BVwG W257 2172277-1

BVwGW257 2172277-13.4.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W257.2172277.1.00

 

Spruch:

W257 2172283-1/11E

 

W257 2172278-1/10E

 

W257 2172284-1/12E

 

W257 2172282-1/9E

 

W257 2172277-1/9E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Herbert Gerhard MANTLER, MBA, als Einzelrichter über die Beschwerde von

 

1) XXXX, geboren am XXXX, alias XXXX,

 

2) XXXX, geboren am XXXX,

 

3) XXXX, geboren am XXXX,

 

4) XXXX, geboren am XXXX,

 

5) XXXX, geboren am XXXX,

 

alle Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, alle vertreten durch die "Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH", gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark jeweils vom 01.09.2017, Zl.en

 

hinsichtlich 1): XXXX,

 

hinsichtlich 2): XXXX,

 

hinsichtlich 3): XXXX,

 

hinsichtlich 4): XXXX,

 

hinsichtlich 5): XXXX,

 

nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 29.03.2018 zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

1. Verfahrensgang

 

1.1. XXXX (im Folgenden kurz "BF3" genannt) reiste am 03.07.2015, die übrigen Beschwerdeführer (im Folgenden kurz "BF1", "BF2", "BF4" und "BF5" genannt, sh dazu unten) am 06.09.2015 illegal nach Österreich ein und stellten an diesen Tagen Anträge auf internationalen Schutz. Die Familie setzt sich wie folgt zusammen:

 

 

 

 

 

IFA-Zahl

Ho. Geschäftszahl

BF1

Vater XXXX

XXXX alias XXXX

XXXX

W257 2172283-1

BF2

Mutter XXXX

XXXX

XXXX

W257 2172278-1

BF3

Sohn XXXX

XXXX

XXXX

W257 2172284-1

BF4

Sohn XXXX

XXXX

XXXX

W257 2172282-1

BF5

Tochter XXXX

XXXX

XXXX

W257 2172277-1

     

 

BF1 ist mit der BF2

verheiratet. Die BF 3 bis BF 5 sind Ihre leiblichen Kinder. BF3 bis BF5 werden von BF2 ex lege vertreten. Alle BF sind mittels Vertrag von der "Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH" vertreten.

 

1.2. In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 02.07.2015 gab BF3 an, dass er aus Afghanistan stamme im Jahr 2001 geboren wurde, und vorher mit seiner Familie 4 Jahre im Iran gelebt habe. Dort seien sie schlecht behandelt worden und hätten nicht zur Schule gehen können. Die übrige Familie reiste am 07.09.2015 nach Österreich ein. BF1 brachte vor, dass er vor ca 4 1/2 Monaten vom Iran aus versucht hätte mit seiner Familie nach Europa zu gelangen. Sie seien aber an der türkischen Grenze angehalten worden und zurück nach Afghanistan gesandt worden. Lediglich BF3 hätte es geschafft. Vor ca 1 1/2 Monaten hätten Sie es nochmals versucht und dann ebenso geschafft. Seine Tochter XXXX sei im Iran zurückgeblieben.

 

Sie seien Hazaras und hätten von 2012 bis 2015 im Iran gelebt. Zuvor hätten sie in Afghanistan, in der Provinz Maidan Wardak gelebt. BF1 sei dort Landwirt gewesen. Von Afghanistan seien sie geflohen, weil er bzw die ganze Familie von seinen Stiefbrüdern bedroht worden sei und sie hätten versucht ihn umzubringen. BF2 wiederholte die Angaben Ihres Mannes.

 

1.3. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 21.10.2016

 

1.3.1. brachte BF1 vor,

 

das seine Frau und seine Kinder keine eigenen Fluchtgründe hätten. Seine Eltern und seine Großeltern wären schon verstorben. Sie seien aus dem Iran ausgereist, weil sie keinen Aufenthaltsstatus gehabt hätte und immer die Gefahr bestanden hätte, dass sie nach Afghanistan zurückgeschoben hätten können. Aus Afghanistan seien Sie geflohen weil sein Vater 2012 verstorben wäre. Er hätte Grundstücke erben sollen, doch seine Stiefbrüder wären dagegen gewesen. Sie hätten die Kinder nicht zur Schule gehen lassen wollen. Es sei von ihnen auch mehrere Male geschlagen worden. Er hätte deswegen auch eine Platinplatte im Bein und sein Becken wäre durch den Streit verschoben. Er wäre allerdings nicht zur Polizei gegangen. Auf die Frage was passieren würde, wenn er wieder nach Afghanistan zurückkehren müsste, brachte er vor, dass er Angst um sein Leben hätte, weil die Stiefbrüder ihn in Kabul finden könnten. In Afghanistan würden sich noch seine drei Stiefbrüder, seine Stiefschwester und sein Onkel mütterlicherseits befinden.

 

1.3.2. brachte BF2 vor,

 

das auch bereits ihre Eltern verstorben sein. Sie hätte noch einen Bruder, welcher sich im Iran aufhält. Sie selbst hätte keine eigenen Gründe sei geflohen weil ihrem Mann Probleme mit seinen Stiefbrüder gehabt hätte. Es sei von ihnen öfters geschlagen worden. Sie hätten innerhalb von Afghanistan nicht fliehen können, weil sie Angst um ihre Kinder gehabt hätten. In Afghanistan sei man nirgendwo sicher gewesen. Bei der zweiten Ausreise vom Iran in die Türkei sei die Tochter XXXX verloren gegangen. Auf die Frage was passieren würde, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren müsste, brachte sie vor dass sie Angst habe von den Brüdern ihres Mannes gefunden zu werden. Überdies wäre die Lage sehr unsicher in Afghanistan.

 

1.4. Mit dem im Spruch erwähnten Bescheiden wurde den BF sowohl deren Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, als auch deren Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I. und Spruchpunkt II.). Den BF wurde gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihnen eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend führt die Behörde aus, dass BF1 die Glaubwürdigkeit nicht zugesprochen werden hätte können, zudem bei Wahrunterstellung es sich um private Grundstücksstreitigkeiten gehandelt hätte, denen jeglicher Asylbezug fehlen würde. Subsidiärer Schutz wurde dem BF1 nicht gewährt, weil entsprechend der Länderberichten nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Familie in eine asylrelevante Gefahr kommen würde.

 

Nachdem sich die Fluchtgründe der BF2 bis BF5 von BF1 ableiteten, gründeten sich die weiteren Bescheide auf das Ermittlungsergebnis des BF1.

 

1.5. Dagegen wurde von der damaligen Rechtsvertretung, dem "Verein Menschenrechte Österreich", gegen alle Bescheide rechtzeitig vollumfänglich Beschwerde erhoben, indem im Wesentlichen die Verletzung der amtswegigen Ermittlungspflicht und unrichtige Beweiswürdigung geltend gemacht wurde. In der Beschwerde wird zusätzlich auf die schlechte Lage der Frauen und auf die schlechte Sicherheitslage hingewiesen. Die Behörde hätte es verabsäumt, zu prüfen, ob die BF in ihrer Heimatprovinz leben könnten (BF1, OZ1, AS 273), zudem sei die Sicherheitslage in Afghanistan sehr schlecht. Zusätzliche Fluchtgründe wurden nicht vorgebracht.

 

1.6. Die einzelnen Verwaltungsakte wurden am 03.10.2017 dem Gericht vorgelegt.

 

1.7. BF3 wurde vom Landesgericht Leoben als Jugendstrafgericht wegen mehrerer Vergehens zu 6 Monate bedingt mit einer Probezeit auf drei Jahren rechtskräftig verurteilt (BF3, OZ 7, sh dazu Punkt 2.1.6)

 

1.8. Das Bundesverwaltungsgericht verband aufgrund der Familienzusammengehörigkeit die Verfahren und hat über die eingebrachten Beschwerden am 29.03.2018 eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der die BF, im Beisein der Rechtsvertretung erschienen und in welche diese (ausgenommen BF4) ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurden. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde der Behörde übermittelt.

 

1.9. Die Verhandlung wurde den Parteien am 09.02.2018 (Datum der Zustellung) mitgeteilt. Unter Anschluss von Länderinformationen (sh dazu Punkt 3.21) wurden die Parteien gebeten binnen 14 Tagen zu den Länderinformationen Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme langte innerhalb der Frist nicht ein.

 

1.10. Die nunmehrige Rechtsvertretung übersandte dem Gericht

 

1.10.1. am 16.03.2018 eine mit "Beschwerdeergänzung" beschriebene Stellungnahme und

 

1.10.2. am 27.03.2018, zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung, eine weitere Stellungnahme.

 

Durch die verspätete Vorlage konnte das Gericht die beiden Schriftstücke der Rechtsvertretung nicht der anderen Verfahrenspartei, dem Bundesamt für Fremdendwesen und Asyl, zum Parteiengehör übersenden. In der mündlichen Verhandlung wurde die verspätete Einbringung mit den organisatorischen Gründen innerhalb der "Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH" erklärt.

 

1.11. Zur "Beschwerdeergänzung" vom 16.03.2018

 

Zusammengefasst wird nochmals auf die Mangelhaftigkeit des behördlichen Ermittlungsverfahrens hingewiesen, somit das Neuerungsverbot nicht gelten würde. Weiters auf die schlechte medizinische Versorgung in Afghanistan, auf das Risiko der "verwestlicht wahrgenommenen" Personen in Afghanistan, auf die Verfolgung der Hazaras, auf die Lage der Frauen, allgemein auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan; hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Wohnsitzaufnahme in Kabul, auf die Versorgungslage in Kabul, darauf, dass die Behörde es unterlassen habe von sich aus die westliche Orientierung der BF2 zu erforschen, darauf, dass die Kinder die afghanischen Gebräuche nicht kennen würden (Seite 51). Auf die Tatsache, dass die Behörde diesen Fall als "Privatstreitigkeit" sah und deswegen - bei Wahrheitsunterstellung der Diskriminierungen der Stiefbrüder gegenüber BF1 - die Anträge ablehnte, wurde auf den 90 Seiten nicht eingegangen.

 

1.12. Zur Stellungnahme vom 27.03.2018

 

Eingangs wird festgestellt, dass die übermittelten Länderinformationen nicht ausreichend fallbezogen und teilweise nicht ausreichend aktuell seien. Es werden daher folgende Länderberichte vorgelegt bzw auf folgende Themen nochmals hingewiesen: (i) EASO Bericht vom Dez 2017 zu Grundstücksstreitigkeiten in Afghanistan. Dabei wird auch vorgetragen, dass die Stiefbrüder "gute Kontakte zu den Taliban" hätten (Seite 3), (ii) BF3 und BF4 könnten einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt sein, (iii) auf die Situation der Hazaras unter Einbezug einer Präsentation der stv. Leiterin des UNHCR-Büros vom 12.03.2018, sowie auf eine Dokumentation vom Sept 2016, (iv) auf die "Verwestlichung" der minderjährigen BF, (v) auf die Situation der psychisch Kranken in Afghanistan - die BF2 betreffend, (vi) auf das Fehlen der innerstaatlichen Fluchtalternativen wegen dem Einfluss der Taliban, (vii) auf die mangelnde staatliche Schutzfähigkeit, (viii) auf die schlechte Sicherheitslage in der Provinz Maidan Wardak ua unter Bezug auf einen Bericht von Landinfo vom 17.02.2017 (Seite 20), (ix) nochmals auf das Fehlen der innerstaatlichen Fluchtalternative.

 

1.13. In der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht wiederholte BF1 im Grundtenor seine Fluchtgründe. Anfangs erklärte er, dass sein richtiges Geburtsdatum 1971 laute und nicht wie bisher notiert, 1975. Er stamme aus dem Dorf XXXX, im Bezirk XXXX, in der Provinz Meydan Shahr. Er selbst sei 1 oder 2 Jahre zur Schule gegangen, ansonsten habe er auf den Feldern seines Vaters als Landwirt gearbeitet. Er habe - außer einem Onkel mütterlicherseits - keine Verwandten mehr in seinem Heimatort. Als seine Mutter verstarb, habe sein Vater wieder geheiratete. Die Stiefmutter hätte zwei Söhne mit in die Ehe gebracht. Als sein Vater starb hätten die Probleme mit den Stiefbrüdern angefangen. Er sei von Ihnen geschlagen worden und dabei auch verletzt worden. Seitdem hätte er orthopädische Probleme. Zudem hätten die Kinder wegen den beiden Stiefbrüdern nicht zur Schule gehen können. Sie hätten das nicht erlaubt, wobei die Kinder - bis auf die Ausnahme von BF3 - auch noch zu klein gewesen wären für den Schulbesuch. Er sei mit seiner Familie im Jahr 2012 in den Iran zu dem Bruder seiner Frau geflüchtet. Dabei hätten Sie allerdings zuvor ca drei Monate in Kabul bei einem Freund gewohnt. Im Iran wären sie zwei Jahre geblieben. Als sie dort auch keine Möglichkeiten mehr gesehen hätten, wären sie nach Europa geflohen. An der Grenze zur Türkei hätte es BF3 als einziger über die Grenze geschafft. Die restliche Familie sei nach Afghanistan, nach Herat, abgeschoben worden. Sie hätte es ein paar Tage später wieder probiert. Diesmal sei seine zweite Tochter namens XXXX an der Grenze verloren gegangen. Sie lebe nunmehr bei dem Bruder seiner Frau im Iran. Befragt, warum er nicht mehr zB nach Kabul zurückkehren könne, brachte er vor, dass die beiden Stiefbrüder ihn vermutlich finden könnten, zudem sei die Sicherheitslage in Kabul sehr schlecht.

 

BF2 wiederholte im Grund die Angaben ihres Mannes und erklärte, dass sie sich an das Leben hier schon so sehr gewöhnt habe, dass sie nicht mehr zurückkehren wolle. Sie habe hier vielmehr Freiheiten als in Afghanistan. Sowohl BF1, als auch BF2 sorgten sich um die Zukunft ihrer Kinder. BF5, welche die Volksschule besucht, konnte sich flüssig auf Deutsch mit dem Richter unterhalten.

 

1.14. Beweise wurden aufgenommen (OZ bezieht sich hier, sofern nichts anderes erwähnt, immer auf BF1)

 

1.14.1. Einsicht in den Verwaltungsakt (OZ 1),

 

1.14.2. durch die Einvernahme der BF vor dem Gericht (OZ 9)

 

1.14.3. einem Strafregisterauszug der BF,

 

1.14.4. der gekürzten Urteilsausfertigung des BF3 (BF3, OZ 7)

 

1.14.5. den unten angeführten Länderberichten (OZ4, sh Punkt 5)

 

1.14.6. der Stellungnahme (Beschwerdeergänzung) der BF und der darin angeschlossenen Urkunden vom 16.03.2018 (OZ 7), sh dazu oben,

 

1.14.7. der Stellungnahme der BF und der darin angeschlossenen Urkunden vom 27.03.2018 (OZ 8), sh dazu oben.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

2. Feststellungen:

 

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt steht fest!

 

2.1. Zu den Personen der BF

 

2.1.1. Die BF XXXX (Vater, BF1), XXXX (Mutter, BF2), XXXX (minderjähriger Sohn, BF3), XXXX (minderjähriger Sohn. BF4), XXXX (minderjährige Tochter, BF5) sind afghanische Staatsbürger und gehören der Volksgruppe der Hazara an. BF1 ist am XXXX geboren. Sie alle bekennen sich zur schiitischen Glaubensausrichtung des Islams. BF1 hat zwei Jahre die Schule besucht. BF2 ist Analphabetin. Beide wuchsen in der Provinz Maidan Wardak auf und heirateten einander. Aus dieser Ehe entstammen 4 Kinder.

 

2.1.2. Die BF1 bis BF5 lebten, gemeinsam mit einer weiteren Tochter namens XXXX, in der Provinz Maidan Wardak im Distrikt XXXX, im Dorf XXXX. BF1 ernährte die Familie, indem er auf den Feldern seines Vaters, eine Landwirtschaft betrieb. BF2 war Hausfrau.

 

2.1.3. BF3 ging zwei Jahre zur Schule. Es kann nicht festgestellt werden, ob die übrigen Kinder für die Schule noch zu klein waren oder ob Ihre Stiefonkel, oder der Großvater der Kinder, sie nicht zur Schule gehen ließ.

 

2.1.4. Von BF1 befinden sich noch drei Stiefbrüder im Heimatdorf. Er hat noch einen Onkel mütterlicherseits in Afghanistan, dessen genauer Aufenthaltsort ist allerdings unbekannt. BF2 hat zwei Tanten väterlicherseits deren genauer Aufenthaltsort ebenso unbekannt ist. Sie hat noch zwei Onkel im Iran und einen Bruder im Iran. Der Vater des BF1 ist im Jahr 2012 verstorben, wodurch BF1 - laut seiner Ansicht - die Grundstücke des Vaters erhalten hätte sollen.

 

Wegen den Problemen im Zusammenhang wegen den Grundstücken mit zwei der drei Stiefbrüdern entschloss sich die Familie in den Iran zu fliehen. Sie befanden sich zuerst drei Monate bei einem Freund in Kabul und danach zwei Jahre in Teheran, bei dem Bruder der BF2. Dort hat BF3 als Tischler gearbeitet. Als die Familie im Iran keine Möglichkeiten sah, reisten sie 2015 nach Europa weiter. Beim ersten Versuch die Grenze zur Türkei zu überqueren, schaffte es lediglich BF3. Die restliche Familie wurde wieder nach Afghanistan, nach Herat zurückgeschoben. Dort hielt sich die Familie ca 15 bis 20 Tage auf und versuchte es danach nochmals über die Grenze Iran/Türkei. Diesmal gelang es allen mit Ausnahme der Tochter XXXX. Sie ist heute 17 Jahre alt und lebt bei Ihrem Onkel im Iran. Die Familie hat regelmäßigen telefonischen Kontakt mit Ihrer Tochter.

 

BF3 reiste am 03.07.2015 illegal nach Österreich ein und stellte hier als unbegleiteter Minderjähriger einen Asylantrag. Die restliche Familie, mit Ausnahme von XXXX, reiste am 06.09.2015 auf die gleiche Weise ein und stellten an diesem Tag einen ebensolchen Antrag.

 

2.1.5. BF1 hat im rechten Unterschenkel einen Tibianagel und wurde im Mai 2017 an der Hüfte operiert. Er nimmt Schmerzmittel ein. Es ist nicht bewiesen, aber glaubhaft, dass die Verletzungen aufgrund der Auseinandersetzungen mit den zwei Stiefbrüdern stammen. Auch mit dieser Einschränkung ist er grundsätzlich arbeitsfähig. BF2 ist - abgesehen von Kopfschmerzen - grundsätzlich gesund und arbeitsfähig. Es steht fest, dass BF2 kein "psychisches Problem" hat. Ebenso kann festgestellt werden, dass BF2 wegen "psychischer Probleme" in Afghanistan keiner Verfolgung ausgesetzt war oder im Falle der Rückführung ausgesetzt sein wird. BF3 und BF4 sind gesund und arbeitsfähig. BF5 ist gesund, jedoch aufgrund des Alters noch nicht arbeitsfähig.

 

2.1.6. Der Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan finanzielle Unterstützung durch den Bruder der BF2 aus dem Iran aus, erfahren können. Sie könnten in Kabul bei dem Freund des BF1 wohnen. Sie sprechen Dari, Farsi und die Kinder zusätzlich Deutsch.

 

2.1.7. Der BF3 wurde am 19.12.2017 vom LG Leoben als Jugendstrafgericht unter der Zahl: 14 Hv 115/17p-14, wegen der Vergehen der versuchten Nötigung, der vollendeten Sachbeschädigung, der vollendenden Körperverletzung, des versuchten und teils vollendeten Diebstahls, der vollenden Urkundenunterdrückung und des Vergehens der vollendeten Entfremdung unbarer Zahlungsmittel, teilweise begangen in einem ÖBB-Railjet auf der Fahrt von Linz nach Wien am 02.09.2017 zu Nachteil eines Zugbegleiters, teilweise begangen im Jahr 2016 in Liezen zum Nachteil der Firma "XXXX", teilweise begangen am 03.01.2017 zum Nachteil der Firma "XXXX", teilweise begangen am 11.12.2016 zum Nachteil von Frau XXXX, zu sechs Monaten bedingt auf 3 Jahre Probezeit, rechtskräftig verurteilt.

 

Als strafmildernd wurden die Tatsachen, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, sowie das Vorliegen des teilweisen Geständnisses; als straferschwerend dagegen wurde das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die Tatwiederholung und der lange Deliktzeitraum gewertet.

 

2.1.8. BF5 zeigt wegen der Inklusion in die örtliche Volksschule eine deutliche Integration. BF3 ließ erkennen, dass er durch die mehrmaligen strafrechtlich verpönten Angriffe die Wertehaltung bis dato nicht aufnehmen wollte. Die Rechtfertigung des BF1 und des BF3 dass es sich um ein Alkoholproblem handelt, bagatellisiert die rechtskräftige Verurteilung und lässt zudem die Vermutung entstehen, dass er das Unrecht seiner Tat nicht einzusehen vermag. Die Ansicht der Rechtsvertretung in der Stellungnahme, dass BF3 die Wertehaltung aufgenommen habe und dass es sich hierbei um ein Alkoholproblem handelt, welches er überwunden hätte, ist grundsätzlich gegenläufig (vorausgesetzt man lässt den Konsum des Alkohols nicht als Zeichen der westlichen Wertehaltung zu).

 

BF1 und BF2 haben keine abgeschlossene Sprachausbildung. Alle BF befinden sich seit ca Mitte 2015 in Österreich. Die BF beziehen ihre Versorgung aus der vorübergehenden Grundversorgung.

 

BF3 hat eine gleichaltrige österreichische Freundin.

 

Die BF sind nicht gemeinnützig oder ehrenamtlich Tätig. Es gibt keine Hinweise auf intrinsisch motiviert nachhaltige Integrationsbestrebungen.

 

2.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

 

2.2.1. Streit mit den Stiefbrüdern

 

BF2 bis BF5 leiteten Ihren Fluchtgrund von BF1 ab.

 

Das Bundesverwaltungsgericht legt seiner Entscheidung das Vorbringen des BF1 zugrunde, ohne dessen Richtigkeit überprüft zu haben.

 

Zwei von den drei Stiefbrüdern des BF1 waren nach dem Tod seines Vaters dagegen das BF1 die Grundstücke seines Vaters erben solle. Aus diesem Grund schlugen Sie BF1 und diskriminierten ihn laufend. Er wurde dabei auch am linken Bein und an der Hüfte verletzt.

 

Aus: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017:

 

"Rechtsschutz/Justizwesen

 

Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia (islamisches Gesetz), Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9 .2016; vgl. auch: USIDP o.D. und WP 31.5.2015). Fast 80% der Dispute werden außerhalb des formellen Justizsystems gelöst - üblicherweise durch Schuras, Jirgas, Mullahs und andere in der Gemeinschaft verankerte Akteure (USIP o.D.; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

 

Traditionelle Rechtsprechungsmechanismen bleiben für viele Menschen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, weiterhin der bevorzugte Rechtsweg (USDOS 13.4.2016, vgl. auch: FH 27.1.2016). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 13.4.2016). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (FH 27.1.2016).

 

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan weitverbreitet akzeptiert ist, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 13.4.2016).

 

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vgl. auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).

 

Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal behindert die Gerichte (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016). Manche Amtsträger/innen in Gemeinden und Provinzen verfügen über eine eingeschränkte Ausbildung und gründen ihre Entscheidungen daher auf ihrem persönlichen Verständnis der Scharia, ohne jeglichen Bezug zum kodifizierten Recht, Stammeskodex oder traditionellen Bräuchen (USDOS 13.4.2016).

 

Innerhalb des Gerichtswesens ist Korruption weiterhin vorhanden (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffneten Gruppen (FH 27.1.2016), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 13.4.2016). Afghanische Gerichte sind durch öffentliche Meinung und politische Führer leicht beeinflussbar (WP 31.5.2015). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das Strafrechtszentrum für Anti-Korruption, um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (Reuters 12.11.2016).

 

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 9 .2016).

 

Quellen:....

 

Sicherheitsbehörden

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) bestehen aus folgenden Komponenten: der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der afghanischen Nationalpolizei (ANP), die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei die Verbrechen bekämpft (AACP). Sie stehen unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums Die afghanische Lokalpolizei (ALP), sowie ihre Komponenten (etwa die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) sind unter der Führung des Innenministeriums (USDOD 6. 2016).

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) haben - wenn auch unbeständig - Fortschritte gemacht. Sie führten ihre Frühjahrs- und Sommeroperationen erfolgreich durch. Ihnen gelang im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern. Schwierigkeiten in Schlüsselbereichen wie Spionage, Luftfahrt und Logistik, verbesserten sich, beeinträchtigten dennoch die Schlagkraft. Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016).

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9 .2016; vgl. auch: USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

 

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan Local Police (ALP). Die (Afghan National Police (ANP) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig. Ihre primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der Aufständischen. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 13.4.2016).

 

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2016), davon 4.228 Frauen (SIGAR 30.7.2016).

 

Die monatlichen Ausfälle (umfasst alle geplanten und ungeplanten Ausfälle von Pensionierungen über unerlaubte Abwesenheit bis hin zu Gefallenen) der ANDSF liegen bei 2.4% - eine leichte Erhöhung gegenüber dem Dreijahresmittel von 2.2% (USDOD 6.2016).

 

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

 

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption und die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31.5.2016 beträgt die Stärke der ANP etwa 148.000 Mann. Dies beinhaltet nicht die rund 6.500 Auszubildenden in Polizeiakademien und andere die Ausbildungszentren landesweit ausgebildet werden. Frauen machen sind mit etwa 1.8% in der ANP vertreten (USDOD 6.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

 

Die Personalstärke der ALP beträgt etwa 28.800 Mann; zusätzlich autorisiert sind weitere 30.000 Mann, welche nicht in der allgemeinen ANDSF-Struktur inkludiert sind (USDOD 6.2016). Aufgabe der ALP ist, Sicherheit innerhalb von Dörfern und ländlichen Gebieten zu gewährleisten - indem die Bevölkerung vor Angriffen durch Aufständische geschützt wird, Anlagen gesichert und lokale Aktionen gegen Rebellen durchgeführt werden (USDOD 6.2016).

 

Die monatlichen Ausfälle der ANP betragen über die letzten Jahre relativ stabil durchschnittlich 1.9% (USDOD 6.2016).

 

Afghanische Nationalarmee (ANA)

 

Die afghanische Nationalarmee (ANA) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit verantwortlich, primär bekämpft sie den Aufstand im Inneren (USDOS 13.4.2016).

 

Mit Stand 31. Mai 2016 betrug der autorisierte Personalstand der ANA 171.000 Mann, inklusive 7.100 Mann in den Luftstreitkräften (Afghan Air Force - AAF); etwa 820 Frauen sind in der ANA, inklusive AAF. Die Ausfälle in der ANA sind je nach Einheit unterschiedlich. Die allgemeine Ausfallsquote lag unter 3%, gegenüber 2,5% in der letzten Berichtsperiode. Die Einheiten der Luftstreitkräfte und der afghanischen Spezialeinheiten (ASSF) hielten weiterhin die niedrigsten Ausfallsquoten und die höchsten Verbleibquoten aller ANDSF-Teile (USDOD 6.2016).

 

Die Vereinigten Staaten von Amerika errichteten fünf Militärbasen in: Herat, Gardez, Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul (CRS 8.11.2016).

 

Resolute Support Mission

 

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO-geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene, sowie in höheren Ebenen der Armee und Polizei. Die personelle Stärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 (durch NATO und anderen Partnernationen). Das Hauptquartier ist in Kabul (Bagram), mit vier weiteren Niederlassungen in: Mazar-e-Sharif, Herat, Kandahar und Laghman (NATO 5.2016). Quellen: ..."

 

Vor dem Hintergrund dieser Länderinformation kann beweiswürdigend (sh dazu Punkt 3.1) nicht festgestellt werden, dass der Streit zwischen dem BF1 und seinen Stiefbrüdern einen asylrelevanten Grund darstellt, dem zufolge für einen der BF eine Gefahr für Leib, Leben oder der körperlichen Unversehrtheit bestand, oder im Falle der Rückkehr, besteht. Eine asylrelevante Gefahr einer Verfolgung konnte nicht festgestellt werden.

 

Die Streitigkeiten zwischen dem BF1 und den Stiefbrüdern sind privaten Ursprungs.

 

In Afghanistan bestehen ein Sicherheitssystem und eine Justiz.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass die beiden Stiefbrüder den Taliban angehören. Es ist mit keiner maßgeblichen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass die BF, sollten Sie sich in Kabul niederlassen, von den Stiefbrüdern dort verfolgt werden würden.

 

Es konnte ebenso nicht festgestellt, werden, dass die Familie deswegen floh, weil die Kinder keine Ausbildungsmöglichkeiten hatten.

 

2.2.2. Zum "selbstbestimmten Leben" der weiblichen BF, insbesondere der BF2.

 

Aus: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017:

 

"Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9 .2016).

 

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BUNDESAMT FÜR FREMDENWESEN UND ASYL Staatendokumentation 3.2014).

 

Bildung

 

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004).

 

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

 

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

 

Frauenuniversität in Kabul

 

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vgl. auch:

MORAA 31.5.2016).

 

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vgl. auch:

University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).

 

Berufstätigkeit

 

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9 .2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

 

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vgl. auch: AF 7.12.2016).

 

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vgl. auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

 

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

 

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

 

Frauen im öffentlichen Dienst

 

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9 .2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).

 

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9 .2016).

 

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

 

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9 .2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).

 

Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).

 

Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).

 

Teilnahmeprogramme für Frauen in den Sicherheitskräften

 

Initiiert wurde ein umfassendes Programm zur Popularisierung des Polizeidienstes für Frauen (SIGAR 30.7.2016; vgl. auch: Sputnik News 5.12.2016). Dies Programm fördert in verschiedenster Weise Möglichkeiten zur Steigerung der Frauenrate innerhalb der ANDSF (SIGAR 30.7.2016). Das afghanische Innenministerium gewährte im Vorjahr 5.000 Stellen für Frauen bei der Polizei, diese Stellen sind fast alle noch immer vakant (Sputnik News 5.12.2016; vgl. auch:

SIGAR 30.7.2016). Eines der größten Probleme ist, dass sowohl junge Mädchen als auch Ehefrauen in ihren Familien nichts selbständig entscheiden dürften (Sputnik News 5.12.2016). Die afghanische Nationalpolizei schuf zusätzlich neue Posten für Frauen - womit sich deren Zahl auf 5.969 erhöhte; 5.024 dieser Posten sind innerhalb der afghanischen Nationalpolizei, 175 in Gefängnissen und Haftanstalten, sowie 770 zivile Positionen (SIGAR 30.7.2016). Im Juni 2016 verlautbarten die Behörden in Kabul, bis März 2017 die Polizei mit 10.000 neuen Stellen für weibliche Polizeikräfte aufzustocken. Die Behörden möchten der steigenden Gewalt gegen Frauen in Afghanistan entgegentreten und effektiver gegen die Terrorbedrohung und den Drogenhandel im Land vorgehen (Sputnik News 14.6.2016).

 

Seit fast einem Jahrzehnt schaffen afghanische Behörden massiv Arbeitsstellen für Frauen bei der Polizei und versuchen alljährlich den Frauenanteil zu erhöhen. Das dient vor allem dazu, den Afghaninnen Schutz zu gewähren. Wenn Verdächtigte und mutmaßliche Verbrecher Frauen seien, werden Polizistinnen bevorzugt. Allerdings haben Beamtinnen wegen ihres Polizeidienstes öfter Probleme mit ihren konservativen Verwandten (Sputnik News 14.6.2016). Im Arbeitskontext sind Frauen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen: so sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt (AA 9 .2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016). [...]."

 

Es konnte vor diesem Hintergrund beweiswürdigend (sh dazu Punkt 3.12) nicht festgestellt werden, dass einer der weiblichen BF, insbesondere BF2, eine westliche Orientierung so sehr verinnerlicht hat, dass Sie nicht mehr, oder nur unter unzumutbarer Verleugnung der inneren Persönlichkeit, als Frau in Afghanistan leben könne.

 

Sofern sich die Flucht auf die Bildung der Kinder beschränkte - dies nicht glaubhaft vorgebracht wurde, jedoch hier abschließend bewertet wird - ist anzuführen, dass im Falle einer Rückführung nach Kabul dort den Kindern jede Bildungsmöglichkeit offen steht.

 

Ein asylrelevanter Grund oder eine Gefahr für eine Verfolgung wurde für keinen der BF festgestellt.

 

2.2.3. Weitere Gründe einer Verfolgung (Potentielle Risikoprofile gem UNHCR-Richtlinie)

 

Obgleich keiner der BF selbst die unten angeführten Gründe als Fluchtursachen oder Hindernis einer Rückkehr, vorgebracht haben, hat das Gericht eine Prüfung der seitens der Rechtsvertretung in den Stellungnahmen vom 16.03.2018 und 27.03.2018 erwähnten potentiellen Risikoprofile vorgenommen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl konnte zu diesen Gründen mangels Parteigengehör (sh dazu Punkt 1.10) keine Stellungnahme abgeben.

 

Personen, die aus Afghanistan fliehen, können einem Verfolgungsrisiko aus Gründen ausgesetzt sein, die mit dem fortwährenden bewaffneten Konflikt in Afghanistan oder mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, die nicht in direkter Verbindung zum Konflikt stehen, zusammenhängen oder aufgrund einer Kombination beider Gründe. UNHCR ist der Auffassung, dass in Bezug auf Personen mit bestimmten Profilen, abhängig von den im Einzelfall, eine besonders sorgfältige Prüfung der möglichen Risiken notwendig ist:

 

Risikogruppen in Afghanistan: (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 -zusammenfassende Darstellung des UNHCR vom 04.05.2016):

 

"Diese Risikoprofile sind weder zwangsläufig erschöpfend, noch werden sie der Rangfolge nach angeführt:

 

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

 

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

 

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

 

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

 

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;

 

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;

 

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;

 

(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;

 

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

 

(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;

 

(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;

 

(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und

 

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige)."

 

Für den gegenständlichen Fall gilt:

 

2.2.4. Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen (Profile 5 und 7)

 

Zusammenfassung aus folgender Quelle: UNHCR Richtlinien, Pkt III.A.1.j und l:

 

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen.

 

UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass - je nach den Umständen des Einzelfalls - für solche Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann.

 

Im vorliegenden Fall könnte laut der Rechtsvertretung BF3, BF4 und BF5 betroffen sein.

 

2.2.4.1. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext von Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung (Profile 3)

 

Zusammenfassung aus folgender Quelle: UNHCR Richtlinien, Pkt III.A.3.: "Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.

 

Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, wie berichtet wird, weiterhin Kinder - sowohl Jungen als auch Mädchen - um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen einzusetzen, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln und als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung zu dienen.

 

UNHCR ist der Ansicht, dass - je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls - für Männer im wehrfähigen Alter und für Minderjährige, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der regierungsfeindlichen Kräfte befinden, oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit ISIS verbundene bewaffnete Gruppen um Kontrolle kämpfen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen kann.

 

Je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls kann für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten leben, in denen Befehlshaber der afghanischen lokalen Polizei (ALP) über eine hinreichende Machtstellung für die Zwangsrekrutierung von Mitgliedern der Gemeinden für die afghanische lokale Polizei (ALP) verfügen, ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen.

 

Für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzen, kann ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Je nach den spezifischen Umständen des Falls kann auch für Familienangehörige von Männern und Kindern mit diesem Profil aufgrund ihrer Verbindung zu der gefährdeten Person internationaler Schutzbedarf bestehen.

 

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017: Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9 .2016)."

 

Davon könnte BF3 und BF4 betroffen sein.

 

2.2.4.2. Verfolgung aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazaras (Profile 13)

 

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017:

 

"Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. (CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (Staatendokumentation des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl 7.2016).

 

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

 

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert (AA 9 .2016); sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert (CRS 12.1.2015). In der öffentlichen Verwaltung sind sie jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist (AA 9 .2016). In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, auch Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).

 

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2015 kam es zu mehreren Entführungen von Angehörigen der Hazara (AA 9 .2016; vgl. auch: UDOS 13.4.2016; NYT 21.11.2015; World Hazara Council 10.11.2016; RFE/RL 25.2.2016). Im Jahr 2016 registrierte die UNAMA einen Rückgang von Entführungen von Hazara. Im Jahr 2016 dokumentierte die UNAMA 15 Vorfälle in denen 82 Hazara entführt wurden. Im Jahr 2015 wurden 25 Vorfälle von 224 entführten Hazara dokumentiert. Die Entführungen fanden in den Provinzen Uruzgan, Sar-e Pul, Daikundi, Maidan Wardak und Ghor statt (UNAMA 6.2.2017). Im Juli 2016 sprengten sich mehrere Selbstmordattentäter bei einem großen Protest der Hazara in die Luft, dabei wurden mindestens 80 getötet und 250 verletzt; mit dem IS verbundene Gruppen bekannten sich zu dem Attentat (HRW 12.1.2017).

 

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

 

Ausführliche Informationen zu den Hazara, können dem Dossier der Staatendokumentation (7.2016) entnommen werden. Quellen [...]."

 

Davon könnten alle BF betroffen sein.

 

2.2.4.3. Zusammenfassung:

 

Es kann zusammengefasst vor dem Hintergrund der UNHCR-Richtlinie und den Länderberichten beweiswürdigend (sh dazu Punkt 3.13, 3.14, 3.15) festgestellt werden, dass die einzelnen BF weder alleine noch zusammen im Herkunftsstaat einer systematischen Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, dh. wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt waren oder ihm in Falle einer Rückkehr derartiges droht.

 

2.3. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in die Heimatprovinz:

 

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017:

 

"Wardak/ Maidan Wardak

 

Maidan Shahr ist die Provinzhauptstadt. Distrikte der Provinz Wardak sind: Sayed Abad, Jaghto, Chak, Daimirdad, Jalrez, central Bihsud und Hisa-i-Awal Bihsud. Kabul und Logar liegen im Osten der Provinz (Maidan) Wardak, Bamyan im Westen und Nordwesten, Ghazni im Süden und Südwesten, sowie die Provinz Parwan im Norden (Pajhwok o.D.u). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 606.077 geschätzt (CSO 2016).

 

Die Hauptautobahn Kabul-Kandahar geht durch die Provinz Maidan Wardak und verbindet dadurch die südlichen, aber auch südöstlichen Provinzen mit der Hauptstadt Kabul (Khaama Press 6.5.2016).

 

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Wardak 359 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Im Vergleich zum vorigen Berichtszeitraum wurden Veränderungen der Sicherheitslage in der Provinz festgehalten - gleichwohl sind die Gewinne der Taliban in diesen Teilen des Landes minimal und unbeständig (USDOD 12.2016). Talibanaufständische sind in einer Anzahl von abgelegenen Distrikten in der Provinz aktiv (Khaama Press 3.7.2016). Aufständische werden durch die Sicherheitskräfte in der Provinz Wardak bekämpft (SIGAR 30.1.2017) und auch militärische Operationen werden durchgeführt (Khaama Press 25.9.2016; Khaama Press 28.10.2016; Khaama Press 17.8.2016; Khaama Press 21.7.2016; Khaama Press 1.6.2016)."

 

Vor diesem Hintergrund kann beweiswürdigend (sh dazu Punkt 3.18) festgestellt werden, dass den BF bei einer Rückkehr in deren Herkunftsprovinz in Afghanistan aus Sicherheitsgründen ein Eingriff in deren körperliche Unversehrtheit drohen.

 

2.4. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in die Stadt Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative

 

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018

 

"Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

 

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

 

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2018

 

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

 

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

 

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

 

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

 

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

 

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

 

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

 

(Grafik)

 

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

 

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

 

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

 

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

 

(Grafik)

 

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

 

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

 

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018)."

 

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017:

 

"Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

 

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

 

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

 

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017)."

 

Sicherheitsrelevante Vorfälle

 

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

 

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.)....

 

High-profile Angriffe:

 

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

 

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

 

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

 

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)."

 

Aus: "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 30.01.2018, Punkt 3, "Sicherheitslage"

 

"Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

 

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017). [...]

 

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

 

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

 

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

 

Kontrolle von Distrikten und Regionen

 

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

 

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

 

Rebellengruppen

 

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

 

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

 

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9 .2016).

 

Taliban und ihre Offensive

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

 

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

 

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

 

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

 

Haqqani-Netzwerk

 

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft, gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani, wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).

 

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

 

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul - Operationen durchzuführen; finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).

 

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).

 

Al-Qaida

 

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Kamp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vgl. auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzertierte und nicht wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).

 

Siehe Kapitel 2 - Politische Lage - Friedens- und Versöhnungsprozesse

 

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

 

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

 

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verslusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

 

Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten, aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017). [...]

 

Zivile Opfer

 

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

 

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

 

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

 

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017). [...] Quellen: [...]"

 

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017.

 

Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

 

...Im Zeitraum 1.9.2015. - 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

 

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

 

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017). Quellen:[...]"

 

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017

 

"Grundversorgung und Wirtschaft:

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 171. von 188 Plätzen (UNDP 2016; vgl. auch: AA 11 .2016). Afghanistan bleibt trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade, eines der ärmsten Länder. Die Sicherheit und politische Ungewissheit, sowie die Reduzierung internationaler Truppen, gemeinsam mit einer schwachen Regierung und Institutionen, haben Wachstum und Beschäftigung gehemmt und seit kurzem zu einer erhöhten Migration geführt (IWF 13.4.2016).

 

Trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011, stagnierte die Armutsrate bei 36%. Am häufigsten tritt Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenzgrundlage von der Landwirtschaft abhängig ist (WB 2.5.2016). Die Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringem Ausbildungsstand der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 11 .2016).

 

Das BIP-Wachstum im Jahr 2015 wurde auf 1,5% geschätzt, als Faktoren zählten die sich verschlechternde Sicherheitslage, welche Privatinvestitionen schwächte; verspätete Vollstreckung des Haushaltsplanes und unvorteilhafte Wetterbedingungen, die zu einem niedrigeren landwirtschaftlichen Ertrag führten (IMF 13.4.2016). Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz positiver Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuschüsse der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. Den größten Anteil am BIP (2015: 19,2 Mrd. USD, lt. Weltbank) hat der Dienstleistungssektor mit 55%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 22,6%. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels - Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig - sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 11 .2016). Das Wirtschaftswachstum ist in den Jahren 2014 und 2015 stark auf 1.5 - 2% gesunken; internationale Entwicklungshilfe führte zu Wachstum und Jobs in Konfliktregionen, dennoch steuerte es nicht zu einer gesteigerten Produktivität bei. Ungleichheit stieg parallel zur ungleichen Wachstumsverteilung - Regionen im Nordosten, Osten, sowie im Westen des Zentralgebietes scheinen aufgrund ihrer geografischen Abgelegenheit, starken Klimaveränderungen, niedriger Hilfe und Unsicherheit, nachzuhinken. Arbeitslosigkeit, Naturgefahren, fehlender Zugang zu Dienstleistungen, sowie Gewalt, sind Hauptfaktoren für die hohe Armutsrate in Afghanistan. Entwicklungsschwierigkeiten verstärkten die wachsende Unsicherheit, Verunsicherung und schrumpfende Hilfe (WB 2.5.2016).

 

Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden. Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und seltene Erden. Mit dem 2014 verabschiedeten Rohstoffgesetz wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv. Derzeit niedrige Weltmarktpreise lassen die Investitionsbereitschaft zusätzlich sinken (AA 11 .2016).

 

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis. Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus. Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 11 .2016).

 

Projekte der afghanischen Regierung:

 

Im September 2016 fiel der Startschuss für das "Citizens' Charter National Priority Program"; dieses Projekt zielt darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu erhöhen, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden. Die erste Phase des Projektes hat ein Drittel der 34 Provinzen zum Ziel; die vier Städte Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar sind Schwerpunkt des städtischen Entwicklungsprogrammes, welche als erste behandelt werden sollen. In der ersten Phase sollen 8,5 Millionen Menschen erreicht werden, mit dem Ziel 3,4 Millionen Menschen sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, die Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern, Bildung, Landstraßen, Elektrizität, sowie Zufriedenheit zu steigern und Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu erhöhen. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Menschen mit Behinderung, arme Menschen und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016)."

 

Unterstützung durch verschiedene Organisationen Vorort

 

Eine steigende Zahl von Institutionen bietet Mikrofinanzleistungen an. Die Voraussetzungen hierfür unterscheiden sich, wobei zumeist der Fokus auf die Situation/Gefährdung des Antragenden und die Nachhaltigkeit des Projekts gelegt wird. Rückkehrer und insbesondere Frauen erhalten regelmäßig Unterstützung durch Mikrofinanzleistungen. Jedoch sind die Zinssätze in der Regel vergleichsweise hoch (IOM 2016).

 

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme - WFP) hat in Afghanistan eine neunmonatige Operation eingeleitet, um die wachsenden Zahl der Rückkehrer/innen aus Pakistan und Binnenvertriebe zu unterstützen, indem ihnen Notfallsnahrung und andere Mittel zur Verfügung gestellt werden:

Sowohl das WFP als auch andere UN-Organisationen arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Organisation bietet 163.000 nicht-registrierten Rückkehrer/innen, 200.000 dokumentierten Rückkehrer/innen und 150.000 Binnenvertriebenen, Flüchtlingen Nahrungs- und Finanzhilfe an; auch 35.000 Flüchtlinge in den Provinzen Khost und Paktika wurden unterstützt. Das WAFP hat seine Unterstützungen in Ostafghanistan verstärkt - um Unterernährung zu vermeiden; das WFP unterstützte mehr als 23.000 Kleinkindern aus Rückkehrer-Familien. Ziel des WFP ist es 550.000 Menschen durch Notfallsorganisationen zu helfen (UN News Centre 15.11.2016).

 

Einige Länder arbeiten auch eng mit IOM in Afghanistan im Rahmen des Programms Assisted Voluntary Return zusammen - insbesondere, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet Beratung und psychologische Betreuung im Aufnahmeland, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits an. Obwohl IOM Abschiebungen nicht unterstützt und keine Abschiebungsprogramme durchführt, gibt IOM auch abgeschobenen Asylbewerber/innen Unterstützung nach der Ankunft im Land (AA 9 .2016). Mit Ausnahme von IOM gibt es keine weiteren Organisationen, die Unterstützung bei der Reintegration von Rückkehrer/innen in Afghanistan anbieten (IOM 2016).

 

Erhaltungskosten in Kabul

 

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul, für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150-250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat (IOM 22.4.2016). In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zur 2 Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (IOM 2016).

 

Auszüge aus dem Bankensystem in Afghanistan

 

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist einfach in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird nach folgendem fragen: Tazkira/ (Personalausweis/Pass); 2 Passfotos und AFA 1,000 bis 5,000 als Mindestkapital für das Bankkonto (IOM 2016).

 

Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv:

Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, Alfalah Bank Ltd., Bank-E-Millie Afghan, BRAC Afghanistan Bank, Development Bank of Afghanistan, Export Promotion Bank, Habib Bank of Pakistan, Kabul Bank, National Bank of Pakistan, Pashtany Bank, Punjab National Bank - India, The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank. Zu deren Leistungen zählen: Internationaler Geldtransfer via SWIFT (Society For World Wide Interbank Funds Transfer), inländische Geldtransfers in Afghanistan, diverse Kreditprodukte und andere Handelsleistungen, sowie Sparen und Girokonten (IOM 2016).

 

Internationaler Geldtransfer via SWIFT ist seit 2003 über die Zentralbank verfügbar. Auch kommerzielle Banken bieten derzeit internationalen Geldtransfer an, manche nutzen eigene Möglichkeiten, andere greifen auf die Ressourcen der Zentralbank zurück. Die Zentralbank kann die Nachfrage des Bankensektors nach Bargeld in afghanischer Währung sowie in US Dollar bedienen. Um Geld nach Afghanistan zu überweisen, müssen die Betroffenen ein Konto in Afghanistan haben. Die Zentralbank beabsichtigt, sich vom kommerziellen Bankgeschäft zurückzuziehen, da die kommerziellen Banken ihre Tätigkeiten in Afghanistan ausbauen. Die Zentralbank kann Überweisungen und andere Bankdienstleistungen in den Provinzen in ganz Afghanistan gewährleisten (IOM 2016). Geldtransferanbieter wie Western Union sind ebenfalls weit verbreitet (IOM 2016; vgl. auch: Western Union Holdings, Inc 2016 und Azizi Bank 2014).

 

Rückkehrern wird durch verschiedene Organisationen Vorort Unterstützung bei der Existenzgründung (insbesondere durch Mikrokredite), bei der Zurverfügungstellung von Unterkünften und Nahrung sowie bei der Reintegration geboten."

 

Relevanz und Zumutbarkeit einer internen Schutzalternative

 

Zur Zumutbarkeit einer "internen Schutzalternative" sagen die UNHCR Richtlinien Folgendes aus (Auszug aus den UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender.):

 

"Die Prüfung, ob eine interne Schutzalternative gegeben ist, erfordert eine Prüfung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative. Eine interne Schutzalternative ist nur dann relevant, wenn das für diesen Zweck vorgeschlagene Gebiet praktisch, sicher und legal erreichbar ist, und wenn die betreffende Person in diesem Gebiet nicht einem weiteren Risiko von Verfolgung oder ernsthaftem Schaden ausgesetzt ist. Bei der Prüfung der Relevanz einer internen Schutzalternative für afghanische Antragsteller müssen die folgenden Aspekte erwogen werden:

 

(i) Der instabile, wenig vorhersehbare Charakter des bewaffneten Konflikts in Afghanistan hinsichtlich der Schwierigkeit, potenzielle Neuansiedlungsgebiete zu identifizieren, die dauerhaft sicher sind, und

 

(ii) die konkreten Aussichten auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet unter Berücksichtigung von Risiken im Zusammenhang mit dem landesweit verbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern und Landminen, Angriffen und Kämpfen auf Straßen und von regierungsfeindlichen Kräften auferlegte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.

 

Wenn Antragsteller eine begründete Furcht vor Verfolgung haben, die vom Staat oder seinen Akteuren ausgeht, so gilt die Vermutung, dass die Erwägung einer internen Schutzalternative für Gebiete unter staatlicher Kontrolle nicht relevant ist. Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz gegen derartige Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist nach Ansicht von UNHCR eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter tatsächlicher Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben; es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragsteller über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen. UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist.

 

Wenn der Antragsteller eine begründete Furcht vor Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteur hat, müssen die Möglichkeit des Akteurs, den Antragsteller auf dem vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet zu verfolgen, und die Fähigkeit des Staates, Schutz in diesem Gebiet zu bieten, geprüft werden. Wenn die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, müssen Nachweise hinsichtlich der Fähigkeit dieses Akteurs, Angriffe in Gebieten außerhalb des von ihm kontrollierten Gebiets durchzuführen, berücksichtigt werden.

 

[...]

 

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden. Insbesondere stellen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtssituation von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, relevante Erwägungen dar, die bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

 

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

 

[...]

 

UNHCR ist der Ansicht, dass eine interne Schutzalternative in vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten nicht existiert. In Hinblick auf andere Gebiete Afghanistans ist eine interne Schutzalternative nur dann verfügbar, wenn der Antragsteller dort in Sicherheit, ohne Gefahr sowie ohne Verletzungsrisiko leben kann. Diese Bedingungen müssen dauerhaft und dürfen weder illusorisch noch unvorhersehbar sein."

 

Vor dem Hintergrund der Länderberichte, auch unter Beachtung der eingebrachten Stellungnahmen der BF, geht das Gericht beweiswürdigend (sh dazu Punkt 3.19) davon aus, dass Kabul derzeit als sichere Stadt gilt.

 

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb seiner Heimatprovinz, insbesondere in der Stadt Kabul, liefen die BF nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

 

Zu diesen Feststellungen gelangt das Gericht aufgrund folgender

 

3. Beweiswürdigung

 

3.1. Zu den Feststellungen zur Person der BF:

 

3.2. Ad 2.1.1: Die Feststellung zum Namen des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde, in der eingebrachten Stellungnahme, in den im Verfahren erstatteten Stellungnahmen und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie aus den vorgelegten Dokumenten.

 

Hinsichtlich seines Geburtsdatums legte der BF1 in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dar, dass es bei der Erstbefragung und bei der Einvernahme vor der Behörde zu einer unrichtigen (XXXX) Dokumentierung gekommen ist. Das Geburtsdatum lautet XXXX.

 

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit der BF gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften und zwischen BF1 und BF2 nicht widersprüchlichen Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen der BF zu zweifeln.

 

3.3. ad 2.1.2: BF1 gab vor dem Gericht an, dass er in der Provinz "Meydan Shah" gelebt hätte. Meydan Shah ist allerdings keine Provinz, sondern die Haupstadt der Provinz Maidan Wardak. XXXX (Jalrez) ist eine von den acht Distrikten in dieser Provinz. Die Örtlichkeit wurde daher in den Feststellungen entsprechend geändert und mit den übrigen Aussagen und der Aussagen der anderen BF abgeglichen.

 

3.4. ad 2.1.3: BF1, BF2 und BF3 geben vor dem Bundesverwaltungsgericht gemeinsam an, das BF3 zwei Jahre zur Schule ging. BF1 vermeinte zusätzlich, dass BF1 zusätzlich zwei Jahre in eine Koranschule ging. Das hat weder BF2 noch BF3 bestätigt. Daher ist davon auszugehen, dass BF3 lediglich zwei Jahre zur Volksschule ging.

 

Hinsichtlich der übrigen Kinder sind die Angaben vor dem Gericht gänzlich unterschiedlich. Einmal meinten BF1 dass die Stiefonkel die Kinder nicht zur Schule gehen ließen (Seite 11), an anderer Stelle gab er an, dass die anderen Kinder außer BF3 noch zu klein gewesen wären (Seite 10). BF2 gab wiederum an, dass ihr Großvater es nicht zugelassen hätte, dass die übrigen Kinder nicht zur Schule gehen durften, dann wieder waren es die Stiefonkel (ebenda). BF3 gab wiederum an, dass seine Geschwister noch zu klein für die Schule gewesen wären (Seite 23). Ein getrenntes Befragen der BF und ein Nachfragen erbrachte auch keine Klarheit.

 

3.5. ad 2.1.4: Die Angaben der BF hinsichtlich der Verwandten, den übrigen Lebensweg, der sozialen Stellung, der wirtschaftlichen Situation ergeben sich aus den Niederschriften vor der Behörde und der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht. Sie sind in sich weitgehend widerspruchsfrei, chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen in Afghanistan plausibel. Ebenso plausibel und in sich schlüssig ist der Fluchtweg, der Aufenthaltsort in Kabul, das Leben im Iran, die beiden Versuche nach Europa zu gelangen und die damit verbundenen mehrfachen Trennungen der Familie an der Grenze Iran/Türkei. Die Daten der Antragsstellungen ergeben sich aus dem Akt.

 

3.6. ad 2.1.5: Hinsichtlich BF1 liegt ein ärztlicher Entlassungsbrief der "LKH Stolzalpe" vom 17.05.2017 vor, darin der Befund entnommen wurde. Hinsichtlich BF2 liegt ein aktueller ärztlicher Entlassungsbrief vom 14.02.2018 des "LKH Rottenmann Bad Aussee" vor, darin der Befund entnommen wurde. Eine psychische Erkrankung wurde darin ausgeschlossen. Daran ändert auch nichts die Vorlage von Medikamenten in der mündlichen Verhandlung oder der mehrfache Hinweis der Rechtsvertretung. Selbst gab BF2 bei der Frage, ob sie psychische Probleme habe an, dass Sie Kopfschmerzen habe und dass Ihr die Knochen wehtun (Seite 17). Eine weitere Auseinandersetzung mit der "Verfolgung der psychisch Kranker" in Afghanistan, so wie die Rechtsvertretung mehrfach darauf hinwies, kann daher unterleiben.

 

Die Arbeitsfähigkeit ergibt sich aus der grundsätzlichen Gesundheit der BF bzw dem Alter.

 

3.7. ad 2.1.6: Der Bruder der BF2 hat die Familie zwei Jahre lang bei sich im Iran aufgenommen. Er hat eine "Schneidereifabrik". Es geht ihm laut BF2 "gut" bis "normal". Wenn er die Familie zwei Jahre unterstützt, kann geht das Gericht davon aus, dass er dies auch in Zukunft machen kann. Auf die Frage an BF2, ob der Bruder die Familie im Falle einer Rückführung nach Afghanistan weiterhin unterstützen könne, brachte BF2 vor, dass sie keinesfalls nach Afghanistan zurückkehren will. Die BF haben Kontakt zu dem Bruder der BF2 durch die Tochter, welche bei dem Onkel wohnt. Die Überweisung von Geld vom Iran nach Kabul ist laut den Länderberichten möglich.

 

Ebenso hat der Freund des BF1 die Familie drei Monate in Kabul bei sich zuhause aufgenommen. Er stellte Ihnen ein Zimmer zur Verfügung. Die Örtlichkeit, wo er wohnt, ist der Familie bekannt. Dadurch kann angenommen werden, dass diese Möglichkeit auch weiterhin besteht. Auf die Frage an BF1, ob dieser die Familie unterstützen könne, brachte er vor: "Nein, jetzt nicht, weil Sie wissen das die wirtschaftliche Lage in Afghanistan nicht so gut ist. Es gibt keine Arbeit und kein Einkommen. Es gibt jeden Tag Explosionen. Insbesondere die Shiiten sind die Zielscheiben." Damit wird das "Nein" nur mit der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Lage versucht zu rechtfertigen, jedoch nicht klar gelegt, warum er der Familie vorübergehend keine Unterkunft geben könne. Das Gericht geht daher mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon aus, dass der Freund des BF1 notfalls die Familie vorübergehend wieder aufnehmen kann.

 

3.8. ad 2.1.7: Die Feststellung zur strafgerichtlichen Bescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister, die Tathandlungen aus dem Akt (BF3, OZ 7).

 

3.9. ad 2.1.8 Die Feststellungen hinsichtlich der Integrationstiefe ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen, aber allen voran den glaubhaften Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

3.10. Zu den Feststellungen hinsichtlich der Fluchtvorbringen

 

3.11. ad 2.2.1 (Flucht wegen der Stiefbrüder): Entgegen der Ansicht der Behörde ist für das Bundesverwaltungsgericht der von BF1, in Übereinstimmung der gesondert befragten BF2, vor dem Hintergrund der Länderinformationen, dass es zu massiven Grundstücksstreitigkeiten in der Familie kommen kann, durchwegs glaubhaft. Ob die Verletzungen des BF1 stammen, ist nicht bewiesen. Ebenso gut können Sie von einem Unfall stammen. Ob mit oder ohne Verletzung sind die laufenden Diskriminierungen der Stiefbrüder gegen BF1 durchwegs glaubhaft geschildert worden und wurden vor dem Gericht nicht noch verstärkt dargestellt.

 

Nicht glaubhaft ist es, so wie die Rechtsvertretung in den Stellungnahmen vorbringt, dass die Stiefbrüder mit den Taliban in Verbindung stehen. Davon hat weder BF1, noch BF2 in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht etwas erwähnt. BF1 vermeinte lediglich, dass die Stiefbrüder reich wären und es ihnen dadurch möglich wäre, sie in Kabul ausfindig zu machen, sollten sie wieder zurückkehren müssen (Seite 15).

 

Es ist notorisch bekannt, dass in Afghanistan kein Meldewesen besteht. Es ist daher auch nicht nachvollziehbar, wie die beiden Stiefbrüder die Familie, sollte sie sich in Kabul auf Dauer niederlassen, die Familie ausfindig machen könnte. Eine Gefahr im Falle der Rückführung nach Kabul, ist aus der Seite der Aggressoren ist nicht mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten, zudem der Familie die Möglichkeit offen steht in Kabul, den staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen.

 

Der BF1 brachte in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht vor, dass er wegen der fehlenden Bildungsmöglichkeit der Kinder geflohen sei. Dazu ist allerdings festzuhalten, dass sich die BF hinsichtlich des Zuganges und der Möglichkeit der Bildung mehrfach wiedersprachen (sh dazu oben). Schon aus dem Aspekt heraus konnte das Gericht nicht feststellen ob die Kinder nicht zur Schule gehen durften (von wem aus auch immer) oder nicht konnten (weil sie zB noch zu jung waren, räumliche Distanz etc.) Es gab jedenfalls eine Schule, die BF3 zwei Jahre lang besuchte.

 

Selbst bei der Annahme, dass sie nicht zur Schule gehen durften, ist aus den beiden Aussagen der BF1 und der BF2 klar, dass entweder der Großvater oder die beiden Stiefbrüder gegen die Ausbildung der Kinder auftraten. Nachdem die beiden Stiefbrüder auch nicht den Taliban zugeordnet werden konnten, geht das Gericht - bei einer Wahrunterstellung, dass die Kinder BF4 und BF5 nicht noch zu jung für den Schulbesuch waren - von einem reinen privaten Hindernis aus.

 

3.12. ad 2.2.2 ("Selbstbestimmtes Leben" der BF2 und der BF5):

 

BF2 lebte seit ca 2 1/2 Jahren in Österreich. In dieser Zeit lebte sie zuerst in Rottenmann und nunmehr in Aigen im Ennstal, Steiermark. In dieser Zeit hat sie zwar lt. Ihren Angaben in der Verhandlung an einer Sprachausbildung teilgenommen, doch keinen Abschluss erzielt. Über weitere Kurse, wie zB Werte- und Orientierungskurs etc liegen dem Bundesverwaltungsgericht ebenso keine Nachweise vor. Sie gab vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass sie an einem "Strick- oder Nähkurs" teilgenommen hat. Sie gab an, dass Sie hier in Österreich mehr Freiheiten habe als in Afghanistan. Sie besorge sich selbst die Kleidung ist wäre nicht von Ihrem Mann abhängig. Sie hat jedoch keinen klaren Berufswunsch.

 

"RV: Sie besuchen einen Deutschkurs, möchten Sie gerne arbeiten, wenn Sie die Sprache können?

 

BF2: Ja, warum nicht."

 

Sie trug bei der mündlichen Verhandlung ein Sweatshirt und einen leichten Schleier. Der erkennende Richter hatte nicht den Eindruck, dass BF2 eine westliche Orientierung oder ein selbstbestimmtes Leben hier in Österreich in dem Masse führt, als dass sie im Falle der Rückführung nach Afghanistan Ihre hier erworbene Persönlichkeit aufgeben müsse. Sie konnte sich mit dem erkennenden Richter nicht auf Deutsch unterhalten. Es ist ihr allerdings zu gute zuhalten, dass sie bereits Schwimmen war. Ein selbstbestimmtes Verhalten ist jedoch in keiner Weise zu erkennen. Dazu fehlen nicht nur die deutlichen Integrationsbestrebungen, wie zB Deutschkurse, sondern auch der klare Berufswunsch und Schritte zum Erreichen dieses Zieles, eine deutlichere Verbindung zur österreichischen Bevölkerung, Freizeitaktivitäten, ein Hobby, bzw irgendeine Art von einer intrinsisch motivierten Selbstentfaltung, welches ihr in Afghanistan verwehrt gewesen wäre. Das konnte das Gericht nicht erkennen und wurde auch nicht mit Dokumenten belegt.

 

In Summe unterscheidet sich der Lebensstil hier in Österreich nicht mit dem in Afghanistan gelebten Lebensstil. Natürlich wird sie wohl weniger Freiheiten haben, es stehen ihr auch nicht die Einkaufsmöglichkeiten zu wie hier in Österreich. Aber die Länderberichte zeigen auch ein Bild, dass es den Frauen in Kabul möglich ist am Berufsleben (sogar bei der Polizei) teilzunehmen. Von der Voraussetzung der Ansiedelung in Kabul steht es der BF2 offen, Bildung in Anspruch zu nehmen. Dass sie auf bestimmte Freiheiten verzichten muss ist durchwegs zu erkennen, doch konnte das Gericht keine nach außen erkennbare Anzeichen erkennen, dass sie die Freiheiten, welche Ihr Österreich bietet, auch tatsächlich ausschöpft. Damit ist für das erkennende Gericht jedoch auch sichtbar, dass die Zurücknahme der errungenen Freiheiten im Falle der Rückführung nach Kabul nicht so sehr in Ihre Persönlichkeit eingreifen, als dass dadurch von einem ungerechtfertigten Eingriff gesprochen werden kann. Der erkennende Richter gewann den Eindruck, dass der Begriff der Freiheit mit den Einkaufsmöglichkeiten, mit der Möglichkeit für die Kinder zur Schule zu gehen, mit dem Wohlstand insgesamt, gleich gesetzt wird. Wegen des Mangels an abgeschlossenen Deutschkursen, wegen des Mangels an abgeschlossenen Kursen in irgendeiner Richtung (Werte- und Orientierungskurs, etc) ist jedoch für den erkennenden Richter zu sehen, dass keine intrinsisch motivierte Ansatzpunkte vorhanden sind, um davon auszugehen, dass sie ihre persönlichen Freiheiten, und dadurch einen westlichen Lebensstil, auch tatsächlich verfestigt hat. Dies in einem Ausmaß, welche sie bei einer Rückführung zwingen würde, ihre Persönlichkeit aufzugeben oder zu verleugnen.

 

BF5 ist 2007 geboren, und somit erst 11 Jahre alt. Sie hat durch das Alter in keiner Weise eine abgeschlossene Persönlichkeit, welches für ein selbstbestimmtes Leben denklogisch vorausgesetzt wird. Sie ist natürlich von Ihren Eltern abhängig und folgt dadurch dem Leben Ihrer Eltern. BF5 befindet sich jedenfalls in einem anpassungsfähigen Alter. Eine Beurteilung, ob Sie ein selbstbestimmtes Leben führt, ist wegen der Reife für das Gericht nicht zugänglich.

 

3.13. ad 2.2.4 ("Verwestlichung"): Die BF leben erst seit ca 2 1/2 Jahren in Österreich. Den Großteil des Lebens verbrachten sie alle in Afghanistan. Das sie dadurch bei einer Rückkehr einer Diskriminierung ausgesetzt sein könnten, welche eine Gefahr für sie bedeuten würde, ist dem Gericht nicht nachvollziehbar. Sie könnten durch die kurze Dauer in Österreich leicht wieder die afghanische Lebenskultur annehmen, zudem die BF diesen Aspekt auch nicht selbst vorbrachten und zudem gerade BF3 durch seine Verurteilung zeigte, dass er die Wertehaltung des Westens nicht teilt. Es bestehen keine Nachweise, dass alle Rückkehrer einer Verfolgung ausgesetzt sind.

 

Im Übrigen ist aus den vorhandenen Länderberichten sowie dem notorischen Amtswissen auch nicht ableitbar, dass alleine ein Aufenthalt in Europa und eine westliche Geisteshaltung bei Männern bei einer Rückkehr nach Afghanistan bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würden (vgl. hierzu auch die Ausführungen in BVwG 07.11.2016, W169 2007031-1, Pkt. I.8.); die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so zB VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

 

3.14. ad 2.2.4.1 (Zwangsrekrutierung): Keiner der BF brachte selbst vor, dass er von den Taliban versucht wurde zu rekrutieren. Es bestehen keine Nachweise dass alle Hazaras von einer Zwangsrekrutierung betroffen sind.

 

3.15. ad 2.2.4.2 (Volksgruppenzugehörigkeit): Keiner der BF brachte selbst vor, dass er einer Diskriminierung wegen der Zugehörigkeit der Volksgruppe der Hazara verfolgt wurde. Die Diskriminierungen seitens der offenbar paschtunenstämmigen Stiefbrüder geschah im familiären Rahmen. Es bestehen keine Nachweise, dass alle Hazaras einer Verfolgung ausgesetzt sind.

 

3.16. ad 2.2.4.3: (Zusammenfassung). Den BF ist vor dem Hintergrund der Länderberichte zuzustimmen, dass sie durch die Zuordnung ihrer Personen, anhand deren Lebensumstände und Fakten, potentiell zu einer oder mehreren von der UNHCR aufgestellten Risikogruppe gehören. Der UNHCR selbst sieht jedoch unter dem genannten Punkt "Potentielle Risikoprofile" mehrfach vor, dass eine Einzelfallprüfung zu ergehen hat. Der UNHCR führt folgendes an: "Der UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass - je nach den Umständen des Einzelfalls - für Personen, ... eine Gefährdung bestehen kann."

 

Es ist somit von keiner absoluten Gefährdung auszugehen, wenn die BF sich in einen oder mehreren Risikogruppen einordnen können, sondern es ist der Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich eine Gefährdung besteht.

 

3.17. Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, konnte in diesem Zusammenhang keine Gefahr gegen die BF, dargelegt werden.

 

3.18. ad 2.3. Zu den Feststellungen hinsichtlich der Rückkehr in die Heimatprovinz:

 

In Wardak fanden im Beobachtungszeitraum aus dem Länderinformationsblatt 359 sicherheitsrelevante Vorfälle statt. Ein Vergleich zu den anderen 34 Provinzen in Afghanistan zeigt, dass sich Wardak damit am 20. Platz befindet. Auf dem 1. Platz liegt die Provinz Panjshir mit einem Vorfall, die unsicherste Provinz ist demnach Nangarhar mit 1.901 Vorfällen). Diese Betrachtung lässt zwar die Größe, die Bevölkerungszahl und die Infrastruktur und damit die potentiellen Angriffsziele außer Acht, doch lässt sich ungeachtet dessen ein gewisser Trend ableiten, welcher als Richtwert herangezogen werden kann, nachdem Nangarhar auch aus verschiedenen anderen Quellen als höchst unsicher gilt. Die Provinz Wardak bzw Maidan Wardak kann daher dadurch generell als unsicher eingestuft werden.

 

Zudem gehört Jalrez laut dem Norwegian Country of Origin Information Center (Quelle entnommen auf Seite 20 der Stellungnahme der BF vom 27.03.2018) als östlicher Teil von Mardak zu den umkämpften Gebieten.

 

3.19. Ad 2.4. Zu den Feststellungen hinsichtlich der Möglichkeit der Rückkehr in die Stadt Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative

 

3.19.1. Sicherheitslage:

 

Was die Sicherheitslage betrifft, wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen zwar keineswegs verkannt, dass die Situation in der Stadt Kabul nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul und größere Transitrouten hat. Auch ist Kabul eine über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens gut erreichbare Stadt. Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, in Kabul nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Hierzu ist auszuführen, dass die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen vermag, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde bzw. für den Betroffenen unzumutbar wäre. Die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge ereignen sich - wie sich aus einer Gesamtschau der Länderberichte und dem notorischen Amtswissen ableiten lässt - hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass die Lage in der Stadt Kabul nicht insgesamt als ausreichend sicher bewertet werden könnte.

 

3.19.2. Wirtschaftslage:

 

Hinsichtlich der in der Stadt Kabul bestehenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist im Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die Versorgung der afghanischen Bevölkerung ist jedoch zumindest grundlegend gesichert.

 

Die BF selbst wohnten 3 Monate in Kabul bei einem Freund des BF1. Der Wohnort des Freundes kann von der Familie leicht aufgefunden werden. BF1 war Landwirt, BF2 Hausfrau. BF3 und BF4 im arbeitsfähigen Alter. BF3 arbeitete im Iran als Tischler. Ebenso kann von BF1 davon ausgegangen werden, dass er einfache handwerkliche Tätigkeiten aufnimmt. Dem Gericht sind keine Nachweise vorgebracht worden, dass er aufgrund des Titannagels im linken Unterschenkel eine Behinderung hat. Hinsichtlich der "Hüftprobleme" liegen ebenso keine Nachweise vor, dass ihm eine Arbeit nicht möglich wäre.

 

Auch BF2 ist im erwerbsfähigen Alter und kann grundsätzlich einer Arbeit nachgehen.

 

In der Zeit des Aufenthaltes bei dem besagten Freund lebte die Familie von Ersparnissen. Wie eingangs beschrieben geht das Gericht davon aus, die Familie sich von dem Bruder der BF 2 finanziell unterstützen lassen kann. Ein Geldtransfer vom Iran nach Kabul ist möglich. Zusätzlich kann die Familie Unterstützungsmöglichkeiten von NGO¿s in Anspruch nehmen.

 

Es sind durch die Zusammenschau der Fakten für das Gericht nicht erkennbar, dass die Familie wegen der schlechten Wirtschaftslage in Kabul in eine ausweglose oder gar existenzbedrohende Situation gelangen würde.

 

Das es für die Familie bei der Rückführung ein harter Einschnitt wird und das die Eltern alles daran setzten, dass die Kinder eine bessere Zukunft haben, also alles daran setzen, dass sie weiterhin hier in Österreich aufwachsen können ist für den erkennenden Richter nachvollziehbar. Doch vor dem Hintergrund der Faktenlage und der Tatsache, dass Kabul derzeit nicht dermaßen als unsicher gilt, als dass alleine die Lage eine Asylrelevanz auslöst (wie zB derzeit in Kriegsgebieten), kann nicht anders entschieden werden.

 

Hinsichtlich der in der Stadt Kabul bestehenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist im Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die Versorgung der afghanischen Bevölkerung ist jedoch zumindest grundlegend gesichert.

 

3.20. Zu den verwendeten Quellen bei den Feststellungen

 

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen, vor allem das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums (siehe v.a. die Aktualisierungen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation von 31.01.2018) für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die Fassung der Kurzinformation vom 31.01.2018 (insbesondere die Lage in Kabul) wurde in dem Erkenntnis eingearbeitet und verwertet.

 

3.21. Folgende Länderberichte wurden den Parteien mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelt und ihnen Gelegenheit geboten binnen 14 Tagen hierzu Stellung zu nehmen:

 

3.21.1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017 (Beilage 1)

 

3.21.2. Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern, Dezember 2016 (Beilage 2)

 

3.21.3. Auszug aus UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, interne Schutzalternative (Beilage 3)

 

3.21.4. Risikogruppen in Afghanistan (Beilage 4)

 

3.21.5. Auszug aus einer gutachterlichen Stellungnahme zur Sicherheits-und Versorgungslage in Kabul von Dr. Sarajuddin RASULY vom 23.10.2015 in einem anderen Verfahren des BVWG betreffend einen anderen Asylwerber zur Zahl W119 2006001. (Beilage 5)

 

Die oben wiedergegebenen Länderberichte wurden dem Beschwerdeführer mit der Ladung übermittelt bzw. in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übergeben. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Die BF erstatteten zwar im Wege ihrer Vertretung zwei verspätete Stellungnahmen, traten den wiedergegebenen Länderberichten und Erkenntnisquellen jedoch nicht substantiiert entgegen; vielmehr stützte er sich sogar darauf.

 

Daraus folgt die

 

4. Rechtliche Beurteilung

 

Die Beschwerde ist zulässig.

 

4.1. Anzuwendendes Recht

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG BGBl. I. Nr. 33/2013, zuletzt geändert durch BGBl. I. Nr. 138/2017, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrens - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen im Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt mangels gesonderter Bestimmungen im AsylG, FPG oder BFA-VG die Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

 

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

 

Mit Datum vom 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I. Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I. Nr. 145/2017, in der Folge "AsylG 2005") und ist dieses auf die ab diesen Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.

 

Die allgemeinen Verfahrensbestimmungen, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem BFA, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten, werden durch das BFA-Verfahrensgesetz (in der Folge "BFA-VG"), BGBl. I. Nr. 87/2012, zuletzt geändert durch BGBl. I. Nr. 145/2017, geregelt. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt (§ 1 leg cit).

 

Weitere hier relevante Bestimmungen enthält das "Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel" (in der Folge "FPG"), BGBl. I. Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I. Nr. 145/2017.

 

5. Zu A) Abweisung der zulässigen Beschwerde:

 

5.1. Zur Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten

 

5.2. Rechtliches zur Gewährung von Asyl

 

5.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

 

5.2.2. Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (Hinweis E vom 24. März 2011, 2008/23/1443, mwN). § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113).

 

5.2.3. Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (i.d.F. des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

5.2.4. Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die wohlbegründete Furcht im beschriebenen Sinn (zumindest) "glaubhaft" ist.

 

5.2.5. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur wohlbegründeten Furcht Folgendes ausgeführt (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074):

"Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht."

 

5.2.6. Die begründete Furcht vor Verfolgung muss sich auf jenes Land beziehen, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitzt (VwGH 08.11.1989, 89/01/0338).

 

5.2.7. Einer von Privatpersonen und privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; 28.10.2009, 2006/01/0793, mwN). Die Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).

 

5.2.8. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233); dies ist unter Betrachtung des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. VwGH 11.07.2017, Ra 2016/20/0275). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss auch Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Herkunftsstaats bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Herkunftsstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

 

5.2.9. Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036 und 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539).

 

5.2.10. Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322). Dabei reicht für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/20/0089).

 

5.2.11. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

 

5.3. Für den gegenständlichen Fall bedeutet es:

 

5.3.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen damit, dass dem BF1 eine persönliche Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft habe machen können und eine solche auch im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt sei. Selbst bei Wahrunterstellung sei der Fluchtgrund eine reine private Streitigkeit ohne Asylrelevanz:

Hinsichtlich der Rechtsfolge der Wahrunterstellung ist die belangte Behörde im Ergebnis im Recht:

 

ad 2.2.1 (Flucht wegen der Stiefbrüder):

 

Im gegenständlichen Fall liegt, wie in den Beweismitteln beschrieben und in den Feststellungen festgehalten, eine Verfolgung aufgrund von einer Familienstreitigkeit vor. Es liegt somit keine asylrelevante Verfolgung vor.

 

5.4. ad 2.2.2 ("Selbstbestimmtes Leben" der BF2 und der BF5):

 

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen‑)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von den in den Länderberichten aufgezeigten Einschränkungen und Diskriminierungen kann jedoch bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände Asylrelevanz erreichen.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können insbesondere Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).

 

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, ist es der BF2 nicht gelungen, glaubhaft zu machen, eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau zu sein. Auch darüber hinaus sind keine konkreten und individuellen Umstände hervorgekommen, aufgrund derer bei der Erstbeschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer asylrelevanten Verfolgung ausschließlich aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgegangen werden könnte.

 

Es kann daher im Fall der Beschwerdeführerin keine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe im Herkunftsstaat festgestellt werden.

 

ad 2.2.4 ("Verwestlichung"):

 

Soweit die BF in den verspätet eingebrachten Stellungnahmen erstmals behaupteten, aufgrund seiner "westlichen" Lebenseinstellung asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu sein, so kommt seinem Vorbringen schon deshalb keine Glaubhaftigkeit zu, weil es ihm nicht gelungen ist, eine "westliche" Orientierung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Weise glaubhaft zu machen. Der Beschwerdeführer vermochte deshalb nicht, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

 

ad 2.2.4.1 (Zwangsrekrutierung):

 

Soweit die BF3 und BF4 erstmals in den verspätet eingebrachten Stellungnahmen vorbringen, dass sie jener Gruppe junger afghanischer Männer angehören, die einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt sein könnte, was eine zielgerichtete Verfolgung gegen deren Person bedeuten würde, ist festzuhalten, dass ihnen diesbezüglich die Glaubwürdigkeit des Vorbringens nicht zugesprochen werden konnte.

 

Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass keiner der beiden BF weder im Zuge seines Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch - BF3 betreffend - im Rahmen seines Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht von einer drohenden Verfolgung im Herkunftsstaat auf Grund von Zwangsrekrutierung gesprochen hat.

 

ad 2.2.4.2 (Volksgruppenzugehörigkeit):

 

Weiters ist im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor dem Hintergrund der in der Stellungnahme vom 27.03.2018 getroffenen Ausführungen der BF zu prüfen, ob die BF bei einer Rückkehr in seinen deren Herkunftsstaat auf Grund generalisierender Merkmale - konkret wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre. Eine konkrete individuelle Verfolgung seiner Person auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara wurde von den BF nicht glaubhaft gemacht.

 

Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der Hazara im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht finden:

 

Auf Basis der oben wiedergegebenen Länderberichte ist festzuhalten, dass Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, (weiterhin) von Diskriminierung in Form von illegaler Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Inhaftierung betroffen sind. In einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials erreicht diese Gefährdung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch nicht jenes Ausmaß, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan für gegeben zu erachten.

 

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 13.10.2015, Ra 2015/19/0106, eine Gruppenverfolgung der Hazara mit der Begründung nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverwaltungsgericht zur Lage der Hazara keine Feststellungen getroffen habe, was jedoch in der vorliegenden Entscheidung nicht der Fall ist. In einer weiteren Entscheidung behob der Verwaltungsgerichtshof ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, weil dieses sich im zugrunde liegenden Fall nicht mit dem Beschwerdevorbringen zu einer Gruppenverfolgung der Hazara in Ghazni auseinandergesetzt hatte (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0171. Auch der Verwaltungsgerichthof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an, zum Unterschied zur Region Quetta in Pakistan (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048).

 

Da eine Gruppenverfolgung - in Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben ist und die BF diesbezüglich auch keine individuelle Bedrohung dargetan hat, lässt sich auch insoweit eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers nicht ableiten.

 

5.5. Zudem besteht eine innerstaatliche Schutzalternative in Kabul. Die Familie befand sich nach Ihrer Flucht vom Heimatort 3 Monate bei einem Freund des BF1 unbehelligt in Kabul und übersiedelte erst danach in den Iran zu dem Bruder der BF2.

 

5.6. Da sich auch sonst keine konkrete gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung in seinem Heimatstaat ableiten ließ, war im Ergebnis die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

5.7. Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

 

5.8. Rechtliches zum subsidiären Schutz

 

5.8.1. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird und wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

5.8.2. Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg.cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg.cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg.cit. zu verbinden.

 

5.8.3. Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg.cit.) offen steht.

 

5.9. Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann, und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

5.10. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich jüngst mit der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum realen Risiko einer drohenden Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK und zur ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im innerstaatlichen Konflikt auseinandergesetzt und diese wie folgt zusammengefasst (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137):

 

5.10.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053 und 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).

 

5.10.2. Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 und 23.09.2009, 2007/01/0515 mwN).

 

5.10.3. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Appl. 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Rz 218, mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, Appl. 25.904/07, NA gegen Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), auf Grund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Appl. 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Rz 217).

 

5.10.4. Thurin (Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung2, 2012, 203) fasst die bezughabenden Aussagen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dahingehend zusammen, dass der maßgebliche Unterschied zwischen einem "realen Risiko" und einer "bloßen Möglichkeit" prinzipiell im Vorliegen oder Nichtvorliegen von "special distinguishing features" zu erblicken ist, die auf ein "persönliches" ("personal") und "vorhersehbares" ("foreseeable") Risiko schließen lassen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe nur in sehr extremen Fällen ("most extreme cases"), wenn die allgemeine Lage im Herkunftsstaat so ernst sei, dass praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird, einem realen und unmittelbar drohenden ("real and imminent") Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sei. Diesfalls sei das reale Risiko bereits durch die extreme allgemeine Gefahrenlage im Zielstaat indiziert.

 

5.10.5. Auch im jüngst ergangenen Urteil der Großen Kammer vom 23.08.2016, Appl. 59.166/12, J.K. u.a. gegen Schweden, beschäftigte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit seiner einschlägigen Rechtsprechung und führte u.a. aus, dass die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser liege (v.a. Rz 91 und 96), gleichzeitig aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen seien und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide (vgl. Rz 94), im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden sei (Rz 97). Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (Rz 98).

 

5.10.6. Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EG ) und umfasst - wie der Gerichtshof der Europäischen Union erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er auf Grund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji, und vom 30.01.2014, C-285/12 , Diakité).

 

5.10.7. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

5.10.8. Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, wonach es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61.204/09).

 

5.11. Für den gegenständlichen Fall bedeutet es:

 

Wie beweiswürdigend unter 2.3 festgestellt würde eine Rückführung der BF in den Heimatdistrikt XXXX bedeuten, dass ihnen mit einem sichtbaren Risiko eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit droht. Damit wäre Art. 3 EMRK verletzt und somit ist eine Rückführung in den Heimatdistrikt nicht möglich.

 

5.12. Rechtliches zur innerstaatlichen Fluchtalternative

 

5.12.1. Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei einer Person gegeben, die im gesamten Staatsgebiet ihres Herkunftsstaats keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Herkunftsstaats offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sogenannte "innerstaatliche Fluchtalternative" vor. Der Begriff "innerstaatliche Fluchtalternative" trägt nach der älteren Judikatur dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 24.11.2005, Ra 2003/20/0109).

 

5.12.2. § 11 AsylG 2005 unterscheidet nach seinem klaren Wortlaut zwei getrennte und selbständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Demgemäß verbietet sich die Annahme, der Schutz eines Asylwerbers sei innerstaatlich zumindest in einem Teilgebiet gewährleistet, jedenfalls dann, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen. Zum anderen setzt die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative voraus, dass dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthaltes ist daher von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen. Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen (oder auf Grund derer andere Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllt wären), wäre eine innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthaltes in diesem Gebiet zu verneinen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

 

5.12.3. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118, mwN; VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

 

5.12.4. Nach allgemeiner Auffassung soll die Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative danach beurteilt werden, ob der in einem Teil seines Herkunftslandes verfolgte oder von ernsthaften Schäden (iSd Art. 15 Statusrichtlinie) bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein "relativ normales Leben" ohne unangemessene Härte führen kann (vgl. etwa die Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz Nr. 4. "Interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative" vom 23. Juli 2003, Rz 22 ff; Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie (2009), 226 ff). Dabei ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs. 2 AsylG 2005; vgl. auch die im Wesentlichen gleichlautenden Vorgaben des Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie; VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

 

5.12.5. Im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung ist das Kriterium der "Zumutbarkeit" nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

 

5.13. Für den gegenständlichen Fall bedeutet es:

 

5.13.1. Wie unter Punkt 2.4 beweiswürdigend dargelegt, ist der für die Familie möglich und zumutbar, sich in als innerstaatliche Fluchtalternative Kabul niederzulassen. Weder aus der sicherheitsrelevanter noch aus der wirtschaftlichen Sicht lässt sich vor dem Hintergrund der Feststellungen zwingend ableiten, dass ein Eingriff in 3 EMRK passieren wird.

 

5.13.2. Dabei ließ sich das Gericht auch von den tragenden Grundsätzen aus der Kinderrechtskonvention leiten.

 

5.13.3. Der Vorrang der Beachtung des Kindeswohles, bedeutete jedoch keine absolute inhaltliche Schranke. Auch in diesem Fall ist zu prüfen, ob den Minderjährigen eine Ansiedlung in Kabul zumutbar ist. Dabei ist zu beachten, dass sich die Kinder erst seit lediglich 2 1/2 Jahren in Österreich aufhalten. Sie sind mit den Lebensweisen in Afghanistan vertraut. Es sind keine Gründe bekannt, dass Kinder generell in Kabul einer Verfolgung ausgesetzt sind. Zudem haben alle Kinder die Unterstützung der Eltern. Beide Eltern stehen im erwerbsfähigen Alter, die Söhne sind 16 und 17 Jahre alt und können somit - entsprechend des Alters - einer Arbeit nachgehen. Alle Kinder sind gesund. Es sind auch aus dieser Sicht keine Gründe aufgetreten, welcher Ihnen nicht ermöglichen würde, in Kabul leben zu können.

 

5.13.4. Der Anwendungsvorrang aus der Kinderrechtskonvention ist keine absolute Schranke, weder im Falle der Prüfung der Ansiedelung in Kabul, noch in Bezug auf die Rückkehrentscheidung.

 

5.13.5. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation der BF ist in ihrer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass sie im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Stadt Kabul in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass die BF eine Ansiedlung in der Stadt Kabul möglich und auch zumutbar ist.

 

5.13.6. Im Ergebnis war daher die Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

5.14. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung:

 

5.15. Rechtliches zur Rückkehrentscheidung

 

5.15.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

 

5.15.2. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

 

5.15.3. Gemäß § 57 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt (Z 1), zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).

 

5.15.4. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

5.15.5. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

5.15.6. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

5.15.7. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der Beschwerdeführer ein Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts im Ermittlungsverfahren hervor.

 

5.15.8. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

5.15.9. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

5.15.10. Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

5.15.11. Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

5.15.12. Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

5.15.13. Da der Beschwerdeführer über keine Familienangehörigen oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich verfügt, ist ein Eingriff in sein Recht auf Familienleben iSd Art. 8 EMRK von vornherein auszuschließen. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher lediglich allenfalls in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen.

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH).

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216, mwH).

 

5.16. Für den gegenständlichen Fall bedeutet es:

 

5.16.1. Im vorliegenden Fall halten sich die BF seit ihrer Antragstellung im Juli 2015 (BF3) bzw September 2015 (BF1, B2, BF4, BF5) im Bundesgebiet auf, wo sie nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren verfügt hat. Die BF sind illegal nach Österreich eingereist und stellten in weiterer Folge ihre Anträge auf internationalen Schutz. Die Dauer des Verfahrens übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg. 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Butt gegen Norwegen, Appl. 47017/09).

 

5.16.2. Die Integration der BF ist unterschiedlich. Wie in Punkt

2.1.8 gezeigt, gelang BF5 wegen des Besuches der Volksschule eine gute Integration. Auch BF4 besucht die NMS und hat aufgrund dessen eine gute Sprachausbildung. BF1 und BF2 zeigen eine schwach ausgeprägte Integration. BF3 ist gerichtlich vorbestraft, besucht jedoch einen BIFI-Kurs. Das er in seinem jugendlichen Alter eine österreichische Freundin im gleichen Alter hat, kann weder als positive noch als negative Integrationsbestrebung gewertet werden. Vor den soziologischen österreichischen Hintergrund sind solcherart geführten Beziehungen unter heranwachsenden Erwachsenen durchwegs üblich. Die Familie ist nicht selbsterhaltungsfähig, engagiert sich nicht in der Gemeinde und BF1 und BF2 haben für sich keine klaren Berufsziele hier in Österreich. Sie haben daher nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes für ihren etwas mehr als zweijährigen Aufenthaltszeitraum wenig integrationsverfestigende Maßnahmen gesetzt und es ist auch der Zeitraum des Aufenthalts der BFs, in dem sie die angeführten Integrationsschritte gesetzt haben, im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH) und der oben getroffenen Ausführungen als relativ kurz zu werten.

 

5.16.3. Allerdings ist relativierend festzuhalten, dass der Zeitraum des Aufenthalts des Beschwerdeführers, in dem er die angeführten Integrationsschritte setzte, mit lediglich zweieinhalb Jahren im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 26.06.2007, 2007/10/0479) als kurz zu werten ist. Für diesen Zeitraum haben die BF zwar gute, jedoch nicht solch außergewöhnliche Integrationsleistungen erbracht, die in Anbetracht der relativ kurzen Zeit seines Aufenthalts im Bundesgebiet für seinen Verbleib in Österreich ausschlagen würden.

 

5.16.4. Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die für die Integration eines Fremden wesentliche soziale Komponente auch durch vom Fremden begangene Straftaten erheblich beeinträchtigt (vgl. etwas VwGH 19.11.2003, 2002/21/0181 mwN). Im vorliegenden Fall muss sich BF3 im Rahmen der ihn betreffenden Interessenabwägung entgegenhalten lassen, dass er im Laufe seines Aufenthaltes in Österreich strafgerichtlich verurteilt wurde. Die genannte Verurteilung liegt auch nicht so weit zurück, dass ihr im Zuge der Interessenabwägung nur mehr geringes Gewicht zuzumessen wäre oder für den Beschwerdeführer zweifelsfrei eine positive Prognose hinsichtlich seines zukünftigen rechtskonformen Verhaltens getroffen werden könnte. Die strafrechtlichen Handlungen des Beschwerdeführers schlagen daher zu seinen Ungunsten aus.

 

5.16.5. Das Interesse der BF an der Aufrechterhaltung privater Kontakte in Österreich (insbesondere bei BF3 zu seiner österreichischen gleichaltrigen Freundin) ist noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass sie sich bei ihren Aufenthalt im Bundesgebiet stets ihres unsicheren bzw. unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus bewusst sein musste: Sie durften sich hier bisher nur aufgrund ihres Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der als unbegründet abzuweisen war (vgl. zB VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347, 26.02.2004, 2004/21/0027, 27.04.2004, 2000/18/0257; vgl. auch EGMR 08.04.2008, Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

5.16.6. Festzuhalten ist auch, dass es den BF bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG auch nicht verwehrt ist, wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren (so auch VfSlg. 19.086/2010 unter Hinweis auf Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 861).

 

5.16.7. Diesen schwach ausgeprägten privaten Interessen der BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

5.16.8. Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrages verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der BF am Verbleib in Österreich.

 

5.16.9. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der BF im Bundesgebiet ihren persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

5.16.10. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Rechts der BF auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

 

5.16.11. Die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 liegen vor: Da der Antrag der BF auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 leg.cit. von Amts wegen zu erteilen.

 

5.16.12. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Zusammenhang gegeben.

 

5.16.13. Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist.

 

5.16.14. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Dies entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der vorliegenden Entscheidung verneint (vgl. Punkt 2.3).

 

5.16.15. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestünde eine innerstaatliche Fluchtalternative. Dies entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der vorliegenden Entscheidung verneint (vgl. Punkt 2.2)

 

5.16.16. Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht.

 

5.16.17. Die Abschiebung der BF nach Afghanistan ist daher zulässig.

 

5.16.18. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 leg.cit. zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 leg.cit. 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, jene Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist zur freiwilligen Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden (§ 55 Abs. 3 leg.cit.).

 

5.16.19. Da derartige Umstände von den BF nicht behauptet wurden und auch im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen sind, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt.

 

5.16.20. Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, ist die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid auch in diesem Spruchpunkt als unbegründet abzuweisen.

 

5.16.21. Es war daher die Behörde zu bestätigten.

 

5.17. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist - soweit diese nicht unvertretbar ist - nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN). Auch bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 und bei Interessenabwägungen nach Art. 8 EMRK handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte