VwGH 99/19/0123

VwGH99/19/012323.3.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde der am 15. September 1988 geborenen T S in Wien, vertreten durch Dr. Herbert Eisserer, Rechtsanwalt in 1180 Wien, Jörgerstraße 14, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 1999, Zl. 124.072/2- III/11/98, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §10 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §10 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 1999 wurde der nunmehr als solcher auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gewertete Antrag der Beschwerdeführerin vom 7. Juli 1997 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der bezughabenden Gesetzesstellen aus, es stehe fest, dass die Beschwerdeführerin seit 24. Juli 1995 an einer näher bezeichneten Anschrift in Wien polizeilich gemeldet sei. Dieser Umstand sei auch auf Grund der vorliegenden Aktenlage bzw. der Angaben ihres gesetzlichen Vertreters unbestritten. Weiters treffe keine der zitierten gesetzlichen Bestimmungen des rechtmäßigen Aufenthalts auf die Beschwerdeführerin zu.

Die öffentliche Ordnung werde schwer wiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben bzw. dort aufhielten, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 18. Jänner 1999 sei die Beschwerdeführerin aufgefordert worden, zu ihrem unerlaubten, gesetzwidrigen Aufenthalt im Bundesgebiet innerhalb gesetzter Frist Stellung zu nehmen. Weiters sei ihrem rechtsfreundlichen Vertreter am 1. Februar 1999 im Zuge des Parteiengehörs eine Frist von zwei Wochen zur schriftlichen Stellungnahme eingeräumt worden. Es habe jedoch weder eine Stellungnahme zu dem Schreiben vom 18. Jänner 1999 noch eine solche zum "Parteiengehör" gegeben. Die unbestrittene Tatsache, dass sich die Beschwerdeführerin unerlaubt im Bundesgebiet aufhalte, stelle eine Gefährdung für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 dar, vor allem wegen einer möglichen Beispielswirkung ihres Verhaltens in Bezug auf andere Fremde.

Es habe "in Anbetracht des Umstandes" eine Abwägung der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen zu erfolgen. Dieser Abwägung sei zu entnehmen, dass den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen absolute Priorität habe eingeräumt werden müssen, da die Bekämpfung der illegalen Einwanderung bzw. des illegalen Aufenthaltes nicht nur im Interesse der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens sowie im weiteren Sinn der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung relevant sei. Der illegale Aufenthalt der Beschwerdeführerin im österreichischen Bundesgebiet gefährde nicht nur die öffentlichen Interessen an der Möglichkeit der behördlichen Steuerung des Fremdenwesens, sondern führe bereits zu einer gravierenden Beeinträchtigung dieser Interessen.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK sei die Verweigerung einer Niederlassungsbewilligung, sofern damit in das Privat- und Familienleben des Antragstellers eingegriffen werde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele notwendig sei. Bei dieser Abwägung sei auf die Dauer des Aufenthaltes und die Integration des Antragstellers bzw. seiner Familienangehörigen Bedacht zu nehmen.

Dem gesetzlichen Vertreter der Beschwerdeführerin sei bewusst, dass diese "illegal" im Bundesgebiet aufhältig ist. Die Beschwerdeführerin sei im Bundesgebiet aufrecht gemeldet und habe im Schuljahr 1996/97 eine näher bezeichnete öffentliche Volksschule in Wien und im Schuljahr 1997/98 eine näher bezeichnete öffentliche allgemeine Sonderschule in Wien besucht, "womit die Tatsache der Illegalität nochmals erhärtet nachgewiesen" worden sei.

Es könne daher unter den gegebenen Umständen trotz des Faktums, dass der gesetzliche Vertreter der Beschwerdeführerin in Österreich aufhältig sei, keinesfalls eine Niederlassungsbewilligung erteilt werden, da nach der vorstehenden Abwägung die belangte Behörde zur Ansicht gelange, dass die öffentlichen Interessen zur Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele höher zu bewerten seien als die nachteiligen Folgen der Verweigerung einer Niederlassungsbewilligung auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerdeführerin tritt der Annahme der belangten Behörde, sie sei ohne Sichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist und verfüge über keine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht entgegen.

Wie die Erläuterungen zum FrG 1997 zeigen, war es beabsichtigt, in § 10 Abs. 2 FrG 1997 die bisherigen Versagungsgründe wegen Gefährdung öffentlicher Interessen sprachlich adaptiert zusammenzufassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2000, Zl. 98/19/0188). § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 entspricht dem § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG 1992.

Zu diesem Versagungsgrund hat der Verwaltungsgerichtshof (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. Oktober 1997, Zl. 96/19/2429) ausgesprochen dass ein länger dauernder unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden im Bundesgebiet die Annahme rechtfertigt, sein weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Ordnung gefährden, wenn dieser Fremde bisher weder über einen gewöhnlichen Sichtvermerk noch über eine Aufenthaltsbewilligung verfügte. Diese Judikatur ist auch auf § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 anwendbar, sofern der Fremde auch nicht über einen Aufenthaltstitel nach dem Fremdengesetz 1997 verfügte. Dass der Beschwerdeführerin derartige Berechtigungen erteilt worden wären, wird weder in der Beschwerde behauptet noch ergeben sich dafür Anhaltspunkte aus dem Akteninhalt.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung kann der von der belangten Behörde getroffenen Gefährdungsprognose nicht entgegengetreten werden. Der Annahme, der weitere Aufenthalt der Beschwerdeführerin werde die öffentliche Ordnung gefährden, steht auch der von der Beschwerde vorgebrachte Umstand nicht entgegen, die Wiedereinreise der im Reisepass ihres Vaters eingetragenen Beschwerdeführerin nach der verfahrensgegenständlichen in Istanbul erfolgten Antragstellung sei von den Grenzkontrollen nicht "beanstandet" worden.

Die belangte Behörde ging daher zu Recht vom Vorliegen des Versagungsgrundes des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 aus.

Die Beschwerde bringt vor, sowohl das Fremdengesetz als auch die Europäische Menschenrechtskonvention sähen gewisse Entscheidungsspielräume vor, mit denen dem Auftreten unverhältnismäßiger Härten bei strikter Gesetzesanwendung sinnvoll begegnet werden könne. Insbesondere betreffe dies die Berücksichtigung persönlicher Interessen und deren Abwägung gegenüber öffentlichen Rücksichten. Wie die Entscheidungspraxis der Behörden zeige, erfolge diese Güterabwägung jedoch "praktisch zu hundert Prozent gegen die persönlichen Interessen der betroffenen Partei und für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit". Den Gesetzen könne nicht unterstellt werden eine Güterabwägung dann vorzusehen, wenn de facto immer den öffentlichen Interessen der Vorzug gegeben werden solle; es müsse möglich sein, bei berechtigtem und allgemein verständlichem Interesse - wie es im gegenständlichen Fall vorliege - "auch einmal dem privaten Interesse den Vorzug zu geben".

Sollte die Beschwerdeführerin mit diesem Vorbringen Mängel in der Anwendung des Art. 8 Abs. 2 MRK und des § 8 Abs. 3 FrG 1997 durch die belangte Behörde geltend machen, ist ihr Folgendes entgegenzuhalten:

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zl. 97/19/0651, mit näherer Begründung ausgeführt hat, ist der Ausdruck "kann" in § 10 Abs. 2 FrG 1997 dahingehend zu verstehen, dass die Behörde bei Anwendung eines der dort angeführten Versagungsgründe zu prüfen hat, ob ein durch diese Anwendung allenfalls erfolgter Eingriff in ein durch Art. 8 MRK geschütztes Recht des Antragstellers aus den in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Gründen gerechtfertigt ist. Dabei handelt es sich, anders als die Beschwerdeführerin meint, nicht um eine Ermessensentscheidung (vgl. auch dazu das bereits zitierte Erkenntnis vom 25. Februar 2000).

Auf Grund des lange dauernden unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin wäre vorliegendenfalls der Eingriff in ein gedachtes, durch Art. 8 MRK geschütztes Recht derselben auf Einwanderung unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der öffentlichen Ordnung und dem damit verbundenen Recht des Staates auf Regelung der Neuzuwanderung im Sinn des Art. 8 Abs. 2 MRK gerechtfertigt.

Der Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 war daher im Fall der Beschwerdeführerin wirksam. Die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 8 Abs. 1 FrG 1997 erwies sich folglich als unzulässig. Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf ihre persönlichen Interessen an einer Niederlassung in Österreich vermag daher auch unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 3 FrG 1997 keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen, weil eine Ermessensentscheidung - wie bereits dargestellt - unter Heranziehung der in dieser Bestimmung umschriebenen Kriterien auf Grund des Wirksamwerdens des Versagungsgrundes des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 gar nicht in Betracht kam (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1999, Zl. 98/19/0271).

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. März 2001

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