Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten A. II. und A. III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 1. Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistan, stellte am 15. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner Vernehmung gab er an, er sei schiitischer Moslem und Hazara und stamme aus der Provinz Helmand. Seine Eltern und Geschwister würden nach wie vor dort leben. Zu seinem Fluchtgrund brachte der Mitbeteiligte im Wesentlichen vor, dass er Afghanistan aufgrund des Krieges und der Sicherheitslage verlassen habe. Zudem habe er für eine ausländische Organisation als Reinigungskraft gearbeitet und habe für diese Einkaufstätigkeiten verrichten müssen, weshalb er von unbekannten bewaffneten Personen (Paschtunen) bedroht und entführt worden sei.
2 Mit Bescheid vom 5. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag sowohl gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Unter einem wurde gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 Z 3 FPG mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt IV.).
3 Hinsichtlich der Versagung von subsidiärem Schutz führte die Verwaltungsbehörde - soweit für den vorliegenden Fall relevant - aus, der Mitbeteiligte sei ein erwachsener, gesunder, gebildeter und arbeitsfähiger Mann, der in der Lage sei Arbeit zu finden und zu verrichten. Überdies habe der Mitbeteiligte selbst angegeben, dass seine Eltern und seine Brüder noch in der Provinz Helmand leben würden und die Familie ein großes Haus besitzen würde, welches auch zur Hälfte vermietet würde. Mit den Mieteinnahmen bestreite die Familie ihren Lebensunterhalt. Es könne also davon ausgegangen werden, dass der Mitbeteiligte bei einer Rückkehr durch das familiäre Netzwerk Unterstützung finden würde. Es gäbe sohin keine Hinweise dafür, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.
4 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
5 Mit Erkenntnis vom 7. November 2016 wies das BVwG die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab. Hingegen gab das BVwG der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides statt und erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu (Spruchpunkt A. II.). Gleichzeitig wurde dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt A. III.). Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
6 Zur Frage der Zuerkennung von subsidiärem Schutz führte das BVwG - soweit im vorliegenden Fall relevant - zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte sei ein arbeitsfähiger und gesunder junger Mann mit mehrjähriger Schulbildung und Berufserfahrung, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Demgegenüber müsse jedoch festgehalten werden, dass der Mitbeteiligte in der Provinz Helmand - eine Provinz mit besonders schlechter Sicherheitslage - geboren und aufgewachsen sei und in anderen Landesgegenden über keine hinreichenden sozialen Netze verfüge. Es könne sohin nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Mitbeteiligte im Fall einer Verbringung in den Herkunftsstaat aufgrund seiner individuellen Situation (familiäre Situation und Lebensumstände) dem realen Risiko einer Verletzung der in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt sei. Die Rückkehr des Mitbeteiligten nach Afghanistan erscheine daher derzeit unter den dargelegten Umständen unzumutbar. Eine innerstaatliche Schutzalternative - etwa in der Hauptstadt Kabul - würde dem Mitbeteiligten, der kein Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen sei, unter der Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände und des Fehlens eines hinreichenden unterstützenden sozialen oder familiären Netzwerkes in Afghanistan derzeit ebenfalls nicht zur Verfügung stehen.
7 Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sei dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.
8 2. Erkennbar nur gegen die Spruchpunkte II. und III. dieses Erkenntnisses des BVwG richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, welche zu ihrer Zulässigkeit - unter Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. September 2016, Ra 2016/20/0063, und den Beschluss vom 13. September 2016, Ra 2016/01/0096 - unter anderem vorbringt, dass entgegen der Ansicht des BVwG von einer Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den Mitbeteiligten in Kabul auszugehen sei. Es bestehe überdies keine einheitliche Linie zu dieser Frage, da oftmals unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes davon ausgegangen werde, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative für volljährige, gesunde und arbeitsfähige Personen - anders als nach der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs - in Kabul grundsätzlich dann nicht zur Verfügung stehe, wenn sich die Person vor ihrer Flucht weder in Kabul aufgehalten habe noch über dortige familiäre Anknüpfungspunkte verfüge (vgl. die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs vom 7. Juni 2013, U 2436/2012, und vom 27. November 2013, U 825/2012). Das BVwG habe zu dieser Frage keine konkreten Feststellungen getroffen, weshalb ein Begründungsmangel vorliege.
9 In der Revisionsbeantwortung wird dargelegt, dass hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei. Der Mitbeteiligte sei zwar ein arbeitsfähiger, junger Mann mit mehrjähriger Schulausbildung und Berufserfahrung, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Demgegenüber müsse jedoch maßgeblich berücksichtigt werden, dass der Mitbeteiligte in der Provinz Helmand geboren und aufgewachsen sei und in anderen Landesgegenden über keine hinreichenden sozialen Netze verfüge. Im gegenständlichen Fall könne daher unter Berücksichtigung der den Mitbeteiligten betreffenden individuellen Umstände nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.
10 3. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Amtsrevision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das BVwG sowie nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Amtsrevision ist bereits aufgrund des aufgezeigten Abweichens des BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen der Zuerkennung von subsidiärem Schutz zulässig. Sie ist auch begründet.
12 Die vorliegende Rechtssache stimmt in ihren entscheidungswesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Aspekten mit demjenigen Fall überein, der Gegenstand des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. April 2017, Ra 2017/01/0016, war, sodass gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die dortigen Entscheidungsgründe verwiesen werden kann.
13 Der Mitbeteiligte hat zwar ein umfangreiches Vorbringen in Bezug auf die vorherrschende Versorgungslage und die allgemein (schlechten) Lebensbedingungen in seinem Herkunftsstaat erstattet, es ist ihm jedoch mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung nicht gelungen, das Vorliegen von in seiner Person gelegenen, konkreten exzeptionellen Umständen in Hinblick auf eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK durch seine Rückführung in seinen Herkunftsstaat darzutun.
14 Das BVwG geht zur Begründung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass "nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen" werden könne, dass der Mitbeteiligte im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinn des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.
15 Dazu ist festzuhalten, dass die Prüfung des Vorliegens einer realen Gefahr im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 eine rechtliche Beurteilung darstellt, die auf Basis der getroffenen Feststellungen zu erfolgen hat.
16 Das BVwG hat mit seinen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zwar die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für den Mitbeteiligten im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht aufgezeigt. Die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinn der obigen Rechtsgrundsätze wird damit aber nicht dargetan (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 25. Mai 2016, Ra 2016/19/0036, vom 8. September 2016, Ra 2016/20/0063, und vom 25. April 2017, Ra 2017/01/0016, jeweils mwN, bzw. zur Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative für einen gesunden und arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen den hg. Beschluss vom 13. September 2016, Ra 2016/01/0096).
Das BVwG ist somit von der Rechtsprechung abgewichen, weshalb die Entscheidung im Umfang der angefochtenen Spruchpunkte A. II. und A. III. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben ist.
Wien, am 10. August 2017
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