Normen
AlVG 1977 §14 Abs1;
AlVG 1977 §14 Abs2;
AlVG 1977 §15 Abs1 Z4;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AlVG 1977 §14 Abs1;
AlVG 1977 §14 Abs2;
AlVG 1977 §15 Abs1 Z4;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 31. Juli 2012 beantragte der Beschwerdeführer, der bis zum 31. Dezember 1993 in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund gestanden war, die Gewährung von Überbrückungshilfe.
In einem Schreiben an das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 12. August 2012, das der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) weitergeleitet wurde, teilte der Beschwerdeführer mit, dass er von September 1981 bis Dezember 1993 Berufsoffizier gewesen sei; von Jänner 1994 bis Dezember 1994 sei er selbständig erwerbstätig gewesen, von Jänner 1995 bis Mai 1997 habe er sich in Ausbildung zum Vermögensberater befunden; in diesem Zeitraum sei er bei seiner damaligen Ehefrau mitversichert gewesen; von Juni 1997 bis Juli 2012 (Ruhendstellung der Gewerbeberechtigung) sei er schließlich selbständig als Vermögensberater tätig gewesen. Seine letzten Einnahmen aus dem Gewerbebetrieb habe er jedoch im Juli 2010 erhalten, da er sich nicht mehr in der Lage gesehen habe, in diesem Marktumfeld Verträge zu vermitteln; er habe aber weiterhin die Beiträge zur Pflichtversicherung nach dem GSVG auf Basis der Mindestbeitragsgrundlage bezahlt.
In der Folge legte der Beschwerdeführer dem AMS ein Schreiben der A. Wirtschaftsberatung GmbH vom 21. August 2012 vor, in dem diese bestätigte, dass der Beschwerdeführer mit ihr von 5. Dezember 1992 bis 23. Juli 2012 in Vertragsbeziehung gestanden und im Umfang seiner jeweiligen Gewerbeberechtigung tätig gewesen sei. Nach Abschluss seiner Ausbildung zum Vermögensberater und nach Eintragung des entsprechenden Gewerbes am 3. Juni 1997 sei der Beschwerdeführer als gewerblicher Vermögensberater tätig gewesen.
Mit Bescheid vom 5. September 2012 gab die regionale Geschäftsstelle dem Antrag auf Zuerkennung der Überbrückungshilfe keine Folge, weil er während der letzten 24 Monate vor Geltendmachung des Anspruchs keine anwartschaftsbegründenden Beschäftigungstage erworben habe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung an die belangte Behörde. Anlässlich einer Vorsprache nach der Zustellung des abweisenden Bescheides sei ihm vom AMS mitgeteilt worden, dass er die Ausbildung im Zeitraum der Mitversicherung bei seiner Ehefrau nicht ausreichend bewiesen hätte. Daher bringe er nunmehr neuerliche Beweise vor: So sei auf Grund einer näher bezeichneten gewerberechtlichen Verordnung vor Antritt zur Vermögensberaterprüfung eine vierjährige Ausbildung mit fachlicher Tätigkeit bei einem konzessionierten Wertpapierdienstleister gefordert. Im maßgeblichen Zeitraum habe es keine Pflichtversicherung, sondern nur Versicherungspflicht gegeben; er habe daher die Möglichkeit der Mitversicherung bei seiner Ehefrau genutzt. In den Jahren 1995 und 1996 sei auf Grund der Ausbildung kein "Einkommensteuergewinn" erzielt worden. Die Ausbildung habe er zu keinem Zeitpunkt unterbrochen. Eine detaillierte Aufstellung der vollzogenen Ausbildung werde durch das betreffende Unternehmen nachgebracht.
Mit am 4. Oktober 2012 per e-mail eingelangtem Schreiben teilte der Beschwerdeführer mit, dass die angekündigte detaillierte Aufstellung nicht erbracht werden könne, weil über den betreffenden Zeitraum im Unternehmen keine Dokumentation mehr vorhanden sei. Aus dem bereits vorgelegten Bestätigungsschreiben gehe aber bereits klar hervor, dass der Beschwerdeführer eine durchgehende Tätigkeit ausgeübt habe.
Mit e-mail vom 25. Oktober 2012 ersuchte die belangte Behörde den Beschwerdeführer, zur Prüfung rahmenfristerstreckender Tatbestände für den Zeitraum 1. Jänner 1994 (gemeint offenbar: 1995) bis 31. Mai 1997 "Nachweise Ihrer Ausbildung (Zeugnisse) bzw. krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach dem GSVG" vorzulegen.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 teilte der Beschwerdeführer mit, die Ausbildungsmodule seien zum Teil über die A. Wirtschaftsberatung GmbH (intern) und zum Teil direkt bei der Wirtschaftskammer Österreich abgelegt worden. Es seien folgende Ausbildungen bzw. zwingend notwendige praktische
Tätigkeiten zu Ausbildungszwecken absolviert worden:
Vom 1. Jänner bis 31. Dezember 1995:
Intern:
- Vorbereitung für die Vermögensberaterassistentenprüfung
Teamleiterausbildung
- Assessment-Center
- Seminar Personalentwicklung
- Wöchentliches Weiterbildungsseminar
- Praktische Tätigkeit
Wirtschaftskammer:
- Ausbildung zum Vermögensberaterassistenten (schriftliche Prüfung am 30. November 1995 - laut beigelegter Unterlage)
- Praktische Tätigkeit als Vermögensberaterassistent
Vom 1. Jänner bis 4. Oktober 1996:
Intern:
- Vorbereitung für die Vermögensberaterassistentenprüfung
- Wöchentliches Weiterbildungsseminar
- Tätigkeit als Vermögensberaterassistent
Wirtschaftskammer:
- Vorbereitungskurs für die Vermögensberaterprüfung (beigelegte Teilnahmebestätigung)
- Befähigungsprüfung für das gebundene Gewerbe der Vermögensberater (beigelegtes Zeugnis vom 4. Oktober 1996)
Vom 4. Oktober 1996 bis 31. Mai 1997:
Intern:
- Praktische Tätigkeit als Vermögensberaterassistent
- Wöchentliches Weiterbildungsseminar
- Zum Beweis der Richtigkeit des Vorbringens, dass sich der Beschwerdeführer bis zum 3. Juni 1997 in Ausbildung befunden habe, beantragte er die Einvernahme von vier näher bezeichneten Zeugen. Außerdem lag dem Schreiben eine eidesstattliche Erklärung des Beschwerdeführers bei, wonach sämtliche von ihm behaupteten Ausbildungen und praktischen Tätigkeiten tatsächlich absolviert bzw. erbracht worden seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben.
In der Begründung gab die belangte Behörde zunächst die maßgeblichen Rechtsvorschriften wieder. Sie stellte den Verfahrensgang einschließlich sämtlicher Äußerungen des Beschwerdeführers dar und führte seine Versicherungszeiten laut Versicherungsdatenauszug des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger an.
In ihrer rechtlichen Beurteilung führte sie sodann aus, dass in der Rahmenfrist gemäß § 14 Abs. 1 1. Satz AlVG von 1. August 2010 bis 31. Juli 2012 rahmenfristerstreckende Tatbestände gelegen seien, und zwar selbständige Erwerbstätigkeit vom 1. Juni 1997 bis zum 31. Juli 2012 (5540 Tage) und Zeiten des Präsenzdienstes jeweils am 19. April 1997 und am 18. November 1995, welche nicht durch die selbständige Tätigkeit bereits berücksichtigt worden seien. Diese Zeiten, insgesamt also 5542 Tage, hätten als rahmenfristerstreckend berücksichtigt werden können. Die Rahmenfrist sei daher bis 30. Mai 1995 erstreckt worden.
In dieser erstreckten Rahmenfrist lägen keine anwartschaftsbegründenden Zeiten. Auch bei Berücksichtigung der im ergänzenden Ermittlungsverfahren nachgewiesenen Prüfung am 4. Oktober 1996, der zwei nachgewiesenen Tage der Ausbildung vom
26. bis 27. August 1996 und der Prüfung am 30. November 1995 sei in dieser um vier Tage verlängerten Rahmenfrist die Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 1. Satz AlVG nicht erfüllt. Auch gemäß § 14 Abs. 2 AlVG erfülle der Beschwerdeführer nicht die Anwartschaft.
Zum Berufungsvorbringen werde ausgeführt, dass sich aus dem Schreiben der A. Wirtschaftsberatung GmbH vom 21. August 2012 nur ergebe, dass der Beschwerdeführer im Umfang seiner jeweiligen Gewerbeberechtigung, somit ab 3. Juni 1997, tätig gewesen sei; diese Zeiten seien bereits rahmenfristerstreckend berücksichtigt worden. Der Beschwerdeführer habe nur die beiden Zeugnisse und eine Teilnahmebestätigung an einer Ausbildung für zwei weitere Tage vorlegen können; auch diese Zeiten seien berücksichtigt worden. Die A. Wirtschaftsberatung GmbH habe mitgeteilt, dass sie keine Nachweise für die interne Ausbildung des Beschwerdeführers mehr habe. Da er seine Ausbildungszeit nicht ausreichend durch Ausbildungsnachweise nachweisen habe können, habe die Rahmenfrist nicht erstreckt werden können; er habe nicht nachweisen habe können, dass er durch die Ausbildung im Sinn des § 15 Abs. 1 Z 4 AlVG tatsächlich überwiegend in Anspruch genommen worden sei. Die Anwartschaft sei daher gemäß § 14 AlVG nicht erfüllt worden.
Die beantragte Zeugeneinvernahme habe unterbleiben können, weil die Zeugen "ebenfalls keine weiteren Bestätigungen für die überwiegende Inanspruchnahme durch die Ausbildung für die fragliche Zeit als der ehemalige Dienstgeber bzw. der Berufungswerber (Beschwerdeführer) selbst vorlegen werden können"; andernfalls hätte der Beschwerdeführer sie bereits selbst vorgelegt.
In die vorgelegten Urkunden sei Einsicht genommen worden. Es handle sich jedoch nur um Indizien, aus denen nicht der Schluss gezogen werden könne, dass der Beschwerdeführer durch die Ausbildung bzw. Tätigkeit überwiegend in Anspruch genommen worden sei.
Für die fragliche Zeit vom 30. Mai 1995 bis zum 31. Mai 1997 habe er daher keine ausreichenden Nachweise vorlegen können, die beweisen würden, dass er durch seine Ausbildung im Sinn des § 15 Abs. 1 Z 4 AlVG überwiegend in Anspruch genommen worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass in der von der belangten Behörde in Anwendung des § 81 Abs. 10 AlVG angenommenen erstreckten Rahmenfrist keine anwartschaftsbegründenden Zeiten lagen. Er macht aber geltend, dass die Rahmenfrist gemäß § 15 Abs. 1 Z 4 AlVG weiter um Ausbildungszeiten zu erstrecken gewesen wäre (was allenfalls eine weitere Erstreckung um davor liegende Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit bis zur - in Verbindung mit dem Überbrückungshilfegesetz anwartschaftsbegründenden - Tätigkeit im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis ermöglicht hätte). In diesem Zusammenhang rügt der Beschwerdeführer Ermittlungsmängel und eine unschlüssige Beweiswürdigung.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die zuvor genannten Bestimmung hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, das heißt sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 7. September 2011, Zl. 2008/08/0135, mwN).
Im Beschwerdefall hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren von Beginn an vorgebracht, dass er sich von Jänner 1995 bis Mai 1997 in Ausbildung zum Vermögensberater befunden habe, und unter anderem das Zeugnis über die am 4. Oktober 1996 abgelegte Befähigungsprüfung, eine Teilnahmebestätigung für einen Vorbereitungskurs am 26. und 27. August 1996 und Prüfungsunterlagen vom 30. November 1995 für die Prüfung zum Vermögensberater-Assistenten vorgelegt. Aus diesen Unterlagen hat die belangte Behörde das Vorliegen einer Ausbildung im Sinn des § 14 Abs. 1 Z 4 AlVG nur an den jeweiligen (insgesamt vier) Kurs- und Prüfungstagen abgeleitet. Sie hat darüber hinaus die Einvernahme der vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen abgelehnt, weil auch diese keine weiteren Bestätigungen hätten vorlegen können. Die belangte Behörde ist also offenbar davon ausgegangen, dass sich eine Ausbildung im Sinn des § 14 Abs. 1 Z 4 AlVG nur mittels schriftlicher "Bestätigungen" für jeden einzelnen Tag der Ausbildung nachweisen lässt. Damit verkennt sie aber die Grundsätze der Unbeschränktheit der Beweismittel und der freien Beweiswürdigung, wonach von der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Beweismittel auszugehen und eine vorgreifende Beweiswürdigung ausgeschlossen ist. Im Hinblick darauf hätte sich die belangte Behörde auch mit dem weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Ausbildung substantiiert auseinandersetzen und - ungeachtet des nur allgemein benannten Beweisthemas - die Einvernahme der beantragten Zeugen in Betracht ziehen müssen.
Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, idF BGBl. II Nr. 8/2014 weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 26. Mai 2014
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