroristische Aktivitäten durchzuführen. Dessen ungeachtet können die Milizen des Islamischen Staates in jenen Gebieten nicht mehr offen operieren, die von irakischen Sicherheitskräften zurückerlangt wurden, sodass dort aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nur mehr mit Untergrundaktivitäten von Anhängern des Islamischen Staates und damit einhergehenden terroristischen Anschlägen zu rechnen ist, wie sie in den Feststellungen zur Lage im Gouvernement Ninawa dargestellt sind.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es nun für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274; 26.06.2018, Ra 2018/20/0307 mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Mitbeteiligte bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung (Vorverfolgung) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn eine Person im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob die Person im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203 mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat daher zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten hat.

In Anbetracht der seit der Ausreise der Beschwerdeführer eingetretenen Lageänderung in Gestalt der militärischen Niederlage des Islamischen Staates in Mossul und im Gouvernement Ninawa, die eine Wiedererlangung der Kontrolle durch die Milizen des Islamischen Staates in Anbetracht der Feststellungen – ungeachtet der nach wie vor auf einem niederschwelligen Niveau anhaltenden terroristischen Aktivitäten, auf die sogleich einzugehen sein wird – als ausgeschlossen erscheinen lässt, hat der Beschwerdeführer im Rückkehrfall nicht mit der Ausübung pseudostaatlicher Gewalt durch die Milizen des Islamischen Staates im Gouvernement Ninawa und dort in der Hauptstadt Mossul oder an einem anderen Ort im Staat Irak zu rechnen und wird dieser damit im Rückkehrfall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit der Gefahr von Übergriffen durch Kämpfer oder Schläfer des Islamischen Staates konfrontiert sein.

Bei den nach wie vor im Gouvernement Ninawa vereinzelt stattfindenden Auseinandersetzungen zwischen verbliebenen Kämpfern des Islamischen Staates und den irakischen Sicherheitskräften handelt es sich ausweislich der Feststellungen um einen asymmetrischen Konflikt und es ist davon auszugehen, dass sich Angriffe von Anhängern oder sogenannten Schläfern weiterhin entweder gegen militärisch relevante Ziele richten oder mittels terroristischer Anschläge eine Verunsicherung in der Bevölkerung erzielt und der politischen Rückhalt der irakischen Regierung und der Sicherheitskräfte erschüttert werden soll. Dokumentiert sind außerdem kriminelle Handlungen zur Beschaffung von Geld – etwa in Gestalt falscher Checkpoints oder von Entführungen. Ferner steht außer Zweifel, dass auch weiterhin vom Islamischen Staat und anderen Gruppierungen ausgehende terroristische Aktivitäten im Irak zu erwarten sind. Eine gezielte Verfolgung von Einzelpersonen wie etwa dem Beschwerdeführer durch Schläfer des Islamischen Staates oder sonstige dort verbliebene Anhänger ist dennoch angesichts der Sicherheitslage im Gouvernement Ninawa wenig wahrscheinlich und es ist auch kein glaubhafter Grund erkennbar, weshalb sich allenfalls verbliebene Anhänger des Islamischen Staates gerade für den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in das Gouvernement Ninawa interessieren sollten und eine gezielte Verfolgung gerade des Beschwerdeführers für allenfalls verbliebene Anhänger des Islamischen Staates attraktiver sein sollte, als terroristische Aktivitäten mit großer Breitenwirkung oder Anschläge auf Sicherheitskräfte zu begehen. Von wesentlicher Bedeutung ist schließlich, dass die verfügbaren Quellen zwar von Untergrundaktivitäten bzw. nächtlichen Aktivitäten des Islamischen Staates im Gouvernement Ninawa sprechen, diese aber überwiegend in den ländlichen Gebieten stattfinden und nicht in der Hauptstadt Mossul.

Dem Bericht von EASO vom März 2019 „Targeting of Individuals“ zufolge sind die vom Islamischen Staat besonders gefährdeten Gruppen (ehemalige) Angehörige von Sicherheitskräften, Ärztinnen und Ärzte, Anwältinnen, Menschenrechtsaktivisten, Kandidaten bei Wahlen, Journalistinnen und Journalisten und Lehrkräfte, die sich weigerten, die Lehren des Islamischen Staates zu unterrichten. Dass der Beschwerdeführer diesen gefährdeten Gruppen nicht angehört, bedarf keiner weiteren Erörterung. Es sind auch keine terroristischen Aktivitäten des Islamischen Staates gegen sunnitische Araber im Allgemeinen dokumentiert, die eine Zeit nach der militärischen Niederlage des Islamischen Staates betreffen (demgegenüber liegen etwa aktuelle Berichte über gezielte terroristischen Aktivitäten des Islamischen Staates gegen schiitische Muslime auch nach der militärischen Niederlage des Islamischen Staates vor). Die auf dem Bericht von EASO vom März 2019 zum Irak betreffend Security Situation basierenden Feststellungen zur Sicherheitslage im Gouvernement Ninawa lassen auch keine Übergriffe auf Personen mit dem Profil des Beschwerdeführers erkennen.

Persönliche Auseinandersetzungen des Beschwerdeführers mit Kämpfern des Islamischen Staates vor der Ausreise wurden wie bereits erörtern nicht vorgebracht, sodass nicht davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer allenfalls verbliebenen Anhängern des Islamischen Staates überhaupt persönlich bekannt wäre und ein in der Person des Beschwerdeführers gelegenes besonders Verfolgungsinteresse besteht. Dass er mittels Plakaten gesucht oder mittels Lautsprechern ausgerufen wurde, ist nicht glaubwürdig. Der Beschwerdeführer gehört auch keiner der nun ausweislich der Feststellungen besonders gefährdeten Risikogruppen an. Er war keine politische, religiöse oder militärische Führungspersönlichkeit. Der Beschwerdeführer ist auch nicht als Stammesführer exponiert. Eine erhöhte Gefährdung aufgrund des persönlichen Profils im Rückkehrfall ist demnach unwahrscheinlich, sodass nicht von einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Rückkehrfall eintretenden Gefährdungssituation im Hinblick auf individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Übergriffe verbliebender Anhänger des Islamischen Staates zu rechnen ist.

Der Beschwerdeführer wird daher nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes im Fall einer Rückkehr nach Mossul nicht von verbliebenen Anhängern des Islamischen Staates verfolgt werden.

In Anbetracht der mittlerweile seit der militärischen Niederlage des Islamischen Staates im Sommer 2017 vergangenen Zeit von mehr als zwei Jahren stellt sich die Prognose im Hinblick auf die Sicherheitslage außerdem als stabil dar. Die die Gewährung von internationalem Schutz voraussetzende Verfolgungsgefahr muss nämlich aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). In Anbetracht der seit der Ausreise der Beschwerdeführers eingetretenen Lageänderung in Gestalt der militärischen Niederlage des Islamischen Staates im Gouvernement Ninawa, die eine Wiedererlangung der Kontrolle durch die Milizen des Islamischen Staates als eher ausgeschlossen erscheinen lässt, hat der Beschwerdeführer im Rückkehrfall nicht mit der Ausübung pseudostaatlicher Gewalt durch die Milizen des Islamischen Staates in Mossul zu rechnen und wird dieser damit im Rückkehrfall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit der Gefahr von Übergriffen durch Kämpfer des Islamischen Staates konfrontiert sein, da er in Anbetracht seines persönlichen Profils nicht als exponierte Person anzusehen ist, die in das Blickfeld verbliebener Kämpfer des Islamischen Staates rücken könnte. Da enge Angehörige des Beschwerdeführers nach wie vor – unbehelligt – in Mossul leben, kann auch eine aufgrund der Familienzugehörigkeit exponierte Stellung in Ansehung des Beschwerdeführers ausgeschlossen werden.

Die verbliebenen Anhänger des Islamischen Staates unternehmen zwar weiterhin asymmetrische (nächtlich) Angriffe gegen irakische Sicherheitskräfte bzw. PMF-Milizionäre und deren Angehörige sowie gegen Stammesführer und politisch exponierte Personen wie Ortsvorsteher oder Bürgermeister sowie gegen Infrastruktur. Die neuerliche Übernahme der faktischen Kontrolle über ein Territorium gelang den verbliebenen Anhänger des Islamischen Staates jedoch in den letzten zwei Jahren nicht und ist gegenwärtig auch nicht absehbar, umso mehr als irakische Sicherheitskräfte weiterhin in namhafter Zahl im Gouvernement Ninawa präsent sind. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher insoweit mit einer gleichbleibenden Lageentwicklung auch in der Zukunft zu rechnen, die zwar asymmetrische Aktivitäten des Islamischen Staates erwarten lässt, nicht aber die Wiedererrichtung des so bezeichneten Kalifates.

2.6.6. Der Beschwerdeführer brachte darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, dass er in Mossul nicht mehr leben könne, weil „die Schiiten .. dort überall“ wären. Die Schiiten „mögen die Sunniten nicht“.

Das Bundesverwaltungsgericht weist in diesem Zusammenhang zunächst darauf hin, dass dem Beschwerdeführer einerseits eine Rückkehr nach Mossul möglich und zumutbar ist (siehe dazu auch die untenstehenden Erwägungen). Ausgehend davon wird der Beschwerdeführer am Ort der Rückkehr keiner religiösen Minderheit angehören, zumal sich die Bewohner Mossuls überwiegend zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bekennen. Der Beschwerdeführer ist sohin nicht gezwungen, sich an einem schiitischen Ort oder einem schiitischen Viertel niederzulassen. Dazu tritt, dass ausweislich der Feststellungen enge Angehörige des Beschwerdeführers, die aufgrund der familiären Verbindung ebenfalls sunnitischen Glaubens sind, nach wie vor unbehelligt in Mossul leben. Weshalb der Beschwerdeführer nun im Fall einer Rückkehr nach Mossul Schwierigkeiten mit Muslimen der schiitischen Glaubensrichtung zu gewärtigen hätte, ohne dass seine Familie davon betroffen ist, erschließt sich dem Bundesverwaltungsgericht nicht.

Aus den Feststellungen zur Lage im Irak geht im Hinblick auf die Lage der sunnitischen Minderheit darüber hinaus hervor, dass im Irak zahlreiche Sunniten leben und sunnitische Araber ca. 17 bis 22% der Gesamtbevölkerung von ca. 36 Millionen Einwohnern ausmachen. Das Gouvernement Ninawa mit seiner Hauptstadt Mossul sind ausweislich der Feststellungen eindeutig sunnitisch geprägt. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im gegebenen Zusammenhang nicht, dass die irakische Gesellschaft bereits seit dem Sturz des (sunnitisch geprägten) Regimes von Saddam Hussein in zunehmendem Maße religiös gespalten ist und sich in den Jahren 2006 bis 2008 massive konfessionelle Konflikte ereigneten. Während des Bürgerkrieges der (ebenfalls sunnitischen) Milizen des Islamischen Staates wurde die sunnitische Minderheit im Irak darüber hinaus oftmals einerseits für das Erstarken des Islamischen Staates und die damit verbundenen zahlreichen vornehmlich schiitischen Opfer unter den Sicherheitskräften (wie etwa beim Massaker von Tikrit) im Zuge von Kampfhandlungen und unter Zivilisten bei terroristischen Anschläge verantwortlich gemacht und andererseits selbst fallweise mit einer unterstellten Sympathie gegenüber dem Islamischen Staat konfrontiert.

Eine systematische und asylrelevante Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Minderheit durch die schiitische Mehrheitsbevölkerung und/oder schiitische bewaffnete Gruppierungen im Irak bzw. im Gouvernement Ninawa war dessen ungeachtet zu keinem Zeitpunkt gegeben und findet – schon mangels entsprechender Hinweise auf eine solche Gruppenverfolgung in den länderkundlichen Berichten – auch jetzt nicht statt. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang zunächst nicht, dass von schiitischen Milizen Menschenrechtsverletzungen ausgingen und auch eine quantitativ nicht näher feststellbare Zahl von Übergriffen auf sunnitische Iraker stattfindet, welche über Diskriminierungen und Schikanen hinausgehen und als Verfolgungshandlungen anzusehen sind. Ausweislich der vom Beschwerdeführer aufgezeigten Berichte sind insbesondere in den von den Milizen des Islamischen Staates zurückeroberten Gebieten von schiitischen Milizen (wie etwa Asa'ib Ahl al-Haqq) ausgehende Gewaltakte gegen männliche sunnitische Araber dokumentiert und es ereigneten sich Entführungen und außergerichtliche Hinrichtungen ebenso wie Vertreibungen mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung. Ferner sind Übergriffe seitens Angehöriger der al-Haschd asch-Schaʿbī im Gefolge von Kampfhandlungen oder Anschlägen in den umkämpften Gebieten bekannt, welche von den Verantwortlichen als Einzelfälle abgetan werden und die als Vergeltungsaktionen in Zusammenhang mit konkreten Angriffen des Islamischen Staates angesehen werden.

Für die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Mossul nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Übergriffen schiitischer Milizen aufgrund seines sunnitischen Religionsbekenntnisses oder seiner Herkunft aus der Stadt Mossul ausgesetzt sein wird, sind folgende Aspekte von zentraler Bedeutung:

- Dem Bundesverwaltungsgericht liegen keine aktuellen Berichte aus den Jahren 2018 und 2019 vor, wonach es im Gouvernement Ninawa zu gewalttätigen Übergriffen schiitische Milizen auf die sunnitische Zivilbevölkerung kommen würde. Der Beschwerdeführer vermochte derartige Berichte auch nicht vorzulegen.

- Das in den im Verfahren herangezogenen Berichten gezeichnete Bild, dass sich Übergriffe schiitischer Milizen auf die sunnitische Zivilbevölkerung entweder gegen tatsächliche oder vermeintliche Anhänger des Islamischen Staates richten oder als Racheakte einzustufen sind, ergibt sich auch aus der Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation 21.03.2018 betreffend die Sicherheitslage im Bezirk Baaj der Provinz Niniwah und der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.04.2018 betreffend die Sicherheitslage in Mossul sowie Übergriffe auf Sunniten und Rückkehrer. Die Anfragebeantwortungen lassen einerseits Übergriffe von schiitischen Milizen und auch anderen Angehörigen der Sicherheitskräfte auf sunnitische Männer in jenen Gebieten erkennen, die bei den Kampfhandlungen in den Jahren 2015 bis 2017 vom Islamischen Staat zurückerlangt wurden. Auch im Zuge der Mossul-Offensive erfolgten willkürliche Festnahmen und Racheakte schiitischer Milizen. Angehöriger der irakischen Streitkräfte und verbündeten Gruppen wurden außerdem Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern vorgeworfen. Auch einzelne Fälle von Übergriffen auf sunnitische Männer sind ausweislich der durchgeführten Erhebungen dokumentiert. Als Gründe für Übergriffe werden allerdings nur Racheakte oder der Verdacht auf Verbindungen zum bzw. Mitgliedschaft beim Islamischen Staat genannt, nicht das sunnitische Religionsbekenntnis oder die Herkunft aus Mossul schlechthin. Die Quellen sprechen Fällen von Entführungen, Mord und anderen Misshandlungen, wobei aber die Motive für Racheakte als komplex und vielschichtig beschrieben werden. Eine potentielle Gefährdung hängt somit entscheidend vom persönlichen Profil des Betroffenen und insbesondere einer ihm unterstellten oder tatsächlich gegebenen Nähre zum Islamischen Staat ab. Dass die Bewohner Mossuls schlechthin oder sämtliche sunnitischen Araber in Mossul von schiitischen Milizen verfolgt wurden bzw. gegenwärtig verfolgt werden, lässt sich den Berichten keinesfalls entnehmen. Der Beschwerdeführer selbst verneinte jedwede Nähe zum Islamischen Staat.

- EASO geht in seinem Bericht vom März 2019 „Targeting of Individuals“ ausführlich auf die Lage von Sunniten ein, die unter dem Verdacht stehen, Kollaborateure oder Anhänger des Islamischen Staates zu sein. Ausweislich des Berichtes sind jene Personen das hauptsächliche Ziel der Sicherheitsakteure (einschließlich der PMF-Milizen), „bei denen der Verdacht besteht, dass sie in irgendeiner eine Art eine Verbindung zum Islamischen Staat aufweisen.“ Personen mit einem solchen Profil wären mit Behinderungen und Einschränkungen wie der Verweigerung der Rückkehr in die Herkunftsgebiete, Beschlagnahmung von Dokumenten, Einschränkungen beim Zugang sozialen Diensten bis hin zu Verhaftungen und Misshandlungen ausgesetzt. Es sei auch zu kollektiven Bestrafungen größerer Gruppen von Personen gekommen, denen die Mitgliedschaft beim Islamischen Staat vorgeworfen wurden. In der Folge wird explizit festgehalten, dass die Berichte über Übergriffe der Sicherheitskräfte im Jahr 2018 zurückgingen. Die Berichte über von schiitischen Milizen ausgehende Übergriffe betreffen auch diesem Bericht zufolge hauptsächlich die Jahre 2014, 2015 und 2016. Bereits für das Jahr 2017 wird von den Vereinten Nationen ein Rückgang der Berichte über Übergriffe schiitischer Milizen attestiert. Auch die (schiitischen) PMF-Milizen wenden sich dem Bericht „Targeting of Individuals“ zufolge in erster Linie gegen Personen, die im Verdacht stehen, dem Islamischen Staat anzugehören oder die über Familienmitglieder verfügen, die dem Islamischen Staat angehörten. Am häufigsten handle es sich dabei um sunnitisch - arabische junge Männer. Die PMF-Milizen hätten auch Vergeltungsmaßnahmen nach Angriffen des Islamischen Staates verübt, wobei sich die dazu zitierten Berichte dritter Organisation (etwa von Amnesty International) auf Ereignisse des Jahres 2017 oder früher beziehen.Bei einer Fact-Finding-Mission des Danish Immigration Service und von Landinfo im Jahr 2018 wurden folgende Risikoprofile im Hinblick auf Übergriffe durch (schiitische) PMF-Milizen entwickelt:

 Politische Gegner, unabhängig von religiösem oder ethnischem Hintergrund, da die Milizen untereinander um Geld, Macht und Einflussnahme auf Rivalen konkurrieren (auch andere schiitische Milizen könne daher als Ziel dienen)

 Vergeltungsmaßnahmen, insbesondere nach schweren Terroranschlägen

 Vergeltungsangriffe, die sich willkürlich gegen sunnitische Gemeinschaften richten

 Aktivisten und Journalisten, die kritisch gegenüber den PMF-Milizen eingestellt sind

 Personen, die im Widerspruch zu schiitischen religiösen und moralischen Vorschriften leben, etwa Angehörige sexueller und religiöser Minderheiten oder Alkoholverkäufer

 Geschäftsleute zum Zweck der Erpressung von Geldern Dass diese Risikoprofile auf den Beschwerdeführer nicht zutreffen, bedarf in Anbetracht seines Profils keiner weiteren Erörterung. Hinsichtlich der angesprochenen Vergeltungsmaßnahmen besteht aufgrund der Lageänderung im Herkunftsstaat ebenfalls keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende Gefährdung des Beschwerdeführers: Der Bericht „Targeting of Individuals“ zitiert nämlich in der Folge auf den Seiten 28 ff exemplarisch von schiitischen Milizen verübte Übergriffe und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wobei aus der Aufstellung ganz eindeutig hervorgeht, dass diese Übergriffe allesamt in einem zeitlichen Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten oder den Kämpfen gegen den Islamischen Staat im jeweiligen Gouvernement standen, zumal für die meisten Gouvernements solche Berichte nur für die Jahre 2014 bis 2016 vorliegen und sie im Gouvernement Ninawa noch bis in das Jahr 2017 hineinreichen, eben weil dort die Kämpfe gegen den Islamischen Staat am längsten andauerten. Für die Jahre 2018 und 2019 liegen keine solchen Berichte mehr vor. Die abgedruckten Berichte lassen im Übrigen auch erkennen, dass Übergriffe sehr wohl auch staatlichen Sanktionen begebene. So wurden etwa Polizisten festgenommen, weil sie bei einer Operation gegen Kämpfer des Islamischen Staates zwei Zivilisten getötet haben sollen (Seite 33).Zusammenfassend hält das Bundesverwaltungsgericht an seiner Auffassung fest, dass eine systematische Verfolgung der Bewohner Mossuls schlechthin oder sämtlicher sunnitischen Araber in Mossul durch schiitische Milizen oder Muslime der schiitischen Glaubensrichtung – wie es der Beschwerdeführer vage in den Raum stellt – nicht stattfindet. Die dokumentierten Übergriffe (schiitischer) PMF-Milizen erfolgten überwiegend im zeitlichen und örtlichen Nahebereich der Kampfhandlungen gegen den Islamischen Staat in den Jahren 2014 bis 2017 und stellen sich im Hinblick auf die Motivlage als Racheakte oder Handlungen gegen tatsächliche oder vermeintlicher Anhänger des Islamischen Staates dar. Für die Jahr 2018 und 2019 liegen keine Berichte vor, dass sich solche Übergriffe weiterhin ereignet hätten, sodass das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass das Ende der Kampfhandlungen gegen den Islamischen Staat zu einer nachhaltigen Beruhigung der Lage geführt hat und demgemäß auch die Übergriffe (schiitischer) PMF-Milizen zumindest stark abgesunken sind, sodass sie in den länderkundlichen Berichten nicht mehr eigens erwähnt werden. Demgemäß ist auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Rückkehrfall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von solchen Übergriffen betroffen sein wird, zumal er kein exponiertes Profil aufweist. Auf die Inhaftierung tatsächlicher oder vermeintlicher Anhänger des Islamischen Staates wird noch eingegangen werden.

- Die Angehörigen des Beschwerdeführers hielten bzw. halten sich nach der Ausreise des Beschwerdeführers bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Stadt Mossul auf. Sie erduldeten somit die Herrschaft des Islamischen Staates bis zur Befreiung im Herbst 2017. Der Beschwerdeführer brachte weder vor, dass sie in dieser Zeit Übergriffen schiitischer Milizen bzw. Muslimen der schiitischen Glaubensrichtung ausgesetzt waren, noch dass sie aktuell Furcht vor Verfolgung durch schiitische Milizen hegen. Wenn nun nicht einmal jene Brüder des Beschwerdeführers von schiitischen Milizen bedrängt werden, die sich während der Herrschaft des Islamischen Staates in Mossul aufgehalten haben, kann das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennen, weshalb der Beschwerdeführer bedrängt werden sollte, der sich der Herrschaft des Islamischen Staates durch Ausreise entzogen hat.

Bei einer Abwägung der Feststellungen zu rezenten Übergriffen im Gouvernement Ninawa einerseits und den aus den Feststellungen zur Sicherheitslage ersichtlichen Angaben zu zivilen Opfern und der Bevölkerungszahl im Gouvernement Ninawa andererseits ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes schon in Anbetracht der Opferzahlen nicht davon auszugehen, dass sämtliche männlichen sunnitischen Araber in Ninawa mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ungerechtfertigte Eingriffe von erheblicher Intensität in ihre schützende persönliche Sphäre aufgrund ihres religiösen Bekenntnisses oder einer ihnen aufgrund ihres Profils als junge männliche Sunniten unterstellten Anhängerschaft zum Islamischen Staat zu gewärtigen hätten. Es gibt auch keine Zahlen, die zeigen würden, wie viele Sunniten etwa aus politischen oder religiösen Gründen getötet wurden. In Anbetracht der in den Feststellungen zur Lage im Gouvernement Ninawa dargelegten sicherheitsrelevanten Vorfälle ist die Wahrscheinlichkeit, einem Übergriff schiitischer Milizen aus den eingangs erörterten Motiven zum Opfer zu fallen, derzeit jedenfalls nicht als erheblich anzusehen. Diese nur entfernte Möglichkeit, Opfer eines religiös oder politisch motivierten Übergriffes von (schiitischen) PMF-Milizen zu werden, genügt nicht zur Annahme einer Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). In Anbetracht hunderttausender Rückkehrer in der Religion – wobei davon ausgegangen werden kann, dass diese Personen mehrheitlich sunnitischen Bekenntnisses sind – wäre zu erwarten, dass entsprechende Berichte vorhanden wären, wenn diese systematisch aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder als Anhänger des Islamischen Staates verfolgt würden.

Im Gouvernement Ninawa mit einer überwiegend sunnitischen Bevölkerung beträgt die Einwohnerzahl mehr als 3,7 Millionen Personen. Auch vor diesem Hintergrund wäre zu erwarten, dass eine tatsächlich vorhandene zielgerichtete Verfolgung aller junger männlicher Sunniten entsprechenden deutlichen Niederschlag in den Berichten finden würde, was aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch nicht zutrifft. Darüber hinaus wäre zu erwarten, dass die in Mossul bis in den Oktober 2017 verbliebenen Brüder des Beschwerdeführers im Fall einer tatsächlichen zielgerichteten Verfolgung junger sunnitischer Araber ebenfalls von Verfolgung betroffen gewesen wären, was jedoch nicht zutrifft. Der Verwaltungsgerichtshof ist im Übrigen einer behaupteten Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak in mehreren Entscheidungen nicht nähergetreten (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/18/0014; 29.06.2018, Ra 2018/18/0138; 19.06.2019, Ra 2018/01/0379; 25.06.2019, Ra 2019/19/0193; 10.07.2019, Ra 2019/14/0225, und 18.07.2019, Ra 2019/19/0191).

Inhaftierungen betreffen Personen, die unter dem Verdacht stehen, dem Islamischen Staat anzugehören. Da der Beschwerdeführer weder dem Islamischen Staat angehörte, noch ihm im Fall einer Rückkehr eine Unterstützung des Islamischen Staates oder ein sonstiges Naheverhältnis zum Islamischen Staat vor der Ausreise unterstellt werden wird, wird er nicht von einer Festnahme als mutmaßlicher Anhänger des Islamischen Staates betroffen sein. Er verneinte nämlich in der mündlichen Verhandlung einerseits, dem Islamischen Staat selbst angehört zu haben. Ferner verneinte er auch, Grund zur Vermutung zu haben, von anderen als Anhänger des Islamischen Staates angesehen zu werden oder dass ihm eine Kollaboration mit dem Islamischen Staates unterstellt werden sollte. Gegen die Gefahr, als Anhänger der Islamischen Staates angesehen zu werden, sprechen abseits von den fehlenden Befürchtungen des Beschwerdeführers zwei entscheidende Faktoren. Einerseits gibt es in der Familie des Beschwerdeführers keine Anhänger des Islamischen Staates und es wurden seine Angehörigen andererseits nach der Befreiung der Stadt Mossul auch nicht als Anhänger des Islamischen Staates behördlich verfolgt. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist nicht anzunehmen, dass der frühzeitig aus Mossul ausgereiste Beschwerdeführer im Rückkehrfall belangt werden würde, während seine dort auch während der Herrschaft des Islamischen Staates verbliebenen Verwandten auch nach der Rückeroberung durch die irakischen Streitkräfte vollkommen unbehelligt blieben. Andererseits wird der Beschwerdeführer selbst im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in der Lage sein, seine frühzeitige Ausreise durch die in seinem Asylverfahren erlangten Urkunden und Ausweise sowie durch Zeugen nachweisen können.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Rückkehrfall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als mutmaßlicher Anhänger des Islamischen Staates angesehen würde und deshalb einer Gefährdung durch schiitische Milizen oder schiitische Muslime im Allgemeinen oder Sicherheitskräfte unterliegen würde.

Ebensowenig kann das Bundesverwaltungsgericht aus den genannten Gründen erkennen, dass der Beschwerdeführer im Rückkehrfall strafrechtliche Verfolgung – etwa nach dem irakischen Antiterrorgesetz Nr. 13 aus dem Jahr 2005 – ausgesetzt sein sollte. Der Beschwerdeführer ist allerdings – wie bereits erörtert – in Anbetracht seines persönlichen Profils im Hinblick auf eine allfällige Strafverfolgung nicht exponiert und brachte auch keine dahingehenden Befürchtungen im Rückkehrfall bei seiner Befragung substantiiert vor.

Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass keine Berichte über die strafrechtliche Verfolgung von Rückkehrern aus Europa nach dem irakischen Antiterrorgesetzes Nr. 13 aus dem Jahr 2005 vorliegen (in der sogleich zu erörternden Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge „International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq“ wird Rückkehrern aus dem westlichen Ausland ein eigens Kapitel gewidmet, ohne dass darin eine Gefährdung von Rückkehrern aufgezeigt wird) und die Berichte über die angesprochenen Festnahmen eindeutig erkennen lassen, dass von Festnahmen Personen (Männer im kampffähigen Alter) betroffen waren, die nach der Rückeroberung der vom Islamnischen Staat besetzten Gebiete dort angetroffen wurden und/oder die durch familiäre Beziehungen zur Anhängern des Islamischen Staates vorbelastet sind. Beides trifft auf den Beschwerdeführer nicht zu. Zusammenfassend erkennt das Bundesverwaltungsgericht aufgrund des skizzierten Profils des Beschwerdeführers kein Risiko einer im Rückkehrfall drohenden strafrechtlichen Verfolgung und/oder einer Inhaftierung nach dem irakischen Antiterrorgesetzes Nr. 13 aus dem Jahr 2005 oder einer anderen Strafnorm aufgrund einer ihm angelasteten bzw. unterstellten Unterstützung des Islamischen Staates oder anderer terroristischer Gruppierungen.

2.6.7. An dieser Stelle ist eine (amtswegige, weil sich der Beschwerdeführer nicht darauf berufen hat) Auseinandersetzung mit der im Mai 2019 veröffentlichten Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge „International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq“ erforderlich, erforderlich, da Empfehlungen internationaler Organisationen Indizwirkung nach der Rechtsprechung zukommt (VwGH 06.07.2011, Zl. 2008/19/0994) und sich die angeführte Position von UNHCR ausführlich mit potentiellen Verfolgungsszenarien im Irak auseinandersetzt. Die zitierte Indizwirkung bedeutet jedoch nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht in Bindung an entsprechende Empfehlungen etwa des UNHCR Asyl zu gewähren hat. Vielmehr ist, wenn in den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Einschätzung des UNHCR nicht gefolgt wird, beweiswürdigend darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte von einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat ausgegangen wird (VwGH 13.12.2010, Zl. 2008/23/0976; 06.02.2017, Ra 2017/20/0016, zur Lage im Irak).

Der zitierte Bericht kommt zunächst zum Ergebnis, dass der Islamische Staat in den Wüstengebieten und ländlichen Gegeneden in Al-Anbar, Baghdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah Al-Din mit einer gewissen Freiheit operiert, da sich die Präsenz der Sicherheitskräfte auf die urbanen Zentren konzentriert und außerhalb nur „limited presence“ von Sicherheitskräften gegeben sei. Der Islamische Staat sei nach wie vor in der Lage, Überraschungsangriffe zu starten, und gezielte Tötungen unter anderem führender lokaler Persönlichkeiten, Entführungen sowie Angriffe mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) auf Zivilisten und Sicherheitskräfte durchzuführen. Eingeschränkte Militäreinsätze gegen den Islamischen Staat würden nach wie vor stattfinden und Sicherheitskräfte würden häufig Verdächtige festnehmen, Sprengkörper entschärfen und Waffenverstecke, geheime Unterschlüpfe und unterirdische Tunnel aufspüren. Personen, die aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit zum Islamischen Staat verhaftet werden, wären dem Risiko von Menschenrechtsverletzungen durch staatsnahe Sicherheitsakteure ausgesetzt. In Bezug auf die (schiitischen) PMF-Milizen beanstandet der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, dass diese die Zivilbevölkerung schikanieren und missbräuchliche Praktiken ausüben (im Original „harassment and abuse against civilians by these groups“), etwa indem an Checkpoints Steuern und Zölle eingehoben werden, mit mafiaähnlichen Praktiken Schutzgelder verlangt werden und es zu Erpressungen kommt.

In der Folge identifiziert der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zwölf Personengruppen, die als besonders schutzbedürftig angesehen werden (siehe die Seiten 58 ff des Berichtes). In Ansehung des Beschwerdeführers ist zunächst festzustellen, dass dieser keiner dieser Gruppen angehört, zumal er sich nicht als Kritiker des kurdischen oder des irakischen politischen Systems exponiert oder anderweitig oppositionell betätigte oder als Befürworter der irakischen Regierung in Erscheinung trat, sodass eine diesbezügliche Gefährdung (deren Bezeichnung im Original: „Persons Opposing, or Perceived to Be Opposing, the Government or those Affiliated with the Government“ bzw. „Persons Opposing, or Perceived to Be Opposing, the KRG or Those Affiliated with the KRG“ bzw. „Persons Associated with, or Perceived as Supportive of, the Goverment“) ausgeschlossen werden kann.

Der Beschwerdeführer kann aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch nicht der Gruppe der „Person Wrongly Suspected of Supporting ISIS“ zugeordnet werden. Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge führt zu dieser Kategorie zunächst aus, dass Personen mit überwiegend sunnitisch-arabischer Identität und vornehmlich aber nicht ausschließlich Männer und Jugendliche im kampffähigen Alter aus Gebieten, die zuvor vom Islamischen Staat besetzt waren, Berichten zufolge dem Verdacht unterliegen, mit dem Islamischen Staat in Verbindung zu stehen oder den Islamischen Staat zu unterstützen. Die Stigmatisierung hat ihren Ursprung darin, dass diese Personen die Herrschaft des Islamische Staates überlebt haben (im Original „for having survived under ISIS rule“, vgl. Fußnote 377). Zivilisten dieses Profils wären seit dem Jahr 2014 verschiedenen Vergeltungsmaßnahmen in Form von Gewaltanwendung und Missbrauch durch staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, unter anderem während Militäreinsätzen gegen den Islamischen Staat, während und nach der Flucht aus vom Islamischen Staat besetzten Gebieten, nach der Wiedereroberung dieser Gebiete und während anhaltender Sicherheitseinsätze gegen Überreste des Islamischen Staates. Die vorstehende Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass die dokumentierten Übergriffe von Sicherheitskräften und (schiitischen) PMF-Milizen in zeitlichem und örtlichen Zusammenhang mit Kampfhandlungen und terroristischen Aktivsten des Islamischen Staates standen, entspricht somit der Einschätzung des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. Auf Seite 60 des Berichtes wird in der Folge auch explizit erwähnt, dass die gewalttätigen Übergriffe insbesondere die Jahre 2014 bis 2017 betrafen.

Nunmehr ortet der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge die Gefahr, dass Sicherheitskräfte Personen auf der Grundlage weit gefasster, diskriminierender und sich häufig überschneidender Kriterien eine Verbindung zum Islamischen Staat unterstellen und diese Personen deshalb einer strafrechtlichen Verfolgung, Folter und anderen Formen der Misshandlung ausgesetzt sein können. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass auf den Beschwerdeführer das auf Seite 59 der Einschätzung des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge definierte Risikoprofil teilweise zutrifft, weil er ein sunnitischer Mann in wehrfähigem Alter ist. Dem steht gegenüber, dass er keinen familiären oder stammesbezogenen Bezug zum Islamischen Staat aufweist und er nicht in einer vom Islamischen Staat faktisch beherrschten Gegend lebte. Dem Beschwerdeführer kann somit nicht vorgeworfen werden, eine gewisse Zeit unter der faktischen Herrschaft des Islamischen Staates zugebracht und dermaßen – wenn auch nur stillschweigend – mit dem Islamischen Staat kooperiert zu haben. Er ist auch nicht in der Situation, binnenvertrieben zu sein. Dass alleine seiner Herkunft aus Mossul zu einem derartigen Verdacht führt, ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes bei einer Rückkehr nach Mossul selbst nicht zu besorgen, kehrt der Beschwerdeführer doch an seinen Herkunftsort zurück und wird nicht als Binnenvertriebener an einem anderen Ort Aufmerksamkeit als Binnenmigrant erwecken.

Einerseits bestehen keine Hinweise darauf, dass die hunderttausenden Rückkehrer in die Stadt nun in namhafter Zahl verhaftet würden. Es mag die oben angeführte Zahl an geschätzten inhaftierten (angeblichen) Anhängern des Islamischen Staates im gegebenen Zusammenhang hoch erscheinen, dieses Zahl ist jedoch die Folge nunmehr jahrelanger Auseinandersetzungen und sie ist auch in Beziehung mit der festgestellten Anzahl von zumindest 1.614.150 Rückkehrern in das Gouvernement Ninawa und die dortige Bevölkerungszahl von nunmehr ca. 3,7 Millionen Personen zu setzen. Ausgehend davon erkennt das Bundesverwaltungsgericht schon in Anbetracht der Dimension nicht die (für die Gewährung von internationalem Schutz) maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Inhaftierung und/oder strafrechtlichen Verfolgung im Rückkehrfall – umso mehr als er eben das Risikoprofil nur teilweise verwirklicht.

Bei einem näheren Studium des (umfangreichen) Quellen und Fußnotenapparates der der Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zur Rückkehr in den Irak vom Mai 2019 zeigt sich als weitere Risikoquelle eine mögliche Denunziation, wobei der Beschwerdeführer eine derartige Befürchtung einerseits nicht vorbrachte und das Bundesverwaltungsgericht andererseits auch nicht erkennen kann, weshalb der Beschwerdeführer nach jahrelanger Abwesenheit von unbekannten dritten Personen oder „geheimen Informanten“ denunziert werden sollte. Dass eine zufällige Namensgleichheit zu einer Verwechslung des Beschwerdeführers mit einer gesuchten Person führt, wurde im Verfahren ebenfalls nicht vorgebracht und kann vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht als mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretender Umstand erkannt werden. In Anbetracht der Rechtslage ist nämlich nicht auszuschließen, dass eine gewisse Möglichkeit besteht, dass der Beschwerdeführer mit zu Unrecht erhobene Vorwürfen konfrontiert sein könnte. Verfolgungsgefahr ist jedoch nach der Rechtsprechung nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht (VwGH 10.08.2018 Ra 2018/20/0314; 10.11.2015, Ra 2015/19/0185). Eine solche maßgebliche Wahrscheinlichkeit sieht das Bundesverwaltungsgericht in Anbetracht des Profils des Beschwerdeführers und der vorliegenden Berichte nicht. Eine Sicherheitsüberprüfung und/oder eine kurzzeitige Festnahme würde im Übrigen noch keine asylrelevante Verfolgung darstellen und führt auch nicht zwingend zu einer mehrmonatigen oder mehrjährigen Inhaftierung oder einem unfairen Prozess.

Die Berücksichtigung der Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zur Rückkehr in den Irak vom Mai 2019 zeigt somit aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers im Rückkehrfall auf. Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge schränkt in dieser Hinsicht in seiner zusammenfassenden Darstellung auf Seite 65 den Schutzbedarf selbst auf Personen ein, die in einer vom Islamischen Staat beherrschten Gegend gelebt haben. Der Beschwerdeführer wäre deshalb allenfalls unter jene Kategorie zu subsumieren, die abhängig von den besonderen Umständen des jeweiligen Falls möglicherweise internationalen Schutz benötigen. Aufgrund der vorstehend ausführlich erörterten Umstände – insbesondere der rechtszeitigen Ausreise, des fehlenden familiären Bezugs zum Islamischen Staat und der Rückkehr an den Herkunftsort – geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Beschwerdeführer keinen internationalen Schutz benötigt und seine Rückkehr nach Mossul in diesem Zusammenhang unbeachtet bleiben würde.

Der Vollständigkeit halber ist an dieser Stelle nochmals festzuhalten, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachte homosexuelle oder bisexuelle Orientierung nicht festgestellt werden konnte, sodass der Beschwerdeführer nicht der Gruppe der „Persons of Diverse Sexual Orientations and/or Gender Identities“ zuzuordnen ist und er im Rückkehrfall keine individuelle Gefährdung aufgrund einer homosexuellen oder bisexuellen Orientierung zu gewärtigen hat.

Der Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zur Rückkehr in den Irak vom Mai 2019 kann schließlich nicht entnommen werden, dass eine Asylantragstellung in Österreich bzw. allgemein in Europa zu einer Verfolgung im Fall einer Rückkehr in den Irak führen würde. Der Beschwerdeführer brachte dazu auch keine Rückkehrbefürchtungen in der mündlichen Verhandlung vor, sodass die dahingehenden unsubstantiierten Befürchtungen in seinem Rechtsmittel nicht glaubhaft sind.

2.6.8. Die sichere Erreichbarkeit der Stadt Mossul im Wege der in den Feststellungen angeführten Straßen ergibt sich zunächst aus der festgestellten stabilen Sicherheitslage im Gouvernement Bagdad und im Gouvernement Erbil, die ein Erreichen der dortigen Flughäfen ermöglicht. Die Einreise in die autonome Region Kurdistan im Luftweg ist mit einem irakischen Ausweisdokument stets möglich und es bestehen auch keine Restriktionen für die Weiterreise in das angrenzende Gouvernement Ninawa. Der Country of Origin Information Report von EASO vom März 2019 zum Irak betreffend Security Situation enthält für jedes Gouvernement Informationen zur Sicherheit von Verkehrswegen. Diese Informationen lassen keine Einschränkungen beim Passieren der Schnellstraße 2 erkennen. Für das Gouvernement Ninawa liegen Berichte vor, wonach (schiitische) PMF-Milizen bei Checkpoints beim Passieren von Lastkraftwagen unrechtmäßig Zölle oder Steuern erheben, dass reisende Personen davon betroffen wären, ergibt sich aus der Berichtslage nicht. Die ansonsten in den Feststellungen ersichtlichen Schwierigkeiten beim Passieren von Verkehrswegen im Gouvernement Ninawa bestreffen nicht die Straßenverbindung nach Bagdad bzw. Erbil, sondern in den Westen. Für das Gouvernement Salah ad-Din gibt EASO an, dass die Schnellstraße von (schiitischen) PMF-Milizen gesichert wird, es jedoch Medienberichten zufolge zu vereinzelten Überfällen des Islamischen Staates mit „fake checkpoints“ kommt. Von einer Unpassierbarkeit bzw. der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit, solchen Übergriffen zum Opfer zu fallen, geht der Bericht jedoch nicht aus, sodass derartiges auch hier nicht festgestellt werden kann.

Rückkehrhindernisse in Bezug auf den Zutritt zur Stadt Mossul selbst können den im Verfahren herangezogenen Berichten nicht entnommen werden und es lässt die namhafte Anzahl hunderttausender Rückkehrer erkennen, dass die Rückkehr nach Mossul eine massenhaft auftretende Erscheinung ist, die keinen greifbaren Restriktionen begegnet. Der Beschwerdeführer brachte schließlich keine Befürchtungen im Hinblick auf Rückkehrhindernisse oder die Sicherheit von Verkehrswegen vor. Die dahingehenden Ausführungen in der Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zur Rückkehr in den Irak vom Mai 2019 betreffen im Wesentlichen die Lage von Binnenvertriebenen. Zum Entscheidungszeitpunkt besteht kein Hinweis, dass der Beschwerdeführer allenfalls einzelne Checkpoints nicht passieren könnte. Er verfügt außerdem über irakische Ausweisdokumente und kehrt an den Ort seiner behördlichen Registrierung zurück. Dass er nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als Anhänger des Islamischen Staates angesehen werden wird, wurde bereits ausführlich erörtert.

2.6.9. Der Beschwerdeführer brachte keine mit seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit und seinem sunnitischen Religionsbekenntnisses in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten vor der Ausreise substantiiert vor, sodass demzufolge zur Feststellung zu gelangen ist, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit und seines sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen hatte. Ebensowenig wurden Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften des Herkunftsstaates glaubwürdig vorgebracht. Der Beschwerdeführer gehörte ausweislich seines Vorbringens auch keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an.

Es ist somit zusammenfassend nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen bzw. schiitischer Muslime oder extremistische Gruppierungen oder psychischer und/oder physischer Gewalt seitens verbliebener Anhänger des Islamischen Staates im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer ist im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund seines Bekenntnisses zum sunnitischen Islam ausgesetzt. Zudem wird dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Anhängerschaft bzw. Unterstützung des Islamischen Staates oder ein sonstiges Naheverhältnis zum Islamischen Staat vor der Ausreise unterstellt werden.

Wider den Beschwerdeführer besteht im Irak kein Haftbefehl und er wird auch nicht in anderer Weise von zivilen oder militärischen Behörden oder Gerichten gesucht und ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von strafrechtlicher Verfolgung bedroht.

2.7. Da der Beschwerdeführer keine staatliche Strafverfolgung im Irak aufgrund eines Kapitalverbrechens vorgebracht hat und aus den vorstehend im Detail erörterten Gründen auch keine maßgebliche Gefahr einer Verurteilung nach dem irakischen Antiterrorgesetzes Nr. 13 aus dem Jahr 2005 erkannt werden kann, wird er im Fall einer Rückkehr nicht der Todesstrafe unterzogen werden. Ebenso kann aus dem Vorbringen keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers durch drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe abgeleitet werden, zumal keine anderweitigen drohenden Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften glaubhaft gemacht wurden.

Die Sicherheitslage im Gouvernement Ninawa ist ausweislich der ausführlichen Feststellungen grundsätzlich stabil und es ist infolge der militärischen Niederlage des Islamischen Staates und dem weitgehenden Ende offener Kampfhandlungen ein gravierender Rückgang der sicherheitsrelevanten Vorfälle und der damit einhergehenden zivilen Opfer eingetreten. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage in Ninawa dargestellten Gefahrendichte nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in Mossul davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlages, krimineller Aktivtäten oder von Polizeigewalt bei Demonstrationen und Ausschreitungen werden würde (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 zur Lage in Bagdad). Entsprechendes gilt für die Gefährdung durch verbliebene Kampfmittel und Blindgänger. Da der Ostteil Mossuls von den Kampfhandlungen nur in untergeordnetem Ausmaße in Mitleidenschaft gezogen wurde, geht das Bundesverwaltungsgericht nicht von einem hohen Risiko einer Gefährdung des Beschwerdeführers durch verbliebene Kampfmittel und Blindgänger aus. Es kamen im Verfahren auch keine Hinweise darauf hervor, dass er im Fall einer Rückkehr zur Räumung von Kampfmitteln eingesetzt werden würde.

Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt findet im Gouvernement Ninawa nicht statt, zumal die gegenwärtigen Zusammenstöße von verbliebenen Anhängern des Islamischen Staates und staatlichen Sicherheitskräften nicht die Intensität erreichen, dass ein bewaffneter Konflikt vorliegt. Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder im Hinblick auf willkürliche Gewalt im Zuge von Ausschreitungen bei Protesten oder kriminellen Aktivtäten hindeuten würden, wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer gehört nicht den staatlichen Sicherheitskräften und keiner ethnischen oder religiösen Minderheit im Gouvernement Ninawa an. Er weist kein exponiertes Profil auf, er war selbst kein Anhänger des Islamischen Staates und ist auch nicht durch Angehörige belastet, die Anhänger des Islamischen Staates waren oder sind. Der Beschwerdeführer ist schließlich nicht politisch tätig, kein Stammesführer und kein Bürgermeister oder Ortsvorsteher, er wird in ein städtisches Gebiet zurückkehren und unterliegt somit auch nicht der Gefahr, nächtlichen Übergriffen von verbliebenen Anhängern des Islamischen Staates auch nur zufällig ausgesetzt zu sein.

Es ist kein Grund erkennbar, weshalb der Beschwerdeführer im Rückkehrfall in bewaffnete Stammeskonflikte oder gewaltsame Auseinandersetzungen im Gefolge krimineller Aktivitäten Dritter verwickelt werden sollte. Er brachte schließlich auch nicht vor, sich im Fall einer Rückkehr in das Gouvernement Ninawa an dort allenfalls stattfindenden Protesten gegen die irakische Regierung oder andere Akteure beteiligen zu wollen, sodass eine sich daraus potentiell ergebende Gefährdung an dieser Stelle ebenfalls ausgeschlossen werden kann.

Der Islamische Staat ist ausweislich der Feststellungen weiterhin in der Lage, terroristische Anschläge zu verüben und nutzt Methoden der asymmetrischen Kriegsführung, wobei die Aktivitäten der verbliebenen Kämpfer des Islamischen Staates in den Feststellungen ausführlich beschrieben werden. Diese konzentrieren sich auf die ländlichen Gebiete des Gouvernement Ninawa, zumal sich die Bewegungsfreiheit verblieber Kämpfer des Islamischen Staates in ländlichen Gegenden größer ist, da die Sicherheitskräfte tendenziell auf die Städte konzentriert sind. In der Stadt Mossul selbst kommt es zwar ebenfalls zu terroristischen Aktivitäten verblieber Kämpfer des Islamischen Staates, die Anzahl der Anschläge ist jedoch vergleichsweise gering und es ist aufgrund dieser geringen Anschlagsdichte bei einer Einwohnerzahl von zumindest einer Million Menschen nicht die reale Gefahr zu besorgen, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr Opfer eines terroristischen Anschlages würde.

2.8. Die Feststellungen unter Punkt 1.5. beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers zu dessen Lebenslauf und zu seiner gesundheitlichen Verfassung in der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie in der Einvernahme vor der belangten Behörde. Der Beschwerdeführer ist in der Stadt Mossul geboren und aufgewachsen und mit der Sprache sowie den Gebräuchen in seiner Herkunftsregion vertraut. Er hat in Mossul grundlegende Schulbildung konsumiert und langjährige Berufserfahrung als Koch bzw. als Kellner in der Gastronomie gesammelt.

Die Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf dessen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die durchlaufende Ausbildung und die im Herkunftsstaat ausgeübte Berufstätigkeit. Ferner brachte der Beschwerdeführer keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, welche die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen würden.

Dem Beschwerdeführer steht im Rückkehrfall eine unentgeltliche Wohnmöglichkeit bei seinen Eltern zur Verfügung, die nach wie vor in Mossul leben und in deren Haus er bereits vor der Ausreise wohnhaft war. Der Beschwerdeführer wird deshalb im Rückkehrfall nicht mit Kosten für die Unterkunftnahme belastet sein.

Der Beschwerdeführer ist abseits davon als gesunder, anpassungs- und arbeitsfähiger Mensch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes in der Lage, sein Auskommen im Fall einer Rückkehr entweder durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer in der Gastronomie in seinem angestammten Beruf oder alternativ auf Baustellen, im Handel oder in der öffentlichen Verwaltung zu bestreiten – sei es auch nur in Form der Verrichtung von Gelegenheitsarbeiten – oder im Wege der Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen des ERIN-Programmes einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen und ein eigenes Geschäft etwa im Bereich der Nahrungsmittelversorgung oder der Gastronomie zu eröffnen. ERIN ist ein Rückkehr- und Reintegrationsprogramm auf europäischer Ebene mit dem Hauptziel, Reintegrationsunterstützung im Herkunftsland anzubieten. ERIN ist eine Spezifische Maßnahme im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU und wird von den Niederlanden (Repatriation and Departure Service des Ministry of Security and Justice of the Netherland) geleitet.

Im Rahmen des ERIN-Programms erhält jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin eine Reintegrationsleistung in der Höhe von 3.500 Euro, wobei 500 Euro als Bargeld und 3.000 Euro als Sachleistung vom Service Provider im Herkunftsland ausgegeben werden. Während die Geldleistung grundsätzlich dazu gedacht ist die unmittelbaren Bedürfnisse nach der Rückkehr zu decken, dient die Sachleistung insbesondere als Investition zur Schaffung einer Existenzgrundlage und trägt somit zu einer nachhaltigen Rückkehr bei. Von Juni 2016 bis Jänner 2018 erhielten 843 Personen im Rahmen ihrer Rückkehr von Österreich in ihr Heimatland Reintegrationsunterstützung über das ERIN-Programm. Unter Berücksichtigung von Familienangehörigen kehrten im selben Zeitraum sogar 1.254 Personen freiwillig in ihr Heimatland zurück. Aktuell wird ERIN-Reintegrationsunterstützung im Zentralirak und in der autonomen Region Kurdistan zur Verfügung gestellt (http://www.bmi.gv.at/107/EU_Foerderungen/Finanzrahmen_2014_2020/AMIF/ERIN.aspx ). Die Teilnahme an diesem Programm vermittelt etwa hinreichende Starthilfe für eine selbständige Tätigkeit und den Aufbau eines eigenen Geschäftes.

Auch wenn die Arbeitsmarktsituation in der Stadt Mossul ausweislich der Feststellungen prekär ist, geht das Bundesverwaltungsgericht in Anbetracht des persönlichen Profils des Beschwerdeführers, seiner beruflichen Erfahrung und seines sehr guten Gesundheitszustandes davon aus, dass der Beschwerdeführer in der Stadt Mossul eine zumindest durch Gelegenheitsarbeiten gesicherte Existenzgrundlage vorfindet. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im gegebenen Zusammenhang nicht, dass die wirtschaftliche Lage im Irak angespannt ist. Die Feststellungen weisen auf eine angespannte Lage am Arbeitsmarkt hin, sie bieten aber noch keinen Anlass für die Befürchtung, im Rückkehrfall keine existenzsichernde Arbeit zu finden. Zwar ist die Arbeitslosenrate im Vergleich zu europäischen Werten höher, von Massenarbeitslosigkeit kann jedoch nicht gesprochen werden. Die Versorgung mit Nahrung ist außerdem jener Wirtschaftszweig, der auch in Krisenzeiten aufrechterhalten wird und entsprechend nachfragt wird, sodass das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass der Arbeitsmarkt im Beriech der Gastronomie und der Nahrungsmittelversorgung in Mossul stabil ist und der Beschwerdeführer dort aufgrund seiner langjährigen einschlägigen Berufserfahrung als Koch und als Kellner intakte Aussichten auf eine (zumindest unregelmäßige) Beschäftigung vorfinden wird.

Der Beschwerdeführer wird dort einerseits seine Eltern und seine dort lebenden Geschwister und damit sozialen Anschluss sowie eine im Familienkreis erlangbare Unterstützung sowie eine unentgeltliche Unterkunft vorfinden. Das Bundesverwaltungsgericht kann auch keinen Grund erkennen, der einer anfänglichen Unterstützung (etwa durch Geldsendungen) des in Bagdad lebenden Bruders des Beschwerdeführers entgegenstehen würde.

Dazu tritt, dass es nach der ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verwaltungsgerichtshofs dem Beschwerdeführer obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (EGMR U 05.09.2013, I. gegen Schweden, Nr. 61204/09; VwGH 18.03.2015, Ra 2015/01/0255; VwGH 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174). Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/03079).

Der Beschwerdeführer hat keine gewichtigen Gründe für die Annahme des Risikos einer fehlenden Existenzgrundlage im Herkunftsstaat vorgebracht. Bei der Erörterung seiner Lage im Rückkehrfall in der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer dahingehend zwar dar, dass die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Trinkwasser in der Stadt Mossul nicht ausreichend sei. Weshalb er davon ausgeht, dass er deshalb verhungern müsse, erschließt sich jedoch nicht. Einerseits lassen die vorliegenden Berichte zur Lage in Mossul nicht erkennen, dass Versorgungsschwierigkeiten in Bezug auf Grundnahrungsmittel und Trinkwasser bestehen. Andererseits sind auch keine Hinweise auf eine gegenwärtig bestehende massive Nahrungsmittelunsicherheit der Haushalte gegeben. Der Beschwerdeführer brachte schließlich auch nicht vor, dass seine Angehörigen in Mossul Hunger leiden würden. Zwar ist der westliche Teil der Stadt Mossul aufgrund der Kampfhandlungen weitgehend zerstört, der Beschwerdeführer stammt jedoch aus dem ungleich weniger in Mitleidenschaft gezogenen Ostteil der Stadt. Die Feststellungen lassen deutlich erkennen, dass die Bewohner der Stadt Mossul zwar unter den Folgen der Kämpfe gegen den Islamischen Staat leiden, jedoch das öffentliche Leben in der Stadt Mossul – insbesondere den nicht zerstörten Stadtteilen – wieder in Gang gekommen ist und die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln, Trinkwasser und Elektrizität wiederhergestellt wurde. Auch wenn dabei nach wie vor Defizite bestehen und der Wiederaufbau insgesamt nur schleppend vorankommt, kann das Bundesverwaltungsgericht in Anbetracht der Feststellungen ebenfalls keine keine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK bei einem alleinstehenden jungen Mann mit hervorragender Gesundheit und Leistungsfähigkeit erkennen.

Es ist derzeit auch keine dauerhafte und maßgebliche Verschlechterung der Wirtschaftslage oder des Gesundheitssystems durch die COVID-19-Pandemie im Irak erkennbar. Derartiges wurde vom Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht. Ausweislich der Feststellungen wurden im Irak ähnliche Maßnahmen gegen die Verbreitung von COVID-19-Pandemie gesetzt, wie in Österreich (Grenzschließungen und Ausgangssperren). Das Preisniveau im Hinblick auf die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern ist stabil, die Versorgung ist gesichert. Der für die irakische Volkswirtschaft wichtige Ölpreis hat sich nach einem kurzfristigen Verfall zuletzt wieder auf einem höheren Niveau stabilisiert und es ist derzeit kein über die kurzfristigen und pandemiebedingten wirtschaftlichen Einbußen hinausgehender Zusammenbruch der irakischen Wirtschaft erkennbar.

Der Beschwerdeführer ist als irakischer Staatsbürger außerdem berechtigt, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen, einem sachleistungsorientierten Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft und an die Bevölkerung verteilt, sodass eine Absicherung im Hinblick auf Grundnahrungsmittel gegeben ist. Auch wenn das Programm unter Insuffizienzen leidet, ist von einer Unterstützung des Beschwerdeführers bei der Bestreitung seines Auskommens auszugehen. Da der Beschwerdeführer an seinen Herkunftsort zurückkehrt und über irakische Ausweisdokumente verfügt, wird er keine Schwierigkeiten beim Erhalt einer Lebensmittelbezugskarte zu gewärtigen haben.

Dass die Wirtschaftslage in Mossul an sich schlecht ist, ist zutreffend, stellt jedoch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes in Anbetracht des persönlichen Profils des Beschwerdeführers keine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK dar. Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet auch nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 17.09.2019, Ra 2019/14/0160). Der Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge „International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq“ vom Mai 2019 können im Übrigen ebenfalls keine einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsregion Mossul entgegenstehenden Aspekte in Bezug auf die dortige wirtschaftliche und soziale Lage entnommen werden.

Schließlich gehört der Beschwerdeführer keiner ethnischen oder religiösen Minderheit im Fall einer Rückkehr in die Stadt Mossul an, sodass auch diesbezüglich keine Vulnerabilität in Ansehung des Beschwerdeführers im Fall einer Rückkehr erkannt werden kann.

Dass Rückkehrer aus dem westlichen Ausland schon aufgrund des Auslandsaufenthaltes oder einer im Ausland erfolgten Asylantragstellung besonders vulnerabel wären, kann den zur Rückkehr getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak nicht entnommen werden.

In Anbetracht des persönlichen Profils des Beschwerdeführers und ob des vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks gelangt das Bundesverwaltungsgericht zusammenfassend zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer anpassungsfähig und selbst in der Lage ist, für ein eigenes Auskommen im Fall der Rückkehr nach Mossul zu sorgen und seine grundlegenden Bedürfnisse durch eigenen Erwerbstätigkeit sowie im Wege der Unterstützung durch seine Angehörigen zu befriedigen.

Im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie ist abschließend festzuhalten, dass der Beschwerdeführer an keiner Vorerkrankung leidet und keiner Risikogruppe angehört (vgl. dazu die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II. Nr. 203/2020). Rückkehrbefürchtungen im Hinblick auf die Folgen der COVID-19-Pandemie wurde im Verfahren nicht vorgebracht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 29/2020 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.

Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 10.08.2018 Ra 2018/20/0314; 10.11.2015, Ra 2015/19/0185).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233 mwN). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

3.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

Im gegenständlichen Fall gelangt das Bundesverwaltungsgericht aus oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt war und er im Fall der Rückkehr dorthin auch keiner mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Verfolgung ausgesetzt wäre. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 10.08.2018 Ra 2018/20/0314; 10.11.2015, Ra 2015/19/0185).

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht.

Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind. Bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur sind hinzunehmen, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

3.1.3. Eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Z. 2 GFK liegt zusammenfassend nicht vor und es braucht daher auf die Frage der Schutzwilligkeit und -fähigkeit der staatlichen Organe vor derartigen Bedrohungen sowie des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr eingegangen werden.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids kommt folglich keine Berechtigung zu.

3.2. Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten:

3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob im Falle der Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind zunächst konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein „real risk“ einer gegen Art. 3 MRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236; VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwN). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwH).

3.2.2. Unter „real risk“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (grundlegend VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; RV 952 BlgNR XXII. GP 37). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die Feststellung einer Gefahrenlage im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfordert das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen (VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; 14.10.1998, Zl. 98/01/0122).

3.2.3. Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. EGMR U 08.04.2008, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21878/06).

3.2.4. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen: ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad).

Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

3.2.5. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung, noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Die Sicherheitslage im Gouvernement Ninawa ist ausweislich der ausführlichen Feststellungen grundsätzlich stabil und es ist infolge der militärischen Niederlage des Islamischen Staates und dem weitgehenden Ende offener Kampfhandlungen ein gravierender Rückgang der sicherheitsrelevanten Vorfälle und der damit einhergehenden zivilen Opfer eingetreten. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage im Gouvernement Ninawa dargestellten Gefahrendichte nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers im Gouvernement Ninawa und dort in der Hauptstadt Mossul davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlages, krimineller Aktivtäten oder von Gewalt bei Demonstrationen und Ausschreitungen werden würde (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 zur Lage in Bagdad).

Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt findet im Gouvernement Ninawa nicht statt, zumal die gegenwärtigen Zusammenstöße von verbliebenen Anhängern des Islamischen Staates und staatlichen Sicherheitskräften nicht die Intensität erreichen, dass ein bewaffneter Konflikt vorliegt. Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder im Hinblick auf willkürliche Gewalt im Zuge von Ausschreitungen bei Protesten oder kriminellen Aktivtäten hindeuten würden, wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer gehört nicht den staatlichen Sicherheitskräften und keiner ethnischen oder religiösen Minderheit im Gouvernement Ninawa an. Er weist kein exponiertes Profil auf, er war selbst kein Anhänger des Islamischen Staates und ist auch nicht durch Angehörige belastet, die Anhänger des Islamischen Staates waren oder sind. Der Beschwerdeführer ist schließlich nicht politisch tätig, kein Stammesführer und kein Bürgermeister oder Ortsvorsteher, er wird in ein städtisches Gebiet zurückkehren und unterliegt somit auch nicht der Gefahr, nächtlichen Übergriffen von verbliebenen Anhängern des Islamischen Staates auch nur zufällig ausgesetzt zu sein.

Außerdem hat weder der Beschwerdeführer selbst ein substantiiertes Vorbringen im Sinn der vorstehend zitierten Rechtsprechung dahingehend erstattet, noch kann aus den allgemeinen Feststellungen zur Lage im Irak und insbesondere zur Lage im Gouvernement Ninawa abgeleitet werden, dass er alleine schon aufgrund seiner bloßen Anwesenheit im Gouvernement Ninawa mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch terroristische Anschläge oder auf kriminellen Motiven beruhenden Gewalttaten ausgesetzt wäre.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), hat doch der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in den Irak und dort in seine Herkunftsregion jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger und gesunder Mann mit grundlegender Schulbildung und im Herkunftsstaat erworbener langjähriger Berufserfahrung als Koch und als Kellner. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben kann in Ansehung des Beschwerdeführers vorausgesetzt werden, zumal er im Irak bereits mehrere Jahre berufstätig war. Das Bundesverwaltungsgericht geht deshalb und ob der in der Beweiswürdigung näher dargestellten Erwägungen davon aus, dass der Beschwerdeführer im Irak grundsätzlich in der Lage sein wird, sich mit eigener unselbständiger Erwerbstätigkeit – zumindest im Wege der Verrichtung von Gelegenheitsarbeiten – oder nach der ihm offenstehenden Inanspruchnahme von Starthilfe des ERIN-Projektes durch den Aufbau eines eigenen Geschäfts im Bereich der Gastronomie oder der Nahrungsmittelversorgung bzw. allenfalls auch als Arbeitnehmer auf Baustellen, im Handel oder in der öffentlichen Verwaltung ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts und zur Befriedigung seiner Wohnbedürfnisse zu erwirtschaften.

Das Wohnbedürfnis des Beschwerdeführers im Rückkehrfall ist jedenfalls befriedigt, da ihm eine unentgeltliche Wohnmöglichkeit im Haus seiner Eltern im weitgehend unversehrt gebliebenen Ostteil Mossuls zur Verfügung steht. Ferner ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei seinen in Mossul lebenden Eltern und Geschwistern sozialen Anschluss und zumindest anfänglich Unterstützung durch Zurverfügungstellung von Nahrung vorfinden wird.

Der Beschwerdeführer ist als irakischer Staatsbürger außerdem berechtigt, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen, einem sachleistungsorientierten Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft und an die Bevölkerung verteilt, sodass auch eine gewisse Absicherung im Hinblick auf die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln gegeben ist.

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt ausweislich der getroffenen Feststellungen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht im Übrigen eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 17.09.2019, Ra 2019/14/0160 mwN). Eine solche Verletzung von Art. 3 EMRK ist vielmehr nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen, nämlich wenn die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006). Im gegenständlichen Fall ist zwar von einer schwierigen Lebenssituation im Rückkehrfall auszugehen, nicht jedoch von exzeptionellen Umständen, zumal der nicht vulnerable Beschwerdeführer über eine Wohnmöglichkeit verfügt und er die Landessprache beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist, über familiäre Anknüpfungspunkte am Herkunftsort verfügt und die Möglichkeit hat, sich zumindest im Wege von Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern.

Was die Folgen der COVID-19-Pandemie im Irak betrifft ist festzuhalten, dass es sich bei COVID-19 um eine überregional auftretende Viruserkrankung handelt und kein Staat der Welt absolute Sicherheit vor dieser Erkrankung bieten kann, was die aktuellen Entwicklungen der Infektionszahlen in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika belegen. Der Beschwerdeführer leidet an keiner Vorerkrankung und gehört keiner Risikogruppe an (vgl. dazu die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II. Nr. 203/2020). Nach der derzeitigen Sachlage und der festgestellten Anzahl an Infizierten wäre daher eine mögliche Ansteckung des Beschwerdeführers im Irak mit COVID-19 und ein diesbezüglicher außergewöhnlicher Krankheitsverlauf allenfalls spekulativ. Eine reale und nicht auf Spekulationen gegründete Gefahr ist somit nicht zu erkennen. Die bloße Möglichkeit eines dem Art. 3 EMRK allenfalls in der Zukunft widersprechenden Nachteils führt nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes (VwGH vom 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174).

Ergänzend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer sonstige Bedenken bezüglich der Rückkehrsituation im Lichte der COVID-19-Pandemie nicht dargelegt hat.

3.2.6. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

Weder droht ihm im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde die Gefahr, der Todesstrafe unterzogen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen, sodass der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu Recht abgewiesen wurde.

3.3. Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:

3.3.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ist gemäß § 58 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen. Über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung ist gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

§ 10 Abs. 1 AsylG 2005 sieht ferner vor, dass eine Entscheidung nach dem Asylgesetz dann mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist, wenn– wie im Gegenstand – der Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen wird (Z. 3 leg. cit.) und von Amts wegen kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird. Die Rückkehrentscheidung setzt daher eine vorangehende Klärung der Frage voraus, ob ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird.

3.3.2. Im Ermittlungsverfahren sind keine Umstände zu Tage getreten, welche auf eine Verwirklichung der in § 57 Abs. 1 AsylG 2005 alternativ genannten Tatbestände hindeuten würden, insbesondere wurde vom Beschwerdeführer selbst nichts dahingehend dargetan und auch in der Beschwerde kein diesbezügliches Vorbringen erstattet.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war ausweislich der Feststellungen nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde schließlich nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

Dem Beschwerdeführer ist daher kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen. Der gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides erhobenen Beschwerde kommt daher keine Berichtigung zu.

3.4. Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK und Erlassung einer Rückkehrentscheidung:

3.4.1. Die Einreise des Beschwerdeführers in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich ist nicht rechtmäßig erfolgt. Bisher stützte sich der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet alleine auf die Bestimmungen des AsylG für die Dauer seines nunmehr abgeschlossenen Verfahrens. Ein sonstiger Aufenthaltstitel ist nicht ersichtlich und wurde auch kein auf andere Bundesgesetze gestütztes Aufenthaltsrecht behauptet. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet mehr vor und unterliegt dieser damit nicht dem Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG betreffend Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung nach dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden nach Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (VfSlg. 16928/2003).

Der alleinstehende Beschwerdeführer brachte nicht vor, dass in Österreich Angehörige oder Verwandte leben würden, welche vom Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK erfasst wären. In Anbetracht dessen ist im gegenständlichen Fall eine mögliche Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf ein Familienleben in Österreich mangels familiärer Bindungen zu verneinen.

3.4.2. Der Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen eines Fremden an einem Verbleib in Österreich in dem Sinne, ob dieser Eingriff im Sinn des Art 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig ist, ist voranzustellen, dass die Rückkehrentscheidung jedenfalls der innerstaatlichen Rechtslage nach einen gesetzlich zulässigen Eingriff darstellt.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Moustaquim ist eine Maßnahme dann in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, wenn sie einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und zum verfolgten legitimen Ziel verhältnismäßig ist. Das bedeutet, dass die Interessen des Staates, insbesondere unter Berücksichtigung der Souveränität hinsichtlich der Einwanderungs- und Niederlassungspolitik, gegen jene des Berufungswerbers abzuwägen sind (EGMR U 18.02.1991, Moustaquim gegen Belgien, Nr. 12313/86).

Hinsichtlich der Abwägung der öffentlichen Interessen mit jenen des Berufungswerbers ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass Asylwerber und sonstige Fremde nicht schlechthin gleichzusetzen sind. Asylwerber hätten regelmäßig ohne Geltendmachung von Asylgründen keine rechtliche Möglichkeit, legal nach Österreich einzureisen. Soweit die Einreise nicht ohnehin unter Umgehung der Grenzkontrolle oder mit einem Touristenvisum stattgefunden hat, ist Asylwerbern der Aufenthalt bloß erlaubt, weil sie einen Asylantrag gestellt und Asylgründe geltend gemacht haben. Sie dürfen zwar bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung weder zurückgewiesen, zurückgeschoben noch abgeschoben werden, ein über diesen faktischen Abschiebeschutz hinausgehendes Aufenthaltsrecht erlangen Asylwerber jedoch lediglich bei Zulassung ihres Asylverfahrens sowie bis zum rechtskräftigen Abschluss oder bis zur Einstellung des Verfahrens. Der Gesetzgeber beabsichtigt durch die zwingend vorgesehene Ausweisung von Asylwerbern eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung im Inland von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern. Es kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er auf Grund dieser Besonderheit Asylwerber und andere Fremde unterschiedlich behandelt (VfSlg. 17.516/2005).

3.4.3. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht (zur Maßgeblichkeit dieser Kriterien vgl. VfSlg. 18.223/2007).

Er hat etwa die Aufenthaltsdauer, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine fixen zeitlichen Vorgaben knüpft (EGMR U 31.1.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99; U 16.9.2004, M. C. G. gegen Deutschland, Nr. 11.103/03), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR GK 28.05.1985, Abdulaziz, Cabales und Balkandali gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 9214/80, 9473/81, 9474/81; U 20.6.2002, Al-Nashif gegen Bulgarien, Nr. 50.963/99) und dessen Intensität (EGMR U 02.08.2001, Boultif gegen Schweiz, Nr. 54.273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR U 04.10.2001, Adam gegen Deutschland, Nr. 43.359/98; GK 09.10.2003, Slivenko gegen Lettland, Nr. 48321/99), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (EGMR U 11.04.2006, Useinov gegen Niederlande Nr. 61292/00) für maßgeblich erachtet.

Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren – was bei einem bloß vorläufigen Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens jedenfalls als gegeben angenommen werden kann – ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR U 24.11.1998, Mitchell gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 40.447/98; U 05.09.2000, Solomon gegen die Niederlande, Nr. 44.328/98; 31.1.2006, U 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99).

Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt (VwGH 28.04.2014, Ra 2014/18/0146-0149 mwN). Maßgeblich sind dabei die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (VwGH 13.06.2016, Ra 2015/01/0255). Ferner sind nach der eingangs zitieren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie dies Verfassungsgerichtshofs die strafgerichtliche Unbescholtenheit aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht sowie Erfordernisse der öffentlichen Ordnung und schließlich die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen.

Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits im Erkenntnis VfSlg. 19.203/2010 eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Umständen davon ausgegangen werden kann, dass das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthalts bewusst waren. Der Verfassungsgerichtshof stellt dazu fest, dass das Gewicht der Integration nicht allein deshalb als gemindert erachtet werden darf, weil ein stets unsicherer Aufenthalt des Betroffenen zugrunde liege, so dass eine Verletzung des Art. 8 EMRK durch die Ausweisung ausgeschlossen sei. Vielmehr müsse die handelnde Behörde sich dessen bewusst sein, dass es in der Verantwortung des Staates liegt, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren effizient führen zu können und damit einhergehend prüfen, ob keine schuldhafte Verzögerungen eingetreten sind, die in der Sphäre des Betroffenen liegen (vgl. auch VfSlg. 19.357/2011).

Das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration ist weiter dann gemindert, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist (VwGH 26.6.2007, Zl. 2007/01/0479 mwN). Beruht der bisherige Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten wie insbesondere bei Vortäuschung eines Asylgrundes, relativiert dies die ableitbaren Interessen des Asylwerbers wesentlich (VwGH 2.10.1996, Zl. 95/21/0169; 28.06.2007, Zl. 2006/21/0114; VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168).

Bei der Abwägung der Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer bei der asylrechtlichen Ausweisung nicht verwehrt ist, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren. Es wird dadurch nur jener Zustand hergestellt, der bestünde, wenn er sich rechtmäßig (hinsichtlich der Zuwanderung) verhalten hätte und wird dadurch lediglich anderen Fremden gleichgestellt, welche ebenfalls gemäß dem Grundsatz der Auslandsantragsstellung ihren Antrag nach den fremdenpolizeilichen bzw. niederlassungsrechtlichen Bestimmungen vom Ausland aus stellen müssen und die Entscheidung der zuständigen österreichischen Behörde dort abzuwarten haben.

Die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt werden, ist auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung nach Art 8 Abs. 2 EMRK daher ein hoher Stellenwert zu (VfSlg. 18.223/2007; VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251).

Die öffentliche Ordnung, hier im Besonderen das Interesse an einer geordneten Zuwanderung, erfordert es daher, dass Fremde, die nach Österreich einwandern wollen, die dabei zu beachtenden Vorschriften einhalten. Die öffentliche Ordnung wird etwa beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Ausweisung kann in solchen Fällen trotz eines vielleicht damit verbundenen Eingriffs in das Privatleben und Familienleben erforderlich sein, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte (VwGH 21.2.1996, Zl. 95/21/1256). Dies insbesondere auch deshalb, weil als allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz gilt, dass aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen. (VwGH 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007). Der VwGH hat weiters festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist auch für das wirtschaftliche Wohl des Landes von besonderer Bedeutung, da diese sowohl für den sensiblen Arbeitsmarkt als auch für das Sozialsystem gravierende Auswirkung hat. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass insbesondere nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältige Fremde, welche daher auch über keine arbeitsrechtliche Berechtigung verfügen, die reale Gefahr besteht, dass sie zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes auf den inoffiziellen Arbeitsmarkt drängen, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf den offiziellen Arbeitsmarkt, das Sozialsystem und damit auf das wirtschaftliche Wohl des Landes hat.

3.4.4. In Abwägung der gemäß Art. 8 EMRK maßgeblichen Umstände in Ansehung des Beschwerdeführers ergibt sich für den gegenständlichen Fall Folgendes:

Der Beschwerdeführer stellte nach unrechtmäßiger Einreise am 28.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist seither als Asylwerber in Österreich aufhältig. Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist. Das Gewicht des noch nicht vier Jahre übersteigenden faktischen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich ist allerdings dadurch abgeschwächt, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt durch einen unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz zu legalisieren versuchte, er konnte alleine durch die Stellung seines Antrags jedoch nicht begründeter Weise von der zukünftigen dauerhaften Legalisierung seines Aufenthalts ausgehen. Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt ohne dem Dazutreten weiterer maßgeblicher Umstände nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031 mwN).

Der Beschwerdeführer hat hierorts keine belegten Anknüpfungspunkte in Form einer legalen Erwerbstätigkeit oder anderweitiger maßgeblicher wirtschaftlicher Interessen und ist zum Entscheidungszeitpunkt zur Sicherstellung seines Auskommens auf Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber angewiesen. Ihm wurde eigenen Angaben zufolge zwar eine Erwerbstätigkeit in einem Transportunternehmen in Aussicht gestellt, der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit ist damit jedoch keineswegs gewiss, zumal die Zusage eines in diesem Unternehmen beschäftigen Freundes nicht als (vorvertragliche) Bindung des präsumtiven Arbeitsgebers anzusehen ist. Dem Beschwerdeführer ist im Übrigen weder das Beschäftigungsausmaß, noch das zu erwartende Entgelt geläufig. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kommt derartigen formlosen Einstellungszusagen gegenüber einem Asylwerber, der nur über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach asylrechtlichen Vorschriften und nicht über eine Arbeitserlaubnis verfügt, im Übrigen keine wesentliche Bedeutung bei der Interessenabwägung zu (VwGH 22.02.2011, Zl. 2010/18/0323 mwN). Die Bedeutung einer Einstellungszusage ist außerdem dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer – obwohl ob seines vier Jahre und zehn Monate währenden faktischen Aufenthaltes im Bundesgebiet hinreichend Zeit dafür bestand – das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (nachzuweisen mit der Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 gemäß § 11 Integrationsgesetz, mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt) nicht ablegte und er somit auch nicht die Voraussetzungen geschaffen hat, dass ihm ein Aufenthaltstitel mit Arbeitsmarktzugang erteilt werden könnte (vgl. § 55 Abs. 1 Z. AsylG 2005 und § 3 Abs. 1 und 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz). Der Beschwerdeführer dürfte somit gar keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und wäre vielmehr weiterhin auf den Bezug von Sozialleistungen angewiesen, womit eine finanzielle Belastung der leistungspflichtigen Gebietskörperschaften verbunden wäre.

Zugunsten des Beschwerdeführers ist allerdings zu berücksichtigen, dass er gemeinnützigen Tätigkeiten bzw. einer Remunerantentätigkeit nachging.

Der Beschwerdeführer hat gewisse Kenntnisse der deutschen Sprache durch den Besuch von Qualifizierungsmaßnahmen erworben. Er verfügt über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache, die er selbst als „nicht so gut“ einschätzt und die er verbessern möchte. Prüfungen über Kenntnisse der deutschen Sprache legte der Beschwerdeführer jedoch nicht (erfolgreich) ab. Der Spracherwerb und der tatsächliche Wille, die deutsche Sprache zu erlernen, stellen zweifellos ein wesentliches Kriterium bei der Beurteilung der Integration in Österreich dar. Die gesamte Stufe "A" (A1 und A2) bezieht sich nach dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts allerdings auf den Standard der elementaren Sprachverwendung und reichen die derartigen Ausbaustufen aber bis zum Stand „C2“, welcher einer nahezu muttersprachlichen Verwendung der jeweiligen Sprache – hier Deutsch – gleichkommt. Ausgehend davon wird mit der Erlangung grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache und einer Prüfung auf dem Niveau A1 nach vier Jahren und zehn Monaten Aufenthalt kein Engagement beim Spracherwerb dargetan.

Darüber hinaus verfügt der alleinstehende Beschwerdeführer über soziale Kontakte im festgestellten Umfang, wobei er nur selten sein Quartier verlässt. Ein vereinsmäßiges Engagement des Beschwerdeführers war nicht feststellbar.

Demgegenüber verbrachte der Beschwerdeführer den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat, wurde dort sozialisiert und spricht die Mehrheitssprache seiner Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau. Es deutete daher nichts darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Ebenso war festzustellen, dass er im Irak über Bezugspersonen in Form von nahen Angehörigen – seinen Eltern und seinen Geschwistern – verfügt. Aufgrund der Präsenz von nahen Angehörigen im Herkunftsstaat ist auch gegenwärtig von starken Bindungen zu diesem auszugehen, wobei eine Existenzgrundlage des Beschwerdeführers bereits vorstehend bejaht wurde (VwGH 31.08.2017, Ra 2016/21/0296, zur Maßgeblichkeit der Bindungen zum Herkunftsstaat vgl. auch VwGH 22.02.2011, Zl. 2010/18/0323). Soweit der Beschwerdeführer über private Bindungen in Österreich verfügt ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in den Irak gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahestehen, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch Urlaubsaufenthalte gegebenenfalls auch in einem Drittstaat etc.) aufrecht zu erhalten.

Im gegenständlichen Verfahren ist insgesamt keine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer festzustellen, die den zuständigen Behörden zur Last zu legen wäre (vgl. hiezu auch VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001).

Die Feststellung der strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers stellt der Judikatur folgend weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zl. 98/18/0420).

Der sohin äußerst schwachen Rechtsposition des Beschwerdeführers im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in Österreich stehen die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes gegenüber. Auch wenn der Beschwerdeführer erste Deutschkenntnisse erworben hat, eine Remunerantentätigkeit verrichtete und einer Arbeit nachgehen möchte, fallen dem die insgesamt vertretbare Verfahrensdauer, die unberechtigte Antragstellung, die unrechtmäßige Einreise und der noch nicht fünf Jahre währende Aufenthalt im Bundesgebiet, währenddessen sich der Beschwerdeführer – insbesondere nach Erhalt des angefochtenen Bescheides – der Ungewissheit seines weiteren Verbleibes im Bundesgebiet bewusst gewesen sein musste, sowie die Vertretbarkeit des Eingriffs in die im Bundesgebiet vorhandenen Bindungen zur Last. Ferner lässt der Beschwerdeführer kein hervorhebenswertes Engagement bei einer Integration ins Berufsleben und beim Spracherwerb erkennen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im gegebenen Zusammenhang kürzlich entschieden, dass bei einer relativ kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich (im Anlassfall erfolgte die Einreise am 28.07.2015) nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet werde, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist (VwGH 25.09.2019, Ra 2019/19/0149). Eine solche außergewöhnliche Integration liegt fallbezogen nicht vor.

Im Rahmen einer Abwägung dieser Fakten anhand des Art. 8 Abs. 2 EMRK sowie nach Maßgabe der im Sinne des § 9 BFA-VG angeführten Kriterien gelangt das Bundesverwaltungsgericht somit – wie bereits das belangte Bundesamt – zum Ergebnis, dass die individuellen Interessen des Beschwerdeführers im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht so ausgeprägt sind, dass sie das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen überwiegen.

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes würde es ferner einen Wertungswiderspruch und eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von Fremden, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, darstellen, zumal diese letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen VwGH 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde). Dem Beschwerdeführer steht es ferner – wie bereits angesprochen – frei, sich um einen weiteren rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu bemühen und die dafür gesetzlich vorgesehenen Aufenthaltstitel zu beantragen.

3.4.5. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG wider den Beschwerdeführer keine gesetzlich normierten Hindernisse entgegenstehen.

3.5. Zulässigkeit der Abschiebung:

3.5.1. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG2005 (VwGH 15.9.2016, Ra 2016/21/0234).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG 2005 – diese Bestimmungen stellen auf dieselben Gründe ab, wie sie in §§ 3 und 8 AsylG 2005 enthalten sind – glaubhaft zu machen. Es ist die konkrete Einzelsituation des Fremden in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen; für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße im Sinn des § 50 Abs. 1 FPG 2005 durch den betroffenen Staat bekannt geworden sind (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).

Der Prüfungsmaßstab im Hinblick auf den subsidiären Schutz entspricht somit jenem des Refoulementverbots im FPG 2005. Erkennbar eben deshalb ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers aber auch ein gesonderter Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Grunde des § 50 FPG 2005 nicht möglich; einem Fremden ist es verwehrt, eine derartige Feststellung zu begehren, weil über das Thema dieser Feststellung ohnehin im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz abzusprechen ist. Ein inhaltliches Auseinanderfallen der genannten Entscheidungen (insbesondere nach § 8 AsylG 2005) einerseits und der Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG 2005 andererseits ist ausgeschlossen (VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

3.5.2. Zu § 50 Abs. 1 FPG 2005 bleibt festzuhalten, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens betreffend den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf internationalen Schutz nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung, noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt ausweislich der getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak ebenfalls nicht vor.

Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Ebenso sind keine von Amts wegen aufzugreifenden stichhaltige Gründe für die Annahme erkennbar, dass im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers dessen Leben oder dessen Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten im Sinn des § 50 Abs. 2 FPG 2005 bedroht wäre und wird insoweit auf die Erwägungen in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung betreffend den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf internationalen Schutz verwiesen.

3.5.3. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 3 FPG 2005 schließlich unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine solche Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme besteht hinsichtlich des Staates Irak nicht.

3.6. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ergibt sich zwingend aus § 55 Abs. 2 erster Satz FPG. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde (obwohl in der Beschwerde ein dahingehender Antrag gestellt wird) im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht vorgebracht. Die eingeräumte Frist ist angemessen.

3.7. Der angefochtene Bescheid erweist sich ob der vorstehenden Ausführungen als rechtsrichtig, sodass die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abzuweisen ist.

Zu B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von internationalem Schutz ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, zum Refoulementschutz und zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht.

Ebenso wird zu diesen Themen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert. In Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides liegt das Schwergewicht zudem in Fragen der Beweiswürdigung.

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