AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:I416.2167865.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH - BBU, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.07.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste legal aus dem Irak aus und stellte nach schlepperunterstützter, illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 07.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 08.07.2015 wurde er durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen. Dabei gab er befragt zu seinen persönlichen Verhältnissen an, dass er XXXX heiße, am XXXX in Bagdad geboren und Staatsangehöriger des Irak sei. Er sei ledig, seine Muttersprache sei Arabisch, er gehöre der Volksgruppe der Araber an und sei muslimischen/sunnitischen Glaubens. Im Irak habe er neun Jahre lang die Schule besucht und sei zuletzt Polizist gewesen. Im Irak, in Salah ad-Din, würden noch seine Mutter, seine beiden Brüder und seine beiden Schwestern leben. Zu seiner Fluchtroute gab er an, dass er mit dem Flugzeug von Bagdad nach Istanbul geflogen sei und von dort über Griechenland und ihm unbekannte Länder nach Österreich gelangt sei. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er wörtlich aus: „Ich bin Moslem/Sunnit und habe als Polizist gearbeitet. Die Schiiten wollten mich töten. Die Sunniten werden von den Schiiten regelrecht geschlachtet. Aus diesem Grund habe ich meine Heimat verlassen.“ Im Fall seiner Rückkehr in den Irak habe er Angst um sein Leben.
3. Am 13.04.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinen persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er in Bagdad geboren sei, Araber sei, dem muslimischen Glauben (Sunnit) angehöre und Staatsangehöriger des Irak sei. Er gab weiters an, dass er vor seiner Flucht in Bagdad zusammen mit seiner Mutter, seinen beiden Brüdern und seinen zwei Schwestern gewohnt habe. Er habe neun Jahre die Schule und drei Monate die Polizeischule besucht. Im Irak habe er zwischen 2008 und 2015 als Polizist gearbeitet. Im Bagdad würden noch seine Mutter, seine beiden Schwestern und seine Brüder im Haus der Familie wohnen und habe er noch zwei Onkel mütterlicherseits, die ebenfalls in Bagdad leben würden. Er habe seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, weil er Angst um sie habe, da die Telefonnetze durch die Regierung kontrolliert werden würden. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass er zwischen 2008 und 2013 in der Generaldirektion für Sicherheit im Innenministerium gearbeitet habe. Er sei dann, weil er Sunnit gewesen sei, nach Salah-ad-Din in die Stadt Samara in die Direktion für Zivilangelegenheiten verlegt worden. Eines Tages habe sein Vorgesetzter einen unbekannten Anruf erhalten und hätten er und sein Freund dieses Telefonat gehört. Die Anrufer, welche nicht gut Arabisch gesprochen hätten, hätten gewollt, dass Kriegsfahrzeuge in eine Ortschaft einfahren, in welcher Sunniten und Schiiten gewesen seien, um sie zu erobern. Sein Arbeitskollege habe daraufhin einen Bekannten, welcher im irakischen Parlament gearbeitet habe, angerufen und seien nach diesem Anruf viele Mitarbeiter ihrer Einheit festgenommen worden. Nach dieser Festnahme hätte die Regierung auch nach anderen Menschen gesucht und habe er Angst gehabt. Am 11.06.2015 habe ihn ein Freund angerufen und zu ihm gesagt, dass sie zur Direktion gehen müssten, weil diese sie als Zeugen bräuchte. Er sei dann zu seinem Freund gegangen, wo er aus dem Haus Schreie und Weinen gehört habe und habe er von dessen Familie erfahren, dass sein Freund umgebracht worden sei. Dieser Freund sei auch ein Nachbar von ihm gewesen. Er sei dann gleich zu einem Freund in einer anderen Ortschaft gegangen und habe von seiner Mutter erfahren, dass ein paar Männer zu ihnen nach Hause gekommen seien und nach ihm gesucht hätten. Er sei dann noch zwei Tage in der Ortschaft geblieben und habe den Irak am 14.06.2015 verlassen. Er habe Angst um sein Leben gehabt und er wisse, dass er getötet werde, weil er diejenige Person sei, die noch am Leben sei und das Gespräch mitgehört habe. Nachgefragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er nicht persönlich bedroht worden sei, er habe jedoch das Gespräch gehört, da er für jede Kommunikation in der Arbeit zuständig gewesen sei. Die ganze Abteilung hätte gewusst, dass er das Gespräch gehört habe, da bei ihnen alles veröffentlicht werde. Nachgefragt gab er weiters an, dass er nie Schwierigkeiten oder Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt habe, dass er nie in Haft oder festgenommen worden sei, und dass er nach seiner Ausreise aus dem Irak nie persönlich bedroht worden sei. Letztlich gab der Beschwerdeführer an, dass die Regierung nach ihm suchen würde, er Soldat sei und daher nicht in den Irak zurückkehren könnte, da es dort überall gefährlich sei. Auf Vorhalt, wie es ihm möglich gewesen sein sollte, den Irak legal zu verlassen, obwohl die Regierung nach ihm suchen würde und Telefone abhören und überwachen würde, gab er an, dass in dieser Zeit sein Name noch nicht veröffentlicht gewesen sei und die Regierung nicht gewusst habe, dass er den Irak verlassen wollte. Zu seinen persönlichen Lebensumständen im Bundesgebiet führte er aus, dass er von der Grundversorgung leben würde, dass er arbeitsfähig sei und als Maler oder in der Küche arbeiten könnte. Er habe auch viele Veranstaltungen bei der Organisation „ XXXX “ besucht, sei jedoch kein Mitglied in einem Verein. Deutschprüfung habe er keine gemacht, da eine Prüfung EUR 140,00 kosten würde und er ja nur EUR 180,00 erhalten würde. Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme folgende Unterlagen vor: Irakischer Reisepass im Original, irakischer Personalausweis im Original und irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis im Original, irakische Polizeiausweise, Meldekarte, Bezugsscheine, Teilnahmebestätigungen betreffend Deutschkursbesuche, Bestätigung über die freiwillige Tätigkeit beim Frauenverein „ XXXX “, zwei personalisierte Empfehlungsschreiben, Zeitungsausschnitte über seine Teilnahme an einer Ufersäuberung und diverse Fotos.
4. Mit Bescheid vom 27.07.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten „gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt und wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen, sowie „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
5. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 02.08.2017 wurde dem Beschwerdeführer die ARGE-Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3, 1170 Wien, als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
6. Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine gewillkürte Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 14.08.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre. Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass die belangte Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe. Die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise unrichtig und würden sich kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinandersetzen. Die Behörde habe zudem mangelhafte Ermittlungen im Hinblick auf angebotene Beweismittel geführt; so habe sie die vorgelegten Urkunden nicht ausreichend untersucht. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung anberaumen und den angefochtenen Bescheid beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich Spruchpunkt II beheben und dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen.
7. Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 18.08.2017 vorgelegt.
8. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L507 abgenommen und der Gerichtsabteilung I420 neu zugewiesen.
9. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 04.06.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung I420 abgenommen und der Gerichtsabteilung I416 neu zugewiesen. Am 01.07.2019 langte der verfahrensgegenständliche Beschwerdeakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung I416 ein.
10. Mit den Schriftsätzen der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 13.07.2021 und 16.07.2021 wurden folgende Dokumente vorgelegt: Bestätigung über die erfolgreiche Absolvierung aller Module des Integrationspasses seitens der Stadtgemeinde XXXX , Teilnahmebestätigungen über den Besuch eines Deutschkurses vom Februar bis Mai 2021, Schulbesuchsbestätigung der Schule für Sozialbetreuungsberufe des XXXX Caritasverbandes mit Öffentlichkeitsrecht, Semesterzeugnis der Schule für Sozialbetreuungsberufe betreffend den Vorbereitungslehrgang für Berufstätige des Sommersemesters im Schuljahr 2018/19, Semesterzeugnis der Schule für Sozialbetreuungsberufe betreffend den Vorbereitungslehrgang für Berufstätige des Wintersemesters im Schuljahr 2019/20, einen Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria bezüglich einer Gewerbeberechtigung mit dem Wortlaut „Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten“ mit Gültigkeit ab 17.06.2021, Bestätigungen über gemeinnützige Tätigkeiten der Gemeinde XXXX aus dem Jahr 2019, eine Praktikumsbestätigung hinsichtlich des Vorbereitungslehrgangs zur Ausbildung Fachsozialbetreuer im Zeitraum November 2019 bis Jänner 2020 und ein personalisiertes Empfehlungsschreiben.
11. Am 20.07.2021 erfolgte in Anwesenheit und unter Einvernahme des Beschwerdeführers eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht, in welcher zudem XXXX (im Folgenden M.H.) als Zeuge einvernommen wurde. Des Weiteren legte der Beschwerdeführer im Rahmen dieser Beschwerdeverhandlung unterschiedliche Unterlagen hinsichtlich der selbständigen Erwerbstätigkeit sowie diverse Empfehlungsschreiben vor. Am Ende der Beschwerdeverhandlung erging der Beschluss, dass das Ermittlungsverfahren geschlossen wird und dem Beschwerdeführer eine Frist von einer Woche zur Nachreichung des Prüfungszeugnisses A2 gewährt wird.
12. Am 22.07.2021 langten zwei E-Mails der Deutschtrainerin des Beschwerdeführers beim erkennenden Gericht ein, in welchen auf die Zeitverzögerung bei der Ausstellung von Prüfungszeugnissen hingewiesen und ein E-Mail-Verkehr mit der Prüfungsverwaltung des ÖIF angehängt wurde. Aufgrund dessen stellte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 23.07.2021 einen Antrag auf Fristerstreckung bis zum 03.08.2021.
13. Mit Schriftsatz der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 27.07.2021 wurden folgende Unterlagen vorgelegt: Bestätigung Land XXXX bezüglich der Grundversorgung bis 25.07.2021, ZMR-Auszug vom 22.07.2021, Einstellungsbescheid Land XXXX über die Grundversorgung vom 26.07.2021.
14. Am 30.07.2021 wurde dem erkennenden Gericht das Deutschprüfungszertifikat des Beschwerdeführers auf dem Niveau A2 samt Detailergebnis vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Seine Identität steht fest.
Der Beschwerdeführer ist gesund, leidet an keinen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen und gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID-19-Pandemie an. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.
Zu einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2015 reiste der Beschwerdeführer legal mit dem Flugzeug von Bagdad in die Türkei und gelangte anschließend über Griechenland schlepperunterstützt durch ihm unbekannte Länder nach Österreich. Der Beschwerdeführer reiste (spätestens) am 07.07.2015 ins Bundesgebiet ein und hält sich seither durchgehend in Österreich auf.
Der Beschwerdeführer stammt aus Bagdad und besuchte dort neun Jahre die Grund- und Mittelschule sowie drei Monate die Polizeischule. Anschließend verdiente er sich seinen Lebensunterhalt zunächst mit Gelegenheitsjobs, später als Polizist. In Bagdad leben noch Verwandte des Beschwerdeführers und verfügt der Beschwerdeführer nach wie vor über telefonischen Kontakt zu seiner Mutter und seiner Schwester.
Der Beschwerdeführer ist ledig und verfügt im Bundesgebiet über keine familiären Anknüpfungspunkte. Er hat jedoch während seines bisherigen Aufenthaltes diverse private Bekanntschaften in Österreich geschlossen, mit welchen er seine Freizeit verbringt.
Der Beschwerdeführer besuchte während seines Aufenthaltes in Österreich Deutschkurse auf den Niveaus A1 und A2 und legte am 03.07.2021 eine Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 positiv ab. Er absolvierte im Jahr 2019 sämtliche Module des Integrationspasses.
Er ist kein Mitglied in einem Verein, besuchte jedoch verschiedene Kurse des Vereins „ XXXX “ und nahm an zahlreichen Veranstaltungen dieses Vereins teil. Außerdem half er im Jahr 2016 freiwillig bei Veranstaltungen des Arabesk Frauenvereins und verrichtete im Jahr 2019 freiwillige Tätigkeiten in einer Gemeinde. Von Februar 2019 bis Februar 2020 nahm an einem zweisemestrigen Vorbereitungskurs an einer Schule für Sozialbetreuungsberufe teil, ohne jedoch eine weiterführende Ausbildung zu absolvieren.
Der Beschwerdeführer meldete mit Gültigkeit ab 17.06.2021 ein Gewerbe mit der Bezeichnung „Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten“ an. Seinen Lebensunterhalt finanziert sich der Beschwerdeführer zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt durch Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und er ging während seines Aufenthalts in Österreich bislang keiner legalen unselbständigen Erwerbstätigkeit nach. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Eine entscheidungsrelevante Teilnahme des Beschwerdeführers am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Österreich kann trotz seiner Aufenthaltsdauer von rund sechs Jahren nicht festgestellt werden. Er weist in Österreich keinen Grad der Integration auf, der seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet entspricht. Es liegen keine Hinweise für ein Vorliegen von entscheidungsrelevanten Anknüpfungspunkten in sozialer, sprachlicher und wirtschaftlicher Natur in Österreich bzw. allenfalls gesetzter entscheidungsrelevanter Integrationsschritte des Beschwerdeführers vor.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.
Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm im Irak Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung/Verfolgung durch unbekannte schiitische Milizen und den irakischen Staat konnte mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Ausreise einer individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Fall seiner Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt sein würde. Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.
Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak übermittelt. Zudem wurden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung folgende Berichte ergänzend eingebracht: EASO Bericht „Iraq Security situation“ vom Oktober 2020, der EASO Bericht „Country Guidance Iraq – Guidance note and common analysis“ vom Jänner 2021, der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland „Irak Gezielte Gewalt gegen Individuen“ vom März 2019, der EASO Bericht „Irak Interne Mobilität“ vom Februar 2019, der EASO Bericht „Irak Zentrale sozioökonomische Indikatoren“ vom Februar 2019, der UNHCR-Bericht „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen [HCR/PC/IRQ/2019/05]“ vom Mai 2019, Anfragebeantwortung zum IRAK vom 24.10.2016 bezüglich Fernbleiben, Desertion, Kündigung von Polizei und Armee; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum IRAK vom 08.09.2017 hinsichtlich Rekrutierung, Desertion/Fernbleiben, Kündigung bei/von Polizei, Armee, PMF, etc. - Update der AFB; Anfragebeantwortung zum Irak vom 06.12.2019 bezüglich des Strafmaßes im Fall einer Desertion von Militärangehörigen (insbesondere 2015 und 2016); ACCORD: Zusammenstellung zu schiitischen Milizen, ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen vom 21. Juni 2021; Anfragebeantwortung zu Irak: Entwicklungen bezüglich der Rolle und des Einflusses der Milizen vom 07.05.2021; Gefahr für Sunniten durch schiitische Milizen vom 16. April 2021, Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation bezüglich der Versorgungs- und Sicherheitslage in Bagdad vom 07.09.2020 und 21.01.2021 und den Asylländerbericht der OB Amman vom Oktober 2020.
Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:
Politische Lage:
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafazāt) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwāb, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).
Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).
Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).
Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).
Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).
Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).
Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html , Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq , Zugriff 13.3.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html , Zugriff 13.3.2020
- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912 , Zugriff 13.3.2020
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/ , Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/ , Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results , Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038 , Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459 , Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c , Zugriff 13.3.2020
- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html , Zugriff 13.3.2020
- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0 , Zugriff 17.3.2020
- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD , Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html , Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html , Zugriff 13.3.2020
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html , Zugriff 13.3.2020
- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert , Zugriff 13.3.2020
- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl , Zugriff 13.3.2020
Allgemeine Sicherheitslage
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/ , Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/ , Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf , Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html , Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html , Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html , Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02 , Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710 , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html , Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/ , Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations , Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9 , Zugriff 13.3.2020
- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5 , Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html , Zugriff 13.3.2020
Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2020 auf 902 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2021 gab es nach vorläufigen geschätzten Angaben bis April nur noch 235 zivile Todesopfer im Irak (Statista 6.5.2021).
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).
Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).
Quellen:
- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf , Zugriff 13.3.2020
- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/ , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html , Zugriff 13.3.2020
- Statista Research Department - deutsches Online-Portal für Statistik (6.5.2021): Anzahl der dokumentierten zivilen Todesopfer im Irakkrieg und in den folgenden Jahren von 2003 bis 2021*, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163882/umfrage/dokumentierte-zivile-todesopfer-im-irakkrieg-seit-2003/#professional , Zugriff 11.5.2021
Sicherheitslage Bagdad
Bagdad liegt im Tigris-Tal im Zentrum des Irak und ist flächenmäßig das kleinste Gouvernement. Die Hauptstadt des Irak, Bagdad-Stadt, befindet sich im Gouvernement Bagdad. Bagdad-Stadt setzt sich aus den Bezirken zusammen: Adhamiyah, Karkh, Karada, Khadimiyah, Mansour, Sadr City, AI Rashid, Rusafa und 9 Nissan ("neues Bagdad"). Der Rest des Gouvernements Baghdad besteht aus den Bezirken AI Madain, Taji, Tarmiyah, Mahmudiyah und Abu Ghraib. Für das Jahr 2019 wurde die Bevölkerung des Gouvernements auf 8.340.711 geschätzt, wobei die Mehrheit schiitische und sunnitische Muslime sind.
Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).
Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).
Nach dem jüngsten Bericht (EASO Security Situation), der am 30.10.2020 publiziert wurde, ereigneten sich im Jahr 2019 im gesamten Gouvernement Bagdad 42 sicherheitsrelevante Vorfälle, bei denen 37 Personen ums Leben kamen und 13 Personen verletzt wurden; im ersten Halbjahr 2020 ereigneten sich vier Vorfälle, bei denen drei Personen getötet und acht verletzt wurden; dies bei einer Einwohnerzahl von mehr als 6 Mio. Auch die Proteste, die zT sehr gewaltsam waren, vermögen nicht nachhaltig das positive Bild zu ändern. Sie sind auf bestimmte Plätze beschränkt und nicht in der ganzen Stadt Bagdad und vermögen daher nicht die Sicherheitslage in ganz Bagdad zu beeinträchtigen. Grundsätzlich ist der Staat seit dem Bezwingen des IS vor drei Jahren insgesamt gestärkt und vermag seiner Schutzfunktion vermehrt nachzukommen (EASO).
Für Bagdad-Stadt vertritt EASO die Auffassung, dass die Stadt Bagdad und ihre Vorstädte generell unter Kontrolle der Behörden sind. Die Behörden teilen jedoch diese Macht mit schiitisch dominierten PMU, was zu unvollständiger oder überlappender Kontrolle führen kann. Im Jahr 2018 ging die Aktivität des IS in der Stadt signifikant zurück. Die Hauptursachen von Gewalt waren 2018 Akte politischer Einschüchterung, bewaffnete Scharmützel und gezielte Tötungen zwischen Schiiten im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und politischen Konkurrenz. Im Jahr 2018 war der Stadtteil Adhamiya mit 8,3 zivilen Toten auf 100.000 Einwohner der Ort mit der höchsten Gewalt in Bagdad. Im Lichte dieser Indikatoren schließt EASO, dass im Gouvernement Bagdad willkürliche Gewalt auf keinem so hohen Grad vorkommt und höherer individuelle Elemente vorliegen müssen, um substanzielle Gründe annehmen zu können, dass eine Zivilperson, die in diese Gegend zurückkehrt, einem realen Risiko eines ernsten Schadens ISd Art 15 (c) der Statusrichtlinie begegnet. Die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Wasser, Strom, Gütern des täglichen Bedarfs und medizinischer Versorgung ist in Bagdad gesichert, wobei rund die Hälfte der Bewohner Bagdads gut und eine weitere Hälfte ausreichend versorgt ist. Ca. l % der Bevölkerung in Bagdad ist nicht ausreichend versorgt (EASO, socio-economic indicators).
Hieraus ist - im Einklang mit der aktuellen Sicherheitslage und der diese nicht einbeziehende, auf der Entwicklung im Irak bis 2018 aufbauenden Einschätzung des UNHCR zur Möglichkeit, wieder in Bagdad selbst ohne familiären Rückhalt Fuß fassen zu können - abzuleiten, dass eine Rückkehr von Personen, die keine besonderen Vulnerabilitäten aufweisen und noch über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen, keine Verletzung der in Art 2 und 3 EMRK und dem 6. und 13. ZPEMRK gewährleisteten Rechte zu befürchten haben. Ebensowenig besteht ein reales Risiko als Zivilperson Opfer von Gewalt aufgrund eines innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konfliktes zu werden.
Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und 2019 wird auch über Bagdad berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat. Über das Jahr 2018 hinweg blieben Überreste von ISIS in den Vororten von Bagdad („Bagdad-Gürtel“) aktiv und starteten gelegentliche USBV-Angriffe auf zivile Ziele. Es wird jedoch berichtet, dass die Fähigkeit von ISIS, Großanschläge mit hohen Opferzahlen durchzuführen, signifikant zurückgegangen ist. Anfang 2019 wurde berichtet, dass ISIS sich weitgehend zurückgezogen hat, während die ISF ihre Kontrolle über den „Bagdad-Gürtel“ verstärkte, wodurch die Sicherheitsvorfälle noch weiter abnahmen. Jedoch soll ISIS im April 2019 versucht haben, seine Stützzone in den südwestlichen Gegenden des Bagdad-Gürtels auszudehnen. Während es in den vergangenen Jahren Berichte über fast tägliche Entführungen aus politischen Gründen oder gegen Lösegeld gab, wurde für das Jahr 2018 und Anfang 2019 diesbezüglich von einem Rückgang berichtet. In Bagdad ereignen sich nach wie vor Fälle gezielter Tötungen hochrangiger Persönlichkeiten statt.
In Bezug auf die Stadt Bagdad vertritt UNHCR die Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabisch-schiitische und arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer und kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten sind. Abhängig von den jeweiligen Umständen sind solche Personen möglicherweise in der Lage, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen.
Im Gouvernement Bagdad ereignen sich nach wie vor sicherheitsrelevante Vorfälle, jedoch nicht flächendeckend und mit derartiger Regelmäßigkeit, dass automatisch Gründe vorliegen würden um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Bagdad zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
Quellen:
- Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html , Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html , Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html , Zugriff 13.3.2020
- OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, http://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf , Zugriff 13.3.2020
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf , S 23f sowie S 141, Zugriff 09.08.2020
- EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation (October 2020), https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf , S 80f, Zugriff 09.08.2021
- EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation (March 2019), https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/publications/EASO-COI-Report-Iraq-Security-situation.pdf , S 77, Zugriff 09.08.2021
- EASO Country Guidance: Iraq, Guidance note and common analysis (January 2021), https://easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf , S 136, Zugriff 09.08.2021
Sicherheitslage Salah al-Din
Salah al-Din befindet sich im Zentralirak. Es ist in neun Bezirke unterteilt: al-Dour, al-Shirqat, Balad, Baiji, Fares, Samarra, Thethar, Tuz (umstrittenes Gebiet) und Tikrit. Für das Jahr 2019 wurde die Einwohnerzahl des Gouvernements auf l 637 232 geschätzt. Das Gouvernement Salah al-Din wird überwiegend von sunnitischen Arabern bewohnt. Die Hauptstadt des Gouvernements, die Stadt Tikrit, ist der Geburtsort von Saddam Hussein und gilt als wichtiges Machtzentrum der sunnitischen Araber. Salah al-Din beherbergt Raffinerien von strategischer Bedeutung.
ISIL-Kräfte haben im Sommer 2014 Teile des Gouvernements Satah al-Din erobert. Das Gouvernement Salah al-Din war eines der ersten, das im Rahmen der von den irakischen Streitkräften geführten Offensive gegen ISIL im Jahr 2015 befreit wurde. Salah al-Din war auch eines der ersten Gouvernements, das eine groß angelegte Rückkehr von Binnenvertriebenen erlebte. Die ISF haben die Gesamtverantwortung für die Sicherheit im Gouvernement und üben nominell die Kontrolle aus. Berichten zufolge haben die PMU de facto die Kontrolle über große Teile des Gouvernements Salah al-Din. Es wurde auch von der Anwesenheit einiger sunnitischer Stammesgruppen berichtet. Es gibt Hinweise darauf, dass auch Peshmerga in dem Gebiet präsent sind, allerdings fehlt es ihnen an einer starken Kooperation mit den ISF, wodurch operative Lücken entstehen, die der ISIL ausnutzt. Der ISIL ist immer noch im Gouvernement präsent und operiert, vor allem in den ländlichen und verlassenen Gebieten.
Im Mai 2020 wurde berichtet, dass das Gouvernement Salah al-Din in Bezug auf Angriffe während des gesamten Jahres 2019 und Anfang 2020 durchgängig das niedrigste oder zweitniedrigste der sechs Gouvernements war, die unter dem ISIL-Aufstand leiden, aber immer noch Anzeichen für eine Erholung des ISIL zu verzeichnen sind. Es wurde von einem aufkommenden Trend berichtet, Bomben zu bauen und Bomben am Straßenrand zu platzieren, sowie von einem Fokus auf Angriffe auf isolierte Kontrollpunkte in Stand-up-Kämpfen mit ISIL-Einheiten in Zuggröße. Es wurde auch berichtet, dass die Angriffe auf sunnitische Prediger und Offiziere der Stammesmobilisierungskräfte, die gegen den ISIL kämpfen, zugenommen haben, während die Angriffe auf Dorfvorsteher und Bauern fortgesetzt wurden. Als Reaktion auf die anhaltenden und verstärkten Aktivitäten des ISIL haben die ISF mehrere größere koordinierte Anti-ISIL-Militäroperationen durchgeführt, die die Aktivitäten des ISIL verlangsamten, ihn aber nicht auslöschten. ISIL-Überbleibsel tragen häufig Beobachtern zufolge haben die jüngsten Angriffe des ISIL jedoch gezeigt, dass sich die Ziele des ISIL verlagert haben, indem sie häufiger und direkter auf die ISF und die mit ihnen verbundenen regierungsfreundlichen Kräfte abzielen, wodurch die Fähigkeit dieser Sicherheitsakteure geschwächt wird, die Zivilbevölkerung zu schützen.
ACLED meldete im Berichtszeitraum insgesamt 327 Sicherheitsvorfälle (durchschnittlich 4 Sicherheitsvorfälle pro Woche) im Gouvernement Salah al-Din, von denen die meisten als Kämpfe und Vorfälle von entfernter Gewalt/Explosionen kodiert wurden. Sicherheitsvorfälle gab es in fast allen Bezirken des Gouvernements, wobei die größte Gesamtzahl in den Bezirken al-Daur, Baiji und Tikrit verzeichnet wurde. UNAMI registrierte 43 Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, davon 31 im Jahr 2019 und 12 vom l. Januar bis zum 31. Juli 2020 (durchschnittlich 0,5 Sicherheitsvorfälle pro Woche im gesamten Bezugszeitraum).
Im Bezugszeitraum verzeichnete UNAMI insgesamt 146 zivile Opfer (55 Tote und 91 Verletzte) bei den oben genannten bewaffneten konfliktbezogenen Zwischenfällen. Genauer gesagt wurden 97 zivile Opfer im Jahr 2019 und 49 zivile Opfer vom l. Januar bis 31. Juli 2020 gemeldet. Im Vergleich zu den offiziellen Zahlen für die Bevölkerung im Gouvernement entspricht dies 9 zivilen Opfern pro 100 000 Einwohner für den gesamten Berichtszeitraum.
Am 30. Juni 2020 stammten 11 % der gesamten IDP-Bevölkerung im Irak aus dem Gouvernement Salah al-Din. Gleichzeitig beherbergte das Gouvernement Salah al-Din eine Gesamtzahl von 68 700 Binnenvertriebenen. Die Rückkehr in das Gouvernement Salah al-Din übersteigt die Zahl der Vertriebenen, und das Gouvernement Salah al-Din steht weiterhin an dritter Stelle der Gouvernements mit der höchsten Zahl an Rückkehrern, die bis zum 30. Juni 2020 insgesamt 692 142 Rückkehrer verzeichneten, von denen viele unter schwierigen Bedingungen leben. Im Laufe des Jahres 2019 wurden viele Binnenvertriebene durch erzwungene und verfrühte Rückkehr und erzwungene oder erzwungene Abwanderung aus Lagern und informellen Siedlungen in Salah al-Din in eine sekundäre Vertreibung gezwungen.
Salah al-Din ist eines der Gouvernements mit besonders vielen Infrastrukturschäden als Folge des Konflikts, vor allem in Bezug auf Schäden an Wohnungen, im landwirtschaftlichen Sektor und im Bereich Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene. Der Wiederaufbau in den vom Konflikt stark betroffenen Gouvernements, einschließlich Salah al-Din, verlief 2019 nur langsam. Berichten zufolge stellt die Verseuchung mit Kampfmitteln auch ein Hindernis für die sichere Rückkehr von Binnenvertriebenen sowie für die Durchführung humanitärer Aktivitäten in Salah al-Din dar.
Aus den Indikatoren lässt sich schließen, dass im Gouvernement Salah al-Din willkürliche Gewalt stattfindet, allerdings nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an einzelnen Elementen erforderlich, um stichhaltige Gründe für die Annahme zu liefern, dass eine in das Gebiet zurückgekehrte Zivilperson einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) QD ausgesetzt wäre.
Rechtsschutz/Justizwesen
Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 2.9.2019). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.1.2019).
Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.1.2019; USDOS 11.3.2020). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 11.3.2020). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.1.2019). Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 4.3.2020).
Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.1.2019). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 4.3.2020). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.1.2019).
Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 26.2.2019). Nicht nur Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).
Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 11.3.2020) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen (USDOS 11.3.2020).
Die Behörden verletzen systematisch die Verfahrensrechte von Personen, die verdächtigt werden dem IS anzugehören, sowie jene anderer Häftlinge (HRW 14.1.2020). Die Verurteilungsrate der im Schnelltempo durchgeführten Verhandlungen tausernder sunnitischer Moslems, denen eine IS-Mitgliedschaft oder dessen Unterstützung vorgeworfen wurde, lag 2018 bei 98% (USCIRF 4.2019). Menschenrechtsgruppen kritisierten die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS (FH 4.3.2020; vgl. CEDAW 30.9.2019). Rechtsanwälte beklagen einen häufig unzureichenden Zugang zu ihren Mandanten, wodurch eine angemessene Beratung erschwert wird. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 11.3.2020). Anwälte und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit unterstützen, sind gefährdet durch Sicherheitskräfte bedroht oder sogar verhaftet zu werden (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Laut einer Studie über Entscheidungen von Berufungsgerichten in Fällen mit Bezug zum Terrorismus, haben erstinstanzliche Richter Foltervorwürfe ignoriert, auch wenn diese durch gerichtsmedizinische Untersuchungen erhärtet wurden und die erzwungenen Geständnisse durch keine anderen Beweise belegbar waren (HRW 25.9.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Für das Anti-Terror-Gericht in Ninewa beobachtete HRW im Jahr 2019 eine Verbesserung bei den Gerichtsverhandlungen. So verlangten Richter einen höheren Beweisstandard für die Inhaftierung und Verfolgung von Verdächtigen, um die Abhängigkeit des Gerichts von Geständnissen, fehlerhaften Fahndungslisten und unbegründeten Anschuldigungen zu minimieren (HRW 14.1.2020).
Am 28.3.2018 kündigte das irakische Justizministerium die Bildung einer Gruppe von 47 Stammesführern an, genannt al-Awaref, die sich als Schiedsrichter mit der Schlichtung von Stammeskonflikten beschäftigen soll. Die Einrichtung dieses Stammesgerichts wird durch Personen der Zivilgesellschaft als ein Untergraben der staatlichen Institution angesehen (Al Monitor 12.4.2018). Das informelle irakische Stammesjustizsystem überschneidet und koordiniert sich mit dem formellen Justizsystem (TCF 7.11.2019).
Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (12.4.2018): Will Iraq's new 'tribal court' undermine rule of law?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/04/iraq-tribalism-sheikhs-justice-law.html , Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf , Zugriff 13.3.2020
- CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (30.9.2019): The Compliance of Iraq with Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women; Alternative Report about the Death Penalty, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37410_E.DOCX, Zugriff 13.3.2020
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/ , Zugriff 13.12.2019
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html , Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (25.9.2019): Iraq: Appeals Courts Ignoring Torture Claims, https://www.ecoi.net/de/dokument/2017141.html , Zugriff 13.3.2020
- LIFOS (8.5.2014): Iraq: Rule of Law in the Security and Legal System, https://landinfo.no/asset/2872/1/2872_1.pdf , Zugriff 13.3.2020
- Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf , Zugriff 13.3.2020
- TCF - The Century Foundation (7.11.2019): Tribal Justice in a Fragile Iraq, https://tcf.org/content/report/tribal-justice-fragile-iraq/?agreed=1 , Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Sicherheitskräfte und Milizen
Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische. Stattdessen wurde ein politisch neutrales Militär vorgesehen (Fanack 2.9.2019).
Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur, sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) (USDOS 11.3.2020). Neben den regulären irakischen Streitkräften und Strafverfolgungsbehörden existieren auch die Volksmobilisierungskräfte (PMF), eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, die sich aus etwa 40, überwiegend schiitischen Milizgruppen zusammensetzt, und die kurdischen Peshmerga der Kurdischen Region im Irak (KRI) (GS 18.7.2019).
Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 11.3.2020; vgl. GS 18.7.2019).
Quellen:
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/ , Zugriff 13.3.2020
- GS - Global Security (18.7.2019): Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi, Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.htm , Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 11.3.2020).
Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.1.2019).
Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums, sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi
Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vgl. FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vgl. FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).
Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vgl. Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019).
Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.1.2019). Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus (Reuters 29.8.2019).
Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.1.2019; vgl. FPRI 19.8.2019). Leiter der PMF-Dachorganisation, der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission, ist Falah al-Fayyad, dessen Stellvertreter Abu Mahdi al-Mohandis eng mit dem Iran verbunden war (Al-Tamini 31.10.2017). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen, von denen der mächtigste Hadi Al-Amiri ist, Kommandant der Badr Organisation (FPRI 19.8.2019). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen sie, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten des Assad-Regimes in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind (USDOS 13.3.2019).
Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden. Es ist keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch den Premierminister und die ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).
In vielen der irakischen Sicherheitsoperationen übernahm die PMF eine Führungsrolle. Als Schnittstelle zwischen dem Iran und der irakischen Regierung gewannen sie mit der Zeit zunehmend an Einfluss (GS 18.7.2019).
Am 1.7.2019 hat der irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi verordnet, dass sich die PMF bis zum 31.7.2019 in das irakische Militär integrieren müssen (FPRI 19.8.2019; vgl. TDP 3.7.2019; GS 18.7.2019), oder entwaffnet werden müssen (TDP 3.7.2019; vgl GS 18.7.2019). Es wird angenommen, dass diese Änderung nichts an den Loyalitäten ändern wird, dass aber die Milizen aufgrund ihrer nun von Bagdad bereitgestellte Uniformen nicht mehr erkennbar sein werden (GS 18.7.2019). Einige Fraktionen werden sich widersetzen und versuchen, ihre Unabhängigkeit von der irakischen Regierung oder ihre Loyalität gegenüber dem Iran zu bewahren (FPRI 19.8.2019). Die Weigerung von Milizen, wie der 30. Brigade bei Mossul, ihre Posten zu verlassen, weisen auf das Autoritätsproblem Bagdads über diese Milizen hin (Reuters 29.8.2019).
Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 12.1.2019).
Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und in einer Form der kollektiven Bestrafung sunnitische Araber im Allgemeinen. Es kann zu Diskriminierung, Misshandlungen und auch Tötungen kommen (DIS/Landinfo 5.11.2018; vgl. USDOS 21.6.2019). Einige PMF gehen jedoch auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 11.3.2020).
Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor. Nach dem Oktober 2017 gab es jedoch Berichte über Verstöße von PMF-Angehörigen gegen die kurdischen Einwohner in Kirkuk und Tuz Khurmatu, wobei es sich bei den angegriffenen zumeist um Mitglieder der politischen Partei KDP und der Asayish gehandelt haben soll (DIS/Landinfo 5.11.2018).
Geleitet wurden die PMF von Jamal Jaafar XXXX , besser bekannt unter seinem Nom de Guerre Abu Mahdi al-Mohandis, einem ehemaligen Badr-Kommandanten, der als rechte Hand von General Qasem Soleimani, dem Chef der iranischen Quds-Brigaden fungierte (GS 18.7.2019). Am 3.1.2020 wurden Abu Mahdi Al-Muhandis und Generalmajor Qassem Soleimani bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Als Rechtfertigung diente unter anderem ein Raketenangriff, der der Kataib-Hezbollah (KH) zugeschrieben wurde, auf einen von US-Soldaten genutzten Stützpunkt in Kirkuk, bei dem ein Vertragsangestellter getötet wurde (MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020).
Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 23.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 23.2.2020).
Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak“ gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der „Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak“ wurde später zum „Obersten Islamischen Rat im Irak“ (OIRI), siehe Abschnitt „Politische Lage“]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie die Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen (Süß 21.8.2017). Die Badr-Organisation besteht offiziell aus elf Brigaden, kontrolliert aber auch einige weitere Einheiten (FPRI 19.8.2019). Zu Badr und seinen Mitgliedsorganisationen gehören Berichten zufolge die 1., 3., 4., 5., 9., 10., 16., 21., 22., 23., 24., 27., 30., 52., 55. und 110. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Bei den Wahlen 2018 bildete die Badr-Organisation gemeinsam mit Asa‘ib Ahl al-Haqq und Kata‘ib Hizbullah die Fatah-Koalition (Wilson Center 27.4.2018), die 48 Sitze gewann (FPRI 19.8.2019), 22 davon gewann die Badr-Organisation (Wilson Center 27.4.2018). Viele Badr-Mitglieder waren Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). Die Badr-Organisation strebt die Erweiterung der schiitischen Macht in den Sicherheitskräften an, durch Wahlen und durch Eindämmung sunnitischer Bewegungen (Wilson Center 27.4.2018). Badr-Mitglieder und andere schiitische Milizen misshandelten und misshandeln weiterhin sunnitisch-arabische Zivilisten, insbesondere Sunniten im ehemaligen IS-Gebiet (FPRI 19.8.2019).
Die Kata’ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hezbollah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und bis zu seinem Tode 2019 auch angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist (Süß 21.8.2017). Kata’ib Hizbullah bilden die 45. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018). Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von mindestens 400 bis zu 30.000 Mann (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center). Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata’ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017). Ihr Anführer Jamal Jaafar Ibrahimi alias Abu Mahdi al Muhandis war auch stellvertretender Leiter der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission (Al-Tamini 31.10.2017).
Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH; Liga der Rechtschaffenen oder Khaz‘ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz‘ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak (Süß 21.8.2017). Sie ist eine Abspaltung von As-Sadrs Mahdi-Armee und im Gegensatz zu As-Sadr pro-iranisch (Clingendael 6.2018). Asa‘ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern (Süß 21.8.2017). Asa‘ib Ahl al-Haqq bildet die 41., 42. und 43. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierungskräfte, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Qais al Khaz‘ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018).
Die Harakat Hezbollah al Nujaba (HHN, Bewegung der Partei der Edlen Gottes) ist ein Ableger von Kata’ib Hizbullah und Asa‘ib Ahl al-Haqq, die 2013 zur Unterstützung des Assad Regimes in Syrien von Sheikh Akram al Ka‘abi gegründet wurde. Die pro-iranische HHN hat eigenen Angaben zufolge etwa 9.000 Kämpfer, von denen einige nach wie vor in Syrien aktiv sind. Sie stellt die 12. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017).
Die Kata‘ib Sayyid al Shuhada (KSS, Meister der Märtyrerbrigade), ist eine Miliz, die im Mai 2013 gegründet wurde, um an der Seite des Assad-Regimes in Syrien zu kämpfen. Nach dem Aufstieg des IS im Jahr 2014 dehnte die KSS ihre Operationen auf den Irak aus und war insbesondere im Gouvernement Salah ad-Din, aber auch in Anbar und Ninewa aktiv. Geschätzt auf über 2.000 Kämpfer im Jahr 2017, wird die KSS von den Iranischen Revolutionsgarden (Islamic Revolutionary Guards Corps, IRGC) unterstützt und finanziert (Wilson Center 27.4.2018). Sie stellt die 14. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017).
Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali as-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam sind der militärische Arm der Sairoun Partei (Allianz für Reformen, Marsch in Richtung Reform). Diese ist eine multiethnische, nicht-konfessionelle (wenn auch meist schiitische), parlamentarische Koalition, die sich aus anti-iranischen Schiiten-Parteien, der Kommunistischen Partei und einigen anderen kleineren Parteien zusammensetzt (FPRI 19.8.2019). Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann. Ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam bilden mindestens drei Brigaden und stellen damit das zweitgrößte Kontingent der PMF. Muqtada as-Sadr verkündete, dass die Saraya as-Salam-Brigaden die Durchführungsverordnung von Premierminister Mahdi sofort annehmen würden und fortan nur noch unter den ihnen zugeteilten Nummern, 313, 314 und 315, bekannt sein würden. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass Sadr auch weiterhin großen Einfluss auf diese Milizen haben wird (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass schätzungsweise 15.000 weitere seiner Kämpfer außerhalb der PMF-Brigaden organisiert sind (Wilson Center 27.4.2018).
Auch die Kata’ib al-Imam Ali (KIA, Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Sie ist den PMF als 40. Brigade beigetreten (Wilson Center 27.4.2018). Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi stand in engem Kontakt zu Muhandis (bis zu dessen Tod) und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata’ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azra‘el erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017). Kata’ib al-Imam Ali hat im Dezember 2014 die kleine syriakische (Anm.: aramäisch- assyrisch) Christenmiliz Kata‘ib Roh Allah Issa Ibn Miriam (Die Brigade vom Geist Gottes, Jesus, Sohn der Maria) gegründet und ausgebildet (Wilson Center 27.4.2018).
Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF
Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).
Die PMF genießen auch breite Unterstützung in der irakischen Bevölkerung für ihre Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat nach dem teilweisen Zusammenbruch der irakischen Armee im Jahr 2014 (TDP 3.7.2019). Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen, wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017).
Einige PMF haben sich Einkommensquellen erschlossen, die sie nicht aufgeben wollen, darunter Raub, Erpressung und Altmetallbergung (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass die PMF einen Teil der lokalen Wirtschaft in Ninewa kontollieren, was von diesen zurückgewiesen wird (Reuters 29.8.2019). Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distrikt-Vorsteher und andere Amtsträger auszuüben (ACCORD 11.12.2019). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mossul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).
Neben der Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html , Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html , Zugriff 13.3.2020
- Al-Tamini - Aymenn Jawad Al-Tamimi (31.10.2017): Hashd Brigade Numbers Index, http://www.aymennjawad.org/2017/10/hashd-brigade-numbers-index , Zugriff 13.3.2020
- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (6.2018): Power in perspective:Four key insights into Iraq’s Al-Hashd al-Sha’abi, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-06/PB_Power_in_perspective.pdf , Zugriff 13.3.2020
- DIS/Landinfo - Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf , Zugriff 13.3.2020
- ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq’s Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state , Zugriff 13.3.2020
- FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/ , Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/ , Zugriff 13.3.2020
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- MEE - Middle East Eye (16.2.2020): Iran and Najaf struggle for control over Hashd al-Shaabi after Muhandis's killing, https://www.middleeasteye.net/news/iran-and-najaf-struggle-control-over-hashd-al-shaabi-after-muhandis-killing , Zugriff 13.3.2020
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- Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien –Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail
- Reuters (29.8.2019): Baghdad's crackdown on Iran-allied militias faces resistance, https://www.reuters.com/article/us-iraq-militias-usa/baghdads-crackdown-on-iran-allied-militias-faces-resistance-idUSKCN1VJ0GS , Zugriff 13.3.2020
- Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 13.3.2020
- TDP - The Defense Post (3.7.2019): Mahdi orders full integration of Shia militias into Iraq’s armed forces, https://thedefensepost.com/2019/07/03/iraq-mahdi-orders-popular-mobilization-units-integration/ , Zugriff 13.3.2020
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- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq , Zugriff 13.3.2020
Rekrutierung, Desertion/Fernbleiben, Kündigung bei/von Polizei, Armee, PMF, etc.
Hinsichtlich Desertion aus den Streitkräften ist auszuführen, dass nach dem Militärstrafgesetzbuch mit Freiheitsstrafe bis zu (3) drei Jahren bestraft wird, wer ohne ausreichende rechtliche Begründung von seiner Einheit oder seinem Dienstort abwesend ist oder die Dauer seines Urlaubs in Friedenszeiten um mehr als (15) fünfzehn Tage für untere Dienstgrade und (10) zehn Tage für Offiziere überschreitet. Bestimmte Straftaten, die ein Element der Desertion beinhalten, werden mit der Todesstrafe geahndet. Die wichtigsten davon sind: Desertion, um sich dem Feind anzuschließen; im Zusammenhang mit der Nichterfüllung der Dienstpflicht unter den Umständen, die zur Kapitulation von sich selbst oder anderen Mitgliedern der Streitkräfte führen, sowie die Übergabe von militärischen Einrichtungen und militärischen Objekten oder Gebieten; Weitergabe von geheimen Unterlagen oder Informationen an feindliche Mächte im Frieden oder in Kriegszeiten; Anstiftung zur Revolte, Desertion oder zum Überläufen von Angehörigen der Streitkräfte zum Feind; Anstiftung zur Ungehorsamkeit oder zum Ungehorsam unter anderen Angehörigen der Streitkräfte; Offenlegung von militärischen Operationen und militärischen Geheimnissen gegenüber dem Feind; das Verbreiten von Panik innerhalb der Streitkräfte durch Fehlinformationen; und heimliche Kommunikation mit feindlichen Streitkräften.
Während des Aufstiegs von ISIL desertierten viele Militärangehörige und wurden mit harten Strafen bedroht. Eine Entscheidung aus dem Jahr 2016 stellte die juristische Verfolgung von Sicherheitsbeamten ein und gewährte ihnen eine allgemeine Amnestie. Die gesammelten Informationen legen nahe, dass das Militärstrafgesetzbuch nicht in vollem Umfang strikt durchgesetzt wird und keine Gerichtsverfahren gegen Deserteure bekannt sind.
PMU sind freiwillige Streitkräfte und es gibt keine Wehrpflicht. Es gibt keine Informationen über Konsequenzen für Deserteure; einige Quellen merkten jedoch an, dass "die Desertion von Mitgliedern der PMU auf niedriger Ebene keine Konsequenzen oder Vergeltungsmaßnahmen nach sich zieht, während es für Mitglieder auf hoher Ebene Konsequenzen gibt". Mitglieder des Verteidigungsministeriums werden vom Gesetz als Zivilisten angesehen, weshalb auf diese das Zivilrecht anzuwenden ist.
Das Strafgesetzbuch der Internen Sicherheitskräfte gilt für alle Offiziere und Soldaten der Internen Sicherheitskräfte, die im Dienst sind, für Studenten in Einrichtungen, die mit den ISF in Ausbildung stehen, und für Pensionäre oder Personen, die aus dem Dienst der ISF ausgeschieden sind und während ihres Dienstes entsprechende Straftaten begangen haben. Spezielle Strafgerichte der Inneren Sicherheitskräfte wurden in fünf Städten eingerichtet.
Das Strafgesetzbuch der Inneren Sicherheitskräfte enthält keine Bestimmungen zur "Desertion", spricht jedoch das "Verbrechen der Abwesenheit" an. Die Strafe variiert je nach Position der Person und beinhaltet beispielsweise den Abzug des Gehalts für einen Polizisten, der unter normalen Umständen weniger als 15 Tage abwesend war, und "mindestens ein Jahr" für Angehörige der Inneren Sicherheitskräfte, die während Unruhen oder Ausnahmezuständen mehr als 10 Tage abwesend waren.
Ein Bericht aus dem Jahr 2014 stellt fest, dass eine allgemeine Amnestie für Angehörige der Inneren Sicherheitskräfte erlassen wurde, die abwesend waren oder das Land ohne Erlaubnis verlassen hatten. Demnach galten Zivilisten, die ihren Arbeitsplatz ohne Erlaubnis verließen, nach zehn Tagen als entlassen.
Die Verfolgung und Bestrafung wegen Desertion an sich gilt, wenn sie verhältnismäßig ist, nicht als Verfolgung, es sei denn, Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e) QD findet Anwendung. Die Todesstrafe würde einer Verfolgung gleichkommen. Desertion ist nur dann mit der Todesstrafe bedroht, wenn bestimmte zusätzliche Umstände zutreffen (z. B. wenn sie als Flucht wahrgenommen wird, um sich dem Feind anzuschließen oder mit ihm zu kommunizieren).
Aufgrund der Tatsache, dass es keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe durch Gerichte wegen Desertionsdelikten gibt, wird das Risiko als sehr gering eingestuft.
Das Ausscheiden aus dem Polizeidienst ist jederzeit ohne Angaben von Gründen möglich. Die Folgen für einen Polizisten, wenn dieser nicht mehr zum Dienst erscheint wären, dass er zuerst vom Dienst suspendiert wird, dann wird er Entlassen und dabei verliert er alle staatlichen Rechte (Pension, andere Vergünstigungen wie Dienstwohnung). Hängt aber auch von den Gründen / Ursachen ab, warum und wieso er länger vom Dienst ferngeblieben ist. Sollte er einer Einheit angehören die ständigen Bedrohungen ausgesetzt ist und er darum vom Dienst fernbleibt würde dies auch in der Beurteilung als strafmildernd berücksichtigt werden.
Quellen:
- Anfragebeantwortung zum Irak: Strafmaß im Fall einer Desertion von Militärangehörigen (insbesondere 2015 und 2016); Unterschiede zwischen KämpferInnen und MitarbeiterInnen der Verwaltung/Versorgung; Urteilsausfertigung ohne Nennung des Delikts [a-11140], Zugriff 09.08.2020
- Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf , Zugriff 13.3.2020
- Anfragebeantwortung zum Irak vom 24.10.2016 bezüglich Fernbleiben, Desertion, Kündigung von Polizei und Armee;
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum IRAK vom 08.09.2017 hinsichtlich Rekrutierung, Desertion/Fernbleiben, Kündigung bei/von Polizei, Armee, PMF, etc. - Update der AFB
Gefahr für Sunniten:
Es gibt keine Berichte dazu, dass der irakische Staat Muslime sunnitischer Glaubensrichtung systematisch verfolgen und/oder misshandeln würde. Es konnten keine Informationen zu Übergriffen schiitischer Milizen auf sunnitische Bewohnerinnen auf Basis konfessioneller Hintergründe gefunden werden.
Die Milizen in Bagdad werden von Sunniten häufig beschuldigt, Gewalt gegen sie zu verüben. Sunniten fürchten vor allem, von schiitischen Milizen in Bagdad erpresst, entführt oder um ihr Eigentum gebracht zu werden. Quellen berichteten, dass es in Bagdad schwierig ist, die Verantwortung für Anschläge bestimmten Tätern zuzuordnen, und dass Sprengstoff sowohl für politische als auch für kriminelle Zwecke verwendet wird, um Ziele anzugreifen und einzuschüchtern. Die Bestimmung der Akteure kann schwierig sein, obwohl es sich höchstwahrscheinlich in erster Linie um Milizen und Banden handelt; aufgrund der starken Verbindungen zwischen beiden ist eine Unterscheidung nicht immer möglich.
Die verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass die bloße Tatsache, dass eine Person ein sunnitischer Araber ist, normalerweise nicht zu einer begründeten Furcht vor Verfolgung führen würde. Bei der individuellen Beurteilung, ob eine begründete Wahrscheinlichkeit besteht, dass dem Antragsteller Verfolgung droht, sollten risikorelevante Umstände berücksichtigt werden, wie z. B.: Herkunftsgebiet, Stammeszugehörigkeit usw.
Es konnten keine Informationen zu Unterschieden hinsichtlich der Lebensverhältnisse von Sunniten und Schiiten gefunden werden. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass diese nicht existieren. Auch wenn Milizen weiterhin einen Machtfaktor im Irak darstellen, sind sie zwischenzeitlich zum Großteil in die staatlichen Strukturen übernommen wurden. Vereinzelte Übergriffe sind nicht ausgeschlossen, es betrifft meist Entführungen mit Lösegeldzahlung, jedoch sind diese illegal.
Zur innerstaatlichen Fluchtalternative für arabische Sunniten
Laut UNHCR wurden in fast allen Teilen des Landes für Binnenflüchtlinge verschärfte Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen implementiert. Zu den verschärften Maßnahmen gehören die Notwendigkeit des Vorweisens eines Bürgen, die Registrierung bei lokalen Behörden, sowie das Durchlaufen von Sicherheitsüberprüfungen durch mehrere verschiedene Sicherheitsbehörden, da die Regionen fürchten, dass sich IS-Kämpfer unter den Schutzsuchenden befinden.
Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen variieren von Provinz zu Provinz und beinhalten nicht nur Sicherheits-Screenings, sondern hängen Berichten zufolge auch vom persönlichen Profil der flüchtenden Personen und Familien ab, wie z.B. vom ethnisch-konfessionellen Hintergrund, dem Herkunftsort oder der Zusammensetzung der Familie der jeweiligen Person. Eine ID-Karte ist in fast allen Regionen von Nöten, doch besteht nicht in jeder Region die Notwendigkeit eines Bürgen.
Es ist möglich, ohne Bürgschaft in die Autonome Region Kurdistan einzureisen. Eine Einreise ist über den Internationalen Flughafen Erbil als auch auf dem Landweg möglich. Laut Bericht der International Organisation for Immigration (IOM) würden irakische Bürger bei der Ankunft an einem Checkpoint einer Landgrenze zu Kurdistan oder am Flughafen eine einwöchige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Irakische Staatsbürger können sich z.B. in Erbil frei bewegen und von dort aus in alle Provinzen einzureisen. Binnenflüchtlinge müssen sich bei der Einreise registrieren und können dann eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung beantragen. Ob eine Person ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bzw. eine verlängerbare Aufenthaltsgenehmigung in der Autonomen Region Kurdistan bekommt, hängt dabei oft vom ethischen, religiösen und persönlichen Profil ab. Die Notwendigkeit eines Bürgen zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung differiert von Provinz zu Provinz und wird zuweilen auch willkürlich gehandhabt.
Arabische Binnenflüchtlinge können in der Region Sulaimaniyya zunächst eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung erhalten und sodann den Daueraufenthalt beantragen. In Sulaimaniyya ist nach Berichten der UNHCR kein Bürge notwendig, um sich niederzulassen oder eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Berichten der IOM zufolge leben 90 % aller Binnengeflüchteten in Sulaimaniyya in stabilen sanitären Verhältnissen und haben 83 % Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Im Regelfall können binnengeflüchtete Menschen in Sulaimaniyya am Bildungssystem teilhaben. Binnengeflüchtete haben in dort die Möglichkeit in den verschiedensten Feldern zu den gleichen Löhnen wie ortsansässige Personen zu arbeiten.
In Bagdad gibt es mehrere sunnitisch mehrheitlich bewohnte Stadtviertel. Zur Einreise von sunnitischen Arabern in das Stadtgebiet Bagdads müssen sich diese einem Sicherheitscheck unterziehen, vor allem, wenn sie aus vom IS dominierten Gebieten kommen. Darüber hinaus kann es notwendig werden, einen Bürgen vorzuweisen. Auch um Bagdad herum gibt es Flüchtlingslager und Aufnahmestationen.
Quellen:
- Australian Government (26.06.2017): DFAT COUNTRY INFORMATION REPORT IRAQ, http://dfat.gov.au/about-us/publications/Documents/country-information-report-iraq.pdf , Zugriff 17.07.2020
- IOM - International Organization for Migration (17.05.2017): Iraq Mission, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Round86_Report_English_2017_December_31_IOM_DTM.pdf , Zugriff 17.07.2020
- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, June 2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf Zugriff 17.07.2020
- IOM - International Organization for Migration (17.05.2017): Iraq Mission, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Round86_Report_English_2017_December_31_IOM_DTM.pdf , Zugriff 17.07.2020
- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (12.04.2017): Iraq: Relevant COI for assessments on the availability of an internal flight or relocation alternative (IFA/IRA); Ability of persons ariginating from (previously or currently) ISIS-held or conflict areas to legally access and remain in proposed areas of relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf , Zugriff 17.07.2020
Bewegungsfreiheit
Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 11.3.2020).
Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der Islamische Staat (IS) richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vgl. Zeidel/al-Hashimis 6.2019).
Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 11.3.2020).
Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS, zwischen 2014 und 2017, führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.2019). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 4.3.2020).
Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 11.3.2020). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen – auch kurzfristig – gerechnet werden (AA 12.1.2019).
Einreise und Einwanderung in die Kurdische Region im Irak (KRI)
Die Kurdischen Region im Irak (KRI) schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 11.3.2020). Während die Einreise in die Gouvernements Erbil und Sulaymaniyah ohne Bürgen möglich ist, wird für die Einreise nach Dohuk ein Bürge benötigt. Insbesondere Araber aus den ehemals vom IS kontrollierten Gebieten, sowie Turkmenen aus Tal Afar im Gouvernement Ninewa benötigen einen Bürgen aus Dohuk, es sei denn, sie erhalten eine vorübergehende Reisegenehmigung vom Checkpoint in der Nähe des Dorfes Hatara. Diese Genehmigung wird für kurzfristige Besuche aus medizinischen oder ähnlichen Gründen erteilt (UNHCR 11.2019).
Inner-irakische Migration aus dem Zentralirak in die KRI ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert (AA 12.1.2019). Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden (AA 12.1.2019; vgl. UNHRC 11.2019). Eine Sicherheitsfreigabe ist dabei in allen Regionen der KRI notwendig (UNHCR 11.2019). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, dass sie einen in der Region ansässigen Bürgen vorweisen können (USDOS 11.3.2020). Eine zusätzliche Anforderung für alleinstehende arabische und turkmenische Männer ist, dass sie eine feste Anstellung und ein Unterstützungsschreiben ihres Arbeitgebers vorweisen müssen (UNHCR 11.2019). In Dohuk muss eine Person in Begleitung des Bürgen, der die Einreise ermöglicht, vorstellig werden, um eine Aufenthaltskarte („Informationskarte“) zu erhalten (UNHCR 11.2019). Die Aufenthaltsgenehmigung ist in der Regel einjährig erneuerbar (UNHCR 11.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Personen ohne feste Anstellung erhalten jedoch nur eine einmonatige, erneuerbare Genehmigung (UNHCR 11.2019). Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.1.2019). Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die KRI einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehen lassen (USDOS 11.3.2020).
Die KRI-Behörden wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Checkpoints werden manchmal für längere Zeit geschlossen. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 11.3.2020).
Einreise und Einwanderung in den Irak unter der Zentralregierung
Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Najaf, Qadissiya und Wassit. Für den Zugang zu den Gouvernements Maysan und Muthanna wird hingegen ein Bürge benötigt, der die Person an einem Grenz-Checkpoint in Empfang nimmt, oder mit ihr bei der zuständigen Sicherheitsbehörde für eine Freigabe vorstellig wird. Ohne Bürge wird der Zugang wahrscheinlich verweigert, auch wenn die Sicherheitsbehörden über einen Ermessensspielraum für Ausnahmen verfügen (UNHCR 11.2019).
Für die Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar (Anm.: etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadisiya und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Eine Ausnahme stellt der Bezirk Khanaqin dar, in dem Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS), und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf , Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Migrations Service (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf , Zugriff 13.3.2020
- NYT - New York Times, The (2.4.2018): In Iraq, I Found Checkpoints as Endless as the Whims of Armed Men, https://www.nytimes.com/2018/04/02/magazine/iraq-sinjar-checkpoints-militias.html , Zugriff 13.3.2020
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (11.2019): Iraq: Country of Origin Information on Access and Residency Requirements in Iraq (Update I), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019573/5dc04ef74.pdf , Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
- Zeidel, Ronan, al-Hashimis Hisham in Terrorism Research Initiative (6.2019): A Phoenix Rising from the Ashes? Daesh after its Territorial Losses in Iraq and Syria, https://www.jstor.org/stable/26681907 , Zugriff 13.3.2020
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) müssen sich registrieren (FH 4.2.2020). Mit Stand September 2019 waren laut der irakischen Bundesdirektion für Nichtregierungsorganisationen 4.365 NGOs registriert (USDOS 11.3.2020). In der Kurdischen Region im Irak (KRI) betrug die Zahl registrierter NGOs 4.300 im Jahr 2008 (USDOS 13.3.2019). In der KRI sind die Registrierungen jährlich zu erneuern (FH 4.3.2020).
Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs lockert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigt, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen über die Suspendierung von NGOs schafft (ICNL 26.6.2019). NGOs, die nur in Bagdad registriert waren, konnten nicht in der KRI tätig werden, und vice versa (USDOS 11.3.2020).
Im gesamten Irak existierten allein im Bereich Menschenrechte zuletzt etwa 368 registrierte NGOs. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen besonderen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und weiterbestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NGOs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs berichten von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden „Besuchen“ durch Vertreter des Ministeriums. Die Präsenz von ausländischen NGOs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor gering. Dies gilt nicht für die KRI, wo viele ausländische NGOs tätig sind, die derzeit aber unter verschärften Kontrollen durch die Zentralregierung in ihrer Arbeit beeinträchtigt sind (AA 12.1.2019).
Nationale und internationale NGOs operieren in den meisten Fällen unter geringer staatlicher Einflussnahme, jedoch gibt es Berichte über staatliche Einmischung, wenn NGOs Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Akteuren untersuchen. In Basra im Südirak wurden Berichten zufolge mehrere Menschenrechtsvertreter willkürlich festgenommen und gezwungen Dokumente ihnen unbekannten Inhalts zu unterzeichnen, bevor sie wieder freigelassen wurden (USDOS 11.3.2020). Ende 2019 gibt es im Zuge der Protestbewegung auch Berichte über Entführungen und Ermordungen von regierungskritischen Aktivisten (FH 4.3.2020). Die KRI verfügt über eine aktive Gemeinschaft von meist kurdischen NGOs, viele mit engen Beziehungen zu den politischen Parteien PUK und KDP (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA- Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/resources/civic-freedom-monitor/iraq , Zugriff 13.3.2020
- ICNL – The International Center for Not-for-Profit Law (26.6.2019): Civic Freedom Monitor: Iraq, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/iraq , Zugriff 13.3.2020
- USDOS – US Departement of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
- USDOS – United States Departement of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html , Zugriff 13.3.2020
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.1.2019).
Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Rekrutierung von Kindersoldaten durch Elemente der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Shingal Protection Units (YBS) und PMF-Milizen; Menschenhandel; Kriminalisierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 11.3.2020).
Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 21.6.2019). Es wird berichtet, dass tausende Männer und Buben, die aus Gebieten unter IS-Herrschaft geflohen sind, von zentral-irakischen und kurdischen Kräften willkürlich verhaftet wurden und nach wie vor als vermisst gelten. Sicherheitskräfte einschließlich PMFs haben Personen mit angeblichen IS-Beziehungen auch in Lagern inhaftiert und gewaltsam verschwinden lassen (AI 26.2.2019).
Die Verfassung und das Gesetz verbieten Enteignungen, außer im öffentlichen Interesse und gegen eine gerechte Entschädigung. In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Eigentum von mutmaßlichen IS-Angehörigen, sowie Mitgliedern religiöser und konfessioneller Minderheiten, durch Regierungstruppen und PMF-Milizen konfisziert und besetzt (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung, einschließlich des Büros des Premierministers, untersucht Vorwürfe über Missbräuche und Gräueltaten, bestraft die Verantwortlichen jedoch selten (USDOS 11.3.2020).
Im Zuge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste haben Sicherheitskräfte unter anderem scharfe Munition gegen Demonstranten eingesetzt und hunderte Menschen getötet (HRW 31.1.2020).
Der IS begeht weiterhin schwere Gräueltaten, darunter Tötungen durch Selbstmordattentate und improvisierte Sprengsätze (IEDs). Die Behörden untersuchen IS-Handlungen und verfolgen IS-Mitglieder nach dem Anti-Terrorgesetz von 2005 (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- I - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf , Zugriff 13.3.2020
- RW - Human Rights Watch (31.1.2020): Iraq: Authorities Violently Remove Protesters, https://www.ecoi.net/en/document/2023934.html , Zugriff 13.3.2020
- SDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html , Zugriff 13.3.2020
IDPs und Flüchtlinge
Seit Jänner 2014 hat der Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) im Irak die Vertreibung von ca. sechs Millionen Irakern verursacht, rund 15% der Gesamtbevölkerung des Landes (IOM 4.9.2018). Anfang 2019 waren noch etwa 1,8 Millionen Menschen intern Vertrieben (IDPs) (FIS 17.6.2019; vgl. HRW 14.6.2019). Anfang 2020 betrug die Zahl der IDPs noch 1,4 Millionen (IOM 28.2.2020; vgl. UNICEF 31.12.2019; UNOCHA 27.1.2020). Die Zahl der IDPs sinkt seit der zweiten Hälfte des Jahres 2017 sukzessive (IOM 28.2.2020); die Zahl der Rückkehrer ist gestiegen (IOM 10.2019). Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Zahlen an IDPs im Irak von März 2014 bis Februar 2020. Das Diagramm mit den blauen Balken links unten veranschaulicht die Verteilung der IDPs auf die jeweiligen Gouvernements (IOM 29.2.2020).
Wie den folgenden Grafiken zu entnehmen ist, sind die Gouvernements mit den höchsten Zahlen an IDPs Ninewa, gefolgt von Anbar, Salah ad-Din, Kirkuk, Diyala, Bagdad, Erbil und Dohuk (IOM 31.12.2019).
Etwa 450.000 bis 500.000 Personen leben in Lagern, die meisten davon seit ungefähr zwei bis drei Jahren (FIS 17.6.2019; vgl. HRW 14.6.2019), während die übrigen in privaten oder informellen Unterkünften leben (HRW 14.6.2019).
Erzwungene Rückkehr und die Blockierung der Rückkehr dauerten im Jahr 2019 an (HRW 14.1.2020). Personen aus vormals vom IS kontrollierten oder vom Konflikt betroffenen Gebieten werden in vielen Gebieten, wegen mutmaßlicher Nähe zum IS und aus ethno-konfessionellen Gründen, von lokalen Behörden oder anderen Akteuren, wie den Volksmobilisierungskräften (PMF) unter Druck gesetzt oder gezwungen, in ihre Heimatregionen zurückzukehren (UNHCR 11.2019; vgl. USDOS 11.3.2020).
Behörden der Zentralregierung und der Gouvernements unternahmen manchmal Maßnahmen zur Schließung oder Konsolidierung von Flüchtlingslagern, um IDPs zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete zu zwingen. Aufgrund der verordneten Lagerschließungen ist die Zahl der formellen IDP-Lager zwischen August und September 2019 von 89 auf 77 gesunken. Häufig resultierte eine zwangsweise Rückkehr in neuerlicher Vertreibung (USDOS 11.3.2020). So gibt es Berichte über die Ausweisung von tausenden Flüchtlingen aus Lagern in Ninewa, die aus anderen Gouvernements stammten (HRW 4.9.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Ende August 2019 wurden schätzungsweise 1.600 IDPs (300 Haushalte) aus Flüchtlingslagern im Gouvernement Ninewa (Hamam Al Alil (HAA), As Salamiyah und Nimrud) nach Anbar, Kirkuk und Slah ad-Din verbracht. Dabei gab es einen Mangel an Informationsweitergabe an die betroffenen Personen und zwischen den jeweiligen Behörden. Trotz vorangegangener Sicherheitsüberprüfungen wurde einigen IDPs der Zugang zu Lagern in Anbar verwehrt (UN OCHA 15.9.2019).
Rückkehrer riskieren Landminen, Racheangriffe von Nachbarn oder die Zwangsrekrutierung in lokale bewaffnete Gruppen (HRW 14.6.2019). Anfang Juli 2019 begannen Sicherheitskräfte damit hunderte IDPs aus Lagern in Ninewa und Salah ad-Din zwangsweise in deren Heimatgouvernements zu verbringen, ungeachtet der Sicherheitsbedenken (HRW 14.1.2020). Vertreibungen ohne Rücksicht auf die Sicherheit der Personen hat häufig neuerliche Vertreibung zur Folge (UNHCR 11.2019). In vielen Fällen führt erzwungene Rückkehr zu sekundärer oder tertiärer Vertreibungen (USDOS 11.3.2020).
Einige IDPs werden auch an der Rückkehr gehindert und effektiv in Lagern festgehalten (HRW 14.6.2019). Etwa eine Million Menschen aufgrund angeblicher Verbindungen zum IS an einer Rückkehr in ihre Heimat gehindert (FIS 17.6.2019). IDPs, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, müssen laut lokalen Organisationen über bestimmte Ausweispapiere verfügen, etwa einen irakischen Personalausweis, eine Staatsangehörigkeitsbescheinigung und eine Aufenthaltsgenehmigung. Manchmal wird auch ein Reisepass angefordert (FIS 17.6.2019). Manche IDPs konnten verlorene Dokumente wieder einholen (IOM 13.11.2019).
Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, gewähren IDPs Schutz und andere Hilfe. Humanitäre Akteure unterstützen IDP-Lager und gewähren auch IDPs außerhalb der Lager Dienstleistungen, um die Belastung der Ressourcen der Gastgebergemeinden zu begrenzen (USDOS 11.3.2020). Der Großteil der humanitären Hilfe kommt Projekten in den Gouvernements Ninewa und Dohuk zugute, in denen sich auch die meisten IDPs befinden (UN OCHA 15.9.2019). Der Zugang zu humanitärer Hilfe hat sich allerdings verringert. Weniger als 10% der IDP-Haushalte berichten, dass sie Hilfe erhalten, meist in Form von Nahrungsmitteln und Wasser durch NGOs (IOM 13.11.2019). Von befragten IDP-Haushalten in Lagern im gesamten Irak wurde am häufigsten der Bedarf an Nahrungsmitteln (76% der Haushalte) angegeben, gefolgt von Beschäftigung (59 %) und medizinischer Versorgung (54%). Der Anteil der Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand in IDP-Lagern lag Mitte 2019 bei etwa 21%. Etwa 90% der befragten IDP-Haushalte gab an, dass sie bei Tageslicht ohne Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit das Lager verlassen und wieder betreten konnten (REACH 8.2019).
Die Regierung stellt vielen - aber nicht allen - IDPs, auch in der Kurdischen Region im Irak (KRI), Nahrungsmittel, Wasser und finanzielle Hilfe zur Verfügung. Viele IDPs leben in informellen Siedlungen, wo sie keine ausreichende Versorgung mit Wasser, sanitären Einrichtungen oder anderen wichtigen Dienstleistungen erhalten. Alle Bürger sind berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des Public Distribution System (PDS) zu erhalten. Die Behörden verteilen aber nicht jeden Monat alle Waren. Nicht alle IDPs können in jedem Gouvernement auf Lebensmittel aus dem Public Distribution System (PDS) zugreifen, insbesondere nicht in den befreiten Gebieten. Die Bürger können die PDS-Rationen nur an ihrem Wohnort und in ihrem eingetragenen Gouvernement einlösen, was zu einem Verlust des Zugangs und der Ansprüche aufgrund von Vertreibungen führt (USDOS 11.3.2020).
Die lokalen Behörden entscheiden oft darüber, ob IDPs Zugang zu örtlichen Leistungen erhalten. Humanitäre Organisationen berichten, dass einige IDPs mangels erforderlicher Unterlagen Schwierigkeiten bei der Registrierung haben. Viele Bürger, die zuvor in den vom IS kontrollierten Gebieten gelebt haben, besitzen keine Personenstandsdokumente, was die Schwierigkeit, einen Ausweis und andere persönliche Dokumente zu erhalten, noch vergrößerte. Laut einem Bericht von Februar 2018 hat die lokale Polizei Ausweispapiere von Personen in Lagern beschlagnahmt, was ihre Bewegungsfreiheit, einschließlich ihrer Möglichkeit das Lager zu verlassen beeinträchtigte (HRW 4.2.2018; vgl. USDOS 11.3.2020). Die Vereinten Nationen und andere humanitäre Organisationen unterstützen IDPs bei der Beschaffung von Dokumenten und der Registrierung bei den Behörden, um den Zugang zu Dienstleistungen und Bezugsrechten zu verbessern (USDOS 11.3.2020)
Die schwierigsten Rückkehrbedingungen finden sich unter anderem in den Distrikten Al-Khalis, Al-Muqdadiya und Khanaqin im Gouvernement Diyala, in den Distrikten Daquq und Kirkuk im Gouvernement Kirkuk, in den Distrikten Al-Ba'aj, Hatra, Sinjar und Telafar im Gouvernement Ninewa und in den Distrikten Balad, Samarra und Tooz im Gouvernement Salah ad-Din. Ninewa (196.644) und Salah ad-Din (154.674) sind die Gouvernements mit der höchsten Anzahl von Rückkehrern, die unter schweren Bedingungen leben. Verbesserungen in der Versorgung mit Elektrizität und Wasser haben die Lebensbedingungen für Rückkehrer in einigen Bezirken, darunter auch Ost-Mossul in Ninewa und Khanaqin in Diyala etwas verbessert (IOM 10.2019).
Massive Zerstörung von Wohnungen und Infrastruktur, die Präsenz konfessioneller- oder parteiischer Milizen, sowie die anhaltende Bedrohung durch Gewalt machten es vielen IDPs schwer, nach Hause zurückzukehren (FH 4.3.2020). In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammes- und konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende Familien sahen sich aus wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Gründen mit einer neuerlichen Vertreibung konfrontiert. Zwangsvertreibungen, kombiniert mit dem langwierigen und weitgehend ungelösten Problem von Millionen von Menschen, die in den letzten Jahrzehnten entwurzelt wurden, belasten die Kapazitäten der lokalen Behörden (USDOS 11.3.2020).
Haushalte mit vermeintlichen Verbindungen zum IS sind stigmatisiert und werden mit einem erhöhten Risiko ihrer Grundrechte beraubt. Probleme bei der Beschaffung der notwendigen Zivildokumente und die häufig vorenthaltenen Sicherheitsfreigaben schränken ihre Bewegungsfreiheit ein, einschließlich ihrer Möglichkeiten zur Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, wegen der Gefahr von Verhaftungen und eines Verbots ins Lager zurückzukehren (USDOS 11.3.2020).
Ausländische Flüchtlinge
Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl vor, und die Regierung hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet (USDOS 11.3.2020). Unter den etwa 335.000 ausländischen Flüchtlingen sind etwa 249.000 Syrer und ca. 40.000 Flüchtlinge aus anderen Gebieten, sowie knapp 50.000 Staatenlose. Ihren Status regelt das „Gesetz über politische Flüchtlinge“, Nr. 51 (1971). Der Entwurf einer Novellierung des Gesetzes wurde bislang nicht verabschiedet. Die Flüchtlinge befinden sich überwiegend in und um Bagdad sowie unmittelbar im Grenzbereich zu Syrien und Jordanien (AA 12.1.2019). Die Regierung arbeitet im Allgemeinen mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen im Land Schutz und Unterstützung zu bieten (USDOS 11.3.2020).
Seit 2014 hat die KRI mehr als eine Million IDPs aus verschiedenen Teilen des Irak aufgenommen. Es bestehen etwa 39 Lager für IDPs und Flüchtlinge, in denen die Mehrzahl der vertriebenen religiösen Minderheiten leben (OHCHR 11.9.2019). Darunter befinden sich, je nach Quelle auch über 228.000, bis mehr als 240.000 syrische Flüchtlinge (USAID 30.9.2019; vgl. OHCHR 11.9.2019). Es wird erwartet, dass die Zahl der syrischen Flüchtlinge im Zuge des anhaltenden militärischen Konflikts in Nordost-Syrien weiter ansteigen wird (USAID 30.9.2019).
Quellen:
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- FIS - Finnish Migrations Service (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf , Zugriff 13.3.2020
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Grundversorgung und Wirtschaft
Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.1.2019). Der irakische humanitäre Reaktionsplan schätzt, dass im Jahr 2019 etwa 6,7 Millionen Menschen dringend Unterstützung benötigten (IOM o.D.; vgl. USAID 30.9.2019). Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die grassierende Korruption verstärkt vorhandene Defizite zusätzlich. In vom Islamischen Staat (IS) befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.1.2019).
Nach Angaben der UN-Agentur UN-Habitat leben 70% der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.1.2019). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018). Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 12.1.2019).
Die Organisationen Weltbank, WFP, FAO und IFAD bewerteten im September 2020 die Nahrungsmittelverfügbarkeit im Irak. Die einzelnen Provinzen wurden individuell bewertet (Ninewa erhielt im Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten) mit der Schlussfolgerung, dass die Verfügbarkeit von Lebensrnitteln auf den Märkten im ganzen Land gut sei. (World Bank et ai.,September 2020, S. 18).
Wirtschaftslage
Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mossul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im April 2019 (GIZ 1.2020c). Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich nach den wirtschaftlichen Herausforderungen und innenpolitischen Spannungen der letzten Jahre. Während das BIP 2016 noch um 11% wuchs, verzeichnete der Irak 2017 ein Minus von 2,1%. 2018 zog die Wirtschaft wieder an und verzeichnete ein Plus von ca. 1,2% aufgrund einer spürbaren Verbesserung der Sicherheitsbedingungen und höherer Ölpreise. Für 2019 wurde ein Wachstum von 4,5% und für die Jahre 2020–23 ebenfalls ein Aufschwung um die 2-3%-Marke erwartet (WKO 18.10.2019).
Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 1.2020c). Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Der Irak besitzt kaum eigene Industrie jenseits des Ölsektors. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.1.2019).
Die Arbeitslosenquote, die vor der IS-Krise rückläufig war, ist über das Niveau von 2012 hinaus auf 9,9% im Jahr 2017/18 gestiegen. Unterbeschäftigung ist besonders hoch bei IDPs. Fast 24% der IDPs sind arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 17% im Landesdurchschnitt). Ein Fünftel der wirtschaftlich aktiven Jugendlichen ist arbeitslos, ein weiters Fünftel weder erwerbstätig noch in Ausbildung (WB 12.2019).
Die Armutsrate im Irak ist aufgrund der Aktivitäten des IS und des Rückgangs der Öleinnahmen gestiegen (OHCHR 11.9.2019). Während sie 2012 bei 18,9% lag, stieg sie während der Krise 2014 auf 22,5% an (WB 19.4.2019). Einer Studie von 2018 zufolge ist die Armutsrate im Irak zwar wieder gesunken, aber nach wie vor auf einem höheren Niveau als vor dem Beginn des IS-Konflikt 2014, wobei sich die Werte, abhängig vom Gouvernement, stark unterscheiden. Die südlichen Gouvernements Muthanna (52%), Diwaniya (48%), Maisan (45%) und Dhi Qar (44%) weisen die höchsten Armutsraten auf, gefolgt von Ninewa (37,7%) und Diyala (22,5%). Die niedrigsten Armutsraten weisen die Gouvernements Dohuk (8,5%), Kirkuk (7,6%), Erbil (6,7%) und Sulaymaniyah (4,5%) auf. Diese regionalen Unterschiede bestehen schon lange und sind einerseits auf die Vernachlässigung des Südens und andererseits auf die hohen Investitionen durch die Regionalregierung Kurdistans in ihre Gebiete zurückzuführen (Joel Wing 18.2.2020). Die Regierung strebt bis Ende 2022 eine Senkung der Armutsrate auf 16% an (Rudaw 16.2.2020).
Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Arbeitsmöglichkeiten haben im Allgemeinen abgenommen. Die monatlichen Einkommen im Irak liegen in einer Bandbreite zwischen 200 und 2.500 USD (Anm.: ca. 185-2.312 EUR), je nach Position und Ausbildung. Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD (Anm.: ca. 0,9 EUR) pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land sind derzeit keine dieser Weiterbildungsprogramme, die nur durch spezielle Fonds zugänglich sind, aktiv (IOM 1.4.2019).
Stromversorgung
Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.1.2019). Sie deckt nur etwa 60% der Nachfrage ab, wobei etwa 20% der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 17.9.2019). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.1.2019).
Wasserversorgung
Etwa 70% des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes, vor allem in der Türkei und im Iran. Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark reduziert. Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt und dient somit als Lebensgrundlage für etwa 13 Millionen Menschen (GRI 24.11.2019).
Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Insbesondere Dammprojekte der irakischen Nachbarländer, wie in der Türkei, haben großen Einfluss auf die Wassermenge und Qualität von Euphrat und Tigris. Der damit einhergehende Rückgang der Wasserführung in den Flüssen hat ein Vordringen des stark salzhaltigen Wassers des Persischen Golfs ins Landesinnere zur Folge und beeinflusst sowohl die Landwirtschaft als auch die Viehhaltung. Das bringt in den besonders betroffenen südirakischen Gouvernements Ernährungsunsicherheit und sinkenden Einkommensquellen aus der Landwirtschaft mit sich (EPIC 18.7.2017).
Die Wasserversorgung wird zudem von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem fehlt es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.1.2019). Im Südirak und insbesondere Basra führten schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass im Jahr 2018 mindestens 118.000 Menschen wegen Magen-Darm-Erkrankungen in Krankenhäusern behandelt werden mussten (HRW 22.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019).
Die tschechische NGO CARE führte im Juni 2020 eine Befragung mit 256 Interviews unter anderem zur Wasserversorgung in zwei Bezirken von West-Mossul, Zandschili und Ghazlani, durch. Laut den Befragten würden 85 Prozent der Haushalte ihr Wasser für den Haushalt über das allgemeine Wasserversorgungsnetz erhalten. Für 95 Prozent der Befragten sei versiegeltes Wasser in Flaschen eine bevorzugte Trinkwasserquelle und 15 Prozent würde Wasser aus Flaschen als sekundäre Wasserquelle verwenden. Die Befragten hätten unterschiedliche Angaben gemacht an wie vielen Tagen pro Woche Wasser aus dem allgemeinen Wasserersorgungsnetz zur Verfügung steht, jedoch hätten 97 Prozent der Haushalte angegeben, ausreichend Zugang zu Wasser für den Haushalt zu haben (Anmerkung ACCORD: im Irak besitzen Haushalte allgemein Wassertanks auf ihren Häusern. Eine elektrisch betriebene Pumpe pumpt das Wasser der staatlichen Wasserversorgung in die Wassertanks. Daher steht Haushalten für einen gewissen Zeitraum auch dann Wasser zur Verfügung, wenn das allgemeine Wasserversorgungsnetz ausfällt. Es ist jedoch notwendig Zugang zu Strom zu haben, um die Wassertanks zu befüllen). 92 Prozent der Befragten hätten angegeben, mit der Wasserqualität zufrieden zu sein, auch als Trinkwasser. 53 Prozent der Einwohner würden das Wasser behandeln, um die Trinkwasserqualität zu verbessern. 62 Prozent der Haushalte hätten angegeben, zufrieden mit der Menge an sicherer Wasserversorgung zu sein. (Care/Czech Republic Humanitarian Aid, Juni 2020, S. 12-13). Die Befragung durch CARE in Zandschili und Ghazlani habe außerdem ergeben, dass fast alle Befragten Zugang zu einer Toilette hätten. (Care, Juni 2020, S. 20) UN-Habitat berichtet in einem Beitrag auf seiner Webseite vom März 2021 von der erfolgreichen Initiative, 5.000 Meter Wasserleitung, an der 430 Häuser angeschlossen seien, in Mossul saniert zu haben. (UN-Habitat., 18. März 2021).
Nahrungsmittelversorgung
Etwa 1,77 Millionen Menschen im Irak sind von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, ein Rückgang im Vergleich zu 2,5 Millionen Betroffenen im Jahr 2019 (USAID 30.9.2019; vgl. FAO 31.1.2020). Die meisten davon sind IDPs und Rückkehrer. Besonders betroffen sind jene in den Gouvernements Diyala, Ninewa, Salah al-Din, Anbar und Kirkuk (FAO 31.1.2020). 22,6% der Kinder sind unterernährt (AA 12.1.2019).
Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurden unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Trotz konfliktbedingter Einschränkungen und Überschwemmungen entlang des Tigris (betroffene Gouvernements: Diyala, Wasit, Missan und Basra), die im März 2019 aufgetreten sind, wird die Getreideernte 2019 wegen günstiger Witterungsbedingungen auf ein Rekordniveau von 6,4 Millionen Tonnen geschätzt (FAO 31.2.2020).
Trotzdem ist das Land von Nahrungsmittelimporten abhängig (FAO 31.1.2020). Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (UNFAO) schätzt, dass der Irak zwischen Juli 2018 und Juni 2019 etwa 5,2 Millionen Tonnen Mehl, Weizen und Reis importiert hat, um den Inlandsbedarf zu decken (USAID 30.9.2019).
Im Südirak und insbesondere Basra führen schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass Landwirte ihre Flächen mit verschmutztem und salzhaltigem Wasser bewässern, was zu einer Degradierung der Böden und zum Absterben von Nutzpflanzen und Vieh führt (HRW 22.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019).
Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen (K4D 18.5.2018; vgl. USAID 30.9.2019). Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schwerer Ineffizienz gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).
Die Organisationen Weltbank, WFP, FAO und IFAD bewerteten im September 2020 die Nahrungsmittelverfügbarkeit im Irak. Die einzelnen Provinzen wurden individuell bewertet (Ninewa erhielt im Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten) mit der Schlussfolgerung, dass die Verfügbarkeit von Lebensmitteln auf den Märkten im ganzen Land gut sei. (World Bank et al., September 2020, S. 18).
Quellen:
- ACCORD - Anfragebeantwortung zum Irak: Sozioökonomische Lage in Mossul: Aktueller Stand des Wiederaufbaus, Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und Wohnraum, Wasserversorgung, sanitäre Verhältnisse, Arbeitsmarkt, medizinische Versorgung, Armutsgefährdung, Unterschiede zwischen den Lebensverhältnissen von Sunniten und Schiiten in Mossul [a-11534-2] vom 16.04.2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2050813.html , Zugriff am 15.06.2021
- BFA- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK sozioökonomische und Sicherheitslage in Bagdad vom 27.04.2020, Zugriff am 15.04.2021
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK, Sicherheitslage, Wohnverhältnisse, Grund- und medizinische Versorgung in Bagdad, Zugriff am 15.04.2021
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
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Aktuelle Versorgungslage in Bagdad (Lebensmittel, Wasser, Strom)
Ernährungssicherheit
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) erstellte im April 2019 eine Karte der sozioökonomischen Situation der Bevölkerung Bagdads, die sich auf Erhebungen von 2016 und 2018 stützt. Laut WFP hätten 99 Prozent der Haushalte in Bagdad einen „akzeptablen Lebensmittelkonsum“. 53 Prozent der Haushalte seien „ernährungssicher“, 46 Prozent nur marginal ernährungssicher und 1 Prozent sei ernährungsunsicher. (WFP, 2019, S. 101)
WFP zusammen mit der Weltbank, IFAD (International Fund for Agricultural Development) und FAO (UN Food and Agricultural Organization) erstellte einen detaillierten Bericht zu Ernährungssicherheit im Irak im Zeitraum Juni bis August 2020 unter Berücksichtigung der Auswirkungen von COVID-19. Die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln sei aufgrund stetiger internationaler Lebensmittelhandelsströme und einer günstigen Inlandsproduktion stabil geblieben. Die Funktionalität des Lebensmittelmarktes und der Zugang der Haushalte zu Nahrungsmitteln hätten sich im Vergleich zum April kurz nach Beginn des Ausbruchs verbessert. Die Preisstabilität gebe laut den UNO-Organisationen und der Weltbank jedoch Anlass zur Sorge. Die Grundnahrungsmittelpreise hätten sich nicht wesentlich verändert. Die Preise für Gemüse - insbesondere für Tomaten - würden jedoch stark schwanken. (FAO/World Bank/WFP/IFAD, 23. September 2020, S. 2)
Die Verfügbarkeit von Lebensmitteln sowie anderer Artikel sei im ganzen Land gut. (FAO, World Bank, WFP, IFAD, 23. September 2020, S. 18)
Ökonomische Konsequenzen von COVID-19 sowie Bewegungseinschränkungen und Infektionsängste hätten jedoch den Zugang zu Lebensmitteln im Irak erschwert. Während 2016 rund 1,5% der Menschen mit unzureichendem Lebensmittelkonsum registriert worden seien, habe laut dem Hunger Monitoring System des WFP der Wert von April bis August 2020 zwischen 5 und 9,3 Prozent fluktuiert. Rund 13,7 Prozent der Befragten, was rund 5,3 Millionen Menschen entspreche, habe angegeben, am 9. August negative Bewältigungsstrategien zur Deckung ihres Lebensmittelbedarfs angewendet zu haben. Zusätzliche Gesundheits- und Hygienekosten würden dazu führen, dass Personen nicht genügend Lebensmittel für ihre Familie kaufen könnten. Der Tageslohn eines Hilfsarbeiters habe vor COVID-19 31 kg Weizenmehl kaufen können; das sei jedoch auf 27 kg gesunken. (FAO/World Bank/WFP/IFAD, 23. September 2020, S. 22)
WFP, World Bank, IFAD und FAO gaben in ihrem zweiwöchentlichen Update zur Ernährungssicherheit im Irak Mitte November 2020 an, dass laut des Mobile Vulnerability Analysis and Monitoring Systems von WFP rund 3 Millionen Menschen im ganzen Land mit unzureichendem Lebensmittelkonsum leben würden. Laut des irakischen Planungsministeriums sei die Armutsquote im Irak durch COVID-19 von 20 auf 30 Prozent gestiegen. In Bagdad hätten 10 Prozent der Bevölkerung unzureichenden Lebensmittelkonsum. 9,8 Prozent der landesweit Befragten würden negative Bewältigungsstrategien zur Deckung ihres Lebensmittelbedarfs anwenden. 12 Prozent hätten Probleme mit dem Zugang zu Märkten. (FAO, WFP, World Bank, IFAD, 16. November 2020, S. 8)
Wasserversorgung
Laut dem WFP hätten basierend auf Erhebungen von 2016 70 Prozent der Bevölkerung Bagdads kontinuierliche Verfügbarkeit von Trinkwasser und 91 Prozent würden ihr Wasser vom allgemeinen Wasserversorgungsnetz erhalten, die restlichen 9 Prozent von in Flaschen abgefülltem Wasser. (WFP, 2019, S. 101)
Im Vergleich dazu veröffentlichen die staatlichen Einrichtungen Iraks folgende Zahlen:
Die zentrale Statistikorganisation (Central Statistical Organization Iraq, CSO) gibt auf ihrer Webseite zu einer Erhebung der Situation von Bagdad 2018 an, dass 86,9 Prozent der Einwohner Bagdads 2017 mit Trinkwassernetzen versorgt seien, und 75,9 Prozent der Einwohner mit einem Abwassersystem. (CSO, ohne Datum a)
Das irakische Planungsministerium (Ministry of Planning, MOP) veröffentlicht im Juni 2018 einen National Development Plan, laut dem der Prozentsatz der Bevölkerung, der mit reinem Trinkwasser versorgt werde, in Bagdad bei 100 Prozent liege. (MOP, Juni 2018, S. 160)
Das Abwassersystem in Bagdad sei alt und habe seine Lebensdauer überschritten. Es leide unter vielen Problemen, insbesondere in Regenperioden. Es sei nicht in der Lage, die täglichen Wassermengen zu absorbieren, insbesondere angesichts beispielloser Regenfälle im Zusammenhang mit dem Klimawandel, die die Entwurfs- und Notfallberechnungen überschreiten würden. Ende 2016 sei 90% der Bevölkerung mit Kanalisation ausgestattet gewesen. Die restlichen 10% würden viele Nichtwohn- und Landwirtschaftsgebiete umfassen. (MOP, Juni 2018, S. 163)
Die Weltbank berichtet im Jänner 2018, dass die EinwohnerInnen von Bagdad vor allem in den heißen Sommermonaten mit täglichen Unterbrechungen der Wasserversorgung zu kämpfen hätten. Bagdad sei von Ausbrüchen von durch Wasser übertragenen Krankheiten betroffen. Das Trinkwassernetzwerk sei durch Abwasser kontaminiert. Kontaminierte Wasserversorgung und unsachgemäße Entsorgung von Abwasser würden Familien dazu zwingen, einen erheblichen Teil ihres Einkommens für die medizinische Behandlung und Wasser in Flaschen auszugeben. (World Bank, 31. Jänner 2018)
Das Enabling Peace in Iraq Center (EPIC) schreibt in einem Artikel über die Wasserkrise im Irak vom Juli 2017, dass das Trinkwasser oft von schlechter Qualität sei. Dies führe zur Verbreitung von durch Wasser übertragbaren Krankheiten wie Typhus, Ruhr, Hepatitis B und Cholera. Bagdad sei auch von dieser Wasserverschmutzung betroffen. In Bagdads Sadr City sei es zum Beispiel nur möglich, sauberes Wasser in Flaschen abgefüllt zu erhalten. Dies sei aber für viele der ärmeren EinwohnerInnen zu teuer. (EPIC, 18. Juli 2017)
Stromversorgung
Al-Jazeera zitiert in einem Artikel von 2018 EinwohnerInnen Bagdads, die regelmäßige Stromausfälle in der Hauptstadt beschreiben. Laut einer 42-jährigen Mutter von vier Kindern aus Shawaka gebe es in ihrem Stadtteil im Sommer nur zwei bis vier Stunden Strom pro Tag.
Die Häufung der Stromausfälle sei von Stadtteil zu Stadtteil unterschiedlich. Einige Haushalte würden nur vier Stunden Strom pro Tag erhalten, andere bis zu 20.
Einwohner, die es sich leisten könnten, würden daher auf Generatoren zurückgreifen. Ein Generator versorge 70 Haushalte. Der Generator schalte sich automatisch ein, sobald der Strom ausfalle. Laut dem Inhaber eines solchen Generators liefere der Generator zwischen 500 und 600 Ampere Strom pro Monat, wobei jedes Ampere für 25,000 Irakische Dinar (umgerechnet etwa 14,15 Euro, Anm. ACCORD) verkauft werde. Laut Al-Jazeera würde ein Haushalt durchschnittlich 125,000 Irakische Dinar (umgerechnet etwa 70,73 Euro, Anm. ACCORD) pro Monat ausgeben, um die Stromausfälle auszugleichen. Dies sei nicht für alle erschwinglich. (Al-Jazeera, 31. Juli 2018)
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund, UNICEF) und die Weltbank veröffentlichen im Juli 2020 eine Analyse der Auswirkungen von COVID-19 auf Armut im Irak. Die Armut sei 2020 um 11,7 Prozent auf 31,7 Prozent gestiegen, im Vergleich zu 20,0 Prozent aus den Jahren 2017-2018. Kinder unter 18 Jahren seien mit einer höheren Armutsrate von 37,9 Prozent konfrontiert. (UNICEF/World Bank, Juli 2020, S. 22)
Laut UNICEF und der Weltbank würden 42 Prozent der Bevölkerung in Hinblick auf mehr als einen der Aspekte des Vulnerabilitätsindex (Bildung, Gesundheit, Lebensbedingungen und finanzielle Sicherheit) Mängel aufweisen. Familien mit mehr als sieben Mitgliedern, insbesondere Familien mit mehr als einem Kind, würden mit mehr als 46 Prozent eine hohe Anfälligkeitsrate für Vulnerabilität aufweisen. (UNICEF/World Bank, Juli 2020, S. 23)
Quelle:
- ACCORD - Anfragebeantwortung zum Irak: Versorgungslage Bagdad (Lebensmittel, Wasser, Strom), Wohnungsmarkt, Schulbesuch [a-11469-2] (20.1.2021): https://www.ecoi.net/de/dokument/2045330.html , Zugriff 11.5.2021
Medizinische Versorgung
Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).
Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).
Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.1.2019). Für das Jahr 2020 werden in Flüchtlingslagern der kurdischen Gouvernements Dohuk und Sulaymaniyah erhebliche Lücken in der Gesundheitsversorgung erwartet, die auf Finanzierungsengpässe zurückzuführen sind (UNOCHA 17.2.2020).
EASO vertritt die Ansicht, dass angesichts der medizinischen Versorgung im Irak, welche insbesondere im urbanen Raum sichergestellt ist, nicht jede Person mit einer Gesundheitsbeeinträchtigung im Fall ihrer Rückkehr in den Irak automatisch dem Risiko ausgesetzt, einen ernsthaften Schaden im Sinne der Statusrichtlinie und somit einer Verletzung in ihren durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte zu erleiden. Vielmehr ist die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solchen Schadens anhand der individuellen Umstände, wie z. B. Alter oder Art. der geistigen oder körperlichen Gesundheitsbeeinträchtigung im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen (EASO 06/2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/ , Zugriff 13.3.2020
- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2 , Zugriff 13.3.2020
- UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf , Zugriff 13.3.2020
- UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (17.2.2020): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/humanitarian-bulletin-january-2020.pdf , Zugriff 13.3.2020
- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html , Zugriff 09.08.2021
Rückkehr
Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Kurdischen Region im Irak (KRI) finden regelmäßig statt. In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.1.2019).
Studien zufolge ist die größte Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017).
Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger (IOM 1.4.2019). Die Miete für 250 m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD (Anm.: ca. 296 EUR) (IOM 13.6.2018). Die Wohnungspreise in der KRI sind 2018 um 20% gestiegen, während die Miete um 15% gestiegen ist, wobei noch höhere Preise prognostiziert werden (Ekurd 8.1.2019). In den Städten der KRI liegt die Miete bei 200-600 USD (Anm.: ca. 185-554 EUR) für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 12 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 8-19 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 23-31 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000-60.000 IQD (Anm.: ca. 31-46 EUR) für privaten oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom. Die Rückkehr von IDPs in ihre Heimatorte hat eine leichte Senkung der Mietpreise bewirkt. Generell ist es für alleinstehende Männer schwierig Häuser zu mieten, während es in Hinblick auf Wohnungen einfacher ist (IOM 1.4.2019).
Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussen sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 12.2019).
Zur Lage in Mossul vom Jänner 2020 wird hinsichtlich Verfügbarkeit von Entschädigungsleistungen ausgeführt, dass Mietpreise explodiert seien und einige Menschen sich Häuser mit anderen Familien teilen müssten, um sich eine Unterkunft leisten zu können. Viele Menschen seien arbeitslos und könnten sich die Mieten nicht leisten, ihre eigenen Häuser seien aber noch nicht wiederaufgebaut. (MRG, 21. Jänner 2020, S. 16). Die Vereinten Nationen hätten seit 2018 2.000 Häuser, sowie Dutzende von Schulen, Gesundheitszentren und Wasser- oder Kraftwerke in Mossul wiederaufgebaut.
Im Zuge seines Rückzugs aus der nordwestlichen Region des Irak, 2016 und 2017, hat der Islamische Staat (IS) die landwirtschaftlichen Ressourcen vieler ländlicher Gemeinden ausgelöscht, indem er Brunnen, Obstgärten und Infrastruktur zerstörte. Für viele Bauerngemeinschaften gibt es kaum noch eine Lebensgrundlage (USCIRF 4.2019). Im Rahmen eines Projekts der UN-Agentur UN-Habitat und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) wurden im Distrikt Sinjar, Gouvernement Ninewa, binnen zweier Jahre 1.064 Häuser saniert, die während der IS-Besatzung stark beschädigt worden waren. 1.501 Wohnzertifikate wurden an jesidische Heimkehrer vergeben (UNDP 28.4.2019).
Es besteht keine öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrer. Private Immobilienfirmen können jedoch helfen (IOM 1.4.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- Ekurd Daily (8.1.2019): Property prices increasing in Iraqi Kurdistan after years of stagnation, https://ekurd.net/property-prices-kurdistan-2019-01-08 , Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/ , Zugriff 13.3.2020
- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2 , Zugriff 13.3.2020
- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile , Zugriff 13.3.2020
- IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635%20-%20Iraq_Returnees_Snapshot-Report%20-%20V5.pdf , Zugriff 13.3.2020
- REACH (30.6.2017): Iraqi migration to Europe in 2016: Profiles, Drivers and Return, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/reach_irq_grc_report_iraqi_migration_to_europe_in_2016_june_2017%20%281%29.pdf , Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
- UNDP - United Nations Development Programme (28.4.2019): UN-Habitat and UNDP Upscale Support on Housing Rehabilitation and Secure Tenure for the Returnees in Sinjar, https://www.iq.undp.org/content/iraq/en/home/presscenter/pressreleases/2019/04/28/un-habitat-and-undp-upscale-support-on-housing-rehabilitation-an.html , Zugriff 13.3.2020
Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 09.08.2021 00:00 Uhr, 659.091 bestätigte Fälle und 10.549 bestätigte Todesfälle gemäß EpiG (https://covid19-dashboard.ages.at/ ); im Irak wurden mit Stand 09.08.2021, 10:37 Uhr gesamt 1.704.363 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 19.146 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://covid19.who.int/region/emro/country/iq ).
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf. Dass einer der Beschwerdeführer derzeit an einer COVID-19-Infektion leiden oder im Hinblick auf eine etwaige Vorerkrankung zu einer vulnerablen Personengruppe gehören würde, wurde nicht vorgebracht. Bei jungen Menschen ohne Schwächung des Immunsystems verläuft eine Infektion mit COVID-19 zudem mit nur geringen Symptomen vergleichbar einer Grippe. Bei Personen in der Altersgruppe bis 39 Jahre ist die Sterblichkeit sehr gering und liegt unter 1%.
Aufgrund der weiterhin stark steigenden Infektionszahlen hat die irakische Regierung für 30.7. bis 9.8.2020 eine neuerliche komplette Ausgangssperre beschlossen (BMEIA 6.8.2020; vgl. GoI 27.7.2020; UNHCR 4.8.2020). Diese Einschränkungen gelten nicht für die KRI (BMEIA 6.8.2020).
Bereits im Juli 2020 gab das Gesundheitsministerium bekannt, dass die Krankenhäuser fast vollständig ausgelastet sind (IRC 2.7.2020). Es herrschen Engpässen bei der Versorgung mit Sauerstoff und mit Schutzausrüstungen (MEMO 3.8.2020).
Nachdem private Kliniken im Juli temporär geschlossen wurden (GoI 7.7.2020), erlaubt die irakische Regierung deren Wiedereröffnung, sofern sie die vom Gesundheitsministerium und dem irakischen Ärzteverband festgelegten Bedingungen erfüllen (GoI 27.7.2020).
Die Sicherheitskräfte sind angewiesen, die Richtlinien zur Schutzmaskenpflicht, zur sozialen Distanzierung und weitere umzusetzen, einschließlich der Verhängung von Geldstrafen und der Beschlagnahme von Fahrzeugen derjenigen, die gegen die Regeln verstoßen (GoI 27.7.2020; vgl. MEMO 3.8.2020).
Seit dem 23.7.2020 sind die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra wieder für kommerzielle Linienflüge geöffnet. Sämtliche Flughäfen wurden zuvor am 17.3.2020 geschlossen (Al Jazeera 23.7.2020; vgl. Rudaw 1.8.2020). Passagiere müssen vor dem Boarding einen negativen COVID-19 Test vorweisen (Al Jazeera 23.7.2020). Mit der Wiedereröffnung des Internationalen Flughafens Erbil (KRI) am 1.8. wird es auch wieder eine Luftverbindung zwischen Bagdad und Erbil geben (Rudaw 1.8.2020).
Seit Beginn des COVID-19-Ausbruchs im Irak im März 2020 gehören vertriebene Familien zu den am stärksten betroffenen Personen, auch durch sekundäre Auswirkungen, wie mangelnde Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu verdienen und sozioökonomische Folgendavon (UNHCR 4.8.2020).
Es gilt Schutzmaskenpflicht für sämtliche öffentliche Orte, wie Märkte, Restaurants und andere kommerzielle Einrichtungen, wie Firmen. Bei zuwiderhandeln drohen den Inhabern Geldstrafen und temporäre Zwangsschließungen. Auch Beerdigungen, Hochzeitsfeiern und andere gesellschaftliche Veranstaltungen sind unter Androhung von Geldstrafen verboten (Gov.KRD 5.8.2020; vgl. Rudaw 3.8.2020A). Kliniken und Labore bleiben per Verordnung für14 Tage geschlossen (Gov.KRD 5.8.2020). Um den steigenden Infektionszahlen im Gouvernement Erbil entgegenzuwirken wurden mittlerweile vier Krankenhäuser als alleinige COVID -19 Behandlungszentren deklariert (Rudaw 3.8.2020B).
Aktuelle Maßnahmen umfassen weiterhin ein Reiseverbot zwischen den kurdischen Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Dohuk und Halabja, sowie ein Reiseverbot innerhalb derselben, ausgenommen bei Notfällen und mit Sondergenehmigungen (Gov.KRD 5.8.2020; vgl. Rudaw 3.8.2020A; UNHCR 4.8.2020).
Der Grenzübergang Ibrahim Khalil zur Türkei wurde für den Zeitraum vom 4. bis zum 11.August COVID -19-anlassbezogen für den Personenverkehr geschlossen (Gov.KRD 5.8.2020; vgl. Garda 4.8.2020). Die Grenzübergänge Haji Omaran und Bashmakh zum Iran sind für Bürger der KRI, die heimkehren wollen geöffnet (Gov.KRD 5.8.2020).
Am 1.8.2020 nahmen die internationalen Flughäfen in Erbil und Sulaymaniyah wieder ihren Betrieb auf (Gov.KRD 5.8.2020; vgl. Rudaw 1.8.2020). Personen, die über die Flughäfen einreisen müssen jedoch auf eigene Kosten einen COVID -19-Test machen und sich zur Selbstquarantäne verpflichten, bei deren Verstoß sie mit einem Bußgeld bestraft werden.
Personen, die positiv auf COVID -19 getestet wurden und die die Quarantäne missachten müssen alle anfallenden medizinischen Kosten für evtl. infizierte Personen übernehmen und werden strafrechtlich verfolgt (Artikel 368-369 des geänderten Gesetzes 111 von 1969) (Gov.KRD 5.8.2020)
Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich im Irak nicht wesentlich verändert; bei bestimmten Gütern kam es jedoch zu standortspezifischen Preisschwankungen. In einer offiziellen Erklärung erklärte das Handelsministerium, dass der Mangel an finanziellen Zuweisungen die Fähigkeit des Ministeriums in Frage stelle, PDS-Güter (Public Distribution System) konsequent zu beschaffen (WFP 2.6.2020).
Quellen:
- WHO: Coronavirus Disease (Covid 19) Dashboard; https://covid19.who.int , Zugriff 09.08.2021
- AGES: COVID19 Dashboard; https://covid19-dashboard.ages.at , Zugriff 09.08.2021
- Al Jazeera (23.7.2020): Iraq resumes commercial flights despite rise in corona virus cases, https://www.aljazeera.com/news/2020/07/iraq-resumes-commercial-flights-rise-coronavirus-cases-200723120054091.html , Zugriff 6.8.2020
- BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (6.8.2020): Reiseinformation–Irak, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/irak/ , Zugriff 3.11.2020
- Garda (4.8.2020): Iraq: Kurdish Authorities close border with Turkey on August 4 due to COVID-19 /update 46, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/365991/iraq-kurdish-authorities-close-border-with-turkey-on-august-4-due-to-covid-19-update-46 , Zugriff 6.8.2020
- GoI - Government of Iraq (7.7.2020): Covid-19: Higher Committee for Health and National Safety announces new measures, https://gds.gov.iq/covid-19-higher-committee-for-health-and-national-safety-announces-new-measures/ , Zugriff 6.8.2020
- GoI - Government of Iraq (27.7.2020): Covid-19: Iraqi government imposes total curfew during Eid Al-Adha, permits reopening of private health clinics, https://gds.gov.iq/covid-19-iraqi-government-imposes-total-curfew-during-eid-al-adha-permits-reopening-of-private-health-clinics/ , Zugriff 6.8.2020
- Gov.KRD - Kurdistan Regional Government (5.8.2020): Situation Update Coronavirus (COVID-19), https://gov.krd/coronavirus-en/situation-update/ , Zugriff 6.8.2020
- IRC - International Rescue Committee (2.7.2020): Iraq: 600% rise in COVID-19 cases through June means urgent action is needed to slow the spread of the disease, https://www.rescue.org/press-release/iraq-600-rise-covid-19-cases-through-june-means-urgent-action-needed-slow-spread , Zugriff 6.8.2020
- MEMO - Middle East Monitor (3.8.2020): 'Total curfew': Coronavirus cases, deaths rise in Iraq, https://www.middleeastmonitor.com/20200803-total-curfew-coronavirus-cases-deaths-rise-in-iraq/ , Zugriff 6.8.2020
- Rudaw (1.8.2020): Commercial flights to and from the Kurdistan Region resume after months long ban, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/01082020 , Zugriff 6.8.2020
- Rudaw (3.8.2020A): Further travel, social restrictions announced in KRG lockdown update, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/030820201 , Zugriff 6.8.2020
- Rudaw (3.8.2020B): Major Erbil hospital to only treat coronavirus patients as cases surge, https://www.rudaw.net/english/lifestyle/03082020 , Zugriff 6.8.2020
- UNHCR (4.8.2020): IRAQ | UNHCR COVID-19 UPDATE, https://reporting.unhcr.org/sites/default/files/UNHCR%20Iraq%20-%20COVID-19%20Update%20-%2004-08-20.pdf , Zugriff 6.8.2020
- WFP - World Food Programme (2.6.2020): Iraq COVID-19 Food Security Monitor, Weekly Update – Issue 7, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/COVID%20Weekly%20Food%20Security%20Monitor%20Iraq_2June2020_EN_final%20draft.pdf , Zugriff 5.6.2020
Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände kann nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak für den Beschwerdeführer eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Es wird weiters festgestellt, dass im Irak für die Masse der Bevölkerung nicht im gesamten Staatsgebiet jene gemäß der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegt, welche die Rückkehr eines Fremden automatisch im Widerspruch zu Art. 2 oder Art. 3 EMRK erscheinen lässt (vgl. dazu VwGH vom 21.08.2001, 2000/01/0043). Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, wird eine in den Irak abgeschobene Person, bei welcher keine besonders berücksichtigungswürdigen Umstände vorliegen, durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine "unmenschliche Lage" versetzt.
Der Beschwerdeführer wird im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit keiner existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.
Es wurden zwischenzeitlich auch keine Anhaltspunkte dafür bekannt, wonach die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 50 FPG idgF in seinen Heimatstaat Irak unzulässig wäre.
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Zum Sachverhalt:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus den unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalten des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz, in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak samt den ergänzend eingebrachten Berichten, in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen sowie in seine Aussage in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht am 20.07.2021. Auskünfte aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister der Republik Österreich, dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) und dem AJ-WEB wurden ergänzend eingeholt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu seiner Person, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volljährigkeit, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinem Gesundheitszustand, seinem Familienstand, seinen Lebensumständen im Irak, seiner familiären Situation im Irak und Österreich und seiner Schulbildung und Arbeitserfahrung im Irak, beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften und gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht (OZ 11).
Seine Arbeitsfähigkeit gründet auf seinem gesundheitlichen Zustand in Verbindung mit dem Umstand, dass er erst vor kurzem ein selbständiges Gewerbe angemeldet hat und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu Protokoll gab, dass er nächsten Monat zu arbeiten beginnen wolle (S. 18 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11).
Die Feststellung zu seiner Identität ergibt sich aus der im Behördenakt einliegenden Kopie des im Original vorgelegten Reisepasses, des Personalausweises und des Staatsbürgerschaftsnachweises des Beschwerdeführers (AS 103ff).
Die Feststellungen zu seiner Fluchtroute und seinem Aufenthalt in Österreich lassen sich dem vorliegenden Verwaltungsakt sowie dem aktuellen ZMR-Auszug entnehmen.
Die Feststellung, dass die Familienangehörigen des Beschwerdeführers nach wie vor in seiner Heimatstadt Bagdad wohnhaft sind und Kontakt zu seiner Mutter und seiner Schwester besteht, lässt sich dem Protokoll der mündlichen Beschwerdeverhandlung (S. 4 und 16 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11) entnehmen. Dass der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügt, ergibt sich ebenfalls aus seinen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung.
Das Bestehen eines Bekanntenkreises in Österreich ergibt sich bereits aus der Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet sowie seinen vorgelegten Unterstützungserklärungen (Beilage A zur OZ 11, OZ 10 und AS 135f) und führte der Beschwerdeführer einen solchen in der Beschwerdeverhandlung selbst an. Aus dem Verwaltungsakt und sämtlichen Angaben des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren ergeben sich jedoch keine Hinweise darauf, dass er über ein darüberhinausgehendes, maßgebliches soziales Umfeld im Bundesgebiet verfügen würde. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten privaten Kontakte, selbst wenn sie objektiv vorhanden und für ihn subjektiv von Bedeutung sind, entsprechen nicht den Anforderungen an ein schützenswertes Privatleben im Sinne der EMRK, sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in Bezug auf die erforderliche Intensität. Seine privaten Kontakte, unter anderem ersichtlich aus den vorgelegten Unterstützungsschreiben, beziehen sich überwiegend auf Personen, welche ihn aufgrund seiner ehrenamtlichen Tätigkeiten bzw. Deutschkursbesuche kennen. Dies zeigen auch seine Ausführungen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wo er befragt zu den drei wichtigsten Bezugspersonen lediglich „ XXXX und XXXX und XXXX “ nannte, wobei es sich beispielsweise bei „ XXXX “ um seine frühere Nachbarin und Deutschlehrerin handelt. Auf die Frage des erkennenden Richters nach den gemeinsamen Aktivitäten mit diesen drei Personen führte der Beschwerdeführer lediglich unbestimmt gemeinsame sportliche Tätigkeiten und Hilfsdienste an, welche eine besondere Nahebeziehung nicht zu begründen vermögen (S. 19 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11). Auch in der Zeugeneinvernahme von M.H. im Rahmen der Beschwerdeverhandlung kamen keine Hinweise auf eine tiefergehende Freundschaft hervor (S. 21 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11).
Hinsichtlich der Integration des Beschwerdeführers in Österreich ist festzuhalten, dass im Verfahren keinerlei Hinweise dafür hervorkamen, dass er im Laufe seines Aufenthaltes entscheidungsrelevante integrative Schritte iSd Art 8 EMRK gesetzt hätte. Es wird vom erkennenden Richter dahingehend nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer zwar Deutschkenntnisse aufweist, diese jedoch - wie sich der erkennende Richter selbst im Rahmen der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte – nicht in berücksichtigungswürdiger Weise vorliegen und der Beschwerdeführer während der Verhandlung auf den anwesenden Dolmetscher angewiesen war.
Der Beschwerdeführer legte Teilnahmebestätigungen über verschiedene Deutschkurse der XXXX Volkshochschulen (OZ 9, AS 143, AS 145), Teilnahmebestätigungen betreffend Deutsch-Übungskurse beim XXXX Frauenverein datiert mit 30.09.2016 (AS 147 und 149), eine Teilnahmebestätigung über einen Deutschkurs von XXXX datiert mit 22.10.2015 (AS 151), eine Teilnahmebestätigung des Vereins XXXX datiert mit 10.04.2017 (AS 133), eine undatierte Urkunde der Stadt XXXX (OZ 9) sowie ein Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau A2 datiert mit 03.07.2021 (OZ 16) vor. In Bezug auf seine positiv absolvierte Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 wurde jedoch vom erkennenden Richter nicht verkannt, dass diese Deutschprüfung nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung (OZ 7) und damit in einem unmittelbaren zeitlichen Naheverhältnis zur mündlichen Verhandlung stattgefunden hat.
Die im Rahmen der mündlichen Verhandlung seitens des erkennenden Richters gestellte Frage, weshalb er bislang keine Deutschprüfung abgelegt habe, beantwortete der Beschwerdeführer wie folgt:
„Rl: Sprechen Sie deutsch?
BF: Ja.
Rl: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs bzw. welchen Deutschkurs haben Sie bereits besucht?
BF: Ich habe besucht, Deutschkurs A2. Ich habe schon gemacht Prüfung. Ich warte Antworten auf mein Zeugnis.
Der Rl ersucht den D wieder zu übersetzen.
Rl: Warum haben Sie erst jetzt den Deutschkurs A2 besucht?
BF: Ich habe davor in XXXX gewohnt. Die Ortschaft ist 14 km weit weg von XXXX . Ich habe versucht einen Deutschkurs in XXXX zu machen, aber die Teilnahme wurde abgelehnt, weil ich zur Gemeinde XXXX gehöre und nicht zur Gemeinde XXXX . Als ich umgezogen bin und in einem neuen Heim wohne, darf ich auch einen Deutschkurs besuchen.
Rl: Erklären Sie mir, weshalb Sie seit November 2019 keinen Deutschkurs A2 besucht und keine Deutschprüfung gemacht haben?
BF: Ich habe den Deutschkurs A2 zwei Mal besucht. Beim ersten Mal habe ich die Prüfung nicht bestanden. Jetzt besuche ich ihn wieder und mache die Prüfung.
Rl: Gibt es dazu Dokumente?
BF: Ich habe die Dokumente draußen in meinem Rucksack.
Rl: Wann haben Sie den Kurs das erste Mal gemacht und die Prüfung nicht bestanden?
BF: Das war 2019.
Rl: Und danach haben Sie bis 2021 gewartet?
BF: Ich habe mich vertan, das war 2020, jetzt haben wir 2021. Ich habe den Kurs 2020 besucht.
Rl: Haben Sie in Ihren sechs Jahren Aufenthalt überhaupt eine Deutschprüfung abgelegt? A1 oder so etwas?
BF: Ich habe bei der Einvernahme bei dem BFA eine Bestätigung vorgelegt, dass ich den Kurs gemacht habe, aber keine Prüfung.“ (S. 16f des Verhandlungsprotokolls in OZ 11)
Wie zuvor ersichtlich, antwortete der Beschwerdeführer ausweichend, ohne eine schlüssige Erklärung vorzubringen und ist hinsichtlich seines Vorbringens, seine Deutschkursteilnahme in XXXX sei abgelehnt worden, festzuhalten, dass der Beschwerdeführer gemäß einem aktuellen ZMR-Auszug bereits seit 25.11.2019 melderechtlich in XXXX erfasst ist, sodass ein früherer – zweiter – Prüfungsantritt jedenfalls möglich gewesen wäre. Zudem wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer auch in seinen früheren Wohnsitzgemeinden XXXX XXXX bzw. XXXX einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 besuchen hätte können, schließlich legte der Beschwerdeführer selbst im Rahmen dieses Asylverfahrens – wie zuvor ersichtlich - Unterlagen zu seiner Teilnahme an Deutschkursen in den Jahren 2015 bis 2017 vor.
Etwaige Mitgliedschaften in Vereinen wurden vom Beschwerdeführer selbst in der Verhandlung verneint (S. 20 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11). Hinsichtlich seiner sonstigen, teils ehrenamtlichen Tätigkeiten gründen die getroffenen Feststellungen zunächst auf den ausführlichen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und legte der Beschwerdeführer ansonsten folgende, sein Vorbringen unterstützende Unterlagen vor: Schulbesuchsbestätigung sowie Semesterzeugnisse der Schule für Sozialbetreuungsberufe des XXXX Caritasverbandes mit Öffentlichkeitsrecht (OZ 9), Bestätigungen des Gemeindeamts XXXX vom 17.10.2019, 20.09.2019 und 22.08.2019 (OZ 9), Praktikumsbestätigung der Caritas (OZ 9), Bestätigung des XXXX Frauenvereins datiert mit 15.04.2016 (AS 141).
Aus dem vorgelegten Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria vom 24.06.2021 (OZ 9) ergibt sich zweifelsfrei seine Gewerbeanmeldung. Der Beschwerdeführer schilderte dahingehend vor dem erkennenden Gericht glaubhaft, dass er zukünftig seinen Lebensunterhalt mit seiner selbständigen Tätigkeit verdienen wolle und legte unterstützend folgende Unterlagen vor: drei Angebotsdarlegungen datiert mit 20.06.2021, Auftragserteilung der XXXX datiert mit 09.07.2021, Angebotsbestätigung der XXXX datiert mit 12.07.2021 (Beilage A). Dahingehend ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei den Geschäftsführern bzw. Gesellschaftern dieser auftragserteilenden Unternehmen um Freunde des Beschwerdeführers handelt. Der Beschwerdeführer führte sie sogar – wie zuvor ersichtlich – in der Beschwerdeverhandlung unter seinen drei wichtigsten Bezugspersonen in Österreich an (S. 19 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11). Zudem führte der Beschwerdeführer selbst auf Nachfrage des erkennenden Richters an, dass er noch keine Steuernummer des Finanzamtes habe, wofür er jedoch keinen plausiblen Grund nennen konnte: „Ich habe den Antrag bekommen. Ich werde das nächsten Monat ausfüllen, wenn ich vom Heim ausgezogen bin. Ich habe einen Brief vom Finanzamt und der Sozialversicherung bekommen. Ich muss zuerst vom Heim ausziehen, damit ich weiter mit der Anmeldung fortfahren kann.“ (S. 18 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11) Eine tatsächliche berücksichtigungswürdige berufliche Integration sowie der tatsächliche Wille einer nachhaltigen selbständigen Erwerbstätigkeit kann somit nicht angenommen werden. Auch in der Zeugeneinvernahme vom M.H. kam hervor, dass es sich bei der selbständigen Tätigkeit des Beschwerdeführers um eine erst vor Kurzem entstandene Idee handelt, welche den Charakter einer unselbständigen Tätigkeit innehat. Außerdem besorgt der Beschwerdeführer laut Angaben von M.H. schon derzeit Reinigungsarbeiten in dessen Restaurant, dies ohne Steuernummer und trotz Erhalt der Grundversorgung (S. 22 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11).
Die Feststellungen zur mangelnden Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers in Österreich sowie zum Leistungserhalt der staatlichen Grundversorgung gründen auf einem Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom 20.07.2021 sowie der Einsichtnahme in die Datenbank der Sozialversicherungsträger vom 13.07.2021 und deckt sich dies mit seinen Angaben im Zuge der mündlichen Verhandlung vom 20.07.2021. Die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ergibt sich aus seiner festgestellten finanziellen Gesamtsituation. Soweit der Beschwerdeführer nunmehr nach Schluss der mündlichen Verhandlung verschiedene Bestätigungen über die Beendigung der Grundversorgung vom Land XXXX vorgelegt hat (OZ 15), ist darauf hinzuweisen, dass diese Dokumente in der Entscheidungsfindung nicht näher heranzuziehen sind bzw. auch sonst keine maßgebliche Relevanz für seine Integration in Österreich entfalten würden.
In einer Gesamtschau war aufgrund der vorherigen Ausführungen die Feststellung zu treffen, dass der Beschwerdeführer im Laufe seines Aufenthaltes keine entscheidungsrelevanten integrativen Schritte gesetzt hat. Der Beschwerdeführer führte auch keine weiteren Integrationsbemühungen in Österreich an, sodass sich letztlich aus dem gesamten Behörden - und Gerichtsakt keinerlei Merkmale für das Vorliegen einer seiner Aufenthaltsdauer entsprechenden und entscheidungsmaßgeblichen Integration in sprachlicher, beruflicher oder sozialer Hinsicht ergaben.
Seine strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus der aktuellen Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.
2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führte in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.07.2015 hinsichtlich seiner Fluchtgründe an, dass er Moslem/Sunnit sei und als Polizist gearbeitet habe. Die Schiiten hätten ihn töten wollen und Sunniten würden von den Schiiten regelrecht geschlachtet werden (AS 27).
In seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde vom 13.04.2017 erklärte er hinsichtlich seiner Fluchtgründe im Wesentlichen, dass er bei seiner Arbeit als Polizist in der Administration der Direktion für Zivilangelegenheiten gemeinsam mit einem Freund einen Anruf seines Vorgesetzten mitangehört hätte, bei welchem von einer Eroberung einer Ortschaft mit Kriegsfahrzeugen gesprochen worden sei. Aufgrund einer Anzeige des Gesprächsinhalts durch seinen Freund und Arbeitskollegen bei einem Bekannten im irakischen Parlament sei es zu zahlreichen Festnahmen von anderen Mitarbeitern dieser Abteilung gekommen. Aufgrund dessen werde nach ihm gesucht und sei sein Freund bereits umgebracht worden (AS 77ff).
Im angefochtenen Bescheid kam die belangte Behörde zum Schluss, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer im Irak asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche Verfolgung zukünftig zu befürchten hätte.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung schließt sich das erkennende Gericht den Ausführungen der belangten Behörde an und stimmt deren Beweiswürdigung dahingehend zu, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit abzusprechen ist. Der Beschwerdeführer vermochte eine Asylrelevanz in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht am 20.07.2021 (OZ 11) aus folgenden Gründen nicht glaubhaft zu machen:
Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).
Generell ist zur Glaubwürdigkeit eines Vorbringens auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der Beschwerdeführer sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen. Hingegen scheinen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn der Beschwerdeführer den seiner Meinung nach seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt. Weiteres Erfordernis für den Wahrheitsgehalt einer Aussage ist, dass die Angaben in sich schlüssig sind; so darf sich der Beschwerdeführer nicht in wesentlichen Passagen seiner Aussage widersprechen.
Es ist anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Eingangs ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes sein im weiteren Verlauf des Asylverfahrens zentral geltend gemachtes Fluchtvorbringen, wonach er ein geheimes Gespräch seines Vorgesetzten mitangehört hätte und er daraufhin als Zeuge aussagen hätte sollen, wodurch er einer Verfolgung durch schiitische Milizen ausgesetzt sei, sowie wegen seiner Desertion aus dem Polizeidienst vom irakischen Staat verfolgt werde, nicht einmal kurz umrissen zur Sprache brachte. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner mittlerweile gefestigten Rechtsprechung zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. VwGH 14.6.2017, Ra 2017/18/0001). Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof insofern aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 25.06.2019, Ra 2018/19/0546; 21.11.2019, Ra 2019/14/0429).
Dem erkennenden Gericht erschließt sich nicht, weshalb der Beschwerdeführer derart relevante Ereignisse wie das Mitanhören eines brisanten Gespräches seines Vorgesetzten sowie seine angedachte Zeugenschaft und die Verfolgung wegen seiner Desertion nicht bei der erstmaligen Schilderung seiner Fluchtgründe kurz erwähnte und somit in der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes lediglich eine allgemeine Verfolgung durch Schiiten aufgrund seiner Zugehörigkeit zum sunnitischen-muslimischen Glaubens zu Protokoll gab. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber bei Antragstellung jedenfalls bemüht ist, zur Untermauerung einer bestehenden Verfolgungsgefahr sämtliche gravierenden Vorfälle im Herkunftsstaat – wenn auch nur kurz umrissen – zur Sprache zu bringen. Die völlige Nichterwähnung derart asylrelevanter Umstände lässt somit bereits eingangs an der Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens sowie der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zweifeln.
Zudem wollte der Beschwerdeführer bereits zu Beginn seiner Einvernahme im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu seinen Fluchtgründen (S. 4f des Verhandlungsprotokolls in OZ 11) verschiedene seiner vor der belangten Behörde protokollierten Aussagen, wie nachfolgend aufgezeigt, revidieren bzw. ändern:
„Rl: Sie wurden bereits vom Bundesamt zu Ihren Fluchtgründen befragt. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein. Erinnern Sie sich noch an Ihre Angaben und halten Sie diese aufrecht? Oder wollen Sie etwas ergänzen oder berichtigen?
BF: Ein paar Kleinigkeiten möchte ich ausbessern. Ich will nicht behaupten, dass die Dolmetscherin mich nicht verstanden hat. Ich habe irakischen Dialekt gesprochen und sie war Marokkanerin, das Gesamtbild ist nicht rübergekommen.
RI: Was wollen Sie ändern?
BF: Ich habe in der Generaldirektion für Innere- und Sicherheitsangelegenheiten gearbeitet und nicht für Sozialangelegenheiten, so wie es im Protokoll steht. Sie hat es nur als Ruhestätte erwähnt und nicht um eine heilige Stätte der Schiiten. Es handelt sich um einen sehr heiligen Platz der Schiiten. Es steht auch, dass ich als einziger Sunnit im Innenministerium angestellt war, aber das stimmt nicht. Ich war der einzige Sunnit in der Abteilung. Das war alles.“
Dahingehend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer bereits zu Beginn der niederschriftlichen Einvernahme vom Leiter der Amtshandlung gefragt wurde, ob er den Dolmetscher gut bzw. sehr gut verstehe, und erklärte der Beschwerdeführer ausdrücklich seine Zustimmung zur Dolmetscherin (AS 77). Außerdem benannte er keinerlei Einwände gegen eine der anwesenden Personen und ergibt sich nach einer Durchschau seiner protokollierten Angaben kein Hinweis auf eine problematische Verständigung mit der Dolmetscherin. Zudem wurde der Beschwerdeführer am Ende der Einvernahme ein weiteres Mal gefragt, ob er die Dolmetscherin während der gesamten Einvernahme einwandfrei verstanden habe, und wurde dies vom Beschwerdeführer bejaht (AS 92). Dem Beschwerdeführer wurde überdies das gesamte Protokoll seiner Einvernahme rückübersetzt und bestätigte er nach einer geringfügigen Korrektur (AS 94) mit seiner Unterschrift die Richtigkeit des gefassten Protokolls. Etwaige nachträgliche Einwände gegen das Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme am 13.04.2017 gehen somit nach Ansicht des erkennenden Richters ins Leere und vermögen ohnedies keine Relevanz für die Beurteilung seines Fluchtvorbringens zu entfalten.
Hinsichtlich seiner Fluchtgründe führte der Beschwerdeführer daran anschließend in der mündlichen Beschwerdeverhandlung auf S. 5 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11 auszugsweise an wie folgt:
„RI: Hat es eine persönliche Bedrohung gegen Sie gegeben, wenn ja, von wem erfolgte diese bzw. wann und wie wurden Sie persönlich bedroht?
BF: Als wir als Zeugen gegen Leutnant XXXX ausgesagt haben, waren wir zu Zweit. Ich und ein Freund von mir. Ich habe dann gehört, dass der Freund getötet wurde. So war ich dann der einzige Zeuge. Als ich davon gehört habe, habe ich das Haus sofort verlassen. Es waren Personen in Militäruniform und in Zivil bei mir zuhause. Ich war aber nicht mehr zuhause. Sie haben meine Mutter gefragt wo ich bin, sie hat gesagt, dass ich schon in der Arbeit bin.
RI: Vor wem haben Sie als Zeuge ausgesagt?
BF: Operations/Direktion in Sammara.
RI: Wann war das?
BF: Sie haben uns am 11.06.2015 geladen um eine Aussage zu machen. Ich hatte Urlaub an dem Tag. Mein Freund wurde auf dem Weg dorthin getötet.
RI: Haben Sie nun gegen diesen XXXX ausgesagt oder nicht?
BF: Telefonisch haben wir eine Anzeige gemacht, gegen jemanden der im Parlament arbeitet. Aufgrund dessen wurde er verhaftet und man hat uns gebeten um eine persönliche Aussage zu machen.
RI: Haben Sie die Aussage gemacht oder nicht?
BF: Telefonisch habe ich das gesagt, mein Freund auch. Wir haben das beide gesagt, aber der Freund hat dort angerufen und gefragt worum es geht. Er wurde gefragt ob es andere Zeugen gibt, das beantwortete er mit ja. Deshalb wurde ich auch als Zeuge geladen.
RI: Mit wem haben Sie denn da am Telefon geredet?
BF: Das ist ein Büro in der Operationsdirektion in Sammara.“
Wie aus den zitierten Antworten des Beschwerdeführers im Rahmen der Beschwerdeverhandlung ersichtlich wird, war es ihm nicht möglich, schlüssige Ausführungen zur behaupteten Verfolgungsgefahr zu tätigen und konnte er die Geschehnisse offensichtlich nicht in stringenter Form im Rahmen einer freien detaillierten Erzählung wiedergeben. So erwähnte er weder die Vorkommnisse rund um das belauschte Gespräch seines Vorgesetzten, noch machte er Angaben zum Inhalt dieses Gesprächs. Er begann vielmehr seine Erzählung damit, dass er gemeinsam mit einem Freund als Zeuge ausgesagt habe. Erst auf Nachfrage des erkennenden Richters, vor wem er denn ausgesagt hätte, nannte er – in unbestimmter Weise – ein Büro in der „Direktion in Sammara“. In weiterer Folge erklärte er wiederum, erst auf dem Weg zu seiner Aussage gewesen zu sein, und auf weitere Nachfrage, nur „telefonisch ausgesagt“ zu haben. Es erscheint jedoch weder schlüssig noch nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer – trotz mehrfacher Nachfragen – weder die zuständige Stelle noch eine bestimmte Person, mit welcher er telefoniert habe bzw. vor welcher er aussagen hätte sollen, konkret angeben konnte.
Zudem gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er und sein Freund zu einer Aussage am 11.06.2015 geladen und sein Freund auf dem Weg dorthin getötet worden sei. Dass der Beschwerdeführer davon so rasch erfahren habe können, sodass er seiner Ladung am selben Tag nicht mehr nachgekommen sei, lässt ebenfalls die notwendige Nachvollziehbarkeit einer freien Erzählung der Fluchtgeschichte vermissen. Zudem führte der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde dazu abweichend an wie folgt: „Am 11. Juni 2015 rief mich ein Freund von mir an. Dieser Freund sagte mir, dass wir zur Direktion gehen müssen, weil sie uns als Zeuge bräuchten. Ich ging zu meinem Freund und ich hörte in seinem Haus Schreie und Weinen und ich erfuhr von seiner Familie, dass er umgebracht wurde. Dieser Freund war ein Nachbar von mir. (AS 85)“ Dass sein Freund auf dem Weg zu seiner Aussage getötet worden sei, führte der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme nicht an, wohingegen er in der Beschwerdeverhandlung verschwieg, wie er vom Tod seines Freundes erfahren und dass es sich zugleich um seinen Nachbar gehandelt habe. Im Beschwerdeschriftsatz wurde wiederum erklärt, dass sein Freund sich unterwegs noch zu seinem Vorgesetzten begeben habe und dort ermordet worden sei (AS 272). Es mangelte somit nach einer Gesamtschau seiner diesbezüglichen Angaben im Asylverfahren an einer stringenten Erzählung seiner Erlebnisse.
Hinsichtlich der Frage zur erlebten persönlichen Bedrohung vermochte der Beschwerdeführer ebenfalls keine schlüssigen Ausführungen zu tätigen. So führte er in der Beschwerdeverhandlung auf S. 5f an wie folgt:
„RI: Und von wem wurden Sie nun persönlich bedroht?
BF: Von den Milizen, die gerade die Region unter Kontrolle haben.
RI: Wie hat diese persönliche Bedrohung gegen Sie ausgesehen?
BF: Ich wurde mit dem Tod bedroht. Mein Freund wurde getötet, somit war ich der einzige Zeuge. Deshalb wurde ich mit dem Tod bedroht.
RI: Schildern Sie mir das genauer, wie hat diese Bedrohung konkret ausgesehen?
BF: Ich verstehe die Frage nicht.
Der RI wiederholt die Frage.
BF: Ich habe die Bedrohung direkt über das Telefon bekommen.
RI: Wann genau war das?
BF: So genau weiß ich das nicht mehr, aber es war kurz bevor ich ausgereist bin.
RI: Wie viel Zeit verging zwischen dem Vorfall und Ihrer Ausreise?
BF: Genau weiß ich es nicht mehr aber ca. ein Monat, ein bisschen mehr als ein Monat.
RI: Wann war der Vorfall mit Ihrem Vorgesetzten?
BF: So ungefähr im April 2015.“
Trotz expliziter Frage nach der erlebten persönlichen Bedrohung vermochte es der Beschwerdeführer nicht, konkrete Aussagen zu treffen und nannte er im vorliegenden Fall ebenso keinerlei Details zu dieser telefonischen Bedrohung, weder zum Inhalt, noch zum Anrufer oder zur zeitlichen Einordnung. Demgegenüber entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Menschen über persönlich Erlebtes detailreich, unter Angabe der eigenen Gefühle und unter spontaner Rückerinnerung an unwesentliche Details und Nebenumstände berichten. Beim Erzählen der eigenen Lebensgeschichte ist zu erwarten, dass der Erzählende nicht nur Handlungsabläufe schildert, sondern sich selbst in die Schilderung einbaut; dass eigene Emotionen, Erlebniswahrnehmung und Verhalten zu erklären versucht werden; dass Dialoge und Interaktionen mit anderen Personen geschildert werden. Dies gilt insbesondere bei derart prägenden Ereignissen, die so gravierend auf die Lebenssituation eines Menschen einwirken, dass dieser sich letztlich veranlasst sieht, sein Heimatland zu verlassen.
Zudem ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im vorangegangen Behördenverfahren zu keinem Zeitpunkt erwähnte, dass der persönlich mit einem telefonischen Drohanruf durch Unbekannte konfrontiert gewesen sei. Vielmehr antwortete er auf die explizite Frage in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde, ob er somit niemals persönlich bedroht worden sei (AS 87), mit den Worten: „Das stimmt, ich wurde nicht persönlich bedroht.“ Sein Vorbringen erfuhr im Rahmen seiner Aussage vor dem erkennenden Gericht somit eine nicht vernachlässigbare Steigerung, welche in die ganzheitliche Beurteilung der Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens einzufließen hat.
Des Weiteren war es dem Beschwerdeführer bis zuletzt anscheinend nicht möglich, nähere Details zu seinen Verfolgern anzugeben. Vielmehr begnügte er sich in seinen Angaben im Asylverfahren mit der Behauptung einer Bedrohung durch „Milizen, die gerade die Region unter Kontrolle haben“ (S. 6 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11), ohne die jeweiligen Personen bzw. den Namen der Gruppierung konkret zu nennen. Für das erkennende Gericht erscheint es äußerst zweifelhaft, dass dem Beschwerdeführer der Name der ihn bedrohenden Gruppierung nicht bekannt sein solle, schließlich habe diese Gruppe nach Angaben des Beschwerdeführers seinen Freund getötet, ihn telefonisch bedroht und ihn zur Flucht aus dem Irak bewogen.
Ein weiteres Augenmerk ist auf die zeitliche Abfolge seines Fluchtvorbringens zu legen. So erklärte er zunächst in der Beschwerdeverhandlung, wie bereits zuvor angeführt, dass er im April 2015 das Gespräch seines Vorgesetzten gehört hätte und etwa Mitte Mai (einen Monat vor seiner Ausreise) telefonisch bedroht worden sei. Am 11.06.2015 sei er sodann als Zeuge geladen gewesen und sei an diesem Tag sein Freund getötet worden. Am 14.06.2015 habe er letztlich den Irak verlassen. Am Ende der Befragung des Beschwerdeführers wurde seinem Rechtsvertreter die Möglichkeit gewährt, Fragen an den Beschwerdeführer zu stellen, und führte dieser aus wie folgt:
„RV: Sie sagten vorher, dass ein Monat bis zur Ausreise vergangen ist. Von welchem Zeitpunkt sind Sie ausgegangen?
BF: Mitte April 2015, sagte ich.
RV: Welcher Vorfall fand da statt?
BF: Der Vorfall war, weil mein Freund getötet wurde. “ (S. 8 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11)
Somit erklärte der Beschwerdeführer diametral zu seinen vorherigen Angaben, dass sein Freund bereits Mitte April getötet worden sei und er erst einen Monat nach diesem Vorfall seinen Herkunftsstaat verlassen habe. Die nunmehr angegebene zeitliche Abfolge der Geschehnisse lässt sich mit den von ihm zuvor gemachten Ausführungen nicht in Einklang bringen, sodass sich der Eindruck aufdrängt, dass es sich beim Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers um eine konstruierte Geschichte handelt, bei welcher es dem Beschwerdeführer schwerfällt, eine gleichbleibende zeitliche Einordnung von Geschehnissen anzugeben.
Im Anschluss an die zuvor zitierte Befragung durch seinen Rechtsvertreter wurde dem Beschwerdeführer das bisherige Protokoll der mündlichen Beschwerdeverhandlung rückübersetzt und wurden keine Einwendungen erhoben. Erst nach der Verhandlungsunterbrechung für eine Pause und dortiger Beratung des Beschwerdeführers mit seinem Rechtsvertreter beantragte der Rechtsvertreter, eine zusätzliche Frage zum chronologischen Ablauf des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers zu stellen, da der Beschwerdeführer aufgrund der Stresssituation einem offensichtlichen Missverständnis unterlegen sei (Beschwerdeverhandlung auf S. 8 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11). Dem Antrag des Rechtsvertreters wurde jedoch durch den erkennenden Richter keine Folge gegeben, da dies dem Zweck einer mündlichen Befragung durch den erkennenden Richter widersprechen würde. Eine solche ist schließlich dafür dar, den Sachverhalt bzw. die erlebte Bedrohungssituation eines Asylwerbers anhand dessen eigenen Wahrnehmungen und Ausführungen zu ergründen. Die Glaubhaftmachung eines asylrelevanten Sachverhaltes liegt schließlich im Verantwortungsbereich des Asylwerbers. Eine zusätzliche Fragestellung durch den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit dem Ziel, einen innerhalb einer Einvernahme entstandenen Widerspruch aufzulösen, konnte daher nach erfolgter Rückübersetzung sowie nach einer Beratung außerhalb der Verhandlung nicht zugelassen werden. Es erscheint sohin naheliegend, dass der Beschwerdeführer nach seiner Beratung in der Verhandlungspause eine mit seiner Rechtsvertretung abgesprochene Antwort zu Protokoll geben wollte und ist auch dieser Umstand für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit seiner Fluchtgeschichte nicht außer Acht zu lassen.
Der Beschwerdeführer machte mit diesem Vorbringen keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung geltend und stellt – unter Wahrstellung seines Vorbringens – auch das Nichtnachkommen einer Zeugenladung in seinem Herkunftsland keinen asylrelevanten Sachverhalt dar. Außerdem kam im Verfahren mangels eines schlüssigen Aussageverhaltens des Beschwerdeführers nicht hervor, aus welchem Grund er davon ausgehe, dass er nunmehr sechs Jahren nach seiner Ausreise nach wie vor als Zeuge auftreten und daher von unbekannten Milizen verfolgt werden sollte.
Im Allgemeinen kann es auch nicht als Aufgabe des erkennenden Richters gesehen werden, jede seiner Angaben bzw. Andeutungen durch mehrmaliges Nachfragen zu konkretisieren, sondern liegt es am Beschwerdeführer ein detailliertes und stimmiges Vorbringen zu erstatten, um die nötige Glaubwürdigkeit zu erlangen. Auch der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Ansicht, dass es einem Asylwerber obliegt, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (VwGH 20.1.1993, 92/01/0752; 19.5.1994, 94/19/0465 mwN.) und dass weder die erstinstanzliche Behörde noch das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet ist, den Antragsteller derart anzuleiten, dass sein Antrag von Erfolg gekrönt sein muss.
Den Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach ihm im Falle einer Rückkehr eine Festnahme aufgrund des Verlassens seines Dienstpostens und in weiterer Folge eine Haftstrafe nach einem Strafverfahren drohen würde, konnte ebenso kein Glaube geschenkt werden. Selbst aufgrund seiner dahingehend gleichbleibenden Angaben im Asylverfahren sowie der vorgelegten Polizeidienstausweise und der Meldekarte, wobei dahingehend keine Überprüfung einer allfälligen Echtheit dieser Unterlagen möglich ist und die Möglichkeit der Beschaffung von gefälschten Dokumenten dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes entspricht, ergibt sich auch bei Wahrunterstellung seiner Tätigkeit als Polizist, aus der Sicht des erkennenden Gerichtes aus folgenden Gründen keine Asylrelevanz:
So führte er in der Beschwerdeverhandlung auf S. 6f des Verhandlungsprotokolls in OZ 11 wie folgt an:
„RI: Haben Sie jemals persönlich Probleme mit Behörden oder der Polizei gehabt oder wurden Sie von staatlicher Seite persönlich bedroht?
BF: Ja, ein Festnahmebefehl wurde gegen mich erlassen, weil ich das Land verlassen habe aber noch Beamter war. Meine Dienstausweise habe ich bei mir gelassen, da wartet auch ein Verhör auf mich.
RI: Können Sie mir diesen Festnahmeauftrag vorlegen?
BF: Ich habe versucht den Haftbefehl zu bekommen, aber ich habe es nicht geschafft. Ich habe auch zu niemandem mehr Kontakt, der mir den besorgen könnte.“
Damit war der Beschwerdeführer aber nicht in der Lage, sein Vorbringen so zu schildern, dass es den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung entspricht. Der Beschwerdeführer legte insbesondere keinerlei Beweismittel wie einen offiziellen Haftbefehl vor, die geeignet wären, sein diesbezügliches Fluchtvorringen zu belegen. Es wäre jedoch zu erwarten, dass er sich intensiv um die Beschaffung solcher bemühen würden, sofern das Fluchtvorbringen zuträfe, zumal er nach wie vor über Familienangehörige im Irak und regelmäßigen Kontakt zu seiner Mutter und seiner Schwester im Irak verfügt (S. 16 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11). Auf Nachfrage des erkennenden Richters, woher er die Information zu seinem Haftbefehl habe, erklärte er: „Weiß ich nicht, aber das ist das Gesetz. Das Gesetz sieht vor, dass wenn man das Land für 14 Tage verlässt, wird nach dieser Person gesucht und nach einem Monat wird diese Person verhaftet (S. 7 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11).“ Somit revidierte er im Laufe der Beschwerdeverhandlung selbst seine vorige Angabe des Bestehens eines offiziellen Haftbefehls gegen seine Person.
Auf die Frage des erkennenden Richters, ob seine Familie Probleme mit staatlichen Behörden oder der Polizei wegen seiner Ausreise gehabt habe, bejahte der Beschwerdeführer zunächst nur und erklärte anschließend auf erneute Nachfrage: „Mein Bruder ist aufgrund meiner Geschichte nach Europa gegangen und das Haus wird immer wieder durchsucht. Meine Mutter ist inzwischen krank aufgrund der Geschehnisse. Sie hat immer gesagt, ich bin nicht mehr da und ich bin außerhalb des Iraks.“ Wie schon vor der belangten Behörde ausgesagt, vermag die abermals getätigte unbestimmte Angabe, das Haus seiner Familie werde immer wieder durch unbekannte Männer durchsucht, keine tatsächliche Verfolgungshandlung gegen seine Person zu begründen, da es an der erforderlichen Schlüssigkeit und Detailliertheit mangelt. Der Beschwerdeführer war ebenso nicht in der Lage glaubhaft zu machen, wie es ihm möglich gewesen sein soll, legal per Flugzeug in die Türkei auszureisen, wenn gegen ihn ja ein offizieller Haftbefehl vorliegen solle und sein Name auf allen Kontrollpunkten und Flughäfen im ganzen Land bekannt sei (S. 7 des Verhandlungsprotokolls in OZ 11).
Überdies rechtfertigt die Verweigerung der weiteren Tätigkeit als Polizist für sich allein grundsätzlich nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling. Der VwGH geht von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung nur in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv angeführten Gründe erfolgt, in denen der Asylwerber damit rechnen müsste, dass er hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Polizeidienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, dass dem Asylwerber eine im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen härtere Bestrafung wegen Dienstverweigerung droht (vgl. VwGH 11.10.2000, 2000/01/0326 zur Wehrdienstverweigerung).
Es kann auch der Gefahr einer allen Dienstverweigerern im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Aktionen kann auch eine "bloße" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (Hinweis E vom 27. April 2011, 2008/23/0124, mwN). Gemäß Art. 3 MRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat unmenschliche oder erniedrigende Haftbedingungen wiederholt unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 MRK gewürdigt (vgl. VwGH 23.01.2019, Ra 2019/19/0009).
Nach Angaben des Beschwerdeführers war er zwischen 2008 und 2014 als Polizist mit administrativen Aufgaben beschäftigt. Der Beschwerdeführer führte weder vor der belangten Behörde noch in der Beschwerde oder in der mündlichen Verhandlung am 20.07.2021 an, dass er sich dem Polizeidienst wegen seiner politischen oder religiösen Überzeugungen entzogen habe. Auch wurde nicht vorgebracht, dass Dienstverweigerern von Seiten des irakischen Staates eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werde. Dies ergibt sich auch nicht aus den Länderfeststellungen.
Wie bereits ausgeführt, ist nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr mit einer Strafe rechnen müsste. Eine allfällige Strafdrohung kann aber zudem nicht als unverhältnismäßig angesehen werden; die Strafe für das „Verbrechen der Abwesenheit“ besteht laut diesbezüglich unbestrittenen Länderfeststellungen in Gehaltsabzügen. Ansonsten ist das dauerhafte Ausscheiden aus dem Polizeidienst jederzeit ohne Angaben von Gründen möglich, sodass die Nichterscheinung zum Dienst eine Suspendierung unter Verlust aller staatlicher Rechte nach sich zieht. Somit kann nicht von einer unverhältnismäßigen Bestrafung des Fernbleibens vom Dienst im Irak ausgegangen werden. Es liegen auch insbesondere keine Informationen dahingehend vor, dass vom Dienst ferngebliebene Polizisten von einer systematischen Inhaftierung betroffen wären. Vielmehr zeichnet sich in den eingeholten Länderberichten ab, dass seitens der Behörden tendenziell auf die Wiedereingliederung gesetzt wird und eine systematische Strafverfolgung nicht stattfindet. Im gegenteiligen Fall wäre von der Auffindbarkeit entsprechender Informationen auszugehen, zumal gerade in Bagdad nunmehr eine stabile Situation vorherrscht und die Verbreitung von Nachrichten sichergestellt ist, darüber hinaus sind in diesem Gebiet auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen tätig. Vielmehr ergibt sich aus den Länderberichten, dass eine Entscheidung aus dem Jahr 2016 die juristische Verfolgung von sämtlichen Sicherheitsbeamten einstellte und ihnen allgemeine Amnestie gewährte (siehe unter Punkt 1.3.).
Die Ausführungen des Beschwerdeführers im Zuge der mündlichen Verhandlung am 20.07.2021 waren somit nicht geeignet, die erheblichen Zweifel an der behaupteten Verfolgung aus dem Weg zu räumen. Das Vorbringen in der Beschwerdeverhandlung weist in seiner Gesamtheit, insbesondere auch in Bezug auf die behauptete drohende Verfolgung im Rahmen der freien Schilderung bei weitem nicht die Realkennzeichen eines wahrheitsgemäßen Vorbringens auf. Insbesondere bliebt der Beschwerdeführer jegliche Interaktionsschilderung bzw. Wiedergabe von Gesprächen die Schilderung ausgefallener und nebensächlicher Einzelheiten schuldig. Beim Erzählen der eigenen Lebensgeschichte samt Bedrohungssituationen ist zu erwarten, dass der Erzählende nicht nur Handlungsabläufe schildert, sondern sich selbst in die Schilderung einbaut; dass eigene Emotionen, Erlebniswahrnehmung und Verhalten zu erklären versucht werden. Es ist damit nicht feststellbar, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr wie auch immer geartete Verfolgungshandlungen zu befürchten hätte.
Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass aufgrund der sunnitischen Konfession des Beschwerdeführers ebenfalls keine Verfolgungsgefahr zu erkennen ist. Eine systematische Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Minderheit durch die schiitische Mehrheitsbevölkerung kann dessen ungeachtet angesichts der Quellenlage nicht nachvollzogen werden, was sich auch daraus ergibt, dass einige nahe Familienangehörige des Beschwerdeführers, welche wohl auch Sunniten/Sunnitinnen sein müssen, sich nach wie vor im Irak aufhalten. Hinzu kommt, dass ausweislich der Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak hohe Staatsämter, etwa jenes des Parlamentspräsidenten, auch von Sunniten bekleidet werden, was auch gegen eine Verfolgung sämtlicher Angehöriger des sunnitischen Religionsbekenntnisses im Irak und somit gegen eine Gruppenverfolgung spricht (vgl. VwGH 25.4.2017, Ra 2017/18/0014; 29.06.2018, Ra 2018/18/0138).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des VwG bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 18.05.2020, Ra 2019/18/0503). Aus dem Fluchtvorbringen ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gegenständlichen Zeitpunkt mit einer Verfolgungshandlung im Sinne der zuvor genannten Judikatur rechnen müsste und ergibt sich in einer Gesamtschau nicht, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise eine derart exponierte Stellung innegehabt hätte, woraus sich im Falle seiner Rückkehr zwangsläufig die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung seiner Person ableiten lässt.
Zusammengefasst ergab sich aus den vorangegangenen Ausführungen, dass der Beschwerdeführer im Irak nicht aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde, sodass eine asylrelevante Verfolgung nicht angenommen werden konnte.
Zur Rückkehrgefährdung wird grundsätzlich ausgeführt, dass nach dem Sieg über den Islamischen Staat von einer eindeutigen Verbesserung der Sicherheitslage im Irak ausgegangen werden kann.
Generell ergibt sich zudem aus den unter Punkt II.1.3. vorzitierten Quellen und Berichten eine deutliche Entspannung der Sicherheitslage und der allgemeinen Lage im Irak und stellt sich in Anbetracht der mittlerweile seit der militärischen Niederlage des Islamischen Staates im Sommer 2017 vergangenen Zeit von etwa vier Jahren die Prognose im Hinblick auf die Sicherheitslage außerdem als stabil dar. Es ist nach der weitgehenden Ausschaltung des IS und der Etablierung erster Schritte einer politisch wie ethnisch ausgewogeneren Regierung von einem Konsolidierungsprozess der Ordnung auszugehen, sodass die allgemeine Lage, die Sicherheitslage, aber auch die humanitäre und wirtschaftliche Lage im Irak zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr mit der Situation im Jahr 2014/2015, als der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat verlassen hatte, vergleichbar ist. Die Zahl der im Irak durch Gewalt ums Leben gekommenen ist in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2020 gab es nach vorläufigen Schätzungen bis einschließlich September nur noch 704 zivile Todesopfer im Irak. Insgesamt verzeichnet der Irak gegenwärtig somit die niedrigste Zahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II.1.3.).
Im Oktober 2019 gab es in Teilen des Iraks, insbesondere auch in Bagdad, Demonstrationen gegen die aktuelle Regierung. Aufgrund des restriktiven Vorgehens der Sicherheitskräfte wurden zahlreiche Anhänger der Protestbewegung getötet. Daraus ergibt sich aber keine konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers, der nie vorgebracht hatte, sich oppositionspolitisch zu betätigen. Die Sicherheitslage in Bagdad ist grundsätzlich stabil und es ist infolge der militärischen Niederlage des Islamischen Staates und dem weitgehenden Ende offener Kampfhandlungen ein gravierender Rückgang der sicherheitsrelevanten Vorfälle und der damit einhergehenden zivilen Opfer eingetreten.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage in Bagdad dargestellten Gefahrendichte nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in Bagdad davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlages, krimineller Aktivtäten oder von Polizeigewalt bei Demonstrationen und Ausschreitungen werden würde (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 zur Lage in Bagdad). Entsprechendes gilt für die Gefährdung durch verbliebene Kampfmittel und Blindgänger.
Das Gouvernement Bagdad steht seit etwa Mitte des Jahres 2017 unter der stabilen Kontrolle verschiedener irakischer Sicherheitsakteure, insbesondere der irakischen Armee, lokaler Polizeikräfte und verschiedener PMF-Milizen unterschiedlicher religiöser und ethnischer Herkunft. Gleichwohl verfügt der Islamische Staat über Rückzugsgebiete in den ländlichen Gebieten des Gouvernements und ist in den Nachtstunden aktiv. Des Weiteren ist nicht auszuschließen, dass die Milizen des Islamischen Staates weiterhin etwa durch Schläfer im gesamten Stadtgebiet von Bagdad und in ländlichen Gegenden des Gouvernements Bagdad in der Lage sind, Anschläge oder anderweitige terroristische Aktivitäten durchzuführen. Dessen ungeachtet können die Milizen des Islamischen Staates in jenen Gebieten nicht mehr offen operieren, die von irakischen Sicherheitskräften zurückerlangt wurden, sodass dort aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nur mehr mit Untergrundaktivitäten von Anhängern des Islamischen Staates und damit einhergehenden terroristischen Anschlägen zu rechnen ist, wie sie in den Feststellungen zur Lage in Bagdad dargestellt sind.
Auch in Salah ad-Din hat sich die Situation im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Land in den Jahren 2018 und 2019 weitestgehend stabilisiert. Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle, sowie der dabei getöteten Zivilisten in Salah ad-Din ist zuletzt stetig (weiter) gesunken, sodass eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Salah ad-Din aufgrund seiner bloßen Präsenz Opfer von terroristischen Anschlägen oder kriminellen Aktivitäten werden würde, in Anbetracht der Feststellungen zur Sicherheitslage nicht erkannt werden kann, zumal der Anzahl der zivilen Opfer die Bevölkerungszahl in Salah ad-Din gegenübersteht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es nun für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274; 26.06.2018, Ra 2018/20/0307 mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Mitbeteiligte bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung (Vorverfolgung) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn eine Person im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob die Person im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203 mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat daher zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten hat.
Ausgehend von den aktuellsten veröffentlichten Zahlen von EASO ereigneten sich im Jahr 2019 im gesamten Gouvernement Bagdad insgesamt noch 42 Vorfälle in Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, welche zu 37 zivilen Todesopfern und 13 Verletzten geführt hatten. Von Jänner bis Juli 2020 ereigneten sich im gesamten Gouvernement Bagdad überhaupt nur noch vier Vorfälle in Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, welche zu drei zivilen Todesopfern und acht Verletzten geführt hatten. Per 15.06.2020 wurde die Rückkehr von mittlerweile bereits 90.228 Binnenflüchtlingen nach Bagdad dokumentiert (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II.1.3.).
In Anbetracht der seit der Ausreise des Beschwerdeführers eingetretenen Lageänderung in Gestalt der militärischen Niederlage des Islamischen Staates in Bagdad, die eine Wiedererlangung der Kontrolle durch die Milizen des Islamischen Staates in Anbetracht der Feststellungen – ungeachtet der durchgeführten terroristischen Aktivitäten, auf die sogleich einzugehen sein wird – als eher ausgeschlossen erscheinen lässt, hat der Beschwerdeführer im Rückkehrfall nicht mit der Ausübung pseudostaatlicher Gewalt durch die Milizen des Islamischen Staates zu rechnen und wird dieser damit im Rückkehrfall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit der Gefahr von Übergriffen durch Kämpfer des Islamischen Staates konfrontiert sein.
Bei den nach wie vor vereinzelt stattfindenden Auseinandersetzungen zwischen verbliebenen Kämpfern des Islamischen Staates und den irakischen Sicherheitskräften handelt es sich ausweislich der Feststellungen um einen asymmetrischen Konflikt und es ist davon auszugehen, dass sich Angriffe von Anhängern oder sogenannten Schläfern weiterhin entweder gegen militärisch relevante Ziele richten oder mittels terroristischer Anschläge eine Verunsicherung in der Bevölkerung erzielt und der politischen Rückhalt der irakischen Regierung und der Sicherheitskräfte erschüttert werden soll. Dokumentiert sind außerdem kriminelle Handlungen zur Beschaffung von Geld – etwa in Gestalt falscher Checkpoints oder von Entführungen. Ferner steht außer Zweifel, dass auch weiterhin vom Islamischen Staat und anderen Gruppierungen ausgehende terroristische Aktivitäten im Irak zu erwarten sind. Eine gezielte Verfolgung von Einzelpersonen wie etwa dem Beschwerdeführer durch Schläfer des Islamischen Staates oder sonstige dort verbliebene Anhänger ist dennoch angesichts der Sicherheitslage in Bagdad wenig wahrscheinlich und es ist auch kein glaubhafter Grund erkennbar, weshalb sich allenfalls verbliebene Anhänger des Islamischen Staates gerade für den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr interessieren sollten und eine gezielte Verfolgung gerade des Beschwerdeführers für allenfalls verbliebene Anhänger des Islamischen Staates attraktiver sein sollte, als terroristische Aktivitäten mit großer Breitenwirkung oder Anschläge auf Sicherheitskräfte zu begehen.
Im Hinblick auf eine etwaige Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers ist an dieser Stelle überdies explizit auf die seitens EASO vertretene Ansicht zu verweisen, wonach im Gouvernement Bagdad nur noch derart selten zu willkürlichen, sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt, dass nicht automatisch Gründe dafür vorliegen würden um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Bagdad zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II.1.3.), wenngleich das Bundesverwaltungsgericht nicht verkennt, dass die Umstände des jeweiligen Einzelfalles naturgemäß stets zu berücksichtigen sind. Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf den Beschwerdeführer wurden im Verfahren jedoch ebenfalls nicht substantiiert vorgebracht
Das Bundesverwaltungsgericht geht in Anbetracht der Quellenlage davon aus, dass nach der militärischen Niederlage der Milizen des Islamischen Staat und der Wiederherstellung der staatlichen Ordnung nicht mehr mit von verbliebenen Anhängern des Islamischen Staat ausgehenden und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden Übergriffen auszugehen ist. Persönliche Konfrontationen mit Kämpfern des Islamischen Staates vor der Ausreise wurden im Übrigen im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht mehr vorgebracht, sodass nicht davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer allenfalls verbliebenen Anhängern des Islamischen Staates überhaupt persönlich bekannt wäre und in der Person des Beschwerdeführers gelegenes besonderes Verfolgungsinteresse besteht. Der Beschwerdeführer gehört auch keiner der nun ausweislich der Feststellungen besonders gefährdeten Risikogruppen an. Er war in seiner Tätigkeit keine politische, religiöse oder militärische Führungspersönlichkeit. Der Beschwerdeführer ist auch nicht als Stammesführer exponiert. Eine erhöhte Gefährdung aufgrund des persönlichen Profils im Rückkehrfall ist demnach unwahrscheinlich. Zudem war der von ihm behaupteten Verfolgung durch den Staat, wie im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend dargelegt, die Glaubwürdigkeit zu versagen, sodass es dahingehend keiner weiteren Erörterung bezüglich einer allfälligen Gefährdung durch staatliche Behörden im Falle seiner Rückkehr bedarf.
Aufgrund der militärischen Niederlage des Islamischen Staates und des eindeutig aus den herangezogenen Berichten zur Lage im Herkunftsstaat erkennbaren Umstandes, dass keine speziell auf individuelle Angehörige der sunnitischen Bevölkerung zielende Übergriffe mehr stattfinden, kann eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers durch verbliebene Anhänger des Islamischen Staates im Fall einer Rückkehr zusammenfassend nicht erkannt werden.
Aus einer Zusammenschau der zitierten Quellen ergibt sich sohin eine Sicherheitslage, die es einer Person wie dem Beschwerdeführer in Bagdad erlaubt, relativ unbehelligt zu leben, ohne zwingend damit rechnen zu müssen, Opfer von Verfolgung, willkürlicher Gewalt oder kriegerischen Auseinandersetzungen zu werden.
Die sichere Erreichbarkeit des Gouvernements Bagdad als Herkunftsregion des Beschwerdeführers ergibt sich zunächst aus der zuvor ausgeführten stabilen Sicherheitslage im Gouvernement Bagdad, die ein Erreichen der dortigen Flughäfen samt Weiterreise im Stadtgebiet ermöglicht. Auch eine Einreise in die autonome Region Kurdistan im Luftweg ist mit einem irakischen Ausweisdokument stets möglich. Der Beschwerdeführer brachte auch keine Befürchtungen im Hinblick auf Rückkehrhindernisse oder die Sicherheit von Verkehrswegen vor. Zum Entscheidungszeitpunkt besteht kein Hinweis, dass der Beschwerdeführer allenfalls einzelne Checkpoints nicht passieren könnte. Er verfügt außerdem über irakische Ausweisdokumente. Dass er nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als Anhänger des Islamischen Staates angesehen werden wird, wurde bereits ausführlich erörtert.
Auch ergeben sich angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie keinerlei Rückführungshindernisse in Bezug auf den Beschwerdeführer. Dass er derzeit an einer COVID-19-Infektion leidet oder im Hinblick auf eine etwaige Vorerkrankung zu einer vulnerablen Personengruppe gehören würde, wurde nicht vorgebracht. Bei jungen Menschen ohne Schwächung des Immunsystems verläuft eine Infektion mit COVID-19 zudem mit nur geringen Symptomen vergleichbar einer Grippe. Bei Personen in der Altersgruppe bis 39 Jahre ist die Sterblichkeit sehr gering und liegt unter 1% (vgl. Punkt II.1.3.). Es fehlt sohin auch vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie an den geforderten außergewöhnlichen Umständen im Sinne des Art 3 EMRK (zur "Schwelle" des Art 3 EMRK vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059).
Der Beschwerdeführer ist vor dem Hintergrund dieser Erwägungen als gesunder und arbeitsfähiger Mensch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ungeachtet der prekären wirtschaftlichen und sozialen Lage in Bagdad in der Lage, sein Auskommen im Fall einer Rückkehr entweder durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Handwerker auf Baustellen, im Handel oder in der Gastronomie zu bestreiten oder im Wege der Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen des ERIN-Programmes einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen und als Tischler, Elektriker oder Maler mit einem eigenen Geschäft tätig zu sein. ERIN ist ein Rückkehr- und Reintegrationsprogramm auf europäischer Ebene mit dem Hauptziel, Reintegrationsunterstützung im Herkunftsland anzubieten. ERIN ist eine Spezifische Maßnahme im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU und wird von den Niederlanden (Repatriation and Departure Service des Ministry of Security and Justice of the Netherland) geleitet.
Im Rahmen des ERIN-Programms erhält jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin eine Reintegrationsleistung in der Höhe von 3.500 Euro, wobei 500 Euro als Bargeld und 3.000 Euro als Sachleistung vom Service Provider im Herkunftsland ausgegeben werden. Während die Geldleistung grundsätzlich dazu gedacht ist die unmittelbaren Bedürfnisse nach der Rückkehr zu decken, dient die Sachleistung insbesondere als Investition zur Schaffung einer Existenzgrundlage und trägt somit zu einer nachhaltigen Rückkehr bei. Von Juni 2016 bis Jänner 2018 erhielten 843 Personen im Rahmen ihrer Rückkehr von Österreich in ihr Heimatland Reintegrationsunterstützung über das ERIN-Programm. Unter Berücksichtigung von Familienangehörigen kehrten im selben Zeitraum sogar 1.254 Personen freiwillig in ihr Heimatland zurück. Aktuell wird ERIN-Reintegrationsunterstützung im Zentralirak und in der autonomen Region Kurdistan zur Verfügung gestellt (http://www.bmi.gv.at/107/EU_Foerderungen/Finanzrahmen_2014_2020/AMIF/ERIN.aspx ). Die Teilnahme an diesem Programm vermittelt etwa hinreichende Starthilfe für eine selbständige Tätigkeit und den neuerlichen Aufbau eines eigenen Geschäftes.
Der Beschwerdeführer ist als irakischer Staatsbürger außerdem berechtigt, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen, einem sachleistungsorientierten Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft und an die Bevölkerung verteilt, sodass eine Absicherung im Hinblick auf Grundnahrungsmittel gegeben ist. Auch wenn das Programm unter Insuffizienzen leidet, ist von einer Unterstützung des Beschwerdeführers bei der Bestreitung seines Auskommens auszugehen. Da der Beschwerdeführer an seinen Herkunftsort zurückkehrt und über irakische Ausweisdokumente verfügt, wird er keine Schwierigkeiten beim Erhalt einer Lebensmittelbezugskarte zu gewärtigen haben.
Der Beschwerdeführer verfügt zudem noch über familiäre Kontakte in Form seiner Mutter und seinen Geschwistern und besteht regelmäßiger Kontakt. Es ist somit davon auszugehen, dass er sich zumindest temporär wiederum bei seinen Angehörigen in Bagdad wird ansiedeln können und ihm bei diesen auch eine angemessene Unterkunft sowie eine (in Bagdad vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichte auch sichergestellte) Grundversorgung mit Trinkwasser, sanitärer Infrastruktur, Strom und Grundnahrungsmitteln zur Verfügung stehen wird (vgl. dazu insbesondere die Ausführungen unter Punkt II.1.3.).
Selbst wenn dem Beschwerdeführer – wider Erwarten – im Irak keine familiäre Unterstützung zuteilwerden sollte, ist vor dem Hintergrund, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt auf die Indizwirkung von Empfehlungen internationaler Organisationen für den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungsfindungsprozess hingewiesen hat (vgl. zuletzt VwGH 05.03.2020, Ra 2018/19/0686 mwH), auf die in den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, vertretene Ansicht zu verweisen, wonach ein körperlich leistungsfähiger arabisch-sunnitischer Mann im arbeitsfähigen Alter und ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten, wie der Beschwerdeführer, abhängig von den jeweiligen Umständen möglicherweise sogar in der Lage sein wird können, ohne Unterstützung durch seine Familie zu bestehen (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II.1.3.).
Eine Rückkehr in den Irak führt somit im Falle des Beschwerdeführers nicht automatisch dazu, dass er in eine unmenschliche Lage bzw. eine Notlage geraten und in seinen durch Art 2 und 3 EMRK geschützten Rechten verletzt würde. Auch ist er angesichts der weitgehend stabilen Sicherheitslage in Bagdad nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.
2.4. Zum Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, EASO, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Zu den zur Feststellung ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Richters bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).
Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht substantiiert entgegen, weshalb die Länderfeststellungen der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden konnten. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde mit ihm der wesentliche Inhalt der herkunftsstaatsbezogenen Berichte erörtert und ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt. Weder der Beschwerdeführer, noch dessen Rechtsvertretung sind den getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat, die auf den in das Verfahren eingeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen beruhen, im Beschwerdeschriftsatz oder in der mündlichen Verhandlung substantiiert entgegengetreten. Das bloße Aufzeigen von spezifischen Problemlagen im Herkunftsstaat vermag die Glaubwürdigkeit der Länderfeststellungen nicht zu erschüttern. Vielmehr sparen die Länderfeststellungen die im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers vorherrschenden Probleme nicht nur nicht aus, sondern legen diese ebenfalls offen.
Es wurden somit im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen und weder in der Beschwerde, noch in der mündlichen Verhandlung dem Inhalt und den Kernaussagen der Länderberichte sowie deren Quellen substantiiert entgegengetreten, sodass an der Richtigkeit und am Zutreffen der Länderfeststellungen keine Zweifel bestehen und diese der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden konnten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
3.1.1. Rechtslage:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233, VwGH vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279, VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann aber nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH vom 28. Oktober 2009, 2006/01/0793, mwN).
Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), die im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts mit zu berücksichtigen ist, muss der Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden wirksam sein. Ein solcher Schutz ist generell gewährleistet, wenn etwa der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Asylwerber Zugang zu diesem Schutz hat. Bei Prüfung (u.a.) dieser Frage berücksichtigen die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers.
Die Statusrichtlinie sieht daher einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vg. zum Ganzen VwGH vom 24. Februar 2015, Ra 2014/18/0063).
Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233; 17.11.2017, Ra 2017/20/0404).
3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Wie in der Beweiswürdigung unter Punkt II.2.3. bereits dargestellt, war dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers aus den ausgeführten Gründen die Glaubwürdigkeit zu versagen bzw. konnte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung darlegen bzw. glaubhaft machen.
Es ist zudem nicht ableitbar, dass dieser zum gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. in Zukunft in seinem Herkunftsstaat Irak konkrete Verfolgungsmaßnahmen von gewisser Intensität zu befürchten hätte.
Eine über sein als unglaubwürdig beurteiltes Vorbringen hinausgehende und erwartbare persönliche Bedrohung oder Verfolgung wurde weder von Seiten des Beschwerdeführers behauptet, noch waren von Amts wegen Anhaltspunkte für eine asylrelevante Gefährdung im Herkunftsstaat ableitbar. Dem Beschwerdeführer ist es sohin nicht gelungen, eine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, darzulegen. Für den Beschwerdeführer war dementsprechend auch keine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, fassbar.
Es entspricht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, dass das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative iSd § 11 Abs. 1 AsylG nur dann zu prüfen ist, wenn glaubhaft ist, dass einem Asylwerber in der Herkunftsregion seines Herkunftsstaats Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht bzw. die Voraussetzungen für die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten iSd § 8 Abs. 1 AsylG vorliegen (siehe VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106-12). Diesen Anforderungen konnte der Beschwerdeführer - wie oben dargelegt - jedoch nicht gerecht werden.
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage wird zusammengefasst ausgeführt, dass eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung darstellt (vgl. etwa VwGH vom 14.03.1995, 94/20/0789; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gewinnung - zusammenhängt. Derartiges hat der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft behauptet.
Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
3.2.1. Rechtslage:
Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes – „real risk“ einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (vgl. VwGH 29.08.2019, Ra 2019/19/0143).
Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend. Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK angenommen werden kann. Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174; 17.10.2019, Ra 2019/18/0372).
3.2.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Wie umseits bereits dargelegt wurde, droht dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung.
Dem Beschwerdeführer droht auch keine reale Gefahr, im Falle seiner Rückkehr entgegen Art 3 EMRK behandelt zu werden. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzungen des Art 3 EMRK ist hingegen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausreichend. Diese Lebensumstände betreffen sämtliche Personen, die im Irak leben und können daher nicht als Grund für die Zuerkennung eines Status eines subsidiär Schutzberechtigten herangezogen werden.
Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK angenommen werden kann (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Das Vorliegen solcher exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 07.09.2016, Ra 2015/19/0303).
Im Hinblick auf die Gefahrendichte ist zudem auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt. BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Sicherheitslage in Teilen des Iraks prekär ist. Aus den Feststellungen zur Lage im Irak ergibt sich jedoch eindeutig, dass in Bagdad verglichen mit dem Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers eine maßgebliche Verbesserung der Sicherheitslage dahingehend eingetreten ist, dass die Milizen des Islamischen Staates militärisch vollständig besiegt und das von diesen Milizen ausgerufene Kalifat beseitigt wurde. In Bagdad herrscht kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Der gesamte Irak (von unzugänglichen Wüstengebieten an der syrischen Grenze abgesehen), einschließlich der Städte Mossul und Basra, steht unter der Kontrolle der irakischen Streitkräfte sowie abschnittsweise der kurdischen Peschmerga. Die Milizen des Islamischen Staates verfügen damit über kein faktisch von ihnen beherrschtes Territorium mehr, aus dem heraus offene militärische Operationen gegen die irakischen Streitkräfte durchgeführt werden können. Insbesondere ist angesichts der militärischen Niederlage des Islamischen Staates nicht zu befürchten, dass die Milizen des Islamischen Staates weitere Teile des Irak unter ihre Kontrolle bringen und dort Menschenrechtsverletzungen begehen würden. Dazu tritt, dass mit der militärischen Niederlage des Islamischen Staates ein nachweisbares und den diesbezüglichen in das Verfahren eingeführten Statistiken klar ersichtliches Absinken der terroristischen Anschläge auch in den nicht unmittelbar von Kampfhandlungen verbliebenen Gebieten einhergeht.
Auch unter Berücksichtigung der jüngsten vorkommenden, teils gewalttätigen Demonstrationen bzw. anderer sicherheitsrelevanter Vorfälle unter anderem in Bagdad, kann eine für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten relevante Gefährdungslage nicht erblickt werden.
Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers können schließlich nicht erkannt werden und hat weder der Beschwerdeführer selbst ein substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet, noch kann aus den Feststellungen zur Lage im Irak abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer alleine schon aufgrund seiner bloßen Anwesenheit in Bagdad mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände Ereignisse ausgesetzt wäre.
Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt, dies zumal es sich im Falle des Beschwerdeführers um einen arbeitsfähigen Mann handelt, der über eine mehrjährige Schulbildung sowie Berufserfahrung verfügt. Es ist daher kein Grund ersichtlich, weshalb er seinen Lebensunterhalt nach seiner Rückkehr nicht selbst bestreiten können sollte, selbst wenn es sich dabei um Hilfstätigkeiten handeln würde. Insbesondere hat der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Zudem verfügt er nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte in Bagdad, sodass insgesamt von einem maßgeblichen familiären Rückhalt im Rückkehrfall ausgegangen werden kann.
Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation im Irak und den hiermit verbundenen Umständen spezifisch von willkürlicher Gewalt im Irak betroffen wäre. Daher ist auch diese Voraussetzung für die Gewährung subsidiären Schutzes nicht erfüllt. Eine Gefahr eines ernsthaften Schadens durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Beschwerdeführers im Irak liegt ebenfalls nicht vor. Der Beschwerdeführer gehört weder einer Bevölkerungsgruppe an, die im Irak allgemein einer besonderen hohen Gefahr ausgesetzt wäre, noch liegen individuelle Bedrohungen vor, die dazu führen könnten, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr in den Irak einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre.
Ganz allgemein besteht im Irak derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art 2 oder Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre. Im Verfahren sind auch keine diesbezüglichen Umstände bekannt geworden. Es ergeben sich auch aus dem Länderinformationsblatt für den Irak keine Gründe, die es naheliegen würde, dass bezogen auf den Beschwerdeführer, ein reales Risiko gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe besteht.
Aufgrund der zuvor genannten Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG abzuweisen war.
3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG (Spruchpunkt III. erster Satz des angefochtenen Bescheides):
3.3.1. Rechtslage:
Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) unter anderem von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
3.3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht hat, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs. 1 Z 1 oder Z 1a FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG.
Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG war daher nicht zu erteilen.
3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III. zweiter Satz des angefochtenen Bescheides):
3.4.1. Rechtslage
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).
3.4.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Da der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt, stützte sich die belangte Behörde zu Recht auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG.
Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG 2014 zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtige Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0301; VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362; VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0456; VwGH 05.11.2019, Ro 2019/01/0008).
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG 2014 stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. VwGH 16.02.2021, Ra 2019/19/0212 mit Verweis auf VwGH 21.01.2016, Ra 2015/22/0119; 10.05.2016, Ra 2015/22/0158; 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058; 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; weiters VwGH 15.04.2020, Ra 2019/18/0542 und VwGH 09.01.2020, Ra 2019/18/0523).
Der Beschwerdeführer ist seit seiner illegalen Einreise (spätestens) am 07.07.2015 zum Zeitpunkt der Beschwerdeverhandlung etwa sechs Jahre in Österreich aufhältig. Die Aufenthaltsdauer für sich stellt allerdings lediglich eines von mehreren im Zuge der Interessensabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289). Der seit der Antragstellung andauernde Aufenthalt des Beschwerdeführers beruhte dessen ungeachtet auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb dieser während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann. Das Gewicht seiner privaten Interessen wird dadurch gemindert, dass sie in einem Zeitpunkt entstanden, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.09.2019, Ro 2019/01/0003; 28.02.2019, Ro 2019/01/0003; 23.10.2019, Ra 2019/19/0405; ua). Insbesondere fußt sein gesamter, bis zur Beschwerdeverhandlung etwa sechs Jahre dauernder Aufenthalt im Bundesgebiet auf einem unbegründeten Asylantrag, welchen der Beschwerdeführer nach seiner illegalen Einreise stellte.
Auch wenn das persönliche Interesse an einem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Aufenthaltsdauer des Fremden zunimmt, so ist die bloße Aufenthaltsdauer freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 03.03.2021, Ra 2021/19/0023 mit Verweis auf VwGH 05.10.2020, Ra 2020/19/0330; VwGH 15.04.2020, Ra 2019/18/0542; VwGH 12.11.2019, Ra 2019/20/0422).
Ein Aufenthalt von über fünf Jahren stellt dementsprechend zwar eine grundsätzlich beachtliche Zeitspanne, aber noch keinen solch langen Zeitraum dar, dessentwegen schon wegen der reinen Aufenthaltsdauer auf die Unzulässigkeit der Ausweisung zu erkennen wäre.
Hinsichtlich des Familienlebens ist auszuführen, dass das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK das Zusammenleben der Familie schützt. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13.06.1979, Nr. 6833/74, Marckx).
Die Frage, ob ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art 8 EMRK besteht, ist von den jeweils gegebenen Umständen und von der konkreten Lebenssituation abhängig. Es ist darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ob ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind.
Der Beschwerdeführer verfügt über keine Verwandte oder andere familiäre Beziehungen in Österreich, sodass das Bestehen eines Familienlebens iSd Art 8 EMRK nicht weiter zu prüfen war. Auch kamen keine Hinweise auf eine nichteheliche Lebensgemeinschaft hervor.
Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua. gegen Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Hinsichtlich seiner angeführten Kontakte ist jedoch festzuhalten, dass eine schützenswerte Nahebeziehung zu diesen Personen nicht ergründet werden konnte. Seine angegebenen sonstigen freundschaftlichen Kontakte mögen für den Beschwerdeführer subjektiv von Bedeutung sein, sind jedoch objektiv beurteilt nicht geeignet, den von Art. 8 EMRK geforderten hohen Maßstab aufgrund der fehlenden Intensität zu erreichen. Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass seine privaten Beziehungen zwar durch eine Rückkehr in den Irak gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm derzeit in Österreich nahestehen, gänzlich abzubrechen. Es steht ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch Urlaubsaufenthalte etc.) aufrecht zu erhalten.
Im Hinblick auf sein Privatleben ist somit festzuhalten, dass beim Beschwerdeführer keine entscheidungsrelevanten Gründe vorliegen, welche im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung einen Anspruch des Beschwerdeführers auf den Verbleib im Bundesgebiet iSd Art. 8 EMRK erkennen lassen und wurde auch im Rahmen der Beschwerdeverhandlung nichts entscheidungsmaßgebliches vorgelegt. Im gegenständlichen Fall liegen nämlich trotz der Aufenthaltsdauer von sechs Jahren keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer in Österreich einen maßgeblichen Grad an Integration erlangt hätte, der seinen persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde bzw. der Dauer seines Aufenthaltes entsprechen würde.
Selbst wenn man zugunsten des Beschwerdeführers seine Teilnahme an verschiedenen Deutschkursen im Rahmen seines Aufenthaltes in Österreich sowie die positive Absolvierung einer Deutschprüfung auf dem Niveau A2 im Vorfeld der mündlichen Beschwerdeverhandlung wertet, so ist auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung keine entscheidungsrelevanten Deutschkenntnisse aufgewiesen hat, sodass dieser Aspekt seiner Integration letztlich nicht ausreicht, um eine nachhaltige integrative Verfestigung im Bundesgebiet darzulegen. Insbesondere hat der Verwaltungsgerichtshof mehrfach darauf hingewiesen, dass es maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 03.03.2021, Ra 2021/19/0023; 07.10.2020, Ra 2020/14/0333; 15.04.2020, Ra 2019/18/0542; 16.01.2020, Ra 2019/20/0606).
Der Beschwerdeführer hat außerdem in Österreich an keinen Aus- oder Weiterbildungen teilgenommen und ist kein Mitglied in einem Verein. Nicht verkannt wird im gegenständlichen Fall, dass er bereits gemeinnützige Tätigkeiten verrichtet und kürzlich ein Gewerbe angemeldet hat. Dahingehend ist jedoch festzuhalten, dass der Beschwerdeführer bereits zu einem früheren Zeitpunkt seines Asylverfahrens die Möglichkeit der Gewerbeanmeldung samt darauffolgender selbständiger Erwerbstätigkeit ergreifen hätte können. Bisher konnte er lediglich erstellte Angebote sowie zwei Angebotsannahmen vorweisen, wobei diesen ua. kein Beginndatum der Tätigkeiten zu entnehmen ist und auch die sonstige zu erwartende vertragliche schriftliche Ausgestaltung fehlt, sodass unter Berücksichtigung aller Faktoren derzeit nicht von einem zu erwirtschaftenden Einkommen auszugehen ist. Es darf dahingehend auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass seine beruflichen integrativen Schritte erst in unmittelbaren Vorfeld der mündlichen Beschwerdeverhandlung erfolgt sind, sodass diese augenscheinlich nur dem Zweck geschuldet sind einen Aufenthaltstitel im Sinne des Art. 8 EMRK zu erlangen und dadurch die Abschiebung zu verhindern. Zudem kommt noch, dass es dem Beschwerdeführer für die tatsächliche Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit auch noch an einer Steuernummer fehlt, welche er sich durch eine schlichte Registrierung bei einem örtlichen Finanzamt längst hätte ausstellen lassen können, Der Beschwerdeführer vermochte somit weder eine konkrete Arbeitsaufnahme noch Selbsterhaltungsfähigkeit aufzeigen und ist somit zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt – dem Schluss der mündlichen Verhandlung am 20.07.2021 – noch von keiner entscheidungsrelevanten beruflichen oder wirtschaftlichen Integration auszugehen. Vielmehr finanziert sich der Beschwerdeführer seinen Unterhalt - beginnend mit seiner Asylantragstellung bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt - nach wie vor von staatlichen Sozialleistungen (Grundversorgung), sodass auch nicht von einer Selbsterhaltungsfähigkeit ausgegangen werden kann. Dies entspricht jedenfalls nicht den Erwartungen, welche man an einen Asylwerber nach einem langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Auch seine nach Schluss des Ermittlungsverfahrens vorgelegte Abmeldung aus der staatlichen Grundversorgung lässt keinen Aufschluss über eine allfällige zukünftige Selbsterhaltungsfähigkeit zu.
In einer Gesamtschau kamen somit keine Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige und tiefgreifende Integration des Beschwerdeführers in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht hervor und konnte damit eine besondere integrative Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers – trotz seines mehrjährigen Aufenthaltes – nicht angenommen werden. Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers vermag seine persönlichen Interessen zudem nicht entscheidend zu stärken (vgl. VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029), da der VwGH davon ausgeht, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.
In diesem Zusammenhang ist auf die höchstgerichtliche Judikatur hinzuweisen, wonach die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen (vgl. VwGH 26.01.2009, 2008/18/0720). Wie festgestellt sind keine Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige und tiefgreifende Integration des Beschwerdeführers in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht hervorgekommen und konnte damit eine besondere integrative Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers – trotz seines mehrjährigen Aufenthaltes - nicht angenommen werden.
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass „eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.").
Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, sprachliche und kulturelle Verbindungen, sodass in einer Gesamtschau keine vollkommene Entwurzelung des Beschwerdeführers gegeben ist. Unter dem Gesichtspunkt nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG 2014 kann der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, bei der Interessenabwägung Bedeutung zukommen. Ein diesbezügliches Vorbringen hat freilich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung nicht in jeder Konstellation Relevanz. Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen deren Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr - letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 12.03.2021, Ra 2020/19/0440 mit Verweis auf VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0076; 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).
Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich (bzw. Europa) stehen öffentliche Interessen entgegen. So steht ihm das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel in Österreich aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden (vgl. VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407). Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.
Vor diesem Hintergrund muss unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht akzeptiert werden, dass der Mitbeteiligte mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0016 mit Verweis auf VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205 bis 0210).
Vor diesem Hintergrund und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen kann ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers jedenfalls als im Sinne des Art 8 Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig angesehen werden.
Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Außerlandesschaffung aus.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes III. zweiter Satz des angefochtenen Bescheides abzuweisen war.
3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III. dritter Satz des angefochtenen Bescheides):
3.5.1. Rechtslage:
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
3.5.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119; 25.09.2019, Ra 2019/19/0399).
Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.
Hinweise auf eine allgemeine existenzbedrohende Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen für den Irak nicht vor, sodass aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.
Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.
Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (Beschluss des VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden Nr. 61204/09; sowie Erkenntnis des VwGH 25.02.2016, Ra 2016/19/0036; 13.09.2016, Ra 2016/01/0096-3).
Dies wurde vom Beschwerdeführer nicht substantiiert dargelegt. Es ist daher jedenfalls davon auszugehen, dass der volljährige, gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer, der in seinem Herkunftsstaat über eine mehrjährige Schulausbildung und Arbeitserfahrung sowie familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät. Insbesondere hat er den überwiegenden Teil seines Lebens im Irak verbracht und beherrscht die Landessprache, sodass von einer vollkommenen Entwurzelung jedenfalls nicht gesprochen werden kann.
Hinsichtlich der derzeitigen COVID-19 Pandemie ist auszuführen, dass für den Beschwerdeführer keine besondere Gefährdung ersichtlich ist. Der Beschwerdeführer gehört keiner Risikogruppe an.
Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Irak - letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 29.04.2010, 2009/21/0055). Im Umstand, dass in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar Bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, liegt für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und somit auch keine Unzulässigkeit einer Abschiebung in den Herkunftsstaat.
Ökonomische Schwierigkeiten hat der Beschwerdeführer hinsichtlich der allgemeinen Lage angedeutet, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes würden jedoch wirtschaftliche Gründe keine asylrechtlich relevante Verfolgung bewirken (zur fehlenden asylrechtlichen Relevanz wirtschaftlich motivierter Ausreisegründe siehe auch Erk. d. VwGH vom 28.06.2005, 2002/01/0414 oder vom 06.03.1996, 95/20/0110 oder vom 20.06.1995, 95/19/0040), weshalb das Vorliegen dieser Gründe eine Abschiebung nicht unzulässig macht.
Es ergibt sich insgesamt kein reales Risiko, dass es durch die Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak zu einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes III. dritter Satz des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 52 Abs. 9 FPG abzuweisen.
3.6. Frist zur freiwilligen Ausreise (Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide):
Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer von der belangten Behörde vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Derartige „besondere Umstände“ wurden vom Beschwerdeführer nicht dargetan und sind auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen.
Die Beschwerde erweist sich folglich insoweit als unbegründet, dass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
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