OGH 4Ob215/23f

OGH4Ob215/23f4.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Mag. Florian Mayr, Rechtsanwalt in Gunskirchen, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Mag. Georg Lampl, Rechtsanwalt in Vorchdorf, wegen zuletzt Aufhebung eines Kaufvertrags und 8.135 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 28. Juni 2023, GZ 22 R 95/23m‑33, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 31. Jänner 2023, GZ 19 C 16/22i‑29, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00215.23F.0404.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger besichtigte am 18. 10. 2021 ein vom Beklagten im Internet zum Verkauf angebotenes gebrauchtes Kraftfahrzeug. Er sagte dem Beklagten, er brauche das Auto sofort. Die Parteien vereinbarten, den Vertrag am nächsten Tag zu schließen und das Fahrzeug, das beim Beklagten noch in Gebrauch war, danach sofort auf den Kläger umzumelden. Der Beklagte sagte nicht, dass sich das Fahrzeug in einem Top-Zustand befinde.

Am 19. 10. 2021 kaufte der Kläger das Fahrzeug um 10.000 EUR, die er dem Beklagten in bar übergab. Im schriftlichen Kaufvertrag vereinbarten die Parteien:

„Das oben genannte Fahrzeug wurde vom Käufer besichtigt und wird in dem Zustand verkauft bzw. gekauft, wie es liegt und steht. Der Verkäufer übernimmt keine Haftung für eine bestimmte Beschaffenheit des Fahrzeuges und auch keine Gewährleistung für etwa vorhandene oder allenfalls später hervorkommende Mängel irgendwelcher Art. Der Verkäufer haftet jedoch für die Richtigkeit und Echtheit der Motor- und Fahrgestellnummer sowie der Fahrzeugpapiere und bestätigt, dass das Fahrzeug sein alleiniges Eigentum ist und von keiner Seite irgendwelche Forderungen an dasselbe bestehen. Verkäufer und Käufer verzichten auf das Recht der Anfechtung dieser Vereinbarung wegen Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes oder wegen Irrtums.“

[2] Für die „Ummeldung“ des Fahrzeugs zahlte der Kläger 172,50 EUR.

[3] Bei der Übergabe zeigte der Tachometer des Fahrzeugs eine Laufleistung von 188.560 km an, obwohl der Kilometerstand bereits zumindest 214.221 km betrug. Es steht nicht fest, dass der Beklagte den Kilometerstand verändert hätte, verändern lassen hätte oder von der Manipulation des Tachometers gewusst hätte. Hätte der Kläger gewusst, dass der Kilometerstand des Fahrzeugs über 200.000 km lag, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft.

[4] Die folgenden (weiteren) Mängel des Fahrzeugs im Übergabezeitpunkt stehen fest: Die vorderen Bremsbeläge waren kurz vor der Verschleißgrenze; im Motor kam es im Bereich des Ansaugrohrs zu einem leichten Ölverlust; und die Celone der Rückleuchten waren defekt. Weitere Mängel, die bereits im Übergabezeitpunkt bestanden, ergeben sich aus den Feststellungen nicht.

[5] Im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung lag beim Fahrzeug ein Motorschaden vor, der bei der Übergabe nicht bestanden hatte.

[6] Der Kläger begehrte vom Beklagten – gestützt auf List, Irrtum, Gewährleistung und Verkürzung über die Hälfte – die Aufhebung des Kaufvertrags und die Zahlung von 9.857,50 EUR sA (darin die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich 315 EUR Benützungsentgelt und der Ersatz der „Ummeldungskosten“). Zur Gewährleistung brachte er vor, der Beklagte habe ihm bei der Besichtigung zumindest schlüssig die Verkehrs- und Betriebssicherheit zugesichert; diese Zusicherung überlagere den Gewährleistungsausschluss. Ungeachtet dessen sei das Fahrzeug nicht verkehrs- und betriebssicher gewesen. Zur Verkürzung über die Hälfte brachte er vor, das Fahrzeug sei am 19. 10. 2021 weniger als die Hälfte des Kaufpreises wert gewesen.

[7] Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Zur Gewährleistung stützte er sich auf deren rechtsgeschäftlichen Ausschluss. Es habe keine Zusicherung der Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs gegeben, auch keine schlüssige. Für eine Verkürzung über die Hälfte gebe es keine Grundlage.

[8] Das Erstgericht hob den Kaufvertrag auf und sprach dem Kläger – unter rechtskräftiger Abweisung des Mehrbegehrens – 8.135 EUR sA zu. Der Beklagte habe ihm schlüssig die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs zugesichert. Der Gewährleistungsausschluss beziehe sich daher nicht auf die Verkehrstüchtigkeit des Fahrzeugs. Da das Fahrzeug nicht verkehrs- und betriebssicher gewesen sei und darin kein geringfügiger Mangel liege, sei der Kläger zur Wandlung des Kaufvertrags berechtigt. Er habe Anspruch auf die Rückzahlung des Kaufpreises und den Ersatz der „Ummeldungskosten“ abzüglich des Benützungsentgelts und abzüglich des Restwerts (Wrackwerts) des Fahrzeugs nach dem Motorschaden.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. In Stattgebung des Abänderungsantrags der Klägerin nach § 508 Abs 1 ZPO sprach es nachträglich aus, dass die Revision zulässig sei. Es gebe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage, ob eine Vereinbarung der An- oder Ummeldung des Fahrzeugs auf den Käufer die – einen Gewährleistungsausschluss diesbezüglich „unwirksam“ machende – Zusicherung seiner Verkehrs- und Betriebssicherheit enthalte.

[10] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise stellt der Beklagte einen Aufhebungsantrag.

[11] Der Kläger beantragt, die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist aufgrund einer korrekturbedürftigen Anwendung der Leitlinien der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu konkludenten Willenserklärungen durch die Vorinstanzen zulässig. Sie ist auch – im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags – berechtigt.

[13] 1. Wegen des Zeitpunkts des Vertragsschlusses (19. 10. 2021) ist das Gewährleistungsrecht in der vor dem Inkrafttreten des GRUG, BGBl I 175/2021, geltenden Fassung anzuwenden (vgl § 1503 Abs 20 ABGB, § 41a Abs 35 KSchG, § 29 Abs 2 VGG).

[14] 2. Die einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Gewährleistung beim Gebrauchtwagenkauf ist wie folgt zusammenzufassen:

[15] 2.1. Vertragsinhalt beim Gebrauchtwagenkauf ist das konkrete Fahrzeug (6 Ob 240/19s). Der Käufer hat mit den dem Alter und den gefahrenen Kilometern entsprechenden Verschleiß- und Abnützungserscheinungen zu rechnen (vgl RS0018466; RS0018624 [T1]). Das Fahrzeug muss aber die nach der Verkehrsauffassung gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften haben (6 Ob 240/19s; vgl RS0114333 [T1]). Dazu gehört (auch) die Verkehrs- und Betriebssicherheit (6 Ob 240/19s; vgl RS0016189).

[16] 2.2. Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 9 KSchG ist ein rechtsgeschäftlicher Gewährleistungsausschluss nach § 929 ABGB zulässig (9 Ob 3/09w). Seine Reichweite ist durch Auslegung im Einzelfall nach der Absicht der Parteien und der Übung des redlichen Verkehrs zu ermitteln (2 Ob 176/10m; 10 Ob 56/19m; vgl RS0016561). In der Regel erfasst er auch verborgene Mängel und das Fehlen gewöhnlich vorausgesetzter Eigenschaften (2 Ob 176/10m; 6 Ob 125/14x; 10 Ob 56/19m; 8 Ob 96/23k; vgl RS0018564), nicht aber das Fehlen zugesicherter Eigenschaften (RS0018523). Das gilt auch für schlüssig zugesicherte Eigenschaften (RS0018523 [T3, T8]; RS0018561 [T2]; RS0018564 [T7, T12]; RS0018581 [T3]). Die schlüssige Zusicherung bestimmter Eigenschaften „überlagert“ also selbst einen umfassenden vertraglichen Gewährleistungsausschluss.

[17] 2.3. Die höchstgerichtliche Rechtsprechung, nach der die Fahrbereitschaft eines Gebrauchtwagens – und damit seine Verkehrs- und Betriebssicherheit – grundsätzlich als schlüssig zugesichert gilt (RS0018502; RS0110191), und zwar auch in Fällen eines umfassenden Gewährleistungsverzichts (RS0018502 [T1, T4]; RS0110191 [T1]), bezieht sich auf den Kauf vom gewerblichen Kraftfahrzeughändler (4 Ob 105/18x; 8 Ob 111/19k; vgl RS0018502 [„im Gebrauchtwagenhandel“] und RS0110191 [„im Falle eines Kaufs beim gewerblichen Kraftfahrzeughändler“]).

[18] 2.4. Ob ein Verkäufer, der nicht gewerblich mit Kraftfahrzeugen handelt, dem Käufer eines Gebrauchtwagens schlüssig die Fahrbereitschaft – und damit die Verkehrs- und Betriebssicherheit – zugesichert hat, ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre zu prüfen: Ob eine Eigenschaft als zugesichert anzusehen ist, hängt nicht davon ab, was der Erklärende wollte, sondern davon, was der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben aus der Erklärung des Vertragspartners erschließen durfte. Seine berechtigte Erwartung ist an der Verkehrsauffassung zu messen (RS0018547 [T6]; RS0114333 [T5]). Gerade bei der Annahme einer schlüssigen Willenserklärung gemäß § 863 ABGB ist größte Vorsicht geboten (RS0014157; RS0013947). Sie setzt ein Verhalten voraus, das nach den üblichen Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer bestimmten Richtung zu verstehen ist; es darf kein vernünftiger Grund übrig sein, daran zu zweifeln, dass der Wille, eine Rechtsfolge in einer bestimmten Richtung herbeizuführen, vorliegt (RS0013947 [T1]; RS0014150). Bloßes Schweigen hat grundsätzlich keinen Erklärungswert (RS0014124; RS0014146 [T3]; RS0047273 [T3]). Nur unter besonderen Umständen ist Schweigen als Willenserklärung zu werten (RS0013991; RS0014347).

[19] 2.5. Zusammengefasst ist also die Verkehrs- und Betriebssicherheit eines Gebrauchtwagens im Regelfall eine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft, für die der Verkäufer einzustehen hat. Ein vertraglicher Gewährleistungsausschluss steht der Geltendmachung des Fehlens dieser gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaft entgegen. Nur beim Kauf vom gewerblichen Kraftfahrzeughändler ist die Verkehrs- und Betriebssicherheit im Regelfall auch schlüssig zugesichert und überlagert damit einen – nach Maßgabe des § 9 KSchG zulässigen – Gewährleistungsverzicht. Handelt der Verkäufer nicht gewerblich mit Kraftfahrzeugen, kommt eine schlüssige Zusicherung der Verkehrs- und Betriebssicherheit nur bei besonderen Umständen in Betracht.

[20] 3. Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen die Grenzen des von der ständigen Rechtsprechung gesteckten Beurteilungsspielraums überschritten:

[21] 3.1. Die Parteien setzen voraus, dass der Beklagte (und nicht die von ihm kontrollierte GmbH) Verkäufer des Fahrzeugs und damit Vertragspartner des Klägers war. Ob das Fahrzeug in der Vergangenheit (auch) im Eigentum der GmbH gestanden hatte oder nicht, ist hier nicht relevant. Jedenfalls bietet das Vorbringen des Klägers keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kaufvertrag für den beklagten Verkäufer selbst ein unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft iSd § 1 Abs 1 KSchG gewesen wäre. Die Bestimmungen des KSchG, insbesondere dessen § 9, sind daher nicht anzuwenden.

[22] 3.2. Mit seiner Aussage, er brauche das Fahrzeug sofort, brachte der Kläger objektiv erkennbar das Anliegen zum Ausdruck, es möglichst rasch im Straßenverkehr nutzen zu wollen. Der Beklagte reagierte darauf so: Er kam mit dem Kläger überein, gleich am nächsten Tag den Kaufvertrag zu schließen und das Fahrzeug „umzumelden“, er hielt sich an diese Vereinbarung – und er einigte sich mit dem Kläger auf einen umfassenden Gewährleistungsausschluss. Aussagen über den Zustand des Fahrzeugs traf er nicht. Ein objektiver Erklärungsempfänger konnte dieses Verhalten nach den oben dargelegten Grundsätzen nur so verstehen, dass der Beklagte selbst von der Fahrbereitschaft des Fahrzeugs ausging – also keine Umstände kannte, die ihr entgegenstehen könnten – und dem Wunsch des Klägers nach einer raschen Abwicklung entsprechen wollte, ihm aber keine bestimmte Eigenschaft des Fahrzeugs zusichern wollte – insbesondere nicht seine Verkehrs- und Betriebssicherheit.

[23] 3.3. Diese Auslegung steht im Einklang mit den vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen, mit denen es seine abweichende Rechtsansicht untermauern wollte, die diese aber in Wahrheit nicht tragen:

[24] 3.3.1. In 9 Ob 3/09w war für die Annahme der zumindest schlüssigen Vereinbarung der Fahrtüchtigkeit eines mit Gewährleistungsausschluss verkauften Gebrauchtwagens entscheidend, dass die Käuferin zunächst ausdrücklich auf Gewährleistung bestehen wollte und von dieser Forderung erst abrückte, nachdem einvernehmlich eine Überprüfung nach § 57a KFG vorgenommen worden war, deren Gegenstand insbesondere die Verkehrs- und Betriebssicherheit ist (§ 57a Abs 1 KFG). Vergleichbare besondere Umstände gab es im vorliegenden Fall nicht: Weder hatte der Kläger zunächst auf Gewährleistung bestehen wollen noch hatten sich die Parteien auf eine Überprüfung des Fahrzeugs nach § 57a KFG bezogen oder gar eine solche durchgeführt.

[25] 3.3.2. In 4 Ob 11/13s beruhte die Auslegung, der Verkäufer habe dem Käufer die Verkehrstauglichkeit des unter Gewährleistungsausschluss verkauften Gebrauchtwagens zugesagt, auf der Bestätigung, dass das Fahrzeug in Ordnung sei („tadelloser Zustand“), dem Hinweis auf die Überprüfung nach § 57a KFG und der Aussage, dass „alles passe“. Im vorliegenden Fall gab es keine vergleichbare Zusicherung des Beklagten, ganz im Gegenteil: Er traf keine Aussage über den Zustand des Fahrzeugs.

[26] 3.3.3. In 7 Ob 28/13p schließlich schloss der Oberste Gerichtshof auf die Zusicherung der Lufttüchtigkeit des unter Gewährleistungsausschluss verkauften gebrauchten Flugzeugs, weil es die Verkäufer als „de facto neuwertig“ und „einwandfrei zum Fluggebrauch“ angepriesen hatten. Im vorliegenden Fall dagegen hat der Beklagte dem Kläger nichts vergleichbares zugesagt.

[27] 3.4. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, der Beklagte habe dem Kläger schlüssig die Fahrbereitschaft des Fahrzeugs zugesichert, erweist sich vor diesem Hintergrund als korrekturbedürftig. Tatsächlich lag, wie die Revision zutreffend betont, keine solche Zusage vor. Der Kläger kann sich daher nicht auf Gewährleistung stützen.

[28] 4. Die Rechtssache ist ungeachtet dessen noch nicht zur Entscheidung reif, weil der Kläger den Vertrag auch wegen laesio enormis angefochten hat:

[29] 4.1. Hat bei zweiseitig verbindlichen Geschäften ein Teil nicht einmal die Hälfte dessen, was er dem anderen gegeben hat, von diesem am gemeinen Wert erhalten, so räumt das Gesetz dem verletzten Teil das Recht ein, die Aufhebung des Vertrags zu fordern (§ 934 S 1 ABGB). Unter zweiseitig verbindlichen Geschäften sind die entgeltlichen Geschäfte zu verstehen (RS0018773). Wenn sie einen Partner massiv benachteiligen, ohne dass dieser Umstand auf den freien Willen des Benachteiligten zurückzuführen ist, sollen sie nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich keinen Bestand haben (10 Ob 3/21w; 4 Ob 217/21x [verstärkter Senat]). Die Anfechtbarkeit wegen laesio enormis macht den inhaltlich ungerechten Vertrag aufhebbar (10 Ob 48/20m; 4 Ob 217/21x [verstärkter Senat]). Sie kann vertraglich nicht ausgeschlossen werden (§ 935 ABGB).

[30] 4.2. Das Missverhältnis des Werts wird nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzes nach dem Zeitpunkt des geschlossenen Geschäfts bestimmt (§ 934 S 3 ABGB). Das Missverhältnis muss sich – der Qualifikation der laesio enormis als Wurzelmangel entsprechend (vgl 4 Ob 208/98m; 10 Ob 21/07x; 7 Ob 54/13m; 10 Ob 3/21w; 4 Ob 217/21x [verstärkter Senat]) – allein aus dem Vertragsinhalt ergeben, das heißt aus dem Vergleich der vertraglich vereinbarten Leistungen (4 Ob 147/01y; 2 Ob 210/13s; 7 Ob 14/22t; 3 Ob 85/22d; 4 Ob 217/21x [verstärkter Senat]). Der dafür maßgebliche Zeitpunkt ist jener des Vertragsabschlusses (vgl RS0018871). Der nach § 934 ABGB maßgebliche „gemeine Wert“ ist der „gemeine Preis“ des § 305 ABGB (RS0010074), also – im Regelfall – der Marktpreis (vgl RS0010074 [T10]; RS0018877; RS0113651).

[31] 4.3. Der Kläger hat ein relevantes objektives Missverhältnis zwischen dem Markt- und dem Kaufpreis des Fahrzeugs vorgebracht und die Vertragsanfechtung wegen laesio enormis erklärt. Der Beklagte hat das bestritten. Der vertragliche Ausschluss der Anfechtung wegen laesio enormis ist nach § 935 ABGB unwirksam. Das Erstgericht hat zwar den Wert eines verkehrs- und betriebssicheren Fahrzeugs vom Typ des Kaufgegenstands mit 188.560 km Laufleistung sowie einem durchschnittlichen Erhaltungszustand festgestellt und Varianten für einen um 35.000 km höheren Kilometerstand und einen Hagelschaden gebildet. Es fehlt aber die – einzig relevante – Feststellung zum Wert (Marktpreis) des konkreten Fahrzeugs „wie es liegt und steht“, also ausgehend vom konkreten Zustand im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (19. 10. 2021). Damit kann die Frage der laesio enormis nicht abschließend beantwortet werden.

[32] 5. Im fortgesetzten Verfahren hat das Erstgericht festzustellen, welchen Wert (Marktpreis) das Klagsfahrzeug am 19. 10. 2021 hatte – und zwar unter Berücksichtigung seines festgestellten (bzw feststellbaren) konkreten Zustands an diesem Tag. Der so festgestellte Wert ist sodann dem Kaufpreis gegenüberzustellen und nach den Kriterien des § 934 ABGB zu beurteilen. Jedenfalls wird das Erstgericht zu bedenken haben, dass der Kläger den geltend gemachten Anspruch auf den Ersatz der „Ummeldekosten“ nicht auf laesio enormis stützen kann.

[33] 6. Die weiteren vom Kläger geltend gemachten Anspruchsgrundlagen sind dagegen abschließend erledigt: Ein Anerkenntnis der Klageansprüche durch den Beklagten haben die Vorinstanzen zutreffend verneint. Die Anfechtung des Vertrags wegen listiger Irreführung (§ 870 ABGB) über den Kilometerstand scheitert an der Negativfeststellung zur Manipulation des Tachometers, die Irrtumsanfechtung (§ 871 ABGB) an ihrem vertraglichen Ausschluss (vgl RS0016245); Anhaltspunkte für eine grob fahrlässige Veranlassung eines wesentlichen Irrtums des Klägers durch den Beklagten (vgl RS0016245 [T7]) gibt es nicht.

[34] 7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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