AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:L519.2203562.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerden des (1.) XXXX , geb. XXXX , StA Irak, der (2.) XXXX , geb. XXXX , StA Irak, der (3.) XXXX , geb. XXXX , StA Irak, und der (4) mj. XXXX , geb. XXXX , StA Irak, alle vertreten durch den Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (1.) vom 11.07.2018, Zl. 1090439802-151509834, (2.) vom 11.07.2018, Zl. 1090439606-151509800, (3.) vom 11.07.2018, Zl. 1090300105-151509855 und (4.) vom 11.07.2018, Zl. 1090438010-151509869, nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 17.05.2021 und am 18.05.2021, betreffend Anträge auf internationalen Schutz und Erlassung von Rückkehrentscheidungen, zu Recht:
A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 und 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist mit der Zweitbeschwerdeführerin (BF2) in aufrechter Ehe verheiratet, die Drittbeschwerdeführerin (BF3) und die minderjährige Viertbeschwerdeführerin (BF4) sind die leiblichen Kinder der BF1 und des BF2. Sämtliche Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Irak, der arabischen Volksgruppe zugehörig und sunnitischen Glaubens.
I.2. Die BF stellten im Gefolge ihrer illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 15.09.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes Anträge auf internationalen Schutz. Die minderjährige BF4 wurde dabei vom Vater im Familienverfahren gesetzlich vertreten.
I.3.1. Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien am 09.10.2015 gab der BF1 an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX in Bagdad geboren, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung und mit der BF2 verheiratet. Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte er aus, dass er vom IS gesucht werde. Sein Stamm hätte 2007 bis 2008 gegen die Al-Kaida gekämpft und diese vertrieben. Deswegen wären fünf Verwandte von ihm getötet worden. 2014 hätte der IS die Kontrolle übernommen, weswegen er und seine Familie nicht mehr in die Häuser zurückkehren könnten. Der IS würde sie suchen.
I.3.2. Von der BF2 wurde ausgeführt, dass sie den Namen XXXX führe und Staatsangehörige des Irak sei. Sie sei am XXXX in Bagdad geboren, Angehörige der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung und mit dem BF1 verheiratet. Zu den Gründen ihrer Ausreise befragt gab sie bekannt, dass sie keinen eigenen Fluchtgrund hätte und sich den Angaben des BF1 anschließt. Ihr Mann würde bei einer Rückkehr getötet werden. Zwei erwachsene Söhne würden bereits in Österreich leben.
I.3.3. Von der BF3 wurde ausgeführt, dass sie den Namen XXXX führe und Staatsangehörige des Irak sei. Sie sei am XXXX in Bagdad geboren, Angehörige der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung und die Tochter des BF1 und der BF2. Zu den Gründen ihrer Ausreise befragt gab sie bekannt, dass in der Heimat Krieg herrsche. Weil ihr Vater vom IS gesucht werde, sei die ganze Familie geflüchtet.
I.3.4. Vom BF1 wurde mitgeteilt, dass die minderjährige BF4 von ihm im Verfahren gesetzlich vertreten wird. Die BF4 führe den Namen XXXX und sei am XXXX in Bagdad geboren. Sie sei Staatsangehörige des Irak, der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung. Die minderjährige BF4 hätte keine eigenen Fluchtgründe und würde sein Fluchtgrund auch für die BF4 gelten.
I.4. Nach Zulassung der Verfahren wurden der BF1 und die BF2 am 19.06.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.
Zu den Gründen seiner Antragstellung befragt gab der BF1 an, dass 2007 die Kampfhandlungen zwischen Al-Kaida und seinem Stamm begonnen und ca. ein Jahr gedauert hätten. Nach der Vertreibung der AL-Kaida hätten anschließend Schläferzellen Rache an jenen genommen, die sie vertrieben hätten. Im November 20009 hätten diese das Dorf gestürmt und drei Neffen und zwei Cousinen des BF1 mitgenommen und getötet. Aus diesem Grund wäre er mit seiner Familie zu seiner Schwester gezogen, in ein 10 km von Bagdad entferntes Dorf namens XXXX . Dort hätten sie bis 2014 gelebt, ehe die IS-Milizen wieder die Gegend erobert hätten. Er wäre deswegen mit der Familie in die Ortschaft XXXX gezogen und von dort hätte die Familie mit Hilfe eines Schleppers den Irak verlassen.
Von der BF2 wurde zum Fluchtgrund befragt bekannt gegeben, dass es im Irak keine Sicherheit geben würde und ihr Mann in Gefahr wäre. „Sie“ wären mit Autos gekommen und hätten Leute mitgenommen. Es wäre 2009 gewesen und wären ihr Gatte und ihre Söhne mitgenommen worden. Die Polizei hätte ihrem Mann ein Messer an den Hals gesetzt und gedroht. Bereits vor der Befragung zum Fluchtgrund führte die BF2 aus, dass sie 2009 vergewaltigt worden wäre.
Von der BF3 wurde zum Fluchtgrund befragt ausgeführt, dass es keine Sicherheit und in der Nähe des Hauses Kampfhandlungen gegeben hätte. Die Milizen wären immer gekommen und hätten die Häuser durchsucht. Auch wäre sie von den Milizen angsprochen worden, warum sie kein Kopftuch tragen würde.
Für die minderjährige BF4 wurde von der BF2 bekannt gegeben, dass diese keine eigenen Fluchtgründe haben würde und die vom BF1 bzw. von ihr dargelegten Ausführungen gelten würden.
I.5. Von den BF wurden keine Stellungnahmen zu den aktuellen länderkundlichen Informationen eingebracht.
I.6. Mit den im Spruch bezeichneten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ebenso abgewiesen (Spruchpunkte II). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurden nicht erteilt (Spruchpunkte III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen (Spruchpunkte VI.).
Begründend führte das Bundesamt aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF im Irak bedroht oder verfolgt werden. Das Vorbringen, aus Angst geflüchtet zu sein, war nicht glaubhaft und es konnte auch nicht festgestellt werden, dass im Fall der Rückkehr Verfolgung droht. Eine Rückkehr ist jedenfalls zumutbar.
In der Beweiswürdigung wurde diesbezüglich dargelegt, dass kein zeitlicher Konnex zwischen den Vorfällen im Jahr 2009 und der Ausreise im September 2015 besteht. Aus diesem Grund ist es nicht nachvollziehbar, wie die BF sechs Jahre lang unbehelligt in ihrem Heimatdorf bleiben konnten, obwohl sie einer persönlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen wären. Zudem halten sich auch weiterhin zahlreiche Verwandte nach wie vor im Irak auf.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, die BF haben keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Den BF sei der Status subsidiär Schutzberechtigter nicht zuzuerkennen, da sie im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfügen und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechten sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Den BF seien schließlich keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.
I.7. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.
I.8. Gegen die den BF am 17.07.2018 zugestellten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richten sich die fristgerecht eingebrachten Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht.
In diesen wird beantragt, die angefochtenen Bescheide dahingehend abzuändern, dass den Anträgen auf internationalen Schutz Folge gegeben wird und den Beschwerdeführern der Status von Asylberechtigten oder hilfsweise der Status subsidiär Schutzberechtigter zuzuerkennen ist, in eventu die Rückkehrentscheidungen ersatzlos zu beheben, in eventu die Bescheide zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an die Erstbehörde zurückzuverweisen und eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen. Zudem wurde ein Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens betreffend die BF2 gestellt, zum Beweis dafür, dass diese an einer Traumatisierung leide.
Inhaltlich werden Verletzung von Verfahrensvorschriften, inhaltliche Rechtswidrigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung moniert. So hätte die Behörde die Ermittlungspflicht verletzt, weil sie sich nicht an die amtswegige Ermittlung der Fluchtgründe gehalten hätte. Die BF2 und BF3 hätten nicht erkannt, inwiefern sie die Fluchtgründe darzulegen haben. Zudem würden sich aus der Situation von sunnitischen Arabern allgemein und mangels innerstaatlicher Fluchtalternative, bzw. der allgemeinen Sicherheitslage im Irak, insbesondere Bagdad, eine Verfolgungssituation für die BF ergeben. Auch hätte das Bundesamt das Vorbringen der BF nicht entsprechend gewürdigt, so hätten keine Nachfragen zu der im Jahr 2009 behaupteten Vergewaltigung der BF2 und zum Tragen eines Kopftuches der BF3 stattgefunden.
Mit den Beschwerden wurde ein Konvolut an medizinischen Unterlagen, Teilnahmebestätigungen, Zeugnissen und Integrationsunterlagen übermittelt.
I.9. Am 17.05.2021 und am 18.5.2021 wurden vor dem Bundesverwaltungsgericht öffentliche mündliche Verhandlungen durchgeführt.
In Vorlage gebracht wurde eine Stellungnahme der BF, in der auf die soziale Gruppe der Frauen hinsichtlich der BF3 und BF4, die allgemeine Lage im Irak, die gesundheitliche Situation der BF2 und der BF4, die Lage von Familien mit minderjährigen Kindern und die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidungen aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK hingewiesen wurde.
I.10. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zu den Beschwerdeführern:
Der Erstbeschwerdeführer führt den Namen XXXX , er ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung. Er wurde am XXXX in Bagdad geboren. Der BF1 besuchte zwölf Jahre lang die Schule, studierte danach fünf Jahre an der Universität von Bagdad Biologie und war danach als Lehrer tätig. Die Identität des BF1 steht fest.
Der BF1 ist mit der BF2 verheiratet und Vater der BF3 und der minderjährigen BF4.
Die BF1 ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung. Er gehört nicht zur COVID-19 Risikogruppe.
In XXXX und XXXX , beides Orte in der Umgebung von Bagdad leben noch fünf Schwestern und vier Brüder des BF1. Vier Schwestern sind verheiratet und führen den Haushalt, eine Schwester arbeitet als Schulwartin. Zwei Brüder betreiben eine Landwirtschaft, der dritte Bruder fährt mit seinem LKW, der vierte Bruder ist Lehrer.
Die Zweitbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX , sie ist Staatsangehörige des Irak und Angehörige der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung. Sie wurde am XXXX in Mazedonien geboren und lebte danach im Irak und dort nach der Hochzeit mit dem BF1 und den gemeinsamen Kindern in einem eigenen Haus. Die Identität der BF2 steht fest.
Die BF2 ist mit dem BF1 verheiratet und Mutter der BF3 und BF4.
Die BF2 hat niedrigen Blutdruck, Magenprobleme und Kopfschmerzen. Die BF2 hat keine schwere oder lebensbedrohliche Krankheit. Vom Bildungs- und Beratungszentrum XXXX wurde ein mit 05.09.2018 datiertes Schreiben eingebracht, indem der BF2 eine posttraumatische Belastungsstörung und eine deppressive Störung bestätigt wird. Sie gehört nicht zur COVID-19 Risikogruppe.
Der BF2 besuchte im Irak zehn Jahre lang die Schule. Danach war sie Hausfrau.
Die Drittbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX , sie ist Staatsangehörige des Irak und Angehörige der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung. Sie wurde am XXXX in Bagdad geboren und lebte dort von und mit den Eltern in einem eigenen Haus. Die Identität der BF3 steht fest.
Die BF3 ist die Tochter des BF1 und der BF2
Die BF3 hat Blutarmut und nimmt deshalb Tabletten. Sie steht in keiner medizinischen Behandlung und gehört nicht zur COVID-19 Risikogruppe.
Sie besuchte im Irak zwölf Jahre lang die Schule und schloss diese mit Matura ab.
Die Viertbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und ist am XXXX in Bagdad geboren. Sie ist Staatsangehörige des Irak, Angehörige der arbischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubens. Die Identität der BF4 steht nicht fest.
Die BF4 hat eine pustolöse Psoriasis (Hautkrankeit), therapiert wird mit Tabletten. Der letze diesbezügliche Befund stammt vom 25.10.2018. Die BF4 gehört nicht zur COVID-19 Risikogruppe.
Die BF4 ist die Tochter des BF1 und der BF2.
In Österreich leben noch die beiden erwachsenen Söhne des BF1 und der BF2, XXXX , am XXXX geboren und XXXX , am XXXX geboren. Beiden wurde subsidiärer Schutz gewährt.
Anfang September verließen die BF den Irak illegal zu Fuß in die Türkei. In weiterer Folge reisten sie schlepperunterstützt über Griechenland, Nordmazedonien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich, wo sie am 15.09.2015 die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.
Die BF1 bis BF3 verfügen über irakische Ausweisdokumente im Original.
Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet war und ist nicht nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.
Die Beschwerdeführer gehören keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatten in ihrem Herkunftsstaat vor der Ausreise keine Schwierigkeiten mit staatlichen Organen, Sicherheitskräften oder Justizbehörden zu gewärtigen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer vor der Ausreise Schwierigkeiten aufgrund ihres Bekenntnisses zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bzw. ethnischen Zugehörigkeit zur arabischen Volksgruppe zu gewärtigen hatten.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF1 vom IS oder schiitischen Milizen verfolgt wurde und wird.
Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass die BF2 2009 vergewaltigt worden wäre.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die weiblichen BF im Irak Probleme aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen (westliche Orientierung) hatten bzw. haben werden.
Den Beschwerdeführern droht im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der Beschwerdeführer festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine im Irak drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie im Hinblick auf kriegerische Ereignisse, extremistische Anschläge, stammesbezogene Gewalt oder organisierte kriminelle Handlungen sowie willkürliche Gewaltausübung durch Sicherheitskräfte bei nicht gewalttätigen Protesten gegen die irakische Regierung.
Die BF weisen keine schweren, lebensbedrohlichen Erkankungen auf und sind arbeits- und anpassungsfähige Menschen. Der BF1 besuchte zwölf Jahre lang die Schule, studierte Biologie und war kurzfristig als Lehrer tätig. Anschließend bewirtschaftete er sein Grundstück. Die BF2 besuchte zehn Jahre lang die Schule und kümmerte sich nach der Hochzeit um die Kinder und den gemeinsamen Haushalt. Die BF3 ging zwölf Jahre lang zur Schule und schloss diese mit Matura ab. Sie lebte, wie die BF4 bei und von ihren Eltern.
Die Beschwerdeführer verfügen über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in ihrem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft. Den Beschwerdeführern ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung ihres Auskommens möglich und zumutbar. Auch ist eine Niederlassung in Bagdad bwz. in den in der Umgebung gelegenen Ortschaften XXXX und XXXX möglich. Bagdad ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar.
Die Beschwerdeführer halten sich seit dem 15.09.2015 durchgehend in Österreich auf.
Die BF sind nicht selbsterhaltungsfähig und beziehen Grundversorgung. Der BF1 absolvierte Deutschkurse und legte A1 und A2 Zertifikate vor.
Von der BF2 wurden ein A2 und ein B1 Zertifikat vorgelegt, weiters Bestätigungen über die Teilnahme an fünf Info Modulen der Stadt Wien im September und Oktober 2016, Teilnahme am Workshop „Hilfe im Notfall“ des RK am 19.04.2017 und Teilname am Kompetenz Workshop für Asylwerberinnen in der Zeit vom 06.11.2018 bis 16.111.2018.
Die BF3 brachte ÖSD Zertifikate A2 und B1 ein. Weiters legte sie eine Vereinbarung mit dem Magistrat der Stadt XXXX über gemeinnützige Tätigkeiten vom 02.05.2018 bis 30.09.2018 vor, eine Bestätigung der Stadt XXXX über gemeinnützige Hilfstätigkeiten vom 01.03.2018 bis 30.12.2018, eine Teilnahmebstätigung am Werte- und Orientierungskurs, Teilnahme am Projekt „Mädchen helfen Mädchen 2018“, Teilnahme am Workshop „Hilfe im Notfall“ des RK am 19.04.2017 und eine Einstellungszusage der Dentalklinik XXXX vom 12.05.2021 als Sterilisationsassistentin.
Für die BF4 wurden Schulbesuchsbstätigungen und Jahreszeugnisse des BG/BRG XXXX (Schulart Neue Mittelschule, Modellversuch gem § 7 a SchOG) für die Schuljahre 2017/18, 2018/19 und 2019/20 und eine Schulbesuchsbestätigung vom 07.09.2020 bis 02.07.2021 sowie ein Superpraktikantinnen-Zeugnis vorgelegt.
Die Beschwerdeführer haben in Österreich, außer den beiden erwachsenen Söhnen bzw. Brüdern, keine Verwandten und pflegen im Übrigen normale soziale Kontakte. Sie sind, außerhalb der Familie, für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig.
Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die den BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person der BF gelegenen Umständen.
Ebenso ergab sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation des BF.
Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.
In Bezug auf die individuelle Lage der BF im Falle einer Rückkehr in den Irak konnte keine im Hinblick auf den Zeitpunkt, an dem letztmalig über die Anträge auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich geänderte oder gar verschlechterte Situation festgestellt werden.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass den BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in ihrem Heimatland Irak droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wären.
Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung von „Aufenthaltsberechtigungen besonderer Schutz“ nicht vor und ist die Erlassung von Rückkehrentscheidungen geboten. Die Abschiebung der BF in den Irak ist zulässig und möglich.
Weitere Ausreisegründe und/oder Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.
I.1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Politische Lage
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafazāt) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwāb, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).
Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).
Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).
Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).
Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).
Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).
Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html , Zugriff 13.3.2020
AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq , Zugriff 13.3.2020
CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html , Zugriff 13.3.2020
DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912 , Zugriff 13.3.2020
Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/ , Zugriff 13.3.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/ , Zugriff 13.3.2020
ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results , Zugriff 13.3.2020
KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038 , Zugriff 13.3.2020
KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459 , Zugriff 13.3.2020
Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c , Zugriff 13.3.2020
NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html , Zugriff 13.3.2020
Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0 , Zugriff 17.3.2020
Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD , Zugriff 13.3.2020
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html , Zugriff 13.3.2020
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html , Zugriff 13.3.2020
RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html , Zugriff 13.3.2020
Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert , Zugriff 13.3.2020
ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl , Zugriff 13.3.2020
Parteienlandschaft
Letzte Änderung: 14.05.2020
Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019).
Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).
Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018).
Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).
Quellen:
CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf , Zugriff 13.3.2020
KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459 , Zugriff 13.3.2020
LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf , Zugriff 13.3.2020
RCRSS - Rawabet Center for Research and Strategic Studies (24.2.2019): Law of political parties in Iraq: proposals for amendment, https://rawabetcenter.com/en/?p=6954 , Zugriff 13.3.2020
Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq , Zugriff 13.3.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 14.05.2020
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/ , Zugriff 13.3.2020
ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/ , Zugriff 13.3.2020
AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf , Zugriff 13.3.2020
Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html , Zugriff 13.3.2020
Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html , Zugriff 13.3.2020
Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html , Zugriff 13.3.2020
Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02 , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710 , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html , Zugriff 13.3.2020
MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/ , Zugriff 13.3.2020
New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations , Zugriff 13.3.2020
Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9 , Zugriff 13.3.2020
Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5 , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html , Zugriff 13.3.2020
Islamischer Staat (IS)
Letzte Änderung: 14.05.2020
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).
Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).
Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).
Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).
Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).
Quellen:
ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/ , Zugriff 13.3.2020
ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/ , Zugriff 13.3.2020
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325 , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq , Zugriff 13.3.2020
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NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Baquba. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154 , Zugriff 13.3.2020
PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html , Zugriff 13.3.2020
Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory", http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/ , Zugriff 13.3.2020
Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9 , Zugriff 13.3.2020
UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf , Zugriff 13.3.2020
USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019– Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html , Zugriff 13.3.2020
Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Letzte Änderung: 14.05.2020
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).
Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).
ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf , Zugriff 13.3.2020
IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/ , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019,https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html , Zugriff 13.3.2020
Sicherheitslage Bagdad
Letzte Änderung: 14.05.2020
Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).
Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).
Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020)
Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).
Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.
[Anm.: Weiterführende Informationen zu den Demonstrationen können dem Kapitel 11.1.1 Protestbewegung entnommen werden.]
Quellen:
Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html , Zugriff 13.3.2020
ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html , Zugriff 13.3.2020
OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf , Zugriff 13.3.2020
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 2.9.2019). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.1.2019).
Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.1.2019; USDOS 11.3.2020). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 11.3.2020). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.1.2019). Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 4.3.2020).
Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.1.2019). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 4.3.2020). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.1.2019).
Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 26.2.2019). Nicht nur Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).
Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 11.3.2020) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen (USDOS 11.3.2020).
Die Behörden verletzen systematisch die Verfahrensrechte von Personen, die verdächtigt werden dem IS anzugehören, sowie jene anderer Häftlinge (HRW 14.1.2020). Die Verurteilungsrate der im Schnelltempo durchgeführten Verhandlungen tausernder sunnitischer Moslems, denen eine IS-Mitgliedschaft oder dessen Unterstützung vorgeworfen wurde, lag 2018 bei 98% (USCIRF 4.2019). Menschenrechtsgruppen kritisierten die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS (FH 4.3.2020; vgl. CEDAW 30.9.2019). Rechtsanwälte beklagen einen häufig unzureichenden Zugang zu ihren Mandanten, wodurch eine angemessene Beratung erschwert wird. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 11.3.2020). Anwälte und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit unterstützen, sind gefährdet durch Sicherheitskräfte bedroht oder sogar verhaftet zu werden (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Laut einer Studie über Entscheidungen von Berufungsgerichten in Fällen mit Bezug zum Terrorismus, haben erstinstanzliche Richter Foltervorwürfe ignoriert, auch wenn diese durch gerichtsmedizinische Untersuchungen erhärtet wurden und die erzwungenen Geständnisse durch keine anderen Beweise belegbar waren (HRW 25.9.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Für das Anti-Terror-Gericht in Ninewa beobachtete HRW im Jahr 2019 eine Verbesserung bei den Gerichtsverhandlungen. So verlangten Richter einen höheren Beweisstandard für die Inhaftierung und Verfolgung von Verdächtigen, um die Abhängigkeit des Gerichts von Geständnissen, fehlerhaften Fahndungslisten und unbegründeten Anschuldigungen zu minimieren (HRW 14.1.2020).
Am 28.3.2018 kündigte das irakische Justizministerium die Bildung einer Gruppe von 47 Stammesführern an, genannt al-Awaref, die sich als Schiedsrichter mit der Schlichtung von Stammeskonflikten beschäftigen soll. Die Einrichtung dieses Stammesgerichts wird durch Personen der Zivilgesellschaft als ein Untergraben der staatlichen Institution angesehen (Al Monitor 12.4.2018). Das informelle irakische Stammesjustizsystem überschneidet und koordiniert sich mit dem formellen Justizsystem (TCF 7.11.2019).
Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
Al Monitor (12.4.2018): Will Iraq's new 'tribal court' undermine rule of law?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/04/iraq-tribalism-sheikhs-justice-law.html , Zugriff 13.3.2020
AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf , Zugriff 13.3.2020
CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (30.9.2019): The Compliance of Iraq with Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women; Alternative Report about the Death Penalty, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37410_E.DOCX, Zugriff 13.3.2020
Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/ , Zugriff 13.12.2019
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (25.9.2019): Iraq: Appeals Courts Ignoring Torture Claims, https://www.ecoi.net/de/dokument/2017141.html , Zugriff 13.3.2020
LIFOS (8.5.2014): Iraq: Rule of Law in the Security and Legal System, https://landinfo.no/asset/2872/1/2872_1.pdf , Zugriff 13.3.2020
Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf , Zugriff 13.3.2020
TCF - The Century Foundation (7.11.2019): Tribal Justice in a Fragile Iraq, https://tcf.org/content/report/tribal-justice-fragile-iraq/?agreed=1 , Zugriff 13.3.2020
USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Sicherheitskräfte und Milizen
Letzte Änderung: 14.05.2020
Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische. Stattdessen wurde ein politisch neutrales Militär vorgesehen (Fanack 2.9.2019).
Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur, sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) (USDOS 11.3.2020). Neben den regulären irakischen Streitkräften und Strafverfolgungsbehörden existieren auch die Volksmobilisierungskräfte (PMF), eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, die sich aus etwa 40, überwiegend schiitischen Milizgruppen zusammensetzt, und die kurdischen Peshmerga der Kurdischen Region im Irak (KRI) (GS 18.7.2019).
Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 11.3.2020; vgl. GS 18.7.2019).
Quellen:
Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/ , Zugriff 13.3.2020
GS - Global Security (18.7.2019): Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi, Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.htm , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 11.3.2020).
Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.1.2019).
Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums, sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi
Letzte Änderung: 14.05.2020
Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vgl. FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vgl. FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).
Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vgl. Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019).
Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.1.2019). Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus (Reuters 29.8.2019).
Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.1.2019; vgl. FPRI 19.8.2019). Leiter der PMF-Dachorganisation, der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission, ist Falah al-Fayyad, dessen Stellvertreter Abu Mahdi al-Mohandis eng mit dem Iran verbunden war (Al-Tamini 31.10.2017). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen, von denen der mächtigste Hadi Al-Amiri ist, Kommandant der Badr Organisation (FPRI 19.8.2019). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen sie, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten des Assad-Regimes in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind (USDOS 13.3.2019).
Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden. Es ist keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch den Premierminister und die ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).
In vielen der irakischen Sicherheitsoperationen übernahm die PMF eine Führungsrolle. Als Schnittstelle zwischen dem Iran und der irakischen Regierung gewannen sie mit der Zeit zunehmend an Einfluss (GS 18.7.2019).
Am 1.7.2019 hat der irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi verordnet, dass sich die PMF bis zum 31.7.2019 in das irakische Militär integrieren müssen (FPRI 19.8.2019; vgl. TDP 3.7.2019; GS 18.7.2019), oder entwaffnet werden müssen (TDP 3.7.2019; vgl GS 18.7.2019). Es wird angenommen, dass diese Änderung nichts an den Loyalitäten ändern wird, dass aber die Milizen aufgrund ihrer nun von Bagdad bereitgestellte Uniformen nicht mehr erkennbar sein werden (GS 18.7.2019). Einige Fraktionen werden sich widersetzen und versuchen, ihre Unabhängigkeit von der irakischen Regierung oder ihre Loyalität gegenüber dem Iran zu bewahren (FPRI 19.8.2019). Die Weigerung von Milizen, wie der 30. Brigade bei Mossul, ihre Posten zu verlassen, weisen auf das Autoritätsproblem Bagdads über diese Milizen hin (Reuters 29.8.2019).
Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 12.1.2019).
Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und in einer Form der kollektiven Bestrafung sunnitische Araber im Allgemeinen. Es kann zu Diskriminierung, Misshandlungen und auch Tötungen kommen (DIS/Landinfo 5.11.2018; vgl. USDOS 21.6.2019). Einige PMF gehen jedoch auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 11.3.2020).
Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor. Nach dem Oktober 2017 gab es jedoch Berichte über Verstöße von PMF-Angehörigen gegen die kurdischen Einwohner in Kirkuk und Tuz Khurmatu, wobei es sich bei den angegriffenen zumeist um Mitglieder der politischen Partei KDP und der Asayish gehandelt haben soll (DIS/Landinfo 5.11.2018).
Geleitet wurden die PMF von Jamal Jaafar Mohammad, besser bekannt unter seinem Nom de Guerre Abu Mahdi al-Mohandis, einem ehemaligen Badr-Kommandanten, der als rechte Hand von General Qasem Soleimani, dem Chef der iranischen Quds-Brigaden fungierte (GS 18.7.2019). Am 3.1.2020 wurden Abu Mahdi Al-Muhandis und Generalmajor Qassem Soleimani bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Als Rechtfertigung diente unter anderem ein Raketenangriff, der der Kataib-Hezbollah (KH) zugeschrieben wurde, auf einen von US-Soldaten genutzten Stützpunkt in Kirkuk, bei dem ein Vertragsangestellter getötet wurde (MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020).
Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 23.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 23.2.2020).
Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak“ gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der „Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak“ wurde später zum „Obersten Islamischen Rat im Irak“ (OIRI), siehe Abschnitt „Politische Lage“]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie die Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen (Süß 21.8.2017). Die Badr-Organisation besteht offiziell aus elf Brigaden, kontrolliert aber auch einige weitere Einheiten (FPRI 19.8.2019). Zu Badr und seinen Mitgliedsorganisationen gehören Berichten zufolge die 1., 3., 4., 5., 9., 10., 16., 21., 22., 23., 24., 27., 30., 52., 55. und 110. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Bei den Wahlen 2018 bildete die Badr-Organisation gemeinsam mit Asa‘ib Ahl al-Haqq und Kata‘ib Hizbullah die Fatah-Koalition (Wilson Center 27.4.2018), die 48 Sitze gewann (FPRI 19.8.2019), 22 davon gewann die Badr-Organisation (Wilson Center 27.4.2018). Viele Badr-Mitglieder waren Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). Die Badr-Organisation strebt die Erweiterung der schiitischen Macht in den Sicherheitskräften an, durch Wahlen und durch Eindämmung sunnitischer Bewegungen (Wilson Center 27.4.2018). Badr-Mitglieder und andere schiitische Milizen misshandelten und misshandeln weiterhin sunnitisch-arabische Zivilisten, insbesondere Sunniten im ehemaligen IS-Gebiet (FPRI 19.8.2019).
Die Kata’ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hezbollah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und bis zu seinem Tode 2019 auch angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist (Süß 21.8.2017). Kata’ib Hizbullah bilden die 45. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018). Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von mindestens 400 bis zu 30.000 Mann (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center). Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata’ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017). Ihr Anführer Jamal Jaafar Ibrahimi alias Abu Mahdi al Muhandis war auch stellvertretender Leiter der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission (Al-Tamini 31.10.2017).
Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH; Liga der Rechtschaffenen oder Khaz‘ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz‘ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak (Süß 21.8.2017). Sie ist eine Abspaltung von As-Sadrs Mahdi-Armee und im Gegensatz zu As-Sadr pro-iranisch (Clingendael 6.2018). Asa‘ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern (Süß 21.8.2017). Asa‘ib Ahl al-Haqq bildet die 41., 42. und 43. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierungskräfte, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Qais al Khaz‘ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018).
Die Harakat Hezbollah al Nujaba (HHN, Bewegung der Partei der Edlen Gottes) ist ein Ableger von Kata’ib Hizbullah und Asa‘ib Ahl al-Haqq, die 2013 zur Unterstützung des Assad Regimes in Syrien von Sheikh Akram al Ka‘abi gegründet wurde. Die pro-iranische HHN hat eigenen Angaben zufolge etwa 9.000 Kämpfer, von denen einige nach wie vor in Syrien aktiv sind. Sie stellt die 12. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017).
Die Kata‘ib Sayyid al Shuhada (KSS, Meister der Märtyrerbrigade), ist eine Miliz, die im Mai 2013 gegründet wurde, um an der Seite des Assad-Regimes in Syrien zu kämpfen. Nach dem Aufstieg des IS im Jahr 2014 dehnte die KSS ihre Operationen auf den Irak aus und war insbesondere im Gouvernement Salah ad-Din, aber auch in Anbar und Ninewa aktiv. Geschätzt auf über 2.000 Kämpfer im Jahr 2017, wird die KSS von den Iranischen Revolutionsgarden (Islamic Revolutionary Guards Corps, IRGC) unterstützt und finanziert (Wilson Center 27.4.2018). Sie stellt die 14. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017).
Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali as-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam sind der militärische Arm der Sairoun Partei (Allianz für Reformen, Marsch in Richtung Reform). Diese ist eine multiethnische, nicht-konfessionelle (wenn auch meist schiitische), parlamentarische Koalition, die sich aus anti-iranischen Schiiten-Parteien, der Kommunistischen Partei und einigen anderen kleineren Parteien zusammensetzt (FPRI 19.8.2019). Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann. Ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam bilden mindestens drei Brigaden und stellen damit das zweitgrößte Kontingent der PMF. Muqtada as-Sadr verkündete, dass die Saraya as-Salam-Brigaden die Durchführungsverordnung von Premierminister Mahdi sofort annehmen würden und fortan nur noch unter den ihnen zugeteilten Nummern, 313, 314 und 315, bekannt sein würden. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass Sadr auch weiterhin großen Einfluss auf diese Milizen haben wird (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass schätzungsweise 15.000 weitere seiner Kämpfer außerhalb der PMF-Brigaden organisiert sind (Wilson Center 27.4.2018).
Auch die Kata’ib al-Imam Ali (KIA, Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Sie ist den PMF als 40. Brigade beigetreten (Wilson Center 27.4.2018). Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi stand in engem Kontakt zu Muhandis (bis zu dessen Tod) und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata’ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azra‘el erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017). Kata’ib al-Imam Ali hat im Dezember 2014 die kleine syriakische (Anm.: aramäisch- assyrisch) Christenmiliz Kata‘ib Roh Allah Issa Ibn Miriam (Die Brigade vom Geist Gottes, Jesus, Sohn der Maria) gegründet und ausgebildet (Wilson Center 27.4.2018).
Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF
Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).
Die PMF genießen auch breite Unterstützung in der irakischen Bevölkerung für ihre Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat nach dem teilweisen Zusammenbruch der irakischen Armee im Jahr 2014 (TDP 3.7.2019). Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen, wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017).
Einige PMF haben sich Einkommensquellen erschlossen, die sie nicht aufgeben wollen, darunter Raub, Erpressung und Altmetallbergung (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass die PMF einen Teil der lokalen Wirtschaft in Ninewa kontollieren, was von diesen zurückgewiesen wird (Reuters 29.8.2019). Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distrikt-Vorsteher und andere Amtsträger auszuüben (ACCORD 11.12.2019). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mossul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).
Neben der Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html , Zugriff 13.3.2020
Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html , Zugriff 13.3.2020
Al-Tamini - Aymenn Jawad Al-Tamimi (31.10.2017): Hashd Brigade Numbers Index, http://www.aymennjawad.org/2017/10/hashd-brigade-numbers-index , Zugriff 13.3.2020
Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (6.2018): Power in perspective:Four key insights into Iraq’s Al-Hashd al-Sha’abi, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-06/PB_Power_in_perspective.pdf , Zugriff 13.3.2020
DIS/Landinfo - Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf , Zugriff 13.3.2020
ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq’s Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state , Zugriff 13.3.2020
FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/ , Zugriff 13.3.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/ , Zugriff 13.3.2020
GS - Global Security (18.7.2019): Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi, Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.htm , Zugriff 13.3.2020
MEE - Middle East Eye (16.2.2020): Iran and Najaf struggle for control over Hashd al-Shaabi after Muhandis's killing, https://www.middleeasteye.net/news/iran-and-najaf-struggle-control-over-hashd-al-shaabi-after-muhandis-killing , Zugriff 13.3.2020
MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/ , Zugriff 13.3.2020
Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien –Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail
Reuters (29.8.2019): Baghdad's crackdown on Iran-allied militias faces resistance, https://www.reuters.com/article/us-iraq-militias-usa/baghdads-crackdown-on-iran-allied-militias-faces-resistance-idUSKCN1VJ0GS , Zugriff 13.3.2020
Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 13.3.2020
TDP - The Defense Post (3.7.2019): Mahdi orders full integration of Shia militias into Iraq’s armed forces, https://thedefensepost.com/2019/07/03/iraq-mahdi-orders-popular-mobilization-units-integration/ , Zugriff 13.3.2020
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USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html , Zugriff 13.3.2020
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Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq , Zugriff 13.3.2020
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 14.05.2020
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) müssen sich registrieren (FH 4.3.2020). Mit Stand September 2019 waren laut der irakischen Bundesdirektion für Nichtregierungsorganisationen 4.365 NGOs registriert (USDOS 11.3.2020). In der Kurdischen Region im Irak (KRI) betrug die Zahl registrierter NGOs 4.300 im Jahr 2018 (USDOS 13.3.2019). In der KRI sind die Registrierungen jährlich zu erneuern (FH 4.3.2020).
Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs lockert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigt, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen über die Suspendierung von NGOs schafft (ICNL 26.6.2019). NGOs, die nur in Bagdad registriert waren, konnten nicht in der KRI tätig werden, und vice versa (USDOS 11.3.2020).
Im gesamten Irak existierten allein im Bereich Menschenrechte zuletzt etwa 368 registrierte NGOs. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen besonderen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und weiter bestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NGOs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs berichten von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden „Besuchen“ durch Vertreter des Ministeriums. Die Präsenz von ausländischen NGOs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor gering. Dies gilt nicht für die KRI, wo viele ausländische NGOs tätig sind, die derzeit aber unter verschärften Kontrollen durch die Zentralregierung in ihrer Arbeit beeinträchtigt sind (AA 12.1.2019).
Nationale und internationale NGOs operieren in den meisten Fällen unter geringer staatlicher Einflussnahme, jedoch gibt es Berichte über staatliche Einmischung, wenn NGOs Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Akteuren untersuchen. In Basra im Südirak wurden Berichten zufolge mehrere Menschenrechtsvertreter willkürlich festgenommen und gezwungen Dokumente ihnen unbekannten Inhalts zu unterzeichnen, bevor sie wieder freigelassen wurden(USDOS 11.3.2020). Ende 2019 gibt es im Zuge der Protestbewegung auch Berichte über Entführungen und Ermordnungen von regierungskritischen Aktivisten (FH 4.3.2020). Die KRI verfügt über eine aktive Gemeinschaft von meist kurdischen NGOs, viele mit engen Beziehungen zu den politischen Parteien PUK und KDP (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
ICNL - The International Center for Not-for-Profit Law (26.6.2019): Civic Freedom Monitor: Iraq, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/iraq , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html , Zugriff 13.3.2020
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.1.2019).
Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Rekrutierung von Kindersoldaten durch Elemente der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Shingal Protection Units (YBS) und PMF-Milizen; Menschenhandel; Kriminalisierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 11.3.2020).
Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 21.6.2019). Es wird berichtet, dass tausende Männer und Buben, die aus Gebieten unter IS-Herrschaft geflohen sind, von zentral-irakischen und kurdischen Kräften willkürlich verhaftet wurden und nach wie vor als vermisst gelten. Sicherheitskräfte einschließlich PMFs haben Personen mit angeblichen IS-Beziehungen auch in Lagern inhaftiert und gewaltsam verschwinden lassen (AI 26.2.2019).
Die Verfassung und das Gesetz verbieten Enteignungen, außer im öffentlichen Interesse und gegen eine gerechte Entschädigung. In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Eigentum von mutmaßlichen IS-Angehörigen, sowie Mitgliedern religiöser und konfessioneller Minderheiten, durch Regierungstruppen und PMF-Milizen konfisziert und besetzt (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung, einschließlich des Büros des Premierministers, untersucht Vorwürfe über Missbräuche und Gräueltaten, bestraft die Verantwortlichen jedoch selten (USDOS 11.3.2020).
Im Zuge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste haben Sicherheitskräfte unter anderem scharfe Munition gegen Demonstranten eingesetzt und hunderte Menschen getötet (HRW 31.1.2020).
Der IS begeht weiterhin schwere Gräueltaten, darunter Tötungen durch Selbstmordattentate und improvisierte Sprengsätze (IEDs). Die Behörden untersuchen IS-Handlungen und verfolgen IS-Mitglieder nach dem Anti-Terrorgesetz von 2005 (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (31.1.2020): Iraq: Authorities Violently Remove Protesters, https://www.ecoi.net/en/document/2023934.html , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html , Zugriff 13.3.2020
Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die Verfassung garantiert die Meinungs- und Pressefreiheit, solange diese nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzt (AA 12.1.2019), Unterstützung für die verbotene Ba‘ath-Partei ausdrückt oder die gewaltsame Änderung der Grenzen des Landes befürwortet. Einzelpersonen und Medien betreiben jedoch Selbstzensur aufgrund der begründeten Furcht vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionellen Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden. Kontrolle und Zensur der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung behindern manchmal den Medienbetrieb, was mitunter die Schließung von Medien, Einschränkungen der Berichterstattung und Behinderung von Internetdiensten zur Folge hat. Einzelpersonen können die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, jedoch nicht ohne Angst vor Vergeltung (USDOS 11.3.2020).
Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen (AA 12.1.2019). Die meisten der mehreren hundert Printmedien, die im Irak täglich oder wöchentlich erscheinen, sowie dutzende Radio- und Fernsehsender, werden von politischen Parteien stark beeinflusst oder vollständig kontrolliert (USDOS 11.3.2020). Es gibt nur wenige politisch unabhängige Nachrichtenquellen. Journalisten, die sich nicht selbst zensieren, können mit rechtlichen Konsequenzen oder gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen rechnen (FH 4.2.2018).
Einige Medienorganisationen berichteten über Verhaftungen von und Schikanen gegenüber Journalisten sowie darüber, dass die Regierung sie davon abhielt, politisch heikle Themen zu behandeln, darunter Sicherheitsfragen, Korruption und das Unvermögen der Regierung öffentliche Dienstleistungen sicherzustellen (USDOS 11.3.2020). Das „Gesetz zum Schutz von Journalisten“ von 2011 hält unter anderem mehrere Kategorien des Straftatbestands der Verleumdung aufrecht, die in ihrem Strafmaß zum Teil unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig (AA 12.1.2019).
Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt (AA 12.1.2019). Auf ihrem Index für Pressefreiheit kommt der Irak im Jahr 2019 auf Platz 156 von 180 (RSF 2020).
Journalisten sind häufig Opfer von bewaffneten Angriffen, Verhaftungen oder Einschüchterungen durch regierungsnahe Milizen und Sicherheitskräfte in allen Teilen des Landes. Morde an Journalisten bleiben ungestraft (RSF 2020). So wurden etwa auch im Zuge der am 1.10.2019 begonnenen Massenproteste im Südirak und Bagdad Journalisten durch willkürliche Verhaftungen, Belästigungen, Drohungen und die widerrechtliche Beschlagnahme von Equipment daran gehindert über die Demonstrationen zu berichten (UNAMI 10.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Neun Journalisten gelten seit 2014 nach wie vor als vermisst. Zwei Journalisten wurden 2019 getötet (CPJ 2020). Zwei Journalisten, die in Basra über die Proteste berichteten, wurden am 10.1.2020 erschossen (CPJ 10.1.2020). Seit Mitte Oktober verließen die meisten internationalen Medien und viele lokale Journalisten Bagdad in Richtung Erbil und andere Oerte in der Kurdischen Region im Irak (KRI), nachdem berichtet wurde, dass die Sicherheitskräfte eine Liste von Journalisten und Aktivisten in Umlauf brachten, die verhaftet und eingeschüchtert werden sollten (USDOS 11.3.2020).
Das Land nimmt im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2007-2016) des „Committee to Protect Journalists“ zudem den weltweit drittletzten Platz in Bezug auf die Aufklärung von Morden an Journalisten ein. Demnach wurden in den letzten zehn Jahren 25 Morde an Journalisten nicht aufgeklärt (AA 12.1.2019).
Auch Lehrer sind im Irak seit langem mit der Gefahr von Gewalt oder anderen Auswirkungen konfrontiert, wenn sie Themen unterrichten oder besprechen, die mächtige staatliche oder nicht staatliche Akteure für verwerflich halten. Politischer Aktivismus von Universitätsstudenten kann zu Schikane oder Einschüchterung führen (FH 4.3.2020). Sozialer, religiöser und politischer Druck schränken die Entscheidungsfreiheit in akademischen und kulturellen Angelegenheiten ein. In allen Regionen des Landes versuchen verschiedene Gruppen die Ausübung der formalen Bildung und die Vergabe von akademischen Positionen zu kontrollieren (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
CPJ - Committee to Protect Journalists (10.1.2020): Gunmen open fire on car, kill 2 Dijlah TV journalists at Iraq protest, https://cpj.org/2020/01/dijlah-tv-journalists-killed-protest-basra.php , Zugriff 13.3.2020
CPJ - Committee to Protect Journalists (2020): Iraq / Middle East & North Africa, Journalists attacked in Iraq since 1992, https://cpj.org/mideast/iraq/ , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
RSF - Reporters sans frontiers (2020): Iraq, Still dangerous for journalists, https://rsf.org/en/iraq , Zugriff 13.3.2020
UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (10.2019): Demonstraitons in Iraq; 1-9 October 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019889/UNAMI_Special_Report_on_Demonstrations_in_Iraq_22_October_2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Internet und soziale Medien
Letzte Änderung: 14.05.2020
Es gibt offene staatliche Einschränkungen beim Zugang zum Internet und Berichte (jedoch kein offizielles Eingeständnis), dass die Regierung E-Mail- und Internetkommunikation ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht (USDOS 11.3.2020).
Es gibt Fälle von Vergeltungsmaßnahmen aufgrund von Aussagen bzw. Beiträgen in sozialen Medien (FH 4.3.2020). Trotz Einschränkungen nutzen politische Persönlichkeiten und Aktivisten das Internet, um korrupte und ineffektive Politiker zu kritisieren, Demonstranten zu mobilisieren und sich über soziale Medien für Kandidaten zu engagieren bzw. Wahlkampf zu betreiben (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung räumt ein in manchen Gebieten den Internetzugang beschränkt zu haben, angeblich aufgrund von Sicherheitsfragen, wie der Nutzung von Social Media Plattformen durch den IS (USDOS 11.3.2020). Während Großereignissen wird regelmäßig das Internet für einige Stunden gesperrt (AA 12.1.2019).
Im Zuge der am 1.10.2019 begonnen Massenproteste hat die Regierung wiederholt das Internet gedrosselt, um zu verhindern, dass Fotos und Videos der Proteste hochgeladen und ausgetauscht werden (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020), und blockierte Messaging-Apps. Einige Iraker wurden verhaftet, weil sie mit Facebook-Nachrichten ihre Unterstützung für die Proteste zum Ausdruck gebracht hatten (HRW 14.1.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Versammlungsfreiheit
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die Verfassung sieht das Recht auf Versammlung und friedliche Demonstration „nach den Regeln des Gesetzes“ vor (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Entsprechend einfach gesetzlichen Bestimmungen fehlen jedoch. Im Alltag wird die Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das seit dem 7.11.2004 geltende „Gesetz zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit“ eingeschränkt, das u.a. die Verhängung eines bis zu 60-tägigen Ausnahmezustands ermöglicht (AA 12.1.2019).
Die gesetzlichen Regelungen schreiben vor, dass die Veranstalter sieben Tage vor einer Demonstration um Genehmigung ansuchen und detaillierte Informationen über Veranstalter, Grund des Protests und Teilnehmer einreichen müssen. Die Vorschriften verbieten jegliche Slogans, Schilder, Druckschriften oder Zeichnungen, die Konfessionalismus, Rassismus oder die Segregation der Bürger zum Inhalt haben. Die Vorschriften verbieten auch alles, was gegen die Verfassung oder gegen das Gesetz verstößt; alles, was zu Gewalt, Hass oder Mord ermutigt; und alles, was eine Beleidigung des Islam, der Ehre, der Moral, der Religion, heiliger Gruppen oder irakischer Einrichtungen im Allgemeinen darstellt. Die Behörden erteilen Genehmigungen in der Regel in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften (USDOS 11.3.2020).
Demonstranten sind häufig der Gefahr von Gewalt oder Verhaftung ausgesetzt (FH 4.3.2020). Als die Demonstrationen ab Oktober 2019 eskalierten, versäumten es die Behörden, die Demonstranten vor Gewalt zu schützen (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Protestbewegung
Letzte Änderung: 14.05.2020
Seit 2014 gibt es eine Protestbewegung, in der zumeist junge Leute in Scharen auf die Straße strömen, um bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus zu fordern (WZ 9.10.2018).
So kam es bereits 2018 im Südirak zu weitreichenden Protesten in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Ebenso kam es im Jahr 2019 zu Protesten, wobei pro-iranische Volksmobilisierungskräfte (PMF) beschuldigt wurden, sich an der Unterdrückung der Proteste beteiligt und Demonstranten sowie Menschenrechtsaktivisten angegriffen zu haben (Diyaruna 7.8.2019; vgl. Al Jazeera 25.10.2019).
Seit dem 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Eine weitere Forderung der Demonstranten ist die Abschaffung des ethnisch-konfessionellen Systems (muhasasa) zur Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019).
Im Zusammenhang mit diesen Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Im Zuge der Proteste kam es in mehreren Gouvernements von Seiten anti-iranischer Demonstranten zu Brandanschlägen auf Stützpunkte pro-iranischer PMF-Fraktionen und Parteien, wie der Asa‘ib Ahl al-Haq, der Badr-Organisation, der Harakat al-Abdal, Da‘wa und Hikma (Carnegie 14.11.2019; vgl. ICG 10.10.2019), sowie zu Angriffen auf die iranischen Konsulate in Kerbala (RFE/RL 4.11.2019) und Najaf (RFE/RL 1.12.2019).
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweiig riefen die Behörden im Oktober und November 2019 Ausgangssperren aus (AI 18.2.2020; vgl. Al Jazeera 5.10.2019; ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und implementierten zeitweilige Internetblockaden (UNAMI 10.2019; vgl. AI 18.2.2020; USDOS 11.3.2020).
Die irakische Menschenrechtskommission berichtete Ende Dezember 2019, dass seit Beginn der Proteste am 1.10.2019 mindestens 490 Demonstranten getötet wurden (AAA 28.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020), darunter 33 Aktivisten, die gezielt getötet wurden. Mehr als 22.000 Menschen wurden verletzt. 56 Demonstranten gelten nach berichteten Entführungen als vermisst, während zwölf weitere wieder freigelassen wurden (AAA 28.12.2019). Mitte Jänner 2020 berichtet Amnesty International von 600 Toten Demonstranten seit Beginn der Proteste (AI 23.1.2020).
Quellen:
AAA - Asharq Al-Awsat (28.12.2019): Iraq: Human Rights Commission Says 490 Protesters Killed Since October, https://aawsat.com/english/home/article/2056146/iraq-human-rights-commission-says-490-protesters-killed-october , Zugriff 13.3.2020
AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2025831.html , Zugriff 13.3.2020
AI - Amnesty International (23.1.2020): Iraq: Protest death toll surges as security forces resume brutal repression, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023297.html , Zugriff 13.3.2020
Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrations-sweep-iraq-191025171801458.html , Zugriff 13.3.2020
Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew-191005070529047.html , Zugriff 13.3.2020
Al Mada (2.10.2019): ساحاتالاحتجاجتتحولإلىمناطقحرب („Proteste werden zu Kriegsgebieten“), https://almadapaper.net/view.php?cat=221822 , Zugriff 13.3.2020
AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq , Zugriff 13.3.2020
BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280 , Zugriff 13.3.2020
Carnegie - Carnegie Middle East Center (14.11.2019): How Deep Is Anti-Iranian Sentiment in Iraq?, https://carnegie-mec.org/diwan/80313 , Zugriff 13.3.2020
Diyaruna (7.8.2019): Iran-backed militias suppress Iraqi protests, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/08/07/feature-01 , Zugriff 13.3.2020
ICG - International Crisis Group (10.10.2019): Widespread Protests Point to Iraq’s Cycle of Social Crisis, https://www.ecoi.net/de/dokument/2018263.html , Zugriff 13.3.2020
ICG - International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq’s summer brushfire, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-how-cope-iraqs-summer-brushfire , Zugriff 13.3.2020
ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq’s October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html , Zugriff 13.3.2020
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html , Zugriff 13.3.2020
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.12.2019): Iraqi Protesters Torch Iranian Consulate For Second Time Within Week, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022938.html , Zugriff 13.3.2020
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.11.2019): Security Forces Shoot At Baghdad Protesters, Several Killed In Karbala, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019395.html , Zugriff 13.3.2020
Rudaw (13.10.2019): Iraq launches probe into killing of protesters,https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/13102019 , Zugriff 13.3.2020
UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (10.2019): Demonstraitons in Iraq; 1-9 October 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019889/UNAMI_Special_Report_on_Demonstrations_in_Iraq_22_October_2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=994916&em_loc=69&em_ref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=0 , Zugriff 13.3.2020
Vereinigungsfreiheit / Opposition
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die Verfassung garantiert, mit einigen Ausnahmen, das Recht auf Gründung von und Mitgliedschaft in Vereinen und politischen Parteien. Die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen. Ausnahmen betreffen das gesetzliche Verbot von Gruppen, die Unterstützung für die Ba‘ath-Partei oder für zionistische Prinzipien bekunden (USDOS 11.3.2020). Belastbare Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe liegen nicht vor. Politische Aktivisten berichten jedoch von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche, nichtstaatliche oder paramilitärische Akteure, die abschrecken sollen, neue politische Bewegungen zu etablieren und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken (AA 12.1.2019).
Die Arbeitsgesetze garantieren Arbeitsnehmern das Recht auf die Bildung von Gewerkschaften, von Tarifverhandlungen und auf das Abhalten von Streiks, schützen sie aber nicht vor gewerkschaftsfeindlicher Diskriminierung bis hin zu Entlassungen (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Todesstrafe
Letzte Änderung: 14.05.2020
Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Der Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (AA 12.1.2019; vgl. HRC 5.6.2018; HRW 14.1.2020). Problematisch sind die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag unter anderem auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art (AA 12.1.2019). So beinhalten beispielsweise die irakischen Anti-Terrorismus-Gesetze die Vollstreckung der Todesstrafe auch für ein breites Spektrum an Handlungen, die nicht als schwere Verbrechen, wie Mord, definiert sind (FP 31.1.2020). Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 12.1.2019).
Aktuelle Daten liegen nicht vor, da die irakische Regierung die Zahlen nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen berichtet und, auch auf Nachfrage keine verlässlichen Angaben macht. Soweit UNAMI bekannt, wurden 2018 112 Personen zum Tode verurteilt, 36 Todesurteile wurden vollzogen. UNAMI schätzt jedoch, dass tatsächliche Zahlen deutlich darüber liegen (AA 12.1.2019). Amnesty International zufolge wurden 2018 271 Todesurteile ausgesprochen und 52 Hinrichtungen vollzogen (AI 10.4.2019). Zwischen Jänner und August 2019 wurden Angaben des irakischen Justizministeriums zufolge über 100 Personen hingerichtet. 8.022 Gefangene saßen im August 2019 in der Todeszelle (HRW 14.1.2020). Aktuell werden insbesondere ehemalige IS-Kämpfer – oder Personen, die dessen beschuldigt werden – in großer Zahl in unzulänglichen Prozessen zu lebenslanger Haft oder zum Tode verurteilt (AA 12.1.2019). Über zwei Dutzend Frauen wurden wegen der wahrgenommenen IS-Mitgliedschaft eines männlichen Angehörigen, meist des Ehemanns, zum Tode verurteilt (AI 26.2.2019).
Das irakische Strafgesetzbuch verbietet das Verhängen der Todesstrafe gegen jugendliche Straftäter, d.h. Minderjährige und Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren zum Zeitpunkt der Begehung der mutmaßlichen Straftat (HRC 5.6.2018; vgl. HRW 14.1.2020), sowie gegen schwangere Frauen und Frauen bis zu vier Monaten nach einer Geburt. In diesem Fall wird die Todesstrafe in eine lebenslange Haft umgewandelt (HRC 5.6.2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
AI - Amnesty International (10.4.2019): Death Sentences and Executions 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006174/ACT5098702019ENGLISH.PDF , Zugriff 13.3.2020
AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf , Zugriff 13.3.2020
FP - Foreign Policy (31.1.2020): U.N. Faults Iraq for Islamic State Prosecutions, https://foreignpolicy.com/2020/01/31/united-nations-faults-iraq-islamic-state-prosecutions/ , Zugriff 13.3.2020
HRC - Human Rights Council (5.6.2018): Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions on her mission to Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/A_HRC_38_44_Add.pdf , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html , Zugriff 13.3.2020
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 14.05.2020
Aufgrund der komplexen Verflechtung religiöser und ethnischer Identitäten ist eine strikte Unterscheidung zwischen rein religiösen Minderheiten und rein ethnischen Minderheiten im Irak oft nur schwer möglich. Um eine willkürliche Trennung zu vermeiden, werden alle Minderheiten, ein-schließlich derer, bei denen das religiöse Element überwiegt, im Abschnitt 15 (Minderheiten) behandelt.
Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 12.1.2019). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den „erwiesenen Bestimmungen des Islams“ widerspricht. In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 21.6.2019).
Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 12.1.2019; vgl. ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 12.1.2019; vgl. ROI 15.10.2005).
Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 21.6.2019).
Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 21.6.2019; vgl. UNHCR 5.2019).
Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiös-konfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen (AA 12.1.2019). Die Religionen, die auf dem Antrag für den nationalen Personalausweis angegeben werden können, sind christlich, sabäisch-mandäisch, jesidisch, jüdisch und muslimisch. Dabei wird zwischen den verschiedenen Konfessionen des Islams (Shi‘a-Sunni) bzw. den unterschiedlichen Denominationen des Christentums nicht unterschieden. Personen, die anderen Glaubensrichtungen angehören, können nur dann einen Ausweis erhalten, wenn sie sich selbst als Muslim, Jeside, Sabäer-Mandäer, Jude oder Christ deklarieren (USDOS 21.6.2019) Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 12.1.2019). Es wird berichtet, dass das Gesetz faktisch zu Zwangskonvertierungen führt, indem Kinder mit nur einem muslimischen Elternteil als Muslime angeführt werden müssen. Christen, die formell als Muslims registriert sind, aber den christlichen oder einen anderen Glauben praktizieren, berichten auch, dass sie gezwungen sind, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (USDOS 21.6.2019; vgl. USCIRF 4.2019).
Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Schabak und Faili Kurden). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 12.1.2019).
Institutionelle und gesellschaftliche Einschränkungen der Religionsfreiheit sowie Gewalt gegen Minderheitengruppen sind nach Ansicht von Religionsführern und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich auf Religionsfreiheit konzentrieren, nach wie vor weit verbreitet. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 21.6.2019). Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen in Kirkuk, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch Volksmobilisierungskräfte (PMF) (USDOS 11.3.2020).
Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren (USDOS 11.3.2020).
Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikane und Restriktionen durch lokale Behörden (USDOS 21.6.2019).
Vertreter religiöser Minderheiten berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 21.6.2019)Die Kurdische Region im Irak (KRI) war für viele religiöse und ethnische Minderheiten im Nordirak ein wichtiger Zufluchtsort, während der Phase der konfessionellen Gewalt nach 2003 und während der IS-Krise (USCIRF4.2019). Einige jesidische und christliche Führer berichten über Schikanen und Misshandlungen durch Peshmerga und Asayesh im von der kurdischen Regionalregierung (KRG) kontrollierten Teil von Ninewa, jedoch sagen einige dieser Führer, dass die Mehrheit dieser Fälle eher politisch als religiös motiviert seien (USDOS 21.6.2019).
[Anm.: Weiterführende Informationen zur Situation einzelner religiöser Minderheiten können dem Kapitel 15 Minderheiten entnommen werden.]
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html , Zugriff 13.3.2020
UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (5.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf , Zugriff 13.3.2020
USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html , Zugriff 13.3.2020
Minderheiten
Letzte Änderung: 14.05.2020
Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten faktisch unter weitreichender Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.1.2019). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 4.3.2020). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch PMF-Milizen, in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 11.3.2020).
Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20%) (AA 12.1.2019). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).
Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI), oft benachteiligt. Zudem ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen – eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.1.2019).
Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer-Sabäern, Kaka‘i, Schabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.1.2019).
In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.1.2019; vgl. KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der KRI durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017). Es gibt auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Schabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 13.3.2019). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.1.2019).
Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in dem ethnisch-konfessionell sehr heterogenen Gouvernement Diyala (AA 12.1.2019). Im Gouvernement Ninewa wurden alle Distriktverwaltungen angeordnet, dem Bundesgesetz von 2017 folge zu leisten und den Familien von PMF-Märtyrern, die im Kampf gegen den IS gefallen sind (zumeist Schiiten), Land zuzuweisen. Diese Anordnung schloss auch Distrikte mit sunnitischer und nicht-muslimischer Mehrheit ein. Es kam zu Widerstand unter Verweis auf das in der Verfassung verankerte Verbot eines erzwungenen demografischen Wandels, insbesondere im mehrheitlich christlichen Distrikt Hamdaniya (USDOS 21.6.2019).
Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016). Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend die Minderheit, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017).
Die territoriale Niederlage des IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Viele Schiiten und religiöse Minderheiten, die vom IS vertrieben wurden, sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Rückkehr irakischer Streitkräfte in Gebiete, die seit 2014 von kurdischen Streitkräften gehalten wurden, führte Ende 2017 zu einer weiteren Runde demografischer Veränderungen, wobei manche kurdische Bewohner auszogen, und Araber zurückkehrten. In Gebieten, die von schiitischen Milizen befreit wurden, gab es wiederum Berichte von der Vertreibung sunnitischer Araber (FH 4.3.2020). Aufgrund der konfliktbedingten internen Vertreibungen und Rückkehrbewegungen hat sich seit 2014 die Demographie einiger Gebiete von mehrheitlich sunnitisch zu mehrheitlich schiitisch bzw. zu konfessionell gemischt entwickelt, insbesondere in den Gouvernements Bagdad, Basra und Diyala. Im Distrikt Khanaqin in Diyala ist die Anzahl der Orte mit einer sunnitischen Mehrheit von 81 auf 73 gesunken, jene mit einer kurdisch-sunnitischen Mehrheit von 20 auf 17. Im Gouvernement Babil sind vormals arabisch-sunnitisch-schiitische Mischstädte wie Jurf al-Sakhr und Musayab vollständig schiitisch geworden. In der KRI hat die Präsenz sunnitischer Araber zugenommen, sodass die Anzahl der Orte mit einer sunnitisch-arabischen Mehrheit seit 2014 von 2 auf 25 angewachsen ist (IOM 2019).
Ebenso wurde ein Rückgang von assyrischen Christen in vormals gemischt-konfessionellen Regionen im Gouvernement Ninewa verzeichnet, sowie von vormals ethnisch-konfessionell gemischten Orten in den Distrikten Mossul, Sinjar und Telfar, in denen die Zahl der kurdischen Sunniten, Jesiden und Schabak zurückging. Im Gouvernement Diyala sind turkmenisch-sunnitische Mischgebiete verschwunden, während sich die turkmenische Präsenz in der Region um Kirkuk verstärkt zu haben scheint (IOM 2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
BMI - Bundesministerium für Inneres; BMLVS - Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (2016 – Stand Irak: 2014): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2017-02-bfa-mena-atlas.pdf , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
IOM - International Organization for Migration (2019): Integrated Location Assessment IV, IOM Iraq, https://publications.iom.int/system/files/pdf/integrated_location_assessment_4.pdf , Zugriff 13.3.2020
KAS - Konrad Adenauer Stiftung (8.2017): Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten in Kurdistan-Irak, http://www.kas.de/wf/doc/kas_50065-1522-1-30.pdf?170918113417 , Zugriff 13.3.2020
Lattimer, Mark in EASO - European Asylum Support Office (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf , Zugriff 13.3.2020
MRG - Minority Rights Group International (5.2018): Iraq - Minorities and indigenous peoples, http://minorityrights.org/country/iraq/ , Zugriff 13.3.2020
USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Sunnitische Araber
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt (AA 12.1.2019). Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (USDOS 21.6.2019). Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.1.2019).
Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga (USDOS 11.3.2020). Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul (USCIRF 4.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html , Zugriff 13.3.2020
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Letzte Änderung: 14.05.2020
In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25% im Parlament verankert (AA 12.1.2019). In der Kurdischen Region im Irak (KRI) sind es 30% (AA 12.1.2019; vgl. OHCHR 11.9.2019). Frauen sind jedoch auf Gemeinde- und Bundesebene, in Verwaltung und Regierung weiterhin unterrepräsentiert. Dabei stellt die Quote zwar sicher, dass Frauen zahlenmäßig vertreten sind, sie führt aber nicht dazu, dass Frauen einen wirklichen Einfluss auf Entscheidungsfindungsprozesse haben, bzw. dass das Interesse von Frauen auf der Tagesordnung der Politik steht (K4D 24.11.2017).
Frauen sind weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (FH 4.3.2020). Zwar ist laut Artikel 14 und 20 der Verfassung jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Artikel 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht (AA 12.1.2019). Die Stellung der Frau hat sich jedenfalls im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 12.1.2019; vgl. FIS 22.5.2018). Auch die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen (AA 12.1.2019). In der Praxis ist die Bewegungsfreiheit für Frauen auch stärker eingeschränkt als für Männer (FH 4.3.2020). So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020), oder ein Dokument zur Feststellung des Personenstands zu erhalten, welches für den Zugang zu Beschäftigung, Bildung und einer Reihe von Sozialdiensten erforderlich ist (FH 4.3.2020).
Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen lag 2014 bei nur 14%, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17% (AA 12.1.2019; vgl. Frontline 12.11.2019). Jene rund 85% der Frauen, die nicht an der irakischen Arbeitswelt teilhaben, sind einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt, selbst wenn sie in der informellen Wirtschaft mit Arbeiten wie Nähen oder Kunsthandwerk beschäftigt sind (Frontine 12.11.2019). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (FIS 22.5.2018).
Frauen und Mädchen sind im Bildungssystem deutlich benachteiligt und haben noch immer einen schlechteren Bildungszugang als Buben und Männer. Im Alter von zwölf Jahren aufwärts sind Mädchen doppelt so stark von Analphabetismus betroffen wie Buben (GIZ 1.2020b). Mehr als ein Viertel von Frauen im Alter von über 15 Jahren können nicht lesen und schreiben (CIA 28.2.2020). Schätzungen zufolge liegt die Analphabetenrate bei Frauen im Irak bei 28,2% und ist damit etwa doppelt so hoch wie jene von Männern und Buben (13%) (UN Women 12.2018). In ländlichen Gebieten ist die Einschulungsrate für Mädchen weit niedriger als jene für Buben (GIZ 1.2020b).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
Frontline (12.11.2019): How Conflict in Iraq Has Made Women and Girls More Vulnerable, https://www.pbs.org/wgbh/frontline/article/how-conflict-in-iraq-has-made-women-and-girls-more-vulnerable/ , Zugriff 13.3.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020b): Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/ , Zugriff 13.3.2020
K4D - Knowledge, evidence and learning for development (24.11.2017): Women‘s participation in peacebuilding and reconciliation in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/239-Womens-Participation-in-Peacebuilding-Iraq.pdf , Zugriff 13.3.2020
FIS - Finnisch Immigration Service (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf , Zugriff 13.3.2020
OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (11.9.2019): Committee on the Rights of Persons with Disabilities discusses the impact of the armed conflict on persons with disabilities in Iraq, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=24976&LangID=E , Zugriff 13.3.2020
UN Women - United Nations Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women (12.2018): Gender Profile – Iraq,A situation analysis on gender equality and women’s empowerment in Iraq, https://oxfamilibrary.openrepository.com/bitstream/handle/10546/620602/rr-gender-profile-iraq-131218-en.pdf , Zugriff 13.3.2020
Häusliche Gewalt, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigung
Letzte Änderung: 14.05.2020
Häusliche Gewalt ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020), vor dem Frauen nur wenig rechtlichen Schutz haben (HRW 17.1.2019). Das irakische Strafgesetz enthält zwar Bestimmungen zur Kriminalisierung von Körperverletzung, es fehlt jedoch eine ausdrückliche Erwähnung von häuslicher Gewalt (HRW 14.1.2020; vgl. FIS 22.5.2018). Der Irak hat zwar eine nationale Strategie gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen angenommen, aber noch kein Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt verabschiedet (OHCHR 11.11.2019).
Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches hat der Ehemann das Recht, seine Frau innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 14.1.2020). Diese Grenzen sind recht vage definiert, sodass verschiedene Arten von Gewalt als „rechtmäßig“ interpretiert werden können. Nach Artikel 128 Absatz 1 des Strafgesetzbuches können Straftaten, die aufgrund der „Ehre“ oder „vom Opfer provoziert“ begangen wurden, ungestraft bleiben, bzw. kann in solchen Fällen die Strafe gemildert werden. Täter, die Gemeinschaft, aber auch Opfer selbst sehen häusliche Gewalt oft als „normal“ und rechtfertigen sie aus kulturellen und religiösen Gründen (FIS 22.5.2018). Frauen tendieren dazu häusliche Gewalt aus Scham oder Angst vor Konsequenzen nicht zu melden, manchmal auch um den Täter zu schützen (UNFPA 2016; vgl. FIS 22.5.2018). Viele Frauen haben kein Vertrauen in die Polizei und halten den von ihr gebotenen Schutz für nicht angemessen (FIS 22.5.2018).
Während sexuelle Übergriffe, wie z.B. Vergewaltigung, sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer strafbar sind, sieht Artikel 398 des irakischen Strafgesetzbuches vor, dass Anklagen aufgrund von Vergewaltigung fallen gelassen werden können, wenn der Angreifer das Opfer heiratet (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Dies trifft auch zu, wenn das Opfer minderjährig ist (FIS 22.5.2018). Vergewaltigung innerhalb der Ehe stellt keine Straftat dar (FIS 22.5.2018; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020).
Zwischen 2014 und 2017 etablierte der Islamische Staat (IS) ein System organisierter Vergewaltigungen, sexueller Sklaverei und Zwangsheirat von jesidischen Frauen und Mädchen und anderen Minderheiten. Es wurde jedoch kein IS-Mitglied wegen dieser spezifischen Verbrechen strafrechtlich verfolgt oder verurteilt (HRW 14.1.2020). Im Zuge des IS-Vormarsches auf Sinjar sollen über 5.000 jesidische Frauen und Mädchen verschleppt worden sein, von denen Hunderte später als „Trophäen“ an IS-Kämpfer übergeben oder nach Syrien „verkauft“ wurden. Diese Frauen wurden anschließend oftmals von ihren Familien aus Gründen der Tradition verstoßen oder sie wurden gezwungen, die aus den Zwangsehen entstandenen Kinder zu verstoßen (AA 12.1.2019; vgl. USCIRF 4.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
FIS - Finnish Immigration Service (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002196.html , Zugriff 13.3.2020
OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (11.11.2019): UN women’s rights experts issue findings on Andorra, Bosnia and Herzegovina, Cambodia, Iraq, Kazakhstan, Lithuania, and Seychelles, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25277&LangID=E , Zugriff 13.3.2020
UNFPA - United Nations Population Fund (2016): The GBV Assessment in Conflict Affected Governorates in Iraq, https://iraq.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/The%20GBV%20Assesment.pdf , Zugriff 13.3.2020
USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Schutzmaßnahmen, Schutzeinrichtungen, Frauenhäuser
Letzte Änderung: 14.05.2020
Der Irak verfügt zurzeit über keinen adäquaten rechtlichen Rahmen, um Frauen und Kinder vor häuslicher, sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen (FIS 22.5.2018).
Das Innenministerium unterhält 16 Familienschutzeinheiten im ganzen Land, die dafür bestimmt sind, häusliche Streitigkeiten zu lösen und sichere Zufluchtsorte für Opfer sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen. Diese Einheiten tendieren jedoch dazu, der Familienversöhnung Vorrang vor dem Opferschutz einzuräumen und verfügen nicht über die Fähigkeit, Opfer zu unterstützen (USDOS 11.3.2020; vgl. FIS 22.5.2018). Manchmal werden Schutzhäuser Ziel von Gewalt (USDOS 11.3.2020, vgl. Lattimer EASO 26.4.2017). Per Gesetz genehmigt das Arbeits- und Sozialministerium den Betrieb von Schutzhäusern, hat dies jedoch für NGOs nicht getan. Manche NGOs betreiben daher inoffizielle Schutzhäuser unter der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (USDOS 11.3.2020). UNFPA unterstützt fünf Frauenhäuser im gesamten Irak, davon eines in Bagdad, mit einem Aufnahmevermögen von 80 Personen in zehn Schlafräumen, sowie einem Beratungsraum und einem Raum für psychosoziale Unterstützung (UNFPA 20.2.2019). Aufgrund von Druck durch die Gemeinschaften, die Frauenhäuser häufig als Bordelle ansehen, werden diese regelmäßig durch das Ministerium geschlossen, um später an anderer Örtlichkeit wieder eröffnet zu werden (USDOS 11.3.2020).
Im Jahr 2011 wurde vom kurdischen Regionalparlament Gesetz Nr. 8 zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt erlassen (PKI 21.6.2011). Auch danach hat die kurdische Regionalregierung ihre Anstrengungen zum Schutz von Frauen verstärkt. So wurden im Innenministerium vier Abteilungen zum Schutz von weiblichen Opfern von (familiärer) Gewalt sowie drei staatliche Frauenhäuser eingerichtet. Zwei weitere werden von NGOs betrieben (AA 12.1.2019). Nach anderen Angaben gibt es in der KRI ein privat betriebenes und vier staatliche Frauenhäuser. Letztere werden vom Arbeits- und Sozialministerium betrieben (USDOS 11.3.2020). Um dort aufgenommen zu werden, benötigen Frauen einen Gerichtsbeschluss (Lattimer EASO 26.4.2017). Es gibt jedenfalls nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen, die Serviceleistungen sind schlecht (USDOS 11.3.2020).
Vereinzelt werden Frauen „zum eigenen Schutz“ inhaftiert. Einige Frauen werden mangels Notunterkünften obdachlos (USDOS 11.3.2020). Frauen, die in Frauenhäusern oder Notunterkünften untergebracht sind, verfügen nur über wenige Alternativen, abgesehen von einer Eheschließung oder der Rückkehr zu ihren Familien, was oft zu weiterer Bestrafung oder Diskriminierung durch die Familie oder die Gemeinschaft führt (USDOS 11.3.2020; vgl. Lattimer EASO 26.4.2017).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
PKI - The Parliament of Kurdistan – Iraq (21.6.2011): Act No. 8 from 2011, The Act of Combating Domestic Violence in Kurdistan Region-Iraq, http://www.ekrg.org/files/pdf/combat_domestic_violence_english.pdf , Zugriff 13.3.2020
Lattimer, Mark in EASO - European Asylum Support Office (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf , Zugriff 13.3.2020
FIS - Finnish Immigration Service (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf , Zugriff 13.3.2020
UNFPA - United Nations Population Fund (20.2.2019): The First Lady of Iraq and the UN SRSG visit the UNFPA-Supported Women Shelter in Baghdad, https://iraq.unfpa.org/en/news/first-lady-iraq-and-un-srsg-visit-unfpa-supported-women-shelter-baghdad ; Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-Ehe (Fasliya)
Letzte Änderung: 14.05.2020
Zwangs- und Kinderehen sind weit verbreitet, insbesondere im Zusammenhang mit Vertreibung und Armut (FH 4.3.2020; vgl. AA 12.1.2019). Frauen werden noch immer in Ehen gezwungen. Rund 20% der Frauen werden als Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 bis14 Jahren (AA 12.1.2019). Ein Gesetzesentwurf der u.a. die Möglichkeit der Verheiratung von Mädchen im Alter ab acht Jahren beinhaltet hätte, wurde im Dezember 2017 vom Parlament abgelehnt (HRW 17.12.2017).
Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung beträgt mit elterlicher Erlaubnis 15 Jahre, ohne Erlaubnis 18 Jahre (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Berichten zufolge unternimmt die Regierung jedoch wenig Anstrengungen, um dieses Gesetz durchzusetzen. Traditionelle Zwangsverheiratungen von Mädchen, Kinderehen und sogenannte „Ehen auf Zeit“ (zawaj al-mut‘a) finden im ganzen Land statt (USDOS 11.3.2020). „Ehe auf Zeit“ ist eine im zwölferschiitischen Islam erlaubte Möglichkeit auf religiös gebilligten Geschlechtsverkehr. Im sunnitischen Islam sind diese Ehen nicht erlaubt, auch wenn manche sunnitische Geistliche eine ähnliche Form der Ehe auf Zeit, misyar, gestatten (BBC 4.10.2019). Zwangsehen und „Ehen auf Zeit“ werden benutzt, um Frauen und Mädchen innerhalb des Irak sowie in Ländern wie Syrien, Jordanien und Kuwait zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu verkaufen (OHCHR 11.11.2019).
Nach Angaben des Hohen Rates für Frauenangelegenheiten der kurdischen Regionalregierung (KRG) tragen Flüchtlinge und IDPs in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu einer zunehmenden Zahl an Kinderehen und Polygamie bei (USDOS 11.3.2020). Viele Frauen und Mädchen sind durch Flucht und Verfolgung besonders gefährdet. Es gibt vermehrt Berichte, dass Mädchen in Flüchtlingslagern zur Heirat gezwungen werden. Dies geschieht entweder, um ihnen ein vermeintlich besseres Leben zu ermöglichen, oder um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Häufig werden die Ehen nach kurzer Zeit wieder annulliert, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Mädchen (AA 12.1.2019).
Fasliya bezeichnet eine traditionelle Stammespraxis zur Schlichtung von Konflikten, bei der Frauen bzw. Mädchen eines Stammes mit Männern eines verfeindeten Stammes als Entschädigung für Mord bzw. für die Verletzung von Mitgliedern des anderen Stammes verheiratet werden (USDOS 11.3.2020; vgl. Musawah 11.2019). Dies geschieht ohne die Zustimmung der betreffenden Frauen (Musawah 11.2019). Obwohl die „Blutgeld-Ehe“ seit den 1950er Jahren mit dem irakischen Personenstandsgesetz von 1959 gesetzlich verboten ist, erlebt diese Praxis vor allem im Südirak, wo sich Bürger zur Konfliktbewältigung wieder vermehrt an Stämme wenden, einen Aufschwung. Die Praxis existiert auch in anderen Teilen des Landes (z.B. im Zentralirak) (Al-Monitor 18.6.2015) und wird auf kurdisch als badal khueen oder jin be xwên bezeichnet (FO 29.12.2015). Frauen, die im Zuge solcher Arrangements „als Kompensation“ bzw. „als Ersatz“ für den Toten bzw. für das vergossene Blut verheiratet werden, können sich nicht scheiden lassen und sind häufig Missbrauch ausgesetzt (Raseef22 17.8.2016; vgl. France 24 18.4.2019; Al-Monitor 18.6.2015). Sogar Kinder, die in einer solchen Ehe geboren werden, werden als „Kinder der Fasliya" gebrandmarkt (France 24 18.4.2019).
Im Jahr 2011 hat das kurdische Regionalparlament mit Gesetzt Nr. 8 ein Gesetz zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt erlassen, das auch die Zwangsehe, die Kinderehe und die Blutgeld-Ehe unter Strafe stellt (PKI 21.6.2011).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
Al-Monitor (18.6.2015): Blood money marriage makes comeback in Iraq, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2015/06/iraq-tribes-women-blood-money-marriage-dispute-settlement.html , Zugriff 13.3.2020
BBC News (4.10.2019): The teenager married too many times to count, https://www.bbc.co.uk/news/extra/iuKTEGjKgS/teenage_iraq_brides , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
FO - Fair Observer (29.12.2015): Woman-for-Blood Marriages Persist in Iraq, https://www.fairobserver.com/region/middle_east_north_africa/woman-for-blood-marriages-persist-in-iraq-21101/ , Zugriff 13.3.2020
France 24 (18.4.2019): In Iraq, tribal traditions rob women, girls of rights, https://www.france24.com/en/20190418-iraq-tribal-traditions-rob-women-girls-rights , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (17.12.2017): Iraq: Parliament Rejects Marriage for 8-Year-Old Girls, https://www.hrw.org/news/2017/12/17/iraq-parliament-rejects-marriage-8-year-old-girls , Zugriff 13.3.2020
Musawah, publiziert durch CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (11.2019): Thematic Report on Article 16, Muslim Family Law and Muslim Women's Rights in Iraq; 74th CEDAW Session, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37333_E.docx, Zugriff 13.3.2020
OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (11.11.2019): UN women’s rights experts issue findings on Andorra, Bosnia and Herzegovina, Cambodia, Iraq, Kazakhstan, Lithuania, and Seychelles, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25277&LangID=E , Zugriff 13.3.2020
PKI - The Parliament of Kurdistan – Iraq (21.6.2011): Act No. 8 from 2011, The Act of Combating Domestic Violence in Kurdistan Region-Iraq, http://www.ekrg.org/files/pdf/combat_domestic_violence_english.pdf , Zugriff 13.3.2020
Raseef22 (17.8.2016): In Iraq, Women are Offered as Tributes to Settle Tribal Vendettas, https://raseef22.com/en/life/2016/08/17/fasliya-marriage-iraq-girls-peace/ , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Genitalverstümmelung (FGM – Female Genital Mutilation)
Letzte Änderung: 14.05.2020
Das Thema der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen im Irak war lange Zeit ein Tabu, über das kaum gesprochen wurde. Erst als durch Studien die alarmierend hohe FGM-Rate im kurdischen Norden aufgezeigt wurde, hat sich dies geändert (MRG 11.2015). Seit 2011 stellt ein Gesetz in der Kurdischen Region im Irak (KRI) die Genitalverstümmelung unter Strafe (AA 12.1.2019; vgl. PKI 21.6.2011). Die UNO arbeitet mit Regierungsinstitutionen und lokalen NGOs zusammen, um FGM durch Sensibilisierungskampagnen zu verhindern (UNICEF 6.2.2019). NGOs berichten jedoch, dass die Praxis weiter betrieben wird, vor allem in ländlichen Gebieten. Allerdings geht die FGM-Rate kontinuierlich zurück (USDOS 11.3.2020; vgl. UNICEF 6.12.2018). Etwa 7,4% der irakischen Frauen im Alter von 15-49 Jahren sind einer FGM unterzogen worden, In der KRI sind es 37,5%, im Zentral- und Südirak hingegen nur 0,4%. Bei Mädchen im Alter von 0 bis14 Jahren ist der Prozentsatz mittlerweile auf 1% gesunken, bzw. auf 3% in der KRI (UNICEF 6.12.2018).
Außerhalb der KRI gibt es bisher keine staatlichen Anstrengungen zur Bekämpfung von FGM (AA 12.1.2019). Dabei gibt es laut einer Studie in Kirkuk auch Betroffene in der arabischen und turkmenischen Bevölkerung, wenn auch in geringerem Ausmaß (AA 12.1.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4_OCTOBER-2015_WEB.pdf , Zugriff 13.3.2020
PKI - The Parliament of Kurdistan – Iraq (21.6.2011): Act No. 8 from 2011, The Act of Combating Domestic Violence in Kurdistan Region-Iraq, http://www.ekrg.org/files/pdf/combat_domestic_violence_english.pdf , Zugriff 13.3.2020
UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.12.2018): 2018 Muliple Indicator Cluster Survey (MICS6) Briefing, https://www.unicef.org/iraq/media/481/file/MICS6.pdf , Zugriff 13.3.2020
UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.2.2019): Protecting Girls in Iraq from Female Genital Mutilation, https://www.unicef.org/iraq/press-releases/protecting-girls-iraq-female-genital-mutilation , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil
Letzte Änderung: 14.05.2020
Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 4.3.2020). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 12.1.2019). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 21.6.2019).
Auch Frauen, die in politischen und sozialen Bereichen tätig sind, darunter Frauenrechtsaktivistinnen, Wahlkandidatinnen, Geschäftsfrauen, Journalistinnen sowie Models und Teilnehmerinnen an Schönheitswettbewerben, sind Einschüchterungen, Belästigungen und Drohungen ausgesetzt. Dadurch sind sie oft gezwungen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen oder aus dem Land zu fliehen (UNHCR 5.2019). Im Jahr 2018 gab es einige Morden an Frauen, die in der Öffentlichkeit standen und als gegen soziale Gebräuche und traditionelle Geschlechterrollen verstoßend wahrgenommen wurden, darunter Bürgerechtlerinnen und Personen, die mit der Beauty- und Modebranche in Verbindung standen (FH 4.3.2020; vgl. UNHCR 5.2019).
Mädchen und Frauen haben immer noch einen schlechteren Zugang zu Bildung. Je höher die Bildungsstufe ist, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine „frühe Ehe" für sie vor (GIZ 1.2020b).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020b): Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/ , Zugriff 13.3.2020
UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (5.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html , Zugriff 13.3.2020
Kinder
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die Hälfte der irakischen Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind einerseits in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage, andererseits durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA 12.1.2019). Laut UNICEF machen Kinder fast die Hälfte der durch den Konflikt vertriebenen Iraker aus (USDOS 11.3.2020). Im Dezember 2019 waren noch mehr als 1,4 Millionen Menschen, darunter 658.000 Kinder, IDPs, vor allem im Norden und Westen des Landes (UNICEF 31.12.2019).
Artikel 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Der Irak ist dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 12.1.2019). Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches haben Eltern das Recht, ihre Kinder innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 14.1.2020).
Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im Gebiet des Islamischen Staates (IS) geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten. Etwa 45.000 Kinder sind davon betroffen (USDOS 11.3.2020). [siehe Abschnitt 16.7]
Nach dem Gesetz ist der Vater der Vormund der Kinder, auch wenn eine geschiedene Mutter das Sorgerecht für ihre Kinder bis zum Alter von zehn Jahren erhalten kann. Dies kann per Gerichtsentscheid auch bis zum Alter von 15 Jahren verlängert werden, zu welchem Zeitpunkt das Kind wählen kann, mit welchem Elternteil es leben möchte (USDOS 11.3.2020). Das irakische Familienrecht unterscheidet zwischen zwei Arten der Vormundschaft (wilaya und wasiya), sowie der Pflege bzw. Sorge (hanada). Dem Vater kommt immer die Vormundschaft (wilaya) zu. Wenn dieser nicht mehr lebt, dem Großvater bzw. nach Entscheidung eines Shari‘a-Gerichts einem anderen männlichen Verwandten. Nur ein Mann kann demnach wali sein. Die Fürsorgeberechtigung (hanada), d.h. die Verantwortung für die Erziehung, Sicherheit und Betreuung eines Kindes, kommt im Falle einer Scheidung der Mutter zu. D.h. die Kinder leben bei der Mutter, im Falle von Knaben bis zum 13. Lebensjahr und im Falle von Mädchen bis zum 15. Lebensjahr (Migrationsverket 15.8.2018).
Einem Bericht aus 2018 zufolge sind fast alle irakischen Kinder (92%) in der Grundschule eingeschrieben, aber nur etwas mehr als die Hälfte der Kinder aus ärmeren Verhältnissen absolvieren die Grundschule (UNICEF 19.11.2018). Dabei ist die Grundschulbildung für Kinder mit irakischer Staatsbürgerschaft in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten (USDOS 11.3.2020). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern allerdings mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7%), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der KRI fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig (AA 12.1.2019). Mindestens 70% der Kinder von IDPs haben mindestens ein Jahr Schulunterricht verpasst (USDOS 11.3.2020). Mehr als 3,3 Millionen Kinder im Irak benötigen Unterstützung im Bildungsbereich (UNICEF 31.12.2019).
Eine Million Kinder unter 18 Jahren hatte Ende 2019 humanitären Bedarf an Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene (UNICEF 31.12.2019). Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News 19.1.2018; vgl. UNICEF 31.1.2017). 22,6% der Kinder im Irak sind unterernährt (AA 12.1.2019). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw. im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF 31.1.2017).
Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem (USDOS 11.3.2020). Berichten zufolge verkaufen Menschenhändlernetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland. Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln und Drogen zu verkaufen (USDOS 20.6.2019). Auch Kinderprostitution ist ein Problem, insbesondere unter Flüchtlingen. Da die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung neun Jahre beträgt und in der KRI elf, behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer (USDOS 11.3.2020).
Die Verfassung und das Gesetz verbieten die schlimmsten Formen von Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Versuche der Regierung Kinderarbeit z.B. durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos. Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen, kam im ganzen Land vor (USDOS 11.3.2020).
Kindersoldaten, Rekrutierung von Kindern
Die Regierung und schiitische religiöse Führer verbieten Kindern unter 18 Jahren ausdrücklich den Kriegsdienst. Es gibt keine Berichte, wonach Kinder von staatlicher Seite zum Dienst in den Sicherheitskräften einberufen oder rekrutiert werden. Der Regierung mangelt es jedoch an Kontrolle über einige PMF-Einheiten, sie kann die Rekrutierung von Kindern durch diese Gruppen nicht verhindern, darunter die Asa’ib Ahl al-Haqq (AAH), Harakat Hezbollah al-Nujaba (HHN) und die Kata’ib Hizbollah (KH) (USDOS 11.3.2020). Es gibt auch keine diesbezüglichen Untersuchungen (USDOS 20.6.2019). Die Vereinten Nationen untersuchen die Rekrutierung und Verwendung von 39 Kindern durch die Konfliktparteien, darunter fünf Buben im Alter von zwölf bis 15 Jahren, die von der irakischen Bundespolizei im Gouvernement Ninewa zur Verstärkung eines Kontrollpostens eingesetzt wurden (UN General Assembly 30.7.2019). Berichten zufolge rekrutieren sowohl die Volksverteidigungskräfte (HPG), der militärische Arm der Kurdische Arbeiterpartei (PKK), und die jesidische Miliz Shingal Protection Unit (YBS) nach wie vor Kinder und setzen diese als Soldaten ein. Genaue Zahlen sind zwar nicht verfügbar, aber sie werde auf einige Hundert geschätzt (USDOS 11.3.2020). Seit der territorialen Niederlage des IS im Jahr 2017 gibt es keine neuen Informationen über den Einsatz von Kindern durch den IS (USDOS 11.3.2020). Zuvor hatte der IS ab 2014 tausende Kinder rekrutiert. Diese wurden als Frontkämpfer, Selbstmordattentäter, zur Herstellung und Anbringung von Sprengsätzen, zur Durchführung von Patrouillen, als Wächter und Spione und für eine Vielzahl von Unterstützungsaufgaben eingesetzt (HRW 6.3.2019). Die Zentralregierung sowie die Regierung der Kurdischen Region im Irak verfolgen solche Kinder gemäß ihren Terrorismusbekämpfungsgesetzen. Etwa 1.500 irakische Kinder werden wegen des Vorwurfs einer IS-Angehörigkeit in Gefängnissen festgehalten und gefoltert, um Geständnisse zu erzwingen (The New Arab 8.3.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Es gibt Berichte über Verurteilungen von Kindern als Terroristen (HRW 6.3.2019).
[Anm.: Informationen zu Kinderehen können dem Kapitel 16.1.3 Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-Ehe (Fasliya) entnommen werden, Informationen zu Kindern, die unter dem IS geboren sind finden sich in Kapitel 16.7 (Mutmaßliche) IS-Mitglieder, IS-Sympatisanten und „IS-Familien“ (Dawa‘esh).]
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (6.3.2019): “Everyone Must Confess" Abuses against Children Suspected of ISIS Affiliation in Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458729/4792_1552027742_iraq0319-web-1.pdf , Zugriff 13.3.2020
Migrationsverket (Schweden) (15.8.2018): Irak - familjerätt och vårdnad, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442095/4792_1535708243_180815601.pdf , Zugriff 13.3.2020
New Arab, The (8.3.2019): The Iraq Report: Thousands of children tortured by Iraqi authorities, https://www.alaraby.co.uk/english/indepth/2019/3/8/the-iraq-report-thousands-of-children-tortured-by-authorities , Zugriff 13.3.2020
UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf , Zugriff 13.3.2020
UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.12.2019): Iraq 2019 Humanitarian Situation Report, https://www.unicef.org/appeals/files/Iraq_Humanitarian_Situation_Report_End_of_Year_2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (19.11.2018): Deep inequality continues to shape the lives of children in Iraq, https://www.unicef.org/press-releases/deep-inequality-continues-shape-lives-children-iraq , Zugriff 13.3.2020
UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.1.2017): Child Poverty in Iraq: An Analysis of Child Poverty Trends and Policy Recommendations for the National Poverty Reduction Strategy 2017-202, https://reliefweb.int/report/iraq/child-poverty-iraq-analysis-child-poverty-trends-and-policy-recommendations-national , Zugriff 13.3.2020
UN News – United Nations News (19.1.2018): One in four Iraqi children impacted by conflict, poverty; education key for lasting peace – UNICEF, https://news.un.org/en/story/2018/01/1000811 , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
USDOS - United States Department of State (20.6.2019): 2019 Trafficking in Persons Report: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2010829.html , Zugriff 13.3.2020
USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html , Zugriff 13.3.2020
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 11.3.2020).
Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der Islamische Staat (IS) richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vgl. Zeidel/al-Hashimis 6.2019).
Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 11.3.2020).
Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS, zwischen 2014 und 2017, führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.2019). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 4.3.2020).
Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 11.3.2020). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen – auch kurzfristig – gerechnet werden (AA 12.1.2019).
Einreise und Einwanderung in die Kurdische Region im Irak (KRI)
Die Kurdischen Region im Irak (KRI) schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 11.3.2020). Während die Einreise in die Gouvernements Erbil und Sulaymaniyah ohne Bürgen möglich ist, wird für die Einreise nach Dohuk ein Bürge benötigt. Insbesondere Araber aus den ehemals vom IS kontrollierten Gebieten, sowie Turkmenen aus Tal Afar im Gouvernement Ninewa benötigen einen Bürgen aus Dohuk, es sei denn, sie erhalten eine vorübergehende Reisegenehmigung vom Checkpoint in der Nähe des Dorfes Hatara. Diese Genehmigung wird für kurzfristige Besuche aus medizinischen oder ähnlichen Gründen erteilt (UNHCR 11.2019).
Inner-irakische Migration aus dem Zentralirak in die KRI ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert (AA 12.1.2019). Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden (AA 12.1.2019; vgl. UNHRC 11.2019). Eine Sicherheitsfreigabe ist dabei in allen Regionen der KRI notwendig (UNHCR 11.2019). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, dass sie einen in der Region ansässigen Bürgen vorweisen können (USDOS 11.3.2020). Eine zusätzliche Anforderung für alleinstehende arabische und turkmenische Männer ist, dass sie eine feste Anstellung und ein Unterstützungsschreiben ihres Arbeitgebers vorweisen müssen (UNHCR 11.2019). In Dohuk muss eine Person in Begleitung des Bürgen, der die Einreise ermöglicht, vorstellig werden, um eine Aufenthaltskarte („Informationskarte“) zu erhalten (UNHCR 11.2019). Die Aufenthaltsgenehmigung ist in der Regel einjährig erneuerbar (UNHCR 11.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Personen ohne feste Anstellung erhalten jedoch nur eine einmonatige, erneuerbare Genehmigung (UNHCR 11.2019). Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.1.2019). Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die KRI einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehen lassen (USDOS 11.3.2020).
Die KRI-Behörden wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Checkpoints werden manchmal für längere Zeit geschlossen. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 11.3.2020).
Einreise und Einwanderung in den Irak unter der Zentralregierung
Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Najaf, Qadissiya und Wassit. Für den Zugang zu den Gouvernements Maysan und Muthanna wird hingegen ein Bürge benötigt, der die Person an einem Grenz-Checkpoint in Empfang nimmt, oder mit ihr bei der zuständigen Sicherheitsbehörde für eine Freigabe vorstellig wird. Ohne Bürge wird der Zugang wahrscheinlich verweigert, auch wenn die Sicherheitsbehörden über einen Ermessensspielraum für Ausnahmen verfügen (UNHCR 11.2019).
Für die Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar (Anm.: etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadisiya und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Eine Ausnahme stellt der Bezirk Khanaqin dar, in dem Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS), und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
FIS - Finnish Migrations Service (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf , Zugriff 13.3.2020
NYT - New York Times, The (2.4.2018): In Iraq, I Found Checkpoints as Endless as the Whims of Armed Men, https://www.nytimes.com/2018/04/02/magazine/iraq-sinjar-checkpoints-militias.html , Zugriff 13.3.2020
UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (11.2019): Iraq: Country of Origin Information on Access and Residency Requirements in Iraq (Update I), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019573/5dc04ef74.pdf , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
Zeidel, Ronan, al-Hashimis Hisham in Terrorism Research Initiative (6.2019): A Phoenix Rising from the Ashes? Daesh after its Territorial Losses in Iraq and Syria, https://www.jstor.org/stable/26681907 , Zugriff 13.3.2020
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 14.05.2020
Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.1.2019). Der irakische humanitäre Reaktionsplan schätzt, dass im Jahr 2019 etwa 6,7 Millionen Menschen dringend Unterstützung benötigten (IOM o.D.; vgl. USAID 30.9.2019). Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die grassierende Korruption verstärkt vorhandene Defizite zusätzlich. In vom Islamischen Staat (IS) befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.1.2019).
Nach Angaben der UN-Agentur UN-Habitat leben 70% der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.1.2019). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018). Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 12.1.2019).
Wirtschaftslage
Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mossul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im April 2019 (GIZ 1.2020c). Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich nach den wirtschaftlichen Herausforderungen und innenpolitischen Spannungen der letzten Jahre. Während das BIP 2016 noch um 11% wuchs, verzeichnete der Irak 2017 ein Minus von 2,1%. 2018 zog die Wirtschaft wieder an und verzeichnete ein Plus von ca. 1,2% aufgrund einer spürbaren Verbesserung der Sicherheitsbedingungen und höherer Ölpreise. Für 2019 wurde ein Wachstum von 4,5% und für die Jahre 2020–23 ebenfalls ein Aufschwung um die 2-3%-Marke erwartet (WKO 18.10.2019).
Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 1.2020c). Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Der Irak besitzt kaum eigene Industrie jenseits des Ölsektors. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.1.2019).
Die Arbeitslosenquote, die vor der IS-Krise rückläufig war, ist über das Niveau von 2012 hinaus auf 9,9% im Jahr 2017/18 gestiegen. Unterbeschäftigung ist besonders hoch bei IDPs. Fast 24% der IDPs sind arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 17% im Landesdurchschnitt). Ein Fünftel der wirtschaftlich aktiven Jugendlichen ist arbeitslos, ein weiters Fünftel weder erwerbstätig noch in Ausbildung (WB 12.2019).
Die Armutsrate im Irak ist aufgrund der Aktivitäten des IS und des Rückgangs der Öleinnahmen gestiegen (OHCHR 11.9.2019). Während sie 2012 bei 18,9% lag, stieg sie während der Krise 2014 auf 22,5% an (WB 19.4.2019). Einer Studie von 2018 zufolge ist die Armutsrate im Irak zwar wieder gesunken, aber nach wie vor auf einem höheren Niveau als vor dem Beginn des IS-Konflikt 2014, wobei sich die Werte, abhängig vom Gouvernement, stark unterscheiden. Die südlichen Gouvernements Muthanna (52%), Diwaniya (48%), Maisan (45%) und Dhi Qar (44%) weisen die höchsten Armutsraten auf, gefolgt von Ninewa (37,7%) und Diyala (22,5%). Die niedrigsten Armutsraten weisen die Gouvernements Dohuk (8,5%), Kirkuk (7,6%), Erbil (6,7%) und Sulaymaniyah (4,5%) auf. Diese regionalen Unterschiede bestehen schon lange und sind einerseits auf die Vernachlässigung des Südens und andererseits auf die hohen Investitionen durch die Regionalregierung Kurdistans in ihre Gebiete zurückzuführen (Joel Wing 18.2.2020). Die Regierung strebt bis Ende 2022 eine Senkung der Armutsrate auf 16% an (Rudaw 16.2.2020).
Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Arbeitsmöglichkeiten haben im Allgemeinen abgenommen. Die monatlichen Einkommen im Irak liegen in einer Bandbreite zwischen 200 und 2.500 USD (Anm.: ca. 185-2.312 EUR), je nach Position und Ausbildung. Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD (Anm.: ca. 0,9 EUR) pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land sind derzeit keine dieser Weiterbildungsprogramme, die nur durch spezielle Fonds zugänglich sind, aktiv (IOM 1.4.2019).
Stromversorgung
Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.1.2019). Sie deckt nur etwa 60% der Nachfrage ab, wobei etwa 20% der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 17.9.2019). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.1.2019).
Wasserversorgung
Etwa 70% des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes, vor allem in der Türkei und im Iran. Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark reduziert. Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt und dient somit als Lebensgrundlage für etwa 13 Millionen Menschen (GRI 24.11.2019).
Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Insbesondere Dammprojekte der irakischen Nachbarländer, wie in der Türkei, haben großen Einfluss auf die Wassermenge und Qualität von Euphrat und Tigris. Der damit einhergehende Rückgang der Wasserführung in den Flüssen hat ein Vordringen des stark salzhaltigen Wassers des Persischen Golfs ins Landesinnere zur Folge und beeinflusst sowohl die Landwirtschaft als auch die Viehhaltung. Das bringt in den besonders betroffenen südirakischen Gouvernements Ernährungsunsicherheit und sinkenden Einkommensquellen aus der Landwirtschaft mit sich (EPIC 18.7.2017).
Die Wasserversorgung wird zudem von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem fehlt es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.1.2019). Im Südirak und insbesondere Basra führten schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass im Jahr 2018 mindestens 118.000 Menschen wegen Magen-Darm Erkrankungen in Krankenhäusern behandelt werden mussten (HRW 22.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019).
Nahrungsmittelversorgung
Etwa 1,77 Millionen Menschen im Irak sind von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, ein Rückgang im Vergleich zu 2,5 Millionen Betroffenen im Jahr 2019 (USAID 30.9.2019; vgl. FAO 31.1.2020). Die meisten davon sind IDPs und Rückkehrer. Besonders betroffen sind jene in den Gouvernements Diyala, Ninewa, Salah al-Din, Anbar und Kirkuk (FAO 31.1.2020). 22,6% der Kinder sind unterernährt (AA 12.1.2019).
Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurden unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Trotz konfliktbedingter Einschränkungen und Überschwemmungen entlang des Tigris (betroffene Gouvernements: Diyala, Wasit, Missan und Basra), die im März 2019 aufgetreten sind, wird die Getreideernte 2019 wegen günstiger Witterungsbedingungen auf ein Rekordniveau von 6,4 Millionen Tonnen geschätzt (FAO 31.2.2020)
Trotzdem ist das Land von Nahrungsmittelimporten abhängig (FAO 31.1.2020). Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (UNFAO) schätzt, dass der Irak zwischen Juli 2018 und Juni 2019 etwa 5,2 Millionen Tonnen Mehl, Weizen und Reis importiert hat, um den Inlandsbedarf zu decken (USAID 30.9.2019).
Im Südirak und insbesondere Basra führen schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass Landwirte ihre Flächen mit verschmutztem und salzhaltigem Wasser bewässern, was zu einer Degradierung der Böden und zum Absterben von Nutzpflanzen und Vieh führt (HRW 22.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019)
Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen (K4D 18.5.2018; vgl. USAID 30.9.2019). Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schwerer Ineffizienz gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).
[Anm.: Informationen zum Unterkünften können dem Kapitel 21 Rückkehr entnommen werden.]
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf , Zugriff 13.3.2020
EPIC - Enabling Peace in Iraq Center (18.7.2017): Drought in the land between two rives, https://www.epic-usa.org/iraq-water/ , Zugriff 13.3.2020
Fanack (17.9.2019): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/ , Zugriff 18.2.2020
FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (31.1.2020): Country Briefs, Iraq, http://www.fao.org/giews/countrybrief/country.jsp?code=IRQ , Zugriff 13.3.2020
FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (8.2.2018): Iraq: Recovery and Resilience Programme 2018-2019, http://www.fao.org/3/I8658EN/i8658en.pdf , Zugriff 13.3.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020c): Irak - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 13.3.2020
GRI - Global Risk Insights (24.11.2019): Water Shortage and Unrest in Iraq, https://globalriskinsights.com/2019/11/water-shortage-and-unrest-in-iraq/ , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (22.7.2019): Irak: Wasserkrise in Basra, https://www.hrw.org/de/news/2019/07/22/irak-wasserkrise-basra , Zugriff 13.3.2020
IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2 , Zugriff 13.3.2020
IOM - Internationale Organisation für Migration (o.D.): Iraq 2019, Humanitarian Compendium, https://humanitariancompendium.iom.int/appeals/iraq-2019 , Zugriff 13.3.2020
Joel Wing, Musings on Iraq (18.2.2020): Poverty Rate In Iraq Down But Still Higher Than Pre-War Level, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/poverty-rate-in-iraq-down-but-still.html , Zugriff 13.3.2020
K4D - Knowledge for Development Program (18.5.2018): Iraqi state capabilities, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5b18e952e5274a18eb1ee3aa/Iraqi_state_capabilities.pdf , Zugriff 13.3.2020
OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (11.9.2019): Committee on the Rights of Persons with Disabilities discusses the impact of the armed conflict on persons with disabilities in Iraq, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=24976&LangID=E , Zugriff 13.3.2020
Rudaw (16.2.2020): ISIS caused massive spike in Iraq’s poverty rate, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/160220201 , Zugriff 13.3.2020
USAID - Unites States Agency for International Development (30.9.2019): Food Assistance Fact Sheet: Iraq, https://www.usaid.gov/iraq/food-assistance , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
WB - World Bank, The (12.2019): Unemployment, youth total (% of total labor force ages 15-24) (modeled ILO estimate), Iraq, https://data.worldbank.org/indicator/SL.UEM.1524.ZS?locations=IQ , Zugriff 13.3.2020
WB - World Bank, The (19.4.2019): Republic of Iraq, http://pubdocs.worldbank.org/en/300251553672479193/Iraq-MEU-April-2019-Eng.pdf , Zugriff 13.3.2020
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (18.10.2019): Die irakische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html , Zugriff 13.3.2020
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 14.05.2020
Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).
Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).
Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.1.2019). Für das Jahr 2020 werden in Flüchtlingslagern der kurdischen Gouvernements Dohuk und Sulaymaniyah erhebliche Lücken in der Gesundheitsversorgung erwartet, die auf Finanzierungsengpässe zurückzuführen sind (UNOCHA 17.2.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/ , Zugriff 13.3.2020
IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2 , Zugriff 13.3.2020
UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf , Zugriff 13.3.2020
UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (17.2.2020): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/humanitarian-bulletin-january-2020.pdf , Zugriff 13.3.2020
WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html , Zugriff 13.3.2020
Rückkehr
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Kurdischen Region im Irak (KRI) finden regelmäßig statt. In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.1.2019).
Studien zufolge ist die größte Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017).
Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger (IOM 1.4.2019). Die Miete für 250 m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD (Anm.: ca. 296 EUR) (IOM 13.6.2018). Die Wohnungspreise in der KRI sind 2018 um 20% gestiegen, während die Miete um 15% gestiegen ist, wobei noch höhere Preise prognostiziert werden (Ekurd 8.1.2019). In den Städten der KRI liegt die Miete bei 200-600 USD (Anm.: ca. 185-554 EUR) für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 12 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 8-19 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 23-31 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000-60.000 IQD (Anm.: ca. 31-46 EUR) für privaten oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom. Die Rückkehr von IDPs in ihre Heimatorte hat eine leichte Senkung der Mietpreise bewirkt. Generell ist es für alleinstehende Männer schwierig Häuser zu mieten, während es in Hinblick auf Wohnungen einfacher ist (IOM 1.4.2019).
Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussen sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 12.2019).
Im Zuge seines Rückzugs aus der nordwestlichen Region des Irak, 2016 und 2017, hat der Islamische Staat (IS) die landwirtschaftlichen Ressourcen vieler ländlicher Gemeinden ausgelöscht, indem er Brunnen, Obstgärten und Infrastruktur zerstörte. Für viele Bauerngemeinschaften gibt es kaum noch eine Lebensgrundlage (USCIRF 4.2019). Im Rahmen eines Projekts der UN-Agentur UN-Habitat und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) wurden im Distrikt Sinjar, Gouvernement Ninewa, binnen zweier Jahre 1.064 Häuser saniert, die während der IS-Besatzung stark beschädigt worden waren. 1.501 Wohnzertifikate wurden an jesidische Heimkehrer vergeben (UNDP 28.4.2019).
Es besteht keine öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrer. Private Immobilienfirmen können jedoch helfen (IOM 1.4.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
Ekurd Daily (8.1.2019): Property prices increasing in Iraqi Kurdistan after years of stagnation, https://ekurd.net/property-prices-kurdistan-2019-01-08 , Zugriff 13.3.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/ , Zugriff 13.3.2020
IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2 , Zugriff 13.3.2020
IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile , Zugriff 13.3.2020
IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635%20-%20Iraq_Returnees_Snapshot-Report%20-%20V5.pdf , Zugriff 13.3.2020
REACH (30.6.2017): Iraqi migration to Europe in 2016: Profiles, Drivers and Return, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/reach_irq_grc_report_iraqi_migration_to_europe_in_2016_june_2017%20%281%29.pdf , Zugriff 13.3.2020
USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
UNDP - United Nations Development Programme (28.4.2019): UN-Habitat and UNDP Upscale Support on Housing Rehabilitation and Secure Tenure for the Returnees in Sinjar, https://www.iq.undp.org/content/iraq/en/home/presscenter/pressreleases/2019/04/28/un-habitat-and-undp-upscale-support-on-housing-rehabilitation-an.html , Zugriff 13.3.2020
Staatsbürgerschaft und Dokumente
Letzte Änderung: 14.05.2020
Artikel 18 der irakischen Verfassung besagt, dass jede Person, die zumindest über einen irakischen Elternteil verfügt, die Staatsbürgerschaft erhält und somit Anspruch auf Ausweispapiere hat (Irakische Nationalversammlung 15.10.2005; vgl. HRW 28.8.2019; USDOS 11.3.2020). Dies wird in Artikel 3 des irakischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 2006 bestätigt, jedoch wird in Artikel 4 darauf hingewiesen, dass Personen, die außerhalb des Iraks von einer irakischen Mutter geboren werden und deren Vater entweder unbekannt oder staatenlos ist, vom Minister für die irakischen Staatsbürgerschaft in Betracht gezogen werden können. Dies geschieht, wenn sich die besagte Person innerhalb eines Jahres nach ihrer Vollmündigkeit für die irakische Staatsbürgerschaft entscheidet. Wenn dies aus schwierigen Gründen unmöglich ist, kann die Person trotzdem noch um die irakische Staatsbürgerschaft ansuchen. In jedem Fall muss der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Bewerbung aber im Irak ansässig sein (Irakische Nationalversammlung 7.3.2006). Eine Doppelstaatsbürgerschaft ist per Staatsbürgerschaftsgesetz No.26/2006, Artikel 10 erlaubt (RoI MoFA 2020).
Nach dem Geburts- und Todesregistergesetz (1971) und dem Zivilstandsgesetz (1972), muss für den Erhalt einer Heiratsurkunde der Eheschluss von beiden Ehepartnern bezeugt werden, bzw. muss im Fall einer Wiederverheiratung die Sterbeurkunde des früheren Ehepartners vorgelegt werden. Es sind jeweils zwei Zeugen notwendig (HRW 25.2.2018)
Der irakische Personalausweis (arabisch: bitaqat hawwiyat al-ahwal al-shakhsiya) wird für alle behördlichen Angelegenheiten benötigt, wie beispielsweise Gesundheits- und Sozialdienste, Schulen, sowie für den Kauf und Verkauf einer Unterkunft und eines Autos. Er wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente, wie den Reisepass, benötigt. Im Oktober 2015 ist ein neues nationales Ausweisgesetz in Kraft getreten. Laut diesem soll ein neuer biometrischer Personalausweis vier Karten ersetzen: den alten Personalausweis, den Staatsangehörigkeitsnachweis, den Aufenthaltsnachweis und den Lebensmittelausweis. Seit der Jahreswende 2015/2016 werden die neuen Ausweise sukzessive ausgestellt, bisher mehr als zehn Millionen. Viele Iraker besitzen nach wie vor ihren alten Personalausweis und die erforderlichen Staatsangehörigkeitsbescheinigungen. Zwar haben die alten Ausweise kein Ablaufdatum, doch werden sie laut irakischen Behörden im Jahr 2024 ihre Gültigkeit verlieren. Die alten Ausweise werden dabei nach wie vor an Orten ausgegeben, an denen die notwendigen Gegebenheiten für die Ausstellung der neuen Dokumente nicht vorhanden sind. So werden etwa nach Angaben der irakischen Behörden in Teilen der Gouvernements Ninewa, Diyala, Salah ad-Din und Anbar immer noch alte Personalausweise und Staatsangehörigkeitsbescheinigungen ausgestellt. Von den 356 Ausweisämtern des Landes stellen derzeit 266 die neuen elektronischen Ausweise aus. Da Ausweise in der Regel nur an den Orten der Aufenthaltsmeldung ausgestellt werden, benötigen IDPs häufig die Hilfe anderer, um zumindest an einen alten Ausweis zu kommen (FIS 17.6.2019).
Laut dem irakischen Passgesetz kann jede Person über 18 Jahren, unabhängig von ihrem Geschlecht und ohne Erlaubnis des Vormunds einen Pass erhalten (Irakisches Innenministerium 2017). Jedoch können Frauen ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters weder einen Reisepass beantragen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020), noch einen Personalausweis bekommen, der etwa für den Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt wird (FIS 22.5.2018; vgl. USDOS 11.3.2020).
Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3D-Barcode und gelten, im Vergleich zu den Vorgängermodellen, als fälschungssicherer. Vor allem können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden (AA 12.1.2019; vgl. FIS 17.6.2019), da Fingerabdrücke aller Finger, ein Foto und ein Iris-Scan angefertigt werden. Davon ausgenommen sind Kinder unter zwölf Jahren (FIS 17.6.2019). Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen, diese Pässe auszustellen (AA 12.1.2019). Nur etwa 25-30 Millionen Iraker (etwa 60-75% der Bevölkerung) besitzen einen Reisepass (FIS 17.6.2019). Der Islamische Staat (IS) konfiszierte in Gebieten unter seiner Kontrolle regelmäßig offizielle Dokumente, die von staatlichen irakischen Stellen ausgestellt worden waren und stellte eigene Dokumente aus, wie z.B. Heirats- und Geburtsurkunden. Diese werden von den irakischen Behörden jedoch nicht anerkannt (HRW 28.8.2019; vgl. NRC 4.2019).
Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 12.1.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020
FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020 , Zugriff 13.3.2020
FIS - Finnish Immigration Service (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf , Zugriff 13.3.2020
FIS - Finnish Immigration Service (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf , Zugriff 13.3.2020
HRW - Human Rights Watch (28.8.2019): Iraq: School Doors Barred to Many Children, https://www.ecoi.net/de/dokument/2015675.html , Zugriff 13.3.2020
Irakisches Innenministerium (2017): تعليمات الحصول على جواز سفر مقروء آليا, http://www.iraqinationality.gov.iq/InstructionstoapplyforElectronicallyReadPassport.html , Zugriff 13.3.2020
Irakische Nationalversammlung (7.3.2006): Irakisches Nationalitätsgesetz, http://www.refworld.org/topic ,50ffbce524d,50ffbce525c,4b1e364c2,0,,LEGISLATION,IRQ.html, Zugriff 13.3.2020
Irakische Nationalversammlung (15.10.2005): Verfassung der Republik Irak, http://www.refworld.org/topic ,50ffbce524d,50ffbce525c,454f50804,0,,LEGISLATION,IRQ.html, Zugriff 13.3.2020
NRC - Norwegian Refugee Council (4.2019): Barriers from birth: Undocumented children in Iraq sentenced to a life on the margins, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/barriers-from-birth---report.pdf , 13.3.2020
RoI MoFA - Republic of Iraq, Ministry of Foreign Affairs (2020): Passport Issuance, https://www.mofa.gov.iq/passport-issuance , Zugriff 13.3.2020
USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 13.3.2020
II.2. Beweiswürdigung:
II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch die vorliegenden Verwaltungsakte Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
Ergänzend nahm das BVwG in tagesaktuelle länderkundliche Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer Einsicht, welche in den verfahrensrelevanten Teilen als notorisch bekannt vorausgesetzt werden können.
Die Feststellungen zur Person der BF ergeben sich aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben, den vorgelegten Dokumenten sowie ihren Sprach- und Ortskenntnissen.
Zur Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten – von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen – diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten –immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse- der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen –allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden- aufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010).
II.2.2. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348). Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschieberelevanten Situation ist seit Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht eingetreten.
Im gegenständlichen Fall ist anzuführen, dass die belangte Behörde ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchführte und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenfasste. Die Erstbehörde hat sich mit dem individuellen Vorbringen auseinandergesetzt.
Die BF traten den Quellen und deren Kernaussagen, welche in den Länderfeststellungen getroffen wurden, nicht konkret und substantiiert entgegen.
In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig ist.
Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten -– z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).
Weiter ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG [numehr: § 3 AsylG] bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen diese Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts [1991] 137 f; s.a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck AsylG 1997, Rz 314, 524).
II.2.3. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.02.1993, Zl. 92/03/0011; 01.10.1997, Zl. 96/09/0007). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).
Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).
II.2.4. Der belangten Behörde ist insofern zuzustimmen, als sie zum Schluss kommt, dass die BF im Irak keiner asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt waren bzw. im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.
Darüber hinaus geht aber auch das BVwG aus folgenden Erwägungen von der Unglaubwürdigkeit der Angaben der BF aus:
Ein Indiz für die Unglaubwürdigkeit der BF ist bereits der Umstand, dass sie zuerst in die Türkei ausreisten. Über Griechenland, Nordmazedonien, Serbien und Ungarn reisten sie schlepperunterstützt bis nach Österreich, ohne in einem dieser Länder um Schutz zu bitten. Wären die BF in der Heimat tatsächlich asylrelevant verfolgt worden, wäre es nach allgemeinen Menschenverstand doch nur naheliegend, dass sie bei erster Gelegenheit in Sicherheit um Schutz gebeten hätten. Das Gericht geht deswegen davon aus, dass die BF den Irak nicht aufgrund individueller, asylrelevanter Verfolgung verließen. Dies wird noch durch die Ausführung der BF2 mehr als verdeutlicht, wenn diese in der mündlichen Verhandlung bekannt gibt, dass die Ausreise deswegen erfolgt sei, weil es im Irak keine Sicherheit gebe und sie deswegen um ihren Gatten und die Kinder Angst hätte.
Dass die BF im Irak nie asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt waren bzw. dass ihnen eine solche niemals ernsthaft gedroht hat, zeigt sich auch darin, dass in den umliegenden Dörfern von Bagdad, namentlich XXXX und XXXX , nach wie vor fünf Schwestern und vier Brüder des BF1 ihren Lebensmittelpunkt haben, dort wohnen und arbeiten.
Zum eigentlichen Fluchtgrund des BF1, auf den sich grundsätzlich auch die drei anderen BF bezogen, wird ausgeführt, dass sich dieser in etliche Widersprüche und Unplausibilitäten verwickelt hat und das Vorbringen im Kern deshalb nicht glaubwürdig ist: So führte er bei der Erstbefragung aus, dass er vom IS gesucht werde. Sein Stamm hätte in den Jahren 2007 und 2008 gegen die Al-Kaida gekämpft und diese vertrieben. Die Al-Kaida hätte sich jedoch danach am Stamm gerächt und fünf Verwandte getötet. 2014 hätte schließlich der IS die Kontrolle über das von den BF bewohnte Gebiet übernommen, weswegen sie nicht mehr in ihre Häuser gehen könnten. Der IS würde sie zudem suchen.
Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt brachte der BF1 dann grundsätzlich denselben Fluchtgrnd vor. Erstmals brachte er dann hingegen vor, dass sich in der Bevölkerung Schläferzellen des IS befunden hätten. Im November 2009 wären deswegen Al-Kaida Anhänger in das Dorf gekommen. Diese hätten Polizeiuniformen getragen und eben die fünf Vewandten der BF getötet. Aus diesem Grund hätte der BF1 seine Söhne zu seiner Schwester Yazi gebracht, diese hätte ca. 10 km vom Haus der BF entfernt gewohnt. Der BF1 hätte dann mit der restlichen Familie das Heimatdorf verlassen und sei diese zur Schwester des BF1 gezogen. Bis 2014 hätten die BF dann unbehelligt bei der Schwester in XXXX gewohnt. Als dann der IS die Gegend eroberte, wären die BF in das Dorft XXXX gezogen. Dort hätten sich die BF bis September 2015 aufgehalten und wären schließlich mit Hilfe eines Schleppers im September aus dem Irak in die Türkei ausgereist.
Das Fluchtvorbringen in der Einvernahme vor dem Bundesamt stellt somit schon ein gesteigertes Konstrukt dar, bei dem sich der BF1 zudem zusehends in Widersprüche verwickelte.
Nicht nachvollziehbar sind beispielsweise die Angaben zu den Orten und den Zeitpunkten des Aufenthaltes der BF. So gibt der BF1 bekannt, dass er zuletzt mit seiner Familie im Ort XXXX gewohnt hätte. Er wäre im Ort XXXX aufgewachsen und bis Anfang 2014 dort aufhältig gewesen, dann wäre er mit Familie zu seiner Schwester nach XXXX und einige Zeit später nach XXXX gezogen, von wo aus sie sie schließlich im September 2014 den Irak verlassen hätten. Tatsächlich sind die BF jedoch im September 2015 aus dem Irak ausgereist. Die BF2 gibt konträr dazu vor dem Bundesamt bekannt, dass sie mit dem BF1 im Dorf XXXX 30 Jahre lang gelebt hätte, von der Eheschließung bis zur Ausreise. Auf den Widerspruch angesprochen führte sie sie dann aus, dass sie sich versprochen hätte und das Dorf XXXX gemeint hätte. Sie hätte sich jedoch die ganze Zeit dort aufgehalten. Von einem Umzug zur Tante des BF1 und dem von diesem angegebenen Weiterverzug hatte die BF2 offenbar keine Kenntnis. In der mündlichen Verhandlung führt die BF2 zum letzten Wohnort im Irak konträr zum BF1 aus, dass dieser in XXXX gewesen wäre.
Unberücksichtigt darf auch nicht bleiben, dass der BF1 bei der Einvernahme vor dem Bundesamt dezidiert befragt wurde, ob er jemals persönlich bedroht worden sei. Dazu führte er aus, dass die Al-Kaida nicht droht, sie würden kommen und sich die Leute schnappen. Folgerichtig wurde er also nicht persönlich bedroht.
Als primären Fuchtgrund brachte der BF1 Probleme in den Jahren 2007 und 2008 vor. So gab er bekannt, dass sein Stamm 2007 begann, gegen die Al-Kaida zu kämpfen. 2008 wäre die Al-Kaida von seinem Stamm erfolgreich vertrieben worden. 2009 wären die Anhänger der Al-Kaida dann in Polizeiuniformen zurückgekommen und hätten unter anderem drei Neffen und zwei Cousinen des BF1 mitgenommen und getötet. Dazu führt er in der mündlichen Verhandlung aus, dass seinem Stamm mehr als 50.000 Personen angehören würden. Gleichzeitig gibt er bekannt, dass sich die meisten des Stammes noch in und um Bagdad aufhalten, es wären lediglich ein paar ausgereist. Diese Angaben stehen im krassen Widerspruch zu seinen Angaben, dass er von Angehörigen der Al-Kaida bzw. des IS bedroht und verfolgt worden wäre bzw. Bedrohung und Verfolgung zu erwarten hätte. Jedenfalls hätte der BF1 die Kämpfer des Stammes mit Essen und Waffen versorgt. Die Waffen hätte er vom Waffenhändler besorgt. Auf Nachfrage führte er aus, dass die Waffenhändler ihren Namen nicht preisgegeben hätten. Jedenfalls hätte er ca. zehn Kalaschnikow und drei bis vier GC an die Kämpfer übergeben. Nachgefragt, wie er an die Händler gekommen wäre, wenn diese ihre Namen nicht bekannt geben würden, führte er aus, dass telefonisch ein Treffpunkt vereinbart worden wäre. Es wäre immer ein anderer gewesen. Die Telefonnummern wären Vermittlungspersonen bekannt gewesen. Die Frage, wie er an die Vermittler gekommen wäre wurde von ihm damit beantwortet, dass die Vermittlungspersonen im Ort bekannt waren, er hätte sie gekannt. Wie schon bei den Fragen zuvor kann er jedoch auch die Frage, wie sein Vermittler geheißen hätte, nur ausweichend beantworten, dass er den Händler nicht kennen würde. Dem BF1 war es nicht möglich, auch nur eine Frage konkret und nachvollziehbar zu beantworten. Einzig, dass es ab dem Jahr 2009 keine Probleme mehr gab und er und seine Familie bis zur Ausreise keine diesbezüglichen Probleme mehr hatten, führte er in der mündlichen Verhandlung aus.
Auch bezüglich seines Reisepasses bot der BF1 zwei Alternativen an. In der Erstbefragung führte er aus, dass er diesen im Irak zurückgelassen hätte. In der mündlichen Verhandlung gab er dazu befragt bekannt, dass er den Reisepass verloren hätte. Nachgefragt versuchte er sichtlich verstört zu erklären, dass sein im Irak aufhältiger Bruder den Pass verloren hätte.
Für die Unglaubwürdigkeit des BF1 spricht auch, dass er in der Einvernahme vor dem Bundesamt bekannt gab, dass er aufgrund seines Glaubens diskriminiert worden wäre. Explizit nach Problemen aufgrund seines sunnitischen Glaubens in der mündlichen Verhandlung befragt, lautet seine Antwort schlicht: Nein. Auch die BF3 verneinte in der mündlichen Verhandlung Probleme aufgrund des sunnitschen Glaubens, weswegen sich die diesbezügliche Monierung der rechtlichen Vertretung in der Beschwerde von selbst ad absurdum führt.
Vom BF1 selbst wird zudem der wahre Ausreisegrund bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt bekannt gegeben, indem er die explizit gestellte Frage, ob der Ausreisegrund der Einmarsch des IS gewesen wäre, mit Ja antwortete. Ergänzend darf dabei nicht übersehen werden, dass sich die BF dem damaligen Flüchtlingsstrom nach Europa angeschlossen haben.
Zum Vorbringen des BF1 wird abschließend ausgeführt, dass dieses stetig gesteigert wurde und sich der BF1 auch bei dem erörterten Vorbringen mehrmals selbst massiv widersprach. Die konträren Angaben und doch recht drastischen Widersprüche und Unplausibilitäten hinsichtlich der Kämpfe seines Stammes gegen die Al-Kaida lassen aus diesem Grund mehr als schwere Zweifel an einer tatsächlich erlebten Fluchtgeschichte aufkommen. Selbst bei Wahrheitsunterstellung bleibt es für das Bundesverwaltungsgericht in keiner Weise nachvollziehbar, warum der BF1 und seine Familie von 2009 bis 2015 unbehelligt in der Umgebung von Bagdad wohnen konnten. Wären die BF tatsächlich persönlich verfolgt gewesen, hätte die Ausreise wohl schon Jahre zuvor erfolgen müssen. Im Lichte dieser Erwägungen und unter dem Hinweis darauf, dass Umstände, denen es an einem entsprechenden zeitlichen Konnex zur Ausreise mangelt, nicht zur Glaubhaftmachung eines Fluchtgrundes geeignet sind (VwGH, 23.01.1997, 95/29/0221) gelang es dem BF1 jedenfalls nicht, zwischen den Ereignissen nach dem letzten Vorfall 2009 und der Ausreise im September 2015 einen zeitlichen und kausalen Zusammenhang herzustellen.
II.2.5. Von der BF2 wurde in der Erstbefragung ausgeführt, dass sie selbst keinen Fluchtgrund habe. Sie hätte um Angst um das Leben ihres Gatten und dass ihm und ihren Kindern eine Entführung drohe. Wahrheitswidrig gab sie dabei gleich an, dass sie in Bagdad geboren wäre und ihren Reisepass in der Heimat gelassen hätte, diesen hätte sie nicht mitnehmen können.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt stellte sie vorerst klar, dass sie bei der Erstbefragung die Wahrheit gesagt hätte, die Einvernahme rückübersetzt und richtig protokolliert worden wäre. Auch die BF4, die sie als Mutter vertrete, hätte die gleichen Gründe wie der BF1. Nach kurzer Dauer der Einvernahme teilte der der Einvernahme hinzugezogene Dolmetscher mit, dass die BF2 Arabisch nicht auf Muttersprachenniveau spreche. Erst zu diesem Zeitpunkt sah sich die BF2 bemüßigt, bekannt zu geben, dass sie nicht in Bagdad geboren wurde, sondern aus Jugoslawien stamme. Auf Nachfrage präzisierte sie, dass sie aus Mazedonien stamme. Sie hätte aber die irakische Staatsbürgerschaft. Um dies zu belegen, legte sie ihren originalen irakischen Reisepass vor. Jenen Reisepass, zu dem sie in der Erstbefragung noch bekannt gab, dass sie ihn in der Heimat ließ, weil sie ihn nicht hätte mitnehmen können. Dann brachte sie erstmals vor, dass sie erschöpft sei, weil sie vergewaltigt worden wäre. Die Vergewaltigung hätte sich 2009 zugetragen und wäre ihr dabei mit einer Waffe auf den Kopf geschlagen worden. Die BF2 wurde dazu befragt, warum sie die Vergewaltigung erst jetzt in das Verfahren einbringt und nicht schon bei der Erstbefragung davon erzählte. Daraufhin gab sie bekannt, dass sie dies im Rahmen der Erstbefragung ohnehin erwähnt hätte, vielleicht sei es jedoch nicht aufgeschrieben worden. Auch dies kann nicht den Tatsachen entsprechen, hatte die BF2 doch am Beginn der Einvernahme vor dem Bundesamt explizit bekannt gegeben, dass die Erstbefragung rückübersetzt und dass korrekt protokolliert wurde. In der mündlichen Verhandlung führt sie dazu aus, dass sie im November 2009, ein genaues Datum sei ihr nicht erinnerlich, zu Hause vergewaltigt worden wäre. Als Täter nannte sie die Milizen, diese hätten Masken getragen und wären bewaffnet gewesen. Sie wisse nicht, um welche Milizen es sich gehandelt hätte. Jedenfalls wären drei Personen in das Haus gekommen und hätte ihr dabei jemand mit dem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen, worauf sie ohnmächtig geworden wäre. Auf die Frage der Richterin, wer sonst noch zu Hause gewesen sei, gab sie bekannt, dass sie alleine gewesen wäre. Die BF2 wurde damit konfrontiert, dass der BF1 bekannt gab, dass zum Zeitpunkt der behaupteten Vergewaltigung die beiden Töchter zu Hause gewesen wären. Die BF2 führte daraufhin aus, dass sie aus Angst alles vergessen hätte und sich die beiden Töchter in einem anderen Raum aufgehalten hätten. Die BF3 führte in der mündlichen Verhandlung dazu befragt aus, dass sie jedenfalls zu Hause gewesen sei und auch ihre Cousinen im Haus aufhältig waren. Die BF2 gibt wiederum auf die Frage, warum sie nicht um Hilfe gerufen hätte bekannt, dass ja niemand da gewesen sei. Weiterführend teilt sie mit, dass sie nach der behaupteten Vergewaltigung weder zu einem Arzt oder in eine Krankenanstalt noch zur Polizei gegangen wäre, um dort Anzeige zu erstatten. Mehr als merkwürdig mutet jedenfalls an, dass die Erzählungen der BF2 im krassen Widerspruch zu jenen des BF1 und der BF3 stehen, sie den Vorfall nicht einmal auf eine konkrete Woche zuordnen kann und sämtliche Fragen bezüglich der vorgebrachten Vergewaltigung völlig emotionslos in der mündlichen Verhandlung beantwortete. Eine Vergewaltigung stellt mit Sicherheit eines der schlimmsten traumatischen Ereignisse im Leben einer Frau dar, weswegen die allgemeinen, lückenhaften und vor allem völlig emotionslos vorgetragenen Ausführungen nicht einem tatsächlich durchgemachten Erlebnis entsprechen. Unterstellt man dem Vorbringen der BF2 allerdings Wahrheitsgehalt, bleibt dennoch festzuhalten, dass zwischen dem Vorfall im November 2009 und der tatsächlichen Ausreise im September 2015 zum einen kein zeitlicher Konnex besteht. Zum anderen führt die BF2 auch selbst aus, dass sie mit ihrer Familie den Irak verlassen hätte, weil es keine Sicherheit mehr gab und sie Angst um ihren Mann und die Kinder gehabt hätte. Diese Antwort gab sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung im Zusammenhang mit der Frage, warum sie 2015 ausgereist sei. Zwischen 2009 und der 2015 erfolgten Ausreise sei es zudem zu keinerlei Problemen mehr gekommen.
Explizit verneint wurde auch von der BF2 die Frage, ob sie aufgrund ihrer sunnitischen Glaubensrichtung jemals Probleme im Irak gehabt hätte, lautete ihre Antwort doch „Nein“.
Konträr zum BF1 gibt sie vor dem Bundesamt auch bekannt, dass sie und ihre Familie im Jahr 2011 zur Schwester des BF1 gezogen wären. BF1 und BF3 datierten diesen Umzug mit 2014. Zum primären Fluchtgrund befragt führte sie aus, dass es keine Sicherheit im Land geben würde und das Leben ihres Gatten in Gefahr wäre. 2009 wäre immer die Polizei gekommen und hätte Leute mitgenommen. So hätte es auch eine Explosion gegeben, bei der die Fensterscheiben des Hauses der BF zerbrochen wären. Dabei wären ihre Söhne und auch der BF1 mitgenommen und geschlagen worden. Nachgefragt führte die BF2 aus, dass die Polizei ihrem Gatten ein Messer an den Hals gesetzt und ihm dabei gesagt hätte, dass sie ihn im Falle einer weiteren Explosion töten würden. Dieser Vorfall wurde weder vom BF1 noch von der BF3 im gesamten Verfahren mit einem Wort erwähnt und geht das Bundesverwaltungsgericht auch hier davon aus, dass sich die BF2 lediglich eine bessere Position im Verfahren davon verspricht, indem sie das Vorbringen erneut steigerte.
Abschließend wird noch ausgeführt, dass sie vor dem Bundesamt nochmals zu den ausschlaggebenden Gründen für die Flucht befragt wurde. Dazu wurde von ihr vorgebraht, dass man im Irak nicht leben könne, es Ungerechtigkeit gab und das Leben unerträglich war.
Schlussendlich konnte noch festgestellt werden, dass die BF während der gesamten Dauer der mündlichen Verhandlung ein Kopftuch trug.
II.2.6. Die BF3 führte bei der Erstbefragung die gleichen Ausreisegründe wie ihr Vater an. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt brachte sie dann erstmals vor, dass sie von den Milizen des Öfteren befragt worden wäre, warum sie kein Kopftuch tragen würde. Auf Nachfrage teilte sie mit, dass dies 2013 vorgefallen wäre, als sie bei ihrer Tante väterlicherseits wohnte. Und auch bei der BF3 sind massive Divergenzen bezüglich der Aufenthaltsorte im Irak und der jweiligen Dauer feststellbar. So gibt sie bekannt, dass sie zuletzt im Dorf XXXX gelebt hätte. Bevor die Familie zur Schwester ihres Vaters gezogen wäre, hätten sie in XXXX gelebt. Dies wurde weder vom BF1 noch von der BF2 so ausgeführt. Jedenfalls wäre die Familie dann 2014 nach XXXX gezogen. Von XXXX wären sie nach XXXX übersiedelt, bis sie den Irak verlassen hätten. Einige Fragen später gibt sie bekannt, dass der Umzug nach XXXX bereits 2013 erfolgt wäre. Es war zusammenfassend, auch durch zahlreiche Nachfragen, nicht möglich, dass die BF1, BF2 und BF3 konkrete und übereinstimmende Angaben zu den Wohnorten und der jeweiligen Aufenthaltsdauer bzw. korrekte Datierungen getätigt hätten. Das Bundesverwaltungsgericht kann demnach auch aus diesem Grund nicht von der Glaubwürdigkeit der BF ausgehen.
Von der BF3 wurde vor dem Bundesamt zu den Gründen der Ausreise noch angeführt, dass es keine Sicherheit gab und in der Nähe ihres Hauses zu Kampfhandlungen gekommen wäre. Es wären immer Milizen gekommen und hätten die Häuser durchsucht.
Bei der mündlichen Verhandlung konnte die BF3 dann bezüglich ihres Vorbringens wegen des nicht verwendeten Kopftuches zwar weitere Angaben machen, eine Bedrohung oder Verfolgung deswegen konnte jedoch nicht erkannt werden. So führte sie aus, dass sie auch ein Problem wegen des Schleiers hatte. Immer wenn sie aus dem Haus gegangen wäre, hätte sie deswegen Angst gehabt. Auf Nachfrage gab sie bekannt, dass sie die Polizei und Milizen verfolgt hätten, diese hätten sie gestoppt und sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie keinen Schleier trage. Nachgefragt teilte sie mit, dass dies 2013 erfolgt wäre, auf dem Schulweg.
Bezüglich zu der in der Beschwerde vorgebrachten Verfolgung und Bedrohung aufgrund der sunnitischen Glaubensrichtung befragt, gab sie bekannt, dass sie wegen der Religion keine Probleme gehabt hätte.
II.2.7. Für die minderjärige BF4 wurden vom BF1 in der Erstbefragung und von der BF2 in der Einvernahme vor dem Bundesamt bekannt gegeben, dass diese keine eigenen Ausreisegründe habe und die vom BF1 genannten Gründe auch für sie Geltung haben.
II.2.8. Zur in den Beschwerden behaupteten Bedrohung aufgrund der sunnitischen Konfession sind folgende Erwägungen maßgeblich:
Aus den Feststellungen zur Lage im Irak geht im Hinblick auf die Lage der sunnitischen Minderheit hervor, dass im Irak zahlreiche Sunniten leben und sunnitische Araber ca. 17 bis 22% der Gesamtbevölkerung von ca. 36 Millionen Einwohnern ausmachen. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die irakische Gesellschaft bereits seit dem Sturz des (sunnitisch geprägten) Regimes von Saddam Hussein in zunehmendem Maße religiös gespalten ist und sich etwa in den Jahren 2006 bis 2008 massive konfessionelle Konflikte ereigneten. Seit dem Vorrücken der (ebenfalls sunnitischen) Milizen des Islamischen Staates wird die sunnitische Minderheit im Irak darüber hinaus oftmals einerseits für das Erstarken des Islamischen Staates und die damit verbundenen zahlreichen vornehmlich schiitischen Opfer unter den Sicherheitskräften (wie etwa beim Massaker von Tikrit) und Zivilisten verantwortlich gemacht und andererseits selbst fallweise mit einer unterstellten Sympathie gegenüber dem Islamischen Staat konfrontiert. Bagdad und die umgebenden Gebiete sind in zunehmendem Maße religiös gespalten und in schiitische und sunnitische Viertel geteilt, wobei die schiitisch dominierten Viertel aufgrund von Vertreibungen durch Regierungstruppen und schiitische Milizen zunehmen und es bei Straßensperren zu Beschimpfungen und Diskriminierungen von Sunniten kommen kann.
Eine systematische Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Minderheit durch die schiitische Mehrheitsbevölkerung kann dessen ungeachtet angesichts der Quellenlage nicht nachvollzogen werden, was auch dadurch bestätigt wird, dass noch annähernd sämtliche Familienangehörigen des BF1 und der BF2 bis dato im Irak und dort in und um Bagdad aufhältig sind und diesbezügliche Schwierigkeiten nicht vorgebracht wurden. Ein genereller Ausschluss von Sunniten vom Arbeitsmarkt und von Bildungseinrichtungen liegt in Anbetracht der Quellenlage sowie den vom Bundesverwaltungsgericht bei der Bearbeitung ähnlich gelagerter, den Irak betreffender Verfahren gewonnenen Wahrnehmungen sowie auch den Angaben der BF ebenfalls nicht vor. Dazu tritt, dass ausweislich der Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak hohe Staatsämter, etwa jenes des Parlamentspräsidenten, auch von Sunniten bekleidet werden und diese auch im irakischen Parlament repräsentiert sind, war auch gegen eine Verfolgung sämtlicher Angehöriger des sunnitischen Religionsbekenntnisses im Irak spricht. Würde eine Gruppenverfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak tatsächlich stattfinden, wäre ferner mit Sicherheit davon auszugehen, dass entsprechende eindeutige und aktuelle Quellen vorhanden wären. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass von schiitischen Milizen nach wie vor Menschenrechtsverletzungen ausgehen und auch eine nicht feststellbare Zahl von Übergriffen auf sunnitische Iraker stattfindet, welche über die vorstehend dargelegten Diskriminierungen hinausgehen. Ausweislich der Feststellungen sind insbesondere in Bagdad von Milizen (wie etwa Asa'ib Ahl al-Haqq) ausgehende Gewaltakte gegen sunnitische Araber dokumentiert und kommen Entführungen und außergerichtliche Hinrichtungen ebenso vorkommen wie die bereits zuvor angesprochenen Vertreibungen mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung. Ferner sind Übergriffe seitens Angehöriger der al-Haschd asch-Schaʿbī bekannt, welche von den Verantwortlichen als Einzelfälle abgetan werden und die als Vergeltungsaktionen in Zusammenhang mit den Aktivitäten des Islamischen Staates angesehen werden.
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt ebenfalls zu dieser Einschätzung. Zwar wird in Quellen von religiös motivierten Übergriffen auf sunnitische Araber bis hin zu Morden und Entführungen berichtet, jedoch kann den Quellen (einschließlich der Einschätzungen der im Irak agierenden Hilfsorganisationen) in der Regel keine Einschätzung der Häufigkeit solcher Vorfälle entnommen werden bzw. werden die Einzelfälle, die zur Einschätzung führen, nicht offengelegt und bestehen keine belastbaren Erkenntnisse darüber, dass Übergriffe auf sunnitische Araber in einer Anzahl erfolgen würden, dass nicht mehr nur von vereinzelt bleibenden individuellen Übergriffe auszugehen ist. Die Verfolgungshandlungen müssen nämlich, um von einer Gruppenverfolgung sprechen zu können, im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, das daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr bzw. die maßgebliche Wahrscheinlichkeit eigener Betroffenheit entsteht. Derartiges liegt in Bezug auf sunnitische Araber in Bagdad jedenfalls nicht vor und spricht dagegen auch, dass sich weiterhin nahezu die gesamte Familie des BF1 im Irak aufhält. Ferner endeten auch seit 2017 zahlreiche Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, weil irakische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens freiwillig in den Irak zurückkehrten. Eine solche freiwillige Rückkehr spricht ebenfalls entschieden gegen eine Gruppenverfolgung sunnitischer Araber. Zudem wurde von keinem der BF auf explizite Befragung nach konfessionellen Problemen im Irak eine solche vorgebracht. Die BF verneinten vielmehr dezidiert die diesbzüglichen Fragen.
Das BVwG geht daher zusammenfassend davon aus, dass die BF den Irak lediglich aus persönlichen Motiven heraus bzw. aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben. Dies wird vor allem auch durch die getätigten Äußerungen der BF demonstriert. Abgesehen vom nicht glaubwürdigem Vorbringen aus den Jahren 2007 bis 2009 gab beispielsweise der BF1 bekannt, dass die Ausreise wegen des Einmarsches des IS erfolgt sei. Die BF2 führte diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung aus, dass es keine Sicherheit gäbe und sie Angst um ihren Gatten und die Kinder hätte, weswegen die Ausreise 2015 erfolgt sei. Auch die BF3 führte diesbezüglich aus, dass es keine Sicherheit gäbe und in der Nähe des Hauses Kampfhandlungen stattgefunden hätten. Zusammenfassend ist zum Vorbringen der BF deswegen folgerichtig auszuführen, dass das erkennende Gericht zur eindeutigen Überzeugung gelangte, dass in den Angaben des BF glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht ansatzweise erkennbar waren.
II.2.9. Unter Heranziehung dieses Sachverhaltes und der offensichtlich missbräuchlichen Asylantragstellung im Zusammenhang mit der allgemein gehaltenen, widersprüchlichen und teilweise nicht nachvollziehbaren Begründung der Anträge auf internationalen Schutz ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen der BF nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung der Asylanträge und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung – wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung – von Aufenthaltstiteln für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurde.
Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.
Sofern in der Beschwerde seitens der BF moniert wird, dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde mangelhaft sei, wird festgestellt, dass nach Ansicht des ho. Gerichts die belangte Behörde ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst hat. Den BF ist es nicht gelungen, der Beweiswürdigung der belangten Behörde dermaßen konkret und substantiiert entgegen zu treten, dass Zweifel an der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufgekommen wären. Von den BF wurde es unterlassen, durch klare, konkrete und substantiierte Ausführungen darzulegen, warum sie vom Vorliegen einer mangelhaften Ermittlungstätigkeit durch die belangte Behörde ausgehen. Da somit weder aus dem amtswegigen Ermittlungsergebnis im Beschwerdeverfahren noch aus den Ausführungen der BF ein substantiierter Hinweis auf einen derartigen Mangel vorliegt, kann ein solcher nicht festgestellt werden.
Im gegenständlichen Fall wurden die Beschwerdeführer einerseits ausführlich über die Bedeutung vollständiger Angaben belehrt und andererseits in den Einvernahmen auch befragt, ob sie alles vortragen konnten, was für das Verfahren erheblich erscheint. Dies wurde von ihnen mehrfach bejaht. Angesichts der Angaben der Beschwerdeführer bestand aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls kein Anlass zur Nachfrage, ob den Beschwerdeführern noch andere Nachteile im Irak als die von ihnen geschilderten befürchten würden. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens kann somit nicht erkannt werden. Dass die Beschwerdeführer etwa aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage gewesen sein sollen, bestimmte Tatsachen vorzubringen, wurde im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert behauptet und wurde den Einvernahmen auch ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch beigezogen. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht verneinten die Beschwerdeführer schließlich Schwierigkeiten mit dem im Verfahren erster Instanz beigezogenen Dolmetscher auf Nachfrage.
II.2.10. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubhaft anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Vor diesem Hintergrund bestehen bereits im Hinblick auf die Steigerung des Vorbringens massive Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Beschwerdeführer.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es nun für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274; 26.06.2018, Ra 2018/20/0307 mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung (Vorverfolgung) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn eine Person im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob die Person im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203 mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat daher auch zu prüfen, ob den Beschwerdeführern zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ihrem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten haben.
Das Bundesverwaltungsgericht kann keine Rückkehrgefährdung erkennen, da die BF kein exponiertes persönliches Profil aufweisen, welches auf eine gegenüber der Durchschnittsbevölkerung höheres Risiko eines Konfliktes mit Milizionären hindeutet.
II.2.11. Bezüglich der Situation von Frauen im Irak, ist festzuhalten, dass wenn sich die weiblichen BF wegen ihrer Eigenschaft als irakische Frau als verfolgt erachtet, eine Gruppenverfolgung sämtlicher Angehöriger des weiblichen Geschlechts im Irak ausweislich der Feststellungen nicht vorliegt. Festzuhalten bleibt weiter, dass nach der Rechtsprechung des VwGH Frauen Asyl beanspruchen können, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017-0018, m.w.N.). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (zuletzt VwGH 28.06.2018, Ra 2017/19/0579). Dabei führt nicht jede Änderung in der Lebensführung während ihres Aufenthaltes in Österreich, die im Fall der Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu, dass der Asylwerberin internationaler Schutz gewährt werden muss, sondern nur eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung, in der die Inanspruchnahme oder Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt und die im Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (zuletzt VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Die weiblichen BF konnten nicht glaubhaft machen, dass sie im Bundesgebiet einen Lebensstil tatsächlich leben, der einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein anerkannten und verbreiteten Werten im Herkunftsstaat darstellen würde, ein entsprechendes Vorbringen wurde auch nicht persönlich, sondern letztlich vorwiegend in den Schriftsätzen erstattet, wobei insbesondere in diesem Punkt der persönliche Eindruck in der Verhandlung zu berücksichtigen ist. Dabei bleibt festzuhalten, dass die BF2 während der gesamten Dauer der mündlichen Verhandlung ein Kopftuch trug.
Der allgemeine Hinweis darauf, dass es für Frauen im Irak gefährlich sei bzw. der pauschale Verweis auf die „Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der Frauen im Irak“ ist für sich alleine nicht geeignet, eine Gefährdung im Rückkehrfall glaubhaft zu machen (vgl. dazu VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, worin der Grundsatz wiederholt wird, dass das Vorbringen des Asylwerbers eine entsprechende Konkretisierung aufweisen muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen und dass die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, dem nicht gerecht wird).
Auch wenn das Gericht nicht verkennt, dass es im Irak in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund des starken Einflusses von nicht nur in religiöser Hinsicht radikalen politischen Kräften zu einer "Islamisierung" der Gesellschaft im Allgemeinen gekommen ist und dabei auch die Frauen als solche ein Änderung des früheren - unter Saddam Hussein entwickelten - säkulareren Rollenbildes der Frau hinzunehmen hatten, so stellt sich die aktuelle Situation im Irak mangels dahingehender stichhaltiger Hinweise nicht so dar, dass es Frauen per se nicht (mehr) möglich wäre am allgemeinen öffentlichen wie auch beruflichen Leben teilzunehmen oder besonders drakonischen Praktiken sowie Sanktionen in punkto Bekleidung u.ä. unterworfen zu sein.
Die weiblichen BF sind im Fall einer Rückkehr in den Irak auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund ihres weiblichen Geschlechts oder ihres westlichen Lebensstils gefährdet, wie bereits erörtert wurde.
Die Feststellungen betreffend die nicht vorhandene politische Betätigung der BF sowie die nicht vorhandenen Schwierigkeiten mit den Behörden ihres Heimatstaates beruhen auf den diesbezüglichen Angaben der BF vor der belangten Behörde und den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung. Die vom BF1 und der BF2 behaupteten und ohnehin nicht ausreisekausalen Vorfälle konnten zudem nicht glaubhaft gemacht werden und ist demzufolge auch nicht glaubhaft, dass ihnen von staatlicher Seite Verfolgung droht. Bezüglich der BF3 bleibt festzuhalten, dass es keine Verfolgung iSd AsylG bzw. der GFK darstellt, wenn sie auf dem Weg zur Schule von der Polizei bzw. den Milizen sanktionslos darauf aufmerksam gemacht wurde, dass sie keinen Schleier trage, wie sie selbst ausführte.
Darüber hinaus konnten die BF keine mit ihrer arabischen Volksgruppenzugehörigkeit oder ihrer sunnitischen Religionszugehörigkeit, wie bereits umfassend erörtert wurde, in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten vor der Ausreise glaubhaft machen.
Da die BF keine staatliche Strafverfolgung im Irak aufgrund eines Kapitalverbrechens glaubhaft vorgebracht haben, war dem folgend zur Feststellung zu gelangen, dass sie im Fall einer Rückkehr nicht der Todesstrafe unterzogen würden. Ebenso kann aus dem Vorbringen keine anderweitige individuelle Gefährdung der BF durch drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe abgeleitet werden, zumal keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften vorgebracht wurden.
Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person der BF, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten hindeuten würden, wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Die BF gehören nicht den staatlichen Sicherheitskräften an und kamen auch keine Anhaltspunkte dafür hervor, dass sie im Rückkehrfall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung durch gewalttätige Auseinandersetzungen ausgesetzt wären.
Bagdad und die Vororte befinden sich laut EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak aus März 2019 generell unter staatlicher Kontrolle, wobei es in den Bereichen Verteidigung und Strafverfolgung auch zu Kontrollen der PMF kommt. Im Juni 2019 rief ein Provinzrat dazu auf, die PMF zur Hilfe zu nehmen, um den Bagdad-Gürtel zu sichern. Der Berichtslage lässt sich jedoch auch entnehmen, dass Teile der Regierung sich von verschiedenen Milizen distanzieren und es immer wieder zur Aufklärung von Gewalttaten, in die Milizionäre verwickelt waren, kommt. Im Zuge von Operationen der Sicherheitskräfte in Bagdad wurden auch vier Stützpunkte der PMF durchsucht und geschlossen. Ferner kam es im Februar 2019 innerhalb der PMF-Strukturen zu Auseinandersetzungen, was eine Welle von Festnahmen und Schließungen von PMF-Stützpunkten zur Folge hatte. Im Mai belagerten zum Präsidentenregime gehörige Sicherheitskräfte einen PMF-Stützpunkt im Stadtteil Dschdirya und Fordern zur Räumung derselben auf (siehe ACCORD-Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research Documentation, ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen).
Insgesamt ist aus den eingesehenen Anfragebeantwortungen und (Medien) Berichten abzulesen, dass auch Bagdad weiter zum Wirkungsfeld der PMF gehört und es vereinzelt noch zu Übergriffen auf Stadtbewohner kommt. Die Spitze der kriminellen Aktivitäten der Asaib Ahl Al Haqq in Bagdad und der Einflussbereich krimineller Elemente wurde mit der Zurückdrängung des Islamischen Staat, was eine deutliche Entspannung der konfessionellen Konflikte auch in Bagdad mit sich brachte, überschritten und hat sich die Lage dort entscheidend verbessert.
Damit einhergehend hat sich auch die Sicherheitslage für die Zivilbevölkerung in Bagdad verbessert. Davon, dass aktuell jeder Stadtbewohner oder jede Stadtbewohnerin Gefahr läuft, von einer Miliz gekidnappt, erpresst, ermordet oder vergewaltigt zu werden, kann nicht mehr die Rede sein.
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Einzelpersonen auch nach Jahren der Abwesenheit im Rückkehrfall gezielt verfolgt oder Todeslisten geführt werden. Die Fluchtgeschichte der BF wurde bereits als unglaubwürdig erkannt und kamen auch sonst keine Hinweise darauf hervor, dass die BF den Milizen bekannt wären.
II.2.12. Die BF verfügten vor ihrer Ausreise über ein eigenes Wohnhaus in der Nähe von Bagdad, indem jetzt ein Bruder des BF1 lebt. Die BF werden in der Lage sein, in XXXX oder XXXX , beide Orte sind in unmittelbarer Nähe von Bagdad, für ihre grundlegendsten Bedürfnisse selbst aufzukommen. So leben auch noch fünf Schwestern und vier Brüder des BF1 in den beiden Orten. Zwei Brüder betreiben eine Landwirtschaft, der dritte hat einen eigenen LKW und der vierte Bruder ist als Lehrer beruftstätig. Eine Schwester ist als Schulwartin tätig. Dazu tritt, dass sich, wie bereits angesprochen, die allgemeine Sicherheitslage im Irak im Allgemeinen und in der Hauptstadt Bagdad im Besonderen seit der militärischen Niederlage des Islamischen Staates im Jahr 2017 entscheidend verbessert hat (siehe beispielsweise die Daten im Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Evant Data Project (ACLED) zum ersten Quartal 2020, welche den BF in der mündlichen Verhandlung übergeben wurden). Damit einhergehend sind auch die konfessionellen Spannungen in der irakischen Hauptstadt zum Erliegen gekommen.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im Hinblick auf die Sicherheitslage in Bagdad nicht, dass Bagdad immer noch oftmals Schauplatz von Anschlägen und Gewaltakten ist und ausweislich der statistischen Daten zu den unsichereren Provinzen gehört. Der aktuellen Berichterstattung folgend gehen Anschläge in Bagdad in erster Linie vom Islamischen Staat aus und richten sich im Wesentlichen gegen die Zivilbevölkerung und staatliche Sicherheitskräfte. Die Situation im letzten Jahr war besonders gekennzeichnet durch gewalttätige Auseinandersetzungen, die sich im Zuge von Massenprotesten ergaben. In Bagdad konzentrierte sich das Geschehen um die sogenannte „grüne Zone“ und die dorthin führende Brücke über den Tigris sowie weitere Brücken, die von Demonstranten im Oktober des Jahres 2019 eingenommen wurden.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak dargestellten Gefahrendichte sowie auch aufgrund der aktuellen Medienberichterstattung nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz der BF in Bagdad davon ausgegangen werden muss, dass diese wahrscheinlich das Opfer eines Anschlages oder Gegenschlages der Sicherheitskräfte in Bagdad werden würde (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).
II.2.13. Die weiblichen BF sind im Fall einer Rückkehr nach Bagdad auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund ihres weiblichen Geschlechts oder ihres westlichen Lebensstils gefährdet, wie bereits erörtert wurde.
II.2.14. Schließlich ist im vorliegenden Beschwerdefall zu beachten, dass es sich bei den beschwerdeführenden Parteien um eine Familie mit einem minderjährigen Kind und damit um eine besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Person handelt. Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob den beschwerdeführenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besonders zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die BF tatsächlich vorfinden (siehe dazu statt aller VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336 mwN; VfGH 11.12.2018, E 2025/2018).
Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass die minderjährige BF4 keiner besonders gefährdeten Gruppe angehört und ist auch von einer Rückkehr der ( gerade noch) minderjährigen BF4 gemeinsam mit ihren Eltern davon auszugehen, sodass die Betreuung, Erziehung und Beaufsichtigung der Minderjährigen sichergestellt ist. Zudem ist anzuführen, dass es sich bei der BF4 um eine mündig minderjährige Person handelt, die bereits am 03.10.2022 volljährig wird.
Dass der minderjährigen BF4 im Rückkehrfall nicht geschlechtsspezifische Gewalt, Zwangsprostitution, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit oder Zwangsehe droht, wurde eingangs bereits erörtert.
Das Bundesverwaltungsgericht kann außerdem in Ansehung der minderjährigen BF4 nicht die reale Gefahr erkennen, im Rückkehrfall von häuslicher Gewalt betroffen zu sein. BF1 und BF2 vermittelten den Eindruck, am Wohlergehen ihrer Kinder sehr interessiert zu sein. Hinweise auf gewalttätige Übergriffe auf die Minderjährige im Bundesgebiet liegen nicht vor. Ausgehend davon ist auch nicht zu besorgen, dass die minderjährige BF im Rückkehrfall einem davon abgeleiteten Risiko ausgesetzt würde oder sie sonst von häuslicher Gewalt betroffen wäre.
Im Irak ist die Grundversorgung mit Nahrung und medizinische Versorgung gegeben und steht den schulpflichtigen Kindern auch ein diskriminierungsfreier Zugang zum Schulsystem offen (siehe das Länderinformationsblatt, den Bericht über das Schulsystem von ACCORD oder die Übersicht über das Bildungssystem von Soma Ahmad). Zudem ist die BF4 ohnehin nicht mehr schulpflichtig.
Ob der obenstehenden Erwägungen und den getroffenen Feststellungen zur Sicherheitslage in der Herkunftsregion der BF ist nicht zu besorgen, dass die minderjährige BF als besonders vulnerable Personen im Rückkehrfall von terroristischen oder kriminellen Aktivtäten betroffen wäre. Aufgrund der Verfahrensergebnisse ist auch nicht davon auszugehen, dass er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit sonstiger Gewalt, wie etwa Blutrache oder einem Ehrenmord, zum Opfer fallen würden.
Ein dahingehendes Vorbringen wurde im Verfahren nicht erstattet und es kann das Bundesverwaltungsgericht in Ansehung der persönlichen Profile der BF auch kein amtswegig wahrzunehmendes besonderes Gefährdungsmoment erkennen.
Aufgrund der oben dargelegten Erwägungen zur sozioökonomischen Lage kann schließlich nicht die reale Gefahr erkannt werden, dass die BF im Rückkehrfall von einer unzureichenden Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern oder von Unterernährung betroffen wären. Hinweise auf Versorgungsengpässe bzw. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, die Kinder für ihre Bedürfnisse benötigen, liegen ausweislich der Feststellungen nicht vor.
Ausgehend von den persönlichen Profilen der BF und den Erwägungen zur Lebensgrundlage im Herkunftsstaat geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der minderjährigen BF im Wege der Versorgung durch ihre Eltern und der durch das breite familiäre Netzwerk erlangbaren Hilfe nicht nur eine hinreichende Absicherung im Hinblick auf die Güter des täglichen Bedarfs, sondern insbesondere auch im Hinblick auf ihre altersgerechten Bedürfnisse erfahren werden.
An dieser Stelle ist eine Auseinandersetzung mit der im Mai 2019 veröffentlichten und in der Stellungnahme vom 19.05.2019 in der Vorgängerversion ziterten Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge „International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq“ erforderlich, da Empfehlungen internationaler Organisationen Indizwirkung nach der Rechtsprechung zukommt (VwGH 13.03.2019, Ra 2018/18/0500) und sich die angeführte Position von UNHCR ausführlich mit potentiellen Verfolgungsszenarien im Irak auseinandersetzt. Die zitierte Indizwirkung bedeutet jedoch nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht in Bindung an entsprechende Empfehlungen etwa des UNHCR Asyl zu gewähren hat. Vielmehr ist, wenn in den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Einschätzung des UNHCR nicht gefolgt wird, beweiswürdigend darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte von einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat ausgegangen wird (VwGH 13.12.2010, Zl. 2008/23/0976; 06.02.2017, Ra 2017/20/0016, zur Lage im Irak).
In der Folge identifiziert der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zwölf Personengruppen, die als besonders schutzbedürftig angesehen werden (siehe die Seiten 58 ff des Berichtes). In Ansehung der beschwerdeführenden Parteien ist festzustellen, dass diese keiner dieser Gruppen angehören. Die beschwerdeführenden Parteien haben sich nicht als Kritiker des kurdischen politischen Systems exponiert oder anderweitig oppositionell betätigt, sodass eine diesbezügliche Gefährdung (deren Bezeichnung im Original: „Persons Opposing, or Perceived to Be Opposing, the KRG or Those Affiliated with the KRG“) ausgeschlossen werden kann. Des Weiteren kann die minderjährige BF keinem der auf Seite 99 f angeführten Risikoprofile zugeordnet werden. Die minderjährige BF war und ist nicht von Kinderarbeit, geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt, Zwangsprostitution oder Zwangsheirat betroffen, ebenso ist keine Zwangsrekrutierung zu besorgen. Die minderjährige BF5 entspringt außerdem keiner außerehelichen bzw. nicht offiziell registrierten Beziehung. Sie ist nicht vom Zugang zu Bildung ausgeschlossen und verfügt schließlich über irakische Dokumente. Ansatzpunkte für eine aufgrund der Ausführungen im Berichts „International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq“ des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge vom Mai 2019 amtswegig wahrzunehmende Gefährdung der beschwerdeführenden Parteien liegen zusammenfassend nicht vor.
II.2.15. Auch ist einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 20.01.2021 - auszugsweise – zu entnehmen:
Aktuelle Versorgungssicherheit in Bagdad: Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) erstellte im April 2019 eine Karte der sozioökonomischen Situation der Bevölkerung Bagdads, die sich auf Erhebungen von 2016 und 2018 stützt. Laut WFP hätten 99 Prozent der Haushalte in Bagdad einen „akzeptablen Lebensmittelkonsum“. 53 Prozent der Haushalte seien „ernährungssicher“, 46 Prozent nur marginal ernährungssicher und 1 Prozent sei ernährungsunsicher. (WFP, 2019, S. 101) WFP zusammen mit der Weltbank, IFAD (International Fund for Agricultural Development) und FAO (UN Food and Agricultural Organization) erstellte einen detaillierten Bericht zu Ernährungssicherheit im Irak im Zeitraum Juni bis August 2020 unter Berücksichtigung der Auswirkungen von COVID-19. Die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln sei aufgrund stetiger internationaler Lebensmittelhandelsströme und einer günstigen Inlandsproduktion stabil geblieben. Die Funktionalität des Lebensmittelmarktes und der Zugang der Haushalte zu Nahrungsmitteln hätten sich im Vergleich zum April kurz nach Beginn des Ausbruchs verbessert. Die Preisstabilität gebe laut den UNO-Organisationen und der Weltbank jedoch Anlass zur Sorge. Die Grundnahrungsmittelpreise hätten sich nicht wesentlich verändert. Die Preise für Gemüse - insbesondere für Tomaten - würden jedoch stark schwanken. (FAO/World Bank/WFP/IFAD, 23. September 2020, S. 2) Die Verfügbarkeit von Lebensmitteln sowie anderer Artikel sei im ganzen Land gut. (FAO, World Bank, WFP, IFAD, 23. September 2020, S. 18)
Wasserversorgung: Laut dem WFP hätten basierend auf Erhebungen von 2016 70 Prozent der Bevölkerung Bagdads kontinuierliche Verfügbarkeit von Trinkwasser und 91 Prozent würden ihr Wasser vom allgemeinen Wasserversorgungsnetz erhalten, die restlichen 9 Prozent von in Flaschen abgefülltem Wasser. (WFP, 2019, S. 101) Im Vergleich dazu veröffentlichen die staatlichen Einrichtungen Iraks folgende Zahlen: Die zentrale Statistikorganisation (Central Statistical Organization Iraq, CSO) gibt auf ihrer Webseite zu einer Erhebung der Situation von Bagdad 2018 an, dass 86,9 Prozent der Einwohner Bagdads 2017 mit Trinkwassernetzen versorgt seien, und 75,9 Prozent der Einwohner mit einem Abwassersystem. (CSO, ohne Datum a) Das irakische Planungsministerium (Ministry of Planning, MOP) veröffentlicht
Aktuelle Wohnsituation für eine 8-köpfige Familie: „Die Höhe der Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Stand 2019, liegt die Miete in KR-I [Region Kurdistan, Irak] Städten bei 200-750 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage zum Mieten stieg, nahm die Nachfrage zum Kaufen ab. ACCORD sprach mit zwei Immobilienmaklern sowie zwei privaten Vermietern in Bagdad und erfragte die Möglichkeit, kurzfristig ein Haus beziehungsweise eine Wohnung für eine 8-köpfige Familie anzumieten. Laut Auskunft eines Immobilienmaklers in Al Mansour, einem traditionell wohlhabenden Bezirk im Westen der Stadt, gebe es Mietmöglichkeiten für eine Familie dieser Größe. Ein Haus mit 100m² Grundfläche und drei Stockwerken, welches vier Schlafzimmer beinhalte, komme auf 1.000 Dollar (827.52 Euro) Miete pro Monat. Es gebe auch die Möglichkeit, ein Haus mit einer Grundfläche von 300m² und mit zwei Stockwerken zu mieten. Dieses komme auf 1.700 oder 1.800 Dollar (1,406.78 oder 1,489.53 Euro) Miete pro Monat. Die Immobilienagentur verrechne zusätzlich eine Monatsmiete für die Vermittlung. Eine Kaution gebe es nicht, doch sei es wahrscheinlich, dass die Vermieter darauf bestehen würden, mehrere Monatsmieten im Voraus bezahlt zu bekommen. Der potenzielle Mieter müsse seinen Ausweis, sowie seine Aufenthaltskarte vorlegen. (Immobilienmakler, 16. Jänner 2021) Ein Immobilienmakler aus Al-Ghadeer, einem Mittelschichtsviertel im Osten der Stadt, erklärte gegenüber ACCORD, dass er momentan ein älteres Haus der gewünschten Größe zur Miete anbieten könne. Dies würde eine Million irakische Dinar (565,81 Euro) pro Monat ausmachen. Der Mieter müsse seine Ausweise vorlegen. (Immobilienmakler, 9. Jänner 2021) In einem Gespräch mit ACCORD gab ein privater Vermieter aus Sadr City, ein weniger wohlhabendes schiitisches Viertel im Osten Bagdads, an, dass er momentan ein Haus mit einer Grundfläche von 144 m² und zwei Stockwerken zu vermieten habe. Er würde 400-500 Dollar (331-413,76 Euro) pro Monat verlangen. Er würde jedoch nur an Personen vermieten, die einen Kontakt zu Sadr City haben würden, um sich abzusichern, dass die Miete auch bezahlt werde. (Privater Vermieter, 12. Jänner 2021) In einem Telefongespräch mit einem privaten Vermieter aus Bismayah, einem neuenStadtprojekt 10 km südöstlich von Bagdad, wurde erklärt, dass eine 140m² große Wohnung mit vier Schlafzimmern um 600 Dollar (496,51 Euro) pro Monat zu vermieten sei. Weitere Details zur Vermietung wurden nicht bekannt gegeben. (Privater Vermieter, 15. Jänner 2021).
Zugang zu Schulen in Bagdad: Die UNO-Unterstützungsmission für den Irak (UNAMI) und das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (Office of the High Commissioner for Human Rights, OHCHR) fassen im Februar 2020 die rechtliche Grundlage des Schulbesuchs im Irak wie folgt zusammen: Artikel 34 der irakischen Verfassung garantiere das Recht auf Bildung. Darüber hinaus sehe die Verfassung vor, dass die Grundschulbildung obligatorisch sei und garantiere das Recht auf Bildung in der Muttersprache. Alle Irakerinnen hätten außerdem das Recht auf kostenlose Bildung in allen Stufen. Diese verfassungsrechtlichen Garantien würden von föderalen und regionalen Vorschriften und Richtlinien begleitet. (UNAMI/OHCHR, 17. Februar 2020, S. 7) Das Planungsministerium veröffentlicht 2018 Zahlen zum nationalen Schulbesuch im Schuljahr 2016/2017. In Bagdad hätten 97 Prozent der Kinder im Alter von 6 bis 11 eine Volksschule (öffentlich, privat oder waqf [Schulen mit religiösem Fokus, Anm. ACCORD]) besucht. Die Mittelschule wurde in Bagdad von 67,7 Prozent der 12 bis 14-Jährigen besucht und die höheren Schulstufen von 34,6 Prozent der 15 bis 17-Jährigen. (MOP, Juni 2018, S. 169) Das zentrale irakische Statistikbüro des Planungsministeriums gab bekannt, dass es im Schuljahr 2016/2017 mehr als 2.300 öffentliche Volksschulen in Bagdad und mehr als 1.200 weiterführende Schulen gegeben habe. (CSO, ohne Datum b) IOM veröffentlich in seinem Länderinformationsblatt zum Irak von 2019 Informationen zum Bildungssystem:
1.Allgemeine Informationen: das staatliche Bildungssystem ist in allen Stufen kostenfrei. Die Schulpflicht beginnt ab sechs Jahren. In kurdischen Regionen dauert die Grundschule neun, die weiterführende Schule drei und das College vier Jahre. Im Zentral-, und Südirak beinhaltet die Grundschule sechs Jahrgangsstufen, die Sekundärschule drei, die Weiterführende Schule auch drei und die Universität vier. […]
2. Kosten, Studienkredite und Stipendien Die Bildung im öffentlichen Sektor ist kostenfrei. Daher sind in diesem Zusammenhang auch keine Darlehen oder Stipendien nötig. Für private Bildungseinrichtungen variieren die Gebühren je nach Institution. Es gibt einige private Institutionen die in besonderen Fällen, z.B. Waisenkindern, Märtyrerangehörigen oder Schülern mit überdurchschnittlich guten Noten, Nachlasse gewähren. Diese variieren jedoch je nach Institution. Rückkehrende können sich mit Vertretern der Einrichtung ihrer Wahl treffen und Zahlungsoptionen besprechen.
3. Anerkennung ausländischer Abschlüsse: Im Falle von rückkehrenden Kindern, die eine Schule im Gastland besucht haben, ist folgendes Verfahren zur Einschreibung im irakischen Bildungssystem notwendig: Zuerst muss ein Zertifikat der ausländischen Schule (beglaubigt vom irakischen Konsulat im Ausland, dem Ministerium für Bildung/Ministerium für höhere Bildung und dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten) vorgelegt werden. […] Zusätzlich müssen zukünftige, Studierende eine Kopie des Passes (inklusive Visum und Informationen zum Aufenthalt, falls erforderlich) bereitstellen. Zur Aufnahme in private Bildungseinrichtungen können weitere Tests und Aufnahmeverfahren erforderlich sein.
Bildungssystem: Zugang und Anmeldeverfahren für Rückkehrende
Folgende Dokumente werden für die Anmeldung in Bildungseinrichtungen benötigt:
• Ausweiskopien des Kindes und der Eltern
• Food Ration Card
• Persönliche Fotos
Sollte das Kind/der Studierende im Ausland zur Schule/Universität gegangen sein und entsprechende Zertifikate erhalten haben, müssen diese bei der irakischen Botschaft im Gastland sowie dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten bestätigt und angeglichen werden.“ (IOM, 2019, S. 9) UNAMI und OHCHR unterstreichen in ihrem Bericht die Wichtigkeit des Besitzes von Dokumenten, um Kinder an einer Schule zu registrieren. (UNAMI/OHCHR, 17. Februar 2020, S. 11-12).
Gefährdungslage für minderjährige Kinder in Bagdad: Die folgenden Informationen umfassen eine Vielzahl an Themenbereichen, die als Teil der Recherche nach Gefährdungen für Kinder in Bagdad aufgekommen sind, wie Kinderhandel, Entführung, Kinderehe und Kinderarbeit. Darunter sind auch ältere Quellen von 2016 bis 2018. Die Iraqi Children Foundation beschreibt in einem Artikel vom August 2018 die Arbeit der "Baghdad Street Lawyers", einem Team von AnwältInnen und SozialarbeiterInnen, die sich darauf spezialisieren würden, Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind, zu erkennen und zu unterstützen. Es werden Beispiele von Ausbeutung von Kindern genannt, die von den "Baghdad Street Lawyers" aufgedeckt worden seien: der Verkauf eines kleinen Mädchens an eine Bettlerin, Eltern, die ihre Töchter in die Prostitution verkauft hätten, der Versuch, einem Jugendlichen eine Niere abzukaufen, Zwang zur Prostitution von Minderjährigen und Zwang von unter Siebenjährigen, zu betteln. (Iraqi Children Foundation, 9. August 2018) Middle East Eye (MEE) schreibt in einem Artikel vom Jänner 2017, dass kriminelle Banden in Bagdad ZivilistInnen entführen würden, um Lösegeld zu erpressen. Der Artikel beschreibt den Fall eines 14-jährigen Teenagers, Ali al-Khafaji, der aus dem Haus seiner Familie inKarrada, einem wohlhabenden Viertel Bagdads, entführt worden sei. Seine Eltern hätten das geforderte Lösegeld bezahlt, doch am nächsten Tag sei Alis Leiche gefunden worden. Laut dem Leiter des Provinzrates seien die Entführten oft Kinder und würden nach der Lösegeldzahlung getötet werden. (MEE, 4. Jänner 2017) UN Women gibt 2018 bekannt, dass 27,9 Prozent der 20-24-jährigen Frauen im Irak schon vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet oder sich in einer eheähnlichen Verbindung befunden hätten. (UN Woman, 2018) Das U.S. Department of Labor (USDOL), das für Arbeitsangelegenheiten zuständige Ministerium der USA, gibt fürs Jahr 2019 an, dass Kinder im Irak den schlimmsten Formen der Kinderarbeit ausgesetzt seien, einschließlich erzwungenem Betteln und kommerzieller sexueller Ausbeutung, die jeweils manchmal auf Menschenhandel zurückzuführen sei.
USDOL führt eine Liste von Arten von Kinderarbeit an, die im Irak vorkommen würden. Diese inkludiert landwirtschaftliche Arbeit, Bauarbeiten, Tischlerarbeiten, Ziegelherstellung, Fabrikarbeiten, Arbeiten auf der Straße, an der Tankstelle und auf Mülldeponien, Hausarbeiten, Arbeiten in Hotels und Restaurants sowie auf Friedhöfen. Kinder würden weiters für illegale Aktivitäten wie Schmuggel eingesetzt, sie würden zum Betteln gezwungen, kommerziell sexuell ausgebeutet und von nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen für den Einsatz in bewaffneten Konflikten rekrutiert. (USDOL, 30. September 2020) Laut UNICEF und den irakischen Statistikorganisationen seien in Bagdad im Jahr 2018 4,8 Prozent der 5 bis 17-jährigen in Kinderarbeit tätig gewesen. (UNICEF et al., Februar 2019). In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen wurde außerdem nach Angriffen auf Schulen in Bagdad in Zeitraum 2019-2020 gesucht, doch es konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine Informationen gefunden werden. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass ein solches Ereignis nicht stattgefunden hat. Gesucht wurde mittels ecoi.net und Google nach einer Kombination ausfolgenden Suchbegriffen: Bagdad, Schule, Angriff, Anschlag, Kinder auf Deutsch, Englisch und Arabisch.
Umgelegt auf die BF bedeutet dies, dass die Versorgung-, Sicherheits- und Wohnsituation in Bagdad akzeptabel ist und beispielsweise einige Kilometer außerhalb Bagdads auch leistbare Wohnungen (140m2 für unter € 500,- pro Monat) vorhanden sind. Zudem wohnen in den benachbarten Orten XXXX und XXXX insegesamt neun Geschwister des BF1, sodass zumindest für die Anfangszeit eine Unterkunft für die BF vorhanden ist. Außerdem besitzt die Familie ein eigenes Haus. Bezüglich der Situation von Kindern ist festzuhalten, dass die BF4 im Familienverband verbleibt und bereits nächstes Jahr volljährig wird. Die Eltern zeitigen auch sehr wohl den Eindruck, am Wohlbefinden ihres Kindes sehr interessiert zu sein. Es ist demnach nicht davon auszugehen, dass die BF4 in ihrem Herkunftsstaat Kinderarbeit oder Prostitution ausgesetzt sein wird.
II.2.16.Weiters sind in Ansehung der BF folgende Erwägungen zu im Rückkehrfall zu erwartenden sozioökonomischen Lage maßgeblich:
Demnach ist der BF1 ist in Bagdad geboren und hat nach zwölf Jahren Schulbesuch die Matura abgelegt. Danach studierte er fünf Jahre lang Biologie und war kurzfristig als Lehrer an Schule beschäftigt. Dansch bewirtschaftete er sein Grundstück. Mit seiner Familie bewohnte er in Alzedan ein Eigenheim. In Alanas und Alzedan, beide Orte befinden sich unmittelbar außerhalb Bagdads, leben noch fünf Schwestern und vier Brüder, zu denen der BF1 Kontakt hat.
Die BF2 ist in Mazedonien geboren und besuchte dort zehn Jahre lang die Schule. Nach der Heirat lebte sie in XXXX beim BF1, führte den Haushalt und kümmerte sich um die Kinder. Der BF3 und BF4 besuchten ihrem Alter entsprechend die Schule und lebte bei und von den Eltern.
Keiner der BF leidet an einer schweren Erkrankung und sind die BF auch keine Angehörigen der COVID-19 Risikogruppe.
Sämtliche BF sind mit der Sprache sowie den Gebräuchen in ihrem Herkunftsstaat vertraut und konsumierten im Irak dem Alter entsprechend Schulbildung.
Den volljährigen BF steht es frei, im Rückkehrfall neuerlich einer Beschäftigung nachzugehen. Auch der BF2 ist es zumutbar, im Fall der Rückkehr zumindest eine Teilzeitbeschäftigung aufzunehmen, zeigt doch die als Schulwartin tätige Schwester des BF1, dass auch weibliche Personen im Irak am Erwerbsleben teilnehmen können. Dass es Frauen in Bagdad grundsätzlich nicht möglich wäre, einer Arbeit nachzugehen, lässt sich der Quellenlage zudem nicht entnehmen. Auch der BF3 steht einer Beschäftigung nichts im Weg. Die minderjährige BF4 kann nach der Rückkehr die Schule besuchen bzw. abschließen.
Es ist nicht ersichtlich, weshalb die BF im arbeitsfähigen Alter im Irak keine Tätigkeit ausüben sollten. Zwar ist die Situation im Land von einer generell hohen Arbeitslosenquote, insbesondere bei Jugendlichen und Frauen, gekennzeichnet (vgl. etwa Research paper der Staatendokumentation „Socio-economic dynamics: Baghdad“ vom 31.7.2019), allerdings ist auch festzuhalten, dass die Arbeitslosenrate in Bagdad generell niedriger ist als in den übrigen Landesteilen, wie sich dem zuvor genannten Bericht entnehmen lässt.
Im Hinblick auf die zur Zeit vorherrschende Pandemie wegen des Corona-Virus, der daraus resultierenden Krankheit COVID-19 und der Situation im Irak kann aufgrund des typischen Krankheitsverlaufes und der persönlichen Situation der BF (aus den Altersangaben und den Angaben der BF zu ihrem Gesundheitszustand kann nicht geschlossen werden, dass die BF zur Gruppe der von COVID-19 besonders Gefährdeten gehört) und des Umstandes, dass der irakische Staat, wie sich aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt, auf die Situation bisher angemessen reagierte, nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Art. 2 bzw. 3 EMRK ausgesetzt wären. Ebenfalls kann dies nicht aus der Verpflichtung, sich anlässlich der Einreise einer Untersuchung zu unterziehen, bzw. sich in Quarantäne zu begeben, abgeleitet werden.
Zwar kann die wirtschaftliche Situation im Land für den Großteil der Bevölkerung durchaus als angespannt bezeichnet werden und wird die Wirtschaftsentwicklung sicherlich durch die Corona-Pandemie – wie in anderen Staaten der Erde auch – weiter gedämpft. Dass es Menschen in Erbil grundsätzlich nicht möglich wäre, einer Arbeit nachzugehen oder dort massenhaftes Elend und Hunger herrschen würden, lässt sich der Quellenlage und der aktuellen Medienberichterstattung jedoch nicht entnehmen.
Im Hinblick auf den Bezug von Wasser kommt es den eingesehenen Dokumenten zufolge im Irak, vor allen in den Sommermonaten, immer wieder zu Unterbrechungen. Auch die mitunter schlechte Wasserqualität bedingt die Notwendigkeit, Wasser in Flaschen und Medikamenten gegen Auswirkungen von verunreinigtem Wasser zu beziehen. Zudem leidet die Nahrungsmittelproduktion im Irak unter der Trockenheit und versalztem Wasser, was eine hohe Importrate bei bestimmten Nahrungsmitteln, wie etwa Zucker, Öl, Reis, Milchprodukte und Weizenmehl, bedingt und vor allem bei ausgeprägten Trockenperioden die Preise für gewisse Lebensmittel in die Höhe treiben kann.
Es ist zudem auch anzunehmen, dass die BF im Irak auch über einen gewissen Bekanntenkreis verfügen. Die BF werden deshalb auch wieder sozialen Anschluss im Irak finden und kann daher auch davon ausgegangen werden, dass den BF – zumindest für die Phase einer ersten Orientierung – Unterstützung durch die Familie des BF1 und den Bekanntenkreis zuteil werden wird.
Dessen ungeachtet vertritt das Bundesverwaltungsgericht auch ob des von den BF in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks die Auffassung, dass diese anpassungsfähig und arbeitsfähig sind. Die volljährigen BF gaben vor dem Bundesverwaltungsgericht an, arbeitswillig zu sein. Es ist daher davon auszugehen, dass die BF daher selbst in der Lage sein werden, für ihr Auskommen im Fall der Rückkehr nach Bagdad zu sorgen.
Den BF steht es auch frei, am ERIN-Programm teilzunehmen. ERIN ist ein Rückkehr- und Reintegrationsprogramm auf europäischer Ebene mit dem Hauptziel, Reintegrationsunterstützung im Herkunftsland anzubieten. ERIN ist eine Spezifische Maßnahme (Specific Action) im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU, wird von den Niederlanden (Repatriation and Departure Service (R&DS) – Ministry of Security and Justice of the Netherland) geleitet und zu 90% aus Europäischen Mitteln finanziert.
Im Rahmen des ERIN Programms erhält jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin eine Reintegrationsleistung in der Höhe von 3.500 Euro, wobei 500 Euro als Bargeld und 3.000 Euro als Sachleistung vom Service Provider im Herkunftsland ausgegeben werden. Während die Geldleistung grundsätzlich dazu gedacht ist die unmittelbaren Bedürfnisse nach der Rückkehr zu decken, dient die Sachleistung insbesondere als Investition zur Schaffung einer Existenzgrundlage und trägt somit zu einer nachhaltigen Rückkehr bei. Von Juni 2016 bis Jänner 2018 erhielten 843 Personen im Rahmen ihrer Rückkehr von Österreich in ihr Heimatland Reintegrationsunterstützung über das ERIN-Programm. Unter Berücksichtigung von Familienangehörigen kehrten im selben Zeitraum sogar 1.254 Personen freiwillig in ihr Heimatland zurück. Aktuell wird ERIN-Reintegrationsunterstützung im Zentralirak und in der autonomen Region Kurdistan zur Verfügung gestellt (http://www.bmi.gv.at/107/EU_Foerderungen/Finanzrahmen_2014_2020/AMIF/ERIN.aspx ). Die Teilnahme an diesem Programm vermittelt etwa hinreichende Starthilfe für eine selbständige Tätigkeit und den neuerlichen Aufbau eines eigenen Geschäftes.
Die BF sind als irakische Staatsbürger außerdem berechtigt, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen, einem sachleistungsorientierten Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft und an die Bevölkerung verteilt. Auch wenn das Programm von schlechter Organisation gekennzeichnet ist und Verzögerungen bei der Ausgabe der Rationen dokumentiert sind, ist zumindest von einer grundlegenden Absicherung im Hinblick auf den existenziellen Bedarf an Grundnahrungsmitteln auszugehen.
Dass Rückkehrer aus dem westlichen Ausland besonders vulnerabel wären, kann den zur Rückkehr getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak nicht entnommen werden. Seitens der BF wurde letztlich auch nicht vorgebracht, im Rückkehrfall in eine ausweglose Lage zu geraten oder in ihren Grundbedürfnissen nicht abgesichert zu sein, sodass insgesamt eine gesicherte Existenzgrundlage im Irak als erwiesen anzusehen ist.
II.3. Rechtliche Beurteilung:
II.3.1.1 Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
II.3.1.2. Familienverfahren gemäß § 34 AsylG:
Stellt ein Familienangehöriger von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist (Z 1); einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist (Z 2) oder einem Asylwerber (Z 3) einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt gemäß § 34 Abs. 1 AsylG dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Die Erstbeschwerdeführerin ist die Ehegattin des Zweitbeschwerdeführers und beide sind die Eltern der Drittbeschwerdeführerin und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin. Hinsichtlich der BF liegt daher ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.
Zu A)
II.3.2. Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten
II3.2.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:
„§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) …
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. | dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder |
2. | der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat. |
...“
Gegenständliche Anträge waren nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb die Anträge der BF inhaltlich zu prüfen waren.
Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.
II.3.2.2. Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (in etwa VwGH vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731; vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre überhaupt fraglich, ob unter solchen Umständen noch von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (vgl. VwGH vom 20.05.2015, Zl. Ra 2015/20/0030 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153).
Die StatusRL 2011/95/EU sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 und vom 01.09.2005, 2005/20/0357).
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweisen sich die gegenständlichen Beschwerden als unbegründet:
Es ist festzuhalten, dass die BF zur Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat vorbringen, dass sie Angst um ihr Leben hätten. Dass sie durch staatliche Behörden verfolgt worden wären bzw. ihnen eine Verfolgung durch staatliche Behörden drohen würde, wurde von ihnen zu keinem Zeitpunkt in substantiierter Weise behauptet oder belegt.
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft, wobei als zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ erachtet wird. Diese ist dann gegeben, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erschließt sich jedoch, dass die behauptete Furcht der BF, aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht begründet ist.
Im Bewusstsein dessen, dass die politische Lage im Irak angespannt und die Sicherheitsverwaltung stark schiitisch geprägt ist, muss auch darauf hingewiesen werden, dass sich beschwerdegegenständlich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergaben, dass die örtlichen Sicherheitskräfte des Herkunftsstaates den BF gegenüber nicht schutzfähig oder schutzwillig gewesen wären.
II.3.2.3. Wie im gegenständlichen Fall aber bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen der BF zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).
Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von den BF behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).
Im vorliegenden Fall gelangt das Bundesverwaltungsgericht aus oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführer keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt waren oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wären, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100). Ferner liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass den Beschwerdeführern eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung droht.
Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten somit aus.
Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.
Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798). Die Beschwerdeführer sind außerdem sunnitischen und schiitischen Glaubens, sie haben demnach im Fall einer Rückkehr insbesondere keine Schwierigkeiten aufgrund ihres Religionsbekenntnisses zu befürchten.
II.3.3. Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat
II.3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten:
„§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. | der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder |
2. | … |
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 … zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht.…“
Bereits § 8 AsylG 1997 beschränkte den Prüfungsrahmen auf den „Herkunftsstaat“ des Asylwerbers. Dies war dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen war, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300). Diese Grundsätze sind auf die hier anzuwendende Rechtsmaterie insoweit zu übertragen, als dass auch hier der Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Bestehend der Voraussetzungen, welche allenfalls zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen, sich auf den Herkunftsstaat beschränken.
Art. 2 EMRK lautet:
„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. (2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:
a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;
b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;
c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.“
Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.
Art. 3 EMRK lautet:„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).
Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).
Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).
Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.
Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffenen Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).
Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der bP zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.
Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).
Gem. der Judikatur des EGMR muss ein BF die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)
Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).
Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).
Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.
Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solch innerstaatlich bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).
Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen: ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).
Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).
Dessen ungeachtet sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).
II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:
Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.
Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates der BF (die Todesstrafe wurde zwar nicht abgeschafft, es gibt aber keinerlei Hinweise, dass die BF eine mit dieser Strafe bedrohte Handlung begangen hätten) scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.
Da sich der Herkunftsstaat der BF nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.
Es kann auch nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), haben doch der BF1 und die BF2 selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihnen und ihren Kindern im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und sie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären.
Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat der BF in einigen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.
Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.
Weitere, in der Person der BF begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.
Soweit die BF ihren Gesundheitszustand thematisiert haben, handelt es sich bei den vorgebrachten gesundheitlichen Beeinträchtigzungen um keine lebensbedrohlichen, schweren Erkrankungen und ergibt sich auch aus den Länderfeststellungen, dass eine grundlegende medizinische Versorgung im Irak, insbesondere Bagdad gewährleistetet ist.
Zur individuellen Versorgungssituation der BF wird weiter festgestellt, dass diese im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügen. Bei den BF1 bis BF3 handelt es sich um mobile, weitgehend gesunde, arbeitsfähige Menschen. Einerseits stammen die BF aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehören sie keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.
So war es dem BF1 und der BF2 auch vor dem Verlassen des Herkunftsstaates möglich, dort das Leben zu meistern und ausreichend für die Kinder zu sorgen.
Ebenso kam hervor, dass die BF im Herkunftsstaat über soziale Anknüpfungspunkte verfügen. Im Herkunftsstaat leben die in den Feststellungen angeführten Familienangehörigen des BF1, welche alle über Unterkünfte verfügen und grundsätzlich einer Beschäftigung nachgehen.
Bei der BF4 handelt es sich um ein ( gerade noch) minderjähriges Kind, sie ist somit eine besonders vulnerable Person (vgl. dazu etwa die Begriffsdefinition in Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU ), sodass sich das Bundesverwaltungsgericht im Besonderen mit der Lage der minderjährigen BBF4 im Rückkehrfall auseinandersetzen hat (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0089). In diesem Zusammenhang ist zunächst wesentlich, dass ausweislich der Feststellungen und der dazu angestellten beweiswürdigenden Erwägungen nicht nur von einer gesicherten Existenzgrundlage der Eltern auszugehen ist, sondern sich ein für eine bescheidene Lebensführung hinreichendes Einkommen für die gesamte Familie auch unter Berücksichtigung der minderjährigen BF4 erwarten lässt. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, die Kinder für ihre Bedürfnisse benötigen (Obst, Milch oder medizinische Produkte), konnten im Rahmen der Recherche nicht erhoben werden, sodass keine dahingehenden Schwierigkeiten im Herkunftsstaat feststellbar sind.
Der minderjährigen BF4 steht ausweislich der Feststellungen der Zugang zum irakischen Schulsystem offen. Alle Ausbildungsstufen bis einschließlich der Hochschule sind kostenlos. Nach Abschluss der Mittelschule können die Schülerinnen und Schüler ihren Bildungsweg fortsetzen, indem sie sich entweder für eine allgemeine Sekundarschule oder eine berufliche Ausbildung in verschiedenen Bereichen entscheiden. Die Einschulungsrate in der Grundschule beträgt 96 Prozent, 67 Prozent der Kinder besuchen in der Folge die Sekundarstufe. Die minderjährige BF4 genießt demnach Zugang zu einer hinreichenden schulischen Ausbildung. Dass das Schulwesen unter einer schlechten Qualität der Schulgebäude leidet und der Unterricht abschnittsweise in mehreren Schichten durchgeführt werden muss führt noch nicht zur realen Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK.
Dass die minderjährige BF4 im Irak nicht von geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsrekrutierung oder Zwangsarbeit betroffen sein wird, wurde bereits erörtert.
Darüber hinaus ist es den BF unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt demnach nicht vor.
Ferner haben die BF als Staatsbürger des Irak Anspruch auf Leistungen des Lebensmittelverteilungssystem PDS, welches den Feststellungen zufolge zwar inneffizient geführt wird und mit teilweisen Ausfällen zu kämpfen hat, jedoch dennoch für eine gewisse Absicherung mit Grundnahrungsmittel sorgt.
II.3.3.3. Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat die dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht über eine allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.
Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die BF somit nicht in ihren Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.
Weder droht im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde die Gefahr, der Todesstrafe unterzogen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen, sodass die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide zu Recht abgewiesen wurden.
II.3.4. Frage der Erteilung von Aufenthaltstiteln und Erlassung von Rückkehrentscheidungen
II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:
§ 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:
§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“
§ 57 AsylG 2005, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.
(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.
(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“
§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
§ 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln:
1. § 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
3. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,
5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder
6. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
7. (2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.
(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
8. (4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.
9. (5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.
10. (6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.
11. (7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.
12. (8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
13. (9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige
1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,
2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder
3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist
14. soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.
15. (10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
16. (11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist
1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder
2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.
Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.
17. (12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.
18. (13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn
1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und
2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.“
(14) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise allgemein und für den jeweiligen Aufenthaltstitel dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten.
§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:
„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,
2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I. Nr. 68/2017 aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.
Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel “Daueraufenthalt – EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.
(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“
§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.
(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.
Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
II.3.4.2. Die gegenständlichen, nach, nicht rechtmäßiger, Einreise in Österreich gestellten Anträge auf internationalen Schutz waren abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel der drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fallen die BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.
Es liegen keine Umstände vor, dass den BF allenfalls von Amts wegen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wären, und wurde diesbezüglich in den Beschwerden auch nichts dargelegt.
Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit Rückkehrentscheidungen gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
II.3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens der Fremden darstellt.
II.3.4.4. Die BF haben in Österreich noch zwei weitere Kinder, es handelt sich um erwachsene Männer. Beiden wurde subsidiärer Schutz gewährt und sind beide berufstätig. Die BF leben sonst mit keiner nahestehenden Person zusammen, sie sind außer innerhalb der Familie für niemanden sorgepflichtig. Sie möchten offensichtlich das künftige Leben in Österreich gestalten und halten sich seit sechs Jahren im Bundesgebiet auf. Die BF reisten rechtswidrig und mit Hilfe einer Schlepperorganisation in das Bundesgebiet ein. Die BF sind nicht selbsterhaltungsfähig und beziehen Grundversorgung. Der BF1 und die BF2 waren bis dato im Bundesgebiet nicht legal beschäftigt und leisteten keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Die BF3 war beim Magistrat vom 01.03.2018 bis 31.12.2018 gemeinnützig tätig. Sie legte eine Einstellungzusage der Dentalklinik XXXX als Sterilisationsgehilfin vor, ein verbindlicher Arbeitsvorvertrag wurde nicht in Vorlage gebracht. Die BF haben bislang diverse Deutschkurse und Integrationskurse besucht und auch Prüfungen abgelegt. Die BF4 besuchte zuletzt das BG/BRG XXXX XXXX .
Die BF sind strafrechtlich bislang unbescholten.
Vom Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8
EMRK
ist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. (vgl. dazu EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981, 118; EKMR 14.3.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention,
EMRK
- Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art.
8
; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1, ebenso VwGH vom 26.1.2006, 2002/20/0423).
Bei dem Begriff „Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK“ handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention.
Die Rückkehrentscheidungen stellen somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, sondern allenfalls einen solchen in das Privatleben.
II.3.4.5. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.
Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.
Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der geltenden Judikatur Folgendes:
- Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:
Die BF sind seit September 2015 in Österreich aufhältig. Sie reisten rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und konnten ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung unbegründeter Asylanträge vorübergehend legalisieren. Hätten sie diese unbegründeten Asylanträge nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.
- das tatsächliche Bestehen eines Privatlebens:
Die BF verfügen über keine relevanten familiären oder privaten Anknüpfungspunkte.
- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens
Die BF begründeten ihr Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt lediglich durch die Stellung der unbegründeten Asylanträge vorübergehend legalisiert war. Auch war der Aufenthalt der BF zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer der Asylverfahren beschränkt.
Letztlich ist auch festzuhalten, dass die BF nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zur Gänze abzubrechen. So stünde es ihnen frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN).
- Grad der Integration
Die BF sind –in Bezug auf ihr Lebensalter- erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig, haben hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und waren im Asylverfahren nicht in der Lage, ihre Anträge ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen.
Die BF besuchten Deutsch- und Integrationskurse. Vom BF1 wurden Zertifikate A1 und A2 vorgelegt. Von der BF2 und der BF3 wurden A2 und BF1 Zertifikate vorgelegt.
Die BF3 leistete beim Magistrat der Stadt von 01.03.2018 bis 30.12.2018 ehrenamtliche Tätigkeiten. Von der Dentalklinik XXXX brachte sie eine Einstellungszusage als Sterilisationsassistentin vor. Einen verbindlichen Arbeitsvorvertrag konnte kein BF vorlegen. BF1 und BF2 leisteten keine ehrenamtlichen Tätigkeiten.
Die BF2 legte Bestätigungen über die Teilnahme an fünf Info Modulen im September und Oktober 2016, Teilnahme am Workshop „Hilfe im Notfall“ des RK am 19.04.2017 und Teilname am Kompetenz Workshop für Asylwerberinnen in der Zeit vom 06.11.2018 bis 16.111.2018, vor.
Von der BF3 wurden Bestätigungen über die Teilnahme am Werte- und Orientierungskurs, am Projekt „Mädchen helfen Mädchen 2018“, am Workshop „Hilfe im Notfall“ des RK am 19.04.2017 und ein Zertifikat der SOPHOS Akademie vom 22.11.2019 vorgelegt
Die BF4 besuchte zuletzt das BG/BRG XXXX .
Die BF sind keine Mitglieder bei einem Verein oder einer Organisation.
Alle BF pflegen normale soziale Kontakte und wurden für die BF mehrere Unterstützungsschreiben vorgelegt.
Die BF sind nicht selbsterhaltungsfähig und beziehen nach wie vor Grundversorgung, sodass keine berufliche Integration gegeben ist.
Bezüglich österreichischer Freunde war dem BF1 lediglich die Bekanntgabe von einem männlichen Vornamen möglich, die BF2 nannte drei Personen (alle aus dem Camp) und die BF3 konnte zwei Personen bekannt geben. Eien maßgebliche Integration in gesellschaftlicher Hinsicht ist daher nicht anzunehmen.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier bei weitem nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).
- Bindungen zum Herkunftsstaat
Die BF verbrachten den überwiegenden Teil ihres Lebens im Irak, wurden dort sozialisiert, bekennen sich zum sunnitischen Glauben des Islam und sprechen, außer die BF2, die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. In XXXX und XXXX leben noch fünf Schwestern und vier Brüder des BF1. Alle haben Unterkünfte und gehen vier Brüder und eine Schwester einer Beschäftigung nach. Für die restlichen vier Schwestern sorgen deren Ehemänner. Ebenso ist davon auszugehen, dass im Irak Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- und/oder Bekanntenkreises der BF existieren, da nichts darauf hindeutet, dass sie vor der Ausreise im Herkunftsstaat in völliger sozialer Isolation gelebt hätten. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es den BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.
Zurminderjährigen BF4 ist festzustellen, dass schon aufgrund ihres Alters und der Aufenthaltsdauer in Österreich die Abwägung zwischen den Bindungen zum Herkunftsstaat und den nunmehrigen Bindungen zu Österreich anders zu bewerten sein wird, als im Hinblick auf die Eltern. Hier wird von geringeren Bindungen zum Herkunftsstaat und stärkeren Bindungen zu Österreich auszugehen sein. In die Überlegungen hat jedoch einzufließen, dass die minderjährigen BF noch jung ist und über ihr Umfeld bzw. ihre Eltern die Kultur und Sprache ihres Herkunftsstaates auch nunmehr vermittelt bekommt. Auch kann aufgrund der Sprachkenntnisse der Eltern davon ausgegangen werden, dass im Familienverband zumindest noch teilweise mit den Eltern in der Sprache des Herkunftsstaates kommuniziert wird und somit dieser „Vermittlungseffekt“ bis in die Gegenwart nachwirkt.
Ebenso befindet sich die minderjährige BF4 in einem Alter erhöhter Anpassungsfähigkeit (vgl. Dr. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN). Es kann daher angenommen werden, dass es ihr unter Nutzung dieser Fähigkeiten gelingt, sich spiegelbildlich betrachtet, ebenso wie in die österreichische auch wieder in die Gesellschaft ihres Herkunftsstaats vollständig zu integrieren.
Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist gerade Kindern, welche noch im jungen Alter sind und die mit ihren Eltern gemeinsam ausreisen, die (Re-)Integration im Herkunftsstaat der Eltern zumutbar. So nahm der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 30.08.2011, Zl. 2009/21/0015 an, dass bei einem 6 Jahre und 3 Monate dauernden Aufenthalt in Österreich erwartet werden kann, die Kinder werden sich im Rahmen des gewohnten familiären Umfeldes an die neuen Begebenheiten im Herkunftsstaat der Eltern anpassen können (vgl. auch VwGH vom 19. Mai 2011, Zlen. 2009/21/0115, 116, mwN). Selbst Schwierigkeiten bei der (Re) Integration sind in derartigen Fällen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen in Kauf zu nehmen (vgl. VwGH vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0282).
- strafrechtliche Unbescholtenheit
Die BF sind bislang strafrechtlich unbescholten.
Diese Feststellung stellt laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.
- Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts
Die BF reisten schlepperunterstützt und unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge rechtswidrig in das österreichische Bundesgebiet ein.
Soweit die minderjährige BF hierbei keinen Einfluss auf das Verhalten ihrer Eltern hatten, wird auf die noch zutreffenden Ausführungen hinsichtlich der objektiven Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern hingewiesen, welche hier sinngemäß gelten.
- die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren
Den BF musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung der Asylanträge nur ein vorübergehender ist. Ebenso indiziert die rechtswidrige und schlepperunterstützte Einreise den Umstand, dass den BF die Unmöglichkeit der legalen Einreise und dauerhaften Niederlassung bewusst war, da davon auszugehen ist, dass sie in diesem Fall diese weitaus weniger beschwerliche und kostenintensive Art der legalen Einreise und Niederlassung gewählt hätten.
- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer
Ein derartiges Verschulden kann der Aktenlage nicht entnommen werden.
-Kindeswohl
Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 § 1666 Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).
Bei der Beurteilung, ob im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verletzung von durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten droht, ist nach der Judikatur des VwGH eine eventuelle besondere Vulnerabilität der Betroffenen im Speziellen zu berücksichtigen, wobei der VwGH auch auf die Definition schutzbedürftiger Personen in Art. 21. Der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) verweist (vgl. zuletzt VwGH vom 13.12.2018, Zl. Ra 2018/18/0336 sowie vom 30.08.2017, Zl. Ra 2017/18/0089 zum Irak sowie VwGH vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 und diverse andere zu Afghanistan). Art. 21 der Aufnahmerichtlinie zählt als besonders schutzbedürftige Personen unter anderem Minderjährige auf.
Der Verfassungsgerichtshof hat - aufgrund der vom BVwG selbst herangezogenen UNHCR-Richtlinien- in seiner Entscheidung vom 12.12.2018, Zl E 667/2018 hinsichtlich einer Familie aus Kabul festgehalten, dass Familien mit besonderem Schutzbedarf - nach Ansicht des UNHCR - nur dann eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offensteht, wenn sie Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, die Zurückkehrenden tatsächlich zu unterstützen. Die zugrundeliegende Entscheidung des BVwG wurde behoben, da vom BVwG nicht näher begründet wurde, warum es davon ausging, dass der Bruder der Erstbeschwerdeführerin eine sechsköpfige Familie ausreichend unterstützen könne bzw wolle. Es sei verabsäumt worden, die Erstbeschwerdeführerin zur konkreten Lebenssituation ihres Bruders und ihrer Schwester zu befragen.
Demnach wird von der Judikatur – zuletzt auch in einer Einzelentscheidung hinsichtlich des sicheren Herkunftsstaates Georgien (VwGH vom 07.03.2019, Ra 2018/21/0216 bis 0217-13) - eine konkrete Auseinandersetzung damit gefordert, welche Rückkehrsituation eine Familie mit minderjährigen Kindern im Herkunftsstaat tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479) sowie der Unterkunftsmöglichkeit (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Im vorliegenden Fall ist daher insbesondere zu berücksichtigen, dass unter den BF ein mündig minderjähriges Kind – somit eine Angehörige einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe - ist. Daher ist eine konkrete Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation, die die minderjährige BF4 bzw. die Familie mit minderjährigen Kindern im Heimatstaat tatsächlich vorfinden würden, erforderlich.
Im gegenständlichen Fall sind die Eltern und die BF4 irakische Staatsbürger und sind alle im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen und teilt die BF4 somit das sozioökonomische Schicksal der Eltern. Den BF stehen nach der Rückkehr sowohl private, karitative als auch bei Bedarf staatliche Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie Unterkunft finden werden und wird auf die Beweiswürdigung oben verwiesen. Eine Verletzung des Kindeswohles ist daher nicht ersichtlich.
- Zurechenbarkeit des Verhaltens der Eltern
Das ho. Gericht verkennt zwar nicht, dass sich die Kinder das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung gemäß Art. 8 EMRK nicht im vollen Umfang subjektiv verwerfen lassen müssen, doch ist dieses Verhalten dennoch nicht unbeachtlich.
Der Verfassungsgerichtshof hielt in seiner Entscheidung vom 10.03.2011, Zl. B1565/10 (betreffend einem im Alter von 8 Jahren mit seinen Eltern eingereisten, im Entscheidungszeitpunkt 17jährigen, welcher beinahe die gesamte Schullaufbahn in Österreich absolvierte und herausragende sportliche Leistungen für einen österreichischen Sportklub erbrachte) fest, dass es in der Verantwortung des Staates gelegen ist, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem 17jährigen die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre, - neun Jahre verstreichen. Es sei die Aufenthaltsverfestigung des 17jährigen zwar überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgt, keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung sei vorgelegen; jedoch sei ihm als Minderjährigem, der seine Eltern nach Österreich begleitete, dies nicht in jenem Maße zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten. In diesem Fall wurde festgehalten, dass keine Anpassungsfähigkeit des 17jährigen mehr vorliege, der wesentliche Teile seiner Kindheit und Jugend in Österreich verbrachte (im Gegensatz zu Kindern, die sich im Zeitpunkt ihrer Ausweisung noch in anpassungsfähigem Alter befinden; vgl EMRK 26.01.99, Fall Sarumi, Appl 43279/98) und wurden grundsätzliche Ausführungen zur herabgesetzten Verantwortlichkeit von Minderjährigen getroffen.
Auch in der Entscheidung des VfGH vom 07.10.2010, Zl. B 950-954/10-08 wurde unter Bezugnahme auf das mangelnde Verschulden der Beschwerdeführer an der 7jährigen Verfahrensdauer festgehalten, dass die belangte Behörde bei ihrer Interessenabwägung zusätzlich stärker gewichten hätte müssen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer den Großteil ihres Lebens ins Österreich verbracht haben, sich mitten in ihrer Schulausbildung befanden und sich hier sowohl schulisch als auch gesellschaftlich sehr gut integriert haben.
Insbesondere hätte die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB VfGH 12.6.2010, U614/10) – in diesem Fall die Integration der Beschwerdeführer während ihrer einzigen Asylverfahren, welche für die Bf. 1, 2, 3 und 4 sieben Jahre (in denen keine einzige rechtskräftige Entscheidung ergangen ist) dauerten, erfolgte. Dass dies auf eine schuldhafte Verzögerung durch die Beschwerdeführer zurückzuführen wäre, wurde von der belangten Behörde weder dargestellt, noch war es aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten ersichtlich.
Obwohl der Verfassungsgerichtshof in diesen beiden Entscheidungen die den Beschwerdeführern nicht zurechenbarer Dauer der Asylverfahren als wesentliches Argument für eine Interessensabwägung zu Gunsten der Beschwerdeführer herangezogen hat, ist dennoch aus dem Beschluss des VfGH vom 12.6.2010, U614/10 ableitbar, dass in gewissen Fällen trotz fehlender subjektiver Vorwerfbarkeit des Verhaltens der Minderjährigen im Hinblick auf die Verfahrensdauer dennoch das Verhalten der Eltern im Rahmen der Interessensabwägung in Bezug auf die minderjährigen Kinder eine Rolle spielt.
Es wird in diesem Zusammenhang auf die Erkenntnisse des VfGH vom 12.6.2010, erstens Zl. U 614/10 (Beschwerdeführerin wurde 1992 geboren, war zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich minderjährig, hatte zumindest am Anfang ihres Aufenthaltes in Österreich keinen Einfluss auf das bzw. die Asylverfahren, entzog sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Alter der mündigen Minderjährigkeit und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge), zweitens Zl. U613/10 (Beschwerdeführerin wurde 1962 geboren, war während des gesamten Verfahrens handlungsfähig und prolongierte ihren Aufenthalt durch die Stellung verschiedener Anträge) und den Beschluss desselben Tages Zl. U615/10 ua (minderjährige Asylwerber während des gesamten Asylverfahrens, welche auf den Verlauf des Verfahrens bzw. der Verfahren keinen Einfluss hatten) hingewiesen. In diesen Verfahren stellte der VfGH in Bezug auf die 1962 geborene Beschwerdeführerin im vollen Umfang und in Bezug auf die 1992 geborene Beschwerdeführerin (Tochter der 1962 geborenen Beschwerdeführerin) in einem gewissen eingeschränkten Umfang fest, dass sich diese das Verhalten, welches zum langen Aufenthalt in Österreich führte, zurechnen lassen müssen und es daher nicht zu ihren Gunsten im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK geltend machen können. Obwohl die minderjährigen Beschwerdeführer auf das Verhalten ihrer 1962 geborenen Mutter und 1992 geborenen Schwester keinerlei Einfluss hatten und ihnen deren Verhalten, insbesondere jenes der Mutter, nicht subjektiv vorgeworfen werden konnte, wurde die Behandlung derer Beschwerden dennoch mit Beschluss U615/10 ua. abgewiesen.
Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).
Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine (damals) Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).
Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).
Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.
Gem. Art 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs. 2 leg. cit. genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich –abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.
Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für eine beschwerdeführende Partei grundsätzlich nicht mehr möglich, ihren Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen. Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass dem BF gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung ihres Aufenthaltes vom Inland aus offen steht, sodass sie mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung bedarf.
Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens sind die BF somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der (damals) Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.
Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.
Der Rechtsprechung des EGMR folgend (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisung- bzw. Rückkehrentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).
Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Praxis hinsichtlich Rückkehrentscheidungen der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art „Handreichung des Staates“ - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Bf. unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache Sisojeva (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.
Wenn man – wie die Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt – dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.
In seinem Erkenntnis Rodrigues da Silva and Hookkamer v. the Netherlands vom 31. Jänner 2006, Zahl 50435/99 führte der EGMR unter Verweis auf seine Vorjudikatur aus, dass es ua. eine wichtige Überlegung darstellt, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, an dem sich die betreffenden Personen bewusst waren, dass der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes derart war, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland vom vornherein unsicher war. Er stellte auch fest, dass die Ausweisung eines ausländischen Familienmitgliedes in solchen Fällen nur unter ganz speziellen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bewirkt.
Der GH führte weiter –wiederum auf seine Vorjudikatur verweisend- aus, dass Personen, welche die Behörden eines Vertragsstaates ohne die geltenden Rechtsvorschriften zu erfüllen, als „fait accompli“ mit ihrem Aufenthalt konfrontieren, grundsätzlich keinerlei Berechtigung haben, mit der Ausstellung eines Aufenthaltstitels zu rechnen. Im geschilderten Fall wurde letztlich dennoch eine Entscheidung zu Gunsten der Beschwerdeführer getroffen, weil es der Erstbeschwerdeführerin grundsätzlich möglich gewesen wäre, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren, weil sie mit dem Vater des Zweitbeschwerdeführers, einem Staatsbürger der Niederlande vom Juni 1994 bis Jänner 1997 eine dauerhafte Beziehung führte. Es war daher der Fall Erstbeschwerdeführerin trotz ihres vorwerfbaren sorglosen Umganges mit den niederländischen Einreisebestimmungen von jenen Fällen zu unterscheiden, in denen der EGMR befand, dass die betroffenen Personen zu keinem Zeitpunkt vernünftiger Weise erwarten konnten, ihr Familienleben im Gastland weiterzuführen. Ebenso wurde in diesem Fall der Umstand des besonderen Verhältnisses zwischen dem Kleinkind und der Mutter besonders gewürdigt.
Weiter wird hier auf das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 verwiesen, wo dieser folgenden Kernaussagen traf:
Im gegenständlichen Fall erachtete es der EGMR nicht erforderlich, sich mit der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Frage auseinanderzusetzen, ob durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist.
Dies wird damit begründet, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle nicht dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre.
Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlande (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war.
Ihre Abschiebung in Folge der Abweisung dieser Anträge wird auch durch eine behauptete Verzögerung der Behörden bei der Entscheidung über diese Anträge nicht unverhältnismäßig.
II.3.4.6. Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der von den BF in ihrem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnisse mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen der privaten Interessen der BF am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.
Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).
Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende, außergewöhnliche und berücksichtigungswürdige Integration der BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Die BF halten sich im Vergleich zum Lebensalter erst einen kurzen Zeitraum in Österreich auf und sind auf die Grundversorgung angewiesen. Eine gesellschaftliche Integration im beachtlichen Ausmaß ist nicht erkennbar. Die BF haben den Großteil des Lebens im Irak verbracht und wurden dort sozialisiert. Es ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen Beziehungen zum Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zum Irak eine – wenn überhaupt vorhandene – Integration in Österreich bei weitem überwiegen und die minderjährige BF über ihre Eltern Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat hat.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse der BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordneten Rückkehrentscheidungen eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in den Beschwerden nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig wären.
II.3.5. Abschiebung
II.3.5.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).
Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in den Irak unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt und wurden bzw. werden hierzu bereits an entsprechend passenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses Ausführungen getätigt, welche die in § 50 Abs. 1 und 2 FPG erforderlichen Subsumtionen bereits vorwegnehmen.
Es kamen keine Umstände hervor, die im Abschiebungsfall zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK führen würden und wird auf die Ausführungen im Rahmen des subsidiären Schutzes verwiesen. Es kamen auch keine Umstände hervor, welche insbesondere beim Ausspruch betreffend die Abschiebung zu berücksichtigen gewesen wären.
Eine im § 50 Abs. 3 FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.
Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in den Irak unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt.
II.3.5.2. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG.
Dass besondere Umstände, die die Drittstaatsangehörigen bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidungen geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Es wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zu den privaten und familiären Bindungen der BF und der Vorhersehbarkeit der Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes verwiesen. Die eingeräumte Frist erscheint angemessen und wurden diesbezüglich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift getroffen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen bereits festgehalten, dass es sich bei den in § 55 Abs. 2 und 3 FPG genannten „besonderen Umständen“, die gegebenenfalls im Rahmen der gebotenen Abwägung zu einer Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise über 14 Tage hinaus führen können, ohnehin nur um solche handeln kann, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind (VwGH vom 31.07.2020; Ra 2020/19/0252; vgl. VwGH 20.2.2014, 2013/21/0114; vgl näher zu der nach § 55 FPG zu setzenden Frist VwGH 16.5.2013, 2012/21/0072, mwN).
Im Hinblick darauf, dass das Gesetz bei der Verlängerung der in einer Rückkehrentscheidung festgelegten Ausreisefrist ebenfalls auf die "Regelung der persönlichen Verhältnisse" abstellt und die (Verlängerung der) Ausreisefrist auch der Sache nach i.W. dieselbe Zielrichtung hat wie der Durchsetzungsaufschub, ist die erwähnte Rechtsprechung auch bei der Auslegung des§ 55 Abs. 2 und 3 FPG einzubeziehen. Demnach muss es sich bei den in diesen Bestimmungen genannten "besonderen Umständen" um solche handeln, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind.
Vor diesem Hintergrund ist § 55 Abs. 2 und 3 FPG auszulegen und zu beurteilen, ob im jeweiligen Einzelfall besondere Gründe im genannten Sinn, welche die Einräumung einer mehr als 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise notwendig machen, gegeben sind. Dabei ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Weiters ist zu beachten, dass es sich bei den Gründen, die eine Verlängerung der Ausreisefrist rechtfertigen können, schon definitionsgemäß um vorübergehende Umstände handeln muss; ihre Beseitigung bzw. ihr Wegfall muss absehbar sein.
II.3.5.3. Die Verhältnismäßigkeit der seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.
II.3.5.4. Da auch alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Rückkehrentscheidungen und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, waren die Beschwerden auch gegen diese Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.
II.3.6. Abweisung des Antrages auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens für die BF2
II.3.6.1. Im vorliegenden Fall hat die rechtliche Vertretung für die BF2 die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens beantragt. Dies zum Beweis darüber, dass die BF2 an einer Traumatisierung leide und diese Traumatisierung relevant für die Glaubhaftmachung einer Verfolgung iSd GFK und damit für § 3 AsylG wie auch für § 8 AsylG sei.
3.6.2. Aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung folgt jedoch, dass Beweisanträge nicht mehr berücksichtigt werden müssen, wenn sich das Verwaltungsgericht aufgrund der bisher vorliegenden Beweise/Ergebnisse des bisher durchgeführten Ermittlungsverfahrens ein klares Bild über die maßgebenden Sachverhaltselemente machen kann (vgl. mit Verweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 Rz 23).
Auch aufgrund der übrigen Ergebnisse des Beweisverfahrens ergab sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ein hinreichend schlüssiges Gesamtbild, insbesondere betreffend die Unglaubwürdigkeit der BF2 und die Unglaubhaftigkeit ihrer Verfolgungsbefürchtungen im Rückkehrfall, sodass im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu den getroffenen Feststellungen gelangt werden konnte (vgl. VwGH 13.09.2002, Zl. 99/12/0139; 20.03.2014, Zl. 2012/08/0194). Zudem wurde eine Traumatisierung von der BF2 selbst zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens thematisiert, diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung befragt gab sie bekannt, dass sie lediglich niedrigen Blutdruck, Magenprobleme und Kopfschmerzen habe. Dagegen würde sie Schmerztabletten nehmen. In einem vom 05.09.2018 stammenden Schreiben wurde vorgebracht, dass BF2 eine posttraumatische Belastungsstörung und eine deppressive Störung hätte. Es folgten zum einen keine diesbezüglichen fachärztlichen Befunde oder Atteste und wurde dieses Schreiben von einem Bildungs- und Beratungszentrum namens XXXX verfasst, welches die für eine derartige „Befundung“ erforderlichen Fachkenntnisse nicht besitzt, sodass diesem Schreiben auch keine Beweiskraft zukommt.
Dem Antrag war daher nicht zu entsprechen.
B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, der hier vertretenen Zurechnungstheorie und den Anforderungen an einen Staat und dessen Behörden, um von dessen Willen und Fähigkeit, den auf seinem Territorium aufhältigen Menschen Schutz vor Übergriffen zu gewähren ausgehen zu können, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht. Entsprechende einschlägige Judikatur wurde bereits zitiert.
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