OGH 7Ob54/13m

OGH7Ob54/13m17.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, *****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Emberger Rechtsanwälte KG in Wien, wegen 3.423,82 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. November 2012, GZ 14 R 189/12f‑42, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 26. Juli 2012, GZ 11 C 264/12b‑38, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 373,68 EUR (darin enthalten 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Eine näher genannte Konsumentin schloss am 28. 9. 2007 über Vermittlung der beklagten Versicherungsmaklerin eine fondsgebundene Lebens‑ und Rentenversicherung mit einem Luxemburger Lebensversicherer ab. Gleichzeitig traf sie mit der Beklagten eine Vermittlungsgebührenvereinbarung. Vereinbart wurden eine Prämienzahlungsdauer von 35 Jahren, ab 1. 11. 2007 eine Monatsprämie von 40,38 EUR und ab dem 61. Monat eine solche von 127,49 EUR. Der Betrag von 127,49 EUR sollte jedoch bereits ab dem ersten Vertragsmonat bezahlt werden, weil gemäß der mit der Beklagten getroffenen Vermittlungsgebührenvereinbarung die Vermittlungsgebühr von 5.226,60 EUR in 60 Monatsraten zu je 87,11 EUR zu zahlen war.

Die Beklagte stand als Maklerin zum Luxemburger Versicherer in keinem Auftragsverhältnis und bezog von diesem keine Vermittlungsgebühr. Die Provision war je nach Wahl, ob sie eine monatliche Teilzahlung oder eine Einmalzahlung wünschte, von der Konsumentin in Höhe von 7,794 % oder 7,195 % der gesamten Prämiensumme zu begleichen. Die Konsumentin entschied sich für die Variante der Teilleistung, woraus sich die Gebühr von 5.226,60 EUR errechnete, was nicht mehr als das Doppelte der Vermittlungsgebühr einer am Markt vergleichbaren Lebensversicherung betrug.

Die Konsumentin hatte bereits im Jänner 2007 einen Mitarbeiter der Beklagten zur Frage der Finanzplanung kontaktiert. Dabei gab sie ein monatliches Nettoeinkommen von 1.200 EUR bekannt. Zum Zeitpunkt des erneuten Beratungsgesprächs Ende September 2007 legte sie ihr Haushaltsnettoeinkommen in Höhe von 1.100 EUR offen und gab an, dass ihr ein Betrag von 400 EUR zur freien Verfügung verbleibe. Zu diesem Zeitpunkt verfügte sie bereits über eine andere Lebensversicherung. Die Finanzanalyse und auch die Vorstellung der Produkte dauerte rund drei Stunden. Der Mitarbeiter der Beklagten warnte auf Grund der Analyse vor einer zu hohen monatlichen Belastung und riet zu einem monatlichen Investitionsbetrag von 100 EUR. Über ausdrücklichen Wunsch der Konsumentin wurde eine Prämie von 120 EUR gewählt. Der Berater klärte darüber auf, dass es sich beim gewählten Produkt um ein Vorsorgeprodukt mit langer Laufzeit handle, in den ersten fünf Jahren Kosten und Gebühren getilgt würden und erst nach dieser Periode und nach dem Erreichen eines Minimums von 1.250 EUR als Ansparbetrag die gewünschte Flexibilität eintreten könne. Sie wurde über das System der Nettopolizze informiert und in Kenntnis gesetzt, dass in den ersten fünf Jahren der von ihr geleistete Betrag nicht in die Lebensversicherung fließe, sondern überwiegend die Provision der Beklagten bezahlt wurde. Wesentlich für den Abschluss des Versicherungsvertrags für die Konsumentin war, dass das gewählte Produkt die höchste Ablaufleistung im Vergleich zu anderen Produkten aufwies. Dem Berater wurde nicht bekannt gegeben, dass sie mit dem Gedanken an einen Studienbeginn spielte.

Die von der Konsumentin mit der Beklagten getroffene Vermittlungsgebührenvereinbarung lautet (unstrittig) auszugsweise wie folgt:

1. Der Versicherungsmakler wird vom Kunden entgeltlich beauftragt, ihm die nebenstehende Fondsgebundene Lebens‑ und Rentenversicherung mit wählbaren Zusatzversicherungen zu vermitteln. Er erhält vom Kunden hiefür eine Vermittlungsgebühr. Der Versicherungsmakler unterhält zum Versicherungsunternehmen kein Auftragsverhältnis, er erhält von diesem oder von sonstigen Dritten für die Vermittlung des Versicherungsvertrages keine Abschlussprovision.

...

4. Der Anspruch des Versicherungsmaklers auf Zahlung der Vermittlungsgebühr entsteht mit dem Zustandekommen des vom Kunden beantragten Versicherungsvertrages. Der Versicherungsvertrag kommt zustande, wenn die Versicherungsgesellschaft die Annahme des Versicherungsantrages durch schriftliche Annahmeerklärung oder Zusendung der Versicherungspolizze oder durch Einzug der ersten Versicherungsprämie (siehe § 3 Allgemeine Versicherungsbedingungen der Fondsgebundenen Lebens‑ und Rentenversicherung) erklärt oder den Einzug veranlasst hat und der Kunde keines seiner gesetzlichen Rechte auf Rücktritt vom Versicherungsvertrag oder vom Antrag auf dessen Abschluss, wie im Antragsformular unter 'Belehrung über Rücktrittsrechte' angegeben, fristgerecht ausgeübt hat. Der Anspruch des Versicherungsmaklers auf Zahlung der Vermittlungsgebühr bleibt von einer Änderung oder vorzeitigen Beendigung des Versicherungsvertrages aus anderen Gründen unberührt.

5. Zur Sicherung der Ansprüche des Versicherungsmaklers auf Zahlung der Vermittlungsgebühr tritt der Kunde seine gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche auf Versicherungsleistungen aus der vermittelten Fondsgebundenen Lebens‑ und Rentenversicherung und der Zusatzversicherung bei Unfall‑Invalidität gemäß den umseitigen, unter § 2 aufgeführten Bedingungen an den Versicherungsmakler ab, der diese Abtretung(en) annimmt.

...

Die Konsumentin strebte nach ca einem Jahr der Laufzeit eine Prämienfreistellung an, die jedoch nicht möglich war, sodass sie eine Beitragsreduktion auf 35 EUR beantragte, was akzeptiert wurde. Im März 2009 kündigte die Konsumentin den Versicherungsvertrag. Der Rückkaufswert betrug 194,62 EUR. Der Vertrag über die abgeschlossene Vermittlungsgebührenregelung sollte unberührt bleiben. Die offene Vermittlungsgebühr betrug 3.919,95 EUR, weshalb der Rückkaufswert aufgrund der Abtretungsvereinbarung mit der Beklagten nicht ausbezahlt wurde. Über Mahnung der Beklagten zahlte die Konsumentin unter Vorbehalt der Rückforderung zusätzlich zu den bereits geleisteten 1.306,65 EUR weitere Gebühren von 1.480,87 EUR. An Versicherungsprämien zahlte sie insgesamt 636,30 EUR.

Die Konsumentin trat ihre Ansprüche gegenüber der Beklagten auf Rückforderung der Vermittlungsgebühren und Versicherungsprämien an den Kläger zum Inkasso und zur Klagsführung ab.

Der Kläger , ein in § 29 Abs 1 KSchG genannter Verein, begehrte nach Abtretung des Anspruchs der Konsumentin an ihn die Zahlung von 3.423,82 EUR sA mit dem wesentlichen Vorbringen, die Beklagte habe die Konsumentin falsch beraten; es liege eine Verletzung der Aufklärungspflicht vor. Hilfsweise begehrte er die Vertragsaufhebung wegen Irrtums über die Möglichkeit einer Prämienreduktion. Die gewählte Konstruktion diene der Umgehung der für die Nettopolizze geltenden Bestimmung des § 176 Abs 5 und 6 VersVG. Die Vermittlungsgebühr übersteige die gängigen Werte um das Dreifache, weshalb der Einwand der laesio enormis erhoben werde. Überdies sei die Unerfahrenheit der Konsumentin betreffend Lebensversicherungsverträge ausgenützt worden, um ein überhöhtes Vermittlungsentgelt zu vereinbaren, das im auffallenden Missverhältnis zum Wert der von der Beklagten erbrachten Leistung stehe.

Die Beklagte wendete ein, ihren Vermittlungsgebührenanspruch nicht auf Punkt 4. der mit der Konsumentin getroffenen Vermittlungsgebührenvereinbarung zu stützen, und brachte weiters zusammengefasst vor, dass das System der Nettopolizze zulässig sei. Eine analoge Anwendung des § 176 Abs 5 und 6 VersVG sei nicht vorzunehmen. Im Beratungsgespräch sei der Kundin dargelegt worden, dass sie die Vermittlungsgebühr zu zahlen habe, auch wenn sie den Versicherungsvertrag auflöse. Die Konsumentin habe dem Mitarbeiter keine Information gegeben, dass sie vor dem Start eines Studiums stehe und sich die monatliche Belastung bald nicht mehr leisten könne. Eine Informationspflichtverletzung bestehe nicht; einen Grund für die Anfechtung wegen laesio enormis gebe es nicht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Versicherungsvertrag habe durch die Kündigung der Konsumentin im März 2009 geendet, wodurch es zu einer ex nunc‑Auflösung des Versicherungsvertrags gekommen sei. Die Regelung der Vermittlungsgebühren bestehe unabhängig vom Schicksal des Versicherungsvertrags. Ein Analogieschluss im Sinn des § 176 Abs 5 und 6 VersVG sei unzulässig. Der Tatbestand der laesio enormis sei ebensowenig gegeben wie jener des Wuchers. Weder eine Verletzung der Aufklärungspflicht noch ein sonst Schadenersatz auslösendes Verschulden der beklagten Versicherungsmaklerin sei gegeben.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Der Tatbestand des § 934 ABGB sei nicht erfüllt. Ausgehend vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und von der im ursprünglichen Vertrag angenommenen Vertragsdauer liege die Provision der Beklagten um 73 % über dem Durchschnitt der Vergleichsangebote; damit werde die Verkürzung über die Hälfte nicht erreicht. Diese ergebe sich ‑ wenn überhaupt ‑ erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich im Zeitpunkt der Vertragsauflösung „und durch das autonome Nebeneinanderbestehen des Versicherungs‑ und des Vermittlungsgebührenvertrags“. Dabei dürfe nicht übersehen werden, dass die Konsumentin diesen Zeitpunkt durch Kündigung des Vertrags selbst herbeigeführt habe. Wolle man daher abweichend von § 934 letzter Satz ABGB auf diesen Zeitpunkt abstellen, so würde man es in die Hand eines Vertragspartners legen, nachträglich den Tatbestand der laesio enormis herbeizuführen. Dies entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers.

Der Oberste Gerichtshof habe in 7 Ob 13/10b ausgeführt, dass Punkt 4. der Vermittlungsgebührenvereinbarung gröblich benachteiligend sei, jedoch nicht schlechthin die gesamte Klausel beanstandet, sondern nur vor dem Hintergrund, dass der Versicherungsnehmer das frühe Storno nicht selbst zu vertreten habe, also ein „Wurzelmangel“ vorliege. In diesem Verfahren habe allerdings keine Rücksicht auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Klausel genommen werden können, weil für eine geltungserhaltende Reduktion im Verbandsprozess kein Raum sei. Im Leistungsverfahren ‑ wie hier ‑ sei dies allerdings möglich. Da die Konsumentin den Vertrag selbst gekündigt habe, könne darin keine gröbliche Benachteiligung erblickt werden. Im Nettopolizzensystem bestehe kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Rückkaufswert und Provision. Eine „verdünnte Willensfreiheit“, vor der § 879 Abs 3 ABGB durch Verhinderung einer objektiven Äquivalenzstörung schützen solle, habe nicht bestanden. Wesentlich für den Abschluss des Versicherungsvertrags sei für die Konsumentin gewesen, dass das Produkt des Luxemburger Lebensversicherers die höchste Ablaufleistung im Vergleich zu anderen Produkten aufgewiesen habe. Zusätzlich habe sie eine Zusatzversicherung als Sparzielabsicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit gewünscht. Sie sei über das System der Nettopolizze informiert worden und habe somit verständlich die wesentlichen Parameter erklärt erhalten. Es sei der Wille der Konsumentin gewesen, diese Konstruktion zu wählen und letztlich den Versicherungsvertrag und die Vermittlungsgebührenvereinbarung so abzuschließen. Von der „Verdünnung“ ihrer Willensfreiheit könne daher keine Rede sein. Zudem sei bei der Angemessenheitskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB objektiv auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Eine allfällige, der Konsumentin nachteilige Interessenverschiebung erst durch eine spätere eigene einseitige Willenserklärung sei bei der Interessenabwägung nicht zu berücksichtigen.

Eine analoge Anwendung des § 176 Abs 6 VersVG scheide aus. Dass nunmehr der Gesetzgeber die Notwendigkeit gesehen habe, § 176 Abs 6 VersVG zu novellieren, zeige, dass er sich mit der Entwicklung des Markts für Versicherungspolizzen auseinandergesetzt habe und in die gesetzgeberische Tätigkeit auch die Sichtweise des Verbraucherschutzes eingeflossen sei. Durch das Versicherungsrechts‑Änderungsgesetz 2012 wolle der Gesetzgeber auch eine Regelung für das Nettopolizzensystem treffen, nicht aber für Sachverhalte vor der Änderung des § 176 Abs 6 VersVG. Sollte der Gesetzgeber tatsächlich die Regelung für die Nettopolizzen zuvor „übersehen“ haben, wäre es ihm möglich gewesen, eine rückwirkende Geltung der neuen Bestimmung anzuordnen, wenn damit ein unverhältnismäßig hoher Zustand des Ungleichgewichts der Interessen der Beteiligten hätte beseitigt werden können. Eine analoge Anwendung des § 176 Abs 5 und 6 VersVG komme nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 und 5 Z 3 ZPO für zulässig, weil zur Frage, ob die Klausel 4. im Weg der geltungserhaltenden Reduktion aufrechterhalten werde könne, und zur Klausel 5. der Vermittlungsgebührenvereinbarung keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten beantwortete ordentliche Revision des Klägers ist ungeachtet des Streitwerts gemäß § 502 Abs 5 Z 3 ZPO (vgl RIS‑Justiz RS0122125 [T2, T3, T5]) und zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

I. Der Kläger (ein Verband nach § 29 Abs 1 KSchG), dem die Ansprüche der Versicherungsnehmerin (Konsumentin) abgetreten wurden, begehrt von der beklagten Versicherungsmaklerin die Rückzahlung der Vermittlungsgebühr (2.787,52 EUR sA) und die Zahlung der Versicherungsprämien (636,30 EUR sA).

Zur Berechtigung des Anspruchs auf Rückforderung der Versicherungsprämien gerade von der beklagten Versicherungsmaklerin enthält die Revision des Klägers keine Ausführungen. Da der Kläger nicht darlegt, auf welcher Rechtsgrundlage die Beklagte zur Zahlung der begehrten Versicherungsprämien verpflichtet sein soll, wurde dieser Teil des Klagebegehrens (636,30 EUR sA) mangels Anspruchsgrundlage von den Vorinstanzen zutreffend abgewiesen.

II. Zur Rückforderung der von der Konsumentin an die Beklagte gezahlten Vermittlungsprovision:

1. Verkürzung über die Hälfte (laesio enormis):

Gemäß § 934 letzter Satz ABGB wird das Missverhältnis des Werts nach dem Zeitpunkt des geschlossenen Geschäfts bestimmt (RIS‑Justiz RS0018871; Reischauer in Rummel ³, § 934 ABGB Rz 5; Gruber in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.01 § 934 Rz 7). Ausgehend vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der von der Konsumentin mit dem Luxemburgischen Lebensversicherer auf die Dauer von 35 Jahren abgeschlossenen fondsgebundenen Lebens‑ und Rentenversicherung liegt ‑ nach den Feststellungen ‑ die Provision der Beklagten um 73 % über dem Durchschnitt der Vergleichsangebote. Die Vermittlungsgebühr der von der Beklagten vermittelten Lebensversicherung betrug daher nicht mehr als das Doppelte der Gebühr einer am Markt vergleichbaren Lebensversicherung. Zutreffend führte das Berufungsgericht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Voraussetzungen für die Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB) nicht vorlagen. Ein bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehender Mangel („Wurzelmangel“) bestand nicht (vgl zur Unbeachtlichkeit nachträglicher Erfüllungsmängel bei Prüfung der Voraussetzungen der laesio enormis: RIS‑Justiz RS0018871 [T2]; RS0110457). Die Konsumentin (Versicherungsnehmerin) kündigte den Versicherungsvertrag ‑ nach dem Vorbringen des Klägers infolge Beginns eines Studiums ‑ rund 1,5 Jahre nach dessen Abschluss auf, was vom Lebensversicherer akzeptiert wurde. Die allein von der Konsumentin veranlasste Kündigung führt aber schon auf Grund des Wortlauts des § 934 letzter Satz ABGB nicht dazu, dass nachträglich ein Missverhältnis und damit der Tatbestand der laesio enormis herbeigeführt wird.

2. Die beklagte Versicherungsmaklerin traf mit der Konsumentin schriftlich die Provisionsvereinbarung, dass diese die Vermittlungsgebühr von 5.226,10 EUR in 60 Monatsraten von je 87,11 EUR beginnend ab 1. 11. 2007 zu zahlen hat. Die Möglichkeit, dass nicht der Versicherer der Versicherungsmaklerin die Provision bezahlt, sondern der Versicherungskunde, sieht § 30 Abs 1 erster Satz MaklerG vor, wenn die Vereinbarung mit dem Versicherungsnehmer ‑ wie hier ‑ ausdrücklich und schriftlich getroffen wird (dazu Griss in Straube , UGB [I 4 ] MaklerG § 30 Rz 3; Jabornegg , Das neue Versicherungsmaklerrecht, VR 1996, 109 [116]; Fromherz , Kommentar zum MaklerG [1997], § 30 Rz 8; Noss , Maklerrecht³ [2008] 118).

2.1. Entgegen dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts und den Ausführungen des Klägers stellen sich keine Rechtsfragen zu Punkt 4. der Vermittlungsgebührenvereinbarung, weil sich die Beklagte für das Entstehen ihres Anspruchs auf Vermittlungsprovision auf diese Klausel, deren Verwendung ihr in der Entscheidung 7 Ob 13/10b untersagt wurde, gar nicht berief. Die Beklagte leitet ihren Anspruch aus Punkt 1. der Vermittlungsgebührenvereinbarung und der Vereinbarung über deren Höhe ab.

2.2. Nach § 7 Abs 1 MaklerG entsteht der Anspruch auf Provision mit der Rechtswirksamkeit des vermittelten Geschäfts. In Modifikation dazu sieht § 30 Abs 2 erster Satz MaklerG, der § 7 Abs 1 MaklerG für Versicherungsmakler ersetzt ( Fromherz aaO § 30 Rz 15; ähnlich Jabornegg aaO 117), vor, dass der Provisionsanspruch mit der Rechtswirksamkeit des vermittelten Geschäfts entsteht, wenn und soweit der Versicherungskunde die geschuldete Prämie bezahlt hat oder zahlen hätte müssen, hätte der Versicherer seine Verpflichtungen erfüllt (Ausführungsprinzip; Fromherz aaO § 30 Rz 15). Neben der Voraussetzung des Abschlusses des vermittelten Vertrags (§ 6 Abs 1 MaklerG) wird der Provisionsanspruch an die Prämienzahlungen des Versicherungskunden gekoppelt.

Die Konsumentin schloss am 28. 9. 2007 mit dem Luxemburger Lebensversicherer den Versicherungsvertrag ab und zahlte ab 1. 11. 2007 die Versicherungsprämien. Damit entstand der Anspruch der Beklagten auf Zahlung der vereinbarten Vermittlungsgebühr.

2.3. Im Gesetz findet sich keine Einschränkung der Versicherungsnehmerin bei der Ausübung ihrer Stornierungsmöglichkeiten allein aus dem Vertrag zum Versicherungsmakler. Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits ausgesprochen, dass die Stornierung eines Versicherungsvertrags nicht gegen eine Treuepflicht aus dem Rechtsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Makler verstößt (8 Ob 81/09h = ecolex 2010, 862 [ Ertl ]; 1 Ob 17/12z).

2.4. Nach § 7 Abs 2 MaklerG entfällt der Anspruch auf Provision, wenn und soweit feststeht, dass der Vertrag zwischen dem Dritten (dem Lebensversicherer) und dem Auftraggeber (der Konsumentin) aus nicht vom Auftraggeber zu vertretenden Gründen nicht ausgeführt wird. Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung ist der rechtswirksame Abschluss des Geschäfts (2 Ob 202/11m = RIS‑Justiz RS0128478; Fromherz aaO § 7 Rz 108). Der gegen den Provisionspflichtigen gerichtete Anspruch ist vom Grundgeschäft insoweit abhängig, als er nicht gebührt, wenn das vermittelte Geschäft aus wichtigen, nicht vom Auftraggeber zu vertretenden Gründen nicht ausgeführt wurde (RIS‑Justiz RS0063030 [T4]). Um sich von seiner Provisionspflicht zu befreien, muss der Auftraggeber nachweisen, dass die Ausführung des vermittelten Geschäfts ohne sein Verschulden unmöglich oder unzumutbar wurde (RIS‑Justiz RS0062829 [T6]; 7 Ob 157/09b mwN; vgl RS0062994). Der Provisionsanspruch entfällt auch bei einvernehmlicher Vertragsauflösung, sofern sie aus nicht vom Auftraggeber zu vertretenden objektiv wichtigen Gründen erfolgt (RIS‑Justiz RS0062829 [T8]; 2 Ob 202/11m mwN).

Die Konsumentin kündigte im März 2009 den wirksam zustande gekommenen Lebens‑ und Rentenversicherungsvertrag, was vom Lebensversicherer akzeptiert wurde. Auf einen von der Versicherungsnehmerin nicht zu vertretenden objektiv wichtigen Grund für die Kündigung im Sinn des § 7 Abs 2 erster Satz MaklerG berief sich der Kläger nicht. Die Aufnahme eines Studiums ist kein solcher Grund. Die Voraussetzungen für den Entfall des Provisionsanspruchs der Beklagten im Sinn des § 7 Abs 2 MaklerG liegen damit nicht vor.

3. Der Kläger argumentiert, dass die Provisionsvereinbarung gemäß § 879 Abs 3 ABGB unwirksam sei. Der Provisionsanspruch des Maklers gegenüber dem Versicherer werde in „Frühstornofällen“ durch die Regelungen in § 176 Abs 5 und 6 VersVG eingeschränkt. Davon abweichende Vereinbarungen zwischen dem Makler und dem Versicherungsnehmer unterlägen der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB, bei der die dispositive Gesetzeslage das Leitbild für einen gerechten Interessenausgleich bilde. Dagegen verstoße die getroffene Provisionsvereinbarung im Fall der Ausübung des gesetzlichen Rücktrittsrechts der Versicherungsnehmerin. Die Konsumentin sei vor der Wahl gestanden, die Vermittlungsgebührenvereinbarung zu unterschreiben oder die gewünschte Lebensversicherung nicht abzuschließen, woraus sich ihre „verdünnte“ Willensfreiheit ergebe. In Punkt 5. der Vermittlungsgebührenvereinbarung sei vorgesehen, dass der Kunde alle seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die Beklagte zur Sicherung ihres Provisionsanspruchs abtreten müsse, was im Fall eines „Frühstornos“ automatisch zum Verlust des Konsumenten auf seinen Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswerts und damit zur vollständigen Entwertung seines „Rückkaufsrechts“ führe.

Zunächst ist darauf zu verweisen, dass der Kläger Umstände, wonach die Konsumentin einer Zwangssituation ausgesetzt und daher veranlasst war, die (hohe) Provisionsforderung der Beklagten jedenfalls zu akzeptieren, nicht behauptet hat und solche auch nicht ersichtlich sind. Die Konsumentin wurde vom Berater der Beklagten über das System der Nettopolizze aufgeklärt. Sie entschied sich für die Variante der monatlichen Teilzahlung der vereinbarten Provision von 5.226,60 EUR und erhielt insbesondere die Information, dass in den ersten fünf Jahren mit den von ihr geleisteten Beträgen überwiegend die Provision der Beklagten bezahlt wird. Abgesehen davon, dass der Kläger selbst auf die Alternative des Abschlusses des Versicherungsvertrags über Vermittlung eines anderen Versicherungsmaklers verweist, verstößt sein erstmals in der Revision aufgestelltes Vorbringen, die Konsumentin habe sich der Vermittlungsgebührenvereinbarung unterwerfen müssen, um den Lebensversicherungsvertrag vermittelt zu erhalten, gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO).

Mit dem VersRÄG 2006, BGBl I 2006/95, hat der Gesetzgeber ‑ wie aus den Materialien hervorgeht (ErläutRV 1428 BlgNR 22. GP 1) ‑ Probleme mit der Verrechnung der einmaligen Verwaltungs- und Vertriebskosten in der Lebensversicherung durch eine klare gesetzliche Regelung entschärfen wollen, wobei ein ausgewogener Interessenausgleich aller Beteiligten angestrebt wurde. Durch eine Verteilung der einmaligen Verwaltungs- und Vertriebskosten auf einen Zeitraum von zumindest fünf Jahren sollte eine Erhöhung des Rückkaufswerts im Fall der frühzeitigen Beendigung des Vertrags erreicht werden. Entsprechend dazu sollte auch der Provisionsanspruch von Vermittlern bei vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses gemindert werden. Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit beendet, so sieht § 176 Abs 5 VersVG vor, dass bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten höchstens mit jenem Anteil berücksichtigt werden dürfen, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit entspricht. § 176 Abs 6 VersVG sieht in Anknüpfung an Abs 5 vor, dass der Vermittler nur Anspruch auf jenen Teil der Provision samt Nebengebühren hat, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) entspricht. Eine Vereinbarung, wonach dem Vermittler ein höherer Provisionsanspruch zusteht, ist unwirksam. Der Vermittler hat dem Versicherer eine Provision insoweit zurückzuzahlen, als sie das Ausmaß des anteiligen Provisionsanspruchs übersteigt. Diese Bestimmungen sind jedoch nach ihrem Wortlaut nur auf das Modell der Bruttopolizze anwendbar, bei welchem die Vermittlungsprovision durch die zwischen Versicherer und Makler bestehende Vereinbarung geregelt wird. Nach § 176 Abs 5 VersVG müssen die Abschlusskosten nämlich auf die Berechnung des Rückkaufswerts Einfluss haben. § 176 Abs 6 VersVG knüpft unmittelbar daran an und sieht eine (teilweise) Provisionsrückzahlungspflicht des Vermittlers an den Versicherer vor. Die Absicht des Gesetzgebers war vom Bemühen getragen, zu verhindern, dass der Rückkaufswert durch Abschlusskosten unangemessen vermindert wird (ErläutRV 1428 BlgNR 22. GP 4). Beim System der Nettopolizze ist jedoch kein Provisionsanteil für die Vermittlung des Versicherungsvertrags in der zu leistenden Versicherungsprämie enthalten, weil sich der Kunde gegenüber dem Vermittler zu einer separaten Provisionszahlung verpflichtet. Eine Unvereinbarkeit der zwischen der Versicherungsnehmerin und der beklagten Versicherungsmaklerin getroffenen Provisionsvereinbarung mit § 176 VersVG besteht somit nicht (7 Ob 13/10b). Da diese Norm idF vor dem VersRÄG 2012 weder direkt noch analog auf den hier zu beurteilenden Fall des Provisionsanspruchs des Versicherungsmaklers bei einer Nettopolizze anzuwenden ist, liegt auch der insofern behauptete Verstoß gegen § 879 Abs 3 ABGB nicht vor.

Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Rückkaufswert und Provision besteht im Nettopolizzensystem nicht. Die zugunsten der Beklagten vereinbarte Sicherungszession (Punkt 5. der Vermittlungsgebührenvereinbarung) führte dazu, dass die Versicherungsnehmerin zwar nicht den Rückkaufswert von 194,62 EUR erhielt, sich aber durch die Überweisung an die Beklagte in dieser Höhe ihre zu zahlende Vermittlungsprovision verminderte. Dadurch wird wirtschaftlich dasselbe Ergebnis erzielt, wie wenn die Versicherungsnehmerin den Rückkaufswert vollständig ausbezahlt bekommen und sich die Forderung des Versicherungsmaklers nicht um diesen Betrag reduzieren würde. Die Vereinbarung der Sicherungszession in Punkt 5. der Vermittlungsgebührenvereinbarung ist daher nicht gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB.

4. In der Entscheidung 7 Ob 13/10b (= RIS‑Justiz RS0125837 = ecolex 2011/87, 208 [zust Achleitner ]; dazu krit Ertl , Das beredte Schweigen des Gesetzgebers zur Nettopolizze ‑ Zur E des OGH 7 Ob 13/10b, ecolex 2011, 893 und Kriegner , Ist § 176 Abs 5 und 6 VersVG doch analog auf „Nettopolizzen“ anwendbar?, VR 2012 H 10, 37) hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass § 176 Abs 5 und 6 VersVG idF vor dem VersRÄG 2012 nur für das System der Bruttopolizze (wonach die Vermittlungsprovision nicht vom Kunden, sondern vom Versicherer bezahlt wird) gilt. Diese Bestimmungen sind auf die Nettopolizze nicht analog anzuwenden.

Mit dem VersRÄG 2012, BGBl I 2012/34, wurde in § 176 Abs 6 VersVG folgender Satz angefügt: „Die voranstehenden Bestimmungen sind auf Vereinbarungen, nach denen der Versicherungsnehmer die Provision unmittelbar dem Vermittler zu leisten hat, sinngemäß anzuwenden.“ Diese Bestimmung ist gemäß § 191c Abs 11 VersVG auf Vereinbarungen anzuwenden, die nach dem 1. 7. 2012 abgeschlossen werden. Durch den Zusatz in § 176 Abs 6 VersVG werden die Regelungen über die Höhe des Provisionsanspruchs des Versicherungsvermittlers in „Frühstornofällen“ auch auf die Nettopolizze ausgedehnt (ErläutRV 1632 BlgNR 24. GP 15; Cap , Die Neuerungen des Versicherungsrechts‑Änderungsgesetzes 2012 [VersRÄG 2012], ÖJZ 2013/3, 12 [13, 23 f]; Nejedly , Das Versicherungsrechts‑Änderungsgesetz 2012, ÖAMTC‑FI 2012/5, 1 [3]; Fenyves , Elektronische Kommunikation und Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers nach dem VersRÄG 2012, VR 2012 H 5, 23 [24 FN 13]; Gisch/Weinrauch , VersRÄG 2012 [2012], 56).

§ 176 Abs 6 VersVG idF VersRÄG 2012 ist auf die hier zu beurteilende, am 28. 9. 2007 abgeschlossene Provisionsvereinbarung daher nicht anzuwenden (§ 191c Abs 11 VersVG).

Die Gesetzesmaterialien zum VersRÄG 2012 (ErläutRV 1632 BlgNR 24. GP 15) halten zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 176 Abs 6 VersVG fest, dass sich bislang die Zulässigkeit von Vereinbarungen über die einem Makler nach § 30 Abs 1 MaklerG oder einem anderen Vermittler bei einer Nettopolizze in „Frühstornofällen“ gegenüber dem Versicherungsnehmer zustehende Position ausschließlich nach den für solche Vereinbarungen sonst maßgeblichen gesetzlichen Regelungen bestimmte. Damit wird die in 7 Ob 13/10b (ebenso Fenyves , Analoge Anwendung des § 176 Abs 5 und 6 VersVG auf die Vermittlungsprovision im System der „Nettopolizze“?, VR 2008 H 10, 18: aA Kriegner , § 176 Abs 5 und 6 VersVG auch auf Nettopolizzen anwendbar?, ecolex 2008, 806 [809]) vertretene Rechtsansicht bestätigt, dass der Gesetzgeber in § 176 Abs 5 und 6 VersVG vor der Novelle nur eine Regelung für das Bruttopolizzensystem treffen wollte und mangels einer planwidrigen Lücke die Voraussetzungen für eine Analogie nicht gegeben waren.

Die gegenteilige Ansicht des Klägers, der eine analoge Anwendung des § 176 Abs 6 aF VersVG anstrebt, berücksichtigt nicht den ‑ nunmehr auch ‑ in den Materialien zum VersRÄG 2012 zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, dass bei einer Nettopolizze auf Provisionsvereinbarungen zwischen einem Versicherungsmakler und einem Versicherungskunden vor Inkrafttreten des VersRÄG 2012 nur die sonst maßgeblichen gesetzlichen Regelungen zur Anwendung gelangen. Es besteht daher kein Anlass, von der Entscheidung 7 Ob 13/10b abzugehen.

5. Da der Beklagten die Vermittlungsgebühr im Fall der Kündigung des Lebens‑ und Rentenversicherungsvertrags durch die Versicherungsnehmerin zusteht, ist der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte