BVwG L519 2233771-1

BVwGL519 2233771-122.2.2021

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:L519.2233771.1.00

 

Spruch:

 

L519 2233771-1/15E

 

 

schriftliche ausfertigung des am 14.9.2020 mündlich verkündeten erkenntnisses

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch RA Dr. RATHBAUER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2020, Zl. 1148068805-190384820, wegen Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 14.09.2020 zu Recht erkannt:

 

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch kurz „BF“ genannt), ein türkischer Staatsangehöriger, befindet sich seit November 2017 im Bundesgebiet.

 

Der BF erhielt ursprünglich einen Aufenthaltstitel „Studierender“ vom Magistrat der Stadt XXXX , mit Gültigkeit vom 20.10.2017 bis 20.10.2018.

 

Am 08.05.2018 ehelichte der BF die türkischstämmige österreichische Staatsbürgerin XXXX XXXX , geb. XXXX .

 

Von der BH XXXX wurde dem BF in der Folge am 22.06.2018 der Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, gültig bis 22.06.2019, erteilt.

 

2. Am 15.04.2019 wurde die LPD Oberösterreich von der BH XXXX vom Bestehen des Verdachtes auf Bestehen einer Aufenthaltsehe gem. § 117 FPG informiert.

 

3. Am 17.05.2019 wurden die Gattin des BF, XXXX , vom BPK XXXX und am 11.06.2019 der BF selbst von der PI XXXX als Beschuldigte einvernommen.

Am 16.06.2019 wurde der Abschlussbericht der PI XXXX wegen des Verdachtes des Vergehens nach § 117 Abs, 1 FPG an die StA XXXX übermittelt.

 

4. Am 15.07.2019 stellte die Rechtsvertretung des BF den Antrag, das Verfahren mangels Anhaltspunkten einzustellen.

 

5. Am 06.08.2019 wurde der BF vom Bundesamt zur Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aufgrund des Verdachts des Vorliegens einer Scheinehe niederschriftlich einvernommen.

6. Am 28.09.2019 übermittelte die PI XXXX einen Amtsvermerk über die Beschuldigtenvernehmung der Gattin des BF bezüglich des Verdachts nach § 224a StGB. Im Zuge der Einvernahme gab die Gattin bekannt, dass es sich bei der Ehe mit dem BF um eine Scheinehe handelt.

 

7. Mit Schreiben vom 04.10.2019 gewährte das Bundesamt dem BF Parteiengehör, zu welchem der BF zusammengefasst angab, dass er derzeit sämtliche Aussagen verweigere. Die Angaben seiner Gattin seien unrichtig und er werde einerseits die Scheidung beantragen und andererseits eine Strafanzeige erstatten.

 

8. Am 05.01.2020 wurde ein weiterer Abschlussbericht der PI XXXX hinsichtlich § 117 Abs. 2 FPG an die StA XXXX übermittelt.

 

9. Am 08.06.2020 wurde die Gattin des BF von der BH XXXX wegen des Verdachtes einer Aufenthaltsehe niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie unter anderem an, dass sie zur Ehe genötigt und die Ehe auch nie vollzogen worden wäre.

 

10. Mit Parteiengehör der BH XXXX vom 16.06.2020 wurde der BF zu einer Stellungnahme betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens zur Erteilung des AT „Familienangehöriger“ aufgefordert.

 

11. Mit Schreiben vom 17.06.2020 wurde der BF vom Bundesamt für den 01.07.2020 zur Einvernahme geladen und teilte dieser am 25.06.2020 über seine rechtliche Vertretung mit, dass er dieser Ladung keine Folge leisten werde. Er hätte bezüglich der Scheinehe schon mehrfach Aussagen getätigt und verweigere die weiteren Aussagen.

 

12. Mit im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde gemäß § 52 Abs. 4 Z 1 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 8 FPG wurde ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend führte das Bundesamt aus, dass keine Gründe für eine Bedrohung oder Verfolgung durch die türkischen Behörden festgestellt werden konnten. Das öffentliche Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremdenrechtes würde die persönlichen Interessen des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen. Nachdem noch Familienangehörige in der Türkei aufhältig sind, würde eine Rückkehr auch keine die Existenz bedrohende Notlage darstellen. Bezüglich des Einreiseverbotes war in Zusammenschau aller vom BF getätigten und zum Teil gravierend widersprüchlichen Aussagen in Verbindung mit den Angaben der Gattin vom Bestehen einer Aufenthaltsehe ausgegangen worden und kam das Bundesamt zum Schluss, dass es sich um eine Scheinehe mit keinem gemeinsamen Eheleben handelt.

 

13. Gegen den am 21.07.2020 zugestellten Bescheid des Bundesamtes wurde durch dessen rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht Beschwerde erhoben.

In dieser wird beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, eventualiter der Erstbehörde zur Verfahrensergänzung zurückzuverweisen, jedenfalls eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen, eventualiter einen Aufenthaltstitel iSd Art 8 EMRK zuzuerkennen.

 

In der Sache bringt der Beschwerdeführer vor, das Bundesamt wäre nicht auf seine im Parteiengehör getätigten Ausführungen eingegangen. Diese wären grundsätzlich, dass die Ehe sehr wohl rechtens wäre. Die Anschuldigungen seiner Gattin wären ungerechtfertigt und werde er diesbezüglich eine Verleumdungs- und Scheidungsklage einbringen. Zu den in der Türkei aufhältigen Verwandten hätte er keinen Kontakt, eine Rückkehr in die Türkei sei nicht geplant. Seine Gattin hätte ihn deswegen zu Unrecht beschuldigt, weil er während der Ehe Kontakt zu anderen Frauen gehabt hätte und die Gattin deswegen eifersüchtig gewesen wäre. Zudem hätte er sich aktuell mit ihr versöhnt und würde wieder bei ihr wohnen und ein gemeinsames Eheleben führen.

 

14. Am 14.09.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und einem Vertreter des belangten Bundesamtes durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, seinen Standpunkt umfassend darzulegen. Darüber hinaus wurden XXXX und XXXX als Zeugen einvernommen. Die Gattin, deren Eltern und ein Onkel des BF sind trotz ordnungsgemäß zugestellter Ladung der mündlichen Verhandlung unentschuldigt ferngeblieben.

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet und seitens des Beschwerdeführers mit Eingabe vom 16.09.2020 die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses beantragt.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde einschließlich der Beschwerde sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 14.09.2020 Beweis erhoben.

 

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, er ist Staatsangehöriger der Türkei und somit Drittstaatsangehöriger. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in XXXX /Türkei geboren. Er besuchte dort acht Jahre die Grundschule und vier Jahre ein Lyzeum. Ab 2016 war er dann fallweise in der Gastronomie beschäftigt. Der BF ist verheiratet und hat keine Kinder.

Bei der Ehe mit XXXX handelt es sich um eine Aufenthaltsehe. Es kann nicht festgestellt werden, dass zwischen dem BF und seiner Gattin jemals tatsächlich eine Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft bestanden hätte.

Die Identität des BF steht fest. Der BF ist in Österreich bislang unbescholten.

Der Beschwerdeführer ist Moslem.

Der Beschwerdeführer ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

Der BF begründete erstmals am 15.11.2017 einen Wohnsitz im Bundesgebiet. Von 8.3.2018 bis 11.3.2019 waren der BF und seine Gattin laut ZMR gemeinsam in XXXX gemeldet. Von 5.8.2020 bis 20.12.2020 bestand laut ZMR eine gemeinsame Meldeadresse in XXXX . Seit 20.12.2020 ist der BF wieder in XXXX gemeldet.

 

1.2. Der Beschwerdeführer erlangte zuletzt am 22.06.2018 einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, der am 23.06.2019 um ein Jahr verlängert wurde.

Der Beschwerdeführer stellte keinen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

 

1.3. Der Beschwerdeführer hat freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Er war vom 01.03.2018 bis zum 09.03.2018 bei der Fa. XXXX als geringfügig beschäftigter Arbeiter tätig. Bei der Fa. XXXX war der BF vom 11.04.2018 bis zum 31.08.2018 als geringfügig beschäftigter Arbeiter, vom 01.09.2018 bis zum 15.03.2020 als Arbeiter und ab 10.04.2020 bis dato wiederum als Arbeiter beschäftigt. In der übrigen Zeit bezog der BF Arbeitslosengeld. Der BF fällt nicht unter die Bestimmungen des ARB 1/80.

 

1.4. Im Bundesgebiet leben ein Bruder, eine Tante und fünf Onkel des BF.

Der Beschwerdeführer war nur kurzfristig bei seiner Gattin gemeldet, lebte ansonsten alleine an verschiedenen Adressen, seit 20.12.2020 in XXXX XXXX , XXXX . Ein Abhängigkeitsverhältnis konnte nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer spricht Türkisch und etwas Deutsch, Nachweise über bestandene Deutschkurse wurden nicht vorgelegt.

Ein vereinsmäßiges Engagement des Beschwerdeführers ist nicht feststellbar.

 

1.5. Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit in der Türkei erworbener Schulbildung. Er verfügt über Berufserfahrung in der Gastronomie.

Der Beschwerdeführer verfügt in seinem Herkunftsstaat über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage sowie über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat in Gestalt seiner dort lebenden Eltern und Geschwister. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens in der Türkei möglich und zumutbar.

 

1.6. Der Beschwerdeführer verfügt über ein türkisches Reisedokument im Original.

 

1.7. Dem Beschwerdeführer wurde vom Magistrat XXXX ursprünglich ein Aufenthaltstitel „Studierender“, gültig vom 20.10.2017 bis 20.10.2018 ausgestellt. Am 8.5.2018 ehelichte der BF die österreichische Staatsangehörige XXXX , weshalb ihm am 22.6.2018 ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, gültig bis 22.6.2019, ausgestellt wurde. Am 15.4.2019 erlangte die Bezirksverwaltungsbehörde Kenntnis vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe.

 

1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Auszugsweise werden aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderfeststellungen insbesondere folgende Feststellungen explizit angeführt (die Quellen wurden dem BF von der bB offengelegt):

Politische Lage

Letzte Änderung am 29.11.2019

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 14.6.2019). Diese Entwicklung wurde mit der Parlaments- und Präsidentschaftswahl im Juni 2018 abgeschlossen, u.a. wurde das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft (bpb 9.7.2018).

Die Venedig Kommission des Europarates zeigte sich in einer Stellungnahme zu den Verfassungsänderungen besorgt, da mehrere Kompetenzverschiebungen zugunsten des Präsidentenamtes die Gewaltenteilung gefährden, und die Verfassungsänderungen die Kontrolle der Exekutive über Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaft in problematischerweise verstärken würden. Ohne Gewaltenkontrolle würde sich das Präsidialsystem zu einem autoritären System entwickeln (CoE-VC 13.7.2017).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden Stimmen stärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die Zehn-Prozent-Hürde, die höchste unter den OSZE-Mitgliedstaaten, wurde trotz der langjährigen Empfehlung internationaler Organisationen und der Rechtsprechung des EGMR nicht gesenkt. Die unter Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und es der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 16.4.2017 stimmten 51,4% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan mit 52,6% der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative İyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31. März hatte der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem İmamoğlu, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6. Mai schließlich die Wahl wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees annullierte (FAZ 23.6.2019; vgl. Standard 23.6.2019). İmamoğlu gewann die wiederholte Wahl mit 54%. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Yıldırım, erreichte 45% (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert von der Macht in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdoğan bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirtaş, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für İmamoğlu betonte (NZZ 23.6.2019).

Trotz der Aufhebung des Ausnahmezustands sind viele seiner Verordnungen in die ordentliche Gesetzgebung aufgenommen worden. Das neue Präsidialsystem hat etliche der bisher bestehenden Elemente der Gewaltenteilung aufgehoben und die Rolle des Parlaments geschwächt. Dies hat zu einer stärkeren Politisierung der öffentlichen Verwaltung und der Justiz geführt. Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen; gegen Gesetze Veto einzulegen, und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z.B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der Souveräne Wohlfahrtsfonds, sind inzwischen dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019).

Zunehmende politische Polarisierung, insbesondere im Vorfeld der Gemeinderatswahlen vom März 2019, verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der Demokratischen Partei der Völker (HDP), hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemaligen Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft. Laut europäischer Kommission muss die parlamentarische Immunität gestärkt werden, um die Meinungsfreiheit der Abgeordneten zu gewährleisten (EC 29.5.2019).

Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen bei Verdacht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können (ZO 25.7.2018).

Mehr als 152.000 Beamte, darunter Akademiker, Lehrer, Polizisten, Gesundheitspersonal, Richter und Staatsanwälte, wurden durch Notverordnungen entlassen. Mehr als 150.000 Personen wurden während des Ausnahmezustands in Gewahrsam genommen und mehr als 78.000 wegen Terrorismusbezug verhaftet, von denen 50.000 noch im Gefängnis sitzen (EC 29.5.2019). Die rund 50.000 wegen Terrorbezug Inhaftierten machen 17% aller Gefängnisinsassen aus (AM 4.12.2018).

[siehe auch: 4. Rechtsschutz/Justizwesen, 5.Sicherheitsbhörden und 3.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung]

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 4.10.2019

 Anadolu Agency (23.6.2019): CHP's Imamoglu wins Istanbul’s mayoral poll, https://www.aa.com.tr/en/politics/chps-imamoglu-wins-istanbul-s-mayoral-poll/1513613 , Zugriff 4.10.2019

 AM – Al Monitor (4.12.2018): Turkey can't build prisons fast enough to house convict influx, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/11/turkey-overcrowded-prisons-face-serious-problems.html , Zugriff 4.10.2019

 bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (9.7.2018): Das "neue" politische System der Türkei, https://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/255789/das-neue-politische-system-der-tuerkei , Zugriff 3.10.2019

 CoE-VC – council of europe - european commission for democracy through law (venice commission) (13.7.2017): Turkey - Opinion - The Amendments to the Constitution adopted by the Grand National Assembly on 21 January 2017 and to be submitted to a National Referendumon 16 April 2017 [Opinion No. 875/2017], S.29, Abs.130, https://www.venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdffile=cdl-ad (2017)005-e, Zugriff 3.10.2019

 EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 3.10.2019

 FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.6.2019): Erdogan gratuliert Imamoglu zum Wahlsieg in Istanbul, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wieder-niederlage-fuer-erdogans-akp-in-istanbul-16250529.html , Zugriff 4.10.2019

 HDN – Hürriyet Daily News (16.4.2017): Turkey approves presidential system in tight referendum, http://www.hurriyetdailynews.com/live-turkey-votes-on-presidential-system-in-key-referendum.aspx?pageID=238&nID=112061&NewsCatID=338 , Zugriff 4.10.2019

 HDN - Hürriyet Daily News (26.6.2018): 24. Juni 2018, Ergebnisse Präsidentschaftswahlen; Ergebnisse Parlamentswahlen, http://www.hurriyetdailynews.com/wahlen-turkei-2018 , Zugriff 4.10.2019

 NZZ – Neue Zürcher Zeitung (18.7.2018): Wie es in der Türkei nach dem Ende des Ausnahmezustands weiter geht, https://www.nzz.ch/international/tuerkei-wie-es-nach-dem-ende-des-ausnahmezustands-weitergeht-ld.1404273 , Zugriff 4.10.2019

 NZZ - Neue Zürcher Zeitung (23.6.2019): Niederlage für Erdogans AKP: CHP-Kandidat Imamoglu gewinnt erneut die Bürgermeisterwahl in Istanbul, https://www.nzz.ch/international/niederlage-fuer-erdogans-akp-chp-kandidat-imamoglu-gewinnt-erneut-die-buergermeisterwahl-in-istanbul-ld.1490981 , Zugriff 4.10.2019

 OSCE – Organization for Security and Cooperation in Europe (22.6.2017): Turkey, Constitutional Referendum, 16 April 2017: Final Report, http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/324816?download=true , Zugriff 4.10.2019

 OSCE/PACE - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017): INTERNATIONAL REFERENDUM OBSERVATION MISSION, Republic of Turkey – Constitutional Referendum, 16 April 2017 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/311721?download=true , Zugriff 4.10.2019

 OSCE/ODIHR – Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (21.9.2018): Turkey, Early Presidential and Parliamentary Elections, 24 June 2018: Final Report,https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/397046?download=true , 3.10.2019

 Der Standard (1.4.2019): Erdoğans AKP verliert bei türkischer Kommunalwahl die Großstädte, https://derstandard.at/2000100581333/Erdogans-AKP-verliert-die-tuerkischen-Grossstaedte , Zugriff 4.10.2019

 Der Standard (23.6.2019): Opposition gewinnt Wahlwiederholung in Istanbul, https://derstandard.at/2000105305388/Imamoglu-bei-Auszaehlung-der-Wahlwiederholung-in-Istanbul-in-Fuehrungin-Istanbul , Zugriff 4.10.2019

 ZO - Zeit Online (25.7.2018): Türkei verabschiedet Antiterrorgesetz, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/tuerkisches-parlament-verabschiedung-neue-gesetze-anti-terror-massnahmen , Zugriff 4.10.2019

 

Sicherheitslage

Letzte Änderung am 29.11.2019

Im Juli 2015 flammte der bewaffnete Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wieder auf; der sog. Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Türkei musste zudem von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK (bzw. ihrer Ableger), des sogenannten Islamischen Staates sowie – in sehr viel geringerem Ausmaß – auch linksextremistischer Gruppierungen, wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), ausgesetzt. Die Intensität des Konflikts mit der PKK innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 14.6.2019). Dennoch ist die Situation im Südosten trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds weiterhin angespannt. Die Regierung setzte die Sicherheitsmaßnahmen gegen die PKK und mit ihr verbundenen Gruppen fort (EC 25.9.2019). Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (IHD) kamen 2018 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 502 Personen ums Leben, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (IHD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (IHD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (IHD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte 2018 sogar 603 Personen, die ums Leben kamen. Von Jänner bis September 2019 kamen 361 Personen ums Leben (ICG 4.10.2019). Bislang gab es keine sichtbaren Entwicklungen bei der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erreichung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 29.5.2019).

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 4.10.2019). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in Diyarbakır, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin, Şırnak und Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, Şanlıurfa, Diyarbakır, Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Muş, Tunceli, Şırnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder „zeitweilige Sicherheitszonen“ eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbakır und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und Aǧrı (AA 8.10.2019a). Das BMEIA sieht ein hohes Sicherheitsrisiko in den Provinzen Ağrı, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakır, Gaziantep, Hakkâri, Kilis, Mardin, Şanlıurfa, Siirt, Şırnak, Tunceli und Van, wo es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten kommt. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gilt im Rest des Landes (BMEIA 4.10.2019).

Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 4.10.2019).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 8.10.2019

 AA – Auswärtiges Amt (8.11.2019a): Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962#content_1 , Zugriff 8.10.2019

 BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.11.2019): Türkei – Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tuerkei/ , Zugriff 8.10.2019

 EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 3.10.2019

 EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.10.2019): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html , Zugriff 4.10.2019ICG – Internal Crisis Group (4.10.2019): Turkey’s PKK Conflict: A Visual Explainer, https://www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer , Zugriff 7.10.2019

 IHD – Human Rights Association - İnsan Hakları Derneği (1.2.2017): IHD’s 2016 Report on Human Rights Violations in Eastern and Southeastern Anatolia Region, https://ihd.org.tr/en/ihds-2016-report-on-human-rights-violations-in-eastern-and-southeastern-anatolia/ , Zugriff 4.10.2019

 IHD – Human Rights Association - İnsan Hakları Derneği (24.5.2018): 2017 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_balance-sheet-1.pdf , Zugriff 4.10.2019

 IHD – Human Rights Association - İnsan Hakları Derneği (19.4.2019): 2018 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2019/05/2018-SUMMARY-TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN-TURKEY.pdf , Zugriff 4.10.2019

 

 

Gülen- oder Hizmet-Bewegung

Letzte Änderung am 8.4.2020

Fethullah Gülen, ist ein muslimischer Prediger und charismatisches Zentrum eines weltweit aktiven Netzwerks, das bis vor kurzem die wohl einflussreichste religiöse Bewegung des Landes war. Von seinen Gegnern wird Gülen als Bedrohung der staatlichen Ordnung bezeichnet (bpb 1.9.2014). Gülen wird von seinen Anhängern als spiritueller Führer betrachtet, der einen toleranten Islam fördert, der Altruismus, Bescheidenheit, harte Arbeit und Bildung hervorhebt. In der Türkei soll es möglicherweise Millionen von Anhängern geben, oft in einflussreichen Positionen. Die Gülen-Bewegung betreibt Schulen rund um den Globus (BBC 21.7.2016). Zahlreiche Gülen-Schulen wurden, teilweise auf Druck hin, auf der Basis von bilateralen Abkommen mit den jeweiligen Ländern geschlossen, anderen Eigentümern oder der türkischen staatlichen Stiftung Maarif, die eigens hierfür gegründet wurde, übertragen (SCF 5.2.2019; vgl. DS 31.7.2018). Mit Februar 2019 waren laut Direktor von Maarif rund 70% aller Gülen-Schulen in 21 Ländern, ausgenommen in westlichen Staaten, der Kontrolle der Gülen-Bewegung entzogen. Hiervon wurden inzwischen 191 ehemalige Gülen-Schulen der türkischen Maarif-Stiftung übergeben (SCF 5.2.2019).

Erdoğan stand Gülen jahrzehntelang nahe. Die beiden Führer verband die Gegnerschaft zu den sekulären, kemalistischen Kräften in der Türkei. Sie hatten beide das Ziel die Türkei in ein vom türkischen Nationalismus und einer starken, konservativen Religiosität geprägtes Land zu verwandeln. Selbst nicht in die Politik eintretend, unterstützte Gülen die AKP bei deren Gründung und späteren Machtübernahme, auch indem er seine Anhänger in diesem Sinne mobilisierte (MEE 21.7.2016). Erdoğan nutzte wiederum die bürokratische Expertise der Gülenisten, um das Land zu führen und dann, um das Militär aus der Politik zu drängen. Nachdem das Militär entmachtet war, begann der Machtkampf (BBC 21.7.2016). Das Bündnis zwischen Erdoğan und Gülen begann sich aufzuweichen, als die Gülenisten in Polizei und Justiz zu unabhängig wurden. Das Klima verschärfte sich, als Gülen selbst Erdoğan für seinen Umgang mit den Protesten im Gezi-Park im Jahr 2013 kritisierte. Erdoğan beschuldigte daraufhin Gülen und seine Anhänger, die AKP-Regierung durch Korruptionsuntersuchungen zu Fall bringen zu wollen, da mehrere Beamte und Wirtschaftsführer mit Verbindungen zur AKP betroffen waren und zu Rücktritten von AKP-Ministern führten (MEE 21.7.2016). In der Folge versetzte die Regierung die an den Ermittlungen beteiligten Staatsanwälte, Polizisten und Richter (bpb 1.9.2014).

Ein türkisches Gericht hatte im Dezember 2014 Haftbefehl gegen Gülen erlassen. Die Anklage beschuldigte die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Zur gleichen Zeit ging die Polizei mit einer landesweiten Razzia gegen mutmaßliche Anhänger Gülens in den Medien vor (Standard 20.12.2014). Am 27.5.2016 verkündete Staatspräsident Erdoğan, dass die Gülen-Bewegung auf Basis einer Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates vom 26.5.2016 als terroristische Organisation registriert wird (HDN 27.5.2016). Im Juni 2017 definierte das Oberste Appelationsgericht die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation. In dieser Entscheidung wurden auch die Kriterien für die Mitgliedschaft in dieser Organisation festgelegt (UKHO 2.2018).

Die türkische Regierung beschuldigt die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch vom 15.7.2016 zu stecken, bei dem mehr als 250 Menschen getötet wurden. Für eine Beteiligung gibt es zwar zahlreiche Indizien, eindeutige Beweise aber ist die Regierung in Ankara bislang schuldig geblieben (DW 13.7.2018). Die Gülen-Bewegung wird von der Türkei als „Fetullahçı Terör Örgütü – (FETÖ)“, „Fetullahistische Terror Organisation“, tituliert, meist in Kombination mit der Bezeichnung "Parallel Devlet Yapılanması (PDY)", die „Parallele Staatsstruktur“ bedeutet (UK Home Office 2.2018). Die EU stuft die Gülen-Bewegung weiterhin nicht als Terrororganisation ein und steht auf dem Standpunkt, die Türkei müsse substanzielle Beweise vorlegen, um die EU zu einer Änderung dieser Einschätzung zu bewegen (Standard 30.11.2017). Auch für die USA ist die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung keine Terrororganisation (TM 2.6.2016).

Laut Angaben des Vize-Vorsitzenden der Regierungspartei MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) vom Dezember 2019 wurde seit dem Putschversuch vom Juli 2016 insgesamt gegen 562.581 Personen wegen tatsächlicher und angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung ermittelt. Von diesen wurden 263.553 festgenommen und 91.610 inhaftiert (TP 17.12.2019). Nach einer Mitteilung des Innenministeriums an den türkischsprachigen Dienst der BBC waren mit Stand Mitte Februar 2020 noch 26.862 Personen wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert, fast 5.000 von ihnen waren zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, während sich die Übrigen in Untersuchungshaft befanden. Inzwischen führen die Staatsanwälte 69.701 Untersuchungen durch, bei denen 135.708 Verdächtige der Mitgliedschaft in der Bewegung beschuldigt werden. Darüber hinaus sind 42.717 Verfahren anhängig, in denen 60.167 Angeklagte, die der Verbindungen zu Gülen beschuldigt werden, angeklagt sind (TM 21.2.2020).

Laut Staatspräsident Erdoğan sind die staatlichen Institutionen noch nicht vollständig von Mitgliedern der „FETÖ“ befreit (Ahval 10.4.2019). Die systematische Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung dauert an (AA 14.6.2019). Mitte Jänner 2020 erließen die Behörden Haftbefehle gegen 237 Personen. Im Zuge von Polizeioperationen in 49 Provinzen wurden mindestens 203 Verdächtige festgenommen (DS 14.1.2020). Anfang März 2020 wurden Haftbefehle gegen 115 Verdächtige in mehreren Städten erlassen. Betroffen waren Lehrer, Geschäftsleute, Anwälte sowie ehemalige Polizisten (TM 4.3.2020).

Mit Stand 1.1.2020 waren insgesamt 3.879 Angeklagte wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung im Zusammenhang mit dem gewaltsamen Putschversuch verurteilt, darunter 2.335 zu lebenslanger Haft und 1.544 zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und zwei Monaten bis zu 20 Jahren. 18 von 289 Fällen im Zusammenhang mit einem Putschversuch im Jahr 2016 in der Türkei warten noch auf die Urteile der Gerichte (Ahval 2.1.2020). Anfang Jänner 2020 verurteilte ein Gericht in Istanbul 70 ehemalige Kadetten der Luftstreitkräfte zu lebenslanger Haft (Ahval 3.1.2020).

Die Kriterien für die Feststellung der Anhänger- bzw. Mitgliedschaft sind hierbei recht vage. Türkische Behörden und Gerichte ordnen Personen nicht nur dann als Terroristen ein, wenn diese tatsächlich aktives Mitglied der Gülen-Bewegung sind, sondern auch dann, wenn diese z. B. lediglich persönliche Beziehungen zu Mitgliedern der Bewegung unterhalten, eine von der Bewegung betriebene Schule besucht haben oder im Besitz von Schriften Gülens sind. In der Regel reicht das Vorliegen eines der folgenden Kriterien, um eine strafrechtliche Verfolgung als mutmaßlicher „Gülenist“ einzuleiten: Nutzen der verschlüsselten Kommunikations-App ByLock; Geldeinlage bei der Bank Asya nach dem 25.12.2013; Abonnement bei der Nachrichtenagentur Cihan oder der Zeitung Zaman; Spenden an Gülen-Strukturen zugeordneten Wohltätigkeitsorganisationen; Besuch Gülen zugeordneter Schulen durch Kinder; Kontakte zu Gülen zugeordneten Gruppen/Organisationen/Firmen, inklusive abhängige Beschäftigung (AA 14.6.2019). Allerdings entschied der Oberste Berufungsgerichtshof im Mai 2019, dass weder das Zeitungsabonnement eines Angeklagten noch seine Einschreibung eines Kindes in einer Gülen-Schule als Beweis dienen kann, dass die Person in terroristische Aktivitäten verwickelt oder Mitglied einer terroristischen Vereinigung war (SCF 6.8.2019).

ByLock

Im September 2017 entschied das Kassationsgericht, dass der Besitz von ByLock einen ausreichenden Nachweis für die Aufnahme in die Gülen-Bewegung darstellt. Im Oktober 2017 urteilte dasselbe Gericht jedoch, dass das Sympathisieren mit der Gülen-Bewegung nicht gleichbedeutend ist mit einer Mitgliedschaft und somit keinen ausreichenden Nachweis für letztere darstellt. Mehrere Personen, die wegen angeblicher Nutzung von ByLock verhaftet wurden, wurden freigelassen, nachdem im Dezember 2017 nachgewiesen wurde, dass Hunderte von Personen zu Unrecht der Nutzung der mobilen Anwendung beschuldigt wurden (EC 17.4.2018). Ende September 2018 wurden mindestens 21 Verdächtige in Istanbul nach Razzien an 54 Orten verhaftet, unter dem Vorwurf, die verschlüsselte Messaging-Anwendung ByLock zu verwenden und an Trainingsaktivitäten des Unternehmens beteiligt gewesen zu sein (Anadolu 24.9.2018). Im September 2019 wurden bei Operationen in sechs Städten über 40 Verdächtige als ehemalige ByLock-Nutzer verhaftet (DS 11.9.2019). Anfang Oktober 2019 ordnete die Staatsanwaltschaft der Provinz Izmir die Festnahme von 51 Verdächtigen an, von denen 33 beschuldigt wurden, ByLock verwendet zu haben (Anadolu 8.10.2019). Laut Innenministerium wurden bislang mehr als 95.000 Nutzer identifiziert und zudem 4.676 neue ByLock Nutzer entdeckt (DS 11.9.2019).

Die Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur willkürlichen Inhaftierung gab im Oktober 2019 eine Stellungnahme ab, wonach die Nutzung von ByLock unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt. Solange die türkischen Behörden nicht offen erklären würden, wie die Verwendung von ByLock einer kriminellen Aktivität gleichkommt, wären Verhaftungen aufgrund der Benutzung von ByLock willkürlich (TM 15.10.2019; vgl. UN-HRC 18.9.2019). Die Arbeitsgruppe bedauerte zudem, dass ihre Ansichten in vormaligen Stellungnahmen zu Fällen, die nach dem gleichen Muster abgelaufen waren, seitens der türkischen Behörden keine Berücksichtigung gefunden hatten (UN-HRC 18.9.2019).

Asya Bank

Das Oberste Berufungsgericht entschied 2018, dass diejenigen, die nach dem Aufruf von Fetullah Gülen Anfang 2014 Geld bei der Bank Asya eingezahlt haben, als Unterstützer und Begünstiger der Gülen-Bewegung angesehen werden sollten (DS 11.2.2018; vgl. TP 16.2.2019). Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara hat Ende Mai 2018 Haftbefehle gegen 59 Personen erlassen, die Kunden des inzwischen geschlossenen islamischen Kreditgebers Bank Asya waren, die mit der Gülen-Bewegung verbunden war (TM 30.5.2018). Im September 2019 ordneten Staatsanwälte die Festnahme von 35 Personen an, die beschuldigt werden, die Messenger-App Bylock verwendet und Geld in der Asya Katılım Bank deponiert zu haben. 14 Personen wurden in Ankara und sieben weiteren Städten festgenommen (DS 18.9.2019). [zu Verurteilungen siehe: 4.Rechtsschutz/Justizwesen].

Entführungen aus dem Ausland

Über 100 mutmaßliche Mitglieder der Gülen-Bewegung wurden laut türkischem Außenminister vom Geheimdienst (MİT) im Ausland entführt und im Rahmen der globalen Fahndung der Regierung in die Türkei zurückgebracht (SCF 16.7.2018). Demnach seien Menschen aus Malaysia, Pakistan, Kasachstan, dem Kosovo, Moldawien, Aserbaidschan, Ukraine, Gabun und Myanmar von der türkischen Regierung entführt worden. Ein weiterer Versuch in der Mongolei sei von der mongolischen Polizei im Juli 2018 verhindert worden (Welt 15.9.2019).

Als Teil einer weltweiten Razzia gegen Gülen-Anhänger hat die Türkei die Auslieferung von 750 Personen aus 101 Ländern beantragt, allerdings lehnten einige Länder bereits die Auslieferung von 74 betroffenen Personen ab. Außerdem beantragte das türkische Innenministerium bei Interpol die Ausstellung eines sog. „Red Notice“ für 555 Verdächtige (TM 21.2.2020).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 8.10.2019

 Ahval (10.4.2019): Turkey’s state institutions not fully purged of Gülenists, says Erdoğan, https://ahvalnews.com/gulen-movement/turkeys-state-institutions-not-fully-purged-gulenists-says-erdogan , Zugriff 8.10.2019

 Ahval (2.1.2020): Eighteen Turkish coup trials rumble on into 2020, https://ahvalnews.com/gulen-movement/eighteen-turkish-coup-trials-rumble-2020 , Zugriff 7.4.2020

 Ahval (3.1.2020): Turkey hands life sentences to 70 former air force cadets, https://ahvalnews.com/coup-attempt/turkey-hands-life-sentences-70-former-air-force-cadets , 13.2.2020

 Anadolu Agency (24.9.2018): Turkey: Over 20 FETO suspects arrested in Istanbul, https://www.aa.com.tr/en/todays-headlines/turkey-over-20-feto-suspects-arrested-in-istanbul/126289 , Zugriff 8.10.2019

 Anadolu Agency (8.10.2019): Turkey: Warrants out for 51 FETO suspects, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-warrants-out-for-51-feto-suspects/1605390 , Zugriff 9.10.2019

 BBC News (21.7.2016): Turkey coup: What is Gulen movement and what does it want? http://www.bbc.com/news/world-europe-36855846 , Zugriff 8.10.2019

 bpb - Bundeszentrale für politische Bildung (1.9.2014): Die Gülen-Bewegung in der Türkei und Deutschland, http://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/184979/guelen-bewegung , Zugriff 8.10.2019

 DW – Deutsche Welle (13.7.2018): Die Gülen-Bewegung: Neues Zentrum "Almanya", https://www.dw.com/de/die-gülen-bewegung-neues-zentrum-almanya/a-44645120 , Zugriff 8.10.2019

 DS – Daily Sabah (11.2.2018): Depositing money in Bank Asya on Gülen’s order proof of FETÖ membership, https://www.dailysabah.com/investigations/2018/02/12/depositing-money-in-bank-asya-on-gulens-order-proof-of-feto-membership-1518386092 , Zugriff 8.10.2019

 DS – Daily Sabah (31.7.2018): Maarif Foundation President Birol Akgün: Turkey now controls 60 percent of non-Western FETÖ schools, https://www.dailysabah.com/politics/2018/07/30/maarif-foundation-president-birol-akgun-turkey-now-controls-60-percent-of-non-western-feto-schools , Zugriff 27.11.2019

 DS – Daily Sabah (11.9.2019): Nationwide operations net suspects tied to FETÖ terror group, https://www.dailysabah.com/investigations/2019/09/11/nationwide-operations-net-suspects-tied-to-feto-terror-group , Zugriff 8.10.2019

 DS – Daily Sabah (18.9.2019): 53 arrested in operations against FETÖ, https://www.dailysabah.com/investigations/2019/09/18/53-arrested-in-operations-against-feto , Zugriff 8.10.2019

 Daily Sabah (14.1.2020): Turkey arrests 203 suspects in operations against FETÖ, https://www.dailysabah.com/investigations/2020/01/14/turkey-arrests-203-suspects-in-operations-against-feto , Zugriff 8.4.2020

 EC – European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf , Zugriff 8.10.2019

 HDN – Hürriyet Daily News (27.5.2016): Turkey to add Gülen movement to list of terror groups: President, http://www.hurriyetdailynews.com/turkey-to-add-gulen-movement-to-list-of-terror-groups-president-.aspx?pageID=238&nID=99762&NewsCatID=338 , Zugriff 8.10.2019

 MEE – Middle East Eye (21.7.2016): ANALYSIS: Dissecting Turkey's Gulen-Erdogan relationship, https://www.middleeasteye.net/news/analysis-dissecting-turkeys-gulen-erdogan-relationship , Zugriff 8.10.2019

 UN-HRC - Human Rights Council Working Group on Arbitrary Detention (18.9.2019): Opinions adopted by the Working Group on Arbitrary Detention at its eighty-fifth session, 12–16 August 2019, Opinion No. 53/2019 concerning Melike Göksan and Mehmet FatihGöksan (Turkey), https://www.ohchr.org/Documents/Issues/Detention/Opinions/Session85/A_HRC_WGAD_2019_53.pdf , Zugriff 15.10.2019

 Die Presse (30.11.2017): EU sieht in türkischer Gülen-Bewegung keine Terrororganisation, https://www.diepresse.com/5330148/eu-sieht-in-turkischer-gulen-bewegung-keine-terrororganisation , Zugriff 8.10.2019

 Der Standard (20.12.2014): Haftbefehl gegen Erdogan-Feind Gülen, https://derstandard.at/2000009628933/hTuerkischer-Zaman-Chefredakteur-unter-Auflagen-frei# , Zugriff 8.10.2019

 Der Standard (30.11.2017): EU sieht in Gülen-Bewegung keine Terrororganisation, https://derstandard.at/2000068784722/EU-sieht-in-Guelen-Bewegung-keine-Terrororganisation , Zugriff 8.10.2019

 SCF – Stockholm Center for Freedom (16.7.2018): Turkish FM says over 100 members of Gülen movement abducted abroad and brought to Turkey, https://stockholmcf.org/turkish-fm-says-over-100-members-of-gulen-movement-abducted-abroad-and-brought-to-turkey/ , Zugriff 9.10.2019

 SCF – Stockholm Center for Freedom (6.8.2019): Newspaper subscription, school enrollment not terrorist activity, says Turkey’s top appeals court, https://stockholmcf.org/newspaper-subscription-school-enrollment-not-terrorist-activity-says-turkeys-top-appeals-court/ , Zugriff 8.10.2019

 SCF – Stockholm Center for Freedom (5.2.2019): Erdoğan’s Maarif Foundation has taken over 191 Gülen-linked schools in 21 countries, says chair, https://stockholmcf.org/erdogans-maarif-foundation-has-taken-over-191-gulen-linked-schools-in-21-countries-says-chair/ , Zugriff 27.11.2019

 TM - Turkish Minute (2.6.2016): United States: We do not consider Gülen movement “terrorist organization", https://www.turkishminute.com/2016/06/02/united-states-not-consider-gulen-movement-terrorist-organization/ , Zugriff 8.10.2019

 TM – Turkish Minute (30.5.2018): Detention warrants issued for 59 Bank Asya customers over alleged Gülen links, https://www.turkishminute.com/2018/05/30/detention-warrants-issued-for-59-bank-asya-customers-over-alleged-gulen-links/ , Zugriff 8.10.2019

 TM -Turkish Minute 15.10.2019): UN working group on arbitrary detention says use of ByLock is freedom of expression, https://www.turkishminute.com/2019/10/15/un-working-group-on-arbitrary-detention-says-use-of-bylock-is-freedom-of-expression/ , Zugriff 15.10.2019

 Turkish Minute (21.2.2020): Latest figures show 26,862 people in jail over Gülen links: ministry, https://www.turkishminute.com/2020/02/21/latest-figures-show-26862-people-in-jail-over-gulen-links-ministry/ , Zugriff 8.4.2020

 Turkish Minute (4.3.2020): Turkey orders detention of 115 suspects as part of post-coup Gülen crackdown, https://www.turkishminute.com/2020/03/04/turkey-orders-detention-of-115-suspects-as-part-of-post-coup-gulen-crackdown/ , Zugriff 8.4.2020

 TP – Turkey Purge (16.2.2019): Turkey’s top appeal court says Bank Asya depositors ‘terrorist’, https://turkeypurge.com/turkeys-top-appeal-court-says-bank-asya-depositors-terrorist , Zugriff 27.11.2019

 TP – Turkey Purge (17.12.2019): 562,581 people in Turkey investigated on coup, terror related charges to date, https://turkeypurge.com/562581-people-in-turkey-investigated-on-coup-terror-related-charges-to-date , Zugriff 13.2.2020

 UK-Home Office (2.2018): Country Policy and Information Note Turkey: Gülenist Movement, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/682868/Turkey_-_Gulenists_-_CPIN_-_v2.0.pdf , Zugriff 8.10.2019

 Welt (15.9.2019): Die Erdogan-Regierung soll im Ausland 31 Menschen entführt haben, https://www.welt.de/politik/ausland/article200235236/Erdogan-Regierung-soll-im-Ausland-31-Menschen-entfuehrt-haben.html , Zugriff 9.10.2019

 

 

Rechtsschutz/Justizwesen

Letzte Änderung am 6.4.2020

Der zwei Jahre andauernde Ausnahmezustand nach dem Putschversuch hat zu einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit geführt (EP 13.3.2019; vgl. PACE 24.1.2019). Die Situation in Hinblick auf die Justizverwaltung und die Unabhängigkeit der Justiz hat sich merkbar verschlechtert (CoE-CommDH 19.2.2020; vgl. EC 29.5.2019, USDOS XXXX ). Negative Entwicklungen bei der Rechtsstaatlichkeit, den Grundrechten und der Justiz wurden nicht angegangen (EC 29.5.2019). Die Auswirkungen dieser Situation auf das Strafrechtssystem zeigen sich dadurch, dass sich zahlreiche seit langem bestehende Probleme wie der Missbrauch der Untersuchungshaft verschärft haben und neue Probleme hinzugekommen sind. Vor allem bei Fällen von Terrorismus und organisierter Kriminalität hat die Missachtung grundlegender Garantien für ein faires Verfahren durch die türkische Justiz und die sehr lockere Anwendung des Strafrechts auf eigentlich rechtskonforme Handlungen zu einem Grad an Rechtsunsicherheit und Willkür geführt, der das Wesen des Rechtsstaates gefährdet (CoE-CommDH 19.2.2020).

Neben der Aushöhlung der verfassungsrechtlichen und strukturellen Garantien zur Wahrung der Unabhängigkeit der Richter und Maßnahmen, die sich direkt auf diese Unabhängigkeit ausgewirkt haben, wie z.B. fristlose Entlassungen und Einstellungen, gibt es Hinweise auf eine zunehmende Parteilichkeit der Justiz gegenüber politischen Interessen, was durch die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bestätigt wurde (CoE-CommDH 19.2.2020). Das Europäische Parlament (EP) verurteilte die verstärkte Kontrolle der Arbeit von Richtern und Staatsanwälten durch die Exekutive und den politischen Druck, dem sie ausgesetzt sind (EP 13.3.2019). Rechtsanwaltsvereinigungen aus 25 Städten sahen in einer öffentlichen Deklaration im Februar 2020 die Türkei in der schwersten Justizkrise seit dem Bestehen der Republik, insbesondere infolge der Einmischung der Regierung in die Gerichtsbarkeit, der Politisierung des Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK), der Inhaftierung von Rechtsanwälten und des Ignorierens von Entscheidungen der Höchstgerichte sowie des EGMR (bianet 24.2.2020).

Obwohl die Autonomie der Justiz eingeschränkt ist, entschieden die Richter in wichtigen Fällen im Jahr 2019 manchmal auch gegen die Regierung, beispielsweise in den Fällen, in denen Akademiker ein Ende der staatlichen Gewalt in kurdischen Gebieten im Jahr 2016 gefordert hatten (FH 4.3.2020).

Die Anstellung neuer Richter und Staatsanwälte im Rahmen des derzeitigen Systems trug zu den Bedenken bei, da keine Maßnahmen ergriffen wurden, um dem Mangel an objektiven, leistungsbezogenen, einheitlichen und im Voraus festgelegten Kriterien für deren Einstellung und Beförderung entgegenzuwirken. Es wurden keine rechtlichen und verfassungsmäßigen Garantien eingeführt, die verhindern, dass Richter und Staatsanwälte gegen ihren Willen versetzt werden. Die abschreckende Wirkung der Entlassungen und Zwangsversetzungen innerhalb der Justiz ist nach wie vor zu beobachten. Es besteht die Gefahr einer weit verbreiteten Selbstzensur unter Richtern und Staatsanwälten. Es wurden keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Rechtsgarantien ergriffen, um die Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive zu gewährleisten oder die Unabhängigkeit des Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) zu stärken. An der Einrichtung der Friedensrichter in Strafsachen (sulh ceza hakimliği), die zu einem parallelen System werden könnten, wurden keine Änderungen vorgenommen (EC 29.5.2019).

Die Entlassung von mehr als 4.800 Richtern und Staatsanwälten führt auch zu praktischen Problemen, da für die notwendigen Nachbesetzungen keine ausreichende Zahl an entsprechend ausgebildeten Richtern und Staatsanwälten zur Verfügung steht (Erfordernis des zwei-jährigen Trainings wurde abgeschafft). Die im Dienst verbliebenen erfahrenen Kräfte sind infolge der Entlassungen häufig schlichtweg überlastet. In einigen Fällen spiegelt sich der Qualitätsverlust in einer schablonierten Entscheidungsfindung ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall wider. In massenhaft abgewickelten Verfahren, wie etwa denjenigen, betreffend Terrorismusvorwürfe, leidet die Qualität der Urteile häufig unter mangelhaften rechtlichen Begründungen sowie lückenhafter und oberflächlicher Beweisführung (ÖB 10.2019).

Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung festgelegt. Laut Art. 9 erfolgt die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte. Art. 138 der Verfassung regelt die Unabhängigkeit der Richter (AA 14.6.2019; vgl. ÖB 10.2019). Die EU-Delegation in der Türkei kritisiert jedoch, dass diese Verfassungsbestimmung durch einfach-rechtliche Regelungen unterlaufen wird. U.a. sind die dem Justizministerium weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften für die Organisation der Gerichte zuständig (ÖB 10.2019). Die richterliche Unabhängigkeit ist überdies durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) infrage gestellt. Der Rat ist u. a. für Ernennungen, Versetzungen und Beförderungen zuständig. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen. Nach dem Putschversuch von Mitte Juli 2016 wurden fünf der 22 Richter und Staatsanwälte des HSK verhaftet, Tausende von Richtern und Staatsanwälten wurden aus dem Dienst entlassen. Seit Inkrafttreten der im April 2017 verabschiedeten Verfassungsänderungen wird der HSK teils vom Staatspräsidenten, teils vom Parlament ernannt, ohne dass es bei den Ernennungen der Mitwirkung eines anderen Verfassungsorgans bedürfte. Die Zahl der Mitglieder des HSK wurde auf 13 reduziert (AA 14.6.2019).

Das türkische Justizsystem besteht aus zwei Säulen: der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Straf- und Zivilgerichte) und der außerordentlichen Gerichtsbarkeit (Verwaltungs- und Verfassungsgerichte). Mit dem Verfassungsreferendum im April 2017 wurden die Militärgerichte abgeschafft. Deren Kompetenzen wurden auf die Straf- und Zivilgerichte sowie Verwaltungsgerichte übertragen. Letztinstanzliche Gerichte sind gemäß der Verfassung der Verfassungsgerichtshof (Anayasa Mahkemesi), der Staatsrat (Danıştay), der Kassationshof (Yargitay) und das Kompetenzkonfliktgericht (Uyuşmazlık Mahkemesi) (ÖB 10.2019). Seit September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof (AA 14.6.2019).

2014 wurden alle Sondergerichte sowie die Friedensgerichte (Sulh Ceza Mahkemleri) abgeschafft. Ihre Jurisdiktion für die Entscheidung wurde in der Hauptsache auf Strafkammern übertragen. Stattdessen wurde die Institution des Friedensrichters in Strafsachen (sulh ceza hakimliği) eingeführt, der das strafrechtliche Ermittlungsverfahren begleitet und überwacht. Im Gegensatz zu den abgeschafften Friedensgerichten entscheiden Friedensrichter nicht in der Sache, doch kommen ihnen während des Verfahrens weitreichende Befugnisse zu, wie z.B. die Ausstellung von Durchsuchungsbefehlen, Anhalteanordnungen, Blockierung von Websites sowie die Beschlagnahmung von Vermögen (ÖB 10.2019). Neben den weitreichenden Konsequenzen der durch den Friedensrichter anzuordnenden Maßnahmen wird in diesem Zusammenhang vor allem die Tatsache kritisiert, dass Einsprüche gegen Anordnungen nicht von einem Gericht, sondern ebenso von einem Einzelrichter geprüft werden (EC 29.5.2019; vgl. ÖB 10.2019). Die Urteile der Friedensrichter für Strafsachen weichen zunehmend von der Rechtsprechung des EGMR ab und bieten selten eine ausreichend individualisierte Begründung. Der Zugang von Verteidigern zu den Gerichtsakten ihrer Mandanten für einen bestimmten Katalog von Straftaten ist bis zur Anklageerhebung eingeschränkt. Manchmal dauert das mehr als ein Jahr (EC 29.5.2019). Die Venedig-Kommission forderte 2017 die Übertragung der Kompetenzen der Friedensrichter an ordentliche Richter bzw. eine Reform (ÖB 10.2019).

Probleme bestehen sowohl hinsichtlich der divergierenden Rechtsprechung von Höchstgerichten als auch infolge der Nicht-Beachtung von Urteilen höherer Gerichtsinstanzen durch untergeordnete Gerichte. So hat das Verfassungsgericht uneinheitliche Urteile zu Fällen der Meinungsfreiheit gefällt. Wo sich das Höchstgericht im Einklang mit den Standards des EGMR sah, welches etwa eine Untersuchungshaft in Fällen der freien Meinungsäußerung nur bei Hassreden oder dem Aufruf zur Gewalt als gerechtfertigt betrachtet, stießen die Urteile in den unteren Instanzen auf Widerstand und Behinderung (IPI 18.11.2019). Auch andere höhere Gerichte werden von untergeordneten Instanzen der Rechtsprechung ignoriert. Entgegen dem Urteil des Obersten Kassationsgerichtes bestätigte im November 2019 ein untergeordnetes Gericht in Istanbul seine Verurteilung von zwölf Journalisten der Tageszeitung Cumhuriyet, denen unterschiedliche Verbindungen zu terroristischen Organisationen vorgeworfen wurden (AM 21.11.2019).

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten, und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte – jedenfalls in Terrorprozessen – bei den Verteidigungsmöglichkeiten. Fälle mit Bezug auf eine angebliche Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung oder der PKK werden häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte keine Akteneinsicht nehmen können. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert, bei Befragungen ihrer Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt. Beweisanträge dazu werden zurückgewiesen. Insgesamt kann – jedenfalls in den Gülenisten-Prozessen – nicht von einem unvoreingenommenen Gericht und einem fairen Prozess ausgegangen werden (AA 14.6.2019).

Private Anwälte und Menschenrechtsbeobachter berichteten von einer unregelmäßigen Umsetzung der Gesetze zum Schutz des Rechts auf ein faires Verfahren, insbesondere in Bezug auf den Zugang von Anwälten. Einige Anwälte gaben an, dass sie zögerten, Fälle anzunehmen, insbesondere solche von Verdächtigen, die wegen Verbindungen zur PKK oder zur Gülen-Bewegung angeklagt waren, aus Angst vor staatlicher Vergeltung, einschließlich Strafverfolgung (USDOS 11.4.2020). So wird gegen Anwälte strafrechtlich ermittelt, sie werden willkürlich inhaftiert und in Verbindung mit den angeblichen Verbrechen ihrer Mandanten gebracht. Die Regierung erhebt Anklage wegen Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen gegen Anwälte, die Menschenrechtsverletzungen aufdecken. Hierbei gibt es keine oder nur spärliche Beweise für eine solche Mitgliedschaft. Die Gerichte beteiligen sich an diesem Angriff gegen die Anwaltschaft, indem sie die Betroffenen zu langen Haftstrafen aufgrund von Terrorismusvorwürfen verurteilen. Die Beweislage hierbei ist meist dürftig und das Recht auf ein faires Verfahren wird ignoriert. Dieser Missbrauch der Strafverfolgung gegen Anwälte wurde von Gesetzesänderungen begleitet, die das Recht auf Rechtsbeistand für diejenigen untergraben, die willkürlich wegen Terrorvorwürfen inhaftiert wurden (HRW 10.4.2019). Seit dem Putschversuch 2016 gibt es eine Verhaftungskampagne, die sich gegen Anwälte im ganzen Land richtet. In 77 der 81 Provinzen der Türkei wurden Anwälte wegen angeblicher terroristischer Straftaten inhaftiert, verfolgt und verurteilt. Bis heute wurden mehr als 1.500 Anwälte strafrechtlich verfolgt und 599 Anwälte festgenommen. Bisher wurden 321 Anwälte wegen ihrer Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation oder wegen der Verbreitung terroristischer Propaganda zu Haftstrafen verurteilt (CCBE 1.9.2019).

Nach Änderung des Antiterrorgesetzes vom Juli 2018 soll eine in Polizeigewahrsam (angehaltene) befindliche Person spätestens nach vier Tagen einem Richter zur Entscheidung über die Verhängung einer U-Haft oder Verlängerung des Polizeigewahrsams vorgeführt werden. Eine Verlängerung der Polizeigewahrsam ist nur auf begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft, z.B. bei Fortführung weiterer Ermittlungsarbeiten oder Auswertung von Mobiltelefondaten, zulässig. Eine Verlängerung ist zweimal, zu je vier Tagen, möglich, insgesamt daher maximal zwölf Tage Polizeigewahrsam. Während des Ausnahmezustandes waren es bis zu 14 Tagen, mit einmaliger Verlängerung nach sieben Tagen. Die maximale U-Haftdauer beträgt gem. Art. 102 (1) der türkischen Strafprozessordnung (SPO) bei Straftaten, die nicht in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern fallen, ein Jahr. Aufgrund von besonderen Umständen kann sie um weitere sechs Monate verlängert werden. Nach Art. 102 (2) SPO beträgt die U-Haftdauer höchstens zwei Jahre, wenn es sich um Straftaten handelt, die in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern (Ağır Ceza mahkemeleri) fallen (Straftaten, die mindestens eine zehnjährige Freiheitsstrafe vorsehen). Aufgrund von besonderen Umständen kann diese Dauer um ein weiteres Jahr verlängert werden (insgesamt maximal drei Jahre). Bei Straftaten, die das Anti-Terrorgesetz 3713 betreffen, beträgt die maximale U-Haftdauer höchstens sieben Jahre (zwei Jahre und mögliche Verlängerung um weitere fünf Jahre). Diese Gesetzesänderung erfolgte mit dem Dekret 694 vom 15.08.2017, das am 1.2.2018 zu Gesetz Nr. 7078 wurde (Art. 136) (ÖB 10.2019).

Wesentliche Regelungen der Dekrete des Ausnahmezustandes wurden in die reguläre Gesetzgebung überführt. So wurden z.B. Teile der Notstandsvollmachten auf die Provinzgouverneure übertragen, die vom Staatspräsidenten ernannt werden (AA 14.6.2019). Das nach Auslaufen des Ausnahmezustandes im Juli 2018 angenommene Gesetz Nr. 7145 sieht keine Abschwächung der Kriterien vor, auf Grundlage derer (Massen-)Entlassungen ausgesprochen werden können (Verbindungen zu Terrororganisationen, Handeln gegen die Sicherheit des Staates etc.). Ein adäquater gerichtlicher Überprüfungsmechanismus ist nicht vorgesehen. Beibehalten wird auch die Möglichkeit, Reisepässe der entlassenen Person einzuziehen. Entlassene Akademiker haben selbst nach Wiedereinsetzung nicht mehr die Möglichkeit, an ihre ursprüngliche Universität zurückzukehren (ÖB 10.2019).

Die mittels Präsidialdekret zur individuellen Überprüfung der Entlassungen und Suspendierungen aus dem Staatsdienst eingerichtete Beschwerdekommission begann im Dezember 2017 mit ihrer Arbeit. Das Durchlaufen des Verfahrens vor der Beschwerdekommission und weiter im innerstaatlichen Weg ist eine der vom EGMR festgelegten Voraussetzungen zur Erhebung einer Klage vor dem EGMR. Bis Mai 2019 wurden 126.000 Anträge eingebracht. Davon bearbeitete die Kommission bislang 70.406. Lediglich 5.250 Personen wurden wiedereingesetzt. Die Kommission wies 65.156 Beschwerden ab, 55.714 Beschwerden sind weiter anhängig (ÖB 10.2019).

Die Beschwerdekommission stellt keinen wirksamen Rechtsbehelf für die Betroffenen dar, um sich wirksam und zeitnah Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu verschaffen. Der Kommission fehlt die genuine institutionelle Unabhängigkeit, da ihre Mitglieder zum größten Teil von der Regierung ernannt werden und im Falle von Verdachtsmomenten hinsichtlich Kontakten mit verbotenen Gruppierungen ihrer Funktion enthoben werden können. Somit können die Ernennungs- und Entlassungsvorschriften leicht den Entscheidungsprozess beeinflussen. Denn sollten Kommissionsmitglieder nicht die von ihnen erwarteten Urteile fällen, kann sie die Regierung einfach entlassen. Den Beschwerdeführern fehlt es an Möglichkeiten, Vorwürfe ihrer angeblich illegalen Aktivität zu widerlegen, da sie nicht mündlich aussagen, keine Zeugen benennen dürfen und vor Stellung ihres Antrags an die Kommission keine Einsicht in die gegen sie erhobenen Anschuldigungen bzw. diesbezüglich namhaft gemachten Beweise erhalten. Umgekehrt verwendet die Kommission schwache Beweise zur Aufrechterhaltung der Entlassungsentscheidungen. Herangezogen werden oftmals rechtmäßige Handlungen der Betroffenen als Beweis für rechtswidrige Aktivitäten (Interaktionen mit Banken, Wohltätigkeitsorganisationen, Medien etc.). Es besteht eine Beweislastumkehr. Die Betroffenen müssen widerlegen, dass sie Verbindungen zu verbotenen Gruppen hatten. Irrelevant ist, dass die getätigten Handlungen zum Zeitpunkt ihrer Vornahme legal waren. Die Wartezeiten bis zur Entscheidung der Berufungsverfahren reichten bislang von vier bis zehn Monaten, während viele entlassene Beschäftigte im öffentlichen Sektor noch keine Antwort der Kommission erhielten, obwohl sie ihre Anträge vor über einem Jahr eingereicht haben. Die Kommission ist an keine Fristen für Entscheidungen gebunden (AI 25.10.2018; vgl. ÖB 10.2019).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 4.11.2019

 AI – Amnesty International (25.10.2018): Purged beyond return? No remedy for Turkey's dismissed public sector workers [EUR 44/9210/2018], https://www.ecoi.net/en/file/local/1448005/1226_1540802893_eur4492102018english.PDF , Zugriff 4.11.2019

 AM – Al Monitor (21.11.2019): Turkish court defies higher ruling to uphold verdict in Cumhuriyet retrial, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/11/turkey-court-uphold-convictions-newspaper-cumhuriyet.html , Zugriff 22.11.2019

 bianet (24.2.2020): Bar Associatons: Turkey Experiencing Most Severe Judicial Crisis in History, https://bianet.org/english/law/220510-bar-associatons-turkey-experiencing-most-severe-judicial-crisis-in-history , Zugriff 27.2.2020

 CCBE - Council of Bars and Law Societies of Europe (1.9.2019) Situation in Turkey While 2019 Judicial Year Begins, https://arrestedlawyers.org/2019/09/01/situation-in-turkey-while-2019-judicial-year-begins/ , Zugriff 6.11.2019

 CoE-CommDH – Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Commissioner for human rights of the Council of Europe Dunja Mijatović (19.2.2020): Report following her visit to Turkey from 1 to 5 July 2019 [CommDH(2020)1], https://www.ecoi.net/en/file/local/2024837/CommDH(2020)1 - Report on Turkey_EN.docx.pdf , Zugriff 27.2.2020

 EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 31.10.2019

 EP – European Parliament (13.3.2019): 2018 Report on Turkey - European Parliament resolution of 13 March 2019 on the 2018 Commission Report on Turkey (2018/2150(INI)), http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML TA P8-TA-2019-0200 0 DOC PDF V0//EN , Zugriff 4.11.2019

 FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025957.html , Zugriff 6.4.2020

 HRW – Human Rights Watch (10.4.2019): Türkei: Massenverfolgung von Rechtsanwälten - Willkürliche Terrorvorwürfe untergraben Recht auf faire Verfahren, https://www.hrw.org/de/news/2019/04/10/tuerkei-massenverfolgung-von-rechtsanwaelten , Zugriff 7.11.2019

 IPI - International Press Institute (Hg.) (18.11.2019): Turkey’s Journalistsin the Dock: Judicial Silencing of the Fourth Estate - Joint International Press Freedom Mission To Turkey (September 11–13, 2019), https://freeturkeyjournalists.ipi.media/wp-content/uploads/2019/11/Turkey-Mission-Report-IPI-FINAL4PRINT.pdf , Zugriff 20.11.2019

 PACE – Parliamentary Assembly of the Council of Europe (24.1.2019): The worsening situation of opposition politicians in Turkey: what can be done to protect their fundamental rights in a Council of Europe member State? [Resolution 2260 (2019)], http://assembly.coe.int/nw/xml/Xref/Xref-XML2HTML-EN.asp?fileid=25425&lang=en , Zugriff 7.11.2019

 ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_ÖB Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 6.11.2019

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 6.4.2020

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung am 6.4.2020

Die nationale Polizei, die unter der Kontrolle des Innenministeriums steht, ist für die Sicherheit in großen Stadtgebieten verantwortlich (AA 14.6.2019; vgl. USDOS 11.4.2020). Die Jandarma, eine paramilitärische Truppe, ist für ländliche Gebiete und spezifische Grenzgebiete zuständig (AA 14.6.2019; vgl. USDOS 11.4.2020, ÖB 10.2019), obwohl das Militär die Gesamtverantwortung für die Grenzkontrolle und die allgemeine Außensicherheit trägt (USDOS 11.4.2020). Die Jandarma mit einer Stärke von 180.000 Bediensteten wurde nach dem Putschversuch 2016 dem Innenministerium unterstellt, zuvor war diese dem Verteidigungsministerium unterstellt (ÖB 10.2019). Es gab Berichte, dass Jandarma-Kräfte, die zeitweise eine paramilitärische Rolle spielen und manchmal als Grenzschutz fungieren, auf Asylsuchende syrischer und anderer Nationalitäten schossen, die versuchten, die Grenze zu überqueren, was zu Tötungen oder Verletzungen von Zivilisten führte (USDOS 11.4.2020). Die Jandarma beaufsichtigt auch die sog. "Sicherheitskräfte" [Güvenlik Köy Korucuları], die vormaligen „Dorfschützer“, eine zivile Miliz, die zusätzlich für die lokale Sicherheit im Südosten sorgen soll, vor allem als Reaktion auf die terroristische Bedrohung durch die PKK (USDOS 13.3.2019). Die Polizei und mehr noch der Geheimdienst MİT haben unter der AKP-Regierung an Einfluss gewonnen. Seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung ist die Polizei aber auch selbst zum Objekt umfangreicher Säuberungen geworden (über 33.000 Bedienstete betroffen von massenhaften Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst, Entlassungen und Strafverfahren). Die Jandarma rekrutiert sich teils aus Wehrpflichtigen (AA 14.6.2019).

Nachrichtendienstliche Belange werden bei der Türkischen Nationalpolizei („Emniyet Genel Müdürlüğü“ - TNP) durch den polizeilichen Nachrichtendienst (İstihbarat Dairesi Başkanlığı“ - IDB) abgedeckt. Dessen Schwerpunkt liegt auf Terrorbekämpfung, Kampf gegen organisierte Kriminalität und Zusammenarbeit mit anderen türkischen Nachrichtendienststellen. Ebenso unterhält die Jandarma einen auf militärische Belange ausgerichteten Nachrichtendienst. Ferner existiert der nationale Nachrichtendienst („Millî İstihbarat Teşkilâtı“- MİT), der seit September 2017 direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist (zuvor dem Amt des Premierministers) und dessen Aufgabengebiete der Schutz des Territoriums, des Volkes, der Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, der Wahrung des Fortbestehens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit der Türkei sowie deren Verfassung und der verfassungskonformen Staatsordnung sind. Es existiert nach wie vor der militärische Nachrichtendienst, der dem Generalstabschef untersteht. Dieser musste nach dem Putsch einige Aufgaben an den MİT abgeben. Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem MİT erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. MİT-Agenten besitzen von nun an eine größere Immunität gegenüber dem Gesetz. Es sieht Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren für Personen vor, die Geheiminformation veröffentlichen. Auch Personen, die dem MİT Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die Entscheidung, ob gegen den MİT-Vorsitzenden ermittelt werden darf, bedarf mit der Novelle aus 2014 der Zustimmung des Staatspräsidenten (ÖB 10.2019).

Der Polizei wurden im Zuge der Abänderung des Sicherheitsgesetzes im März 2015 weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht seitdem den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen (NZZ 27.3.2015; vgl. FAZ 27.3.2015, HDN 27.3.2015). Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Leiters der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen (Anadolu 27.3.2015).

Den Militär-, Polizei- und Nachrichtendiensten fehlt es an ausreichender Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament. Das Sicherheitspersonal verfügt über einen umfassenden Rechtsschutz. Trotz glaubhafter Berichterstattung über schwerwiegende Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen und den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte im Südosten ist die Erfolgsbilanz der gerichtlichen und administrativen Prüfung solcher Anschuldigungen nach wie vor schlecht. Die parlamentarische Aufsichtskommission für die Strafverfolgung blieb wirkungslos (EC 29.5.2019).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 31.10.2019

 Anadolu Agency (27.3.2015): Turkey: Parliament approves domestic security package, http://www.aa.com.tr/en/s/484662--turkey-parliament-approves-domestic-security-package , Zugriff 31.10.2019

 EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 31.10.2019

 FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.3.2015): Die Polizei bekommt mehr Befugnisse, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/tuerkei/tuerkei-mehr-befugnisse-fuer-polizei-gegen-demonstranten-13509122.html , Zugriff 31.10.2019

 HDN – Hürriyet Daily News (27.3.2015): Turkish main opposition CHP to appeal for the annulment of the security package, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-main-opposition-chp-to-appeal-for-the-annulment-of-the-security-package-.aspx?pageID=238&nID=80261&NewsCatID=338 , Zugriff 31.10.2019

 NZZ – Neue Zürcher Zeitung (27.3.2015): Mehr Befugnisse für die Polizei; Ankara zieht die Schraube an, http://www.nzz.ch/international/europa/ankara-zieht-die-schraube-an-1.18511712 , Zugriff 31.10.2019

 ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_ÖB Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 31.10.2019

 USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html , Zugriff 31.10.2019

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 6.4.2020

 

Wehrdienst

Letzte Änderung am 6.4.2020

In den Artikeln 2, 25 und 26 des türkischen Wehrgesetzes heißt es, dass jeder Mann in der Türkei zur Einberufung verpflichtet ist und sich ab dem 1. Januar des Jahres, in dem er zwanzig Jahre alt wird, anmelden muss. Der Militärdienst gilt nicht für Frauen. Wehrpflichtiger bleibt man bis zum 1. Jänner des Jahres, in dem man 41 wird. Im Falle einer Mobilmachung können Männer bis zu ihrem 65. Lebensjahr zum Militärdienst einberufen werden. Türkische Staatsbürger, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Ausland haben, sind ab dem Jahr, in dem sie 19 Jahre alt werden, bis zum Ende des Jahres, in dem sie 38 Jahre alt werden, verpflichtet, der Einberufung zu folgen. Männer, die sich freiwillig zur Teilnahme an den Streitkräften melden, können dies ab dem Alter von 18 Jahren tun. Die türkischen Gesetze und Verordnungen sehen nur für Kranke oder Behinderte und für Einberufungspflichtige, deren Bruder während des Militärdienstes im Kampf gestorben ist, eine Ausnahme vom Militärdienst vor. Darüber hinaus ist es in der Praxis möglich, eine Ausnahmeregelung zu erhalten, indem man erklärt, dass man homosexuell ist. Die Verschiebung des Militärdienstes kann auf Grundlage des Gesetzes 1111, Artikel 35, erfolgen: Ein diesbezüglicher Antrag kann aus Gründen der Unentbehrlichkeit für jemanden eingereicht werden, der für die Regierung, die (Verteidigungs-)Industrie oder als Berufssportler arbeitet; wenn die Person noch studiert (Universitäten übermitteln eine standardisierte Aufschiebung für ihre Studenten); wenn die Person im Ausland arbeitet; und bei schlechter Gesundheit (mit ärztlicher Bestätigung). Eine Verschiebung des Militärdienstes kann auch wegen Inhaftierung beantragt werden. In der Regel wird eine Verschiebung um ein Jahr gewährt. Diese kann bei Vorlage der richtigen Unterlagen um ein Jahr verlängert werden. Das türkische Wehrgesetz erlaubt es Studenten, die zum Militärdienst einberufen werden, zunächst ihre Universitätsausbildung (bis zu dem Jahr, in dem sie 30 Jahre alt werden) oder ihre Postdoc-Ausbildung und Forschung (bis zu dem Jahr, in dem sie 36 Jahre alt werden) abzuschließen (MFA-NL 11.7.2019). Der Einsatzort für den Wehrdienst wird weiter durch das Los bestimmt (ÖB 10.2019).

Am 25.6.2019 trat ein neues Wehrgesetz in Kraft. Die Wehrpflicht wird von zwölf auf sechs Monate verkürzt. Gemäß dem neuen Gesetz müssen männliche türkische Staatsbürger im Alter von über 20 Jahren (bis 41) eine einmonatige militärische Ausbildung absolvieren. Von den restlichen fünf Monaten ihres Wehrdienstes können sie sich unter Zahlung von Lira 31.000 (ca. € 4.755) freikaufen. Männer, die gerade ihren Wehrdienst ableisten, haben die Chance auf eine vorzeitige Entlassung. Über 100.000 Soldaten werden nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes vorzeitig entlassen [da sie bereits sechs oder mehr Monate gedient haben], während etwa 460.000 Männer berechtigt sind, sich frei zu kaufen. Das Gesetz sieht überdies vor, dass Wehrpflichtige nach den sechs Monaten ihren Militärdienst freiwillig gegen ein monatliches Gehalt von Lira 2.000 verlängern können. Leisten die Betreffenden ihre zusätzlichen sechs Monate in den südöstlichen und östlichen Provinzen wie Gaziantep, Şırnak und Hakkâri ab, erhalten sie zusätzlich monatlich Lira 1.000. Der Staatspräsident ist befugt, die Dauer der Wehrpflicht zu ändern, wobei die gegebenen sechs Monate nicht unterschritten werden dürfen (HDN 25.6.2019; vgl. DS 25.6.2019, IPA News 26.6.2019). Personen, die sich dem Militärdienst entziehen, und Deserteure sind von der neuen Regelung ausgeschlossen (Connection e.V. 11.7.2019).

Die Freikaufsregelung bzw. Ableistung eines stark verkürzten Militärdienstes gegen die Zahlung eines Geldbetrages wird im neuen Rekrutierungsgesetz (Kanun 7179) für zwei Gruppen neu gefasst: Artikel 9 definiert unter der Bezeichnung "Bezahlter Militärdienst" die Regelungen für türkische wehrpflichtige Staatsbürger, die in der Türkei leben; Artikel 39 definiert unter der Bezeichnung „Militärdienst mit Devisenzahlung“ (Dövizle Askerlik) Regelungen für türkische wehrpflichtige Staatsbürger, die auf Dauer im Ausland leben bzw. die eine doppelte Staatsbürgerschaft haben (Connection e.V. 11.07.2019). Für Doppelstaatsbürger bedeutet die neue Gesetzeslage sogar eine Verschärfung zur vorhergehenden Rechtslage (NZZ 23.1.2020). Mit dem neuen Gesetz ist die Freikaufsumme nach dem jeweiligen Devisenkurs vom 1.1. des Jahres zu zahlen, und zwar auf einmal (Connection e.V. 11.07.2019). Die periodisch festgelegte Freikaufsumme betrug für das erste Halbjahr 2020 Lira 35.054, rund € 5.335 (NZZ 23.1.2020). Es gibt keine Altersbegrenzung für die Zahlung. Es ist auch kein Militärdienst in der Türkei abzuleisten. (Connection e.V. 11.7.2019; vgl. MFA-NL 11.7.2019). Jedoch müssen im Ausland lebende Wehrpflichtige einen Online-Kurs beim türkischen Verteidigungsministerium absolvieren, bevor sie sich freikaufen können (MFA-NL 11.7.2019; vgl. ÖB 10.2019).

Es wurden keine Änderungen am militärischen Disziplinarsystem oder an den medizinischen Vorschriften vorgenommen, die Homosexualität als "psychosexuelle Störung / Krankheit" definieren. Ein Gesetz vom Januar 2018 über Disziplinarmaßnahmen für Sicherheitskräfte sah vor, dass "abnormale bzw. perverse" Handlungen für das gesamte Sicherheitspersonal ein Grund zur Entlassung sind (EC 29.5.2019). Transsexuelle, Transvestiten und Homosexuelle konnten unter der Bezeichnung „psycho-sexuelle Störungen“ nach Vorsprache bei der Wehrdienstbehörde und Untersuchungen vom Militärdienst befreit werden. Im Gesundheitsgesetz der türkischen Streitkräfte vom 12.11.2015 wird Homosexualität wie folgt beschrieben: „Sexuelle Verhaltensweisen und Einstellungen, die im militärischen Umfeld die Harmonie und Funktionalität beeinträchtigen könnten.“ Homosexualität führte daher im Grundsatz zur Wehrdienstuntauglichkeit, die jedoch bis zum gescheiterten Putschversuch vom 15.7.2016 durch ärztliches Gutachten in Militärkrankenhäusern festgestellt werden musste. In Folge des gescheiterten Putschversuchs wurden alle militärischen Krankenhäuser geschlossen; das Personal wurde entweder verhaftet, entlassen oder in zivile Einrichtungen überführt. Die medizinische Versorgung der türkischen Streitkräfte obliegt seitdem dem türkischen Gesundheitsministerium, sodass die Untersuchungen seither durch den Familienarzt am Wohnort oder durch die nächstgelegene Gesundheitseinrichtung durchgeführt werden (AA 3.8.2018).

Neu hinzugekommen ist die Regelung, dass für türkische Doppelstaatsangehörige die Ableistung eines Grundwehrdienstes oder Wehrersatzdienstes außerhalb der Türkei nicht mehr anerkannt wird und damit die Dienstpflicht durch die Türkei als nicht erfüllt angesehen wird (ÖB 10.2019).

Medienberichten zufolge erlitten einige Rekruten, die ihren Wehrdienst ableisteten, schwere Schikanen, körperliche Misshandlungen und Folterungen, die manchmal zu Selbstmord führten. Türkische Menschenrechtsorganisationen berichteten von mindestens 17 fragwürdigen Todesfällen im Jahr 2019 (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 17.10.2019

 Connection e.V. (27.7.2018): Freikaufsregelung, Ausbürgerung, Ausmusterung und Asyl, https://de.connection-ev.org/article-1609 , Zugriff 17.10.2019

 DS – Daily Sabah (25.6.2019): New military service law approved, https://www.dailysabah.com/turkey/2019/06/25/parliament-adopts-bill-reducing-conscription-making-paid-military-service-exemption-permanent , Zugriff 17.10.2019

 EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 28.10.2019

 HDN - Hürriyet Daily News (25.6.2019): Parliament adopts bill reducing conscription, making paid military service exemption permanent, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-parliament-ratifies-new-military-service-law-144475 , Zugriff 17.10.2019

 MFA-NL - The Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands (11.7.2019): Thematic Country of Origin Information Report Turkey: Military service, https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksoverheid/documenten/ambtsberichten/2019/07/11/thematisch-ambtsbericht-dienstplicht-turkije-juli-2019/EN Tab Turkije dienstplicht 4 juli 2019 zonder vertrouwelijke bronnen.pdf , Zugriff 17.10.2019

 NZZ – Neue Zürcher Zeitung (23.1.2020): Schweizerisch-türkische Doppelbürger werden in den Türkei-Ferien wegen der Wehrpflicht gebüsst – der Bund verschärft die Reisehinweise, https://www.nzz.ch/schweiz/tuerkei-buesst-doppelbuerger-aus-der-schweiz-wegen-wehrpflicht-ld.1535515 , Zugriff 13.2.2020

 ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_ÖB Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 17.10.2019

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 6.4.2020

 

Kurdisch-stämmige Rekruten in der Armee

 

Letzte Änderung am 29.11.2019

Das Gesetz in der Türkei macht keinen Unterschied zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Dies gilt auch für die Vorschriften über den Militärdienst und die Rekrutierung (MFA-NL 11.7.2019). Es gibt keine Hinweise darauf, dass kurdisch-stämmige Rekruten alleine wegen ihrer Abstammung anders behandelt werden (VB 4.6.2019). Daher ist es möglich, dass ein türkischer Wehrpflichtiger kurdischer Herkunft in einer Provinz eingesetzt wird, in der die Mehrheit der Bevölkerung kurdisch ist. Es gibt keine politische Intention, türkisch-kurdische Wehrpflichtige gegen türkisch-kurdische Kämpfer einzusetzen. Die Armee hat vor einigen Jahren den Einsatz von Wehrpflichtigen im Kampf eingestellt (MFA-NL 11.7.2019).

Nach vorliegenden Informationen besteht keine Systematik in der Diskriminierung von Minderheiten im Militär, weder die kurdische, noch die alevitische Minderheit betreffend. Es existieren aber Einzelfälle (ÖB 10.2019). So wurde ein kurdischsprachiger Wehrpflichtiger von seinen Vorgesetzten in der Provinz Van im Mai 2018 schwer missbraucht, nachdem er auf Kurdisch gesungen hatte. Er erlitt schwere Verletzungen an seinem Gesicht und seinen inneren Organen. In einem weiteren Vorfall in der Provinz Gaziantep wurde ein Soldat von anderen Soldaten angegriffen, weil er ein Foto auf seinem Smartphone von Selahattin Demirtaş hatte, dem inhaftierten Führer der pro-kurdischen HDP (MFA-NL 11.7.2019). In einer Anfrage an den türkischen Verteidigungsminister anlässlich der Misshandlungsfälle erklärte der HDP-Parlamentarier Lezgin Botan, dass Wehrpflichtige Gefahr laufen, festgenommen, inhaftiert, Gewalt ausgesetzt, schikaniert, beleidigt oder diskriminiert zu werden, nur weil sie kurdische Musik hören, auf Kurdisch singen oder sprechen oder mit Familienmitgliedern telefonieren, die kein Türkisch sprechen (MFA-NL 11.7.2019, K24 10.5.2018).

Quellen:

 K24 – Kurdistan 24 (10.5.2018): Middle East Conscript in Turkish army 'lynched' for singing in Kurdish, MPs say, https://www.kurdistan24.net/en/culture/e9b13521-081d-402b-9ea4-20f41eea9bb5 , Zugriff 17.10.2019

 MFA-NL - The Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands (11.7.2019): Thematic Country of Origin Information Report Turkey: Military service, https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksoverheid/documenten/ambtsberichten/2019/07/11/thematisch-ambtsbericht-dienstplicht-turkije-juli-2019/EN Tab Turkije dienstplicht 4 juli 2019 zonder vertrouwelijke bronnen.pdf , Zugriff 17.10.2019

 ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_ÖB Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 17.10.2019

 VB des BM.I für die Türkei (4.6.2019): Auskunft des VB per Mail

 

Wehrersatzdienst / Wehrdienstverweigerung / Desertion

 

Letzte Änderung am 29.11.2019

Das türkische Recht sieht die Möglichkeit eines Ersatzdienstes für Wehrdienstverweigerer nicht vor. Eine Person, die sich nicht zur Wehrpflicht meldet, gilt als Wehrdienstverweigerer und kann auf dieser Grundlage bestraft werden. Das Gesetz unterscheidet zwischen drei Arten der Umgehung des Militärdienstes: Umgehung der Registrierung/Sichtung (yoklama kaçakçılığı), Nichtmeldung für den tatsächlichen Dienst (bakaya) und Desertion (firar) (MFA-NL 11.7.2019).

Wehrdienstverweigerung bleibt strafbar und Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist nach wie vor nicht möglich. Derzeit besteht für Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen nur die Möglichkeit, eine Haftstrafe abzusitzen; danach muss der Wehrdienst nachgeholt werden. Im März 2012 wurde erstmals ein Urteil des Militärgerichts von dem Recht auf Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen vom Europäischen Gericht für Menschenrechte beeinflusst. Der angeklagte Wehrdienstleistende war nach fünf Monaten im Militärdienst geflohen und teilte seine Dienstverweigerung aus Gewissensgründen mit. Dieser wurde vom Militärgericht angeklagt, aber nicht wegen Wehrdienstverweigerung, sondern wegen Desertion zu zehn Monaten Haft verurteilt. Das Militärgericht nahm in seinem Urteil das erste Mal auf die Entscheidung des EGMR Bezug, welches die Rechte von Wehrdienstverweigerern aus Gewissensgründen schützt (Art. 9 EMRK). Der EGMR hat die Türkei bereits in einigen Fällen im Zusammenhang mit der Verweigerung der Anerkennung von Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen verurteilt (ÖB 10.2019).

Seit Änderung von Art. 63 des türkischen Militärstrafgesetzbuches ist nunmehr bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich. Die Verjährungsfrist beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen (AA 14.6.2019).

Das türkische Gesetz zu Desertion definiert in Artikel 66 die Strafe für Desertion. Militärpersonal wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen einem und drei Jahren belegt: wenn die betreffende Person sich von ihrer Einheit oder ihrem Einsatzort ohne Urlaub für mehr als sechs Tage entfernt hat; oder wenn die betreffende Person nach einem absolvierten Urlaub nicht innerhalb von sechs Tagen zum Dienst zurückkehrt und keine Entschuldigung dafür hat. Die Strafe beläuft sich auf mindestens zwei Jahre Gefängnis, wenn die Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn die Person während des Dienstes desertiert; wenn die Person die Übertretung wiederholt. Artikel 67 definiert, dass Militärpersonal, das ins Ausland geflohen ist, mit drei bis fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann, und zwar nach einer Absenz von drei Tagen, falls die betreffende Person das Land ohne Erlaubnis verlässt. Die Strafe soll mindestens fünf Jahre betragen und auf bis zu zehn Jahre erhöht werden: wenn die ins Ausland geflohene Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn sie während des Dienstes desertiert; wenn sie die Übertretung wiederholt; oder wenn sie während einer Mobilisierung (im Falle eines Krieges) desertiert. Schließlich können desertierte Militärangehörige für Befehlsverweigerung angeklagt und bestraft werden. Für andauernden Ungehorsam in der Öffentlichkeit drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Wer andere Soldaten zum Ungehorsam anstiftet, kann mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Das im Rahmen des Ausnahmezustands erlassene Dekret 691 vom 2.6.2017 hält unter anderem fest, dass Soldaten, die sich mehr als drei Tage ohne offizielle Erlaubnis im Ausland aufhalten, als Deserteure betrachtet und entsprechend bestraft werden. Ein ins Ausland geflohener Deserteur muss mit einer Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von mindestens fünf Jahren rechnen. Eine Strafe von zehn Jahren ist jedoch auch möglich (SFH 22.3.2018).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 17.10.2019

 MFA-NL - The Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands (11.7.2019): Thematic Country of Origin Information Report Turkey: Military service, https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksoverheid/documenten/ambtsberichten/2019/07/11/thematisch-ambtsbericht-dienstplicht-turkije-juli-2019/EN Tab Turkije dienstplicht 4 juli 2019 zonder vertrouwelijke bronnen.pdf , Zugriff 17.10.2019

 ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_ÖB Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 17.10.2019

 SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (22.3.2018): Türkei: Desertion und Sicherheits-operationen im Südosten (August 2015 bis Mai 2016); Auskunft der SFH-Länderanalyse, https://www.ecoi.net/en/file/local/1438152/1226_1531473548_180322-tur-desertion-anonym.pdf , Zugriff am 23.10.2019

 

 

Kurden

Letzte Änderung am 6.4.2020

Obwohl offizielle Zahlen nicht verfügbar sind, schätzen internationale Beobachter, dass sich rund 15 Millionen türkische Bürger als Kurden identifizieren. Die kurdische Bevölkerung konzentriert sich auf Südostanatolien, wo sie die Mehrheit bilden, und auf Nordostanatolien, wo sie eine bedeutende Minderheit darstellt. Ein signifikanter kurdischer Bevölkerungsanteil ist in Istanbul und anderen Großstädten anzutreffen. In den letzten Jahrzehnten ist etwa die Hälfte der kurdischen Bevölkerung der Türkei in die Westtürkei ausgewandert, sowohl um dem bewaffneten Konflikt zu entkommen als auch auf der Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten. Die Ost- und Südosttürkei sind historisch gesehen weniger entwickelt als andere Teile des Landes, mit niedrigeren Einkommen, höheren Armutsraten, weniger Industrie und weniger staatlichen Investitionen. Die kurdische Bevölkerung ist sozioökonomisch vielfältig. Während viele sehr arm sind, vor allem in ländlichen Gebieten und im Südosten, wächst eine kurdische Mittelschicht in städtischen Zentren, vor allem im Westen der Türkei (DFAT 9.10.2018).

Die kurdischen Gemeinden sind überproportional von den Zusammenstößen zwischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und den Sicherheitskräften betroffen. In etlichen Gemeinden wurden seitens der Regierung Ausgangssperren verhängt (USDOS 11.3.2020). Die Situation im Südosten ist trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds nach wie vor schwierig. Die Regierung setzte 2018 ihre Sicherheitsoperationen vor dem Hintergrund der wiederholten Gewaltakte der PKK fort (EC 29.5.2019).

[für weiterführende Informationen siehe Kapitel 3 „Sicherheitslage“]

Kurdische und pro-kurdische NGOs sowie politische Parteien sind weiterhin bei der Ausübung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eingeschränkt. Hunderte von kurdischen zivil-gesellschaftlichen Organisationen und kurdischsprachigen Medien wurden 2016 und 2017 nach dem Putschversuch per Regierungsverordnung geschlossen (USDOS 11.3.2020).

Der Druck auf kurdische Medien und die Berichterstattung über kurdische Themen hält durch Gerichtsverfahren und Verhaftungen von Journalisten an (EC 29.5.2019). Journalisten, die für kurdische Medien arbeiten, werden unverhältnismäßig oft ins Visier genommen (HRW 14.1.2020). Es gibt Berichte über die Entlassung kurdischer Wissenschaftler und Dozenten, die teilweise unter Terrorismus-Verdacht stehen, und gegen die entsprechende Untersuchungen laufen. Weiters kam es zur Schließung kurdischsprachiger NGOs und Institutionen. Der Druck auf kurdische Medien besteht weiterhin und kurdische Bücher wurden verboten. Im Südosten wurden mehrere Gedenk- und Literaturdenkmäler kurdischer Persönlichkeiten sowie Veranstaltungen und zweisprachige Straßenschilder von durch die Regierung ernannte Treuhändern und Behörden entfernt. Andere Vereine, kurdischsprachige Medien und Kulturinstitutionen blieben geschlossen (EC 29.5.2019). Bereits öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei kann bei entsprechender Auslegung den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 14.6.2019).

Diejenigen, die abweichende Meinungen zu den Themen äußern, die das kurdische Volk betreffen, werden in der Türkei seit langem strafrechtlich verfolgt (AI 26.4.2019). Kurden in der Türkei sind aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt sowohl offiziellen als auch gesellschaftlichen Diskriminierungen. Umfang und Form dieser Diskriminierung hängen von der geografischen Lage und den persönlichen Umständen ab. Kurden in der West-Türkei sind nicht mit dem gleichen Risiko konfliktbezogener Gewalt konfrontiert wie im Südosten. Viele Kurden, die nicht politisch aktiv sind, und diejenigen, die die Regierungspartei AKP unterstützen, sind in die türkische Gesellschaft integriert, identifizieren sich mit der türkischen Nation und leben ihr Leben auf normale Weise. Menschenrechtsbeobachter berichten jedoch, dass einige Kurden in der West-Türkei zögern, ihre kurdische Identität preiszugeben, etwa durch die Verwendung der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit, aus Angst, eine gewalttätige Reaktion zu provozieren. Im Südosten sind diejenigen, die in kurdischen politischen oder zivil-gesellschaftlichen Organisationen tätig sind (oder als solche aktiv wahrgenommen werden), einem höheren Risiko ausgesetzt als nicht politisch tätige Personen (DFAT 9.10.2018).

Der private Gebrauch der kurdischen Sprache ist seit Anfang der 2000er Jahre keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt (AA 14.6.2019). Einige Universitäten bieten Kurse in kurdischer Sprache an. Zwei Universitäten hatten Kurdisch-Institute. Jedoch wurden zahlreiche Dozenten in diesen Instituten, sowie Tausende weitere Universitätsangehörige aufgrund von behördlichen Verfügungen entlassen, sodass die Programme nicht weiterlaufen konnten (USDOS 11.3.2020).

Die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) schaffte bei den Wahlen im Juni 2018 den Wiedereinzug ins Parlament mit einem Stimmenanteil von 11,5% und 68 Abgeordneten, dies trotz der Tatsache, dass der Spitzenkandidat für die Präsidentschaft und acht weitere Abgeordnete des vormaligen Parlaments im Gefängnis saßen, und Wahlbeobachter der HDP drangsaliert wurden (MME 25.6.2018). Während des Wahlkampfes bezeichnete der amtierende Präsident und Spitzenkandidat der AKP für die Präsidentschaftswahlen Erdoğan den HDP-Kandidaten Demirtaş bei mehreren Wahlkampfauftritten als Terrorist (OSCE 25.6.2018).

[siehe auch Kapitel 13.1. Opposition]

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 13.11.2019

 AI – Amnesty International: Weathering the storm (26.4.2019): Defending human rights in Turkey's climate of fear [EUR 44/8200/2018], https://www.ecoi.net/en/file/local/1430738/1226_1524726749_eur4482002018english.PDF , Zugriff 15.11.2019

 DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (9.10.2018): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019375/country-information-report-turkey.pdf , Zugriff 13.11.2019

 EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf , Zugriff 13.11.2019

 HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022684.html , Zugriff 13.2.2020

 MEE - Middle East Eye ( 25.6.2018) Turkey election: Erdogan wins, the opposition crashes – but don’t write off the HDP, http://www.middleeasteye.net/columns/turkey-election-erdogan-wins-akp-chp-opposition-crashes-dont-write-off-hdp-776290051 , Zugriff 13.11.2019

 OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights; OSCE Parliamentary Assembly; PACE – Parliamentary Assembly of the Council of Europe (25.6.2018): International Election Observation Mission Republic of Turkey – Early Presidential and Parliamentary Elections – 24.6.2018, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/385671?download=true , Zugriff 13.11.2019

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 6.4.2020

 

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung am 7.4.2020

Bewegungsfreiheit im Land, Reisen ins Ausland, Auswanderung und Repatriierung sind verfassungsrechtlich garantiert; die Regierung schränkt diese Rechte allerdings ein. Die Verfassung besagt, dass die Reisefreiheit innerhalb des Landes nur durch einen Richter in Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Untersuchung oder Verfolgung eingeschränkt werden kann. Die Regierung beschränkte Auslandsreisen von Bürgern, denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zum gescheiterten Putschversuch 2016 vorgeworfen werden. Ausgangssperren, die von den lokalen Behörden als Reaktion auf die militärischen Operationen gegen die PKK verhängt wurden, und die militärische Operation des Landes in Nordsyrien schränkten die Bewegungsfreiheit ebenfalls ein. Die Regierung erklärte die Provinz Hakkâri zu einer "besonderen Sicherheitszone" und beschränkte die Bewegungsfreiheit in und aus mehreren Bezirken der Provinz wochenlang mit der Begründung, dass die Bürger vor -Angriffen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) geschützt werden müssten (USDOS 11.3.2020).

Nach dem Ende des zweijährigen Ausnahmezustands widerrief das Innenministerium am 25.7.2018 die Annullierung von 155.350 Pässen, die in erster Linie Ehepartnern sowie Verwandten von Personen entzogen worden waren, die angeblich mit der Gülen-Bewegung in Verbindung standen (HDN 25.7.2018; vgl. USDOS 13.3.2019, TM 25.7.2018). Trotz der Rücknahme der Annullierung konnten etliche Personen keine gültigen Pässe erlangen. Die Behörden blieben eine diesbezügliche Erklärung schuldig. Am 1.3.2019 hoben die Behörden die Passsperre von weiteren 51.171 Personen auf (TM 1.3.2019; vgl. USDOS 11.3.2020), obwohl unklar blieb, wie viele weitere nicht mehr reisen konnten (USDOS 11.3.2020).

Das türkische Verfassungsgericht hat Ende Juli 2019 eine umstrittene Verordnung aufgehoben, die nach dem Putschversuch eingeführt worden war und mit der die türkischen Behörden auch die Pässe von Ehepartnern von Verdächtigen für ungültig erklären konnten, auch wenn keinerlei Anschuldigungen oder Beweise für eine Straftat vorlagen. Die Praxis war auf breite Kritik gestoßen und als Beispiel für eine kollektive Bestrafung und Verletzung der Bewegungsfreiheit angeführt worden (TM 26.7.2019).

Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder einer Personenkontrolle zu unterziehen. Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier. Es kann vorkommen, dass türkischen Staatsangehörigen, denen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt wurde, bei der Einreise oder der versuchten Einreise in die Türkei dieses Ausweisdokument an der Grenze abgenommen wird. Diese Gefahr besteht insbesondere bei Personen, deren Ausweise nicht für die Türkei gültig sind, denen jedoch befristet eine auch für dieses Land geltende Reiseerlaubnis gewährt wurde. Türkische Staatsangehörige dürfen nur mit einem gültigen Pass das Land verlassen (AA 14.6.2019).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 16.10.2019

 HDN - Hürriyet Daily News (25.7.2018): Turkish Interior Ministry reinstates 155,350 passports, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-interior-ministry-reinstates-155-350-passports-135000 , Zugriff 16.10.2019

 TM - Turkish Minute (25.7.2018): Turkey removes restrictions from 155,350 passports, https://www.turkishminute.com/2018/07/25/turkey-removes-restrictions-from-155350-passports/ , Zugriff 16.10.2019

 TM - Turkish Minute (1.3.2019): Turkey lifts restrictions on more than 50,000 passports, https://www.turkishminute.com/2019/03/01/turkey-lifts-restrictions-on-more-than-50000-passports/ , Zugriff 16.10.2019

 TM - Turkish Minute (26.7.2019): Top court cancels regulation used to revoke passports of suspects’ spouses, https://www.turkishminute.com/2019/07/26/top-court-cancels-regulation-used-to-revoke-passports-of-suspects-spouses/ , Zugriff 16.10.2019

 USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html , Zugriff 16.10.2019

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 7.4.2020

Grundversorgung/ Wirtschaft

Letzte Änderung am 29.11.2019

Die türkische Wirtschaft hat in den letzten zwölf Monaten erhebliche außenwirtschaftliche Veränderungen erlebt, darunter rückläufige Leistungsbilanz-Ungleichgewichte und eine geringere Auslandsverschuldung der Banken. Dies hat die außenwirtschaftlichen Schwächen verringert, die sich im Vorfeld des Währungsschocks vom August 2018 gehäuft hatten. Investitionen sind zurückgegangen, die Preise hoch geblieben und die Arbeitslosigkeit gestiegen. Diese Anpassungen haben den Fremdfinanzierungsbedarf des Landes reduziert und zu einer stabileren Lira beigetragen, ungeachtet der Währungsschwankungen im Verlaufe des Jahres 2019. Die Anpassungen wurden durch ein aktiveres Agieren der Politik und günstigere globale monetäre Bedingungen unterstützt. Dennoch sind die Devisenreserven in den letzten zwei Jahren abgebaut worden und haben die Türkei einem außenwirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Die Realwirtschaft ist nach wie vor stark von beharrlichen makro-finanziellen Schwächen betroffen. Die Investitionen gingen deutlich zurück (bis zum zweiten Quartal 2019), während die Industrieproduktion auf eine schwache Trendwende hinweist. Die allmähliche Erholung von der Rezession im Jahr 2018 wurde durch einen Anstieg des privaten Konsums und einer Nettoauslandsnachfrage betrieben. Der Rückgang der Inflation hat begonnen, nachdem die Wechselkursentwicklung und der Vertrauensverlust in die Lira die Verbraucherpreise stark anstiegen ließen. Die Inflation betrug in den ersten drei Quartalen 2019 durchschnittlich 17% (WB 2.11.2019).

Stagnierendes Produktionsniveau, steigende Produktionskosten und hohe Verbraucherpreise haben zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten und sinkenden Reallöhnen geführt. Die türkische Wirtschaft hat von Mai 2018 bis Mai 2019 rund 840.000 Arbeitsplätze verloren, was 2,9% der Gesamtbeschäftigung entspricht. Die Arbeitslosenquote stieg zwischen Mai 2018 und Mai 2019 von 10,6% auf 14%, wobei die Jugendarbeitslosigkeit einen Anstieg von 19,6% auf 25,6% verzeichnete. Die durchschnittlichen Reallöhne sanken zwischen 2017 und 2018 um 2,6%. Am stärksten betroffen sind ärmere Haushalte, da viele einkommensschwache Arbeitskräfte im Baugewerbe und in der Landwirtschaft beschäftigt sind - den Sektoren, in denen der größte Beschäftigungsrückgang zu verzeichnen war (WB 2.11.2019).

Weitere Tendenzen: chronisch hohes Leistungsbilanzdefizit; starke Abhängigkeit von Energieimporten (mehr als 50% des Defizits); fehlende Leistungsfähigkeit in höherwertigen Wirtschaftssektoren, in Teilen beschränkte globale Wettbewerbsfähigkeit, niedrige lokale Wertschöpfung in der Produktion; Abhängigkeit von ausländischen Kapitalflüssen (auch durch die geringe Sparquote: 13% BIP) hoher Anteil an Schwarzarbeit und geringer Anteil von Frauen in der Erwerbsarbeit. Stark entwickelt ist die Westtürkei mit dem Marmara-Raum und der Ägäis. Dabei erwirtschaftet die Region Istanbul mit ca. 20% der Bevölkerung 40% der gesamten Wertschöpfung. Unterentwickelt ist der Südosten und Osten des Landes, gekennzeichnet oft durch bittere Armut und wirtschaftliche Rückständigkeit (GIZ 9.2019a).

Unter den OECD-Staaten hat die Türkei eine der höchsten Werte hinsichtlich der sozialen Ungleichheit und gleichzeitig eines der niedrigsten Haushaltseinkommen. Während im OECD-Durchschnitt die Staaten 20% des Brutto-Sozialproduktes für Sozialausgaben aufbringen, liegt der Wert in der Türkei unter 13%. Die Türkei hat u.a. auch eine der höchsten Kinderarmutsraten innerhalb der OECD. Jedes fünfte Kind lebt in Armut (OECD 2019).

Quellen:

 GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2019a): Länderinformationsportal: Türkei: Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/tuerkei/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 11.10.2019

 OECD (2019): Society at a Glance 2019: OECD Social Indicators, https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/soc_glance-2019-en.pdf?expires=1573813322&id=id&accname=guest&checksum=2EE74228759055A97295ED4460FC22E0 , Zugriff 15.11.2019

 WB – World Bank (2.11.2019): Turkey Economic Monitor, October 2019: Charting A New Course, https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/32634/Turkey-Economic-Monitor-Charting-a-New-Course.pdf?cid=ECA_EM_Turkey_EN_EXT&deliveryName=DM48511 , Zugriff 15.11.2019

 

 

Sozialbeihilfen/-versicherung

Letzte Änderung am 29.11.2019

Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294, über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität, und Nr. 5263, zur Organisation und den Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität, gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftung für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardımlaşma ve Dayanişma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben. Auch Ausländer, die im Sinne des Gesetzes internationalen Schutz beantragt haben oder erhalten, haben einen Anspruch auf Gewährung von Sozialleistungen. Welche konkreten Leistungen dies sein sollen, führt das Gesetz nicht auf (AA 14.6.2019).

Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik gibt es aber verschiedene Programme für mittellose Familien, wie z.B. Sachspenden (Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien, etc.); Kindergeld (eine einmalige Zahlung, die sich nach der Anzahl der Kinder richtet und Lira 300 für das erste, Lira 400 für das zweite und Lira 600 für das dritte Kind beträgt); finanzielle Unterstützung für Schwangere in einmaliger Höhe von Lira 149 unter bestimmten Bedingungen, wie geleistete Sozialversicherungsabgaben durch den Ehepartner oder vorherige Erwerbstätigkeit der Mutter selbst; Wohnprogramme; Einkommen für Behinderte und Altersschwache (dreimonatlich zwischen Lira 1.527 und 2.589 je nach Grad der Behinderung). All diese Hilfeleistungen des Staates sind an bestimmte Bedingungen gekoppelt, die von den Einzelnen nicht immer erfüllt werden können. Es gibt zwei unterschiedliche Arten von „Witwenunterstützung“. Jede Witwe (ohne Einkommen) hat im Jahr 2019 den Anspruch auf Lira 550 (alle zwei Monate). Diese Leistung wird vom Familienministerium bereitgestellt. Dann gibt es zum zweiten die Witwenrente, die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners richtet (max. 75% des Bruttomonatsgehalts des verstorbenen Ehepartners, jedoch max. Lira 4.263) (ÖB 10.2019).

Das Sozialversicherungssystem besteht aus zwei Hauptzweigen, nämlich der langfristigen Versicherung (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung) und der kurzfristigen Versicherung (Berufsunfälle, berufsbedingte und andere Krankheiten, Mutterschaftsurlaub) (SGK 2016a). Das türkische Sozialversicherungssystem finanziert sich nach der Allokationsmethode durch Prämien und Beiträge, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und dem Staat geleistet werden. Für die arbeitsplatzbezogene Unfall- und Krankenversicherung inklusive Mutterschaft bezahlt der unselbständig Erwerbstätige nichts, der Arbeitgeber 2%; für die Invaliditäts- und Pensionsversicherung beläuft sich der Arbeitnehmeranteil auf 9% und der Arbeitgeberanteil auf 11%. Der Beitrag zur allgemeinen Krankheitsversicherung beträgt für die Arbeitnehmer 5% und für die Arbeitgeber 7,5% (vom Bruttogehalt). Bei der Arbeitslosenversicherung zahlen die Beschäftigten 1% vom Bruttolohn (bis zu einem Maximum) und die Arbeitgeber 2%, ergänzt um einen Betrag des Staates in der Höhe von 1% des Bruttolohnes (bis zu einem Maximumwert) (SGK 2016b; SSA 9.2018).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 10.10.2019

 ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_ÖB Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 10.10.2019

 SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016a): Das Türkische Soziale Sicherheitssystem, http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/de/detail/das_turkische , Zugriff 10.10.2019

 SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016b): Financing of Social Security, http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/en/detail/social_security_system/social_security_system , Zugriff 10.10.2019

 SSA – Social Security Administration (9.2018): Social Security Programs Throughout the World: Europe, 2018: Turkey, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/europe/turkey.html , Zugriff 10.10.2019

Arbeitslosenunterstützung

Letzte Änderung am 29.11.2019

Im Falle von Arbeitslosigkeit gibt es für alle ArbeiterInnen in der Türkei Unterstützung, auch für diejenigen, die in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, in staatlichen und in privaten Sektoren tätig sind (IOM 2019). Im Jahr 2017 sah eine Novelle des Arbeitslosenversicherungsgesetzes die Ausweitung des Versicherungsschutzes auf Selbständige zum 1. Januar 2020 vor. Der Betroffene muss in den letzten 120 Arbeitstagen Beiträge gezahlt haben und in den drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens für 600 Arbeitstage eingezahlt haben. Der Anspruch auf das Arbeitslosengeld muss innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf des Arbeitsvertrages geltend gemacht werden oder er erlischt. Der Arbeitslose muss registriert sein und für eine geeignete Beschäftigung zur Verfügung stehen (SSA 9.2018). Bei 600 Tagen Beitragszahlung erhält man 180 Tage Arbeitslosenhilfe, bei 900 Tagen Beitragszahlung erhält man 240 Tage Arbeitslosenhilfe, und bei 1080 Tagen Beitragszahlung erhält man 300 Tage Arbeitslosenunterstützung (IOM 2019; vgl. SSA 9.2018, ÖB 10.2019). Das minimale Taggeld beträgt 40% des durchschnittlichen Tagesverdienstes des Versicherten in den letzten vier Monaten. Das maximale monatliche Arbeitslosengeld beträgt 80% des gesetzlichen monatlichen Bruttomindestentgelts (SSA 9.2018; vgl. ÖB 10.2019). Nach der Erhöhung des Mindestlohnes (Jänner 2019) hat sich auch die Höhe des Arbeitslosengeldes geändert. Der Mindestarbeitslosenbetrag liegt nun bei Lira 1.015 (rund € 159), der Maximalbetrag bei Lira 2.030 (rund € 317) (ÖB 10.2019).

Quellen:

 IOM – International Organization for Migration (Autor), veröffentlicht von ZIRF – Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (2019): Länderinformationsblatt Türkei 2019, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_Turkey_DE.pdf , Zugriff 10.10.2019

 ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_ÖB Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 10.10.2019

 SSA – Social Security Administration (9.2018): Social Security Programs Throughout the World: Europe, 2018: Turkey, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/europe/turkey.html , Zugriff 10.10.2019

 

Behandlung nach Rückkehr

Letzte Änderung am 29.11.2019

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, drohen polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Es kann davon ausgegangen werden, dass türkische Stellen Regierungsgegner, darunter insbesondere Anhänger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Gülen-Anhänger, im Ausland ausspähen (AA 14.6.2019). Personen, die für die PKK oder eine Vorfeldorganisation der PKK tätig waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen. Ähnliches gilt für andere Terrororganisationen (z.B. DHKP-C, türkische Hisbollah, Al-Qaida). Seit dem versuchten Militärputsch im Juni 2016 werden Personen, die mit dem Gülen-Netzwerk in Verbindung stehen, in der Türkei als Terroristen eingestuft. Nach Mitgliedern der Gülen-Bewegung, die im Ausland leben, wird zumindest national in der Türkei gefahndet; über Sympathisanten werden (eventuell nach Vernehmungen bei der versuchten Einreise) oft Einreiseverbote verhängt (ÖB 10.2019). Das türkische Außenministerium sieht auch die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) bzw. die Volksverteidigungseinheiten (YPG) als Teilorganisationen der als terroristisch eingestuften PKK (MFA o.D.).

Die türkische Regierung hat im Nachgang zu dem Putschversuch 2016 zahlreiche ausländische Regierungen um Mithilfe bei der Ermittlung von Mitgliedern des sog. „Gülen-Netzwerkes“ gebeten. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung zumindest als Propaganda für eine terroristische Organisation führen (AA 14.6.2019).

Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Im sich anschließenden Verhör durch einen Staatsanwalt oder durch einen von ihm bestimmten Polizeibeamten, wird der Festgenommene mit den schriftlich vorliegenden Anschuldigungen konfrontiert, ein Anwalt in der Regel hinzugezogen. Der Staatsanwalt verfügt entweder die Freilassung oder überstellt den Betroffenen dem zuständigen Richter, dieser entscheidet dann. Wenn aufgrund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Strafverfahren anhängig ist, wird die Person bei der Einreise festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt. Der Staatsanwalt überprüft von Amts wegen, ob der Betroffene von den geltenden Amnestiebestimmungen profitieren kann, oder ob Verjährung eingetreten ist. Sollte das Verfahren aufgrund der vorgenannten Bestimmungen ausgesetzt oder eingestellt sein, wird der Festgenommene freigelassen. Andernfalls fordert der Staatsanwalt beim Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, einen Haftbefehl an. Der Verhaftete wird verhört und mit einem richterlichen Haftbefehl dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, überstellt. Es ist in den letzten Jahren jedoch kein Fall bekannt geworden, in dem ein in die Türkei zurückgekehrter Asylwerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (AA 14.6.2019).

Abgeschobene türkische Staatsangehörige werden von der Türkei rückübernommen. Das Verfahren ist jedoch oft langwierig. Probleme von Rückkehrern infolge einer Asylantragstellung im Ausland sind nicht bekannt. Nach Artikel 23 der türkischen Verfassung bzw. Paragraf 3 des türkischen Passgesetzes ist die Türkei zur Rückübernahme türkischer Staatsangehöriger verpflichtet, wenn zweifelsfrei der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit vorliegt (ÖB 10.2019).

Die Pässe türkischer Staatsangehöriger im Ausland, die von den türkischen Behörden der Beteiligung an der Gülen-Bewegung verdächtigt werden, werden für ungültig erklärt und durch einen Ein-Tages-Pass ersetzt, mit dem sie in die Türkei zurückkehren können, um vor Gericht gestellt zu werden, wo sie ihre Unschuld zu beweisen haben. Lehrer und Militärangehörige scheinen besonders betroffen zu sein, sowie kritische Journalisten und, darüber hinaus, Kurden (UKHO 2.2018).

Es gibt Vereine, welche von türkischen Rückkehrern gegründet wurden. Hier werden spezielle Programme angeboten, welche die Rückkehrer in Fragen wie Wohnungssuche, Versorgung etc. unterstützen und zugleich eine Netzwerkplattform zur Verfügung stellen. Im Folgenden eine kleine Auswahl:

• Rückkehrer Stammtisch Istanbul, Frau Çiğdem Akkaya, LinkTurkey, E-Mail: info@link-turkey.com

• Die Brücke, Frau Christine Senol, Email: info@bruecke-istanbul.org , http://bruecke-istanbul.com/

• TAKID, Deutsch-Türkischer Verein für kulturelle Zusammenarbeit, ÇUKUROVA/ADANA, E-Mail. almankulturadana@yahoo.de , www.takid.org (ÖB 10.2019).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf , Zugriff 23.10.2019

 MFA - Republic of Turkey, Ministry of Foreign Affairs (o.D.): PKK, http://www.mfa.gov.tr/pkk.en.mfa , Zugriff 23.10.2019

 ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_ÖB Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 23.10.2019

 UKHO - United Kindom Home Office (2.2018): Country Policy and Information Note Turkey: Gülenist movement, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/682868/Turkey_-_Gulenists_-_CPIN_-_v2.0.pdf , Zugriff 23.10.2019

 

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der eingangs angeführte Verfahrensgang sowie die dazu getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensaktes der belangten Behörde sowie dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich des BF ergeben sich aus den einheitlichen, im Wesentlichen widerspruchsfreien Angaben im Verfahren vor dem Bundesamt sowie dem Bundesverwaltungsgericht und den vom BF vorgelegten Bescheinigungsmitteln.

 

Die festgestellten Tatsachen zum Aufenthalt und dem Privat- und Familienlebens des BF in Österreich ergeben sich aus den Akten der bB und des Bundesverwaltungsgerichtes sowie den Auskünften des BF in der Beschwerdeverhandlung.

 

Die Feststellungen zur Einreise des BF in Österreich, seinen Aufenthaltstiteln sowie die Feststellung, dass der BF kein begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne der Stillhalteklausel ist bzw. auf ihn auch nicht die Bestimmungen des FRG 1997 für begünstigte Drittstaatsangehörige bzw. des ARB 1/80 zur Anwendung gelangen würden, ergeben sich aus den eingesehenen Auszügen des Informationssystems Zentrales Fremdenregister, dem eingesehenen Sozialversicherungsdatenauszug sowie den Auskünften des BF in der Verhandlung.

 

Dass der BF im Inland strafrechtlich unbescholten ist, ergibt sich aus dem Strafregisterauszug der Republik Österreich.

 

Auch die in der gegenständlichen Entscheidung getroffenen Feststellungen zu den persönlichen Lebensumständen des BF in Österreich beruhen gänzlich auf den im Laufe des Verfahrens und in der Beschwerdeverhandlung getätigten Angaben des BF. Die Feststellung zu den im Inland absolvierten Arbeitszeiten ergibt sich aus dem Sozialversicherungsdatenauszug. Der BF hat in der Verhandlung auch die Richtigkeit des in diesem Auszug Verzeichneten bestätigt.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF basieren auf dessen Auskünften in der Beschwerdeverhandlung.

 

Die Feststellungen zur Integration des BF in Österreich und zu dessen Bindungen zur Türkei sowie den dortigen Lebensumständen resultieren ebenfalls aus den Auskünften des BF in der Beschwerdeverhandlung. Die Feststellung, dass der BF Deutsch auf niedrigem Niveau spricht, ergibt sich aus dem persönlichen Eindruck, den der BF diesbezüglich in der Beschwerdeverhandlung hinterlassen hat und dem Umstand, dass keine Nachweise über erfolgte Deutschprüfungen vorgelegt wurden. Zudem auch daraus, dass der BF bei sämtlichen Einvernahmen auf einen Dolmetscher angewiesen war.

 

2.3. Die bB hat die Ermittlungsergebnisse des von ihr geführten Verfahrens in der Begründung des angefochtenen Bescheides sowie die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen klar und übersichtlich zusammengefasst. Die bB hat den BF persönlich einvernommen und zudem Auskünfte auf schriftlichem Wege eingeholt. In der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hat der BF die Gelegenheit erhalten, zum begründeten Verdacht der Scheinehe persönlich Stellung zu beziehen und sich auch umfassend zu seinem Privat-und Familienleben sowie zu seiner Integration und allfälligen Rückkehrbefürchtungen zu äußern.

 

2.4. Im Verfahren sind keine Ermittlungsergebnisse hervorgekommen, die darauf schließen lassen, dass die BH XXXX bei der Erteilung des Aufenthaltstitels bis 22.06.2019 von der missbräuchlichen Eheschließung des BF gewusst hat. Aus dem Akt ist ersichtlich, dass die BH XXXX erst beim Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels Zweifel gekommen sind und sogleich entsprechende Ermittlungen eingeleitet wurden.

2.4. Zu den Feststellungen, warum das Bundesverwaltungsgericht vom Vorliegen einer Scheinehe ausgeht, sind insbesondere folgende Erwägungen maßgeblich:

Vom BF wurde bereits kurz nach der Hochzeit bei der BH XXXX darauf gedrängt, den Zweckwechselantrag rasch zu erledigen. Im Zuge der Verlängerung musste er am 05.04.2019 der BH XXXX gegenüber eingestehen, dass er Unterlagen seiner Gattin nicht vorlegen könne, weil die Ehe zerrüttet sei. Eine Wohnsitzverlegung der Gattin hatte der BF der BH nicht angezeigt. Aufgrund des Verdachtes einer Scheinehe wurden daraufhin von der LPD Oberösterreich diesbezügliche Ermittlungen aufgenommen und der BF am 11.06.2019 und seine Gattin am 17.05.2019 jeweils als Beschuldigte einvernommen. Aufgrund der beiden Einvernahmen wurde festgestellt, dass die Angaben der beiden zur angeblich gemeinsamen Lebensführung derart divergieren, dass vom Bestehen einer Scheinehe ausgegangen werden muss und wurde diesbezüglich am 16.06.2019 ein Abschlussbericht von der PI XXXX an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Darin angeführt wurde insbesondere, dass beide Beschuldigten ungenaue bis keine Angaben zu nahen Angehörigen des jeweiligen Ehepartners tätigten konnten. Auch stimmten die Angaben zum Kennenlernen und die Gründe für die danach in sehr kurzem zeitlichen Abstand stattgefundene Hochzeit nicht überein. Die Gattin des BF gab zudem ein abweichendes Datum der Eheschließung bekannt und stimmten auch die Ausführungen über die Hochzeitstafel nicht überein. Beide gaben an, dass der jeweils andere die Hochzeit und das Aufgebot bestellt hätte. Krass unterschiedlich fielen auch die Antworten zu den Fragen über Lieblingsspeisen, gemeinsame Aktivitäten, Freizeitbeschäftigungen und Hobbys und in welchem Stockwerk die gemeinsam benützte Wohnung liegen würde. Konträr fielen auch die Ausführungen zu den Mietkosten der Wohnung und wer für diese aufkommt, aus.

Bei der am 06.08.2019 durchgeführten Einvernahme vor dem Bundesamt führte der BF aus, dass die Ehe nicht so gut laufe, er sich aber mit seiner Frau versöhnen wollte. Eine Scheidung strebe er nicht an. Den letzten persönlichen Kontakt hätte es im Februar 2019 gegeben. Unplausibel dann die Ausführungen des BF, dass er seit Mitte März nicht mehr mit seiner Gattin zusammen wohnen würde, weil der letzte Kontakt ja im Februar gewesen sei. Auch auf seinen beim Zuzug nach Österreich erhaltenen Aufenthaltstitel „Studierender“angesprochen machte der BF ausweichende und unglaubhafte Angaben. So hätte er mit dem Studium noch nicht begonnen, weil er nur Deutsch gelernt hätte. Weiter konnte er nicht einmal die korrekte Bezeichnung des Studiengangs selbst bekannt geben, es wäre schon so viel Zeit vergangen, war die ausweichende Antwort. Auch Studienerfolgsnachweise konnte er nicht in Vorlage bringen. Nachdem der BF im November 2017 beabsichtigte an der JKU XXXX zu studieren und ihm aus diesem Grund der Aufenthaltstitel „Studierender“ ausgestellt wurde, er jedoch im August 2019, demnach annähernd zwei Jahre später noch kein Studium begonnen hatte, sind auch die Angaben zu dem beabsichtigten Studium mehr als unglaubwürdig und war davon auszugehen, dass sich der BF auch diesen Aufenthaltstitel erschlichen hat.

Die Gattin des BF wiederum wurde am 27.09.2019 gegen 00:30 Uhr von einer Streife der PI XXXX im Fahrzeug ihres Vaters auf einem Parkplatz in XXXX angetroffen. Im Fahrzeug befand sich weiter XXXX . Der Polizei gegenüber gab sie bekannt, dass XXXX ihr Freund sei. Weiterführend gab sie bekannt, dass ihr der Vater einer Arbeitskollegin € 10.000,- geboten hätte, falls sie den BF heiraten würde. Die Ehe wäre jedenfalls eine Scheinehe. Der Vater der Freundin wäre ein guter Freund von einem Onkel des BF, sein Name sei XXXX . Ihre Eltern wären nicht bei der Hochzeit gewesen, weil sie davon nichts gewusst hätten. Sie hätte jedenfalls bis dato nur € 4.500,- erhalten und wäre die Ehe auch nie vollzogen worden.

Von der BH XXXX wurde die Gattin des BF am 08.06.2020 wegen des Verdachtes einer Aufenthaltsehe niederschriftlich einvernommen. Dabei teilte sie mit, dass sie von einer Freundin, Frau XXXX , im Jahr 2017 gefragt worden sei, ob sie nicht an einer Scheinehe Interesse hätte. In weiterer Folge wurde dann von Ali SHABAB Druck auf sie ausgeübt, indem dieser ihr verständlich machte, dass sie nichts zu verlieren hätte und zudem Geld bekommen würde. Nach ihrer Zustimmung wäre in XXXX nach einer Wohnung gesucht worden. Für die Wohnungseinrichtung wäre ihr ein Zuschuss von € 3.000,- gewährt worden. Als Dauer der Ehe wäre ein Jahr vereinbart worden. Sie würde jetzt wieder bei den Eltern wohnen. Ihren Eltern hätte sie in der Annahme der ohnehin nur einjährigen Ehe nichts davon erzählt. Das Eheleben in XXXX hätte nur auf Meldezetteln bestanden, ein gemeinsames Familienleben hätte es nie gegeben, die Ehe wäre auch nicht vollzogen worden.

Mit den Angaben der Gattin konfrontiert, brachte das Bundesamt lediglich von der rechtlichen Vertretung des BF in Erfahrung, dass dieser keine Angaben machen werde. Die Behauptungen der Gattin würden jedoch nicht der Realität entsprechen und werde der BF Verleumdungs- und Scheidungsklage einreichen. Derartige rechtliche Schritte wurden bis dato nicht in die Wege geleitet.

Bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte der BF schließlich aus, dass er sich mit seiner Gattin versöhnt hätte und beide in XXXX bei den Schwiegereltern des BF wohnen würden. Auch in der mündlichen Verhandlung konnte der BF die Unstimmigkeiten nicht aufklären und gab abermals zur Gattin differierende Angaben bekannt. So führte er zum Kennenlernen aus, dass er seine Gattin beim Modegeschäft ZARA in der Plus-City das erste Mal gesehen hätte und diese öfter mit ihrer Freundin Dilan in das Lokal seiner vier Onkel in Auwiesen gekommen wäre. Von der Gattin wurde bekannt gegeben, dass sie den BF über Facebook kennengelernt hätte. Der BF konnte auch kein genaues Datum der Versöhnung bekannt geben, er mutmaßte den 24.07.2020 (drei Tage nach Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides) und meinte, dass es in diesem Zeitraum gewesen sein musste. Vom BF wurde auch abgestritten, dass er am 09.07.2020 dem Bundesamt bekannt gab, sich scheiden zu lassen und eine Verleumdungsklage einzubringen. Er hätte zu niemanden so etwas gesagt, war aber lediglich der simple Versuch, dieses Ereignis zu bagatellisieren. Auf die Frage, warum seine Gattin derart schwerwiegende Anschuldigungen erhebt, verantwortet er sich damit, dass er sich mit anderen Mädchen getroffen hätte und sie vermutlich eifersüchtig gewesen sei. Dem BF war es insgesamt nicht möglich, die massiven und vielfältigen Widersprüche aufzuklären, weshalb das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Ehe einzig zum Zweck der Erhaltung eines Aufenthaltstitels für den BF geschlossen wurde.

Dieser Eindruck wird noch zusätzlich dadurch verstärkt, dass der BF drei Tage nach Erhalt des gegenständlichen Bescheides Versöhnungsversuche gestartet hätte und sich am 05.08.2020 an der Adresse der Gattin und deren Eltern in XXXX polizeilich anmeldete. So führte er auch in der Verhandlung aus, dass beide wieder zusammenwohnen würden. Eine Anfrage im ZMR ergab jedoch, dass sich der BF bereits am 21.10.2020 wieder abmeldete, ohne seine Frau nach 5101 Bergheim zog und seit 21.12.2020 alleine in XXXX XXXX , XXXX gemeldet ist.

Der Zeuge XXXX stritt in der mündlichen Verhandlung jedwede Beteiligung oder Anstiftung an der Scheinehe ab. Er wäre sicher nicht die Person gewesen, die der Gattin des BF Geld für die Hochzeit angeboten hätte. Seine Angaben sind jedoch absolut unglaubwürdig, dies manifestiert sich schon darin, dass er die Frage, warum er bei der Hochzeit dabei war und die enge Verwandtschaft des Brautpaares nicht, dahingehend beantwortete, dass er von XXXX XXXX darum gebeten wurde, damit ein paar Personen anwesend sind. Auch die Frage, warum er Trauzeuge gewesen wäre, wurde damit beantwortet, dass ihm XXXX gesagt hätte, er solle mitkommen, damit ein paar Personen anwesend sind. Zudem war dem Zeugen nicht einmal bekannt, ob er Trauzeuge des Bräutigams oder der Braut war. Die gleichlautenden und vagen Angaben sollten offenbar verhindern, dass sich der Zeuge widerspricht bzw. die ohnehin schon bestehenden Widersprüche vielleicht noch verstärkt.Auch seine Tochter XXXX , konnte sich bei ihrer Befragung als Zeugin in der mündlichen Verhandlung nicht erinnern, ob sie Trauzeugin gewesen wäre. Die diesbezüglich explizit gestellte Frage wurde von ihr damit beantwortet, dass sie nicht mehr wisse, ob sie unterschrieben hätte oder nicht. Von XXXX wurde jegliche Mitwisserschaft an der Scheinehe geleugnet. Auffällig ist jedoch, dass sie angab, dass sie mit der Gattin des BF während dieser Zeit nie über Ehe- und Zukunftspläne geredet hätte. Dies zu einer Zeit, als die beiden Arbeitskolleginnen und angeblich beste Freundinnen gewesen wären.

Außergewöhnlich ist auch, dass sowohl die Gattin und die Schwiegereltern des BF, sowie XXXX trotz ordnungsgemäß zugestellter Ladung unentschuldigt nicht zur Verhandlung erschienen sind, was offensichtlich darin gründet, keine falschen Aussagen tätigen zu wollen bzw. die ohnehin schon massiv in Erscheinung getretenen Widersprüche noch zu verstärken. Offenbar wollte man auch einer strafgerichtlichen Verfolgung wegen falscher Zeugenaussage entgehen.

Insgesamt vermochte es der BF mit seinen in der Beschwerde sowie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung getätigten Äußerungen der Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht überzeugend entgegenzutreten, worauf in der rechtlichen Beurteilung noch eingehend einzugehen sein wird.

Im Zusammenhang mit dem erwarteten strafgerichtlichen Urteil ist darauf zu verweisen, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen unabhängig und eigenständig, von denen des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt daher dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Bereits dieses Verhalten zeigt das Werteverständnis des BF, welches als nicht dem österreichischen angepasst erscheint bzw. die deutlich Missachtung der österreichischen Rechtsordnung aufzeigt. Die Handlungen des BF werden vom Bundesverwaltungsgericht – wie schon vom Bundesamt - als besonders gravierendes Fehlverhalten beurteilt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zeigte sich, dass der BF zum Unrechtsgehalt seiner Taten nach wie vor in keiner Weise einsichtig ist und hat er sich mit seinem Verhalten und dessen Folgen bisher auch nicht wirklich auseinandergesetzt. Auch eine Verhaltensänderung kam nicht hervor. Insbesondere versuchte er den Verdacht der Scheinehe damit zu entkräften, dass es die Hochzeit aus Liebe erfolgt wäre und er ohnehin wieder bei seiner Gattin und deren Eltern wohnen würde. Auch hätte er nie vorgehabt, seine Gattin wegen Verleumdung zu klagen bzw. auch eine Scheidungsklage einzubringen.

Die dargestellten sich einander mehrfach widersprechenden Aussagen des BF und seiner Gattin in der Verhandlung in wesentlichen Punkten rechtfertigen aufgrund von diesen Widersprüchlichkeiten die Feststellung, dass der BF rechtsmissbräuchlich eine geschlossene Ehe hat und diese nur zu dem Zweck geschlossen hat, um in Österreich einen Aufenthaltstitel zu erlangen, hier arbeiten zu können und nach Österreich zuzuwandern zu können und ein tatsächliches Familienleben nie geführt wurde. Diese Feststellungen gründen aber auch auf den mit den in der Verhandlung getätigten Angaben, die sich wie aufgezeigt wesentlich mit den Angaben seiner Gattin widersprechen.

Aufgrund dieser Widersprüche und der dadurch bewirkten Unglaubwürdigkeit des BF und der Zeugen ergeben sich aber auch die Feststellungen, dass der BF weder bei der Eheschließung noch danach ein tatsächliches Eheleben mit seiner Gattin geführt hat und kein gemeinsamer Haushalt bestanden hat. Es bestand demnach nie ein Wille, ein tatsächliches Eheleben zu führen.

Zusammenfassend ist daher dem BFA beizupflichten, dass der BF eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung der auf Grund des Fehlverhaltens und der sonstigen persönlichen Umstände des BF getroffenen Gefährlichkeitsprognose wurde auch die Dauer des Einreiseverbotes durch das Bundesamt entsprechend festgesetzt.

2.5. Zur abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen und in den Feststellungen zitierten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.

Zur Sicherstellung der notwendigen Ausgewogenheit in der Darstellung wurden Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

 

3.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF) entscheidet das Bundesverwaltungs-gericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 idgF entscheidet im gegenständlichen Fall der Einzelrichter.

 

3.1.3. Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft und hat das ho. Gericht im gegenständlichen Fall gem. § 17 leg. cit das AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

 

3.1.4. Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

 

Zu A) (Spruchpunkt I)

 

3.2. Rückkehrentscheidung

Art. 6 ARB 1/80 des Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation lautet:

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt; nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben; nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die auf Grund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt.

Im gegenständlichen Fall ergibt sich daraus Folgendes:

Der BF erfüllt die Voraussetzungen für eine Begünstigung nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation nicht, zumal er – wie sich dem österreichischen Sozialversicherungsdatenauszug entnehmen lässt – zwar zunächst von 01.03.2018 bis 09.03.2018 und von 11.04.2018 bis 31.08.2018 als geringfügig Beschäftigter, von 01.09.2018 bis 15.03.2020 als Vollzeitbeschäftigter tätig war, sohin über ein Jahr und etwa 10 Monate ununterbrochen in Beschäftigung stand und auch die nachfolgende Unterbrechung bis zur Aufnahme einer Arbeit bei einem anderen Arbeitgeber einer weiteren Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt nicht abträglich war; durch die Unterbrechung seiner beruflichen Tätigkeit vom 16.03.2020 bis 09.04.2020 sind die aufgrund der vorgenannten Dienstzeiten erworbenen Rechte aus dem Abkommen jedoch erloschen und ist die Dauer der danach eingegangenen Beschäftigung ab dem10.04.2020 bis dato – dies ist die letzte Beschäftigung die im österreichischen Sozialversicherungsdatenauszug verzeichnet ist – zu kurz, als dass für den BF daraus eine neuerliche Begünstigung nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation für den BF abgeleitet werden könnte.

3.3. Rückkehrentscheidung im Zusammenhang mit den angewendeten Bestimmungen

Die Behörde hat ihre Entscheidung richtigerweise auf § 52 Abs. 4 Z 1 FPG gestützt, da der BF über einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ verfügt, dessen Gültigkeit bereits abgelaufen ist und der eingebrachte Verlängerungsantrag von der BH XXXX am 13.08.2020 abgewiesen wurde. Zudem liegen die Voraussetzungen gem. § 53 Abs. 2 Z 8 FPG vor. Ausgeführt wurde, dass von einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch den BF auszugehen ist, da eine Ehe geschlossen wurde, um sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels darauf zu berufen, aber mit der Ehegattin kein gemeinsames Familienleben iSd Art 8 EMRK geführt wurde.

3.3.1. Gesetzliche Grundlagen (auszugsweise):

Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) lauten:

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;

2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

 

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a rechtzeitig erfüllt hat.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

2. der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können.

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15), ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

(6) Die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs. 2 Z 2 bis 4 mit einer Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) erbringen zu können, muss ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.

(7) Der Fremde hat bei der Erstantragstellung ein Gesundheitszeugnis vorzulegen, wenn er auch für die Erlangung eines Visums (§ 21 FPG) ein Gesundheitszeugnis gemäß § 23 FPG benötigen würde.

[…]

Verlängerungsverfahren

§ 24. (1) Verlängerungsanträge (§ 2 Abs. 1 Z 11) sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen; § 23 gilt. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmungen nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Fremden auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur visumfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.

(2) Anträge, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellt werden, gelten nur dann als Verlängerungsanträge, wenn

1. der Antragsteller gleichzeitig mit dem Antrag glaubhaft macht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, rechtzeitig den Verlängerungsantrag zu stellen, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, und

2. der Antrag binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt wird; § 71 Abs. 5 AVG gilt.

Der Zeitraum zwischen Ablauf der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels und der Stellung des Antrages, der die Voraussetzungen der Z 1 und 2 erfüllt, gilt nach Maßgabe des bisher innegehabten Aufenthaltstitels als rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt.

(3) Fremden ist im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens ein Aufenthaltstitel mit dem gleichen Aufenthaltszweck zu erteilen, wenn die Voraussetzungen für diesen weiterhin vorliegen.

(4) Mit einem Verlängerungsantrag (Abs. 1) kann bis zur Erlassung des Bescheides ein Antrag auf Änderung des Aufenthaltszwecks des bisher innegehabten Aufenthaltstitels oder auf Änderung des Aufenthaltstitels verbunden werden. Sind die Voraussetzungen für den beantragten anderen Aufenthaltszweck oder Aufenthaltstitel nicht erfüllt, ist darüber gesondert mit Bescheid abzusprechen und der bisherige Aufenthaltstitel mit dem gleichen Aufenthaltszweck zu verlängern, soweit die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen.

Verfahren im Fall des Fehlens von Erteilungsvoraussetzungen für die Verlängerung eines Aufenthaltstitels

§ 25. (1) Fehlen in einem Verfahren zur Verlängerung des Aufenthaltstitels Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 1 und 2, so hat die Behörde - gegebenenfalls nach Einholung einer Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - den Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass eine Aufenthaltsbeendigung gemäß §§ 52 ff. FPG beabsichtigt ist und ihm darzulegen, warum dies unter Bedachtnahme auf den Schutz seines Privat- oder Familienlebens (§ 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012) zulässig scheint. Außerdem hat sie ihn zu informieren, dass er das Recht hat, sich hiezu binnen einer gleichzeitig festzusetzenden, 14 Tage nicht unterschreitenden Frist zu äußern. Nach Ablauf dieser Frist hat die Behörde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - gegebenenfalls unter Anschluss der Stellungnahme des Fremden - zu verständigen. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(2) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist das Verfahren über den Verlängerungsantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels formlos einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung auf Antrag des Fremden fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird. Ist eine Aufenthaltsbeendigung unzulässig, hat die Behörde einen Aufenthaltstitel mit dem gleichen Zweckumfang zu erteilen.

(3) Fehlen in einem Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels besondere Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles, hat die Behörde den Antrag ohne weiteres abzuweisen."

 

Nach der Judikatur des VwGH liegt eine Aufenthaltsehe im Sinne des § 30 NAG in Verbindung mit § 54 Abs. 7 NAG dann vor, wenn sich ein Fremder für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels auf eine von ihm geschlossene Ehe beruft, er in diesem Zeitpunkt jedoch kein gemeinsames Familienleben mit seinem Ehegatten im Sinne des Art. 8 EMRK führt (vgl. VwGH 19.09.2012, 2008/22/0243). Ein formelles Band der Ehe reicht nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des Drittstaatsangehörigen abzuleiten (vgl. VwGH 27.04.2017, Ro 2016/22/0014). In zeitlicher Hinsicht muss das Berufen auf ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem ein Familienleben nicht (mehr) geführt wird (vgl. VwGH 27.01.2011, 2008/21/0633).

 

Eine für den Erwerb bzw. die Aufrechterhaltung eines (unionsrechtlichen) Aufenthaltsrechtes erforderliche tatsächliche und eheliche Lebensgemeinschaft ist dann anzunehmen, wenn die Ehepartner erkennbar in einer dauerhaften, durch enge Verbundenheit und gegenseiteigen Beistand geprägten Beziehung zusammenleben oder zusammenleben wollen. Vorausgesetzt ist somit eine Verbindung zwischen den Eheleuten, deren Intensität über die einer Beziehung zwischen Freunden in einer reinen Begegnungs- oder Gesinnungsgemeinschaft hinausgeht (vgl. Abermann/Czech/Kind/Peyrl, NAG-Kommentar, § 30, Rz 7).

 

Nach der Judikatur des VwGH setzt die fremdenpolizeiliche Feststellung, eine Ehe sei nur zum Schein geschlossen worden, nicht voraus, dass die Ehe für nichtig erklärt wurde (vgl. VwGH 23.03.2010, 2010/18/0034). Damit ist die Frage bejaht, ob durch die Verwaltungsbehörde - wie hier im Zuge der Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme - eine eigene Beurteilung des Vorliegens einer Scheinehe erfolgen darf (VwGH 25.09.2017, Ra 2017/20/0293).

 

Mit der Erlassung dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wird daher noch keine Aussage darüber getroffen, ob auch der Straftatbestand des § 117 FPG verwirklicht wurde. Umso weniger setzt die fremdenpolizeiliche Feststellung, eine Ehe ist nur zum Schein geschlossen worden, voraus, dass der Scheinehepartner (vom Gericht) gemäß § 117 (Abs. 1 oder 2) FPG bestraft (vgl. VwGH 23.03.2010, 2010/18/0034) oder eine Anzeige gemäß § 117 FPG erstattet worden ist (VwGH 21.06.2012, 2012/23/0022; VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349).

 

3.3.2. Wie in der Beweiswürdigung umfangreich ausgeführt, hat das Ermittlungsverfahren ergeben, dass der BF mit seiner Gattin kein aufrechtes Eheleben und somit kein aufrechtes Familienleben iSd. Art 8 EMRK nachzuweisen vermochte, aber dennoch erstmalig am 15.06.2018 einen Antrag auf Ausstellung des Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ unter Berufung auf die mit XXXX am 08.05.2018 geschlossenen Ehe gestellt hat, sodass gegenständlich vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe iSd. § 30 NAG auszugehen ist.

 

Fest steht für das erkennende Gericht auch, dass der BF die Ehe mit XXXX ausschließlich zu dem Zweck eingegangen ist, um in Österreich einen Aufenthaltstitel beantragen zu können, um in Österreich arbeiten zu können und nach Österreich zuwandern zu können. Ein Familienleben wurde nie geführt. Es bestand auch kein gemeinsamer Haushalt. Dieses Verhalten stellt ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen und einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

 

Bei der Prüfung, ob die Annahme, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten (zu ergänzen: unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat) eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. E 14. April 2011, 2008/21/0257)." (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

 

3.3.3. Auf Grund der von der rechtsmissbräuchlichen Eingehung einer Ehe bewirkten Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens kann der Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG erfüllt sein (VwGH 19.06.2008, 2007/18/0041). Ein derartiges Fehlverhalten kann daher einen Grund für eine Ausweisung gemäß § 54 FPG (nunmehr § 52 Abs. 4 FPG) darstellen (vgl. die auf den vorliegenden Fall übertragbare ältere Rechtsprechung; vgl. in diesem Zusammenhang VwGH 17.06.2019, Ra 2019/22/0096).

 

Der BF, der im Besitz des Aufenthaltstitels „Studierender“ war, hat die Ehe am 08.05.2018 rechtsmissbräuchlich geschlossen und aufgrund dieser Aufenthaltsehe erstmals am 15.06.2018 einen Zweckwechselantrag auf „Familienangehöriger“ eingebracht, was am 22.06.2018 zur Ausstellung des Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ führte. Auch beim Verlängerungsantrag hat sich der BF auf das Bestehen dieser rechtsmissbräuchlich geschlossenen Aufenthaltsehe berufen. Das Verfahren hat keinen Anhaltspunkt ergeben, dass die BH XXXX , die dem BF die Aufenthaltstitel erteilt hat, im Zeitpunkt der Erteilung bewusst war, dass der BF die Ehe rechtsmissbräuchlich geschlossen hat.

 

Nicht nur das Eingehen einer rechtsmissbräuchlichen Ehe stellt eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dar. Eine solche erhebliche Beeinträchtigung ist gerade dann gegeben, wenn sich die Fremde auf diese rechtsmissbräuchlich geschlossene Ehe mehrfach beruft, um für sich ein Recht, wie die Ausstellung eines Aufenthaltstitels und/oder den Zugang zum Arbeitsmarkt, in Anspruch nimmt um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu verlängern und um die Regelungen einer geordneten Zuwanderung zu umgehen. Der BF hat sich zu diesem Zweck mehrfach auf die rechtsmissbräuchlich geschlossene Ehe berufen, um einen Aufenthaltstitel und Zugang zum Arbeitsmarkt zu erlangen und so rechtsmissbräuchlich seinen Aufenthalt im Bundesgebiet verlängert. Der BF hat auch noch in der mündlichen Verhandlung am 14.09.2020 angegeben, seine Gattin aus Liebe geheiratet zu haben und mit ihr zusammengewohnt und ein Familienleben geführt zu haben. Der BF bestreitet somit weiterhin, eine Aufenthaltsehe geschlossen zu haben.

Ein derartiges, bis dato andauerndes Verhalten, stellt nach Auffassung des erkennenden Gerichtes auch vor dem Hintergrund, dass die Ehe am 08.05.2018 geschlossen wurde, die BF sich in der Folge aber immer wieder auf die rechtmissbräuchlich geschlossene Ehe zur Erlangung eines Aufenthaltstitels berufen hat, eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dar.

 

Der Aufenthalt der BF wiederstreitet daher den öffentlichen Interessen iSd § 11 Abs. 2 Z 1 NAG.

 

Bei der Beurteilung der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG 2005 muss nicht auf das Vorliegen einer rechtskräftigen Bestrafung abgestellt werden. Auch das Anzeigen an Behörden oder Gerichten zu Grunde liegende Verhalten kann - wie auch sonstiges Fehlverhalten (Hinweis E vom 23. März 2001, 99/19/0123, ergangen zu § 10 Abs. 2 Z 3 FrG 1997, sowie E vom 16. Dezember 2008, 2007/18/0443, zu § 54 FrPolG 2005) - zur Annahme führen, der Aufenthalt eines Fremden würde eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit hervorrufen (§ 11 Abs. 4 Z 1 NAG 2005), und sohin öffentlichen Interessen im Sinne des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG 2005 widerstreiten. Bei der Beurteilung, ob eine solche Annahme gerechtfertigt ist, ist aber nicht auf die bloße Tatsache der Erstattung von Anzeigen, sondern auf die Art und Schwere des den Anzeigen zu Grunde liegenden Fehlverhaltens, welches von der Behörde festzustellen ist, abzustellen (Hinweis E vom 28. Februar 2008, 2006/21/0218, und vom 18. September 2008, 2008/21/0371). (vgl. VwGH 03.04.2009, 2008/22/0711)

Für das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ist es nicht erforderlich, dass eine Anzeige oder gar Verurteilung des Fehlverhaltens vorliegt. Es ist vielmehr auf die Art und Schwere des Fehlverhaltens, welches von der Behörde festzustellen ist, abzustellen (Hinweis E 3. April 2009, 2008/22/0711).

Wie unten näher ausgeführt wird, widerstreitet der weitere Aufenthalt des BF im Bundesgebiet aufgrund seines Verhaltens, welches in dem Eingehen einer Aufenthalts- bzw. Scheinehe mündete, demnach den Bestimmungen des § 117 FPG entspricht, den öffentlichen Interessen und ist sohin gegenständlich der Tatbestand des § 52 Abs. 4 Z 1 FPG iVm. § 11 Abs. 2 Z 1 NAG […Aufenthaltstitel dürfen Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet…] erfüllt.

Da sich dies als nachträglicher Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 1 und 2 NAG im Sinne des § 52 Abs. 4 Z 1 FPG darstellt, war gegen den BF eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

§ 9 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,4. der Grad der Integration,5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

 

Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“

 

Für die Beurteilung ob ein relevantes Privat- und/oder Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliegt sind nach der höchstgerichtlichen Judikatur insbesondere nachfolgende Umstände beachtlich:

 

Privatleben

Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Rückkehrentscheidungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Bei der Schutzwürdigkeit des Privatlebens manifestiert sich der Grad der Integration des Fremden insbesondere an intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen (vgl. EGMR 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 5.7.2005, 2004/21/0124; 11.10.2005, 2002/21/0124).

 

Familienleben

Das Recht auf Achtung des Familienlebens iSd Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben;

das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR Kroon, VfGH 28.06.2003, G 78/00); etwa bei Zutreffen anderer Faktoren aus denen sich ergibt, dass eine Beziehung genügend Konstanz aufweist, um de facto familiäre Bindungen zu erzeugen: zB Natur und Dauer der Beziehung der Eltern und insbesondere, ob sie geplant haben ein gemeinsames Kind zu haben; ob der Vater das Kind als eigenes anerkannt hat; ob Unterhaltszahlungen für die Pflege und Erziehung des Kindes geleistet wurden; und die Intensität und Regelmäßigkeit des Umgans (EGMR v. 8.1.2009, Zl 10606/07, Fall Grant gg. Vereinigtes Königreich).

Kinder werden erst vom Moment ihrer Geburt an rechtlich Teil der Familie. Zu noch ungeborenen Kindern liegt somit bis dahin (noch) kein schützenswertes Familienleben iSd Art 8 EMRK vor (vgl. zB VfGH 24.02.2003, B 1670/01; EGMR 19.02.1996, GÜL vs Switzerland).

Der Begriff des Familienlebens ist jedoch nicht nur auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere „de facto Beziehungen“ ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marckx, EGMR 23.04.1997, X ua).

Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 2006, B 1277/04, unter Hinweis auf die Judikatur des EGMR; des Weiteren auch das Erkenntnis des VwGH vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/20/0423 und die darauf aufbauende Folgejudikatur, etwa die Erkenntnisse vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/20/0235, vom 8. Juni 2006, Zl. 2003/01/0600, vom 22. August 2006, Zl. 2004/01/0220 und vom 29. März 2007, Zl. 2005/20/0040, vom 26. Juni 2007, 2007/01/0479).

 

Alle anderen verwandtschaftlichen Beziehungen (zB zwischen Enkel und Großeltern, erwachsenen Geschwistern [vgl. VwGH 22.08.2006, 2004/01/0220, mwN; 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723-8], Cousinen [VwGH 15.01.1999, 97/21/0778; 26.6.2007, 2007/01/0479], Onkeln bzw. Tanten und Neffen bzw. Nichten) sind nur dann als Familienleben geschützt, wenn eine „hinreichend starke Nahebeziehung“ besteht. Nach Ansicht der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist für diese Wertung insbesondere die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung (vgl. VfSlg 17.457/2005). Dabei werden vor allem das Zusammenleben und die gegenseitige Unterhaltsgewährung zur Annahme eines Familienlebens iSd Art 8 EMRK führen, soweit nicht besondere Abhängigkeitsverhältnisse, wie die Pflege eines behinderten oder kranken Verwandten, vorliegen.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Für den BF ergibt sich daraus Folgendes:

 

Der BF weist keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich auf. Bei der Ehe mit XXXX handelt es sich um eine Scheinehe. Im Bundesgebiet leben noch der Bruder des BF, eine Tante und fünf Onkel. Zu keinem dieser Verwandten besteht ein Abhängigkeitsverhältnis. Aktuell lebt er auch mit niemandem zusammen. Damit liegt kein Familienleben im Sinne des Artikels 8 EMRK vor.

 

Für einen Eingriff in ein relevantes Privatleben in Österreich bedarf es diesbezüglich einer Abwägung der persönlichen Interessen an einem Verbleib mit den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendung und somit einer Prüfung, ob eine Rückkehrentscheidung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Im vorliegenden Fall ist der Eingriff gesetzlich vorgesehen und verfolgt gem. Art 8 Abs 2 EMRK legitime Ziele, nämlich

- die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, worunter auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist;

- das wirtschaftliche Wohl des Landes;

- zur Verhinderung von strafbaren Handlungen;

- die Verteidigung der Ordnung;

- zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

 

Öffentliche Ordnung

Der EGMR geht davon aus, dass die Konvention kein Recht auf Aufenthalt in einem bestimmten Staat garantiert. Der EGMR erkennt in stRsp weiters, dass die Konventionsstaaten nach völkerrechtlichen Bestimmungen berechtigt sind, Einreise, Rückkehrentscheidung und Aufenthalt von Fremden ihrer Kontrolle zu unterwerfen, soweit ihre vertraglichen Verpflichtungen dem nicht entgegenstehen (vgl. uva. zB. Urteil Vilvarajah/GB, A/215 § 102 = NL 92/1/07 und NL 92/1/27f.). Die Schaffung eines Ordnungssystems mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt wird, ist auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) daher ein hoher Stellenwert zu (VfGH 29.9.2007, B 328/07, VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251 uva.). Die Rückkehrentscheidung kann in solchen Fällen trotz eines vielleicht damit verbundenen Eingriffs in das Privatleben und/oder Familienleben erforderlich sein, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte (VwGH 21.2.1996, 95/21/1256). Aus Art 8 EMRK ist zudem kein Recht auf Wahl des Familienwohnsitzes ableitbar (VfGH 13.10.2007, B1462/06 mwN).

 

Wirtschaftliches Wohl

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist auch für das wirtschaftliche Wohl des Landes (vgl zB EGMR 31.7.2008, Darren Omoregie u.a. gg. Norwegen) von besonderer Bedeutung, da diese sowohl für den geordneten Arbeitsmarkt als auch für das Sozial- und Gesundheitssystem erhebliche Auswirkung hat.

Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass insbesondere bei nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen Fremden, welche daher auch grds. über keine arbeitsrechtliche Berechtigung verfügen, idR die reale Gefahr besteht, dass sie zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes in die gesellschaftlich unerwünschte, aber doch real vorhandene Schattenwirtschaft ausweichen, was wiederum erhebliche Folgewirkungen auf den offiziellen Arbeitsmarkt, das Sozialsystem und damit auf das wirtschaftliche Wohl des Landes hat (vgl. ÖJZ 2007/74, Peter Chvosta, Die Rückkehrentscheidung von Asylwerbern und Art 8 EMRK, S 857 mwN).

 

Im Einzelnen ergibt sich unter Beachtung der in § 9 Abs 2 AsylG genannten Determinanten Folgendes:

 

Zur Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:

Der BF hält sich seit November 2017 in Österreich auf. Zu Beginn des Aufenthalts im Bundesgebiet verfügte er über einen Aufenthaltstitel „Studierender“, nach der Hochzeit erteilte ihm die zuständige BH den Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“. Nach rechtzeitiger Stellung eines Verlängerungsantrages wurde dieser von der BH XXXX am 13.08.2020 abgewiesen. Beide Aufenthaltstitel wurden vom BF erschlichen.

 

Zur Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstaates bewusst waren / Grad der Integration

Der BF hält sich nunmehr über einen Zeitraum von etwas mehr als drei Jahren in Österreich auf, wobei in diesem Zusammenhang zu beachten ist, dass dieser Aufenthalt seit 22.06.2018 auf einer geschlossenen Scheinehe basiert und auch der Aufenthaltstitel „Studierender“ erschlichen war, da der BF bei gericht nicht einmal angeben konnte, welches Fach er denn studiert hätte und auch nie einen Studienerfolg nachgewiesen hat.

Im Hinblick auf die Frage einer allfälligen Integration des BF im heimischen Arbeitsmarkt war auf Grund des Sozialversicherungsauszuges, wie bereits ausgeführt, festzustellen, dass der BF im Bundesgebiet vom 01.03.2018 bis zum 09.03.2018 bei der Fa. XXXX und vom 11.04.2018 bis zum 31.08.2018 bei der Fa. XXXX als geringfügig Beschäftigter tätig war. Als Vollzeitarbeiter war er vom 01.09.2018 bis zum 15.03.2020 und ab 10.04.2020 bis dato wiederum bei der Fa. XXXX beschäftigt.

Der BF weist, wie die mündliche Beschwerdeverhandlung ergab, auch nur Deutschkenntnisse auf niedrigem Niveau und die üblichen sozialen Kontakte auf. So legte er bis dato auch keine Zertifikate oder Zeugnisse über erfolgte Deutschprüfungen vor und verkehrt vorwiegend mit türkischen oder türkisch-stämmigen Österreichern. Maßgebliche Integrationsaspekte in sozialer oder gesellschaftlicher Hinsicht oder in Form von Bildungsmaßnahmen, von Vereinsaktivitäten oder ähnlichem waren nicht feststellbar.

In Bezug auf die in Österreich lebenden Verwandten und Freunde ist anzuführen, dass es dem BF nach seiner Ausreise freisteht, sich mit diesen über das Internet oder telefonisch in Verbindung zu setzen und so seine Kontakte auf diesem Weg aufrecht erhalten zu können, wodurch kein Eingriff in ein durch Art 8 EMRK geschütztes Recht festgestellt werden kann. Der BF ist auch nicht gezwungen, die im Inland bestehenden Bindungen zur Gänze abbrechen zu müssen. So stünde es dem BF frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch Besuche seiner Verwandten und Freunde in der Türkei aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: "Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK", ÖJZ 2007/74).

 

Bindungen zum Herkunftsstaat

Der BF ist in der Türkei geboren, absolvierte dort seine Schulzeit und war als Kellner tätig. Er kann sich im Herkunftsstaat problemlos verständigen, hat die wesentlichste Prägungszeit in diesem Staat verbracht und kennt die dortigen Regeln des Zusammenlebens. Angesichts der Tatsache, dass der BF vor etwas mehr als drei Jahren aus der Türkei ausreiste, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er als von seinem Herkunftsstaat entwurzelt zu betrachten wäre. Zudem verfügt der BF über familiäre Anbindungen in Form seiner Eltern und seines Bruders. Die Familie verfügt in XXXX über ein eigenes Haus. Der Vater ist als Bauarbeiter beschäftigt und wird der BF – zumindest für die Anfangszeit – auch finanzielle Unterstützung durch diesen finden.

 

Im Übrigen gelangt das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der eingesehenen Berichte zum Schluss, dass der BF – selbst wenn er mit der Notwendigkeit eigener Erwerbstätigkeit zum Aufbau einer Existenz konfrontiert wäre – in seiner Heimatregion ungeachtet der dort herrschenden schwierigen sozioökonomischen Lage, zumindest mit unqualifizierten Gelegenheitsarbeiten in der Lage sein wird, sich sein Auskommen zu erwirtschaften.

 

Beim BF handelt es sich um einen jungen, anpassungsfähigen und arbeitsfähigen Menschen. Der BF ist gesund, nimmt keine Medikamente, bedarf keiner medizinischen Behandlung und gehört nicht zur COVID-19 Risikogruppe. Davon abgesehen wird der BF weder hinsichtlich seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch seiner Religionszugehörigkeit Schwierigkeiten erfahren und ist von einer gesicherten Existenzgrundlage und Unterstützung durch die Familie auszugehen.

 

Der BF gab zwar an, kurdische Wurzeln zu haben und ist hinsichtlich des bloßen Umstands der kurdischen Abstammung oder kurdischer Wurzeln des BF auszuführen, dass sich entsprechend der herangezogenen Länderberichte und aktuellen Medienberichten die Situation für Kurden – abgesehen von den Berichten betreffend das Vorgehen des türkischen Staates gegen Anhänger und Mitglieder der als Terrororganisation eingestuften PKK und deren Nebenorganisationen, wobei in Bezug auf den BF nicht festgestellt werden konnte, dass dieser diesbezüglich verfolgt oder misshandelt worden wäre – nicht derart gestaltet, dass von Amts wegen aufzugreifende Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit oder mit kurdischen Wurzeln in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer eine maßgeblichen Intensität erreichenden Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse gerade an der Person des BF haben sollten, kamen im Verfahren nicht hervor.

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt demnach nicht vor.

 

Strafrechtliche (Un)Bescholtenheit

Dem vom Bundesamt zugrunde gelegten Auszug aus dem Strafregister, sind keine strafrechtlichen Vormerkungen zu entnehmen.

 

Letztlich sind auch Schwierigkeiten bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse, die infolge der Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat auftreten können, im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzunehmen (vgl. VwGH 15.03.2016, Zl. Ra 2015/21/0180).

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist somit davon auszugehen, dass insbesondere das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen die ohnehin nur schwachen individuellen Interessen des BF iSd Art. 8 EMRK weitaus überwiegen. Auch sonst sind dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte zu entnehmen und auch in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht worden, welche im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erscheinen ließen.

Durch die Rückkehrentscheidung wird Art 8 EMRK somit im Ergebnis nicht verletzt.

 

 

3.4. Zulässigkeit der Abschiebung

3.4.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).

 

Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in die Türkei unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlicher Beschwerde nicht schlüssig dargelegt.

Im Hinblick auf die vorherrschende Pandemie wegen des Corona-Virus und der daraus resultierenden Krankheit COVID-19 und der Situation in der Türkei ist festzuhalten, dass aufgrund der Zahl der Infektionen, sowie des typischen Krankheitsverlaufes und der persönlichen Situation der BF (aufgrund seines Alters und seines Gesundheitszustandes kann nicht geschlossen werden, dass der BF zur Gruppe der von COVID-19 besonders Gefährdeten gehört) sowie des Umstandes, dass die Türkei auf die Situation bislang angemessen reagierte, konnte nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Art. 2 bzw. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Ebenfalls kann dies nicht aus der Verpflichtung, sich anlässlich der Einreise einer Untersuchung zu unterziehen, bzw. sich in Quarantäne zu begeben, abgeleitet werden.

Eine im § 50 Abs. 3FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.

3.4.2. Zur individuellen Versorgungssituation der BF wird darüber hinaus festgestellt, dass dieser in der Türkei über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügt. Bei dem BF handelt es sich um einen mobilen, gesunden und arbeitsfähigen Menschen jungen Alters. Auch steht es dem BF frei, zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen oder das Sozialsystem des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen.

Einerseits stammt der BF aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehört er keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf ihre individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.

Ebenso ist, wie oben ausgeführt, davon auszugehen, dass der BF im Herkunftsstaat nach wie vor über Anknüpfungspunkte verfügt.

Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine, allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage gerät.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat zulässig. Es sind keine konkreten Umstände dahingehend hervorgekommen, dass – auch unter dem Gesichtspunkt des Privat- und Familienlebens des BF – unter Berücksichtigung der konkreten Situation in der Türkei die Abschiebung in den Herkunftsstaat unzulässig wäre (vgl VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

3.4.3. Das Bundesamt erteilte dem BF zurecht kein Aufenthaltsrecht gem. §§ 57 oder 55 AsylG. Es wurden keine Anträge auf Aufenthaltstitel gestellt und war auch nicht erkennbar, dass von Amts wegen solche zu erteilen gewesen wären.

3.4.4. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG.

Dass besondere Umstände, die die Drittstaatsangehörigen bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Es wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zu den privaten und familiären Bindungen des BF und der Vorhersehbarkeit der Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes verwiesen. Die eingeräumte Frist erscheint angemessen und wurden diesbezüglich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift getroffen.

Da auch alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Rückkehrentscheidungen und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, war die Beschwerde auch gegen diesen Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

 

3.5. Einreiseverbot

 

3.5.1. § 53 FPG Einreiseverbot

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(Anm.: Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

(6) Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 15.12.2011, Zahl 2011/21/0237 zur Rechtslage vor dem FPG idgF (in Kraft seit 01.01.2014) erwogen, dass bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes nach dem FrÄG 2011 eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (vgl ErläutRV, 1078 BlgNR 24. GP 29 ff und Art 11 Abs 2 Rückführungs-RL) sei. Dabei hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchen zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 anzunehmen.

 

§ 53 Abs. 3 FPG idgF hat im Vergleich zur Rechtslage vor dem 01.01.2014 keine inhaltliche Änderung erfahren. Daraus ist zu schließen, dass auch in Bezug auf die vom VwGH statuierten (obgenannten) Kriterien, die bei der Verhängung des Einreiseverbots und seiner Dauer zur Anwendung gelangen sollen, kein Wandel stattgefunden hat. Aus diesem Grund erachtet das Bundesverwaltungsgericht diese auch nach wie vor als anwendbar. Bei der Stellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 3 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 umschriebene Annahme gerechtfertigt ist (VwGH 2012/18/0230, 19.02.2013)

 

Hat der Fremde eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf die Ehe berufen, aber mit der Ehegattin ein gemeinsames Familienleben iSv Art. 8 MRK nie geführt, so bildet dieses Verhalten - gemäß § 60 Abs. 2 Z 9 FPG einen Aufenthaltsverbotsgrund - weswegen der Aufenthalt des Fremden eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens darstellt. Diese Gefährdung der öffentlichen Ordnung stellt sowohl nach § 10 Abs. 2 Z 3 des im Zeitpunkt der Erteilung des Aufenthaltstitels in Kraft stehenden FrG 1997 als auch nach § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 des mit 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen NAG einen Versagungsgrund für die Erteilung eines Aufenthaltstitels dar (vgl. die auf den vorliegenden Fall übertragbare ältere Rechtsprechung, VwGH 16.01. 2007, 2006/18/0398; VwGH 19.06.2008; 2007/18/0041).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur festgehalten hat (vgl. zB VwGH 19.06.2008, 2007/18/0228), ist nach der Novelle BGBl. I Nr. 38/2011 nicht davon auszugehen, dass alleinig die erstmalige Erfüllung des in § 53 Abs. 2 Z 8 FPG normierten Tatbestands und nicht die letztmalige Berufung auf diese Ehe zum Zweck der Erlangung fremdenrechtlicher Vorteile, relevant sind, sondern das letztmalige Berufen auf diese Ehe relevant ist: So sagt der ausdrückliche Wortlaut des § 53 Abs. 2 Z 8 FPG, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet und dies indiziert ist wenn er eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen hat.

Der Umstand, dass § 60 Abs. 2 Z 6 FPG idF nicht im exakt gleichen Wortlaut in § 53 Abs. 2 FPG demonstrativ übernommen wurde, bedeutet nicht, dass gegen einen Drittstaatsangehörigen, der gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen, kein Einreiseverbot verhängt werden dürfe. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 53 Abs. 2 Z 8 FPG. Zudem indizieren die in § 53 Abs. 2 FPG aufgezählten Tatbestände lediglich eine Gefährdung und sind bloß demonstrativer, aber nicht abschließender Natur (vgl. RV 1078 BlgNR 24. GP , 30: Die Z 1 bis 9 in Abs. 2 stellen einen Katalog dar, der demonstrativ Beurteilungskriterien für das Verhalten des Drittstaatsangehörigen aufstellt.). Es ist daher weiterhin auf das letztmalige Berufen auf diese Ehe als relevantes Fehlverhalten abzustellen.

 

3.5.2. Die belangte Behörde hat das gegenständliche Einreiseverbot auf den Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 8 FPG gestützt und mit dem Umstand begründet, dass der BF sich unter Berufung auf eine mit einer österreichischen Staatsbürgerin zu diesem Zweck geschlossene Scheinehe einen Aufenthaltstitel in Österreich erschlichen hat.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot erlassen werden. Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 2 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (VwGH vom 16.05.0219, Ra 2019/21/0104). Die Erfüllung eines Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 FPG indiziert, dass der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht nur geringfügig gefährdet (VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311).

 

Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Drittstaatsangehörigen darauf abzustellen ist, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist; außerdem ist auch auf die privaten und familiären Interessen des Drittstaatsangehörigen Bedacht zu nehmen (VwGH 22.5.2013, 2011/18/0259).

 

3.5.3. Die belangte Behörde hat dieses Fehlverhalten der BF, welches zweifelsfrei eine Gefährdung der öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen begründet, der Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von drei Jahren zugrunde gelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass das Eingehen einer Aufenthaltsehe und die mehrmalige Berufung hierauf zur Erlangung fremdenrechtlicher Vorteile das maßgebliche öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa VwGH 31.03. 2004, 2004/18/0066, mwN), erheblich beeinträchtigt (vgl. VwGH 19.6.2008, 2007/18/0228).

 

Da der BF sich einen Aufenthalt erwirkte, der nur aufgrund des Eingehens einer Scheinehe rechtmäßig gewesen ist, konnte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides jedenfalls von der Gefahr eines weiteren fremdenrechtlichen Fehlverhaltens der BF ausgehen. Die belangte Behörde durfte aber zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aufgrund des bisherigen Verhaltens der BF davon ausgehen, dass sie in Anbetracht ihres bisher gezeigten mangelnden Respekts für die Einhaltung fremdenrechtlicher Regelungen angesichts des auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu erwartenden folgenden unrechtmäßigen Aufenthalt der BF neuerlich ein Verhalten setzen wird, um die Regelungen über eine legale Niederlassung im Bundesgebiet zu umgehen. Die Behörde konnte daher zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides berechtigt davon ausgehen, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes erforderlich sein wird, um die BF von neuerlichen Verstößen gegen Bestimmungen des Fremdenrechtes abzuhalten.

 

3.5.4. Gemäß § 53 Abs. 2 Z 8 FPG kann ein Einreiseverbot höchstens für die Dauer von fünf Jahren erlassen werden.

Der Umstand, dass die BF eine Aufenthaltsehe ohne gemeinsames Familienleben und sich darauf zum Erwerb eines Aufenthaltsrechts und zum Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt berief, verwirklicht den Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 8 FPG und gibt als schwere Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens Grund für die in § 53 Abs. 2 FPG umschriebene negative Prognose für seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet (vgl. VwGH 28.08.2008, 2008/22/0727). Das Eingehen einer Aufenthaltsehe bewirkte eine maßgebliche Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenrechts (Vgl. VwGH 17.06.2019, Ra 2019/22/0096).

Die erheblichen öffentlichen Interessen an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften, insbesondere an der Verhinderung verpönter Aufenthaltsehen sowie der öffentlichen Ordnung, überwiegen das persönliche Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich. Die Erlassung eines Einreiseverbots ist daher dem Grunde nach nicht zu beanstanden.

 

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass bei der Beurteilung des durch den BF verwirklichten Sachverhaltes hier nicht die strafrechtliche, sondern ausschließlich die fremdenrechtliche Betrachtungsweise zum Tragen kommt. So ist bei der Prognosebeurteilung das gesamte Fehlverhalten einzubeziehen, wobei für die Beurteilung nicht das Vorliegen der rechtskräftigen Bestrafung oder Verurteilung, sondern dass dieser zu Grunde liegende Verhalten des Fremden maßgeblich ist, demzufolge ist auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (VwGH vom 22.3.2011, 2008/21/0246 mwN, auch Erk. vom 16.11.2012, 2012/21/0080).

 

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

 

3.5.5. Im gegenständlichen Fall war dem BFA im Hinblick auf das Eingehen einer Aufenthaltsehe des Beschwerdeführers insofern zu folgen, als damit der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 8 FPG erfüllt war.

 

Das Vorliegen dieser Tatsache allein entbindet die Behörde jedoch nicht von der Pflicht, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen eine Prognose über die Möglichkeit der schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Verbleib des Beschwerdeführers zu treffen ist.

 

Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. VwGH 19.2.2013, 2012/18/0230).

 

Bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes ist nach dem FrÄG 2011 eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (vgl ErläutRV, 1078 BlgNR 24. GP 29 ff und Art 11 Abs. 2 Rückführungs-RL). Dabei hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Verhalten als solches zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. In den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit indiziert. Maßgeblich sind Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers.

 

Solche Gesichtspunkte, wie sie in einem Verfahren betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot zu prüfen sind, insbesondere die Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich, können nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden (vgl. VwGH 7.11.2012, 2012/18/0057).

 

Wie sich aus § 53 Abs. 2 FPG ergibt, ist bei der Verhängung eines Einreiseverbotes das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen in die Betrachtung miteinzubeziehen. Dabei gilt es zu prüfen, inwieweit dieses die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

 

3.5.6. Der Beschwerdeführer ist am 08.05.2018 nachweislich zum Schein eine Ehe eingegangen, um in Österreich einen Aufenthaltstitel zu erlangen (Aufenthaltsehe). Im Einzelnen:

Zu Ungunsten des BF wiegt der Umstand, dass er mit dem Aufenthaltstitel „Studierender“ im November 2017 in das Bundesgebiet erstmals einreiste. Vom BF wurde auch noch in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er an der JKU XXXX Kunst studieren wollte. Bis dato hat der BF jedoch kein Studium begonnen, er absolvierte lediglich einen Deutschkurs und konnte auch kein Zertifikat über einen solchen vorweisen. Bereits sechs Monate nach der erstmaligen Wohnsitzbegründung erfolgte die Hochzeit mit XXXX . Kurz nach der Vermählung drängte er bereits bei der BH XXXX auf eine rasche Erledigung seines Zweckwechselantrages auf „Familienangehöriger“.

Von der Gattin des BF wurde bei den Einvernahmen durch die PI XXXX und der BH XXXX angegeben, dass es sich um eine Scheinehe handelt. Von XXXX , der Vater einer Arbeitskollegin der XXXX und Freund der Onkel des BF, wurde der XXXX für die Verehelichung mit dem BF ein Bargeldbetrag von € 10.000,- in Aussicht gestellt. Erhalten hat die Gattin des BF bis dato € 4.500,-Obwohl von XXXX in der mündlichen Verhandlung – nicht glaubhaft - jedwede Beteiligung am Zustandekommen der Scheinehe abgestritten wurde, hat er bis jetzt keine Anzeige wegen Verleumdung gegen XXXX erstattet.

Von XXXX wurde in den beiden Einvernahmen noch angeführt, dass zu keiner Zeit ein Eheleben bestand, die Ehe auch - vereinbarungsgemäß - nicht geschlechtlich vollzogen wurde und beide nach der Eheschließung getrennte Wege gegangen sind. Ein Onkel des BF hätte ihr nach der Hochzeit persönliche Gegenstände des BF vorbeigebracht, um diese bei einer eventuellen Kontrolle durch Behörden, vorzeigen zu können. Die gemeinsame Wohnung in XXXX bestand lediglich auf den Meldezetteln, woraus sich letztlich auch eine Verletzung der Bestimmungen des Meldegesetzes bzw. zumindest eine Beitragstäterschaft daran ableiten lässt.

 

Das Bundesverwaltungsgericht geht insbesondere auch aufgrund der nachfolgenden Unplausibilitäten und Widersprüche des BF zu den Angaben seiner Gattin vom tatsächlichen Bestehen einer Scheinehe aus. Diese massiven Widersprüche ergaben sich aus den Einvernahmen der beiden als Beschuldigte vor der Polizei am 17.05.2019 (Gattin) und 11.06.2019 (BF). Anhand der Einvernahmen divergieren die Aussagen bereits zu den Geschwistern der Gattin. Der BF gab an, dass sei drei Geschwister hätte, wobei eine bei der Familie leben würde. Tatsächlich hat die Gattin jedoch fünf Geschwister, drei davon leben noch bei der Familie.

Der BF besuchte in der Türkei acht Jahre lang die Grundschule und vier Jahre ein Lyzeum. Die Gattin gab jedoch an, dass er sowohl die Volks- als auch die Hauptschule je fünf Jahre lang besucht hätte.

XXXX gab bekannt, dass sie auf dem rechten Oberschenkel, dem linken hinteren Unterarm, am Rücken, dem linken Oberarm, den rechten Rippen und am Brustbein eine Tätowierung hat. Vom BF konnten jedoch nur die Tätowierungen am rechten Oberschenkel und am linken hinteren Unterarm bekannt gegeben werden.

Der BF gab an, seine Frau in jenem Lokal kennengelernt zu haben, indem er beschäftigt war. Seine Gattin führte konträr dazu aus, dass sie den BF über Facebook kennengelernt hat.

Beim ersten Treffen wäre die XXXX in Begleitung ihrer Freundin gewesen, so der BF. Diese führte jedoch aus, dass sie sich nicht in Begleitung befand.

Als Zeitpunkt des Kennenlernens gab der BF Mitte Februar 2018 bekannt. Seine Gattin datierte dies mit Mai 2017. Zu diesem Zeitpunkt war der BF jedoch noch nicht einmal in Österreich.

Der BF gab bekannt, dass er nichts Näheres über die familiären Probleme seiner Gattin gewusst hätte obwohl diese Probleme dafür verantwortlich waren, dass die Hochzeit relativ schnell nach dem Kennenlernen erfolgte, was für sich alleine schon gänzlich lebensfremd ist.

Der BF führte aus, dass es nach der Hochzeit kein großes Fest gegeben hat, ein solches wäre für 2019 geplant gewesen. Die Gattin führte aus, dass es zwei Wochen nach der Trauung ein großes Fest in Langenstein gegeben hätte, bei dem 300 bis 400 Personen anwesend waren.

Das Aufgebot als auch die Hochzeit selbst wurde vom BF organisiert, so die Gattin. Vom BF konträr dazu die Aussage, dass seine Gattin alles organisiert hätte.

Der BF führte aus, dass sein Ehering ein Löwenbild mit zwei Sternen und zwei Vögeln zeigen würde. Die Gattin gab bekannt, dass sein Ring schlicht und golden ist.

Für die Beschaffung der notwendigen Unterlagen und Dokumente räumte der BF einen Zeitraum von zwei Wochen ein, die Gattin gab an, dass es drei Monate gedauert hat.

Nicht deckungsgleich waren auch die Ausführungen zu Lieblingsgerichten und Freizeitaktivitäten.

Die Miete für die in XXXX situierte Wohnung hätte € 486,- betragen und hat der BF diesen Betrag seiner Gattin immer in bar gegeben. XXXX hingegen teilte mit, dass die Miete € 550,- betrug und der BF nichts dazu gezahlt hat.

Merkwürdig muten auch die vorgelegten Bilder der Trauung an. So ist zwar auf einem Bild zu erkennen, dass der BF den Trauzeugen an der Hüfte umarmt. Auf keinem Bild ist jedoch ersichtlich, dass sich das Brautpaar umarmt oder küsst. Auf sämtlichen Fotos ist zudem erkennbar, dass sogar auf einen gewissen räumlichen Abstand zwischen den Eheleuten geachtet wird.

 

Es handelt sich demnach zusammengefasst um eine mehr als belastende und aussagekräftige Indizienkette, die keinen Zweifel am Bestehen einer zum Schein eingegangenen Ehe aufkommen lässt.

 

Hinsichtlich einer noch nicht vorhandenen strafgerichtlichen Verurteilung ist darauf zu verweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch der indizielle Beweis ein Vollbeweis ist. Er besitze insoweit einen logischen Aufbau, als Folgerungen auf das zu beweisende Tatbestandsmerkmal mit Hilfe von Erfahrungstatsachen gezogen werden würden. Der Indizienbeweis erforderte damit zum einen Indizien (sogenannte Hilfstatsachen), zum anderen allgemeine Erfahrungssätze und schließlich Denkgesetze und logische Operationen, um auf das Vorhandensein der Haupttatsache folgern zu können. Der Grundsatz freier Beweiswürdigung schließe es daher nicht aus, Geschehensabläufen, die nach der Lebenserfahrung typisch sind, Gewicht beizumessen (vgl VwGH 26.05.1993, 90/13/0155 sowie vom 26.07.2006, 2001/14/0174).

 

Aufgrund einer Gesamtbetrachtung steht für das Bundesverwaltungsgericht fest, dass den Angaben des BF, dass es sich bei der Hochzeit um eine Liebesheirat gehandelt hätte, jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen ist und von einer Scheinehe mit keinem gemeinsamen Eheleben ausgeht, bzw. diese Ehe nur geschlossen wurde um einen (weiteren) Aufenthaltstitel erschleichen zu können.

 

3.5.7. Zur Ermittlung, welche Einreiseverbotsdauer im Falle des Beschwerdeführers verhältnismäßig scheint, ist über die geschlossene Scheinehe hinaus seine Einstellung dazu im nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt, sein sich unter anderem daraus ergebendes Persönlichkeitsbild sowie eine Gefährlichkeitsprognose, die sich nicht zuletzt aus der Beurteilung seiner Delinquenz in ihrer Gesamtheit ergibt, zu berücksichtigen:

Dabei fällt zunächst auf, dass er in der mündlichen Verhandlung eine – bestenfalls – ausweichende Verantwortung zur Scheinehe an den Tag legte, diese jedoch nach wie vor bestreitet. So fielen die Mehrheit der Antworten auf gestellte Fragen äußerst vage aus, was den Eindruck verstärkt, dass der BF sich nicht in noch mehr Widersprüche verstricken wollte. Zudem erschienen die Gattin, deren Eltern und ein Onkel des BF trotz ordnungsgemäß zugestellter Ladung unentschuldigt nicht zur mündlichen Verhandlung. Dieser Umstand gewichtet die Angaben der XXXX noch schwerer, offensichtlich sollten so weitere Falschaussagen und Widersprüche vor Gericht vermieden werden. Zu den Ausführungen seiner Gattin gab der BF bekannt, dass diese psychische Probleme hätte und derartige Angaben vermutlich aus Eifersucht getätigt hätte, weil er sich während er Ehe auch mit anderen Frauen getroffen hätte. Der BF führte in der Verhandlung weiter aus, dass er sich mit seiner Gattin versöhnt hätte und seit ein paar Wochen bei ihr und den Schwiegereltern wohnen würde. Auffällig ist hier wiederum, dass diese behauptete Versöhnung unmittelbar nach Erhalt des Bescheides erfolgt sein soll. Auch die gemeinsame Meldung an der Adresse XXXX , betraf nur den Zeitraum vom 05.08.2020 bis 21.10.2020 und entsteht bei lebensnaher Betrachtungsweise der Eindruck, dass diese nur anlässlich der bevorstehenden mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolgte. Der BF hat seinen Wohnsitz jedenfalls kurz nach der Verhandlung nach 5101 Bergheim verlegt und ist aktuell in XXXX , XXXX polizeilich gemeldet. Auch führte der BF in der Verhandlung aus, dass er nie vorgehabt hätte, gegen seine Gattin eine Scheidungs- und Verleumdungsklage einzubringen. Von diesbezüglichen schriftlichen Eingaben sei ihm nichts bekannt.

Auch die vor dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Ausführungen des XXXX und dessen Tochter Dilan XXXX , untermauern das Bestehen einer Scheinehe. So wären diese beiden Personen Trauzeugen bei der Hochzeit gewesen. XXXX wurde von der Gattin des BF zweifelsfrei als jene Person beschrieben, die ihr € 10.000,- für das Eingehen einer Scheinehe angeboten hat. Dilan XXXX war seinerzeit die Arbeitskollegin der XXXX und waren beide so etwas wie beste Freundinnen. XXXX führte in der mündlichen Verhandlung aus, dass sie mit XXXX zu keiner Zeit über die Hochzeit oder Zukunftspläne gesprochen hätte, was lebensnah betrachtet äußerst merkwürdig anmutet, ist es doch einer engen Freundschaft unter Frauen immanent über Zukunftspläne, zumindest aber über eine bevorstehende Hochzeit zu sprechen. Auch konnte sich die XXXX angeblich nicht wirklich daran erinnern, dass sie Trauzeugin war. Die dezidiert gestellte Frage beantwortete sie damit, dass sie nicht mehr wisse, ob sie unterschrieben habe. Bei der Hochzeit selbst sei sie aber schon dabei gewesen. Auch ihr Vater, XXXX , tätigte vage und unzusammenhängende Ausführungen. Er hätte jedenfalls die XXXX nie Geld für eine Hochzeit angeboten. Warum er als Treuzeuge fungierte wisse er nicht, ein Onkel des BF hätte ihn eingeladen. XXXX gab zudem vor dem Bundesverwaltungsgericht bekannt, dass er nicht einmal wisse, ober er Trauzeuge der Braut oder des Bräutigams gewesen wäre.

 

In Ansehung der Zeugenaussagen brachte der BF jedenfalls zusammenfassend nichts Substantiiertes vor, woraus das Gericht erkennen könnte, weshalb in seinem Falle davon ausgegangen werden soll, dass er sich nunmehr wohl verhalten wird und weshalb ihm nunmehr das Vertrauen entgegengebracht und davon ausgegangen werden sollte, dass er sein doch recht deutliches Unrechtsbewusstsein überwunden hat.

 

Das sich aus dem oben dargelegten Fehlverhalten, der Art und Schwere der zu Grunde liegenden Scheinehe ergebende Persönlichkeitsbild und die Uneinsichtigkeit des BF lässt derzeit insgesamt keine für diesen positiven Prognose zu. Abgerundet wird dieses Bild des BF auch dadurch, dass er sich offensichtlich auch bereits seinen ersten Aufenthaltstitel „Studierender“ erschlichen hat, zumal er nie ein Studium begonnen hat und folglich auch keinen Studienerfolg nachweisen konnte. In weiterer Folge musste der BF damit rechnen, dass der Aufenthaltstitel „Studierender“ nicht verlängert wird, weshalb er sich offensichtlich auf eine Scheinehe verlegte. Auch die Versuche, die Behörde und das Gericht bis zuletzt durch Scheinanmeldungen über das Vorliegen einer Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft zu täuschen, erachtet das Gericht als schwerwiegend.

 

 

Für den BF spricht lediglich seine strafrechtliche Unbescholtenheit und seine Beschäftigung. Durch seine Tat hat der BF in das Grundinteresse der Gesellschaft an Ordnung, Ruhe, und Sicherheit eingegriffen und vor allem seinen mangelnden Respekt gegenüber der österreichischen Rechtsordnung, insbesondere dem Fremden- und Niederlassungsrecht, zum Ausdruck gebracht. Auch liegen der Scheinehe Sachverhalte zu Grunde, wie sie sich im Leben des BF – vor allem aufgrund seiner Neigung, keine Verantwortung auf sich zu nehmen – jederzeit widerholen könnten, zumal er auch in der Beschwerdeverhandlung kein Unrechtsbewusstsein zeigte und weiterhin versuchte, das Gericht über ein gemeinsames Familienleben mit seiner „Frau“ zu täuschen.

 

Die Verstöße des BF gegen die österreichische Rechtsordnung bewirken eine gravierende Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, welcher die nur gering ausgeprägten privaten Interessen des BF gegenüberstehen und hinter diese zurücktreten müssen. Das Bundesamt ging daher zu Recht von einer maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aus, die eine Rückkehrentscheidung erforderlich macht, zumal diese Maßnahme zur Verwirklichung der in Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, namentlich der Verhinderung strafbarer Handlungen und des Schutzes der öffentlichen Ordnung, geboten ist.

 

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass angesichts der Delinquenz des BF in Zusammenschau mit den Ergebnissen der getätigten Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK davon auszugehen ist, dass der Grund für die Verhängung des Einreiseverbotes nicht früher als nach Ablauf von drei Jahren weggefallen sein wird. Der durch das Verhalten bewirkten Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen und den nachteiligen Folgen im Falle einer Abstandnahme von der Erlassung eines mit drei Jahren befristeten Einreiseverbotes oder dessen Verkürzung kann kein geringeres Gewicht beigemessen werden als die Auswirkungen der Maßnahme auf die Lebenssituation des BF.

 

Die dadurch gezeigte Bereitschaft, sich über die österreichischen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen hinwegzusetzen, lässt dieses Verhalten auf ein nicht unbeträchtliches kriminelles Potenzial und damit einhergehend auch eine herabgesetzte Hemmschwelle im Hinblick auf die Achtung von gesellschaftlichen Regeln und Normen beim Beschwerdeführer schließen.

 

Damit bringt der Beschwerdeführer nicht nur seinen Unwillen zur Beachtung der österreichischen Rechtsordnung, sondern auch die Ablehnung der einem gedeihlichen und nachhaltigen Zusammenleben dienlichen – dem Rechtsinstitut der Ehe einen hohen Stellenwert einräumenden (vgl. RV 330 XXIV. GP ) – Gesellschaftsregeln, eindrucksvoll zum Ausdruck.

 

Zudem zeigte sich der BF im gegenständlichen Verfahren hinsichtlich seines Vergehens nach wie vor uneinsichtig und bestritt bis zuletzt das Eingehen einer Aufenthaltsehe. Selbst in der gegenständlichen Beschwerde und mündlichen Verhandlung lässt der Beschwerdeführer Reue oder Einsicht vermissen. Dies zeigt, dass der Beschwerdeführer sich damit nicht reflektierend auseinandergesetzt hat und nicht bereit ist, Verantwortung für das Eingehen der Aufenthaltsehe zu übernehmen.

 

Das vom Beschwerdeführer aus fremdenrechtlicher Sicht schwer zu verurteilende Verhalten lässt daher keine positive, den Ausschluss eines neuerlichen Verstoßes (fremden-) rechtlicher Normen im Bundesgebiet annehmen lassende, Prognose zu (vgl. 07.02.2008, 2006/21/0232; 07.02.2008, 2006/21/0262).

 

Der Beschwerdeführer hat ein fremdenrechtlich nicht tolerierbares Verhalten (zur Zulässigkeit der Berücksichtigung nicht zur Verurteilung geführter Rechtsverletzungen siehe VwGH 15.10.2002, 2002/21/0163) im Hinblick auf die Achtung gültiger Rechtsnormen aufgezeigt, welches eine positive Zukunftsprognose in fremdenrechtlicher Sicht nicht zulässt (vgl. VwGH 16.05.20012, 2009/21/0160).

 

Zu verweisen ist auch darauf, dass fremdenpolizeiliche Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den Erwägungen, welche ein Strafgericht hinsichtlich der Strafbemessung, der bedingte Strafnachsicht und des Aufschubes des Strafvollzugs zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Bei der Erlassung eines Einreiseverbotes geht es in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119) und obliegt es dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Auch in der Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers kann kein Beweis für dessen hinkünftiges Wohlverhalten gesehen werden.

 

Da ein großes öffentliches Interesse an einem geregelten Fremdenwesen in Österreich vorherrscht und die Nichtbeachtung von Rechtsnormen, insbesondere im Hinblick auf eine Scheinehe (vgl. VwGH 07.02.2008, 2006/21/0232; 07.02.2008, 2006/21/0262; 26.09.2007, 2006/21/0158), einem gedeihlichen gesellschaftlichen Zusammenleben massiv zuwiderläuft, ist gegenständlich der Schluss zu ziehen, dass der Beschwerdeführer durch sein gezeigtes Verhalten – und der daraus resultierenden negativen Zukunftsprognose – den Beweis für dessen nachhaltige und schwerwiegende Gefährdung österreichischer – in Art 8 Abs. 2 EMRK genannter – öffentlicher Interessen erbracht hat und die Verhängung eines Einreiseverbotes als notwendiges Mittel zu dessen Begegnung zu betrachten ist.

 

Auch allfällige im Sinne des Art 8 EMRK vorliegende familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte zu Österreich müssen – wie bereits oben ausgeführt –angesichts seines Verhaltens relativiert werden und hinter das Verhalten des Beschwerdeführers zurücktreten.

 

Wie bereits oben zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ausgeführt wurde, hat auch die nach § 9 BFA-VG gebotenen Abwägung nicht ergeben, dass vorhandene familiäre oder private Bindungen in Österreich das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts überwiegen würden.

 

Bei einer Gesamtbetrachtung aller aufgezeigten Umstände, des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes und in Ansehung der auf Grund des persönlichen Fehlverhaltens getroffenen Gefährdungsprognose kann eine Gefährdung von öffentlichen Interessen, insbesondere an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (Verhinderung der Eigentumskriminalität sowie Einhaltung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften), als gegeben angenommen werden (vgl. VwGH 19.05.2004, Zl. 2001/18/0074).

 

Vor dem Hintergrund des an sich als schweren Verstoß gegen die fremdenrechtlichen Normen und gesellschaftlichen Bestimmungen zu wertenden Verhaltens des Beschwerdeführers sowie der negativen Zukunftsprognose, war die von der belangten Behörde ausgesprochene Höhe des Einreiseverbotes in der Höhe von drei Jahren auch keiner Reduktion zugängig. (vgl. VwGH 07.02.2008, 2006/21/0262; 16.05.2012, 2009/21/0160; 07.02.2008, 2006/21/0232; 26.09.2007, 2006/21/0158 hinsichtlich der Schwere des Fehlverhaltens der Scheinehe).

 

Das vom BFA erlassene Einreiseverbot erweist sich somit und auch in der angegebenen Höhe als gerechtfertigt, weshalb eine Aufhebung des Einreiseverbotes nicht in Betracht kam.

 

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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