VwGH 2007/01/0515

VwGH2007/01/051523.9.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. März 2007, Zl. 252.826/0/11E-XII/37/04, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 3 Asylgesetz 1997 (mitbeteiligte Partei: GN in M), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8 Abs1 idF 2003/I/101;
MRK Art3;
AsylG 1997 §8 Abs1 idF 2003/I/101;
MRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Spruchpunkte

2. und 3. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Mitbeteiligten, eines aus dem Kosovo stammenden und der albanischen Volksgruppe angehörenden Staatsangehörigen von (damals) Serbien, gegen den seinen Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes (BAA) vom 17. August 2004 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen (Spruchpunkt 1.).

Weiters wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Serbien, Provinz Kosovo, nicht zulässig ist (Spruchpunkt 2.) und dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 3 AsylG iVm § 15 Abs. 2 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28. März 2008 erteilt (Spruchpunkt 3.).

Begründend führte die belangte Behörde - soweit auf Grund der vorliegenden Amtsbeschwerde, die sich alleine gegen die Refoulemententscheidung wendet, wesentlich - aus, der Mitbeteiligte leide auf Grund von Bandscheibenproblemen an starken chronischen Rückenschmerzen, die mit diversen Schmerzmitteln ständig behandelt werden müssten. Daraus ergäben sich Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und die Notwendigkeit der ständigen Einnahmen von schmerzstillenden Medikamenten. Am 12. November 2004 sei der Mitbeteiligte an den Bandscheiben operiert worden. Er habe einen neuerlichen Bandscheibenvorfall erlitten, auf Grund dessen er einer physikalischen Therapie bedürfe. Darüber hinaus sei der Mitbeteiligte durch Herzbeschwerden und Kopfschmerzen gesundheitlich beeinträchtigt. Er leide an Spannungskopfschmerz und an einer somatoformen autonomen Funktionsstörung.

Sodann stellte die belangte Behörde u.a. fest, im Kosovo sei eine medizinische Grundversorgung gewährleistet. Die medizinische Versorgung werde laufend verbessert. Verschiedene schwierige oder lang dauernde Behandlungen könnten wegen mangelnder Ressourcen jedoch nicht durchgeführt werden. Alle Spitäler seien in Betrieb, doch seien ihre Laboratorien und Röntgeneinrichtungen nur begrenzt leistungsfähig. Auch die Gesundheitszentren in den wichtigeren Städten des Kosovo seien in Betrieb, doch seien die Diagnosemöglichkeiten begrenzt. Die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im öffentlichen Gesundheitswesen sei seit 2003 für den Patienten nicht mehr gänzlich kostenfrei, für einen Behandlungstermin seien zwischen EUR 2,-- und EUR 3,-- zu zahlen, für einen stationären Aufenthalt seien es täglich ca. EUR 10,--. Bestimmte Personengruppen wie z.B. Invalide und Empfänger sozialhilfeähnlicher Leistungen seien jedoch von diesen Zahlungen befreit. Auch für die Medikamente, die auf der "essential drugs list" des Gesundheitsministeriums aufgeführt seien und bislang kostenfrei bezogen werden konnten, werde nun eine Eigenbeteiligung von EUR 0,50 bis EUR 1,-- erhoben.

Zur wirtschaftlichen und sozialen Situation im Kosovo stellte die belangte Behörde fest, die Wirtschaftslage im Kosovo habe sich seit 1999 verbessert, doch betrage die Arbeitslosenrate nach offiziellen Angaben weiterhin 57 %. Ein Teil dieser offiziell Arbeitslosen fände jedoch in der Schattenwirtschaft Beschäftigung. Die Verbesserung der allgemeinen sozioökonomischen Situation im Kosovo seit 1999 zeige sich u.a. daran, dass immer weniger Menschen auf die Hilfe des World-Food-Programmes angewiesen seien. So habe das World-Food-Programm nach Installierung eines nationalen Sozialhilfesystems keine weitere Notwendigkeit für einen weiteren Einsatz im Kosovo gesehen und sein Büro in Pristina am 30. Juni 2002 geschlossen. Mitte 2000 habe die Gesundheits- und Sozialbehörde der internationalen Verwaltung des Kosovo die Verantwortung für den Aufbau des Sozialhilfesystems übernommen. Anfangs seien nur Familien, die kein arbeitsfähiges Familienmitglied hatten, anspruchsberechtigt gewesen, seit Dezember 2000 würden unter gewissen Voraussetzungen Leistungen an einen weiteren Personenkreis ausbezahlt. Das neu eingerichtete Ministerium für Arbeit und Sozialhilfe entwickle Programme zur altersunabhängigen Unterstützung von Einzelpersonen und Familien, die in extremer Armut lebten. Zirka 52.000 Familien oder 9,3 % der kosovarischen Bevölkerung bezögen Sozialhilfe. Ausgehend von den Kriterien der Weltbank lebten ca. 50 % der Bevölkerung des Kosovo in (relativer) Armut. Das mit "Regulation Nr. 2003/29 vom 18.08.2003" kundgemachte Sozialhilfegesetz des Kosovo sei am 18. Dezember 2003 in Kraft getreten. Dieses Gesetz sehe vor, dass einerseits Familien ohne erwerbsfähiges Familienmitglied und andererseits Familien mit arbeitsfähigen, aber arbeitslos gemeldeten Familienmitgliedern Anspruch auf Sozialhilfe hätten, die letztgenannte Gruppe jedoch nur, wenn zumindest ein Kind von weniger als fünf Jahren oder ein Waisenkind von weniger als 15 Jahren betreut werde. Durch Ministerialerlässe näher festzulegende Einkommensgrenzen dürften nicht überschritten werden.

Die Bevölkerung des Kosovo sei bis auf wenige Ausnahmen (z.B. sozial schwache Bewohner von Enklaven) nicht mehr auf die Lebensmittelversorgung durch internationale Hilfsorganisationen angewiesen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sei gewährleistet.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde zu § 8 Abs. 1 AsylG aus, nach dieser Bestimmung sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden unzulässig, wenn dieser unter anderem dadurch der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK unterworfen würde. Der Mitbeteiligte leide im Entscheidungszeitpunkt unter starken chronischen Rückenschmerzen, wobei er ständig diverse Schmerzmittel einnehmen müsse. Weiters sei bei ihm eine somatoforme autonome Funktionsstörung sowie ein Spannungskopfschmerz diagnostiziert worden. Auf Grund der hinzugetretenen Herzbeschwerden sowie auf Grund des Vorbringens des Mitbeteiligten zusammen mit den zuletzt vorgelegten ärztlichen Zuweisungen (etwa zur CT/MR-Untersuchung) könne im Entscheidungszeitpunkt nicht von einer positiven Entwicklung des Gesundheitszustandes des Mitbeteiligten ausgegangen werden. Der Mitbeteiligten sei Vater einer knapp zweijährigen Tochter, eines dreijährigen Sohns und einer fünfjährigen Tochter, für welche er sorgepflichtig sei. Auf Grund der extrem hohen Arbeitslosigkeit im Kosovo und des beeinträchtigten Gesundheitszustandes des Mitbeteiligten sei mit erheblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es dem Mitbeteiligten im Fall einer Rückkehr in den Kosovo nicht gelingen würde, eine ihm körperlich mögliche Arbeit zu finden. Auch sei davon auszugehen, dass es seiner Ehefrau auf Grund der extrem hohen Arbeitslosigkeit im Falle einer Rückkehr in den Kosovo nicht gelingen würde, Arbeit zu finden. Der Mitbeteiligte wäre somit mit seiner Familie auf die Gewährung von Sozialhilfe angewiesen. Aus den Feststellungen ergebe sich, dass die Sozialhilfe für eine Familie im Maximum EUR 75,-- monatlich betrage und damit als alleinige Einkommensquelle unter Berücksichtigung der lokalen Lebenserhaltungskosten kaum zum Leben ausreiche. Beim Mitbeteiligten handle es sich um eine Person, die im Entscheidungszeitpunkt auf Grund von Rückenschmerzen ständig diverser Schmerzmittel bedürfe, die zwar im Kosovo grundsätzlich, jedoch nur teilweise kostenfrei erhältlich seien. Die prekäre wirtschaftliche Situation des Mitbeteiligten und seiner Familie wäre somit durch die Bezahlung notwendiger Medikamente des Mitbeteiligten noch zusätzlich verschärft. Derartige besondere individuelle Verhältnisse seien nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 2002, Zl. 2001/01/0164) als Umstände anzusehen, welche eine Abschiebung unzulässig machten. Somit läge die Gesamtbetrachtung aller Umstände nahe, dass für den Mitbeteiligten und seine Familie eine Rückkehr in den Kosovo mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bedeuten würde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Inneres.

In dieser wird im Wesentlichen vorgebracht, ausgehend von der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) stelle eine in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK fallende Maßnahme erst dann eine unmenschliche Behandlung oder Strafe dar, wenn sie eine gewisse Schwelle erreiche. Im Beschwerdefall leide die mitbeteiligte Partei unter Rückenschmerzen. Aus dem vorgelegten Ambulanzbrief gehe hervor, dass es sich um einen Bandscheibenvorfall handle, der vom behandelnden Arzt als "eigentlich nicht sehr gravierend" bezeichnet werde. Nur wenn sich keinerlei Besserung einstellen würde, könne man wieder operieren. Die sonstigen angeführten Beschwerden des Mitbeteiligten erreichten ebenfalls - weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit gesehen - nicht die Schwelle von Art. 3 EMRK. Eine lebensbedrohende Krankheit im Sinn des Art. 3 EMRK liege demnach nicht vor. Auch habe die belangte Behörde festgestellt, dass im Kosovo eine über die Grundversorgung hinausgehende Versorgung mit Lebensmitteln vorhanden sei. Die Arbeitslosigkeit sei zwar sehr hoch, jedoch gebe es ein Sozialhilfesystem, von welchem auch jene profitierten, die ihren Unterhalt nicht durch Arbeit allein, Unterhaltspflichten von Verwandten, durch ihr Vermögen oder auf andere Weise sichern könnten. Es stehe im Moment zwar nicht fest, ob der Mitbeteiligte bei seiner Rückkehr eine Arbeit finden könne, jedoch sei auf ein intaktes soziales Netzwerk hinzuweisen, das sich in der Existenz seiner Eltern und seiner zwei Brüder im Heimatdorf manifestiere und daher eine mögliche Unterstützung durch diesen Familienverband angenommen werden könne. Aus diesen Gründen erweise sich Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides als rechtswidrig.

3. Der Mitbeteiligte bringt vor dem Verwaltungsgerichtshof vor, sein Gesundheitszustand habe sich seit der Erlassung des angefochtenen Bescheides verschlechtert. Er bekomme wegen eines neuerlichen Bandscheibenvorfalles einmal wöchentlich Infusion und Spritze und nehme ständig schmerzstillende Medikamente ein. Wenn diese keine Besserung bringen, habe sein Arzt eine neuerliche Operation vorgeschlagen. Er und seine Gattin würden im Kosovo keine Arbeit finden. Die Sozialhilfe wäre für die weiter notwendige Behandlung, Medikamente und Lebenshaltungskosten nicht ausreichend. Daher würde eine Abschiebung in den Kosovo eine unmenschliche Behandlung darstellen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde nach der im gegenständlichen Fall maßgeblichen Rechtslage des § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 97 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 FrG).

Im Rahmen einer derartigen Refoulemententscheidung ist unter anderem zu prüfen, ob der Abschiebung des Asylwerbers ein über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes "real risk" einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK entgegen steht (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, mwN).

2. Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde die Unzulässigkeit der Abschiebung des Mitbeteiligten mit dessen Gesundheitszustand und mit der daraus resultierenden, angeblich prekären wirtschaftlichen Situation des Mitbeteiligten begründet.

3.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat im hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/01/0344, zur Vereinbarkeit der Abschiebung kranker Personen in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 6. März 2008, B 2400/07, hingewiesen, in dem ausgehend vom Urteil des EGMR vom 2. Mai 1997, D. v. The United Kingdom, Nr. 30.240/96, ausführlich auf Rechtsprechung des EGMR verwiesen wird, nach der im Falle der Abschiebung einer kranken Person nur besondere Umstände ("exceptional circumstances") eine Verletzung von Art. 3 ERMK begründen können. Weiters verwies der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis auf das Urteil des EGMR vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung sah der Verwaltungsgerichtshof im dortigen Beschwerdefall keine Veranlassung, die Auffassung der belangten Behörde zu beanstanden, wonach die dort vorgebrachte Gesundheitsbeeinträchtigung ("belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung" und "mittelgradige Depression") im Hinblick auf die im Kosovo bestehende Gesundheitsversorgung nicht jene Schwere erreiche, die im Falle der Abschiebung eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde.

3.2. In dem im zitierten hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2009 zitierten Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05, hat der EGMR seine diesbezügliche Rechtsprechung zusammengefasst und neben dem Urteil D. v. The United Kingdom auf die Entscheidungen B.B. v. France, Nr. 30.930/96, Karara v. Finland, Nr. 40.900/98, S.C.C. v. Sweden, Nr. 46.553/99, Bensaid v. The United Kingdom, Nr. 44.599/98, Arcila Henao v. The Netherlands, Nr. 13.669/03, Ndangoya v. Sweden, Nr. 17.868/03, sowie Amegnigan v. The Netherlands, Nr. 25.629/04 verwiesen (Randnrn. 35 bis 41 des Urteils N. v. The United Kingdom).

Sodann legte der EGMR die aus dieser Rechtsprechung abzuleitenden Grundsätze dar (Randnrn. 42 ff des Urteils N. v. The United Kingdom):

Fremde, gegen die eine Ausweisung verhängt wird, können - so der EGMR - grundsätzlich keinen Anspruch geltend machen, im Territorium eines Konventionsstaates zu bleiben, um weiterhin in den Genuss von medizinischer, sozialer oder sonstiger Unterstützung und Leistungen zu kommen, die vom ausweisenden Staat gewährt werden. Die Tatsache, dass die Lebenserwartung eines Beschwerdeführers im Falle seiner Ausweisung deutlich herabgesetzt würde, reicht für sich genommen nicht aus, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu begründen. Die Entscheidung, einen an einer schweren mentalen oder körperlichen Krankheit leidenden Fremden in ein Land abzuschieben, wo die Einrichtungen zur Behandlung dieser Krankheit den im Konventionsstaat verfügbaren unterlegen sind, kann ein Problem unter Art. 3 EMRK aufwerfen, allerdings nur in einem sehr außergewöhnlichen Fall ("very exceptional case"), in dem die gegen die Abschiebung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind. Im Fall D. v. The United Kingdom bestanden die sehr außergewöhnlichen Umstände ("very exceptional circumstances") darin, dass der Beschwerdeführer todkrank war, ihm in seinem Heimatland keine Pflege oder medizinische Versorgung garantiert war und er dort keine Familie hatte, die ihn hätte pflegen oder ihn mit den nötigsten Dingen wie Essen, Unterkunft und sozialer Unterstützung versorgen hätte können (Randnr. 42 des Urteils N. v. The United Kingdom).

Der EGMR schließt nicht aus, dass es andere sehr außergewöhnliche Fälle geben kann, wo die humanitären Erwägungen ähnlich zwingend sind. Er hält es jedoch für geboten, die im Fall D. v. The United Kingdom festgelegte und in der späteren Rechtsprechung angewendete hohe Schwelle ("high threshold") beizubehalten. Der EGMR erachtet diese Schwelle für richtig, da der behauptete drohende Schaden nicht aus den absichtlichen Handlungen oder Unterlassungen staatlicher Behörden oder nichtstaatlicher Akteure resultiert, sondern stattdessen aus einer natürlich auftretenden Krankheit und dem Fehlen ausreichender Ressourcen für ihre Behandlung im Empfangsstaat (Randnr. 43 des Urteils N. v. The United Kingdom).

Obwohl viele der in ihr enthaltenen Rechte soziale und wirtschaftliche Implikationen haben - so der EGMR weiter -, zielt die EMRK im Wesentlichen auf den Schutz der bürgerlichen und politischen Rechte ab. Überdies wohnt der EMRK als Ganzer die Suche nach einem fairen Ausgleich zwischen den Anforderungen des allgemeinen Interesses der Gemeinschaft und den Erfordernissen des Schutzes der Grundrechte des Einzelnen inne. Fortschritte der medizinischen Forschung zusammen mit sozialen und wirtschaftlichen Unterschieden zwischen verschiedenen Ländern bringen es mit sich, dass sich das Niveau der im Konventionsstaat verfügbaren Behandlung deutlich von jener im Herkunftsstaat unterscheiden kann. Während es angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention notwendig ist, dass sich der EGMR ein gewisses Maß an Flexibilität bewahrt, um Ausweisungen in Ausnahmefällen zu verhindern, verpflichtet Art. 3 EMRK einen Vertragsstaat nicht dazu, solche Ungleichheiten durch die Gewährung von kostenloser und unbeschränkter Gesundheitsversorgung für alle Fremden ohne Aufenthaltsrecht in seinem Gebiet zu mildern. Das Gegenteil festzustellen, würde den Konventionsstaaten eine zu große Bürde auferlegen (Randnr. 44 des Urteils N. v. The United Kingdom).

Schließlich stellt der EGMR fest, dass dieselben Grundsätze in Hinblick auf die Ausweisung jeder Person gelten müssen, die an irgendeiner schweren, natürlich aufgetretenen mentalen oder körperlichen Krankheit leidet, die Leid, Schmerz und eine verringerte Lebenserwartung verursacht und eine spezielle Behandlung erfordert, die im Herkunftsland der Person nicht ohne weiteres oder nur zu beträchtlichen Kosten erhältlich ist (Randnr. 45 des Urteils N. v. The United Kingdom).

4. Fallbezogen bedeutet dies Folgendes:

Soweit im angefochtenen Bescheid auf den Gesundheitszustand des Mitbeteiligten Bedacht genommen wird, ergibt sich vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung des EGMR nicht, dass auf Grund dieses Gesundheitszustandes sehr außergewöhnliche Umstände ("very exceptional circumstances") gegeben wären, die eine Rückkehr in den Heimatstaat - unbeschadet des Umstandes, dass dort eine mit der österreichischen Behandlung vergleichbare medizinische Behandlung nicht zu erwarten ist - ausschließen würden. Wie sich aus der dargestellten Rechtsprechung des EGMR ergibt, ist nämlich der Umstand allein, dass ein vergleichbarer Standard in der medizinischen Behandlung nicht besteht, nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Fallbezogen erreicht die von der belangten Behörde festgestellte Gesundheitsbeeinträchtigung des Mitbeteiligten auch nicht jenes sehr außergewöhnliche Ausmaß an Leidenszuständen, wie es in der Rechtsprechung des EGMR für das Vorliegen eines Abschiebehindernisses nach Art. 3 EMRK gefordert wird.

Soweit der angefochtene Bescheid im Weiteren auch mit der angeblich prekären wirtschaftlichen Situation des Mitbeteiligten argumentiert, zeigt dies keine Umstände auf, die im Falle seiner Rückkehr eine Situation herbeiführen würden, die als unmenschlich oder erniedrigend iSd Art. 3 EMRK anzusehen wäre. Vielmehr ergibt sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten, dass die Familie des Mitbeteiligten (Eltern und 2 Brüder) im Kosovo über zwei Häuser, eine Landwirtschaft mit 2 Hektar Land und eine Kuh verfügt, was vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid deutlich gegen die Annahme eines Abschiebehindernisses nach Art. 3 EMRK spricht.

5. Der angefochtene Bescheid war daher in dem im Spruch bezeichneten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 23. September 2009

Stichworte