VwGH 2010/22/0096

VwGH2010/22/00966.7.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des B, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 5. Mai 2010, Zl. E1/10615/09, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66 idF 2009/I/029;
FrPolG 2005 §67 Abs1;
EMRK Art8;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66 idF 2009/I/029;
FrPolG 2005 §67 Abs1;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 5. Mai 2010 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen marokkanischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 sowie den §§ 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf zwei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung verwies die belangte Behörde auf das rechtskräftige Urteil des Landesgerichtes F vom 1. Oktober 2007, demzufolge der Beschwerdeführer wegen versuchter Vergewaltigung nach den §§ 15, 201 Abs. 1 StGB schuldig gesprochen worden sei. Im Berufungsweg sei die verhängte Freiheitsstrafe auf 20 Monate, davon 15 Monate bedingt nachgesehen, herabgesetzt worden. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am 15. Mai 2007 in B seine Ehegattin mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zur Duldung des Beischlafes zu nötigen versucht habe, indem er ihr gegenüber erklärt habe, dass er sie "kaputt machen werde", ein Küchenmesser in die Hand genommen habe und auf sie zugegangen sei, sie anschließend am Arm gepackt und gegen eine Wand im Gang gedrückt, die Wohnungstüre versperrt und den Schlüssel auf den Boden geworfen habe. In weiterer Folge sei er ihr in das Schlafzimmer gefolgt, habe ihr die Jogginghose samt Unterhose heruntergezogen, sie anschließend mit einer Hand an den Händen und mit der anderen Hand am Bein erfasst und sie schließlich mit dem Oberkörper auf das Bett gedrückt.

In der Folge zitierte die belangte Behörde Näheres aus den Feststellungen des Strafurteils über Gewalttätigkeiten des Beschwerdeführers gegen seine Ehefrau, die die Scheidung beabsichtigt habe.

Inzwischen sei die Scheidung mit Urteil des Bezirksgerichtes B vom 17. Juli 2009 erfolgt.

Der Beschwerdeführer habe im Jahr 2000 seine vormalige Ehefrau während eines Urlaubsaufenthaltes kennen gelernt und sie am 18. Jänner 2001 geheiratet. Im Oktober 2001 sei der Beschwerdeführer dann nach Österreich gekommen und habe bis zum 29. Oktober 2007 mit seiner Ehefrau im gemeinsamen Haushalt gelebt. Die Ehefrau habe eine Tochter mit in die Ehe gebracht. Am 30. Juli 2002 sei eine gemeinsame Tochter geboren worden. Der Beschwerdeführer habe bei der Fa. A gearbeitet und verbüße derzeit die Haftstrafe in der Justizanstalt F.

Nach der Scheidung sei der Beschwerdeführer eine Lebensgemeinschaft eingegangen.

Auf Grund dieser Umstände - so die weitere Bescheidbegründung - stelle die Erlassung des Aufenthaltsverbotes einen relevanten Eingriff in das Privat- und/oder Familienleben des Beschwerdeführers dar. Seine Unterhaltspflichten könne der Beschwerdeführer jedoch auch vom Ausland aus bedienen. Die Setzung fremdenpolizeilicher Maßnahmen sei zum Schutz der potentiellen Opfer dringend erforderlich, weil im Bereich der Sexualdelikte nur selten mit einer Verhaltensbesserung des Täters gerechnet werden könne. Der Beschwerdeführer habe zuletzt über einen Aufenthaltstitel mit dem Zweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Österreich" verfügt und sei somit nicht im Besitz eines Daueraufenthaltstitels gewesen. Somit treffe § 56 FPG auf ihn nicht zu. Aber auch dies hätte die "Ausweisung" nicht gehindert, weil auf Grund seines schweren Fehlverhaltens ein weiterer Aufenthalt in Österreich eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 56 FPG darstellen würde. Seine familiären Umstände würden dadurch stark relativiert, dass der Beschwerdeführer nunmehr von seiner Ehefrau, der er die Gewalttat angetan habe, geschieden sei und ein Kontakt zur Tochter auch über Besuche im Ausland aufrecht erhalten werden könne. Auf der anderen Seite bestehe das große öffentliche Interesse, solche schweren sexuellen Übergriffe zukünftig zu verhindern. Somit überwiege das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung und die "Ausweisung" sei auch im Hinblick auf § 66 Abs. 2 FPG und Art. 8 EMRK zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 60 Abs. 2 FPG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 60 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann.

Nach Z 1 dieser Bestimmung ist dies der Fall, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die behördlichen Feststellungen, weshalb keine Bedenken gegen die behördliche Ansicht bestehen, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei. In Anbetracht des schwerwiegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers gegen die körperliche und sexuelle Integrität seiner (damaligen) Ehefrau hegt der Gerichtshof auch keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, dass die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Gefährlichkeitsprognose zu bejahen sei. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Tat etwa drei Jahre zurückliegt und ein Teil der Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen worden ist, weil die seit der Tatbegehung verstrichene Zeit des Wohlverhaltens noch zu kurz ist, um vom Wegfall der Gefährdung ausgehen zu können, und in Haft verbrachte Zeiten bei dieser Prognose nicht zu berücksichtigen sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. August 2009, 2008/22/0915).

Keine maßgebliche Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass der Strafvollzug aufgeschoben worden sei. Soweit der Beschwerdeführer diesbezüglich auf das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2008, 2007/21/0555, verweist, ist ihm zu entgegnen, dass in jenem Fall die Behörde selbst "günstige Zukunftsaussichten betreffend das strafrechtliche Verhalten des Beschwerdeführers erwartet" habe. Grundsätzlich darf die Fremdenpolizeibehörde ihre Prognose unabhängig von den die Strafbemessung und die bedingte Strafnachsicht (und in gleicher Weise den Aufschub des Strafvollzugs) betreffenden Erwägungen des Strafgerichtes stellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2006, 2006/18/0103). Im Übrigen verbüßte der Beschwerdeführer nach den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid bereits in diesem Zeitpunkt den unbedingt verhängten Teil der Freiheitsstrafe (von fünf Monaten). Dem angefochtenen Bescheid ist nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde nicht in rechtskonformer Weise (vgl. § 67 Abs. 1 FPG und wieder das zitierte Erkenntnis 2007/21/0555) auf den Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotes abgestellt hätte.

Aber auch die nach § 66 iVm § 60 Abs. 6 FPG durchgeführte Interessenabwägung ist nicht als rechtswidrig zu erkennen.

§ 66 FPG lautet in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 auszugsweise:

"§ 66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

    (3)…"

    Die belangte Behörde durfte dabei insbesondere berücksichtigen, dass sich das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers gegen seine damalige Ehefrau gerichtet hat, wodurch der Eingriff in sein Familienleben stark relativiert ist. Soweit der Beschwerdeführer darauf verweist, dass er von seinem Heimatland aus seiner Unterhaltsverpflichtung nicht nachkommen werde können, haben dies der Beschwerdeführer und seine ehemalige Familie im öffentlichen Interesse ebenso in Kauf zu nehmen wie die Trennung des Beschwerdeführers von seiner Tochter und seiner Lebensgefährtin. Zum letztgenannten Gesichtspunkt ist auch maßgeblich, dass mit der Tochter ein gemeinsames Familienleben derzeit nicht besteht.

    Auch wenn der längere inländische Aufenthalt des Beschwerdeführers, seine Berufstätigkeit und seine Bindungen zu in Österreich befindlichen Personen ein starkes Interesse am Verbleib im Bundesgebiet begründen, überwiegt doch das öffentliche Interesse an der Unterbindung von Gewalt- und Sexualdelikten, deren Begehung der Beschwerdeführer versucht hat. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer gemäß den von der belangten Behörde übernommenen Feststellungen des Strafgerichts auch sonst Gewaltakte gegen seine damalige Ehefrau gesetzt und sie immer wieder bedroht hat.

    Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am 6. Juli 2010

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