BVwG W126 2141407-1

BVwGW126 2141407-121.6.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W126.2141407.1.00

 

Spruch:

W126 2141407-1/39E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Sabine FILZWIESER-HAT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Clemens LAHNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.10.2016, Zl. 1085385205-151246205, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer stellte am 02.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

In der Erstbefragung am 02.09.2015 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, im Iran geboren zu sein und dort aufgrund der Krankheit seines Vaters ein Jahr gearbeitet zu haben, bevor er sich entschlossen habe, nach Österreich zu gehen, um hier eine Schule zu besuchen.

 

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 31.08.2016 brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, gesund zu sein und in Österreich keine Verwandten zu haben. Er habe bereits einen Deutschkurs besucht. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei im Iran geboren. Im Iran habe er fünf Jahre eine Schule besucht und mit seinem Vater auf der Baustelle und als Metallarbeiter gearbeitet. Seine Eltern, seine Geschwister, seine Großeltern, zwei Onkel väterlicherseits sowie ein Onkel und eine Tante mütterlicherseits würden nach wie vor im Iran leben. Sein Großvater arbeite noch, seine Onkel seien 15 und sechs Jahre alt. Zu seiner Mutter habe er Kontakt. In Afghanistan würden eine Tante väterlicherseits und deren Söhne leben. Die wirtschaftliche Situation seiner Familie im Iran sei schlecht. Seine Mutter stelle von zu Hause aus Kämme und Bürsten her und sein Vater arbeite gelegentlich als Hilfsarbeiter. Sein Bruder besuche derzeit eine Schule.

 

Der Vater des Beschwerdeführers habe diesem gesagt, dass die Familie Afghanistan wegen des Krieges verlassen habe. In Afghanistan besitze die Familie des Beschwerdeführers noch Grundstücke vom Großvater des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer habe Probleme mit seinem Vater, weil dieser seit drei bis vier Jahren drogensüchtig sei. Dieser habe auch Probleme mit dem Rücken. Da sein Vater immer das Geld des Beschwerdeführers genommen habe, sei er aus dem Iran ausgereist. Er wolle nicht nach Afghanistan. Viele Afghanen seien vom Iran nach Afghanistan abgeschoben und dort von den Taliban festgenommen und getötet worden. Im Iran habe er nicht in die Schule gehen können, weil er arbeiten und das Geld davon seinem Vater habe geben müssen. Er sei in Österreich, um zu lernen.

 

2. Mit angefochtenem Bescheid vom 21.10.2016 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

 

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter, fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang.

 

4. Am 21.04.2017 wurden beim Bundesverwaltungsgericht neben den bereits vorgelegten Deutschkursbestätigungen des Beschwerdeführers eine Teilnahmebestätigung des Beschwerdeführers an einem Werte- und Orientierungskurs vom 24.05.2016 eingebracht.

 

Am 16.05.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Strafkarte vom Landesgericht Krems an der Donau vom 13.04.2017 des Beschwerdeführers ein, auf welcher eine rechtskräftige Verurteilung des jugendlichen Beschwerdeführers wegen §§ 83, 125, 15, 269 Abs. 1 StGB ersichtlich ist. Der Beschwerdeführer hat laut dieser die Tat am 06.12.2016 unter Alkoholeinwirkung begangen und wurde zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

 

Mit Schreiben vom 11.07.2017 wurden dem Bundesverwaltungsgericht eine weitere Deutschkursbestätigung sowie die Teilnahmebestätigung am Workshop zur Sexualpädagogik übermittelt.

 

Am 08.11.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Referenzschreiben ein.

 

Am 16.11.2017 wurde beim Bundesverwaltungsgericht die Prüfungsbestätigung über die Prüfung ÖSD Zertifikat A2 des Beschwerdeführers vom 08.11.2017 vorgelegt.

 

5. Am 01.02.2018 wurde das Verfahren der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

 

Mit Schreiben vom 02.03.2018 wurden dem Bundesverwaltungsgericht das ÖSD Zertifikat Deutsch Österreich B1 des Beschwerdeführers vom 21.12.2017, eine Kursbesuchsbestätigung über einen Basisbildungskurs im Ausmaß von 400 Unterrichtseinheiten, ein Teilnahmezertifikat des Beschwerdeführers an einem freiwilligen Projekt der Asylkoordination Österreich sowie eine Bestätigung über ein absolviertes Verkaufs- und Logistik-Praktikum des Beschwerdeführers im Weltladen übermittelt.

 

Am 01.06.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine gekürzte Urteilsausfertigung des Bezirksgerichts XXXX vom 18.04.2018 über eine strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ein. Der Beschwerdeführer wurde schuldig gesprochen, zwei Personen am Körper verletzt zu haben, weshalb er zu einer Freiheitsstrafe von zehn Wochen verurteilt wurde. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

 

Am 24.07.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht die ergänzende Stellungnahme des nunmehr volljährigen und anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers vom 23.07.2018 ein, in welcher zusammengefasst ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer über kein familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan verfüge. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan drohe ihm Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara. Zusätzlich handle es sich bei ihm um eine im Iran aufgewachsene und sozialisierte sowie eine aus dem Westen zurückkehrende Person.

 

Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner Flucht aus dem Iran immer stärker vom Islam distanziere. Mittlerweile fühle sich der Beschwerdeführer nicht länger als Moslem und halte sich an keinerlei muslimische Gebote. Im Iran sei der Beschwerdeführer von seinem Vater und den gesellschaftlichen Konventionen gezwungen worden, regelmäßig zu beten und sich an religiöse Vorschriften zu halten und wolle jetzt selbstbestimmt leben und über seine Religionszugehörigkeit frei entscheiden.

 

Zuletzt sei auch auf die aktuelle gesundheitliche Verfassung des Beschwerdeführers hinzuweisen. Wie im beigelegten psychiatrischen Befund festgehalten werde, leide der Beschwerdeführer unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und depressiver Symptomatik. Laut Gutachten sei eine schwere depressive Episode diagnostiziert worden. Seit einer schweren Selbstverletzung mit suizidaler Absicht werde der Beschwerdeführer psychiatrisch betreut und medikamentös behandelt. Aktuell nehme der Beschwerdeführer Medikamente zur Stabilisierung seiner psychischen Verfassung ein. Die Weiterführung der medikamentösen und therapeutischen Behandlung sei indiziert.

 

Der Beschwerdeführer spreche sehr gut Deutsch (Niveau B1) und sei um seine Integration in Österreich bemüht. Er besuche regelmäßig die Schule mit dem Ziel des Pflichtschulabschlusses und nehme an diversen Kursen und Workshops teil, engagiere sich ehrenamtlich und habe zuletzt im Dezember 2017 ein Praktikum absolviert. Mit einer Pädagogin führe der Beschwerdeführer mittlerweile eine sehr nahe, familienähnliche Beziehung und der Beschwerdeführer sei ein Teil der Familie der Pädagogin geworden.

 

Der Beschwerdeführer weise zwei strafgerichtliche Verurteilungen auf, welche sich jedoch im unteren Bereich des jeweils anzuwendenden Strafrahmens bewegen und beide bedingt nachgesehen worden seien. Die zugrundeliegenden Handlungen resultieren aus jugendlicher Unbedachtheit. Der Beschwerdeführer besuche seither erfolgreich eine Gesprächstherapie, welche ihm alternative Verhaltensweisen und Bewältigungsstrategien aufgezeigt habe, die er im Alltag anwende.

 

Ergänzend wurden aktuelle Länderinformationen international anerkannter Organisationen auszugsweise angeführt sowie vier Empfehlungsschreiben, diverse Fotos des Beschwerdeführers, eine gutachterliche Stellungnahme einer Psychotherapeutin vom 18.07.2018, ein Arztbrief einer Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 05.06.2018, ein Kurzarztbrief des Landesklinikum XXXX sowie eine Ambulanzkarte vom 13.04.2018, eine Bestätigung über den Besuch des Beschwerdeführers am Pflichtschulabschlusskurs im Bildungszentrum BACH von 12.02.2018 bis 31.12.2018, eine Bestätigung über die Teilnahme am Basisbildungskurs im Bildungszentrum BACH von 16.08.2017 bis 22.12.2017 und eine Bestätigung über Exkursionen des Beschwerdeführers am 20.12.2017 vorgelegt.

 

6. Am 30.07.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, sein Rechtsanwalt und eine Vertrauensperson des Beschwerdeführers teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm entschuldigt nicht an der Verhandlung teil.

 

Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung zusammengefasst an, dass sich seine Eltern im Iran kennen gelernt hätten und er im Iran geboren sei. Sein Vater stamme aus der Provinz Maidan Wardak und seine Mutter aus Bamyan, Genaueres könne er nicht angeben. Sein Vater sei im Alter von 15 Jahren in den Iran gegangen und seine Mutter sei noch ein Kind gewesen. Beide hätten Afghanistan wegen des Krieges verlassen. Bis vor circa einem Jahr habe noch eine Tante väterlicherseits in Afghanistan gelebt, diese sei mit ihrer Familie aber inzwischen auch in den Iran gereist. Er wisse nur, dass es ein Grundstück der Familie in Afghanistan gebe, er könne aber nicht sagen, wo es sich befinde und wie groß es sei. Von dem Grundstück wisse er von seinem Vater. Es gehöre seinem Großvater, welcher noch zwei Brüder gehabt habe. Das Grundstück müsse wahrscheinlich geteilt worden seien. Im Iran würden sein Vater, seine Mutter, seine zwei Brüder und eine Schwester leben. Außerdem würden seine zwei Onkel väterlicherseits mit seinem Großvater, ein Onkel mütterlicherseits sowie zwei Tanten väterlicherseits im Iran leben. Sein Vater verkaufe Obst und seine Mutter sei Hausfrau. Einer seiner Brüder gehe zur Schule, der andere arbeite als Schlosser und Maurer. Der Beschwerdeführer habe den Iran verlassen, weil er den Ramadan nicht ausgehalten habe. Er sei von seinem Vater gezwungen worden, zu beten. Als er einmal Alkohol getrunken habe, sei er von seinem Vater geschlagen worden. Im Iran sei die finanzielle Lage der Familie schlecht gewesen.

 

Er könne nicht in Kabul leben, weil er die Stadt nicht kenne und er niemals dort gewesen sei. Afghanistan sei für ihn ein fremdes Land. Er kenne die dortige Kultur nicht und wolle sich nicht so kleiden, wie es dort üblich sei. Außerdem spreche er Farsi, woran man erkennen könne, dass er aus dem Iran komme und das würde niemandem dort gefallen.

 

Der Beschwerdeführer besuche derzeit den Pflichtschulabschlusskurs und im Dezember wolle er seinen Pflichtschulabschluss machen. Wenn er von der Schule nach Hause komme, bereite er Essen vor und spiele und unterhalte sich mit den anderen Jungen. Außerdem spiele er Keyboard und mache Sport. Er wohne in einer Wohngemeinschaft mit drei Afghanen. Am Wochenende würde er sich mit einer österreichischen Familie treffen. Mit dem Ehemann seiner anwesenden Vertrauensperson würde er Mathematik und die Geschichte Österreichs lernen. Er wolle Tischler werden, sein Traumberuf sei es aber, Polizist zu werden. Er wisse aber, dass das derzeit nicht möglich sei und er dazu lange Zeit in Österreich sein und viel lernen müsse, daher behalte er sich dies vor. Es gefalle ihm in Österreich sehr gut. Er unterhalte sich sehr gerne mit Österreichern, um viel über die österreichische Kultur zu erfahren. Er möchte wissen, welche Ansichtsweise jeder vertrete. Es sei interessant für ihn, dass unter ihnen einer ein Christ und ein anderer ohne Bekenntnis sei. In Österreich habe er keine Verwandten.

 

Seine strafgerichtlichen Verurteilungen bedauere er sehr. Er sei nicht glücklich darüber, was er gemacht habe. Er mache derzeit eine Gesprächstherapie, durch die er sehr viel lerne. Vom Gericht sei angeordnet worden, dass er daran regelmäßig teilnehme.

 

Der Beschwerdeführer gab zur Therapie befragt an, dass er den Umgang mit Menschen und Verständnis für Menschen lerne. Wenn er zum Beispiel wegen seiner Ethnie provoziert werde, was in den Heimen sehr häufig passiere, dann versuche er, diese Person zu beruhigen und ein ruhiges Gespräch zu führen. Wenn das nicht helfe, dann drehe er sich um und gehe seinen Weg. Wenn er geschlagen werde, dürfe er nicht zurückschlagen, sondern müsse die Polizei anrufen oder zu einem Betreuer gehen.

 

Er sehe sich selbst nicht mehr als Moslem, weil man keinen Alkohol trinken dürfe und drei bis fünf Mal am Tag beten müsse. Im Iran sei er dazu von seinem Vater gezwungen worden und er habe keine Möglichkeit gehabt, sich zu beschweren, dass er das Gebet nicht mehr verrichten oder nicht fasten wolle. Er sei körperlich zu schwach, um im Ramadan den ganzen Tag nichts zu essen und zu trinken. Für ihn sei die größte Religion die Menschlichkeit. Seit er in Österreich sei, trinke er Alkohol und esse Schweinefleisch. Er sehe sich seit drei Jahren nicht mehr als Moslem und halte sich auch so lange nicht mehr an religiöse Vorschriften.

 

Im Iran habe der Beschwerdeführer eine Aufenthaltskarte besessen, welche er alle sechs Monate habe verlängern lassen müssen. Mit 14 Jahren habe er die Schule abgebrochen, weshalb sein Aufenthalt nicht mehr verlängert worden sei, weil er das Geld dafür nicht bezahlen habe können. Mit 15 habe er den Iran verlassen und die Karte sei vernichtet worden.

 

Der Beschwerdeführer nehme in der Früh Setralin zur Beruhigung und Seroquel nehme er nur, wenn er innerlich unruhig werde. Eine Tablette nehme er, wenn er nicht schlafen könne.

 

In Afghanistan kenne der Beschwerdeführer niemanden. Man habe dort keine Unterstützung. Dort könne er nicht frei leben und wenn er dort mit diesem Gefühl leben müsse, würde er sehr viele Probleme bekommen.

 

Die Vertrauensperson des Beschwerdeführers gab an, dass sie den Beschwerdeführer seit Dezember 2015 kenne. Er sei eine sehr liebe Person und habe Probleme, wenn jemand ungerecht behandelt werde. Er sei ein "Gerechtigkeitstyp". Sie wisse, dass ihm der erste Vorfall sehr leidtue. Dabei sei der Beschwerdeführer betrunken gewesen und habe sich nicht kontrollieren können. Ende des Jahres habe es angefangen, dass es dem Beschwerdeführer psychisch schlecht gegangen sei. Alles sei sehr schwer erträglich für ihn gewesen und er habe zur Weihnachtszeit mit ein paar Jungen Probleme gehabt. Diese seien in der Nacht gekommen und hätten den Beschwerdeführer attackiert. Sie habe ihm geraten, dies anzuzeigen. Danach habe ihn einer davon noch einmal gewaltig provoziert, woraufhin der Beschwerdeführer ausgezuckt sei und ihn geschlagen habe. Der Beschwerdeführer selbst habe aber auch einen Schlag abbekommen und daraufhin eine geprellte Nase gehabt. Seit der Therapie sei er wesentlich ruhiger und sehr bemüht, alles ruhig zu klären oder dem Ganzen aus dem Weg zu gehen. Der Beschwerdeführer sei nie wirklich ein Moslem gewesen sei. Er habe zu Weihnachten gemeinsam mit ihrer Familie Stift XXXX besucht und danach mit ihrer Familie gemeinsam Weihnachten gefeiert. Sie werde auch in Zukunft für den Beschwerdeführer da sein und ihn sowohl finanziell als auch sonst unterstützen.

 

Im Rahmen der Verhandlung wurde ein weiteres Unterstützungsschreiben, ein Bericht einer Wochenzeitung, in welchem der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Vertrauensperson bei Besuch eines Sommerfestivals abgebildet ist, eine Liste mit Namen von Personen, die die Integration und nicht-islamische Lebensweise des Beschwerdeführers bezeugen könnten, sowie ein Meldezettel, aus welchem ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer "ohne Bekenntnis" geführt werde, vorgelegt.

 

7. Mit Schreiben vom 09.08.2018 wurden dem Beschwerdeführer die dem Verfahren zugrunde gelegten Länderberichte (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, Anfragebeantwortung ACCORD vom 01.06.2017, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 12.07.2017) zur Stellungnahme übermittelt.

 

In der Stellungnehme vom 22.08.2018 wurde zunächst wiederholt vorgebracht, dass der Beschwerdeführer sich seit geraumer Zeit nicht als Moslem betrachte und sich im Alltag an keine religiösen Gebote halte und Alkohol konsumiere. Zusätzlich werde darauf hingewiesen, dass die beispiellose Integration des Beschwerdeführers sowie seine starke Verwurzelung zu Österreich darauf hinweisen, wie stark sich der Beschwerdeführer bereits von den streng muslimischen, konservativen afghanischen Normen weg zur liberalen österreichischen Gesellschaftsordnung hin orientiert habe.

 

Die vom Bundesverwaltungsgericht für das Verfahren herangezogene Länderinformationsblatt sowie die weiteren Berichte würden das Vorbringen des Beschwerdeführers stützen. Die UNHCR Richtlinien würden - übereinstimmend mit den Angaben des Beschwerdeführers - festhalten, dass Personen, die vermeintlich oder tatsächlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen hätten, das bzw. die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen werden würden.

 

Es werde darauf hingewiesen, dass insofern die Anfragebeantwortung davon ausgehe, dass auch Personen, welche nicht (regelmäßig) beten und das Fasten im Ramadan nicht befolgen, mit Ausnahme von stundenlangen Polizeiverhören keinerlei Verfolgung zu befürchten hätten, darauf hingewiesen werde, dass dies im krassen Gegensatz zu den sonstigen seitens des Bundesverwaltungsgerichts verwendeten Länderberichten stehe, wonach alle Personen mit einer vermeintlich nicht-islamischen Gesinnung Verfolgung zu befürchten hätten.

 

Eine innerstaatliche Fluchtalternative für alleinstehende Männer ohne (hier vorliegende) besondere Vulnerabilität sei unter anderem in Kabul zumutbar, dies jedoch nur, wenn diese entweder in Afghanistan geboren worden seien oder dort für eine längere Zeit lebten oder ein unterstützendes familiäres oder soziales Netz verfügen (vgl. EASO, S 109).

 

Gemeinsam mit der Stellungnahme wurde ein weiteres Empfehlungsschreiben, eine Bescheinigung der Bezirkshauptmannschaft XXXX , dass der Beschwerdeführer am 14.08.2018 die Erklärung über den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft eingebracht hat, eine Teilnahmebestätigung über den Workshop "Hilfe im Notfall" vom 04.06.2018 sowie eine Bestätigung positiver Leistungen im Pflichtschulabschluss vom 27.07.2018 übermittelt.

 

8. In einer weiteren Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 24.09.2018 wurde auf die am 30.08.2018 veröffentlichten UNHCR-Richtlinien Bezug genommen und im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass die Richtlinien Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative bzw. innerstaatliche Relokationsalternative aufgrund der aktuellen Lage hinsichtlich Sicherheit, Wahrung der Menschenrechte sowie der humanitären Situation generell ausschließen würden.

 

Der Beschwerdeführer entspreche zudem dem Risikoprofil der Personen, die aus dem Westen zurückkehren, da er im vergleichsweise liberalen Iran aufgewachsen sei und sich seit seiner Ankunft überdurchschnittlich stark an die gesellschaftlichen Gepflogenheiten angepasst habe.

 

Der Stellungnahme wurde ein Schreiben des Ehemanns der ehemaligen Betreuerin des Beschwerdeführers, welche als Vertrauensperson an der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht teilnahm, ein Schreiben einer weiteren ehemaligen Betreuerin in einer Unterkunft des Beschwerdeführers sowie ein am 27.08.2018 ausgestelltes Rezept über Sertralin 50 mg und Seroquel 25 mg beigelegt.

 

Im ersten Schreiben wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer über vieles sehr kritisch nachdenke und mit vielen Vorgaben seiner Religion, dem Islam, nicht einverstanden sei. Der Beschwerdeführer sei der Ansicht, dass man auch an etwas glauben können müsse, ohne auf Schweinefleisch und Alkohol verzichten zu müssen. Auch der Umgang mit dem anderen Geschlecht gestalte sich seiner Meinung nach als schwierig, weshalb er entschieden habe, aus der Gemeinschaft auszutreten. Der Beschwerdeführer möge es, frei und ohne Zwang leben zu können und seine Meinung äußern zu können. Der Beschwerdeführer habe aus seiner Sicht verstanden, worauf es ankomme und besuche derzeit eine Schule, um den Pflichtschulabschluss zu absolvieren. Er sei sicher, dass der Beschwerdeführer seinen Abschluss schaffen werde, nicht zuletzt, weil er an allem sehr interessiert sei und er sein Ziel, in Österreich arbeiten und leben zu dürfen, nicht aus den Augen verliert.

 

Im zweiten Schreiben wird im Wesentlichen dargelegt, dass der Beschwerdeführer von Anfang an ein sehr westlich orientierter junger Mensch gewesen sei, der sich nicht zum Gebet versammelt habe oder an der Organisation von muslimischen Aktivitäten beteiligt gewesen sei. In Gesprächen habe sich herausgestellt, dass dem Beschwerdeführer das Thema Religion durchaus wichtig sei, er aber nicht durch den Glauben zu etwas gezwungen werden wolle. Dies zeige sich insbesondere in Bezug auf den Konsum von Alkohol und dem Verzehr von Schweinefleisch.

 

9. Am 28.12.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine vom BFA übermittelte Anzeige der Landespolizeidirektion Wien vom 12.11.2018, ein Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 13.11.2018 sowie eine Verständigung der Landespolizeidirektion Wien ein.

 

Laut Straferkenntnis habe sich der Beschwerdeführer am 12.11.2018 trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, während dieses seine gesetzliche Aufgabe wahrnahm, aggressiv verhalten, indem der Beschwerdeführer die Nahdistanz gegenüber den Polizeibeamten unterschritten und mit geballten Fäusten auf einen Polizeibeamten zugegangen sei und eine Boxerstellung eingenommen habe. Durch lautes Herumschreien auf der Straße habe der Beschwerdeführer weiters ungebührlichen Lärm erregt. Aufgrund der Verletzung von § 82 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz und § 1 Abs. 1 Z 2 Wiener Landes-Sicherheitsgesetz wurde eine Geldstrafe von 150 und 100 Euro verhängt und der Beschwerdeführer zusätzlich zu einer Zahlung von 25 Euro als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens verpflichtet.

 

In der Begründung des Straferkenntnisses wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die einschlägige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers als mindernd und seine Schuld als erschwerend zu werten sei. Das Verschulden habe nicht als geringfügig angesehen werden können, da der Beschwerdeführer durch seine rücksichtslose Tathandlung seine Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtsordnung zu erkennen gegeben habe. Er habe sich während des polizeilichen Einschreitens exzessiv gebärdet und dabei gegen gesellschaftliche Grundsätze verstoßen.

 

10. Am 15.01.2019 wurde ein Schreiben des Beschwerdeführers übermittelt, in welchem dargelegt wurde, dass er sich weiter intensiv um seine Integration bemühe und seine Sprachkenntnisse noch weiter verbessert habe. Sollte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer nicht den Status des Asylberechtigten bzw. des subsidiär Schutzberechtigten zusprechen, so werde ihm aufgrund seiner guten Integration zumindest ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zuzusprechen sein.

 

Vorgelegt wurde ein Zeugnis über die bestandene Integrationsprüfung vom 03.12.2018, ein Zeugnis über den erfolgreichen Pflichtschulabschluss vom 20.12.2018, ein ÖSD Zertifikat über die bestandene B2 Prüfung vom 06.12.2018, jeweils Detailergebnisse über die bestandenen Prüfungen sowie die Verschreibung der Psychopharmaka Sertralin und Seroquel von einer Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin vom 21.12.2018.

 

11. Am 01.03.2019 langten beim Bundesverwaltungsgericht ein Bescheid sowie eine Verfahrensanordnung der belangten Behörde jeweils vom 01.03.2019 ein. Mit Bescheid vom 01.03.2019 wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 06.04.2017 verloren hat. Begründend wurde ausgeführt, dass er sein Aufenthaltsrecht aufgrund seiner Verurteilung durch das Landesgericht Krems an der Donau am 06.04.2017 nach § 83 (1) StGB, § 125 StGB, § 125 StGB, § 15 StGB § 269 (1) 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, bedingt, Probezeit drei Jahre, sowie die Verurteilung durch das Bezirksgericht XXXX am 18.04.2018 zu einer Freiheitsstrafe von zehn Wochen, bedingt, Probezeit drei Jahre, ex lege verloren habe. Ab dem Tag des Verlustes des Aufenthaltsrechts komme ihm jedoch der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG zu. Der Verlust des Aufenthaltsrecht wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensordnung vom 01.03.2019 mitgeteilt.

 

12. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.04.2019 wurde nach Parteiengehör ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie zum Sachverständigen bestellt.

 

Im neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 25.05.2019 wurde ausgeführt, dass beim Beschwerdeführer derzeit keine krankheitswerte psychische Störung vorliege und die vorliegende emotional instabile Persönlichkeitsakzentuierung zu möglichen affektiven Auslenkungen, wie depressive Verstimmung, führen könne, die unter antidepressiver Therapie jedoch leicht behandelbar sei. Derzeit würden keinerlei Hinweise auf suizidale Tendenzen bestehen. Weiters wurde ausgeführt, dass für die Überlegung der Notwendigkeit eines Erwachsenenvertreters sich derzeit keinerlei Anhaltspunkte finden und der Beschwerdeführer jedenfalls ausreichend in der Lage sei, sich ohne fremde Hilfe selbständige Arbeit, Unterkunft, Verpflegung und medizinische Betreuung zu verschaffen und sich in einer fremden Stadt zu orientieren.

 

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.06.2019 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt und ihm eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt. Neben dem Sachverständigengutachten wurden ihm aktuelle Kurzinformationen des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation, zuletzt jene vom 04.06.2019, übermittelt.

 

In der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 13.06.2019 wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die an den Gutachter gerichtete Fragestellung nicht die spezifische Lage in den afghanischen Städten berücksichtige und insofern zu allgemein formuliert sei. Aufgrund der großen Zahl an Binnenflüchtlingen seien die Städte an ihre Belastungsgrenze angelangt, was sich insbesondere im Mangel an Unterkünften, eingeschränkter medizinischer Versorgung, steigender Nahrungsmittelunsicherheit und einer hohen Arbeitslosigkeit widerspiegle. Das Gutachten halte zudem auch fest, dass allfällige depressive Symptomatiken durch antidepressive Therapie "leicht behandelbar" seien. In diesem Zusammenhang sei auf einen aktuellen Bericht von EASO zu verweisen, wonach die Versorgung psychischer Erkrankungen in Afghanistan de facto nicht existiere. Zu den übermittelten Länderberichten wurde ausgeführt, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor sehr schlecht sei. Die Aktualisierung der Staatendokumentation zum 4. Quartal dokumentiere eine Steigerung der zivilen Opfer im Vergleich zum Vorjahr. Es werde nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer an keiner lebensbedrohlichen Krankheit leidet, bei einer Abschiebung drohe dem Beschwerdeführer aber angesichts der dort herrschenden humanitären Lage sowie seines Gesundheitszustandes eine Verletzung seiner in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte.

 

Zum Beweis dafür, dass der Ausritt des Beschwerdeführers aus der islamischen Glaubensgemeinschaft auf einer gefestigten Überzeugung beruhe, würden diverse Fotos, die den Beschwerdeführer beim Konsum von Alkohol, mit Freunden und bei einer Weihnachtsfeier zeigen, übermittelt. Zudem wurde ein Antrag auf eine weitere Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zum Beweis dafür, dass sich die ablehnende Haltung des Beschwerdeführers gegenüber dem Islam im letzten Jahr weiter verfestigt habe und ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan asylrelevante Verfolgung droht, gestellt.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist im Iran geboren, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Seine Muttersprache ist Dari bzw. Farsi.

 

Die Eltern des Beschwerdeführers verließen Afghanistan aufgrund des dort herrschenden Krieges. Sein Vater stammt aus der Provinz Maidan Wardak und verließt Afghanistan im Alter von 15 Jahren. Seine Mutter stammt aus der Provinz Bamyan und war noch ein Kind, als sie Afghanistan verließ. Der Beschwerdeführer wuchs gemeinsam mit seinen Eltern, seinen zwei Brüdern und seiner Schwester im Iran auf, besuchte fünf Jahre lang eine Grundschule im Iran und arbeitete danach im Iran auf Baustellen und als Metallarbeiter.

 

Im Iran leben sein Vater, seine Mutter, seine zwei Brüder, seine Schwester, seine zwei Onkel väterlicherseits bei seinem Großvater, ein Onkel mütterlicherseits sowie zwei Tanten väterlicherseits. Sein Vater arbeitet als Obstverkäufer und seine Mutter ist Hausfrau. Einer seiner Brüder besucht die Schule, der andere arbeitet als Schlosser und Maurer. Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Mutter.

 

1.1.2. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schweren Krankheiten und ist arbeitsfähig. Beim Beschwerdeführer liegt zum Entscheidungszeitpunkt keine krankheitswerte psychische Störung vor.

 

1.2. Zur Rückkehrmöglichkeit nach Afghanistan:

 

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan keinen konkret gegen seine Person gerichteten Bedrohungen ausgesetzt. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie hat Feindschaften in Afghanistan. Eine Gefährdungslage aus religiösen Gründen bzw. wegen Abfall vom Islam wird nicht festgestellt.

 

Eine Ansiedlung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif oder Herat ist möglich und zumutbar. Er kann die Städte Mazar-e Sharif und Herat von Österreich sicher mit dem Flugzeug (auch über Kabul) erreichen.

 

Der Beschwerdeführer ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Er ist im Iran geboren und in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen, weshalb er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut ist. Der Beschwerdeführer verfügt über keine familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Angesichts seiner grundsätzlichen Arbeitsfähigkeit könnte er sich aber in Mazar-e Sharif oder Herat eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, in Herat oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Er könnte anfangs auch finanzielle Unterstützung von seinen im Iran lebenden Familienangehörigen und Verwandten erhalten.

 

1.3. Zur Situation des Beschwerdeführers in Österreich:

 

1.3.1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Asylantragstellung am 02.09.2015 in Österreich. Der Beschwerdeführer wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt.

 

Er hat keine Verwandten in Österreich. Er pflegt freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Privatpersonen. In seiner Freizeit unternimmt der Beschwerdeführer häufig etwas mit einer österreichischen Familie und spielt Keyboard und macht Sport.

 

Er hat in Österreich an verschiedenen (Deutsch)Kursen, einem Praktikum sowie einem Workshop teilgenommen. Von 12.02.2018 bis 31.12.2018 besuchte er einen Pflichtschulabschlusskurs im Bildungszentrum BACH und absolvierte am 20.12.2018 die Pflichtschulabschlussprüfung. Am 03.12.2018 absolvierte der Beschwerdeführer die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz, Niveau B1, und zu Werte- und Orientierungswissen. Am 02.01.2019 hat er die Prüfung ÖSD Zertifikat B2 bestanden.

 

1.3.2. Mit Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 06.04.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen § 83 Abs. 1, § 125, § 15, § 269 Abs. 1 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt, welche unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde.

 

Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 18.04.2018 wurde des Beschwerdeführer wegen des zweifachen Vergehens der Körperverletzung zu einer Freiheitstrafe in der Dauer von 10 Wochen verurteilt. Der Vollzug wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren nachgesehen. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht des Urteils des Landesgerichts Krems vom 06.04.2017 wurde abgesehen und die Probezeit von drei auf fünf Jahre verlängert.

 

Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 13.11.2018 wurde über den Beschwerdeführer aufgrund der Verwaltungsübertretungen nach § 82 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz und § 1 Abs. 1 Z 2 Wiener Landes-Sicherheitsgesetz eine Geldstrafe in Höhe von insgesamt 250 Euro verhängt, weil der Beschwerdeführer durch Herumschreien auf der Straße ungebührlicherweise störenden Lärm erzeugt hat und sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, während dieses seine gesetzliche Aufgabe wahrgenommen hat, aggressiv verhalten hat, indem er die Nahdistanz gegenüber den Polizeibeamten unterschritten hat und mit geballten Fäusten auf einen Polizeibeamten losgegangen ist.

 

Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 08.05.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen einer Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Das Datum der letzten Tat war am 27.11.2018.

 

1.4. Zur maßgeblichen Lage in Afghanistan im konkreten Fall werden nachfolgende Feststellungen getroffen:

 

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

 

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

 

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

 

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

 

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

 

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Zivile Opfer

 

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

 

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

 

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019). Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

 

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

 

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

 

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

 

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

 

Balkh

 

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

 

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3).

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

 

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage:

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

 

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Balkh:

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

 

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh:

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

 

Herat

 

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

 

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

 

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

 

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

 

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage:

 

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

 

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

 

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Herat:

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat:

 

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).

 

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).

 

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

 

Überflutungen und Dürre

 

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

 

Religionsfreiheit

 

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5 .2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

 

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

 

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

 

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

 

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5 .2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5 .2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

 

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

 

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

 

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

 

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

 

Hazara

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsächlich dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5 .2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

 

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

 

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9 .2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

 

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

 

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

 

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs) (UN GASC 27.2.2018). Im Zeitraum 2012-2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen (IOM/DTM 26.3.2018).

 

Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder (UN OCHA 15.5.2018).

 

Zwischen 1.1.2018 und 29.4.2018 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Kunduz und Faryab (USAID 30.4.2018). Mit Stand Dezember 2017 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Herat, Nangarhar, Kabul, Kandahar, Takhar, Baghlan, Farah, Balkh, Herat, Kunduz, Kunar, Khost, Nimroz, Logar, Laghman und Paktya (IOM 8.5.2018; vgl. IOM/DTM 26.3.2018). Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw. bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30% der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.3.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt (USAID 30.4.2018).

 

Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz (USDOS 20.4.2018). Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung (UN OCHA 12.2017).

 

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 5 .2018).

 

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und rechtzeitigen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen. Berichten zufolge werden viele Binnenvertriebene diskriminiert, haben keinen Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen sowie anderen grundlegenden Dienstleistungen und leben unter dem ständigen Risiko, aus ihren illegal besetzten Quartieren delogiert zu werden (USDOS 20.4.2018).

 

Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Rückkehrende sind wegen des Mangels an landwirtschaftlichem Besitz und Vermögen besonders gefährdet. Berichten zufolge brauchen mehr als 80% der Binnenvertriebenen Nahrungsmittelhilfe (USAID 30.4.2018). Die afghanische Regierung kooperierte mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw. (UN OCHA 27.5.2018; vgl. UN OCHA 20.5.2018, UN OCHA 21.1.2018).

 

Organisationen wie Afghanaid, Action Contre La Faim (ACF), Agency for Technical Cooperation and Development (ACTED), Afghan Red Crescent Society (ARCS), Afghanistan National Disaster Management Authority (ANDMA), CARE, Danish Committee for Aid to Afghan Refugees (DACAAR), IOM, Danish Refugee Council (DRC), New Consultancy and Relief Organization (NCRO), Save the Children International (SCI), UN's Children Fund (UNICEF), UNHCR, World Food Programme (WFP) bieten u.a. Binnenvertriebenen Hilfeleistungen in Afghanistan an (UN OCHA 27.5.2018; vgl. UN OCHA 20.5.2018).

 

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

 

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

 

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

 

Medizinische Versorgung

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5 .2018).

(...)

 

(...) Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (IOM 5.2.2018).

 

Beispiele für Behandlung psychischer erkrankter Personen in Afghanistan

 

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben (AA 9 .2016; vgl. AP 18.8.2016). Beispielweise wurde in der Provinz Badakhshan durch internationale Zusammenarbeit ein Projekt durchgeführt, bei dem konventionelle und kostengünstige e-Gesundheitslösungen angewendet werden, um die vier häufigsten psychischen Erkrankungen zu behandeln: Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Erste Evaluierungen deuten darauf hin, dass in abgelegenen Regionen die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter konnte reduziert werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (AA 5 .2018).

 

Rückkehr

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

 

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Internationale Flughäfen in Afghanistan

 

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).

 

Internationaler Flughafen Kabul

 

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (Tolonews 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o. D.). Projekte zum Ausbau des Flughafens sollen gemäß der Afghanistan's Civil Aviation Authority (ACAA) im Jahr 2018 gestartet werden (Tolonews 18.12.2017).

 

Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif

 

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (Pajhwok 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Kam Air - eine private afghanische Fluglinie, führt seit kurzem auch internationale Flüge nach Delhi durch. Diese Flüge werden als nutzbringend für die afghanische Bevölkerung im Norden angesehen - sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere für jene, die spezielle medizinische Behandlungen benötigen. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu-Delhi aus angeflogen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Internationaler Flughafen Herat

 

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet (HIA o.D.). Seit 2012 gilt er als internationaler Flughafen (Telesur 13.7.2017; vgl. TN 15.7.2017, Pajhwok 13.2.2012, DW 10.4.2013), von wo aus Flüge in den Iran, nach Pakistan, Dubai oder Tadschikistan gehen (HIA o.D.).

 

Zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative für bestimmte Profile

 

Zusammenfassend ergibt sich, dass eine IPA (Anm: Innerstaatliche Fluchtalternative) in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif für alleinstehende erwachsene Männer und verheiratete Paare ohne Kinder, die keine zusätzliche Vulnerabilität aufweisen, auch ohne ein Unterstützungsnetzwerk zumutbar ("reasonable") ist. Um ihre Grundbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Hygiene sicherzustellen, benötigen andere Profile im Allgemeinen ein Unterstützungsnetz im Bereich potenzieller IPA. Es können jedoch zusätzliche individuelle Umstände relevant sein, die bei der Beurteilung der Zumutbarkeit zu berücksichtigen sind. (EASO, Country Guidance: Afghanistan, June 2018, S 106).

 

Auszug aus der ACCORD-Anfragebeantwortung a-10159 vom 01.06.2017:

 

Eine Person wird nicht notwendigerweise als nichtgläubig angesehen, wenn sie nicht an religiösen Handlungen im öffentlichen Raum teilnimmt. Auch für strenggläubige Muslime kann es legitime Gründe geben, religiösen Zeremonien fernzubleiben. Es ist Personen im städtischen Raum möglich, auf Moscheebesuche oder das Fasten während des Ramadan zu verzichten. Es gibt geografisch bedingte Unterschiede, und solche abweichenden Verhaltensweisen werden im städtischen Raum und in gebildeten Milieus eher toleriert als im ländlichen Raum. (Anfragebeantwortung a-10159 vom 1. Juni 2017, S. 22 f)

 

Es kann auch Unterschiede je nach ethnischer und religiöser Gruppe geben. So haben Schiiten mehr Freiheit zu entscheiden, zu welchem Mullah sie gehen möchten und damit auch in Bezug auf die Frage, ob sie in die Moschee gehen wollen und gegebenenfalls in welche Moschee. Bei Sunniten wird in stärkerem Ausmaß erwartet, dass sie zumindest eines der fünf Gebete am Tag in einer Moschee verrichten. Zudem ist es in der paschtunischen Kultur üblich, seiner religiösen Zugehörigkeit durch kulturelle Praktiken (Handlungen im Alltag) Ausdruck zu verleihen. Folglich ist es schwieriger, abweichende Haltungen zu verschleiern, und es besteht eine geringere Toleranz für divergierende Handlungen. Es gibt Raum dafür, auf Befolgung religiöse Rituale und Vorschriften zu verzichten, ohne dass dies notwendigerweise Aufmerksamkeit erregt. (Anfragebeantwortung a-10159 vom 1. Juni 2017, S. 22 f)

 

Auszüge aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "AFGHANISTAN - Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan" vom 12.07.2017:

 

Personen, die vom Islam abgefallen sind:

 

Es gibt fast keine öffentlichen Vorfälle zu der Behandlung von Abtrünnigen, da Abtrünnige in den meisten Fällen - gleich wie Christen - sich nicht öffentlich zu ihrem Glauben bekennen; nichtsdestotrotz gibt es Berichte, dass sie in sozialen Medien ihrem Glauben Ausdruck verliehen haben. Sofern sich diese Personen nicht auf Diskussionen einlassen, die den/ihren Glauben betreffen, welche zu sozialen Unruhen führen, werden staatliche Behörden keine Maßnahmen gegen sie setzen. Sollten sie aber soziale Probleme hervorrufen, indem sie sich auf Diskussionen einlassen, um ihren Abfall vom Glauben zu unterstützen, so werden die staatlichen Behörden ihnen das nicht erlauben und sie belangen. In Haftanstalten können Behörden [Anm.: Staatsbedienstete] sie nicht schlechter behandeln und tun es auch nicht; aber sollten Abtrünnige mit anderen Häftlingen leben, würden andere Häftlinge schlechte Absichten gegen sie hegen und es gäbe die Möglichkeit Schikane durch andere Häftlinge. Nichtsdestotrotz gibt es keine Berichte zu solchen Vorfällen. Es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen.

 

Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten:

 

Es gibt viele Menschen, die während des Ramadans nicht fasten und freitags nicht beten. Die Behandlung auf dem Land und der Stadt unterscheidet sich; es ist eine heiklere Angelegenheit in den ländlichen Gebieten, als in den städtischen Gebieten. Dazu gibt es keine offiziellen Berichte, nichtsdestotrotz kam und kommt es zu Vorfällen: Jene, die nicht während des Ramadans fasten und freitags nicht beten, wird von der Gesellschaft nahegelegt [Anm.: zumindest] das Freitags- und Ramadan-Gebet einzuhalten; die Gesellschaft behandelt dies als kleine Vergehen [Anm.: wörtliche Übersetzung - wenig obszön]. Das Nicht-Fasten während des Ramadans ist eine heiklere Angelegenheit; Vorfälle schlechter Behandlung aufgrund des Nichtfastens durch die Gesellschaft kommen vor. Für das Nichtbeten des Freitagsgebetes werden sie nicht bestraft und von den staatlichen Behörden nicht angewiesen, dies zu tun; für das Nichtfasten während des Ramadans würden staatliche Behörden dem Nichtfastenden-des-Ramadan anraten und anweisen den Ramadan einzuhalten. Berichte zu stundenlangen Polizeiverhören mit Nichtfastenden-des-Ramadan existieren, dennoch bestehen keine Berichte zu offizieller Strafverfolgung.

 

Personen, die öffentlich Kritik am Islam geäußert haben:

 

Es existieren einige Berichte über Personen, die den Islam öffentlichen kritisiert haben in sozialen Medien.

Höchstwahrscheinlich werden jene, die den Islam öffentlich kritisiert haben, strafrechtlich verfolgt werden; aber die meisten strafrechtlichen Verfolgungen werden nicht zu einer schnellen und bestimmten Bestrafung führen. Auch ist unklar, ob die strafrechtlichen Verfolgungen dem Schutz oder der Bestrafung dienen. In wenigen Fällen werden die Schuldigen verhaftet und aus dem Land gebracht.

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu seiner Herkunft ergeben sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren.

 

Das Datum der Asylantragstellung ist aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes ersichtlich.

 

Die Feststellungen zu der Situation seiner Familie sowie zum Aufenthalt der Familienangehörigen ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens. Es besteht kein Grund an der Richtigkeit dieser Schilderung zu zweifeln.

 

2.2. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 25.05.2019. Darin wird explizit ausgeführt, dass beim Beschwerdeführer derzeit keine krankheitswerte psychische Störung vorliegt.

 

Diesem ist der Beschwerdeführer nicht substantiiert entgegengetreten. Auch wenn der Beschwerdeführervertreter in der Stellungnahme vom 13.06.2019 anführt, dass die Versorgung psychischer Erkrankungen in Afghanistan de facto nicht existiere, räumt er doch selbst ein, dass der Beschwerdeführer an keiner lebensbedrohlichen Krankheit leidet und ergibt sich zudem aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten eindeutig, dass in der afghanischen Bevölkerung viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen leiden, die afghanische Regierung sich der Problematik bewusst ist und geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt hat. Es ist ersichtlich, dass - auch wenn die Behandlung von psychischen Erkrankungen nach wie vor noch nicht in ausreichendem Maß stattfindet - sich die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit langsam entwickelt und zB in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus und in Kabul eine weitere psychiatrische Klinik befinden sowie landesweit alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen anbieten. Aus den Länderberichten ist zudem ersichtlich, dass Medikamente in Apotheken verfügbar sind. Es ist daher davon auszugehen, dass in Afghanistan ausreichend Möglichkeiten zur Behandlung von psychischen Erkrankungen gegeben sind. Zudem ist anzuführen, dass die beim Beschwerdeführer allfällig auftretenden depressiven Verstimmungen laut Gutachten vom 25.05.2019 unter antidepressiver Therapie leicht behandelbar sind. Dafür, dass dem Beschwerdeführer eine allenfalls benötigte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht zugänglich sein würde, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Auch ist nicht hervorgekommen bzw. wurde nicht dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat verschlechtern würde.

 

Hinweise auf eine mangelnde Arbeitsfähigkeit haben sich im Verfahren nicht ergeben; im Gutachten wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer jedenfalls ausreichend in der Lage ist, sich ohne fremde Hilfe selbständige Arbeit, Unterkunft, Verpflegung und medizinische Betreuung zu verschaffen und sich in einer fremden Stadt zu orientieren. Auch weisen die vorgelegten Unterlagen, insbesondere die Bestätigung eines absolvierten Praktikums des Beschwerdeführers, auf die grundsätzliche Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers hin.

 

2.3. Was das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe sich vom Islam abgewandt, und seine dazu vorgelegte Austrittserklärung betrifft, so ist zunächst anzumerken, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft dartun konnte, dass er seine behauptete Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht. Er konnte nicht überzeugend erklären, warum genau er den Islam nicht praktiziert bzw. nicht praktizieren will; er beschränkte sich in seinen Aussagen darauf, dass er Alkohol trinken und Schweinefleisch essen und nicht fasten wolle, weil er zu schwach sei; auch auf Nachfrage vermochte er keine näheren Aussagen dazu zu treffen und vermochte seine innere Überzeugung nicht nachvollziehbar zu vermitteln. Dieser Eindruck konnte auch durch die Zeugenaussage der Vertrauensperson und die vorgelegten Unterstützungsschreiben nicht erschüttert werden. Aufgrund seinen Schilderungen konnte ein Abfall vom Islam somit nicht erkannt werden.

 

Hinzu kommt, dass sich aus der Berichtslage nicht ergibt, dass eine Person, die sich nicht an die Regeln des Islam hält, allein aus diesem Grund mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hat, wenn sie sich in einer der größeren Städte in Afghanistan aufhält. Dies geht aus einer Gesamtschau der im Verfahren erörterten Länderinformationen hervor.

 

In der dem Parteiengehör unterworfenen ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.06.2017 wird klar zwischen Personen, die vom Islam "abgefallen" sind oder zB "Kritik am Islam äußern" einerseits und Personen, die sich (bloß) "nicht an die Regeln des Islam halten" unterschieden. Apostasie, also der Abfall vom Islam, ist nach islamischem Recht mit massiven Strafen (bis zur Todesstrafe) bedroht. Laut Anfragebeantwortung gibt es in Afghanistan viele Moslems, die nicht zur Moschee gehen würden, dadurch aber nicht in Verdacht geraten oder deswegen nicht automatisch als nichtgläubig angesehen würden. Ein Leben in der afghanischen Gesellschaft ist für Personen, die über ihre Ablegung des islamischen Glaubens Stillschweigen bewahren, möglich. Diesen Aussagen ist der Beschwerdeführer im Verfahren weder substantiiert entgegengetreten, noch hat er Belege für eine gegenteilige Annahme genannt. Laut Anfragebeantwortung ist es möglich, dass man Bier trinken und dennoch Moslem sein könne und dass es Personen im städtischen Raum möglich ist, auf Moscheebesuche oder das Fasten während des Ramadans zu verzichten.

 

Es gibt laut Anfragebeantwortung auch Unterschiede zwischen den religiösen Gruppen: Danach sei nach den herrschenden Auffassungen etwa bei Schiiten (damit im Fall des Beschwerdeführers) die Freiheit größer zu entscheiden "zu welchem Mullah" man gehe, bzw. ob und in welche Moschee (anders als bei Sunniten).

 

Auch aus der dem Parteiengehör unterworfenen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "AFGHANISTAN - Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan" vom 12.07.2017 lässt sich keine Verfolgung von Abtrünnigen, welche sich nicht öffentlich dazu bekennen, ableiten. Laut dieser Anfragebeantwortung gibt es viele Menschen, die während des Ramadans nicht fasten und freitags nicht beten würden, es ist eine heiklere Angelegenheit in den ländlichen Gebieten, als in den städtischen Gebieten. Das Nicht-Fasten während des Ramadans sei zwar eine heiklere Angelegenheit, bei welchem Vorfälle schlechter Behandlung durch die Gesellschaft vorkommen können. Staatliche Behörden würden den Nicht-Fastenden anweisen, den Ramadan einzuhalten, dies gilt nicht für das Nichtbeten des Freitagsgebetes; für das Nichtfasten während des Ramadans würden staatliche Behörden dem Nichtfastenden-des-Ramadan anraten und anweisen den Ramadan einzuhalten. Berichte zu stundenlangen Polizeiverhören mit Nichtfastenden-des-Ramadan existieren, dennoch bestehen keine Berichte zu offizieller Strafverfolgung.

 

Es ist im Beschwerdefall daher nicht davon auszugehen, dass den Beschwerdeführer, wenn er sich tatsächlich nicht an die Regeln des Islams halten und zB Alkohol trinken, nicht in Moscheen gehen würde und nicht am Fasten während des Ramadans teilnehmen wolle, im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung asylrelevanter Intensität träfe und hat der Beschwerdeführer eine solche auch nicht nachvollziehbar dargelegt. Eine konkrete Verfolgung konnte damit nicht glaubhaft gemacht werden.

 

Aus diesem Grund konnte auch eine weitere mündliche Verhandlung mit einer (neuerlichen) Einvernahme des Beschwerdeführers und Zeugenbefragungen - wie beantragt - unterbleiben, zumal der Beschwerdeführer in der Stellungnahme vom 13.06.2019 eine Verfestigung seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Islam nicht über eine bloße vage Behauptung hinausgehend substantiiert geltend gemacht hat. Auch die in diesem Zusammenhang vorgelegten Fotos, die den Beschwerdeführer auf einem Weihnachtsfest bzw. Alkohol trinkend zeigen, ändern nichts an dieser Beurteilung.

 

Der Beschwerdeführer hat im gesamten Verfahren auch kein Vorbringen dahingehend erstattet, dass er konkreten individuellen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen ist oder im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre. Er wurde im Iran geboren und war nie in Afghanistan. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Situation in Afghanistan beschränken sich auf das Vorbringen, dass dort Krieg herrsche und er als Hazara verfolgt werde.

 

Eine individuelle Bedrohung vermochte der Beschwerdeführer damit nicht geltend zu machen. Es wurden auch keine Probleme von Familienangehörigen oder sonstigen Personen aus dem Umfeld des Beschwerdeführers in Afghanistan geltend gemacht, woraus sich eine Verfolgung des Beschwerdeführers ableiten hätte lassen können.

 

Eine Verfolgung des Beschwerdeführers alleine aus dem Umstand, dass er der Volksgruppe Hazara angehört, kann auf Basis der Quellenlage nicht angenommen werden. Eine allgemeine systematische Verfolgung aller Hazara oder aller Rückkehrer durch die Taliban kann auf Basis der Berichtslage nicht erkannt werden.

 

Dass jeder afghanische Staatsangehörige, der sich in Europa aufgehalten hat, im Falle seiner Rückkehr alleine aus diesem Grund einer Verfolgung ausgesetzt wäre, kann aus der Quellenlage nicht geschlossen werden. Auch dafür, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der Rückkehr aus dem "westlichen" Ausland und der von ihm angegebenen "Verwestlichung" seines Lebensstils erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre, bestehen aufgrund der Berichtslage keine Anhaltspunkte.

 

2.4. Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan stützen sich auf das dem Parteiengehör unterworfene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, aktualisiert mit letzter Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019, sowie den EASO-Bericht ‚Country Guidance: Afghanistan' von Juni 2018 und beruhen auf einer Vielzahl von darin angeführten verschiedenen, voneinander unabhängigen Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen. In ihrer Kernaussage bieten diese Dokumentationen ein stimmiges und einheitliches Gesamtbild ohne Widersprüche und besteht daher für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der darin getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

 

Die Feststellungen zu Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten, stützen sich insbesondere auf die dem Parteiengehör unterworfenen Anfragebeantwortungen von ACCORD vom 01.06.2017 und der Staatendokumentation vom 12.07.2017.

 

Der Beschwerdeführer bzw. sein Vertreter ist den Länderberichten nicht (substantiiert) entgegengetreten. Vielmehr stützt sich dieser in den Stellungnahmen vom 23.07.2018 und 22.08.2018 ebenfalls in wesentlichen Teilen auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018. Die weiteren Ausführungen stehen nicht im Widerspruch zu den getroffenen Länderfeststellungen und zeigen allesamt keine Situation, insbesondere in Mazar-e Sharif oder Herat auf, welche generell einer Rückkehr entgegenstehen würde.

 

Den Ausführungen des Beschwerdeführervertreters zu den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 ist entgegenzuhalten, dass laut diesen eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul generell nicht möglich sei, was aber nicht bedeutet, dass eine solche in bestimmten Fällen nicht dennoch möglich ist. Wie vom Beschwerdeführervertreter in der Stellungnahme vom 24.09.2018 selbst ausgeführt, ist den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 auf Seite 110 zu entnehmen, dass alleinstehenden, gesunden Männer ohne spezielle Vulnerabilitäten eine Rückkehr auch ohne Familie und sozialem Netzwerk möglich sein kann. Dies deckt sich auch mit dem EASO-Bericht ‚Country Guidance: Afghanistan' von Juni 2018, welcher ebenfalls in der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 24.09.2018 angeführt wird (siehe dazu auch unten die Ausführungen unter 2.5. und in der Rechtlichen Beurteilung).

 

Was die generelle Sicherheitslage für die Zivilbevölkerung betrifft, ist festzuhalten, dass Mazar-e Sharif in einer Provinz mit einer im landesweiten Vergleich stabilen Sicherheitslage mit einer in Relation zur Einwohnerzahl vergleichsweise geringen Anzahl an zu verzeichnenden sicherheitsrelevanten Vorfällen gelegen ist. Der Beschwerdeführer kann Mazar-e Sharif oder Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen. Entsprechend den aktuellen Länderinformationen im EASO-Leitfaden werden auch die Straßen zwischen den etwas außerhalb des Stadtgebiets gelegenen internationalen Flughäfen und den Städten Mazar-e-Sharif sowie Herat während des Tages als sicher eingestuft (vgl. auch EASO - Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, S. 102). Die in der Stadt Mazar-e Sharif verzeichneten Anschläge ereignen sich hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif nach wie vor als ausreichend gut zu bewerten ist. Die afghanische Regierung hat die Kontrolle über die genannte Stadt und es besteht trotz vereinzelten Anschlägen und Angriffen regierungsfeindlicher Gruppen keine derartige Gefahrenlage, die ein reales Risiko für eine Beeinträchtigung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit des Beschwerdeführers darstellen würde, eine Einschätzung die zuletzt auch von EASO geteilt wurde (vgl. auch EASO - Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, S. 79).

 

In der Stadt Herat besteht eine Präsenz aufständischer Kräfte nur eingeschränkt und findet willkürliche Gewaltausübung bloß auf so niedrigem Niveau statt, dass für Zivilpersonen kein reales Risiko besteht, Opfer nicht zielgerichteter Gewalt zu werden (vgl. auch EASO - Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, S. 82).

 

Die Grundversorgung ist in Afghanistan generell - und so insbesondere auch in der Stadt Mazar-e Sharif bzw. in Herat - grundlegend gesichert. Zwar ist die Situation, insbesondere in Herat, wegen der Zahl der Binnenvertriebenen und der Dürre im Jahr 2018 sowie der jüngeren Überflutungen in einzelnen Distrikten der Provinz Herat angespannt. Der aktuellen Quellenlage ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Grundversorgung der Bevölkerung (mit Nahrungsmittel und Trinkwasser) in Mazar-e Sharif oder Herat generell nicht mehr gewährleistet oder das Gesundheitsversorgungssystem zusammengebrochen wäre. Auch aus den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 ist nicht ableitbar, dass aus diesem Grund eine Rückkehr generell nicht in die genannten Städte möglich ist.

 

Es wird nicht verkannt, dass sich die Lage für Rückkehrer aufgrund der wirtschaftlichen Lage in Afghanistan als durchaus schwierig erweisen und für Rückkehrer ohne soziales Netzwerk eine besondere Herausforderung darstellen kann, jedoch kann, wie dargetan, auf Basis der Berichtslage nicht davon ausgegangen werden, dass eine Rückkehr nach Afghanistan allgemein nicht zugemutet werden kann und für jeden Rückkehrer eine existenzbedrohende Situation entsteht.

 

2.5. Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat möglich und zumutbar ist, ergibt sich zunächst daraus, dass der Beschwerdeführer während des gesamten Verfahrens nicht glaubhaft machen konnte, dass er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt wäre.

 

Dass dem Beschwerdeführer eine Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif und Herat möglich und zumutbar ist, basiert auf einer Zusammenschau der länderspezifischen Feststellungen (siehe auch 2.4.) und den beim Beschwerdeführer vorliegenden persönlichen Umständen. Diesbezüglich sind insbesondere auch seine Sprachkenntnisse und seine Arbeitserfahrung (als Schlosser und Maurer) zu berücksichtigen. Es gibt keinen Anhaltspunkt, wieso er in Mazar-e Sharif oder in Herat nicht in der Lage sein sollte, seine Existenz - etwa auch durch Gelegenheits- und Hilfsarbeiten - zu sichern und eine einfache Unterkunft zu finden. Er könnte jedenfalls in den genannten Städten seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse befriedigen und würde nicht in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Lage geraten. Der Beschwerdeführer findet in diesen Städten zwar kein soziales Netzwerk vor, jedoch weist der arbeitsfähige Beschwerdeführer keine besondere Vulnerabilität auf, welche einer Ansiedlung entgegenstehen würde (vgl. Pkt. 2.2.). Wie im medizinischen Gutachten festgehalten ist der Beschwerdeführer jedenfalls ausreichend in der Lage, sich ohne fremde Hilfe selbständige Arbeit, Unterkunft, Verpflegung und medizinische Betreuung zu verschaffen und sich in einer fremden Stadt zu orientieren.

 

Zur Erleichterung seiner Rückkehr könnte der Beschwerdeführer zudem eine finanzielle Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen, die zumindest in der ersten Zeit als Überbrückung dienen kann, bis er eine Arbeit gefunden hat. Er könnte anfänglich auch Unterstützung seiner im Iran lebenden Familie und Verwandten erhalten. Es ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht in Treffen geführt, warum ihm diese anfänglich nicht finanziell unter die Arme greifen könnten, bis der Beschwerdeführer in einer der genannten Städte Fuß gefasst hat. Aus den verwendeten Länderberichten geht hervor, dass die Großfamilie die zentrale soziale Institution in Afghanistan ist und das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen bildet. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei.

 

2.6. Die Feststellungen zur Situation des Beschwerdeführers in Österreich gehen aus seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung und den vorgelegten Unterlagen (Unterstützungsschreiben sowie Bestätigungen über Kursbesuche, Zeugnisse, Teilnahme an Workshops und Exkursionen, Fotos) hervor.

 

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem das Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafregisterauszug sowie den im Akt befindlichen Urteilen. Die Verwaltungsübertretungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem dem Bundesverwaltungsgericht vom BFA übermittelten Straferkenntnis vom 13.11.2018.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

 

3.1. Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

 

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren" (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.06.2010, U 613/10).

 

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0012; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

 

3.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256, mwN).

 

Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551; 29.06.2006, 2002/20/0167).

 

Eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059; 18.11.2015, Ra 2014/18/0162; 19.04.2016, Ra 2015/20/0302, je mwN).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) - , kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit aufgrund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191).

 

Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

 

Ausgehend von diesen rechtlichen Voraussetzungen ergibt sich im Lichte des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist. Insbesondere konnte vom Beschwerdeführer eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen nicht glaubhaft gemacht und auch sonst vom erkennenden Gericht nicht festgestellt werden.

 

Der Beschwerdeführer hat den Abfall vom Islam nicht glaubhaft gemacht. Darüber hinaus würde, wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, das Nichtpraktizieren des Islam gegenständlich nicht zu einer asylrelevanten Verfolgung führen.

 

Es ist auf Grundlage der Berichte auch nicht davon auszugehen, dass ein Angehöriger der ethnischen Minderheit der Hazara im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein. (siehe dazu zuletzt VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0428). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit Hazara nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M. v. Niederlande). Eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara lässt sich somit nicht erkennen.

 

Eine allgemeine systematische Verfolgung aller Rückkehrer durch die Taliban kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185 mwN).

 

Soweit der Beschwerdeführer auf seine "verwestlichte" Lebenseinstellung verweist, ist festzuhalten, dass UNHCR seinen Richtlinien zufolge zwar der Auffassung ist, dass in diesen Fällen eine besonders sorgfältige Prüfung der möglichen Risiken notwendig sei, nicht jedoch, dass insoweit generell eine Verfolgung vorliege. Konkrete relevante Risiken betreffend den Beschwerdeführer konnten nicht festgestellt werden. Es kann nicht erkannt werden, dass aufgrund einer "Verwestlichung" des Beschwerdeführers eine konkrete Verfolgungsgefahr bestünde; die Berichtslage bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass in Afghanistan eine generelle Verfolgung von Personen, die sich ein paar Jahre in Europa aufgehalten haben, gegeben wäre.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war sohin abzuweisen.

 

Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen ist, wenn aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. In diesem Zusammenhang wäre die kontinuierliche Straffälligkeit des Beschwerdeführers, zuletzt wegen einer Körperverletzung am 08.05.2019 zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, im Rahmen der Prüfung einer allfälligen Gemeingefährlichkeit zu berücksichtigen. Diese Frage des Vorliegens eines Asylausschlussgrundes muss aber nicht näher geprüft werden, da im Fall des Beschwerdeführers ohnehin keine glaubhaften und keine asylrelevanten Fluchtgründe gegeben sind.

 

3.2. Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

 

3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (§ 11 Abs. 1 AsylG 2005).

 

Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs. 2 AsylG 2005).

 

Es ist somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht.

 

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 und 23.09.2009, 2007/01/0515 mwN).

 

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen. Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein sowie ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen (siehe zB VwGH 30.05.2001, 97/21/0560).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Appl. 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Rz 218, mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, Appl. 25.904/07, NA gegen Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), auf Grund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Appl. 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Rz 217).

 

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EG ) und umfasst - wie der Gerichtshof der Europäischen Union erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er auf Grund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji, und vom 30.01.2014, C-285/12, Diakité).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, wonach es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61.204/09 mwH).

 

Für die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist eine konkrete Auseinandersetzung mit den den Asylwerber konkret und individuell betreffenden Umständen, die er bei Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu gewärtigen hätte, erforderlich. (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233) Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert im Hinblick auf das ihr unter anderem innewohnende Zumutbarkeitskalkül somit insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Nach allgemeiner Auffassung soll die Frage der Zumutbarkeit danach beurteilt werden, ob der in einem Teil seines Herkunftslands verfolgte oder von ernsthaften Schäden (iSd Art. 15 Statusrichtlinie) bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein "relativ normales Leben" ohne unangemessene Härte führen kann (vgl. etwa UNHCR Richtlinien Nr. 4., Rz 22 ff; Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie [2009], 226 ff). Dabei ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen. (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, mwN)

 

Marx (a.a.O., 227) argumentiert, die zentrale Frage laute, ob bei Berücksichtigung sämtlicher konkreter Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten vom Asylwerber vernünftigerweise verlangt werden könne, einen anderen Ort innerhalb seines Herkunftslandes aufzusuchen. Der dort zur Verfügung stehende Schutz müsse angemessen und erreichbar sein. Zusätzlich zu konkreten Sicherheitsfragen erfordere dies eine Berücksichtigung grundlegender ziviler, politischer und sozioökonomischer Rechte. Kontroversen kämen indes auf, wenn es um konkrete Fragen, wie etwa den Zugang zu angemessenen Arbeitsmöglichkeiten und um soziale Unterstützung gehe. Insoweit bestehe lediglich Übereinstimmung, dass die soziale und wirtschaftliche Existenz am Ort der innerstaatlichen Schutzalternative sichergestellt sein müsse. Der UNHCR formuliert in seinen Richtlinien Nr. 4, Rz 24 ff, dass die Beantwortung der Frage, ob dem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, von mehreren Faktoren abhängt. Dazu müssten die persönlichen Umstände des Betroffenen (einschließlich allfälliger Traumata infolge früherer Verfolgung), die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden. Zum Aspekt des wirtschaftlichen Überlebens führt der UNHCR u.a. aus, dass ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation keine ausreichenden Gründe seien, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssten aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen. Wäre eine Person in dem Gebiet etwa ohne familiäre Bindungen und ohne informelles soziales Netzwerk, sei eine Neuansiedlung möglicherweise nicht zumutbar, wenn es der Person nicht auf andere Weise gelingen würde, ein relativ normales Leben mit mehr als dem bloßen Existenzminimum zu führen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hält fest, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates selbstverständlich wesentliche Bedeutung hat. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein.

 

Der UNHCR formuliert in seinen Richtlinien, dass die Beantwortung der Frage, ob dem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, von mehreren Faktoren abhängt. Dazu müssten die persönlichen Umstände des Betroffenen (einschließlich allfälliger Traumata infolge früherer Verfolgung), die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden. (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001)

 

Auch der EGMR geht gestützt auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistans zumutbar ist, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder den Stamm am Zielort verfügbar ist; alleinstehenden Männern und Kleinfamilien ist es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. (siehe dazu VfGH 13.09.2013, U 370/2012, mwN).

 

Einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, kann die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul zugemutet werden, und zwar selbst dann, wenn er - wie im entschiedenen Fall - nicht in Afghanistan geboren ist, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist. Dass der Asylwerber über keine guten Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Kabul verfügt, reicht für sich betrachtet für die Annahme der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht aus. (VfGH 12.12.2017, E 2068/2017; siehe auch VwGH 20.02.2018, Ra 2018/20/0067)

 

Dem ist lediglich hinzuzufügen, dass bei dieser Sichtweise dem Kriterium der "Zumutbarkeit" neben jenem der Gewährleistung von Schutz vor Verhältnissen, die Art. 3 EMRK widersprechen, durchaus Raum gelassen wird. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr - im Sinne des bisher Gesagten - möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. dazu VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, mwN).

 

Mit dem Aufzeigen der bloßen Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht im Fall einer Rückführung in den Herkunftsstaat wird die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinne der obigen Rechtsgrundsätze damit in Bezug auf Kabul nicht dargetan (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

 

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz zudem erforderlich, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht werden muss und dieser nicht bloß Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland ist. Nicht umfasst ist daher die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführende Verletzungen von Art. 3 EMRK. (jüngst VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, mit Verweis auf EuGH 18.12.2014, C-542/13)

 

3.2.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den UNHCR-Richtlinien besondere Beachtung zu schenken (VwGH 22.11.2016, Ra 2016/20/0259, mwN; zur "Indizwirkung" vgl. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106, mwN). Diese Rechtsprechung geht auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zurück, in der dieser erkannte, dass Empfehlungen internationaler Organisationen zweifelsohne Gewicht zukommt, wenn es um die Beurteilung der allgemeinen Verhältnisse vor Ort geht. Sie ersparen jedoch nicht eine nähere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt (vgl. VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453).

 

UNHCR ist in den Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung, wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, S 12). Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, gleichlautend auch in den UNHCR-RL vom 30.08.2018, vgl. dort in der deutschen Fassung S. 125)

 

In den aktuellen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 äußert UNHCR angesichts der gegenwärtigen Sicherheitslage sowie der menschenrechtlichen und humanitären Situation in Kabul die Auffassung, dass eine interne Schutzalternative in dieser Stadt grundsätzlich nicht verfügbar sei (UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, S 129 in der deutschen Fassung).

 

UNHCR änderte damit in Relation zu den Richtlinien vom 19.04.2016 seine Schlussfolgerung zur Relevanz und Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Kabul, dies auf Basis der (sofern nichts anderes angegeben) dem UNHCR am 31.05.2018 bekannten Informationen (vgl. FN 2 auf S. 5 der Richtlinien).

 

Nach den aktuellen Richtlinien vom 30.08.2018 ist UNHCR außerdem vor dem näher dargestellten Hintergrund der Ansicht, dass eine vorgeschlagene innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur sinnvoll möglich (und zumutbar) ist, wenn die Person Zugang zu Unterkünften, grundlegenden Dienstleistungen, wie Sanitärversorgung, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie Möglichkeiten für den Lebensunterhalt oder nachgewiesene und nachhaltige Unterstützung für den Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard hat. Darüber hinaus hält UNHCR eine innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur für zumutbar, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk von Mitgliedern ihrer (erweiterten) Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft in der Gegend der potenziellen Umsiedlung hat, die beurteilt wurden, bereit und in der Lage zu sein, dem Antragsteller in der Praxis echte Unterstützung zu leisten.

 

UNHCR ist weiters der Ansicht, dass die einzige Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter sind, soweit keine spezifischen Vulnerabilitäten (wie näher beschrieben) vorliegen. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und soziale Unterstützung in urbaner und semi-urbaner Umgebung leben, soweit diese Umgebung über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfügt, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken und soweit diese einer wirksamen staatlichen Kontrolle unterliegt (vgl. S. 125).

 

Insofern ergibt sich aus den aktualisierten UNHCR-Richtlinien, ausgenommen der Stadt Kabul, keine maßgeblich andere Schlussfolgerung hinsichtlich innerstaatlichen Fluchtalternativen in urbanen Gebieten als aus jenen zum Stand 19.04.2016.

 

3.2.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gegenständlich nicht gegeben sind:

 

Die Städte Mazar-e Sharif oder Herat können - ungeachtet des Umstandes, dass dort ebenfalls unbestrittenermaßen Anschläge, in erster Linie auf Einrichtungen mit Symbolcharakter oder Bezug zum Staat oder internationalen Akteuren, stattfinden - nicht als Orte angesehen werden, an denen eine derartige Gefährdung herrscht, dass der Beschwerdeführer dort wegen der Sicherheitslage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK ausgesetzt wäre. Mazar-e Sharif und Herat sind auch für den Beschwerdeführer sicher (auf dem Luftweg) erreichbar.

 

Die lokale Sicherheitslage in Mazar-e Sharif stellt zum Entscheidungszeitpunkt kein Hindernis einer Rückkehr dar. Wie festgestellt, entwickelt sich die Stadt Mazar-e Sharif wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Zwar ist die Infrastruktur noch eher unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region, es gibt jedoch einen internationalen Flughafen, über den die Stadt gut erreichbar ist. Überdies wurde im Juni 2017 ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, das darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren. Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans und zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Obwohl es auch dort zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte kommt, gehört die Provinz gesamthaft betrachtet, auch im Lichte der in den Länderberichten verzeichneten Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle dennoch zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans.

 

In der Stadt Herat ist die Lage mit Mazar-e-Sharif vergleichbar. Aus den Länderberichten geht hervor, dass Herat eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes ist. Obwohl Aufständische in einigen Distrikten der Provinz aktiv sind, wird Herat als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet.

 

Hinsichtlich der bestehenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist im Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen zu berücksichtigen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die Versorgung der afghanischen Bevölkerung ist jedoch zumindest - und dies auch in den Städten Mazar-e Sharif und Herat - grundlegend gesichert.

 

Die wirtschaftliche Situation erreicht nicht das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19(0095). Zwar ist die Situation, insbesondere in Herat, wegen der Zahl der Binnenvertriebenen und der Dürre im Jahr 2018 und der jüngeren Überflutungen in einzelnen Distrikten der Provinz Herat angespannt, der Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung sowie Erwerbsmöglichkeiten ist insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif, aber auch in der Stadt Herat mit Blick auf die aktuelle Berichtslage nach wie vor grundsätzlich gegeben. Auch ist der aktuellen Quellenlage nicht zu entnehmen, dass die Grundversorgung der Bevölkerung (mit Nahrungsmittel und Trinkwasser) in Mazar-e Sharif oder Herat generell nicht mehr gewährleistet oder das Gesundheitsversorgungssystem zusammengebrochen wäre. Gegenteiliges kann auch nicht aus der UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018 geschlossen werden.

 

Wie dargelegt reicht es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten entsprechend der oben wiedergegeben Judikatur nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.

 

Solche Umstände vermochte der Beschwerdeführer im Verfahren nicht darzulegen. Der Beschwerdeführer ist zwar im Iran geboren und verfügt über kein familiäres oder soziales Netzwerk in Mazar-e Sharif oder Herat, er wuchs aber im afghanischen Familienverband auf, spricht eine Landessprache und ist mit den kulturellen Gepflogenheiten in Afghanistan grundsätzlich vertraut. Auch wenn eine Rückführung zu einer schwierigen Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht führen könnte, wird damit aber entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs noch nicht die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit eine Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinne der obigen Rechtsgrundsätze dargetan. Auch etwa der Umstand, dass der Beschwerdeführer nicht über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in den genannten Städten verfügt, reicht bei der hier festgestellten Lage für die Annahme der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht aus (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001 mit Verweis auf VfGH 12.12.2017, E 2068/2017 betreffend Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative).

 

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Er hat bereits Arbeitserfahrung als Maurer und Schlosser und ist es ist ihm aufgrund der dargelegten Umstände auch ohne unmittelbar bestehende soziale bzw. familiäre Anknüpfungspunkte möglich, sich in Mazar-e Sharif oder Herat - etwa auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten - selbst eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern sowie eine (einfache) Unterkunft zu finden. Dafür, dass er in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt ist, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Er gehört keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.

 

Die geltend gemachten gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers sind, wie in der Beweiswürdigung dargelegt, nicht geeignet, die angenommene Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in Zweifel zu ziehen. Der Beschwerdeführer leidet nicht an einer Krankheit, welche jene besondere Schwere aufweist, die nach der Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK eine Rückkehrentscheidung als eine unmenschliche Behandlung erscheinen ließe und weist auch nicht eine Beeinträchtigung in einem Ausmaß auf, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage wäre, grundsätzlich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (siehe dazu VwGH 23.01.2018, Ra 2017/20/0361).

 

Außerdem kann er durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise das Auslangen finden; ebenso ist, wie dargelegt, von einer anfänglichen (finanziellen) Unterstützung durch seine Familienangehörigen bzw. Verwandten im Iran auszugehen. Aber auch ohne eine solche familiäre Hilfe wäre aufgrund seiner persönlichen Umstände insgesamt nicht zu befürchten, dass er in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Auch ist der Beschwerdeführer alleinstehend und hat keine Kinder, weshalb er nur für seinen eigenen Lebensunterhalt aufkommen muss.

 

In einer rechtlichen Gesamtbetrachtung ergibt sich sohin, dass für den Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat die Möglichkeiten für eine den durchschnittlichen afghanischen Verhältnissen entsprechende Lebensführung realistisch sind und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung und damit einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt ist.

 

Weitere Faktoren, die gegen die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in einer dieser Städte sprechen, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden vom Beschwerdeführer auch nicht substantiiert vorgebracht.

 

In Übereinstimmung mit den entsprechenden UNHCR-Richtlinien ist für den Beschwerdeführer als leistungsfähigen Mann ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keineswegs unbedingt ein soziales Netzwerk erforderlich, um im Falle einer Niederlassung in den urbanen Zentren wie Mazar-e Sharif oder Herat eine Lebensgrundlage vorzufinden, zumal die Zumutbarkeit einer Niederlassung in urbanen Zentren nach den Feststellungen auch ohne Bestehen des sozialen oder familiären Netzwerks zumutbar ist (vgl. in diesem Sinne zuletzt etwa VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0157; 20.9.2017, Ra 2017/19/0205; 20.9.2017, Ra 2017/19/0190; 10.8.2017, Ra 2016/20/0389; 8.8.2017, Ra 2017/19/0118; 20.6.2017, Ra 2017/01/0023; 19.6.2017; Ra 2017/19/0095; VfGH 11.6.2018, E 941-942/2018-14 ua [Rz 21]; speziell zu Mazar-e Sharif und Herat vgl. zuletzt die Revisionszurückweisungen des VwGH jeweils vom 23.1.2019, Ra 2018/19/0578-11, Ra 2018/19/0590-5; Ra 2018/19/0704-4; 25.2.2019, Ra 2019/20/0049-4; sowie die Ablehnungen der Behandlung von Beschwerden mit Beschlüssen des VfGH vom 25.2.2019, E 4926/2018; E 5085/2018; 26.2.2019, E 5142/2018).

 

Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall daher zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat möglich und auch zumutbar ist.

 

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung

 

3.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor.

 

3.3.2. Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn 1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird, 2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, 3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder 4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger. Es kommt ihm auch kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

 

Wenn durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, so ist gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu berücksichtigen.

 

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung, ob im Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (siehe VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0265, mwN).

 

Nach der Judikatur des EGMR bewirkt in Fällen, in denen das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen der Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art. 8 EMRK (vgl. VwGH 29.04.2010, 2009/21/0055, mwN).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings auch bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (VwGH 06.09.2017, Ra 2017/20/0209). Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Ausweisung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 22.09.2011, 2007/18/0864 bis 0865, mwN). Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (27.05.2008, Nr. 26565/05, N. v. United Kingdom) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß aufgrund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).

 

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 02.09.2015 im Bundesgebiet und hält sich demnach etwas mehr als dreieinhalb Jahre in Österreich auf. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stützte sich für die Dauer des Verfahrens ausschließlich auf das Asylgesetz.

 

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten oder sonstigen Angehörigen in Österreich. Das Verhältnis des Beschwerdeführers zu seiner befreundeten Familie wurde zwar als "familienähnlich" bezeichnet, jedoch lebt der Beschwerdeführer nicht mit dieser zusammen und es ist von keinem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis auszugehen. Vom Vorliegen eines Familienlebens in Österreich im Sinne des Art. 8 EMRK ist nicht auszugehen.

 

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen.

 

Der Beschwerdeführer verfügt nicht über eigene, den Lebensunterhalt deckende Mittel und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung.

 

Der Beschwerdeführer besuchte einige Deutschkurse und legte zuletzt eine Deutsch-Prüfung auf dem Niveau B2 ab. Die Pflichtschulabschlussprüfung absolvierte der Beschwerdeführer erfolgreich am 20.12.2018. Er nahm an verschiedenen weiteren Kursen, einem Praktikum und einem Workshop teil.

 

Der Beschwerdeführer hat insofern private und persönliche Interessen dargetan, als er eine gute freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Privatpersonen hat, sich bereits sehr gute Deutschkenntnisse angeeignet und seinen Pflichtschulabschluss nachgeholt hat. Dies bewirkt aber im Sinne der dargelegten Rechtsprechung noch keine entscheidungsmaßgebliche Erhöhung des Gewichts der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich.

 

Das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seiner privaten Kontakte ist auch dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste. Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfGH 12.06.2013, U 485/2012).

 

Es fällt auch maßgeblich ins Gewicht, dass sich der Beschwerdeführer erst etwas mehr als dreieinhalb Jahre in Österreich befindet und dieser Aufenthaltsdauer - nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessensabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055). Der Beschwerdeführer war sich in diesem Zeitraum auch der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst. Dass ganz spezielle bzw. außergewöhnliche Umstände vorliegen, welche eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden, ist nicht hervorgekommen.

 

Zu berücksichtigten sind in diesem Zusammenhang insbesondere auch die drei strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 06.05.2017 und vom 18.04.2018, welche beide unter Jugendstraften fallen, sowie zuletzt die Verurteilung als junger Erwachsener vom 08.05.2019.

 

Im Lichte einer Gesamtbetrachtung ist daher davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 07.09.2016, Ra 2016/19/0168, mit Verweis auf VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247, mwN), in den Hintergrund treten. Die Erlassung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall gemäß § 9 BFA-VG geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig.

 

3.3.3. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG)) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

 

Obigen Erwägungen zufolge sind auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 nicht gegeben, ein diesbezüglich bestätigender formaler Abspruch hatte im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 15.03.2016, Ra 2015/21/0174, jedoch zu unterbleiben.

 

3.3.4. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

3.3.5. Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben. Insbesondere liegen nach den die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz tragenden Gründen der gegenständlichen Entscheidung keine Umstände vor, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

3.4. Zur Festlegung einer Frist für die Ausreise

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

 

Die Beschwerde war daher spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Die Frage der Asylrelevanz im Sinne des § 3 AsylG sowie die im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen. Bei derartigen Gefahrenprognosen und bei Interessenabwägungen nach Art. 8 EMRK handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (vgl. VwGH 17.11.2017, Ra 2017/20/0404; VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).

 

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

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