European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0160OK00003.22K.0623.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs gegen den Beschluss vom 12. Oktober 2021, GZ 28 Kt 8/21t, 28 Kt 9/21i-23, wird nicht Folge gegeben.
II. durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Dr. Parzmayr sowie die fachkundigen Laienrichter KR Dr. Dernoscheg und KR Mag. Herzele als weitere Richter den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs gegen den Beschluss vom 2. Februar 2022, GZ 28 Kt 8/21t, 28 Kt 9/21i‑59, wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Zu I. (16 Ok 4/22g):
[1] Die Antragsteller lehnten den Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. G* in ihren Anträgen vom 28. 9. 2021 (Zweitantragstellerin) und vom 29. 9. 2021 (Erstantragstellerin) als befangen ab, weil er einen befangenen Hilfsdienst, konkret ein namentlich bezeichnetes Forschungsinstitut, zur Mitarbeit heranziehe. Dieses habe wiederholt Privatgutachten für die Antragsgegnerin erstattet. Als weiterer Befangenheitsgrund wurde geltend gemacht, der Sachverständige habe sich öffentlich in einer Weise geäußert, aus der hervorgehe, dass er die Grundwertungen der österreichischen Zusammenschlusskontrolle ablehne.
[2] Die Antragsgegnerin beantragte, den Ablehnungsanträgen nicht Folge zu geben.
[3] Der Sachverständige teilte mit, sich nicht befangen zu fühlen. Er habe aufgrund der dem Erstgericht vorgelegten Erklärungen der Mitarbeiter des Forschungsinstituts zur Amtsverschwiegenheit und Unabhängigkeit keine Veranlassung, von deren Befangenheit auszugehen. Darüber hinaus ziehe er das Forschungsinstitut nur zu Hilfsdiensten heran und trage persönlich die inhaltliche Verantwortung. Es lehne die Grundwertungen der österreichischen Zusammenschlusskontrolle nicht ab.
[4] Mit Beschluss vom 12. 10. 2021 verwarf das Erstgericht die Ablehnungsanträge.
[5] Es stellte fest, das Forschungsinstitut arbeite auf Projektbasis, habe keinen aktuellen Auftrag für die Antragsgegnerin und sei von dieser in der Vergangenheit nicht regelmäßig beauftragt worden. Es habe in den Jahren 2019 und 2020 zwei mit dem vorliegenden Zusammenschluss nicht im Zusammenhang stehende Studien für die Antragsgegnerin durchgeführt. Diese Aufträge seien für das Forschungsinstitut nicht von wesentlicher Bedeutung gewesen, die Geschäftsbeziehung zur Antragsgegnerin sei nicht ständig und nicht existentiell notwendig. Die Mitglieder des vom Sachverständigen herangezogenen Teams des Forschungsinstituts hätten an den beiden genannten Studien nicht mitgearbeitet, auch sonst nicht für die Antragsgegnerin gearbeitet, verrichteten ausschließlich Hilfsdienste für den Sachverständigen und seien durch Geheimhaltungsabkommen gebunden; es bestehe eine „Chinese Wall“ zu den anderen MitarbeiterInnen und PartnerInnen des Forschungsinstituts. Darüber hinaus traf es Feststellungen zum relevierten Interview sowie die Feststellung, dass der Sachverständige die Grundwertungen der österreichischen Zusammenschlusskontrolle nicht ablehnt. Rechtlich erörterte es, aus dem festgestellten Sachverhalt sei der Anschein der Befangenheit iSd § 38 KartG iVm § 35 AußStrG, § 355 ZPO nicht ableitbar.
[6] Dagegen richtet sich der Rekurs der Erstantragstellerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.
[7] Der – zutreffend mit dem Rekurs gegen die Entscheidung über die Sache verbundene (vgl RS0040730 [T12]; 4 Ob 128/19f) – Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 12. 10. 2021 ist nicht berechtigt.
[8] I.1. Befangenheit liegt vor, wenn ein Naheverhältnis besteht, das bei objektiver Betrachtung zumindest geeignet ist, den Anschein der Voreingenommenheit zu begründen (9 ObA 135/89; vgl Schneider in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ §§ 355, 356 ZPO Rz 7). Ausgehend davon liegt ein Ablehnungsgrund etwa dann vor, wenn ein Sachverständiger bereits in derselben Sache für eine Partei gutachtete (3 Ob 545/88), in einem regelmäßigen Auftragsverhältnis zu einer Partei steht oder von einer Verfahrenspartei wirtschaftlich abhängig ist (Schneider in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ §§ 355, 356 ZPO Rz 7).
[9] I.2. Soweit im Rekurs gerügt wird, sämtliche Aufträge der Antragsgegnerin an das Forschungsinstitut hätten abschließend ermittelt werden müssen, wird außer Acht gelassen, dass die Geschäftsbeziehung zur Antragsgegnerin für das Forschungsinstitut (insgesamt) nicht von existentieller Bedeutung ist. Die Befürchtung, für das Forschungsinstitut bestehe schon aufgrund der Finanzkraft der Antragsgegnerin ein Anreiz, im Hinblick auf zukünftige Aufträge Ergebnisse zu verzerren, ist eine spekulative Erwägung, für die keine konkreten Anhaltspunkte sprechen. Das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang bereits klargestellt, dass die bloße Möglichkeit zukünftiger Aufträge zur Dartuung konkreter (vgl RS0045962) Ablehnungsgründe nicht ausreicht.
[10] I.3. Auf die im Ablehnungsantrag geltend gemachte Einstellung des Sachverständigen zur österreichischen Zusammenschlusskontrolle kommt der Rekurs nicht mehr zurück.
[11] I.4. Dem Rekurs gegen die Verwerfung des Ablehnungsantrags ist daher insgesamt nicht Folge zu geben.
Zu II. (16 Ok 3/22k):
[12] Gegenstand der beiden verbundenen Zusammenschlussverfahren sind die Prüfungsanträge der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers betreffend den am 20. 7. 2021 bei der Erstantragstellerin angemeldeten Zusammenschluss zwischen der Antragsgegnerin und G*, Inc. (künftig: Zielgesellschaft).
[13] Die Antragsgegnerin wurde 2004 gegründet und betreibt eine Reihe von Diensten der Digitalwirtschaft. Dazu gehören unter anderem das soziale Netzwerk „Facebook“ und der dazugehörige Instant-Messaging-Dienst „Messenger“, die im Jahr 2012 erworbene Video- und Foto-Sharing-Plattform „Instagram“ und der im Jahr 2014 erworbene Instant‑Messaging- und Voice-Over-Internet-Protokoll-Dienst „WhatsApp“. Diese Dienste sind für (nicht-kommerzielle) NutzerInnen in der Regel entgeltfrei. Die Antragsgegnerin erzielt ihre Umsätze hauptsächlich (im Jahr 2020 zu rund 98 %) durch Bereitstellung von Werbeflächen und damit verbundenen Dienstleistungen (etwa Tools für die Gestaltung und Messung der Effektivität von Werbekampagnen) an Dritte. Nutzerdaten stellen das Fundament des Geschäftsmodells der Antragsgegnerin dar. Das Zusammenführen von Nutzerprofilen sowie das Einbinden von Daten anderer Websites und Services ermöglichen es der Antragsgegnerin, personalisierte Werbung über all ihre Plattformen hinweg zu schalten und somit ihre Dienste zu monetarisieren. Die Antragsgegnerin erhebt eine Reihe von Informationen über die NutzerInnen ihrer Dienste. Außerdem übermitteln Partner der Antragsgegnerin Informationen über Nutzeraktivitäten außerhalb der Dienste der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin verbindet Informationen über verschiedene ihrer Produkte und verschiedene Geräte hinweg, um zielgerichtete und personalisierte Werbung anzubieten.
[14] Das Zielunternehmen wurde 2013 gegründet und betreibt eine digitale Bibliothek und Suchmaschine, insbesondere für GIFs und Sticker (idF zusammen GIF oder GIFs). Es ist als digitale Plattform organisiert. Mit dem Angebot der durchsuchbaren Online-GIF-Bibliothek gehen die Bereitstellung von Inhalten, deren Verwaltung und Moderation, das Betreiben eines Suchalgorithmus und die Distribution der GIFs einher. Eine GIF-Datei (Graphic Interchange Format) ist ein kurzes, gelooptes, tonloses Video (typischerweise zwei bis fünf Sekunden), das verwendet werden kann, um Emotionen auszudrücken oder um ein Verständnis der Popkultur zu zeigen (wobei eine große Anzahl der Clips aus Fernsehsendungen stammt). Ein „GIF‑Sticker“ ist ein animiertes Bild mit vollständig oder teilweise transparentem Hintergrund, das über Bilder oder Text gelegt werden kann. Die Inhalte, die das Zielunternehmen in seiner GIF-Bibliothek bereitstellt, werden sowohl durch das eigene Kreativteam als auch durch einzelne NutzerInnen und Unternehmen generiert.
[15] Für die Distribution von GIFs stehen zwei Vertriebsmöglichkeiten zur Verfügung, um EndnutzerInnen zu erreichen. Dies sind zum einen sogenannte „O&O-Kanäle“ („owned and operated“) sowie zum anderen die Integration mit Drittplattformen über API („Application Programming Interface“) oder SDK („Software Development Kits“).
[16] Unter O&O-Kanäle fasst man die vom Zielunternehmen selbst betriebenen Websites und Apps zusammen, auf denen NutzerInnen direkt GIFs suchen, anschauen, downloaden und teilen können. Diese unmittelbare Distribution spielt eine untergeordnete Rolle. Wesentlich bedeutender (mit zumindest 95 % aller Suchanfragen) ist die indirekte (mittelbare) Distribution über die Integration mit Drittplattformen über API/SDK-Schnittstellen. Hier können sich Drittplattformen (zB Social Media-Plattformen oder Handy-Tastatur-Apps) über die Schnittstellen mit der GIF‑Bibliothek des Zielunternehmens verbinden. NutzerInnen der Plattformen können dann über die Drittplattform auf GIFs des Zielunternehmens zugreifen. Die API-Partner des Zielunternehmens erfüllen somit eine Plattformformfunktion, über ihre Plattform können NutzerInnen auf die Bibliothek des Zielunternehmens zugreifen und umgekehrt erlangt das Zielunternehmen durch die Integration bei API-Partnern eine größere Reichweite. Viele Plattformen stützen sich auf GIFs, um NutzerInnen bessere Ausdrucksmöglichkeiten zu bieten und die Benutzerinteraktion zu fördern.
[17] Das Angebot von GIF-Werbung an Werbekunden stellt das zweite Produkt des Zielunternehmens dar und wird vom Zielunternehmen selbst als zentrale Möglichkeit zur Monetarisierung beschrieben. Ein Unternehmen kann beispielsweise dafür bezahlen, dass seine GIFs an bestimmten Tagen (zB Sportevents oder Feiertage) in der Vorauswahl der beliebtesten GIFs erscheinen. Zunächst schloss das Zielunternehmen sogenannte „Paid-Alignment“-Vereinbarungen nur über seine selbst betriebenen O&O-Kanäle ab. Im Jahr 2018 erweiterte es sein Umsatzgenerierungsmodell durch ein API-Vertriebsnetzwerk. Das Zielunternehmen hatte ausschließlich Werbekunden in den USA. Es generierte Einnahmen lediglich über „Paid‑Alignment“-Werbung auf O&O-Kanälen und bei API-Partnern. Das Angebot einer durchsuchbaren GIF‑Bibliothek erfolgte kostenlos. Insgesamt kann das Zielunternehmen als hinsichtlich Nutzerzahlen und verbreiteter Inhalte wachsendes Unternehmen angesehen werden, das jedoch bis zuletzt Verluste erwirtschaftete. In Österreich nutzt eine signifikante, vom Erstgericht festgestellte Anzahl von (mittelbaren und unmittelbaren) monatlich aktiven NutzerInnen die Bibliothek des Zielunternehmens.
[18] Die Antragsgegnerin erwarb – im Weg einer näher festgestellten Vorgangsweise – am 15. 5. 2020 Anteile am Zielunternehmen, wodurch ein Beteiligungsgrad von 50 % überschritten und beherrschender Einfluss erlangt wurde.
[19] Der Zusammenschluss wurde am 20. 7. 2021 bei der Erstantragstellerin angemeldet.
[20] Mit Beschluss des Kartellgerichts vom 22. 7. 2021, AZ 28 Kt 6/21y, wurde über die Antragsgegnerin wegen der verbotenen Durchführung eines Zusammenschlusses ohne Anmeldung gemäß § 29 Z 1 lit a iVm § 17 Abs 1 KartG eine Geldbuße verhängt.
[21] Die Erstantragstellerin (28 Kt 8/21t) und der Zweitantragsteller (28 Kt 9/21i) beantragten die Prüfung des Zusammenschlusses gemäß §§ 11 ff KartG.
[22] Nach dem Vorbringen der Erstantragstellerin ist der relevante Markt, auf dem das Zielunternehmen tätig sei und eine marktbeherrschende Stellung innehabe, der weltweite Markt für durchsuchbare GIF-Bibliotheken für Dritte, nicht hingegen ein (weniger enger) Markt für online teilbare Inhalte. Die Antragsgegnerin verfüge auf den Märkten für soziale Medien und für nicht‑suchgebundene Online-Werbung über eine marktbeherrschende Stellung.
[23] Es bestehe die Gefahr, dass die Antragsgegnerin durch den Zusammenschluss ihre marktbeherrschende Stellung auf den beiden letztgenannten Märkten ausbaue und konkurrierende Online-Plattformen von einer Kommunikations- und Werbetechnologie mit zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung – den GIFs des Zielunternehmens – abschotte. Die Ermittlungsergebnisse würden eine bestehende Fähigkeit zur Umsetzung einer solchen Abschottungsstrategie aufzeigen, weil das Zielunternehmen über eine marktbeherrschende Stellung bei durchsuchbaren GIF-Bibliotheken verfüge und Markteintrittsbarrieren im Markt für durchsuchbare GIF-Bibliotheken erheblich seien. Es handle sich bei GIFs um ein wichtiges Produkt für die Antragsgegnerin und konkurrierende soziale Medien: GIFs seien ein wichtiger Treiber von Nutzeraktivität und damit zusammenhängend ein wichtiger Treiber von Werbeeinnahmen (der Haupteinnahmequelle der meisten Sozialen Medien). Das Unternehmen T* (im Eigentum von Go*, einem Wettbewerber der Antragsgegnerin) sei die einzige relevante Alternative zum Zielunternehmen und werde als etwas schwächerer Anbieter gesehen. Die Ermittlungsergebnisse würden einen Anreiz für die Antragsgegnerin zur Umsetzung einer Abschottungsstrategie zeigen: Eine marktbeherrschende Stellung der Antragsgegnerin bei sozialen Medien und nicht‑suchgebundener Online-Werbung sei gegeben und wirke sich positiv auf die zu erwartenden Gewinne einer Abschottungsstrategie aus. Die Antragsgegnerin selbst gehe davon aus, dass andere Wettbewerber einen Anreiz zu einer Abschottungsstrategie in Bezug auf GIFs haben könnten. Die Kosten einer Abschottungsstrategie gegenüber Wettbewerbern wären gering. Der Nutzen einer Abschottungsstrategie gegenüber Wettbewerbern wäre hoch, da Wettbewerber geschwächt würden und die Antragsgegnerin ihre Marktposition absichern könnte. Das Zielunternehmen biete eine Kommunikations- und Werbetechnologie von zunehmender (finanzieller) Bedeutung, sowohl für die Antragsgegnerin als auch ihre direkten Konkurrenten, an. Die Absichtserklärung der Antragsgegnerin, den API-Zugang offenzuhalten, habe keinen Einfluss auf Anreize für eine Abschottungsstrategie.
[24] Die zu befürchtende Abschottung anderer Onlineplattformen, also eine Einschränkung, Verschlechterung, Verteuerung oder Koppelung an den Bezug von sonstigen Leistungen der Antragsgegnerin, werde den Wettbewerbsdruck durch bestehende Konkurrenten schwächen und die Antragsgegnerin insbesondere in die Lage versetzen, ihre Marktposition bei sozialen Medien mittelfristig abzusichern, die Preise auf dem Werbemarkt zu erhöhen im Vergleich zu einer Situation ohne den Zusammenschluss, sowie ihre Marktposition bei nicht‑suchgebundener Online‑Werbung mittelfristig abzusichern.
[25] Im Zuge der Transaktion erhalte die Antragsgegnerin Zugang zu wirtschaftlich wertvollen Daten, die das Zielunternehmen von seinen Nutzern aufzeichne, im Besonderen auch wettbewerblich sensible Daten über Wettbewerber der Antragsgegnerin im Markt für soziale Medien. Es bestehe die Gefahr, dass die Transaktion zu einer Situation führe, in der das Zielunternehmen einen Anreiz habe, die Konditionen der Nutzung seiner GIF-Bibliothek im Vergleich zu einer Situation ohne den Zusammenschluss zu verschlechtern, in der die Markteintrittsbarrieren im Markt für nicht‑suchgebundene Online-Werbung stiegen, sich die Position der Antragsgegnerin am Werbemarkt durch Monetarisierung der NutzerInnen ihrer direkten Konkurrenten verstärke, sowie die Antragsgegnerin in die Lage versetzt werde, frühzeitig gezielt auf innovative Wettbewerber reagieren zu können und die Entstehung von Wettbewerbsdruck frühzeitig abzuwenden.
[26] Weiters hätten die Ermittlungsergebnisse ergeben, dass sich das Zielunternehmen ohne die Transaktion höchstwahrscheinlich zu einem Wettbewerber der Antragsgegnerin im Markt für nicht‑suchgebundene Online‑Werbung entwickelt hätte. Die Antragsgegnerin integriere damit voraussichtlich einen potentiellen Wettbewerber mit dem Effekt eines Anstiegs des Preisniveaus im Vergleich zu einer Situation ohne den Zusammenschluss sowie einer Dämpfung des Innovationswettbewerbs zum Schaden der Werbekunden.
[27] Der Zweitantragsteller schloss sich dem Vorbringen der Erstantragstellerin an und führte ergänzend aus, durch den Zusammenschluss werde eine bereits deutlich marktbeherrschende Stellung der Antragsgegnerin auf den Märkten für soziale Medien sowie Online-Displaywerbung ohne Suchmaschinen in Österreich dadurch verstärkt, dass ein Zugang zu einer zusätzlichen Ressource – dem stark wachsenden Anteil an GIFs durch den Erwerb des Zielunternehmens – erworben werde. Gleichzeitig werde diese Ressource den Wettbewerbern gesamthaft entzogen oder bleibe allenfalls nur unter deutlich schlechteren Bedingungen, konkret der Herausgabe von mehr Nutzerdaten, erhalten. Durch den Erwerb werde auch verhindert, dass sich das Zielunternehmen eigenständig entwickeln und zu einem späteren Wettbewerber der Antragsgegnerin werden könnte.
[28] Darüber hinaus liege ein Medienzusammenschluss vor, der zu einer Schwächung der Angebotsvielfalt führe.
[29] Die Antragsgegnerin beantragte, den Zusammenschluss nicht zu untersagen. Sie brachte vor, die Prüfungsanträge gingen von einer unrichtigen Marktabgrenzung aus; das Zielunternehmen sei am Markt für online teilbare Inhalte tätig. Die Schadenstheorien der Antragsteller seien unbegründet, weil das Zielunternehmen ohne den Zusammenschluss kurzfristig aus dem Markt ausgeschieden wäre. Jedenfalls bestehe für die Antragsgegnerin weder die Fähigkeit noch ein Anreiz, eine vertikale Abschottung durchzusetzen. Das Zielunternehmen habe kein Werbegeschäft in Österreich; es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich zu einer wirksamen Wettbewerbskraft gegenüber der Antragsgegnerin auf dem österreichischen Markt entwickelt hätte. Die Antragsgegnerin werde durch den Zusammenschluss auch nicht in die Lage versetzt, kommerziell wertvolle Daten zu erhalten oder auf ihr noch nicht zur Verfügung stehende Daten von Wettbewerbern zuzugreifen. Es liege auch kein Medienzusammenschluss vor.
[30] Mit Schriftsatz vom 7. 12. 2021 erstattete die Antragsgegnerin einen Vorschlag über mögliche Auflagen. Dazu brachte sie vor, bei Festlegung des Beginns der Umsetzungspflichten der Antragsgegnerin sei auf die Besonderheiten Rücksicht zu nehmen, die sich aus der parallelen Prüfung des Zusammenschlusses durch ausländische Wettbewerbsbehörden ergebe. Der Antragsgegnerin sei durch eine Initial Enforcement Order der Competition and Markets Authority des Vereinigten Königreichs (CMA) vom 9. 6. 2020 weltweit eine weitere Umsetzung der bereits vollzogenen Transaktion untersagt worden; die Antragsgegnerin prüfe eine Anfechtung dieser Entscheidung, sodass der Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens im Vereinigten Königreich unklar sei. Eine konkrete Umsetzungspflicht aus einer Auflagenentscheidung könne erst dann begründet werden, wenn in sämtlichen ausländischen Prüfungsverfahren eine rechtskräftige Freigabe erteilt worden sei.
[31] Mit dem angefochtenen Beschluss vom 2. 2. 2022 sprach das Erstgericht aus, der am 20. 7. 2021 bei der Erstantragstellerin angemeldete Zusammenschluss der Antragsgegnerin mit dem Zielunternehmen werde unter den im Folgenden dargestellten Auflagen nicht untersagt.
[32] Die Auflagen sehen grundsätzlich zwei Maßnahmen vor, einerseits die Offenhaltung eines diskriminierungsfreien Zugangs zu den Dienstleistungen des Zielunternehmens (Spruchpunkt I.), andererseits Maßnahmen zum Aufbau eines zusätzlichen GIF-Anbieters (Spruchpunkt II.). Zur Überwachung der Umsetzung der Auflagen ist die Bestellung eines unabhängigen Auflagentreuhänders mit näher bestimmten Befugnissen vorgesehen (Spruchpunkt III.). Spruchpunkt IV. regelt die „Zeitliche Wirksamkeit der Auflagen“. Im Einzelnen wird – zusammengefasst – Folgendes vorgesehen:
[33] Spruchpunkt I. der Entscheidung des Erstgerichts („Diskriminierungsfreier Zugang zu den Dienstleistungen von [Antragsgegnerin“]) verlangt, den Zugang zur GIF-Bibliothek der Antragsgegnerin für bestehende und künftige API-Partner diskriminierungsfrei auf Grundlage der bereits vor dem Zusammenschluss bestehenden Bedingungen offenzuhalten (Punkt I.1.). Der Zugang darf nach Spruchpunkt I.2. nicht von der Übermittlung nutzerbezogener Daten an die Antragsgegnerin abhängig gemacht werden; die Verwendung von Proxy-Servern oder Caching wird allen API-Partnern ausdrücklich freigestellt (Spruchpunkt I.2.).
[34] Der Zugang der API-Partner zur GIF-Bibliothek des Zielunternehmens hat demnach auf Basis einer fremdüblichen Vereinbarung unter Einhaltung im einzelnen geregelter Vorgaben zu erfolgen (Spruchpunkt I.3.), wobei die Eckpunkte des zu schließenden Mustervertrags in den Auflagentext aufgenommen wurden. Dieser regelt zusammengefasst den zu den selben Bedingungen wie vor dem Zusammenschluss zu gewährenden Zugang zur GIF-Bibliothek des Zielunternehmens, die Grenzen des Nutzungsrechts, die Verfügbarkeit des Leistungsangebots, den näher ausgestalteten grundsätzlichen Ausschluss einer Verpflichtung der API-Partner zur Teilung ihrer Nutzerdaten, die Rechte des Zielunternehmens an seinem geistigen Eigentum und enthält schließlich eine Aufzählung von weiteren vertraglich regelbaren Fragen.
[35] Zum Aufbau eines zusätzlichen GIF-Anbieters (Spruchpunkt II.) ist einem nach objektiven Kriterien festgelegten Kreis alternativer GIF-Anbieter über die API‑Schnittstelle des Zielunternehmens diskriminierungsfrei und zu den bereits vor dem Zusammenschluss für die API‑Partner des Zielunternehmens geltenden Bedingungen voller Zugriff auf dessen GIF‑Bibliothek einschließlich des Such‑Index zu gewähren (Spruchpunkt II.1.). Spruchpunkt II.2. legt die Kriterien fest, denen GIF-Anbieter genügen müssen, um den in Punkt II.1. umschriebenen Zugriff nutzen zu dürfen. Nach Spruchpunkt II.3. dürfen die alternativen GIF‑Anbieter die GIFs des Zielunternehmens unter näher geregelten Rahmenbedingungen gemeinsam mit ihren eigenen GIFs an ihre nachgelagerten Partner ausspielen („Commingling“). Nach Spruchpunkt II.4. darf die Antragsgegnerin keine exklusiven Lizenzvereinbarungen mit Content Providern für GIFs des Zielunternehmens schließen. Der Zugang darf nicht von der Übermittlung nutzerbezogener Informationen abhängig gemacht werden, wobei alternative GIF‑Anbieter Proxy-Server oder Caching verwenden dürfen (Spruchpunkt II.5.).
[36] Nach Spruchpunkt II.6. hat der Zugang auf Grundlage eines fremdüblichen Vertrags zu erfolgen, wofür ein Mustervertrag in die Auflagen aufgenommen wurde. Dieser regelt zusammengefasst den den alternativen GIF‑Anbietern zur GIF-Bibliothek des Zielunternehmens zu gewährenden Zugang einschließlich der Erlaubnis des „Commingling“, die Grenzen des Nutzungsrechts, die Verfügbarkeit des Leistungsangebots, den näher ausgestalteten grundsätzlichen Ausschluss einer Verpflichtung der alternativen GIF‑Anbieter zur Teilung ihrer Nutzerdaten, die Pflichten der alternativen GIF-Anbieter, die Ausgestaltung von Herkunftshinweisen bei GIFs des Zielunternehmens, die Rechte des Zielunternehmens an seinem geistigen Eigentum und enthält schließlich eine Aufzählung von weiteren vertraglich regelbaren Fragen.
[37] Spruchpunkt III. enthält nähere Regelungen zu den Befugnissen des Auflagentreuhänders.
[38] Spruchpunkt IV. ordnet für die Auflage über den offenen und diskriminierungsfreien Zugang zur GIF‑Bibliothek des Zielunternehmens eine Dauer von fünf Jahren ab rechtskräftiger Freigabe des Zusammenschlusses durch alle für eine fusionskontrollrechtliche Prüfung des Zusammenschlusses zuständigen in- und ausländischen Wettbewerbsbehörden an; dieser Zeitpunkt wird als „Beginn der Durchführungsmöglichkeit“ bezeichnet (Punkt IV.1.). Für den Aufbau eines alternativen GIF‑Anbieters wird die Verpflichtung zur Umsetzung binnen sechs Monaten und eine Geltungsdauer von sieben Jahren, jeweils ab Beginn der Durchführungsmöglichkeit, angeordnet (Punkt IV.2.).
Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf das Erstgericht (auszugsweise) folgende weitere Feststellungen:
[39] Das Erstgericht traf Feststellungen zu den von der Antragsgegnerin und dem Zielunternehmen in den Jahren 2019 und 2020 in Österreich und weltweit erzielten Umsätzen, zu dem von der Antragsgegnerin 2020 weltweit erwirtschafteten Gewinn und zu den vom Zielunternehmen 2019 erlittenen Verlusten.
[40] Im Hinblick auf die Marktabgrenzung traf es detaillierte Feststellungen zu den jeweils als weitester bzw engster Kandidatenmarkt in Betracht kommenden Märkten für (erstens:) online teilbare Inhalte bzw GIF-Bibliotheken, (zweitens:) für die Aufmerksamkeit von NutzerInnen bzw für soziale Medien und (drittens:) für alle Werbekanäle bzw für nicht-suchgebundene Online-Werbung.
[41] Zur Marktstellung der beteiligten Unternehmen stellte es im Hinblick auf die Bereitstellung von durchsuchbaren GIF-Bibliotheken (unter anderem) fest, vor dem Zusammenschluss sei aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Zielunternehmens nicht von einer starken, keinesfalls jedoch von einer marktbeherrschenden Stellung des Zielunternehmens auszugehen. Das Zielunternehmen sei nicht in der Lage, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs bei der Bereitstellung von durchsuchbaren GIF‑Bibliotheken zu verhindern und sich in nennenswertem Umfang unabhängig von seinen Wettbewerbern, ihren AbnehmerInnen und von den VerbraucherInnen zu verhalten.
[42] Hinsichtlich des weltweiten Markts für soziale Medien (bzw Märkten, wenn es sich bei den Diensten der Antragsgegnerin um unterschiedliche Märkte handeln würde) sei die Antragsgegnerin in der Lage, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs zu verhindern.
[43] Auch auf dem nationalen Markt für Online-Werbung (suchgebundene und nicht‑suchgebundene) sei die Antragsgegnerin in der Lage, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs zu verhindern.
[44] Im Hinblick auf Veränderungen der Marktstruktur durch den Zusammenschluss ergebe sich keine bedenkliche Änderung der Wettbewerbssituation durch eine Addition von Marktanteilen, weil die Antragsgegnerin und das Zielunternehmen – unabhängig von der Marktabgrenzung – keine aktuellen Wettbewerber seien. Bei der Bereitstellung durchsuchbarer GIF-Bibliotheken an Dritte könne nicht festgestellt werden, dass es in diesem Bereich durch andere als horizontale Wirkungen zu einer Entstehung oder Verstärkung einer überragenden Marktposition komme. Am weltweiten Markt für soziale Medien könne weder ein Anreiz der Antragsgegnerin festgestellt werden, anderen Anbietern von durchsuchbaren GIF-Bibliotheken den Zugang zu Kunden abzuschneiden, noch sei feststellbar, dass die vom Zielunternehmen verarbeiteten Daten für die Antragsgegnerin eine besondere Bedeutung hätten. Allerdings erhalte die Antragsgegnerin durch den Zusammenschluss die Möglichkeit, auf dem Markt für soziale Medien andere Unternehmen vom Zugang zu den GIFs des Zielunternehmens abzuschotten, etwa indem sie den Zugang von Konkurrenten zu den GIFs des Zielunternehmens von einer Gegenleistung abhängig mache, die Qualität der Nutzung verringere oder Konkurrenten vollständig ausschließe. Die Kosten dafür seien gering. Die Abschottung könne die Konkurrenten der Antragsgegnerin schwächen, indem Nutzeraktivität auf den Konkurrenz-Plattformen reduziert werde, was die Dienste der Antragsgegnerin für Werbetreibende attraktiver mache. Dadurch würde sich die bereits bestehende überragende Marktposition der Antragsgegnerin auf dem Markt für soziale Medien weiter verstärken. Ohne entsprechende Gegenmaßnahmen sei im Fall einer derartigen Abschottung zu erwarten, dass dadurch das Wachstum bestehender Wettbewerber eingeschränkt werde bzw Markteintrittsschranken entstünden. Eine ausreichende wettbewerbliche Gegenkraft wäre nicht gegeben; insbesondere bestünden keine ausreichenden Ausweichmöglichkeiten auf andere GIF‑Bibliotheken, weil diese einen Anreiz erhielten, ihre eigenen Konditionen zu verschlechtern.
[45] Ohne den Zusammenschluss hätte die realistische Möglichkeit bestanden, dass das Zielunternehmen geschrumpft wäre oder im reduzierten Umfang Leistungen angeboten hätte oder gänzlich aus dem Markt ausgeschieden wäre, dies allerdings nicht kurzfristig (innerhalb von drei Monaten), sondern frühestens mittelfristig innerhalb von zwei bis drei Jahren. Dadurch hätten sich ebenfalls negative Effekte wie bei einer teilweisen oder vollständigen Abschottung eingestellt. Es könne aber nicht festgestellt werden, dass die Vermögenswerte des Zielunternehmens und seine Marktposition in diesem Fall genauso der Antragsgegnerin zugeflossen oder vom Markt genommen worden wären. Es hätte auch ein anderes, weniger marktmächtiges Unternehmen das Zielunternehmen – wenn auch nicht kurzfristig – erwerben können.
[46] Auf dem nationalen Markt für (suchgebundene und nicht‑suchgebundene) Online-Werbung werde die marktbeherrschende Stellung der Antragsgegnerin nicht durch horizontale Wirkungen des Zusammenschlusses verstärkt, weil das Zielunternehmen auf diesem Markt aufgrund im Einzelnen festgestellter Umstände kein potentieller Wettbewerber der Antragsgegnerin sei.
[47] Eine Abschottung von Einsatzmitteln auf dem Markt für soziale Medien würde sich aber auch auf dem nationalen Markt für Online-Werbung auswirken und zu einer Verstärkung der Marktposition der Antragsgegnerin im Online-Werbemarkt führen. Eine ausreichende wettbewerbliche Gegenkraft wäre im Fall der Abschottung von Einsatzmitteln auch in Bezug auf den Online-Werbemarkt nicht gegeben, weil in diesem Fall auch diese Unternehmen den gleichen Anreiz hätten, ihre Konditionen zu verschlechtern, sodass keine ausreichenden Ausweichmöglichkeiten auf andere GIF‑Bibliotheken zur Verfügung stünden.
[48] Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen würden durch den Zusammenschluss in Form von Produktverbesserungen auf dem weltweiten Markt für soziale Medien und dem nationalen Markt für Online-Werbung realistischer; allerdings sei die Umsetzung von Verbesserungen am Werbemarkt nur einem integrierten Unternehmen wie der Antragstellerin realistisch möglich, was im Fall einer Abschottung zu Lasten der Wettbewerberinnen der Antragsgegnerin ginge.
[49] (Nur) Die im Spruch genannten Auflagen würden eine Verstärkung der Marktposition der Antragsgegnerin am weltweiten Markt für soziale Medien und am nationalen Markt für Online-Werbung durch Abschottung wirksam und nachhaltig verhindern. Die Marktteilnehmer seien sehr gut informiert und der Markt sei transparent, sodass die zeitnahe Überwachung, Meldung und Durchsetzung von Verstößen gegen die Auflagen gewährleistet sei.
[50] Rechtlich bejahte das Erstgericht die Qualifikation des Erwerbsvorgangs als Zusammenschluss iSd § 7 Abs 1 Z 3 KartG und die Anmeldebedürftigkeit gemäß § 9 Abs 4 KartG. Da die Umsatzschwellen des Art 1 Abs 2 lit b und Abs 3 lit d der EG-Fusionskontrollverordnung (FKVO) nach den Feststellungen nicht erreicht seien, falle der Zusammenschluss nicht in den Anwendungsbereich der FKVO. Der Zusammenschluss bedürfe zwar nicht nach § 9 Abs 1 KartG, wohl aber nach § 9 Abs 4 KartG der Anmeldung.
[51] Für die Prüfung des Zusammenschlusses nach § 12 KartG (in der gemäß § 86 Abs 12 KartG anzuwendenden Fassung vor dem KaWeRÄG 2021, BGBl I 2021/176) sei im ersten Schritt zu prüfen, ob der Zusammenschluss wegen Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung zu untersagen wäre (§ 12 Abs 1 KartG), im zweiten Schritt seien die Rechtfertigungsgründe des § 12 Abs 2 KartG zu prüfen. Die Prüfung setze zunächst die – nach dem Bedarfsmarktkonzept vorzunehmende – Abgrenzung der relevanten Märkte voraus.
[52] Da die sachliche Abgrenzung eines Markts für die Bereitstellung von GIF-Bibliotheken voraussetzen würde, dass GIFs bzw GIF-Bibliotheken durch andere Treiber von Nutzeraktivitäten nicht austauschbar seien, eine solche Feststellung aber nicht getroffen werden konnte, könne der Markt sachlich nicht in diesem Sinn abgegrenzt werden.
[53] Mangels einer möglichen Marktabgrenzung im Bereich der Bereitstellung von GIF-Bibliotheken könne nicht von einer marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin oder des Zielunternehmens (gemeint: auf einem solchen Markt) ausgegangen werden. Selbst wenn man einen solchen Markt abgrenzen könnte, käme zum maßgeblichen Zeitpunkt vor dem Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung des Zielunternehmens nicht in Betracht, weil es ihm an Finanzkraft fehle. Eine marktbeherrschende Stellung der Antragsgegnerin komme nicht in Betracht, weil sie zum Zeitpunkt vor dem Zusammenschluss im Bereich der Bereitstellung von GIF-Bibliotheken nicht tätig gewesen sei.
[54] Der Antragsgegnerin komme aber eine marktbeherrschende Stellung am weltweiten Markt für soziale Medien (soziale Netzwerke und Instant Messaging Dienste wie jene der Antragsgegnerin) zu. Das Zielunternehmen sei in diesem Bereich bis zum Zusammenschluss nicht tätig gewesen.
[55] Darüber hinaus komme der Antragsgegnerin, nicht aber dem Zielunternehmen, auf dem österreichischen Online-Werbemarkt (für suchgebundene und nicht- suchgebundene Online-Werbung zusammen) eine marktbeherrschende Stellung zu. Hingegen sei das Zielunternehmen am österreichischen Werbemarkt nie tätig gewesen, sodass ihm auch keine marktbeherrschende Stellung zukomme. Bei der Zusammenschlussprüfung sei eine Prognoseentscheidung über die Auswirkungen des Zusammenschlussvorhabens auf die Wettbewerbsbedingungen zu treffen. Die Untersagung setze voraus, dass sich der Zusammenschluss nachteilig auf den (Rest-)Wettbewerb auswirke, und zwar entweder durch Begründung einer marktbeherrschenden Stellung oder ihre Verstärkung. Der erste Fall setze voraus, dass vor dem Zusammenschluss noch keine marktbeherrschende Stellung bestanden habe. Das treffe für die Antragsgegnerin nur im Bereich der GIF-Bibliotheken zu, sodass nur dort eine marktbeherrschende Stellung begründet werden könne. Mangels Abgrenzbarkeit eines Markts für GIF-Bibliotheken sei aber (auf Tatsachenebene) auch eine Veränderung der Position der Antragsgegnerin auf einem solchen Markt nicht feststellbar gewesen, sodass insofern kein Untersagungsgrund vorliege.
[56] Auf dem weltweiten Markt für soziale Medien und dem nationalen Markt für Online-Werbung (unabhängig davon, ob er nur nicht‑suchgebundene oder auch suchgebundene Online-Werbung erfasse), stehe eine Änderung der Wettbewerbssituation aufgrund des Zusammenschlusses, insbesondere durch horizontale Wirkungen durch Marktanteilsaddition, nicht fest.
[57] Neben einem hier nicht nachweisbaren Zuwachs an Marktanteilen durch den Erwerb eines Mitbewerbers könne eine marktbeherrschende Stellung aber auch dadurch verstärkt werden, dass der Zusammenschluss den (Rest-)Wettbewerb sonst schwäche. So könnten auch Zusammenschlüsse zwischen einem auf dem relevanten Markt bereits tätigen Unternehmen mit einem (dort noch nicht tätigen) potentiellen Wettbewerber unter den Voraussetzungen gemäß Rz 60 der Horizontalleitlinien ähnliche wettbewerbswidrige Wirkungen zeitigen wie Fusionen zwischen zwei Unternehmen, die auf demselben relevanten Markt bereits tätig seien. Die notwendigen Voraussetzungen dafür seien hier aber nicht erfüllt, weil vom Zielunternehmen kein spürbarer Wettbewerbsdruck auf die Antragsgegnerin am Werbemarkt ausgegangen sei und keine konkreten Anhaltspunkte für einen (spürbaren) Markteintritt des Zielunternehmens in den nationalen Online-Werbemarkt vorlägen. Es könne nicht von einer Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin am nationalen Online-Werbemarkt durch die Ausschaltung des Zielunternehmens als potentiellen Wettbewerber ausgegangen werden.
[58] Eine sonstige Schwächung des (Rest‑)Wettbewerbs könne aber auch dadurch zu einer Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung führen, dass der Zusammenschluss den Zugang tatsächlicher oder potentieller Wettbewerber zu Produktionsmitteln oder Märkten behindere oder unmöglich mache und dadurch die Konkurrenzfähigkeit dieser Unternehmen einschränke. Eine Abschottung könne Wettbewerber vom Markteintritt oder Wachstum abhalten oder sie zum Marktaustritt veranlassen. Es reiche bereits, dass die Wettbewerber benachteiligt würden und ihre Konkurrenzfähigkeit nachlasse.
[59] Da ein Anreiz der Antragsgegnerin, anderen Anbietern von durchsuchbaren GIF-Bibliotheken den Zugang zu Kunden abzuschotten und eine besondere Bedeutung der Daten des Zielunternehmens für die Antragsgegnerin nicht festgestellt werden konnten, komme eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin insofern nicht in Betracht.
[60] Eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin ergebe sich aber aufgrund der Möglichkeit der Abschottung von den Einsatzmitteln.
[61] Eine Abschottung werde dann angenommen, wenn das fusionierte Unternehmen nach dem Zusammenschluss in der Lage sei, den Zugang zu solchen Produkten oder Dienstleistungen zu beschränken, die es ohne die Fusion geliefert hätte. Dies erhöhe die Kosten der nachgeordneten Wettbewerber. Die Abschottung bei Einsatzmitteln könne nur dann wettbewerbliche Probleme aufwerfen, wenn sie ein für das nachgeordnete Produkt wichtiges Einsatzmittel betreffe. Dies sei bei der Bereitstellung von GIFs über GIF‑Bibliotheken zu bejahen.
[62] Nach Rz 32 der Vertikalleitlinien sei bei der Ermittlung einer wettbewerbswidrigen Abschottung zu untersuchen, ob das fusionierte Unternehmen die Möglichkeit hätte, den Zugang zu den Einsatzmitteln abzuschotten, ob es den Anreiz dazu hätte und ob eine Abschottungsstrategie spürbare nachteilige Auswirkungen auf den nachgeordneten Wettbewerb hätte. Im vorliegenden Fall seien sowohl die Fähigkeit als auch der Anreiz der Antragsgegnerin zu bejahen. Eine Abschottungsstrategie hätte auch spürbare nachteilige Auswirkungen auf den nachgeordneten Wettbewerb auf den Märkten für soziale Medien und dem Online-Werbemarkt; eine ausreichende Gegenmacht würde auf diesen Märkten nicht verbleiben. Die wettbewerblichen Bedenken gegen den Zusammenschluss bestünden im vorliegenden Fall daher darin, dass dadurch die marktbeherrschende Stellung der Antragsgegnerin auf dem weltweiten Markt für soziale Medien und dem nationalen Online-Werbemarkt aufgrund der Verfügbarkeit über und die dadurch ermöglichte Abschottung von Einsatzmitteln, konkret den GIFs bzw den Zugang zur GIF-Bibliothek, verstärkt werde.
[63] Der Zusammenschluss sei nur zu untersagen, wenn zwischen ihm und der prognostizierten Verschlechterung der Marktstruktur ein Kausalzusammenhang bestehe. Wäre eine Verschlechterung in gleicher Weise auch ohne den Zusammenschluss eingetreten, sei die Untersagung nicht gerechtfertigt. Die Kausalität sei hier zu bejahen.
[64] Die Antragsgegnerin halte dem entgegen, dass das Zielunternehmen mit seiner Vermarktungsstrategie gescheitert sei und kurzfristig aus dem Markt ausgeschieden wäre. Sie berufe sich auf eine Sanierungsfusion (failing firm defence, failing company defence). Die dafür nach der Rechtsprechung des EuGH (Rs C-68/94 , Kali+Salz) erforderlichen Voraussetzungen würden aber nicht vorliegen, weil keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestünden, dass das Zielunternehmen ohne die Fusion kurzfristig aus dem Markt ausscheide und weil für einen allfälligen Marktaustritt nicht feststehe, dass die Vermögenswerte des Zielunternehmens zwangsläufig vom Markt genommen würden. Durch den Zusammenschluss erlange die Antragsgegnerin die Möglichkeit, andere Wettbewerber von den Einsatzmitteln abzuschotten, sodass sie einen Vorteil gegenüber ihren Wettbewerbern erlange, den sie bei einem bloßen Marktaustritt des Zielunternehmens nicht erlangt hätte. Die Argumention der Antragsgegnerin mit einer Sanierungsfusion scheitere daher.
[65] Rechtfertigungsgründe iSd § 12 Abs 2 KartG lägen nicht vor.
[66] Die Beurteilung, ob ein Medienzusammenschluss gemäß § 8 KartG vorliege, könne auf sich beruhen, weil bereits der Untersagungsgrund nach § 12 KartG verwirklicht sei und auch eine Beeinträchtigung der Medienvielfalt durch geeignete Auflagen aufgehoben werden könne.
[67] Da die Voraussetzungen der Nichtuntersagung nicht erfüllt seien, sei schließlich zu prüfen, ob die Nichtuntersagung mit entsprechenden Auflagen zu verbinden sei. Diese müssten die wettbewerblichen Bedenken vollständig beseitigen und in jeder Hinsicht vollständig und wirksam sein.
[68] Die Auflagen im vorliegenden Fall bestünden aus mehreren Komponenten, konkret dem diskriminierungsfreien Zugang zu den Dienstleistungen des Zielunternehmens und dem Aufbau eines zusätzlichen alternativen GIF-Anbieters. Zur Überwachung der Umsetzung und Einhaltung der Auflagen werde ein Auflagentreuhänder eingesetzt. Dadurch werde eine effektive Kontrolle gewährleistet, weil der Markt sehr transparent sei und Verstöße der Antragsgegnerin dem Treuhänder von anderen Marktteilnehmern rasch gemeldet werden könnten.
[69] Die Auflagen seien – aus näher angeführten Erwägungen – für die Dauer von fünf Jahren (hinsichtlich des diskriminierungsfreien Zugangs zu den Dienstleistungen des Zielunternehmens) bzw sieben Jahren (hinsichtlich des Aufbaus eines alternativen GIF-Anbieters) zu befristen. Die Fristen berechneten sich nicht nach der Rechtskraft der Entscheidung, sondern ab der Möglichkeit der Umsetzung, die eintrete, sobald alle nationalen fusionskontrollrechtlichen Verfahren (positiv) abgeschlossen seien, also die Antragsgegnerin befugt sei, den Zusammenschluss (und damit auch die Auflagen) vollständig durchzuführen. Derzeit stehe dem die Initial Enforcement Order der britischen Wettbewerbsbehörde entgegen. Dieser Zeitpunkt werde in dem von der Antragsgegnerin vorgeschlagenen Auflagentext als „Auflagenwirksamkeit“ bezeichnet, was im Spruch klarstellend als Durchführungsmöglichkeit bezeichnet werde, weil die Auflagen jedenfalls gleichzeitig mit der Rechtskraft der Entscheidung im vorliegenden Verfahren wirksam würden und dann auch einzuhalten seien. Durch die Fristberechnung erst ab der Durchführungsmöglichkeit sei sichergestellt, dass die Auflagenziele unabhängig vom Zeitpunkt der Freigabe des Zusammenschlusses erreicht werden könnten.
[70] Gegen diese Entscheidung richten sich die – von der Antragsgegnerin beantworteten – Rekurse der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers, mit denen sie beantragen, die Entscheidung des Erstgerichts dahin abzuändern, dass der Zusammenschluss untersagt werde; hilfsweise stellen sie Aufhebungsanträge.
[71] Die Rekurse gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 2. 2. 2022 sind nicht berechtigt.
[72] Da die Rekurse in einigen Fragen übereinstimmende Rügen erheben, ist es zweckmäßig, sie gemeinsam nach thematischen Fragen geordnet zu behandeln.
II.1. Zur behaupteten Befangenheit des Sachverständigen
[73] II.1.1. Die Erstantragstellerin bekämpft die Entscheidung über die Sache mit dem Argument, der Sachverständige sei aus den bereits in ihrem Ablehnungsantrag geltend gemachten Gründen befangen.
[74] Der Zweitantragsteller macht als Verfahrensmangel geltend, es sei ein befangener Sachverständiger tätig geworden.
[75] II.1.2. Die von den Amtsparteien erhobenen Ablehnungsanträge sind rechtskräftig abgewiesen. Der Zweitantragsteller hat gegen die Abweisung seines Ablehnungsantrags durch das Erstgericht keinen Rekurs erhoben; dem Rekurs der Erstantragstellerin wurde (oben zu I.) nicht Folge gegeben. Da sich eine Befangenheit des Sachverständigen nicht ergeben hat, entbehrt das Rekursvorbringen dazu einer Grundlage. Es ist daher nicht geeignet, eine Mangelhaftigkeit der Entscheidung des Erstgerichts aufzuzeigen.
II.2. Zur Tatsachenrüge
[76] II.2.1. Die Erstantragstellerin bringt vor, es bestünden erhebliche Bedenken iSd § 49 Abs 3 KartG gegen die Richtigkeit der der Entscheidung des Erstgericht zugrunde gelegten Tatsachenfeststellung, dass die Marktteilnehmer sehr gut informiert und der Markt transparent seien, sodass die zeitnahe Überwachung, Meldung und Durchsetzung von Verstößen gegen die Auflagen gewährleistet seien.
[77] Die Feststellung beruhe auf den Ausführungen des Sachverständigen im Zuge der Gutachtenserörterung, in denen er auf die Angabe eines API-Partners in dem von ihm durchgeführten Markttest verweise. Die Antwort des genannten API-Partners und der anderen zwei API-Partner, von denen Antworten zur Verfügung stünden, auf die entsprechende und auf verwandte Fragen im Markttest würden die Ausführungen des Sachverständigen aber nicht tragen. Das Erstgericht hätte aufgrund der Ergebnisse des Markttests vielmehr zum Ergebnis kommen müssen, dass eine zeitnahe Überwachung, Meldung und Durchsetzung von Verstößen gegen die Auflagen nicht gewährleistet sei.
[78] II.2.2. Nach dem – mit dem KaWeRÄG 2017 (BGBl I 2017/56) eingeführten – § 49 Abs 3 KartG kann sich der Rekurs auch darauf gründen, dass sich aus den Akten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der der Entscheidung des Kartellgerichts zugrunde liegenden Tatsachen ergeben. Nach den Gesetzesmaterialien (1522 BlgNR 25. GP 14) sollte mit dieser Regelung der in den Beiratsstudien wiederholt geäußerte Wunsch nach einer zweiten Tatsacheninstanz durch eine an § 281 Abs 1 Z 5a StPO angelehnte Regelung, sohin eine beschränkte Anfechtungsmöglichkeit von Tatfragen beim Kartellobergericht (JAB 1529 BlgNR 25. GP 1) umgesetzt werden.
[79] II.2.3. § 281 Abs 1 Z 5a StPO erfordert, dass aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Feststellungen aufkommen lassen, somit intersubjektiv – gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen – eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahe legen (RS0119583 [insb T8]; 16 Ok 3/21h; 16 Ok 1/18k [16 Ok 2/18g]). Der Versuch, unter eigenständiger Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Verfahrensergebnissen die Erwägungen der Tatrichter in Zweifel zu ziehen, bringt den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO nicht zur Darstellung (16 Ok 3/21h; 12 Os 119/15i).
[80] Die zu § 281 Abs 1 Z 5a StPO ergangene Rechtsprechung ist auf die Auslegung des § 49 Abs 3 KartG übertragbar (16 Ok 1/18k [16 Ok 2/18g]; 16 Ok 3/21h).
[81] II.2.4. Die Erstantragstellerin zieht in ihrem Rekurs nicht in Zweifel, dass die bekämpfte Feststellung im Einklang mit den Ausführungen des Sachverständigen – konkret in der mündlichen Verhandlung am 19. 1. 2022 im Zuge der Gutachtenserörterung – steht. Nach dem Rekursvorbringen fehlt es den Ausführungen des Sachverständigen zur Frage der Markttransparenz und effizienten Überwachung der Auflagen durch den Treuhänder aber an Überzeugungskraft, weil sich die zugrunde liegende gutachterliche Wertung nicht aus den im Rekurs auszugsweise zitierten Ergebnissen des Markttests ableiten lasse.
[82] II.2.5. Der Sachverständige fasste in seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 16. 1. 2022, das in der mündlichen Verhandlung am 19. 1. 2022 erörtert wurde, die Ergebnisse des von ihm durchgeführten Markttests zunächst zusammen, unterzog sie dann einer Analyse und gründete darauf seine Einschätzung der einzelnen vorgeschlagenen Auflagen. In diese Einschätzung flossen nicht nur die im Rekurs zitierten Antworten ein, sondern etwa auch die Antwort eines API-Partners, nach der ein allfälliges Abweichen von der Vereinbarung seitens der Antragsgegnerin/dem Zielunternehmen beobachtet werden könnte (Ergänzungsgutachten S 26 oben). Das Erstgericht stellte in seiner Beweiswürdigung klar, dass es seine Feststellungen zu den zu erwartenden Auswirkungen der Auflagen nicht isoliert auf den Markttest, sondern auf die vom Sachverständigen auf Basis dieses Test vorgenommene eigene wettbewerbsökonomische Einschätzung gründete. Aktenkundigen Bedenken gegen das Ergebnis dieser Einschätzung können allein aus der Wiedergabe einzelner Erhebungsergebnisse des Markttests nicht abgeleitet werden.
[83] Die Überprüfungsbefugnis des Kartellobergerichts gemäß § 49 Abs 3 KartG geht daher im vorliegenden Fall nicht so weit, die vom Sachverständigen aus den Ergebnissen des Markttests gezogenen Schlüsse anhand der im Rekurs herausgegriffenen Erhebungsergebnisse zu überprüfen.
II.3. Zur Rüge methodischer Mängel des Gutachtens
[84] II.3.1. Die Ergebnisse von Sachverständigengutachten können insoweit wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten werden, als es um die Bewertung der (beispielsweise der Marktabgrenzung) zugrunde gelegten Methode geht (vgl RS0124421) oder dem Sachverständigen bei seinen Schlussfolgerungen ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze oder gegen objektiv überprüfbare Gesetze sprachlichen Ausdrucks unterlaufen ist (16 Ok 1/18k [16 Ok 2/18g]; 16 Ok 46/05 MR 2006, 331 [Wittmann]; vgl RS0110381 [T3]; RS0043168).
[85] II.3.2. Der Zweitantragsteller macht in seinem Rekurs geltend, das eingeholte Sachverständigengutachten lasse eine Trennung zwischen Befund und Gutachten vermissen, wodurch eine Überprüfung im Hinblick auf die Einhaltung zwingender Denkgesetze verhindert werde.
[86] II.3.3. Das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 1. 11. 2021 folgt einer detaillierten, in der Einleitung des Gutachtens erläuterten Gliederung, die die Themen der jeweiligen Darstellung, Untersuchung oder Diskussion sowie – davon abgegrenzt – die Schlussfolgerungen des Sachverständigen ausweist. Dass ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze wegen der fehlenden Unterscheidung zwischen der faktischen Darstellung und den fachlichen Schlussfolgerungen und Bewertungen des Sachverständigen nicht erkennbar wäre, ist daher nicht ersichtlich. Ein konkreter Verstoß gegen Denkgesetze wird nicht dargelegt.
II.4. Zu den behaupteten rechtlichen Feststellungsmängeln
II.4.1. Rechtliche Grundlagen
[87] II.4.1.1. Nach § 86 Abs 12 KartG kommt im vorliegenden Fall, in dem die Anmeldung des Zusammenschlusses vor dem 31. 12. 2021 erfolgte, § 12 KartG idF vor dem KaWeRÄG 2021 (BGBl I 2021/167) zur Anwendung. Nach § 12 Abs 1 KartG idF vor dem KaWeRÄG 2021 hat das Kartellgericht, wenn die Prüfung des Zusammenschlusses beantragt worden ist,
1. den Antrag zurückzuweisen, wenn kein anmeldebeürftiger Zusammenschluss vorliegt;
2. den Zusammenschluss zu untersagen, wenn zu erwarten ist, dass durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung (§ 4 KartG) entsteht oder verstärkt wird; oder, wenn dies nicht der Fall ist,
3. auszusprechen, dass der Zusammenschluss nicht untersagt ist.
[88] § 12 Abs 2 KartG normiert – hier nicht gegenständliche – Gründe, bei deren Vorliegen trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 12 Abs 1 KartG der Zusammenschluss nicht untersagt wird. Nach § 12 Abs 3 KartG kann das Kartellgericht – wie im vorliegenden Fall – die Nicht-Untersagung eines Zusammenschlusses mit entsprechenden Auflagen verbinden.
[89] Das Erstgericht hat die Grundsätze der Zusammenschlussprüfung – einschließlich der sinngemäßen Berücksichtigung (vgl dazu RS0117904) der Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl 2004 C 31/5; künftig: Horizontalleitlinien) und zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl 2008 C 265/6; künftig: Vertikalleitlinien)– zutreffend dargestellt, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 60 Abs 2 AußStrG).
[90] II.4.1.2. Die Aufgabe der Marktabgrenzung bei der Beurteilung kartellrechtlicher Sachverhalte liegt darin, Wettbewerbsbeziehungen zu identifizieren. Mit der Abgrenzung eines Marktes in sowohl seiner sachlichen als auch seiner räumlichen Dimension soll ermittelt werden, welche konkurrierenden Unternehmen tatsächlich in der Lage sind, dem Verhalten der beteiligten Unternehmen Schranken zu setzen und sie daran zu hindern, sich einem wirksamen Wettbewerbsdruck zu entziehen (Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl 1997 C 372/5 [künftig: Bekanntmachung über die Marktdefinition] Rz 2; 16 Ok 6/12 mwN; RS0129158).
[91] II.4.1.3. Nach dem in § 23 KartG verankerten Bedarfsmarktkonzept liegt derselbe Markt vor, wenn sich die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen in ihren für die Deckung desselben Bedarfs wesentlichen Eigenschaften von anderen unterscheiden und aus Sicht der Bedarfsträger als Marktgegenseite beliebig gegeneinander austauschbar sind. Entscheidend ist die (funktionelle) Austauschbarkeit der Waren bzw Leistungen aus Sicht der Marktgegenseite (RS0124671; RS0116046 [T2, T3]; vgl RS0063539; RS0110206).
[92] II.4.1.4. Die Frage der Marktabgrenzung ist Tatfrage, soweit es dabei um die Feststellung objektiv überprüfbarer Abgrenzungskriterien geht, sie ist Rechtsfrage, soweit es um eine Bewertung der der Marktabgrenzung zugrunde gelegten Methode geht (RS0124421).
[93] II.4.1.5. Wirft ein Vorgang im Rahmen aller denkbaren Marktdefinitionen keine Wettbewerbsbedenken auf, kann die Frage der Marktdefinition nach Rz 27 der Bekanntmachung der Kommission über die Marktdefinition offen gelassen werden (vgl dazu Körber in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht III6 Art 2 FKVO Rz 31).
[94] II.4.1.6. Im außerstreitigen Kartellverfahren gilt grundsätzlich der Untersuchungsgrundsatz (16 Ok 4/03; RS0117902). Der Untersuchungsgrundsatz enthebt in Verfahren, die nur über Antrag einzuleiten sind, die antragstellende Partei nicht ihrer Verpflichtung, das Vorhandensein der gesetzlichen Voraussetzungen für den Antrag zu behaupten (16 Ok 4/03), allerdings sind im Rahmen eines schlüssigen Tatsachenvorbringens grundsätzlich alle relevanten Beweismittel von Amts wegen aufzunehmen; es gibt keine subjektive Beweisführungslast (16 Ok 5/18y; 16 Ok 8/02; Solé/Kodek/Völkl-Torggler, Das Verfahren vor dem Kartellgericht² Rz 129). In Fusionskontrollverfahren darf sich das Kartellgericht auch nicht – auch wenn die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben in der Anmeldung in die durch Geldbußen abgesicherte Verantwortlichkeit des Anmelders fällt – mit offensichtlich unzureichenden oder undeutlichen Angaben begnügen, sondern ist von Amts wegen verpflichtet, die zur Beurteilung erforderlichen Umstände zu erheben und dabei zweckdienlichen Hinweisen der Amtsparteien nachzugehen (16 Ok 7/07; RS0107569; Solé/Kodek/Völkl-Torggler, Das Verfahren vor dem Kartellgericht² Rz 127). Nur dann, wenn das Gericht auch mittels amtswegiger Beweisaufnahmen außer Stande ist, bestimmte Sachverhaltselemente aufzuklären, geht dies zu Lasten jener Partei, die diese Tatsachen für sich in Anspruch nahm oder zu deren Gunsten sie sich im Fall ihrer Erweislichkeit ausgewirkt hätten (Höllwerth in Gitschthaler/ Höllwerth, AußStrG² § 16 Rz 33; Solé/Kodek/Völkl-Torggler, Das Verfahren vor dem Kartellgericht² Rz 129).
[95] Dem stehen keine unionsrechtlichen Erwägungen entgegen. Für die Zusammenschlussprüfung nach der FKVO liegt die Beweislast grundsätzlich immer – sowohl für Untersagungs- als auch für Freigabeentscheidungen – bei der Kommission (Körber in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht III6 Art 2 FKVO Rz 208 mwN); es sind für Freigabe- oder Untersagungsentscheidungen keine unterschiedlichen Beweisanforderungen einzuhalten (EuGH C‑413/06P , Impala, Rz 46 ff, insb Rz 51). Es kommt vielmehr auf die Hauptfunktion des Beweises an, der im Bereich der Fusionskontrolle darin liegt, die Beurteilungen, auf denen die Entscheidungen der Kommission beruhen, zu untermauern (EuGH C‑413/06P , Impala, Rz 50), sodass die Kommission entweder für die Genehmigung oder Untersagung eines Zusammenschlusses Stellung zu beziehen hat, je nachdem, welche wirtschaftliche Entwicklung des Zusammenschlusses sie für die wahrscheinlichste hält (EuGH aaO Rz 51). Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich keine Anforderungen, die der oben dargestellten Regelung der objektiven Beweislast (in Fällen eines non-liquet) entgegenstünden.
[96] II.4.1.7. Die Feststellungsgrundlage einer gerichtlichen Entscheidung ist nur dann mangelhaft, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317). Wenn zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, können diesbezüglich auch keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]).
II.4.2. Rechtliche Feststellungsmängel betreffend die Marktabgrenzung
[97] II.4.2.1. Die Erstantragstellerin macht rechtliche Feststellungsmängel und einen Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz geltend, weil das Erstgericht keine Feststellungen zur Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin auf dem (behaupteten) Markt für durchsuchbare GIF-Bibliotheken für Dritte getroffen habe. Das Erstgericht hätte die Abgrenzung dieses Markts sowie die Frage, ob durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung der Antragsgegnerin auf dem Markt für durchsuchbare GIF-Bibliotheken für Dritte entstehe – wofür sich im Verfahren Anhaltspunkte ergeben hätten – nicht offenlassen dürfen.
[98] II.4.2.2. Die gerügte Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und die behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor.
[99] II.4.2.3. Zur Abgrenzung des hier angesprochenen Markts in sachlicher Hinsicht – wofür nach den Feststellungen als weitester Kandidatenmarkt der Markt für die Bereitstellung online teilbarer Inhalte, die im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Nutzer stehen, und als engster Kandidatenmarkt jener für die Bereitstellung durchsuchbarer GIF-Bibliotheken für Dritte in Betracht kamen – traf das Erstgericht auf die Ausführungen des Sachverständigen gegründete Feststellungen zur Substituierbarkeit von GIFs durch andere Treiber von Nutzeraktivität, konkret dahin, dass das Fehlen der Substituierbarkeit nicht feststellbar war. Daher liegt kein sekundärer Feststellungsmangel zur – für die Marktabgrenzung wesentlichen – Tatsachenfrage der Substituierbarkeit der vom Zielunternehmen angebotenen Leistungen vor.
[100] Da das Erstgericht die Frage der Substituierbarkeit mit dem Sachverständigen erörterte (vgl das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 18. 11. 2021, S 4, 6), ist auch eine Verletzung des Untersuchungs-grundsatzes nicht ersichtlich. Welche zusätzlichen Beweisaufnahmen das Erstgericht nach Ansicht der Erstantragsgegnerin hätte durchführen müssen, wird im Rekurs auch nicht aufgezeigt.
[101] II.4.2.4. Soweit im Rekurs geltend gemacht wird, das Erstgericht hätte aufgrund von näher bezeichneten Stellen des Sachverständigengutachtens zu abweichenden Feststellungen kommen müssen, aus denen sich ein abgrenzbarer Markt für die Bereitstellung von GIFs bzw GIF‑Bibliotheken für Dritte ergeben hätte, wird damit weder ein rechtlicher Feststellungsmangel noch eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes dargetan, sondern die Beweiswürdigung des Erstgerichts bekämpft.
[102] Erhebliche Bedenken iSd § 49 Abs 3 KartG gegen die vom Erstgericht getroffene (Negativ‑)Feststellung betreffend die Substituierbarkeit werden durch die Bezugnahme auf einzelne Passagen des Sachverständigen-gutachtens aber schon deshalb nicht dargetan, weil sich der Rekurs weder mit der ausführlichen Beweiswürdigung des Erstgerichts (Punkt II.3.2. des erstgerichtlichen Beschlusses) noch mit den vom Sachverständigen hinsichtlich der Marktabgrenzung angesprochenen Unsicherheiten (vgl die Erörterung in der mündlichen Verhandlung am 18. 11. 2021, S 4, 6) auseinandersetzt.
[103] II.4.2.5. Das Erstgericht beurteilte die getroffenen Feststellungen dahin, dass ein Markt für die Bereitstellung von GIFs bzw GIF-Bibliotheken für Dritte nicht abgegrenzt werde könne, verneinte also die im Rekurs behauptete Marktabgrenzung. Die Rüge, es hätte die Frage, ob ein abgrenzbarer Markt für die Bereitstellung von durchsuchbaren GIF-Bibliotheken für Dritte bestehe, offen gelassen, obwohl die Voraussetzungen dafür nach Rz 27 der Bekanntmachung über die Marktdefinition nicht vorgelegen seien, ist daher nicht berechtigt.
[104] II.4.2.6. Die Beurteilung des Erstgerichts entspricht den dargestellten Grundsätzen der (objektiven) Beweislast bei unaufklärbaren Sachverhalten, weil es der Erstantragstellerin zur Last fällt, dass die Grundlagen der von ihr behaupteten Marktabgrenzung auf Sachverhaltsebene nicht erweislich waren. Auch ein Widerspruch zur Entscheidung des EuGH in der Rs Impala liegt nicht vor; vielmehr ist es im vorliegenden Fall der (hier: nationalen) Wettbewerbsbehörde nicht gelungen, das von ihr als wahrscheinlichste wirtschaftliche Entwicklung angesehene Szenario (vgl EuGH C‑413/06P , Impala, Rz 52) auf Beweisebene zu untermauern (vgl EuGH aaO Rz 51).
II.4.3. Rechtliche Feststellungsmängel zu einem Erwerb durch ein weniger marktmächtiges Unternehmen
[105] II.4.3.1. Nach Auffassung der Erstantragstellerin hat es das Erstgericht darüber hinaus verabsäumt, die Auswirkungen der (festgestellten) Möglichkeit des Erwerbs des Zielunternehmens durch ein anderes, weniger marktmächtiges Unternehmen als die Antragsgegnerin, auf die Marktstruktur zu analysieren. Nach dem Rekursvorbringen wären unter der Annahme des Erwerbs des Zielunternehmens durch ein anderes soziales Medium ähnliche Effizienzeffekte wie bei der vertikalen Integration mit der Antragsgegnerin denkbar gewesen; ein derartiges integriertes Unternehmen hätte ein neues oder verbessertes Werbeprodukt anbieten können, wodurch sich der horizontale Wettbewerbsdruck auf die Antragsgegnerin erhöht hätte. Die Feststellung dieses alternativen kontrafaktischen Szenarios würde zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des Zusammenschlusses führen.
[106] II.4.3.2. Gemäß § 12 Abs 1 Z 2 KartG hat das Kartellgericht einen Zusammenschluss zu untersagen, wenn zu erwarten ist, dass durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Das Gesetz verlangt daher eine Prognoseentscheidung über die Auswirkung des Zusammenschlussvorhabens auf die Wettbewerbsbedingungen. Für diese Prognose sind die Wettbewerbsbedingungen des betroffenen Markts vor und nach dem Zusammenschluss unter Berücksichtigung sämtlicher maßgebender Umstände und der zu erwartenden Marktentwicklung zu vergleichen; negative Auswirkungen sind den Wettbewerbsvorteilen gegenüberzustellen (16 Ok 15/08 ecolex 2009, 505 [Mayer] = RS0124420).
[107] II.4.3.3. § 12 Abs 1 Z 2 lit a KartG verlangt, dass die marktbeherrschende Stellung „durch den Zusammenschluss“ entsteht oder verstärkt wird. Das Gesetz verlangt also einen Kausalzusammenhang zwischen dem Zusammenschluss und der Veränderung der Marktstruktur (Urlesberger in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG² § 12 Rz 9). Wäre die Verschlechterung der Marktstruktur in gleicher Weise auch ohne den Zusammenschluss eingetreten, so ist der Zusammenschluss dafür nicht kausal (vgl Körber in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht III6 Art 2 FKVO Rz 383). Die Voraussetzungen der Untersagung liegen dann nicht vor.
[108] II.4.3.4. Die Argumentation, es liege eine Sanierungsfusion vor (failing firm defence, failing company defence), zielt darauf ab, dass ein Unternehmen auch ohne den zu prüfenden Zusammenschluss aus dem Markt ausgeschieden wäre (vgl nur Rz 89 ff Horizontalleitlinien; Urlesberger in Petsche/Urlesberger/ Vartian, KartG² § 12 Rz 14; Körber in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht III6 FKVO Art 2 Rz 382 f). Demnach ist eine Sanierungsfusion trotz Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung zulässig, wenn kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sind: Es muss feststehen, dass
- das erworbene Unternehmen ohne die Übernahme aus dem Markt ausscheiden würde,
- dass es keine weniger wettbewerbsschädliche Erwerbsalternative gibt, insbesondere kein anderer Erwerber für das finanziell angeschlagene Unternehmen zur Verfügung steht, und
- dass die Marktposition des erworbenen Unternehmens im Falle seines Ausscheidens aus dem Markt dem erwerbenden Unternehmen zuwachsen würde (16 Ok 6/10 ErwGr 5.1., ÖZK 2011, 31 [Neumayr]).
[109] II.4.3.5. Die nach dem Rekursvorbringen der Erstantragstellerin vermisste Analyse eines hypothetischen Erwerbs des Zielunternehmens durch ein weniger marktmächtiges Unternehmen als die Antragsgegnerin zielt erkennbar darauf ab, der von der Antragsgegnerin geltend gemachten failing company defence entgegenzutreten.
[110] II.4.3.6. Das Erstgericht erachtete die Voraussetzungen der failing company defence nicht als erfüllt, weil mit einem Ausscheiden des Zielunternehmens aus dem Markt in der nahen Zukunft nicht gerechnet werden könne. Zudem habe die Antragsgegnerin selbst unter der Annahme eines solchen Ausscheidens durch die Fusion einen wettbewerblichen Vorteil erlangt, der ihr bei einem bloßen Marktaustritt des Zielunternehmens nicht zugekommen wäre. Aufgrund dieser Erwägungen bejahte das Erstgericht die Kausalität des Zusammenschlusses für die eingetretene Verschlechterung der Wettbewerbsstruktur.
[111] II.4.3.7. Da das Erstgericht sohin der von der Antragsgegnerin in Anspruch genommenen failing company defence ohnehin nicht folgte, kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen einer Sanierungsfusion aus einem zusätzlichen Grund, nämlich wegen des Vorhandenseins einer weniger wettbewerbsschädlichen Erwerbsalternative, zu verneinen gewesen wäre. Die Entscheidung im vorliegenden Fall hängt daher nicht vom Vorliegen einer solchen Erwerbsalternative ab. Die dazu geltend gemachten rechtlichen Feststellungsmängel liegen deshalb nicht vor.
II.5. Zur behaupteten Unwirksamkeit der Auflagen
[112] II.5.1. Beide Antragsteller rügen, das Erstgericht habe zu Unrecht die Verpflichtung zur Umsetzung der Auflagen an den Beginn der Durchführungsmöglichkeit im Sinn der Definition in Spruchpunkt IV.1. der erstgerichtlichen Entscheidung geknüpft.
[113] Das führe dazu, dass die Auflagen vor Freigabe durch alle zuständigen Wettbewerbsbehörden keine Gültigkeit erlangten und von der Zusammenschlussparteien nicht umgesetzt werden müssten. Als Folge davon könne die Antragsgegnerin die Auflagen umgehen, indem sie vor der Freigabe durch alle zuständigen Wettbewerbsbehörden faktische Durchführungsschritte setze. Die faktische Durchführungsmöglichkeit falle zudem nicht mit der formellen Freigabe zusammen, sodass der Spruch in sich widersprüchlich sei. Der Spruch decke auch „andere denkbare Konstellationen der Durchführung des Zusammenschlusses“ nicht ab, in denen unklar bleibe, ob die Auflagen Gültigkeit erlangten, so etwa der Fall, dass die Antragsgegnerin das Zielunternehmen bezogen auf einen einzelnen nationalen (konkret: den britischen) Markt verkaufe, sich aus einem nationalen (dem britischen) Markt zurückziehe oder in der Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde ausschließlich die Auswirkungen auf einen nationalen Markt berücksichtigt würden. Die Verpflichtung zur Umsetzung von Auflagen, die ein österreichisches Gericht angeordnet habe, könne auch nicht von ausländischen Entscheidungen abhängen.
[114] II.5.2. Die im Kartellverfahren ergangenen Beschlüsse sind – wie überhaupt die im Außerstreitverfahren ergangenen Beschlüsse – der materiellen Rechtskraft zugänglich (vgl Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 43 Rz 1, 24; RS0107666). Mit der Rechtskraft tritt die Verbindlichkeit des Beschlusses ein (vgl RS0120299).
[115] II.5.3. Nach dem klaren Wortlaut des Spruchs des angefochtenen Beschlusses wird der gegenständliche Zusammenschluss unter den erteilten Auflagen nicht untersagt. Die Verbindlichkeit des angefochtenen Beschlusses hängt – wie bereits das Erstgericht zutreffend ausführte – nicht von den Entscheidungen anderer Wettbewerbsbehörden ab; sie tritt vielmehr mit dem Eintritt der materiellen Rechtskraft der Entscheidung über den angemeldeten Zusammenschluss im vorliegenden Verfahren ein.
[116] II.5.4. Aus der Überschrift des Spruchpunkts IV. der erstgerichtlichen Entscheidung („Zeitliche Wirksamkeit der Auflagen“) ergibt sich nichts Abweichendes. Bereits aus dem Wortlaut des Spruchs – noch deutlicher im Zusammenhalt mit der Entscheidungsbegründung (vgl RS0041357) – geht klar hervor, dass die Frage geregelt wird, zu welchem Zeitpunkt die für die Auflagen angeordnete Frist zu laufen beginnt. Dabei markiert der als „Beginn der Durchführungsmöglichkeit“ bezeichnete und in Spruchpunkt IV.1. definierte Zeitpunkt den Beginn der Dauer von fünf Jahren gemäß Spruchpunkt IV.1. sowie der Dauer von sechs Monaten bzw sieben Jahren gemäß Spruchpunkt IV.2. des erstgerichtlichen Beschlusses.
[117] Der „Beginn der Durchführungsmöglichkeit“ ist eindeutig definiert; für die Annahme, dass darunter die (jederzeit bestehende) Möglichkeit einer rechtswidrigen faktischen Durchführung zu verstehen wäre, fehlt jede Grundlage. Die gerügte Widersprüchlichkeit in Spruchpunkt IV.1. liegt daher nicht vor.
[118] II.5.6. Nach § 17 Abs 1 KartG darf ein anmeldebedürftiger Zusammenschluss erst durchgeführt werden, wenn die Amtsparteien auf die Stellung eines Prüfungsantrags verzichtet oder innerhalb der Antragsfrist keinen Prüfungsantrag gestellt haben. Wenn ein Prüfungsantrag gestellt worden ist, darf der Zusammenschluss erst nach Einstellung des Prüfungsverfahrens oder nach Rechtskraft der Entscheidung durchgeführt werden, womit das Kartellgericht den Antrag zurückgewiesen oder den Zusammenschluss nicht untersagt hat. Wenn ein Zusammenschluss mit Beschränkungen oder Auflagen iSd § 12 Abs 3 KartG nicht untersagt worden ist, ist die Durchführung des Zusammenschlusses anders als mit diesen Beschränkungen oder Auflagen verboten (§ 17 Abs 2 Satz 1 KartG).
[119] II.5.7. Im vorliegenden Fall, in dem ein Prüfungsantrag gestellt wurde, kommt das Durchführungsverbot des § 17 KartG zur Anwendung. Das heißt, dass bis zur Einstellung des Prüfungsverfahrens oder zur rechtskräftigen Entscheidung darüber aufgrund des Durchführungsverbots gemäß § 17 Abs 1 KartG der Zusammenschluss gar nicht durchgeführt werden darf. Ab dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, mit dem die Durchführung mit Auflagen nicht untersagt wird, darf die Durchführung nur unter Einhaltung der Auflagen stattfinden.
[120] Für die in den Rekursen vertretene Rechtsansicht, der gegenständliche Zusammenschluss dürfe zu irgendeinem Zeitpunkt – etwa vor dem Vorliegen von rechtskräftigen Freigabeentscheidungen aller zuständigen Wettbewerbs-behörden (siehe aber die Entscheidung des Competition Appeal Tribunal, Case No 1429/4/12/21 vom 14. 6. 2022) – anders als mit den vom Kartellgericht ausgesprochenen Auflagen durchgeführt werden, bietet die angefochtene Entscheidung keine Grundlage.
[121] II.5.8. Soweit in den Rekursen die Befürchtung geäußert wird, die Antragsgegnerin könnte faktisch gegen das Durchführungsverbot verstoßen, wird damit keine unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Erstgericht dargetan. Verstöße gegen das Durchführungsverbot ziehen vielmehr die Konsequenzen des § 26 KartG (vgl nur Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG² § 26 Rz 9) oder § 29 Abs 1 lit a KartG nach sich.
II.6. Ergebnis
[122] Die Rekurse der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers erweisen sich daher insgesamt als unberechtigt.
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