BVwG W125 1409728-2

BVwGW125 1409728-231.7.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W125.1409728.2.00

 

Spruch:

W125 1409728-2/21E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Christian FILZWIESER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA Russische Föderation, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.8.2018, Zl 791063500-180581261, zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 7 Abs 1 Z 2 und Abs 4, 8 Abs 1 Z 2, 57, 10 Abs 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs 2 Z 3 und Abs 9, 46, 55 Abs 1 bis 3 und 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG 2005, jeweils idgF, als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang

 

1. Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste am 3.9.2009 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte an demselben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung gab er an, im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland nichts zu befürchten, jedoch dort niemanden mehr zu haben.

 

1.2. Am 23.9.2009 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesasylamt im Zuge derer der Beschwerdeführer, dazu befragt, weshalb er seinen Herkunftsstaat verließ, vorbrachte, zu Hause keine Verwandten mehr zu haben und dort außerdem ständig jemand getötet beziehungsweise etwas gesprengt würde, sodass die Umstände unerträglich seien.

 

1.3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.9.2009 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 3.9.2009 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art 16 Abs 1 c der Verordnung Nr 343/2003 des Rates Polen zuständig sei.

 

1.4. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11.11.2009 wurde der gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.9.2009 erhobenen Beschwerde gemäß § 41 Abs 3 AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

 

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass verfahrensgegenständlich die Voraussetzungen für die Annahme eines grob fehlerhaften Konsultationsverfahrens vorlägen, da der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich seine vormundschaftsberechtigte Schwester habe, welcher in Österreich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei, nicht erwähnt worden sei, sodass nicht ausgeschlossen werden könne, dass Polen in Kenntnis dieser Umstände keine Zustimmung erteilt hätte.

 

1.5. Am 6.7.2010 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt im Zuge derer dieser im Wesentlichen zu Protokoll gab, eigentlich aufgrund der Probleme seines Vaters nach Österreich gekommen zu sein. Konkret sei sein Vater Ende des Jahres 2007 verschollen und sei die Familie dann wiederholt von Leuten in Militäruniform aufgesucht und misshandelt worden, weil diese den Aufenthaltsort seines Vaters hätten herausfinden wollen. Am darauffolgenden Tag sei seine Mutter verstorben. Dies habe er bislang nicht erzählt, da er Angst gehabt habe.

 

1.6. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.10.2010 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 3.9.2009 gemäß § 3 AsylG 2005 stattgegeben und diesem der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Es wurde gemäß § 3 Abs 5 AsylG festgestellt, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der Beschwerdeführer glaubhaft angegeben habe, seinen Herkunftsstaat verlassen zu haben, da sich sein Vater 2007 den Widerstandskämpfern angeschlossen habe. Auch die Berichte, die seitens der Staatendokumentation angeführt worden seien, würden von einem hohen Risiko für Angehörige dieser Personen sprechen. Die Angaben des Beschwerdeführers seien insgesamt schlüssig, nachvollziehbar und glaubhaft gewesen.

 

1.7. Aus einer Meldung der Landespolizeidirektion XXXX vom 30.5.2016 ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer an diesem Tag mit einem russischen Führerschein auswies und eine nachfolgende Echtheitsprüfung ergeben habe, dass es sich um ein echtes Dokument handle. Durch einen Mitarbeiter der AGM sei mitgeteilt worden, dass ein russischer Führerschein persönlich in Russland abgeholt werden müsse. Der Führerschein sei am XXXX in Russland ausgestellt und eigenhändig durch den Beschwerdeführer unterschrieben worden. Es bestehe sohin der Verdacht, dass dieser über ein russisches Reisedokument verfüge, welches ihm die Einreise nach Russland ermögliche.

 

1.8. Mit Urteil des Bezirksgericht XXXX vom 1.8.2016, XXXX , rechtskräftig am 5.8.2016, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 5,- Euro, im Nichteinbringungsfall 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

 

Der Beschwerdeführer hatte im März 2016 in XXXX anlässlich einer Lenkerkontrolle den Polizeibeamten einen verfälschten internationalen Führerschein, mithin eine falsche Urkunde, vorgewiesen, zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache, nämlich, dass er im Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung sei.

 

1.9. Mit Urteil des Bezirksgericht XXXX vom 6.2.2017, XXXX , rechtskräftig am 10.2.2017, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Betrugs gemäß § 146 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgericht XXXX , XXXX , zu einer zusätzlichen Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 4,- Euro, im Falle der Uneinbringleichkeit zu 20 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

 

Der Beschwerdeführer hatte im Jänner 2016 in XXXX mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte einer Tankstelle durch die Vorgabe, zahlungsfähiger und zahlungswilliger Kunde zu sein, zur Duldung der Betankung seines Fahrzeuges mit 69,52 L Treibstoff im Wert von 67,64,- Euro verleitet, was die Genannten in diesem Betrag an ihrem Vermögen geschädigt hat.

 

1.10. Mit Urteil des Bezirksgericht XXXX vom 23.5.2017, XXXX , rechtskräftig am 1.7.2017, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt.

 

Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Oktober 2016 unter Angabe von Daten fiktiver Personen, jedoch real existierender Lieferadressen, online Waren bei verschiedenen Firmen bestellte, während des Liefervorganges eine Änderung der Zustellung auf einen in der Nähe befindlichen Postpartner veranlasste, die Waren unter Vorweisen einer Kurzmitteilungs-Verständigung abholte und die Waren bis dato nicht bezahlte.

 

1.11. Aus einer Meldung der Landespolizeidirektion XXXX vom 29.6.2017 geht hervor, dass bei einer Kontrolle festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer über keinen österreichischen Führerschein verfügt, sondern lediglich über einen tschetschenischen, der im Jahr XXXX ausgestellt wurde. Der Beschwerdeführer habe bei der Kontrolle selbst angegeben, dass er seit 2009 in Österreich aufhältig sei, der Führerschein im Jahr XXXX in seiner ehemaligen Heimat ausgestellt worden sei und er seit 26.3.2015 in Österreich durchgehend wohnhaft sei. An das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde ein Ersuchen um Prüfung des Sachverhaltes gerichtet, da der Beschwerdeführer nachweislich in seiner ehemaligen Heimat gewesen sei.

 

Gegen den Beschwerdeführer wurde Anzeige erstattet, da er ein Kraftfahrzeug auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr gelenkt hatte, obwohl er nicht im Besitz einer im EWR ausgestellten Lenkerberechtigung war.

 

1.12. Zwischen 30.3.2015 und 16.2.2018 wurden über den Beschwerdeführer wegen diverser Verwaltungsübertretungen nach dem Kraftfahrzeuggesetz und nach dem Führerscheingesetz sowie der Straßenverkehrsordnung insgesamt achtzehnmal Geldstrafen beziehungsweise Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.

 

2. Verfahren über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten

 

2.1. Mit 21.6.2018 wurde ein Aberkennungsverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet.

 

2.2. Am 30.7.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , niederschriftlich einvernommen. Er gab eingangs an, gesund zu sein und keine Medikamente einzunehmen. Er verneinte die Frage, ob er verheiratet sei oder sich in einer Beziehung befinde und gab an, keine Kinder zu haben. Er sei seit 2017 berufstätig und verdiene mindestens 1.500,- Euro netto pro Monat. In seiner Freiheit gehe er spazieren, fahre mit dem Auto oder treffe er sich mit österreichischen oder tschetschenischen Freunden. In Österreich befände sich seine Schwester; diese sei in XXXX wohnhaft. In der Russischen Föderation seien eine Tante mütterlicherseits sowie zwei Onkel väterlicherseits aufhältig, wobei zu diesen Familienangehörigen kein Kontakt bestehe. Auf die Frage, wann er zuletzt in Russland gewesen sei, gab der Beschwerdeführer an, seit seiner Einreise in Österreich nicht mehr dort gewesen zu sein. Er habe dort keine Eltern und seine Schwester sei hier. Nachgefragt, weshalb er einen russischen Führerschein habe, der im Jahr XXXX ausgestellt worden sei, brachte der Beschwerdeführer vor, während seiner Schulzeit in Tschetschenien auch eine Fahrschule besucht zu haben. Seine Schwester habe dann mit jemandem zu Hause Kontakt hergestellt und sei der Führerschein daraufhin übermittelt worden. Vor seiner Einreise nach Österreich habe er damals den Führerschein nicht mehr abholen können, weil er bereits Zugtickets gehabt habe. Auf die Frage, weshalb er den Führerschein erst fünf Jahre nach seiner Einreise beantragt habe, führte der Beschwerdeführer aus, sich hier zuerst eingelebt und erst dann daran gedacht zu haben, dass er ja die Fahrschule besucht habe. Auf die Lageänderung seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Jahr 2010 angesprochen, brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass es nicht stimme, dass seit 2011 Kriegsveteranen nicht verfolgt würden; Ihre Häuser würden nach wie vor verbrannt werden, dafür gebe es zahlreiche Videos. Auf seine strafgerichtlichen Verurteilungen angesprochen, führte der Beschwerdeführer zunächst aus, dass er, soweit ihm bekannt sei, nur zweimal strafgerichtlich verurteilt worden sei; einmal habe er an der Tankstelle getankt und wegen Stresses vergessen, die Tankfüllung zu bezahlen, dies habe er aber gleich mit der Polizei geklärt. Auf die 18 Strafverfügungen der LPD XXXX angesprochen, gab der Beschwerdeführer an, dass von diesen nunmehr vielleicht noch zwei oder drei offen seien; er zahle alles in Raten ab. In letzter Zeit habe er nichts mehr angestellt, die Strafen hätte er alle aus eigener Tasche bezahlen müssen, er wolle nun nicht mehr delinquent werden.

 

2.3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.8.2018 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 18.10.2010 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs 1 Z 2 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und diesem ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 3 FPG 2005 erlassen und wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG 2005 ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).

 

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde insbesondere die folgenden Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation:

 

1. Politische Lage

 

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3 .2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3 .2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3 .2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

 

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3 .2017a).

 

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3 .2017a).

 

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.1. Tschetschenien

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

 

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

2. Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

 

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

 

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

 

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

 

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

 

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.1. Nordkaukasus allgemein

 

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen - besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

 

In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017).

 

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2016).

 

Im ersten Quartal des Jahres 2017 gab es im Nordkaukasus 45 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 36 Todesopfer (25 Aufständische, 11 Exekutivkräfte) und neun Verwundete (sieben Exekutivkräfte, zwei Zivilisten). In Tschetschenien wurden im selben Zeitraum elf Exekutivkräfte und 17 Aufständische getötet, zwei Zivilisten und sechs Exekutivkräfte wurden verletzt. In Dagestan wurden im selben Zeitraum acht Aufständische getötet und ein Polizist verletzt. In Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschay-Tscherkessien, Nordossetien-Alania und im Stavropol Gebiet gab es im selben Zeitraum keine Opfer (Caucasian Knot 15.5.2017).

 

Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 287 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 258; 2014: 525 Opfer). 202 davon wurden getötet (2015: 209; 2014: 341), 85 verwundet (2015: 49; 2014: 184) (Caucasian Knot 2.2.2017). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

2.2. Tschetschenien

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).

 

2016 gab es in Tschetschenien 43 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 30; 2014: 117), davon 27 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 2.2.2017).

 

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat einen Anschlag auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien für sich reklamiert. Sechs Angreifer hätten am Freitag, den 24.3.2017 eine Militärbasis der russischen Nationalgarde nahe dem Dorf Naurski im Nordwesten Grosnys in Tschetschenien gestürmt. Alle Angreifer seien bei den mehrstündigen Kämpfen auf dem Stützpunkt getötet worden (Zeit Online 24.3.2017). Nach Armeeangaben wurden bei dem Angriff auch sechs russische Nationalgardisten getötet. Die Nationalgarde erklärte, der Angriff sei in den frühen Morgenstunden bei dichtem Nebel erfolgt. Die Soldaten auf dem Stützpunkt hätten den Angriff zurückgeschlagen. Außer den Toten habe es auch Verletzte gegeben. Die im vergangenen Jahr gebildete Nationalgarde ist direkt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt. Sie hat den Auftrag, Grenzen zu schützen und Extremisten zu bekämpfen (Focus Online 24.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

3. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

 

 

Rassendiskriminierung (1969)

 

 

Zusatzprotokoll (1991)

 

 

 

Zusatzprotokoll (2004)

 

 

Behandlung oder Strafe (1987)

 

 

 

Die Menschenrechtslage in Russland hat sich weiter verschlechtert. Neben der mangelnden Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten sind v. a. Gewaltakte im Strafvollzug gegenüber Häftlingen und deren unzureichende medizinische Versorgung gravierende Probleme. Die damalige Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) der Russischen Föderation, Ella Pamfilowa, mahnte in ihrem Jahresbericht 2015 unter anderem eine Präzisierung des Begriffes "politische Tätigkeit" im Gesetz über NGOs an. Im Mai 2016 kam es in der Tat zu einer Gesetzesänderung. Seitdem wird allerdings nahezu jede NGO-Aktivität im öffentlichen Raum als "politisch" gewertet. Das hat zur Folge, dass NGOs in das Register "ausländischer Agenten" eingetragen werden können, wodurch sie häufig gezwungen sind, ihre Tätigkeiten massiv einzuschränken oder sogar einzustellen. Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Zuletzt hat er angemahnt, Amnesty International Zugang zu ihren von der Moskauer Stadtverwaltung geschlossenen Büros zu gewähren. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt. Auch der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2015, 14,2% der anhängigen Fälle (9.200 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2015 hat der EGMR 116 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an. Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus und konstatierten mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Hälfte der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. Im Rahmen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch die Russische Föderation wird von teilweise schweren Menschenrechtsverletzungen berichtet. Die OSZE (ODIHR und High Commissioner for National Minorities) berichtete im September 2015 über Einschränkungen der Versammlungs-, Vereinigungs-, Bewegungs- und Meinungsfreiheit. Im Wesentlichen leiden Kritiker der Krim-Annexion, Angehörige der Krim-Tataren, Vertreter des Kiewer Patriarchats der orthodoxen Kirche, der katholischen und protestantischen Kirche sowie der Zeugen Jehovas unter Einschränkungen ihrer Rechte. Im September 2016 wurde die Mejlis, der repräsentative Rat der Krimtataren, vom russischen Obersten Gerichtshof als extremistische Organisation eingestuft und verboten. Diverse Mejlis-Mitglieder erleiden (polizeiliche) Repressalien oder stehen unter Anklage (AA 24.1.2017).

 

Menschenrechtsverletzungen kommen regelmäßig vor. Zwar werden in Russland die Grundrechte in der Verfassung garantiert, es wächst jedoch der Widerspruch zwischen verfassungsrechtlichen Normen und der Rechtswirklichkeit. Die Staatsführung bekennt sich offiziell zur Einhaltung der Menschenrechte, stellt einige jedoch mit Verweis auf "traditionelle russische Werte" infrage (z.B. Nicht-Diskriminierung von LGBT-Personen) und leistet Verletzungen Vorschub (z.B. Stigmatisierung kritischer Stimmen als staatsfeindlich) bzw. bemüht sich nicht ausreichend um Prävention und Strafverfolgung (z.B. Übergriffe gegen Journalisten). Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen bleibt der Nordkaukasus. Im Verlauf des Berichtszeitraumes hat sich trotz rückläufiger Opferzahlen die Sicherheits- und Menschenrechtslage in der Region insgesamt nicht verbessert. Insbesondere in Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien bleibt die Menschenrechtslage schlecht. Die Sorge vor einer möglichen Ausbreitung der Gewalt im bislang relativ ruhigen westlichen Nordkaukasus besteht fort (AA 24.1.2017).

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren im Jahr 2016 verstärkten Einschränkungen unterworfen. Menschenrechtsverteidiger wurden wegen ihrer Aktivitäten mit Geldstrafen belegt oder strafrechtlich verfolgt. Zum ersten Mal kam es wegen eines Verstoßes gegen das sogenannte Agentengesetz zur Strafverfolgung. Eine Reihe von Personen wurde wegen ihrer Kritik an der Staatspolitik oder des Besitzes bzw. Verbreitens extremistischer Materialien nach den Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Extremismus unter Anklage gestellt. Es gab Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen in den Strafvollzugsanstalten des Landes (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2017a).

 

Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt. Laut einer rezenten Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und traf sich mit den einzelnen Republikoberhäuptern (ein Treffen mit Ramzan Kadyrow wurde abgesagt, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters der NGO Komitee gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

3.1. Tschetschenien

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtler an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert, ihre Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AI 22.2.2017).

 

In den letzten Monaten häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischen Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der soziökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow darüber hinaus mit einer kaum verhüllten Warnung vor Kritik an seiner Politik in einem TV-Beitrag an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora. Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein; man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow (ÖB Moskau 12.2016).

 

Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Auch 2016 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Operationen der Sicherheitskräfte gemeldet, darunter Fälle von Verschwindenlassen und mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen. Auch Menschenrechtsverteidiger waren in der Region gefährdet (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

3.2. Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2016). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows De facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet würden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützerinnen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

 

Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

 

Als Vergeltungsmaßnahme sollen tschetschenische Sicherheitskräfte im Jänner 2017 27 Menschen hingerichtet haben. Das berichtete die russische regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta" unter Berufung auf lokale Ordnungskräfte. Demnach wollte die tschetschenische Führung den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramsan Kadyrow bei einem Auftritt in Grosny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017).

 

Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015). [Neuere Zahlen konnten nicht gefunden werden.]

 

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

 

Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

 

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der KA der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.04.2014 auf youtube veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe und die Anfragen seien gestellt worden zur Identifizierung der Militärangehörigen, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt würden, konnten ho. nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

 

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden, es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über antiterroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

 

2. Zahlreichen Personen, nach denen von russischen Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. Fall (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. Fall (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4. Ethnische Minderheiten

 

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Neben den Russen, die mit 79,8 % die Mehrheit der Bevölkerung stellen, leben noch mehr als hundert andere Völker auf dem Gebiet des Landes. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0 %), die Ukrainer (2,2 %), die Armenier (1,9 %), die Tschuwaschen (1,5 %), die Baschkiren (1,4 %), die Tschetschenen (0,9 %), die Deutschen (0,8 %), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6 %), Burjaten (0,3 %) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch Mischehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet (GIZ 7.2017c).

 

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Die Menschenrechtsorganisation SOVA verzeichnete für Januar - Oktober 2016 fünf Tote und 47 Verletzte aufgrund rassistisch motivierter Gewalttaten (AA 24.1.2017).

 

Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

 

Quellen:

 

 

 

 

4.1. Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

 

Bitte beachten Sie hierzu unbedingt das komplette Kapitel 20 (inkl. 20.1 - 20.3).

 

Was die Anzahl von Tschetschenen im Rest des Landes anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Laut Volkszählung 2010 lebten etwa in Moskau ca. 14.500 Tschetschenen (von insgesamt 1.4 Mio landesweit). Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl größer ist, insbesondere wenn man sie mit den Angaben über andere, kleinere Nationalitäten vergleicht (ca. 11.400 Osseten, über 17.000 Mordwinen). Dabei ist auch zu bedenken, dass laut der Statistik fast 700.000 Personen keine Angaben über ihre nationale Zugehörigkeit machten. In den meisten Regionen Russlands lag die Anzahl der Tschetschenen bei der Volkszählung 2010 bei einigen Hundert, größere Gemeinschaften gab es in Dagestan (ca. 93.600), in Inguschetien (ca. 18.700), sowie in den südlichen Regionen Astrachan (ca. 7.200), Wolgograd (fast 10.000), Rostow (ca. 11.500), Stawropol (ca. 12.000), Saratow (ca. 5.700) und im westsibirischen Tjumen (ca. 10.500) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Bevölkerung in Tschetschenien selbst wird auf etwa 1,3 Millionen geschätzt, wobei auch hier die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien in Frage gestellt werden. Laut Aussagen von Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Eine der derzeitigen Hauptmigrationsrouten aus dem Nordkaukasus nach Mitteleuropa führt über Belarus und Polen. Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich wird auf rund 30.000 Personen geschätzt. Das tschetschenische Oberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrecht halten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Prominentes Beispiel dafür sind die Brüder Jamadajew, von denen einer in Moskau erschossen und ein anderer in Dubai umgebracht wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Vor diesem Hintergrund herrscht aus menschenrechtlicher Perspektive die Einschätzung vor, dass die gemessen an der Größe der tschetschenischen Diaspora innerhalb und außerhalb Russlands quantitativ geringe Zahl an tatsächlich Verfolgten sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser nur selten begründbaren Gefährdungslage wird meist dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte. Laut einer aktuellen Analyse des Carnegie-Zentrums in Moskau sollen die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren, Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstrecke sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Überdies wird hervorgehoben, dass das tschetschenische Vasallentum zum Kreml in gewisser Konkurrenz mit den föderalen Sicherheitskräften um das Machtmonopol in Tschetschenien selbst stehe. Andere Kommentatoren verweisen auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als wenig autochthon kritisierten Salafismus. Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen also auch die oppositionellen Strömungen. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der bislang eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit. Dazu führte etwa der für den Nordkaukasus zuständige Minister Ende Februar 2016 Arbeitsgespräche mit dem BMWFW in Wien, und Anfang April veranstaltete die WKÖ eine Marktsondierungsreise in die Region. Für 2017 prognostiziert die Weltbank ein moderates Wachstum der russischen Volkswirtschaft (ÖB Moskau 12.2016).

 

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Ihr Aufenthalt wird aber durch antikaukasische Stimmungen erschwert. In großen Städten wird der Zuzug von Personen reguliert und ist erkennbar unerwünscht. Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" des Regimes von Ramsan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben) (AA 24.1.2017).

 

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Wolgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Wolgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Wolgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Wolgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Wolgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

 

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

5. Grundversorgung/Wirtschaft

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,6 Millionen, somit ungefähr 53% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,7% (WKO 4.2017). Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).

 

Russland ist einer der größten Energieproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Seit der Jahrtausendwende war die russische Wirtschaft eine der am schnellsten wachsenden großen Volkswirtschaften der Welt, mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von fast 7%. Die volkswirtschaftliche Stabilisierung war die größte Errungenschaft der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins. Entscheidend dafür war die Fähigkeit, die enorm angestiegenen Exporteinnahmen intelligent zu nutzen. Die Staatsverschuldung verschwand in Relation zum BIP fast vollständig:

Sie fiel von 51% auf 4%. Die Kreditwürdigkeit des Landes wurde damit erheblich gesteigert. Die Binnennachfrage wuchs aufgrund der Einnahmen aus den Rohstoffexporten. Der Staat akkumulierte die drittgrößten Devisenreserven weltweit, sowie zusätzlich einen Reservefonds und einen Fonds für den nationalen Wohlstand. In strategisch wichtigen Wirtschaftsbereichen (von der Weltraumtechnik und der Atomkraft, bis hin zu Schiffs- und Flugzeugbau) stärkte der Staat seine Position in dem er staatliche Kapitalgesellschaften gründete. Dabei spielten Holdings, die als Dachunternehmen die staatlichen Beteiligungen an einzelnen Betrieben einer Branche zusammenfassen, eine wichtige Rolle. Die im Herbst 2008 ausgebrochene internationale Finanzkrise traf Russland sehr stark. Die russische Regierung konnte in Reaktion darauf den russischen Finanzsektor mit staatlichen Geldern stabilisieren und anschließend ein umfangreiches Konjunkturpaket, das Steuervergünstigungen und staatliche Kreditgarantien umfasste, aus den Rücklagen finanzieren. Auf ein negatives Wirtschaftswachstum von 7,9% im Jahr 2009 folgten 2010-2012 wieder Zuwachsraten von über 4%: Getragen wurde das Wachstum von hohen Rohstoffpreisen, aber auch wachsender Beschäftigung und steigender Industrieproduktion. Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 40 in 2017. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2017 den 114. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wird für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 1,5% prognostiziert (GIZ 7.2017b).

 

Nach Jahren stetiger Verbesserung verschlechtert sich der allgemeine Lebensstandort seit 2012 wieder. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen und die Durchschnittsrente, bedingt durch die hohe Inflationsrate sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen und die Armut wuchs an. Während 2012 noch 10,7 % der Bevölkerung unter die offizielle Armutsgrenze fielen, ist die Anzahl der Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums weiter gestiegen und betrug im I. Quartal 2016 22,7 Millionen oder 15,7 % der gesamten Bevölkerung. Die staatliche Unterstützung reicht häufig nicht zur Deckung des Grundbedarfs. Problematisch bleibt die Situation der Rentner. In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Lage nach einigen Rentenerhöhungen verbessert, die Mehrheit der Rentner lebt jedoch in armen Verhältnissen. Die Renten belaufen sich auf durchschnittlich 12.425 Rubel pro Monat (AA 24.1.2017).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2017/1148 bis zum 31.1.2018 verlängert (WKO 29.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

5.1. Nordkaukasus

 

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2017a).

 

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

5.2. Tschetschenien

 

Die wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren stabilisiert. Laut der Zeitung RBK Daily wurden seit 2001 rund 464 Mrd. Rubel (ca. 14 Mrd. USD) in den Wiederaufbau der Republik investiert. Obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind, bestehen noch immer über 85% des Budgets der Republik aus Direktzahlungen aus Moskau. Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei 10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

6. Sozialbeihilfen

 

Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2017c).

 

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

 

 

 

 

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

 

MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

 

 

 

 

Renten

 

 

 

 

 

 

Familienhilfe:

 

Die Regierung will die Bevölkerungszahl erhöhen. Daher erhalten

Familien mit drei oder mehr Kindern folgende Begünstigungen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Behinderung

 

 

 

 

Wohnungswesen

 

Bürger ohne Unterkunft oder mit unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Apartments beantragen

 

 

 

Arbeitslosenhilfe

 

Im Nordkaukasus besteht die höchste Arbeitslosenquote des Landes. Arbeitslose (mit Ausnahme von Schülern, Studenten und Rentnern) können sich bei den Arbeitsagenturen arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitsagentur wird innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Lehnt der Bewerber die Stellen ab, wird er als arbeitslos eingetragen. Die Arbeitslosenhilfe basiert auf Durchschnittslohn der letzten Arbeit und ist auf ein Minimum und Maximum von der russischen Gesetzgebung begrenzt. Seit 2009 ist das Minimum RUB 850 (USD 15) pro Monat und das Maximum RUB 4.900 (USD 82). Die Förderung wird monatlich ausgezahlt, sofern der Begünstigte die notwendigen Verfahren der Neubewerbung (gewöhnlich zweimal im Monat) nach den Bedingungen der Arbeitsagentur durchläuft. Notwendige Unterlagen und Dokumente sind ein Reisepass oder ein gleichwertiges Dokument und ein Arbeitsbuch oder eine Kopie, die Lohnbescheinigung des letzten Jahres, die Steueridentifikationsnummer (INN certificate), der Rentenversicherungsausweis und Dokumente zum Nachweis der Ausbildung und Berufserfahrung (IOM 8.2015).

 

Unterbrechung der Arbeitslosenhilfe in folgenden Fällen:

 

 

 

 

 

 

 

Quellen:

 

 

 

 

 

7. Behandlung nach Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Gegen Jahresmitte wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Im November 2012 wurde etwa ein per Sammelflug aus Österreich rücküberstellter Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug rücküberstellte Tschetschene in Grozny in Haft genommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus, die landesweit hohe Inflation sowie das durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Sinken der Realeinkommen. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen große Teile der russischen Bevölkerung und können somit laut Einschätzung der Botschaft nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich aufgrund der regionalen Spezifika insbesondere für Frauen. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche (politische) Verfolgung durch die russischen oder im speziellen die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keiner Diskriminierung von Seiten der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2016).

 

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass die Umstände, aufgrund derer dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, nunmehr nicht mehr gegeben seien, da sich die Lage in der tschetschenischen Teilrepublik erheblich verbessert habe und diese auch nicht mehr Schauplatz bewaffneter Konflikte sei. Dem Länderinformationsblatt zufolge hätten Veteranen der Tschetschenienkriege beziehungsweise deren Angehörigen keine

 

Verfolgungshandlungen mehr zu befürchten, da seit 2011 keine Hinweise darauf hätten gefunden werden können. Der Beschwerdeführer sei keine high-profile-person, an der die russischen beziehungsweise tschetschenischen Behörden ein gesteigertes Interesse hätten. Insgesamt sei der Beschwerdeführer nicht mehr schutzbedürftig und werde auch nicht aus allfälligen nach seiner Ausreise entstandenen Gründen der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt. Dem Beschwerdeführer sei, obwohl er schon seit 2009 in Österreich aufhältig sei, im Jahr XXXX ein russischer Führerschein ausgestellt worden und sei sohin jedenfalls davon auszugehen, dass dieser Kontakt zu den russischen Behörden gesucht habe. Die diesbezügliche Rechtfertigung des Beschwerdeführers, er habe sich erst in Österreich einleben müssen und deshalb erst fünf Jahre nach seiner Einreise die russischen Behörden über seine Schwester kontaktiert, sei lebensfremd. Aufgrund der familiären Vernetzung, der Sprachfertigkeiten, der Bildung sowie der Berufserfahrung des Beschwerdeführers habe die erkennende Behörde keinerlei Zweifel daran, dass es ihm möglich sein werde, sich binnen kurzer Zeit erneut eine gesicherte Existenz in der Russischen Föderation aufzubauen. Eine maßgebliche soziale Verfestigung im Inland sei nicht erkennbar. Weder vermochte der Beschwerdeführer einen nennenswerten Freundeskreis, noch eine Vereinstätigkeit belegen, abgesehen davon sei auf seine Vorstrafen verwaltungsstrafrechtlicher und gerichtlicher Natur zu verweisen. Aus dem Verhalten des Beschwerdeführers sei eine erkennbare Sorglosigkeit hinsichtlich der Rechtslage Österreichs abzuleiten.

 

2.4. In der dagegen erhobenen Beschwerde, eingelangt am 14.9.2018, wurde der Bescheid zur Gänze angefochten. Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass die Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe. Die Straftaten, für die der Beschwerdeführer verurteilt worden sei, bereue er zutiefst und hätte die belangte Behörde näher nachfragen beziehungsweise die persönliche Situation sowie die Einstellung des Beschwerdeführers in die Beweiswürdigung miteinfließen lassen müssen. Das Bundesamt gehe fälschlicherweise von einer Integration des Beschwerdeführers in die russische Gesellschaft aus, dies obwohl dieser bereits seit über neun Jahren in Österreich lebe und sein gesamtes Erwachsenenleben hier verbracht habe. Es würden nur noch eine Tante und ein Onkel in Russland leben, zu denen der Beschwerdeführer keinen Kontakt habe. Die dortigen Gebräuche sowie die Sprache und Schrift seien dem Beschwerdeführer mittlerweile fremd geworden. In Österreich hingegen lebe seine Schwester, die wie eine Mutter für ihn sei. Der Beschwerdeführer habe zu ihr und deren Kindern eine enge Bindung. Darüber hinaus seien die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig und teilweise veraltet. Sie würden zwar allgemeine Aussagen über die Russische Föderation beinhalten, sich jedoch kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befassen. In der Beschwerde wurden Berichte von EASO sowie der Schweizer Flüchtlingshilfe angeführt, die auf die bestehende Asylrelevanz des Vorbringens hinweisen würden. Hätte die belangte Behörde weitere Länderberichte recherchiert und ihre eigenen Berichte berücksichtigt, wäre sie zu dem Schluss gekommen, dass dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung in der Russischen Föderation drohe und er in eine aussichtslose Lage geriete. Auch die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides sei mangelhaft geblieben; so sei die Ausstellung eines Führerscheins nicht als Unterschutzstellung zu werten und sei daher für die Aberkennung des Asylstatus irrelevant. Den Kontakt mit den russischen Behörden habe die Schwester des Beschwerdeführers, eine österreichische Staatsangehörige, abgewickelt; der Beschwerdeführer habe keinen direkten Kontakt zu diesen gehabt. Was das verhängte Einreiseverbot betreffe, so sei festzuhalten, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers, die auferlegten Strafen und seine Reue näher einzugehen. Es sei auch nicht nachvollziehbar begründet worden, weshalb die belangte Behörde ein Einreiseverbot gerade in einem auf drei Jahre befristeten Ausmaß als erforderlich erachtet und aufgrund welcher Erwägungen sie gerade dazu kommt. Die belangte Behörde habe sich nur auf die Verurteilungen des Beschwerdeführers bezogen und sich nicht mit der aktuellen Situation des Beschwerdeführers und seinem tatsächlichen Leben in Österreich auseinandergesetzt.

 

2.5. Die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht erfolgte am 1.10.2018.

 

2.6. Am 14.1.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an welcher der erkennende Einzelrichter, der Beschwerdeführer, dessen Vertreterin sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Russisch teilnahmen. Die Schwester des Beschwerdeführers wurde als Zeugin einvernommen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte mit Schreiben vom 15.11.2018 mitgeteilt, an der Verhandlung nicht teilzunehmen.

 

Die gegenständlich relevanten Teile der Verhandlung gestalteten sich wie folgt:

 

"(...)

 

Der RI befragt die Partei, ob diese psychisch und physisch in der Lage ist, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen bzw. ob irgendwelche Hindernisgründe vorliegen.

 

BF: Ja, ich bin gesund.

 

Der RI weist den BF auf die Bedeutung dieser Verhandlung hin und ersucht diesen, die Wahrheit anzugeben. Der BF wird aufgefordert nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen und belehrt, dass unrichtige Angaben bei der Entscheidungsfindung im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sind. Ebenso wird auf die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes hingewiesen und dass auch mangelnde Mitwirkung bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen ist.

 

Der BF wird gemäß § 51 AVG iVm § 49 AVG und im Sinne des § 13a AVG belehrt.

 

Da keine Einwendungen vorliegen, werden die für das Ermittlungsverfahren wesentlichen Aktenteile verlesen. Der RI erklärt diese Aktenteile zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und zum Inhalt der hier zu Grunde liegenden Niederschrift.

 

Hingewiesen wird insbesondere auf Folgendes:

 

Der Beschwerdeführer stellte am 03.09.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.10.2010 wurde diesem der Status des Asylberechtigten zuerkannt (Begründung: Der Vater des Beschwerdeführers war Widerstandskämpfer und bestand daher für ihn als Angehöriger ein hohes Risiko, auch selbst verfolgt zu werden).

 

Der Beschwerdeführer wurde im Bundesgebiet dreimal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt (zunächst wegen des Vergehens der Urkundenfälschung, er hat anlässlich einer Lenkerkontrolle einen verfälschten internationalen Führerschein vorgewiesen; anschließend zweimal wegen Betruges, der BF hat sein Fahrzeug ohne Bezahlung betankt und zuletzt unter Angabe von Daten fiktiver Personen, jedoch real existierender Lieferadressen online Waren bei verschiedenen Firmen bestellt). Darüber hinaus wurde er in den Jahren 2015 bis 2018 insgesamt 18 Mal wegen Verstößen gegen die StVO, das KFG und das FSG bestraft.

 

Am 21.06.2018 wurde gegen den Beschwerdeführer ein Aberkennungsverfahren eingeleitet. Dazu wurde er am 30.07.2018 von einem Organwalter der Regionaldirektion XXXX unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen.

 

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.08.2018 wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Bescheid vom 18.10.2010 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs 4 AsylG festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Gemäß § 8 Abs 1 Z 2 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und wurde diesem ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 3 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

 

Begründend wurde hinsichtlich der Aberkennung (Spruchpunkt I.) insbesondere festgehalten, dass sich die Lage in der Russischen Föderation seit dem Jahr 2009 unzweifelhaft erheblich zum Positiven verändert habe. Insbesondere gebe es, wie den Länderfeststellungen entnommen werden könne, seit zumindest 2011 keine Verfolgung von Veteranen der Tschetschenienkriege oder deren Angehörige durch staatliche Behörden. Der BF sei auch XXXX in Kontakt mit den russischen Behörden getreten; als ihm ein russischer Führerschein ausgestellt worden ist.

 

Zu den Sprachkenntnissen des BF wird festgehalten, dass dieser seiner Darstellung nach hinreichend Deutsch spricht und versteht. Es wird nun so vorgegangen, dass er auf Deutsch antwortet, die D aber gegebenenfalls zusätzlich Russisch übersetzt.

 

RI an BFV: Bitte legen Sie alles was Sie an Beweismitteln mithaben vor!

 

BFV: Zum Beweis der Integration des BF lege ich bereits in Kopie vor:

 

Beilage ./A Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung vom 09.01.2019

 

Beilage ./B Dienstvertrag des BF mit XXXX (Beginn des Dienstverhältnisses 15.01.2018)

 

Beilage ./C Empfehlungsschreiben von XXXX vom 10.01.2019

 

Eröffnung des Beweisverfahrens gemäß § 25 Abs 6 VwGVG

 

RI: Waren Ihre Angaben in der letzten verwaltungsbehördlichen Einvernahme am 30.07.2018 wahrheitsgemäß und vollständig?

 

BF: Ja, es gab keine Probleme bei dieser Befragung. Diese Befragung war Deutsch und Russisch gemischt.

 

RI: Sind die im Verfahren zu Ihrer Identität vorhandenen Angaben allesamt richtig?

 

BF: Ja, die Angaben sind richtig.

 

RI: Warum haben Sie die Ladung betreffend die mündliche Verhandlung nicht behoben?

 

BF: Die Ladung ist an die alte Adresse geschickt worden. Tatsächlich ist die Meldung an der Kontaktstelle in der XXXX , in XXXX noch immer gültig. Die Stadt XXXX hat mir gesagt, ich bekomme eine Wohnung, aber das ist noch nicht geschehen. Beim Magistrat hat man mir gesagt, dass ich derzeit auf dem 18. Platz bin. Wenn ich gefragt werde, wo ich derzeit tatsächlich wohne, sage ich bei meiner Schwester oder bei verschiedenen Freunden. Meistens wohne ich bei meiner Schwester. Alle Unterkünfte sind aber in XXXX , weil ich ja auch dort in der Nähe arbeite.

 

RI: Haben Sie seit Ihrer Einreise im Jahr 2009 das Bundesgebiet jemals verlassen?

 

BF: Von 2009 bis 2017 habe ich Österreich nicht verlassen. 2017 war ich einmal in der Ukraine, meine damalige ukrainische Freundin zu besuchen um Urlaub zu machen. 2018 war ich, an die Monate kann ich mich nicht erinnern, zweimal in einer unbekannten Stadt, gleich nach der ungarischen Grenze. Mein Freund betreibt dort eine XXXX und ich habe ihn geholfen. Man sieht eh in dem Auszug der Gebietskrankenkassa diesen XXXX .

 

RI: Wurden Sie an der ungarisch-rumänische Grenze näher kontrolliert?

 

BF: Nein, es gab keine Probleme.

 

Auf Nachfrage:

 

BF: Ich war auch in Frankreich (in Nizza), in Monaco, in Deutschland (unter anderem in Berlin, Frankfurt, ...). In Nizza und Monaco kann man nur Urlaub machen. Dort war ich eine Woche. 2018 war das.

 

RI: Schildern Sie, wie sich die Ausstellung des Führerscheins im Jahr XXXX im Heimatland genau zugetragen hat?

 

BF: Die Prüfung in Russland hatte ich schon vor meiner Ausreise gemacht, war aber damals erst 17 Jahre alt. Erst XXXX bin ich auf die Idee gekommen, mir meinen Führerschein ausstellen zu lassen. Früher hatte ich den Führerschein ja noch nicht gebraucht. Meine Schwester hat dann meinen Onkel (von der Vaterseite) der in Tschetschenien lebte ersucht, sich um diese Führerscheinsache zu kümmern und dieser hat sich an die Führerscheinbehörde in XXXX gewandt. Der Führerschein wurde dann irgendwie, die näheren Umstände sind mir nicht bekannt, ausgestellt und quasi per "Taxi" zu mir nach Wien gebracht.

 

RI: Waren Sie zur Ausstellung Ihres Führerscheins im Jahr XXXX in Russland?

 

BF: Nein.

 

RI: Haben Sie seit der Asylzuerkennung jemals Behörden Ihres Heimatlandes in Wien kontaktiert?

 

BF: Nein.

 

Auf Nachfrage:

 

BF: Meines Wissens nach auch nicht meine Schwester.

 

RI: Wie ist Ihr Gesundheitszustand?

 

BF: Gut.

 

RI: Was befürchten Sie aktuell für den Fall Ihrer Rückkehr in die RF? Die Behörde geht davon aus, dass sich die Lage in der Russischen Föderation seit dem Jahr 2009 erheblich verändert hat und es nunmehr keine Verfolgung von Veteranen der Tschetschenienkriege oder deren Angehörigen durch staatliche Behörden mehr gibt; wie entgegen Sie dem?

 

BF: Das stimmt nicht. Von außen schaut es vielleicht schön aus, aber die Lage ist noch immer gefährlich.

 

Auf Nachfrage:

 

BF: Wenn man im Internet schaut, sieht man was tatsächlich passiert.

 

Auf Nachfrage, was passieren würde, wenn der BF heute in XXXX ankäme:

 

BF: Das weiß nur Gott was mit mir passiert. Sie würden mich festnehmen, wegen der Sache mit meinem Vater. Seit 2007 weiß ich nicht, was mit meinem Vater passiert ist bzw. habe ich keinen Kontakt zu ihm.

 

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben denn noch in Russland bzw. Tschetschenien?

 

BF: Meine letzte Verwandte war meine Tante, bei der ich auch gelebt hatte, als meine Mutter gestorben war. Diese starb im Dezember 2018, das weiß ich von meiner Schwester, sie war schon alt.

 

RI: Sonst haben Sie keine weiteren Verwandten?

 

BF: Nein. Der vorhin erwähnte Onkel ist inzwischen auch verstorben. Der Onkel hatte schon Kinder, aber wo diese sind, weiß ich nicht.

 

RI: Was hindert Sie an einer Rückkehr in andere Gebiete der Russischen Föderation, z.B. in Großstädte wie Moskau oder St. Petersburg?

 

BF: Russland ist ein Land. Man weiß immer wo ich bin. Ich hätte auch keine Zukunft dort, ich habe nur einen Schulabschluss gemacht.

 

RI: Sie wurden im Bundesgebiet mehrfach strafgerichtlich verurteilt; sind alle Verurteilungen Ihrer Person in Österreich aus Ihrer Sicht berechtigt erfolgt?

 

BF: Ja.

 

RI: Haben die gegen Sie wiederholt verhängten Strafen eine Änderung Ihrer Einstellung zu den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung bewirkt?

 

BF: Damals war ich noch jung. Es waren Dummheiten.

 

RI: Aber so lange ist das noch nicht her. Diese Verurteilungen waren im Jahr 2017.

 

BF: Seitdem habe ich bis jetzt keine Strafe bekommen. Ich habe jetzt erkannt, dass ich dadurch für mich selber und allen anderen Probleme bereitet habe und jetzt habe ich mich geändert. Im Zusammenhang mit den Bestellungen bei den Versandhandeln stimmt das so nicht. Ich habe eh mit jemanden von der LPD ein längeres Gespräch darüber geführt.

 

RI hält, zu letzterem Punkt das Urteil vom 23.05.2017 des BG XXXX vor.

 

BF: Ich weiß nicht, wie das Gericht dazu gekommen ist. Ich habe bei der Kriminalpolizei alles aufgeklärt und es müssten alle Daten vorliegen. Der Mann von der Kriminalpolizei sagte, es passt alles und ich bekäme eine Antwort. Ich betone aber jedenfalls noch einmal, dass ich keine Straftaten mehr begehen werde.

 

Zum Privat- und Familienleben

 

JN: Wie sind derzeit Ihre Lebensverhältnisse? Wo wohnen Sie und wohnen Sie alleine oder mit jemandem zusammen?

 

BF: Ich wohne bei meiner Schwester seit August 2018. Davor habe ich alleine in der im Akt ersichtlichen Adresse gewohnt. Die Wohnung habe ich 2015 bekommen für befristet 3 Jahre. Bei meiner Schwester leben noch ihr Mann und ihre zwei Kinder.

 

JN: Sind Sie verheiratet oder befinden Sie sich in einer Lebensgemeinschaft?

 

BF: Nein. Ich habe momentan eine Beziehung, verheiratet bin ich noch nicht.

 

JN: Seit wann befinden Sie sich in einer Lebensgemeinschaft?

 

BF: Ungefähr seit einem halben Jahr.

 

JN: Wer ist Ihre Lebensgefährtin?

 

BF: Sie kommt auch aus Tschetschenien. Sie heißt XXXX und hat in Österreich den Asylstatus.

 

JN: Haben Sie Kinder?

 

BF: Nein.

 

JN: Haben Sie schon eine Hochzeit geplant, gibt es einen Termin?

 

BF: Nein, einen Termin gibt es noch nicht, aber wir sind schon bei der Planung.

 

JN: Ist Ihre Lebensgefährtin erwerbstätig?

 

BF: Nein, sie hat eine Lehre im Bereich XXXX gemacht und jetzt sucht sie Arbeit.

 

JN: Haben Sie im Bundesgebiet Freunde bzw. Kontakt zu österreichischen Staatsangehörigen?

 

BF: Ja ich habe Freunde. Es gibt tschetschenische Freunde und aber auch österreichische.

 

JN: Wie heißen die österreichischen Freunde?

 

BF: XXXX , XXXX und der andere heißt auch XXXX . Die Nachnamen weiß ich nicht, da habe ich nicht nachgefragt. Wir treffen uns gelegentlich am Wochenende.

 

JN: Geht Ihre Schwester einer Beschäftigung im Bundesgebiet nach?

 

BF: Ja, sie arbeitet als Putzfrau in einer XXXX .

 

JN: Wie bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt, sind Sie berufstätig?

 

BF: Ich bin berufstätig. Ich arbeite nach wie vor bei der angegebenen Firma vollzeitbeschäftigt. Am Wochenende arbeite ich gelegentlich geringfügig als Hausmeister.

 

JN: Haben Sie sonst noch etwas, was Sie vorbringen wollen, zu Ihrer Integration im Bundesgebiet?

 

BF: Nein.

 

JN: Sind Sie Mitglied in Sportvereinen?

 

BF: Nein, ich habe nur wenig Zeit und muss mich auf meine Arbeit konzentrieren.

 

RI: Haben Sie ein eigenes Fahrzeug?

 

BF: Nein, seit den Problemen mit den Strafen habe ich keines mehr.

 

RI: Wie hoch ist denn Ihr monatliches Einkommen?

 

BF: 1.700 € Netto.

 

RI: Die Urlaube, die Sie angesprochen haben, finanzieren Sie sich von Ihrem Lohn?

 

BF: Ja.

 

RI: Wie kommen Sie eigentlich zu Ihrer Arbeitsstätte?

 

BF: Ein Kollege von mir arbeitet auch dort. Mit diesem fahre ich dort hin, wenn er keine Zeit hat, dann fahre ich mit dem Zug oder Bus von XXXX nach XXXX.

 

RI: Wohnt Ihre Lebensgefährtin bei ihren Eltern oder hat diese eine eigene Wohnung?

 

BF: Nein, sie wohnt noch bei ihren Eltern. Zusammen dürfen wir nicht leben, solange wir nicht geheiratet haben.

 

RI: Würden Sie sich als religiös bezeichnen? Wie leben Sie Ihre Religion?

 

BF: Wenn ich Zeit habe, gehe ich in XXXX in die Moschee. Das ist in irgendeiner " XXXX " in XXXX . Das befindet sich im Stadtzentrum, dort gibt es einen entsprechenden Verein.

 

RI: Legen Sie Wert darauf, dass Frauen in Ihrem Umfeld islamische Kleidungsvorschriften einhalten?

 

BF: Nein.

 

JN: Hat Ihre Schwester Ihre Lebensgefährtin kennengelernt?

 

BF: Ja, sie haben sich schon oft gesehen. Ich kenne aber ihre Eltern noch nicht, dass wird es nach der Hochzeit möglich sein.

 

JN: Wo treffen Sie dann ihre Lebensgefährtin meistens?

 

BF: Auf verschiedenen Plätzen. Teilweise sehen wir uns jeden zweiten Tag. Jede zweite Woche habe ich aber Spätschicht, sodass wir uns nur am Wochenende sehen können.

 

JN: Wo haben Sie sich kennengelernt?

 

BF: In XXXX , in der Stadt, beim Spazieren gehen.

 

JN: Wie alt ist ihre Lebensgefährtin?

 

BF: Sie ist XXXX Jahre alt und schon seit zumindest 10 Jahren in Österreich, ganz genau kann ich es nicht sagen.

 

JN: Wo haben Sie vor 2017 gearbeitet?

 

BF: Von 2011 bis 2016 war ich beim XXXX . Ich habe dort verschiedene Tätigkeiten verrichtet. Es waren immer verschiedene Dienste. Ich war dort die ganze Zeit über vollzeitbeschäftigt. Ich habe damals etwas weniger verdient als jetzt.

 

RI: Warum endete Ihr Dienstverhältnis dort?

 

BF: Es gab dort Schwierigkeiten wegen meines Urlaubs. Das Dienstverhältnis wurde einvernehmlich beendet.

 

BFV: Keine weiteren Fragen oder Anträge der Vertreterin.

 

Einvernehmlich wird übereingekommen, dass die Vertretung bis 31.01.2019 (einlangend) zu den nachfolgenden Länderquellen bzw. den daraus gezogenen Schlussfolgerungen schriftlich Stellung nehmen kann. Eine solche Stellungnahmemöglichkeit steht in derselben Frist der Amtspartei BFA offen.

 

Es wird davon ausgegangen, dass die verwendeten Quellen alle notorisch sind. Sollte dies für eine der Parteien nicht der Fall sein, wird die Quelle auf Ersuchen per E-Mail nachgereicht werden, womit sich die BFV einverstanden erklärt.

 

Folgende Berichte werden - über die in der Entscheidung der Verwaltungsbehörde zugrunde gelegten hinaus - in das Verfahren eingeführt und erörtert. Diese führen zu den unten gemachten Schlussfolgerungen.

 

Quellen

 

Amnesty International: Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, 22.2.2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , AI

 

Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 21.5.2018, AA

 

Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH:

Russland, Geschichte und Staat (September 2018), https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , GIZ

 

European Asylum Support Office: Country of Origin Information Report Russian Federation. State Actors of Protection, März 2017, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , EASO 2017

 

European Asylum Support Office: Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia, August 2018,

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , EASO 2018

 

Freedom House: Freedom in the World 2017 - Russia, Jänner 2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , FH 1

 

Freedom House: Nations in Transit 2018 - Russia, April 2018, https://www.ecoi.net/en/document/1429203.html , FH 2

 

ÖB Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, Dezember 2018, ÖB

 

Stiftung Wissenschaft und Politik. Deutsches Institut für

Internationale Politik und Sicherheit: Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, März 2018, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf ,

SWP

 

United States Commission on International Religious Freedom: Annual Report 2018. Russia, 2018,

https://www.uscirf.gov/sites/default/files/Tier1_RUSSIA.pdf , USCIRF

 

United States Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, 20.4.2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , USDOS HR

 

United States Department of State: Country Report on Terrorism 2017 - Chapter 1 - Russia, 19.9.2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1444879.html , USDOS T

 

United States Department of State: International Religious Freedom Report 2017 - Russia, 29.5.2018 https://www.state.gov/documents/organization/281196.pdf , USDOS RF

 

Aktuelle (notorische) Medienberichterstattung bzw öffentlich zugängliche statistische Informationen von EASO sowie von IOM, insbesondere:

 

 

https://www.nzz.ch/international/offensive-gegen-menschenrechtler-in-tschetschenien-ld.1349616

 

 

https://www.theguardian.com/cities/2018/jun/02/the-darker-side-of-groznys-push-to-be-the-dubai-of-the-north-caucasus

 

 

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/russland-wladimir-putins-wirtschaftsbilanz-nach-18-jahren-a-1198313.html

 

https://www.easo.europa.eu/overview-situation-asylum-eu-2017

 

http://www.iomvienna.at/sites/default/files/AVRRNLSommer2016.pdf

 

(...)

 

RI fragt den BF um seine Stellungnahme zu dieser Beurteilung.

 

BF: Wie gesagt, es schaut nur von außen gut aus, nur die Leute von Kadirow können dort gut leben. Er ist ein Diktator. Selbst in Wien hat Kadirow einen Tschetschenen ermorden lassen, wie bekannt ist.

 

RI: Wollen Sie noch etwas ausführen oder ergänzen?

 

BF: Ich will hier in Österreich bleiben um hier zu arbeiten und um hier zu leben. In Russland wäre ich sowieso tot. Dort habe ich keine Wohnung, keine Bekannten und wüsste auch nicht, wie ich dort auf die Füße kommen könnte.

 

RI fragt den BF, ob er die Dolmetscherin gut verstanden habe; dies wird bejaht.

 

Festgehalten wird, dass die Kommunikation auf Deutsch im Wesentlichen problemlos funktioniert hat. Die D hat einige Frage zusätzlich auf Russisch übersetzt um jegliche Missverständnisse auszuschließen.

 

RI: Haben Sie sich die deutsche Sprache selbst beigebracht?

 

BF: Ich habe einen Kurs im XXXX gemacht. Nachdem ich Papiere hatte, habe ich von XXXX beim XXXX angefangen. Dann habe ich den Hauptschulabschluss absolviert und über das XXXX den Job beim XXXX bekommen.

 

Der BF wird gebeten, nun außerhalb des Verhandlungssaals zu warten.

 

In den Verhandlungssaal wird um 11:07 Uhr die Zeugin gerufen

 

Einvernahme der Zeugin XXXX

 

R: Sie sind als Zeugin geladen worden. Sie sind verpflichtet, die an Sie gestellten Fragen vollständig und wahrheitsgemäß zu beantworten und nichts zu verschweigen (§§ 49 f AVG iVm § 17 VwGVG). Ich muss sie auf die strafrechtlichen Folgen einer falschen Aussage aufmerksam machen (§ 289 StGB). Wenn Sie die Aussage ungerechtfertigt verweigern, können Ihnen die Kosten die dadurch verursachten Kosten oder eine Ordnungsstrafe auferlegt werden (§ 49 AVG iVm § 17 VwGVG).

 

Sie können die Aussage jedoch verweigern, wenn sie sich oder nahe Verwandte der Gefahr eines unmittelbaren Vermögensnachteils oder einer strafgerichtlichen Verfolgung aussetzen oder des diesen Personen zur Schande gereicht, wenn sie eine staatlich anerkannte Verschwiegenheitspflicht verletzen, Kunst-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse offenbaren müssten oder zu ihrem Wahl- oder Stimmrecht befragt werden (§ 49 AVG iVm § 17 VwGVG).

 

Als Zeugin haben Sie Anspruch auf Gebühren gemäß § 26 VwGVG. Die entsprechenden Formblätter liegen am Infopoint auf oder können auf der Homepage des BVwG heruntergeladen werden.

 

Die Zeugin gibt an, die Belehrung verstanden zu haben und aussagen zu wollen. Die Identität der Zeugin wurde anhand des zu Beginn der Verhandlung vorgelegten österreichischen Personalausweises überprüft.

 

Zu den Sprachkenntnissen der Z wird festgehalten, dass Sie der deutschen Sprache grundsätzlich mächtig ist aber zur Vermeidung von Missverständnissen die Befragung in der russischen Sprache durchgeführt wird.

 

Der Richter erteilt Rechtsbelehrung über den Hintergrund der gegenständlichen Zeugenbefragung.

 

JN: Mit wem leben Sie derzeit zusammen?

 

Z: Mit meinem Mann, mit meinen zwei Kindern und mit meinem Bruder. Mein ältester Sohn wohnt schon alleine mit seiner Familie.

 

JN: Wie lange lebt Ihr Bruder schon bei Ihnen?

 

Z: Seit Anfang September 2018.

 

JN: Wie oft haben Sie Ihren Bruder davor gesehen?

 

Z: Am Wochenende haben wir uns immer gesehen. Unter der Woche, zeitweise, immer dann, wenn es sich mit seiner Arbeit ausgegangen ist.

 

JN: Wie sieht denn der Tagesablauf ihres Bruders momentan aus?

 

Z: Er arbeitet und hat einmal Frühschicht und einmal Spätschicht.

 

JN: Abgesehen von der Arbeit, wie verbringt denn ihr Bruder seine Freizeit?

 

Z: Er trifft sich mit Freunden. Das sind russische Staatsangehörige (Tschetschenen). Möglicherweise hat er aber auch österreichische Freunde.

 

JN: Versteht sich Ihre Familie gut mit ihrem Bruder?

 

Z: Ja, sicher.

 

JN: Wie bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt im Bundesgebiet?

 

Z: Ich bin Putzfrau und arbeite in der XXXX 7 Stunden pro Tag. Ich bin dort seit 4 Jahren beschäftigt. In Österreich arbeite ich aber schon seit 2006.

 

JN: Halten sich neben dem Beschwerdeführer noch weitere Familienangehörige in Österreich auf?

 

Z: Nein, in Österreich nicht. Ich habe in Polen eine Cousine.

 

JN: Haben Sie im Heimatland noch Familienangehörige?

 

Z: Nein, niemanden. Meine Tanten und Onkeln sind schon verstorben. Meine Tante hat keine Kinder gehabt, mein Onkel schon, aber ich habe zu diesen keinen Kontakt und weiß nicht, wo sich diese aufhalten.

 

RI: Wann haben Sie das letzte Mal etwas von ihrem Vater gehört?

 

Z: Ich bin seit 2003 hier, seitdem habe ich keinen Kontakt gehabt. Ich weiß auch nicht, ob er lebt oder nicht. 2007 ist er weggegangen und wir wissen nicht wo er ist und auch nicht, ob er noch lebt oder schon verstorben ist.

 

JN: Waren Sie jemals wieder in der Russischen Föderation, seitdem Sie in Österreich sind?

 

Z: Nein.

 

RI: Hatten Sie irgendwann Kontakt zu der russischen Botschaft oder russischen Behörden in Österreich?

 

Z: Nein.

 

RI: Ihr Bruder hat uns erzählt, dass er in den vergangenen Jahren, verschiedenen Reisen unternommen hat (z.B. nach Frankreich oder in die Ukraine). Wissen Sie davon?

 

Z: Nein, ich weiß von Urlaubsreisen, aber keine genauen Umstände. Ich mische mich in sein Privatleben nicht ein.

 

RI: Der BF sagte, er habe eine Lebensgefährtin und das sei Ihnen bekannt! Können Sie das bestätigen?

 

Z: Ja, das weiß ich schon. Er hat eine Freundin. Ich kenne sie nur aus seinen Erzählungen, getroffen habe ich sie noch nicht. Er hat mir aber erzählt, dass sie heiraten wollen.

 

RI: Hatte ihr Bruder ihres Wissens nach in den letzten Jahren Probleme mit den österreichischen Behörden oder Gerichten?

 

Z: Nein, ich wusste nichts davon. Seitdem wir zusammenleben, hat er mir auch nichts erzählt. Ich gehe davon aus, dass er das Problem selbst lösen möchte und mich nicht um Hilfe bitten möchte. Hätte ich davon gewusst, hätte ich ihm natürlich geholfen und geschaut, dass er nichts anstellt.

 

RI: Wissen Sie, ob der Beschwerdeführer einen (russischen) Führerschein besitzt?

 

Z: Ja.

 

RI: Seit wann hat er den?

 

Z: Seit XXXX .

 

RI: Können Sie sagen, wie er diesen Führerschein im Jahr XXXX erhalten hat?

 

Z: XXXX hat mir mein Bruder erzählt, dass er die Fahrschule im Heimatland gemacht hat. Daraufhin habe ich dann einen Onkel angerufen und diesen gebeten sich zu erkundigen, ob es möglich ist, dass dem BF nun der Führerschein ausgestellt wird. Der Onkel hat das dann organisiert und jemand gebeten diesen nach Österreich zu bringen.

 

RI: Gab es da irgendwelche Probleme im Heimatland bzgl. Der Führerscheinausstellung?

 

Z: Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass der Führerschein ausgestellt wurde.

 

RI: Wollen Sie noch etwas bzgl. Ihres Bruders sagen?

 

Z: Ich will sagen, dass er ein sehr guter Bruder ist und bitte darum, dass sie ihn nicht abschieben.

 

RI an BFV: Haben Sie fragen an die Z?

 

Zugelassene Fragen der BFV an die Z:

 

BFV: Wissen Sie, ob sich der Onkel wegen des Führerscheines direkt an russische/tschetschenische Behörden in XXXX gewandt hat?

 

Z: Das weiß ich nicht. Ich war ja damals nicht dabei.

 

RI: Der Führerschein wurde ja nicht per Post geschickt, sondern offenbar per Fahrzeug transportiert. Können Sie uns erklären, warum dieser Weg gewählt wurde?

 

Z: Wahrscheinlich hat mein Onkel der Post nicht getraut. Es gibt Leute die oft zwischen Österreich und Tschetschenien verkehren und er dachte wahrscheinlich, dass es ein besserer Weg wäre.

 

BFV: In welcher Sprache wird bei Ihnen zu Hause gesprochen, insbesondere zwischen Ihnen und Ihrem Bruder?

 

Z: Mit den Kindern Deutsch und Tschetschenisch, mit mir spricht er tschetschenisch.

 

Die Befragung der Zeugin wird um 11:34 Uhr beendet.

 

Die Z wird vorläufig entlassen; der Sie betreffende Teil der Verhandlungsschrift wird nach Ende der Rückübersetzung der Verhandlungsschrift des BF ihr gegenüber rückübersetzt werden.

 

Im Anschluss wird der BF wieder in den Saal gebeten und wird die Verhandlung mit der Rückübersetzung fortgesetzt.

 

JN: Ihre Schwester hat zeugenschaftlich ausgesagt, es hätte noch keinen Kontakt zwischen ihrer Lebensgefährtin und ihr gegeben. Dies steht mit Ihrer Aussage nicht im Einklang.

 

BF: Die Aussage meiner Schwester trifft zu. Die beiden haben sich noch nie in der Form getroffen, dass sie zusammengesessen wären. Ich habe meiner Schwester aber alles über sie erzählt. Es ist schon möglich, dass sie sich mal kurz gesehen haben."

 

2.7. Am 31.1.2019 langte eine Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein. In dieser wurde zunächst darauf hingewiesen, dass aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes abzuleiten sei, dass Personen, die bereits ins Blickfeld der russischen und insbesondere der tschetschenischen oder dagestanischen Behörden geraten seien und die verdächtigt würden, mit Widerstandskämpfern in Kontakt zu stehen, Verfolgungsgefahr zu befürchten hätten. Beispielhaft wurden zwei Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes angeführt. Verwiesen wurde außerdem auf die Entscheidung des EGMR vom 7.7.2016 zu 78514/14, R.V./Frankreich. Es wurde weiters vorgebracht, dass dem Beschwerdeführer bei einer Wiedereinreise als Rückkehrer, der im Ausland einen Asylantrag gestellt habe, drohe, festgenommen, verschleppt, gefoltert oder unrechtmäßig inhaftiert zu werden. Verwiesen wurde diesbezüglich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe bei einer Verfolgung durch staatliche Behörden im Nordkaukasus nicht. Hingewiesen wurde in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sowie auf eine Anfragebeantwortung von Amnesty international an das deutsche Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt. Den Länderberichten nach könne nicht angenommen werden, dass sich die Lage in der Russischen Föderation seit dem Jahr 2009 unzweifelhaft erheblich um Positiven verändert habe. Eine wesentliche Änderung der Umstände sei demnach seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht eingetreten. Abschließend wurde ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer nunmehr rund zehn Jahre im österreichischen Bundesgebiet aufhalte, wobei ihm in diesem Zeitraum ein Aufenthaltsrecht zugekommen sei. Er sei bereits weniger als ein Jahr nach der Asylzuerkennung erwerbstätig und damit selbsterhaltungsfähig gewesen. Er verfüge in der Russischen Föderation nach dem Verschwinden des Vaters und dem Tod der Mutter über keine familiären Kontakte mehr. In Österreich lebe er derzeit mit seiner Schwester und deren Familie in einem gemeinsamen Haushalt und bestehe zu diesen eine enge Bindung. Seit ungefähr einem halben Jahr führe der Beschwerdeführer außerdem eine Beziehung zu einer russischen Staatsangehörigen, die in Österreich asylberechtigt sei. Er verfüge in Österreich über ein umfassendes soziales Netzwerk und habe sich bezüglich seiner strafgerichtlichen Verurteilungen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung einsichtig gezeigt. Das Verhalten des Beschwerdeführers für die Zukunft sei daher positiv zu beurteilen und sei davon auszugehen, dass von ihm zukünftig keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit mehr ausgehen wird.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Seine Identität steht fest.

 

Der Beschwerdeführer reiste als XXXX in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 3.9.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.10.2010 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 3.9.2009 gemäß § 3 AsylG 2005 stattgegeben und diesem der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Es wurde gemäß § 3 Abs 5 AsylG festgestellt, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der Beschwerdeführer glaubhaft angegeben habe, seinen Herkunftsstaat verlassen zu haben, da sich sein Vater 2007 den Widerstandskämpfern angeschlossen habe. Auch die Berichte, die seitens der Staatendokumentation angeführt worden seien, würden von einem hohen Risiko für Angehörige dieser Personen sprechen. Die Angaben des Beschwerdeführers seien insgesamt schlüssig, nachvollziehbar und glaubhaft gewesen.

 

1.2. Mit Urteil des Bezirksgericht XXXX vom 1.8.2016, XXXX , rechtskräftig am 5.8.2016, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 5,- Euro, im Nichteinbringungsfall 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

 

Mit Urteil des Bezirksgericht XXXX vom 6.2.2017, XXXX , rechtskräftig am 10.2.2017, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Betrugs gemäß § 146 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgericht XXXX , XXXX , zu einer zusätzlichen Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 4,- Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit zu 20 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

 

Mit Urteil des Bezirksgericht XXXX vom 23.5.2017, XXXX , rechtskräftig am 1.7.2017, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt.

 

Zwischen 30.3.2015 und 16.2.2018 wurden über den Beschwerdeführer wegen diverser Verwaltungsübertretungen nach dem Kraftfahrzeuggesetz und nach dem Führerscheingesetz sowie der Straßenverkehrsordnung insgesamt achtzehnmal Geldstrafen beziehungsweise Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.

 

1.3. Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation keine asylrelevante Verfolgung droht. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt in der Russischen Föderation respektive in Tschetschenien nach wie vor aus Gründen der Rasse, Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre.

 

1.4. Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

 

1.5. Es ist dem Beschwerdeführer auch möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus niederzulassen und sich dort anzumelden. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der Beschwerdeführer hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung.

 

1.6. Fest steht, dass dem Beschwerdeführer am XXXX ein Führerschein durch die Behörden seines Herkunftsstaates ausgestellt wurde. Dieser ist bis XXXX gültig.

 

1.7. Der Beschwerdeführer ist gesund.

 

1.8. In Österreich hält sich die Schwester des Beschwerdeführers, XXXX , gemeinsam mit deren Familie auf. Diese besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit. Ein finanzielles oder persönliches Abhängigkeitsverhältnis besteht zu den in Österreich aufhältigen Familienangehörigen nicht.

 

Der Beschwerdeführer war von 11.10.2011 bis 18.9.2012 an derselben Adresse gemeldet wie seine Schwester XXXX . Danach bestand zu keinem Zeitpunkt eine Meldung an derselben Adresse.

 

Seit 17.10.2018 ist der Beschwerdeführer in einer Unterkunft der XXXX in XXXX behördlich gemeldet.

 

Festgestellt wird, dass die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Lebensgefährtin im Bundesgebiet auch von der Russischen Föderation aus über elektronische Medien und das Internet aufrechterhalten werden kann.

 

Der Beschwerdeführer ist seit August 2017 in dem Unternehmen XXXX in XXXX XXXX in der Abteilung XXXX als XXXX tätig. Zusätzlich übt er eine geringfügige Beschäftigung bei dem Unternehmen XXXX aus. Zwischen Dezember 2016 und August 2017 war der Beschwerdeführer zweimal kurzzeitig geringfügig beschäftigt, ansonsten bezog er in diesem Zeitraum Arbeitslosengeld beziehungsweise Notstandshilfe. Zuvor war er seit 2012 bei verschiedenen Unternehmen als Arbeiter beschäftigt.

 

Der Beschwerdeführer verbrachte die ersten XXXX Jahre seines Lebens in der Russischen Föderation in der Teilrepublik Tschetschenien.

 

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist tschetschenisch und verfügt er darüber hinaus über sehr gute Russischkenntnisse und sehr gute Deutschkenntnisse.

 

In der Russischen Föderation halten sich zumindest noch Cousins des Beschwerdeführers auf.

 

1.9. Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stellt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, da aufgrund seines bisherigen Lebenswandels die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten beziehungsweise Verwaltungsübertretungen besteht. Ein Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung kann zum Entscheidungszeitpunkt nicht prognostiziert werden.

 

1.10. Zum Herkunftsstaat Russische Föderation

 

1.10.1. Allgemeines

 

Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Dem quasi-autoritären Präsidenten steht eine geschwächte aber nach wie vor oppositionelle Zivilgesellschaft gegenüber. Die Föderationssubjekte verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ, FH 2).

 

Im Bereich der Menschenrechte kam es in den letzten Jahren schrittweise zu Einschränkungen; so wurden sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch der Pressefreiheit restriktive Gesetze verabschiedet. Öffentliche Kundgebungen bzw Proteste von oppositionellen Gruppen werden zum Teil verboten. Die Mehrheit der russischen Bevölkerung gehört der Russisch-Orthodoxen Kirche an; das Religionsgesetz von 1997 erkennt auch noch den historischen Status von Religionen wie dem Islam, Buddhismus und Judaismus an (ÖB). Religiöse Minderheiten werden von staatlichen Stellen zum Teil schikaniert (AI, USDOS RF).

 

1.10.2. Nordkaukasus

 

Im Nordkaukasus führten im Jahr 2017 Konflikte zwischen Regierungskräften, Aufständischen, islamistischen Kämpfern und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, darunter Tötungen, Folter, Misshandlungen und politisch motivierte Entführungen (AI; USDOS HR). Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region des Nordkaukasus ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Insbesondere Tschetschenien und Dagestan verfolgen eine harte Politik der Repression extremistischer Elemente (ÖB; AA). Der Großteil der innerstaatlichen Terrorismusbekämpfung war gegen bewaffnete Gruppierungen am Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien und Dagestan, gerichtet (USDOS T). Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB).

 

In seinem Urteil vom 30.11.2017, X gegen Deutschland, Nr 54646/17 kam der EGMR im Fall eines in Dagestan geborenen russischen Staatsangehörigen, der in Deutschland unter Terrorismusverdacht stand und aus Gründen der öffentlichen Sicherheit in die Russische Föderation abgeschoben werden sollte, zu dem Ergebnis, dass, da der Beschwerdeführer in keinerlei Verbindung zu den Konflikten am Nordkaukasus stünde, keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorliegen würden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung nach Moskau einem realen Risiko einer Behandlung entgegen Art 3 EMRK ausgesetzt wäre; Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer gegen seinen Willen nach Dagestan gebracht würde, lagen keine vor.

 

1.10.2.1. Tschetschenien

 

In Tschetschenien haben Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen in den letzten Jahren zugenommen (AA); 2017 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA; EASO 2018; Medienberichterstattung The Guardian). Die Rechtsstaatlichkeit in Tschetschenien wird durch Kadyrows willkürliche Herrschaft untergraben; Opfern von Menschenrechtsverletzungen von Seiten der staatlichen Behörden stehen kaum Rechtsmittel zur Verfügung (EASO 2017). Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges jedoch deutlich verbessert; Grosny ist wiederaufgebaut. Problematisch sind weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA; SWP).

 

1.10.3. Bewegungsfreiheit

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen, sie treffen allerdings immer noch auf antikaukasische Stimmungen (AA). Die Verfolgung von gesuchten Personen durch die tschetschenischen Behörden kann jedoch in einigen Fällen vorkommen (EASO 2018). Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent (AA). Manche regionalen Behörden sehen Regeln für die Anmeldung vor, die das Rechts eines Staatsbürgers, seinen Wohnsitz zu wählen, beschränken; der Wohnsitz muss gemeldet werden, wofür die Vorlage eines Inlandspasses notwendig ist (FH 1; AA).

 

1.10.4. Grundversorgung und medizinische Versorgung

 

Die Grundversorgung ist in der Russischen Föderation im Allgemeinen gewährleistet; die Wirtschaftsbilanz der letzten Jahre ist gemischt (Medienberichterstattung, Spiegel).

 

Die soziale Lage in Russland ist weiterhin angespannt; mehr als 15 % der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Das per Verordnung bestimmte monatliche Existenzminimum liegt mit 10.329 RUB (2. Quartal 2017) weit unter dem Wert, der faktisch zum Überleben notwendig ist. Der Mindestlohn unterschreitet mit 7.800 RUB sogar die Grenze des Existenzminimums. Dies kann nur teilweise durch die Systeme der sozialen Absicherung aufgefangen werden (AA).

 

Die medizinische Versorgung in Russland ist auf einfachem Niveau und nicht überall ausreichend. Russische Bürger haben ein Recht auf kostenfreie medizinische Grundversorgung (AA; EASO 2018; ÖB). Die Versorgung mit Medikamenten ist zumindest in den Großstädten gewährleistet. Ein ernstes Problem bleibt dabei die Bekämpfung von HIV/AIDS; zwischen 1 und 1,5 % der Bevölkerung sind HIV infiziert. Es werden kaum wirksame Maßnahmen für die Hauptinfektionsgruppen (Drogenabhängige und Heterosexuelle mit wechselnden Sexualpartnern - insgesamt 98 % der Neuinfizierten) durchgeführt. Die medikamentöse Versorgung ist auf dem Niveau der 90er Jahre (AA). Obwohl die Behandlung von HIV infizierten Personen gesetzlich vorgesehen ist, führen ein Mangel an Medikamenten und fehlende Geldmittel zu Versorgungslücken (USDOS 2018).

 

1.10.5. Dokumente

 

Es ist in der Russischen Föderation möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie zB Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Häufig sind Fälschungen leicht zu identifizieren; es gibt aber auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind (AA).

 

1.10.6. Asylverfahren in Europa/Österreich

 

Die Anerkennungsquote bei Anträgen auf internationalen Schutz bei russischen Staatsangehörigen betrug zuletzt zwischen 15 und 20% (statistische Informationen von EASO). Zwangsfreie Rückführungen aus Österreich in die Russische Föderation sind regelmäßig möglich. In den Jahren 2015/2016 wurden mittels IOM erfolgreiche Projekte freiwilliger Rückkehr durchgeführt (EASO, IOM).

 

2. Beweiswürdigung:

 

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde nach Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 14.1.2019 die folgenden Erwägungen getroffen:

 

2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppe und Religionszugehörigkeit stützen sich auf die diesbezüglich nicht zu bezweifelnden (da kohärenten) Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren sowie auf seine Sprach- und Ortskenntnisse.

 

Die Identität des Beschwerdeführers konnte aufgrund der vorgelegten russischen Dokumente mit Lichtbild festgestellt werden. Insbesondere wurde dem Beschwerdeführer sein tschetschenischer Führerschein im Zuge einer Verkehrskontrolle abgenommen und ergab eine Prüfung der Behörden, dass dieser echt ist.

 

2.2. Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem eindeutigen Akteninhalt der vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten.

 

2.3. Die Feststellungen zu den Verurteilungen des Beschwerdeführers konnten durch Einsichtnahme in einen aktuellen Strafregisterauszug beziehungsweise unter Heranziehung der beigeschafften Strafurteile getroffen werden. Dass über den Beschwerdeführer in achtzehn Fällen verwaltungsrechtliche Strafen verhängt wurden, lässt sich den im Akt einliegenden Strafverfügungen entnehmen.

 

2.4.1. Der Beschwerdeführer verließ Tschetschenien im Jahr 2009. Die Flüchtlingseigenschaft wurde ihm mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.10.2010 zuerkannt, da sich sein Vater 2007 den Widerstandskämpfern angeschlossen habe und für ihn, als Familienangehöriger, daher ein großes Risiko bestand, verfolgt zu werden. Die Angaben des Beschwerdeführers, wonach er und seine Mutter im Jahr 2008 von Personen in Uniform aufgesucht und von diesen misshandelt worden seien, wurden als glaubhaft gewertet.

 

Wie festgestellt, geht das Bundesverwaltungsgericht nicht davon aus, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation nunmehr nach wie vor eine asylrelevante Verfolgung droht. Gegenwärtig sind keine hinreichenden Indizien für eine aktuell bestehende Verfolgungsgefahr in der Russischen Föderation respektive in Tschetschenien hervorgekommen.

 

Die Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer, welche sich im Jahr 2008 zugetragen haben, liegen nunmehr rund elf Jahre zurück und hat der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren nicht substantiiert dargelegt, dass er im Falle einer Rückkehr weiterhin im Fokus der tschetschenischen Behörden stehen würde.

 

Insbesondere ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer im Rahmen des nunmehrigen Aberkennungsverfahrens eine individuelle Gefährdung in seiner Heimat nicht konkret behauptet hat.

 

Die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 14.1.2019 und zuvor auch schon in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 30.7.2018 waren vollkommen vage und blieben im abstrakten Bereich. So führte der Beschwerdeführer auf Vorhalt, dass die Behörde von einer erheblichen Lageänderung in dem Sinne, dass es keine Verfolgung von Veteranen der Tschetschenienkriege oder deren Angehörigen durch staatliche Behörden mehr gibt, ausgehe, lediglich aus, dass dies nicht stimme und die Lage noch immer gefährlich sei, auch wenn man dies "von außen" vielleicht nicht sehe. Auch auf entsprechende Nachfrage, war er nicht dazu in der Lage, diese Angaben in irgendeiner Weise zu konkretisieren, sondern verwies lediglich auf das Internet. Darauf angesprochen, was ihm passieren würde, wenn er aktuell ins Heimatland zurückkehren würde, brachte der Beschwerdeführer schließlich vor, dass dies nur Gott wisse. Er würde wegen "der Sache mit seinem Vater" festgenommen werden. Trotz mehrmaliger Nachfragen gestaltete sich sein Vorbringen während des gesamten Verfahrens unpräzise und ausweichend und konnte eine tatsächliche aktuell bestehende individuelle Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer daraus nicht abgeleitet werden. Wie schon das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zutreffend argumentierte, handelt es sich bei den Äußerungen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer Rückkehrgefährdung ausschließlich um Spekulationen, die keiner Plausibilitätskontrolle zugänglich und folglich auch nicht geeignet sind, eine konkrete und gezielte Verfolgung seiner Person annehmen zu lassen.

 

Es sind aber auch von Amts wegen keine hinreichenden Gründe dahingehend erkennbar, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation zum aktuellen Zeitpunkt von russischen Behörden verfolgt wird.

 

Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist beizupflichten, wenn dieses auf die Ausführungen im aktuellen Länderinformationsblatt verweist, denen zufolge davon auszugehen ist, dass sich die russischen beziehungsweise tschetschenischen Behörden mittlerweile auf IS-Kämpfer und Unterstützer beziehungsweise auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen und sohin Veteranen der Tschetschenienkriege beziehungsweise deren Angehörigen keine Verfolgungshandlungen mehr drohen. Es konnten keine Hinweise auf eine Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 mehr gefunden werden. Den Länderfeststellungen zufolge gibt es zahlreiche Berichte neueren Datums über antiterroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus; die diesbezüglichen Gesetzesbestimmungen zielen aber auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen Sicherheitskräfte kämpfen beziehungsweise auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den IS zu kämpfen, was auf den Beschwerdeführer in keiner Form zutrifft.

 

Auch aus den in der Stellungnahme vom 31.1.2019 angeführten Auszügen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie den dort erwähnten Anfragebeantwortungen lässt sich eine konkrete Verfolgung des Beschwerdeführers nicht ableiten. So ist es zwar richtig, dass im Länderinformationsblatt ausgeführt wird, dass, solange Konflikte im Nordkaukasus nicht endgültig gelöst sind, davon auszugehen ist, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Gleichzeitig wird dort aber auch darauf hingewiesen, dass dies insbesondere für Personen gilt, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben beziehungsweise denen ein solches Engagement unterstellt wird oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem Jahr 2009 in Österreich, hat sich zu keiner Zeit gegen gegenwärtige Machthaber engagiert und ist auch keinerlei Grund ersichtlich, weshalb ihm dies unterstellt werden sollte. Auch hat er niemals vorgebracht, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren.

 

Soweit in der Stellungnahme vom 31.1.2019 Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zitiert werden, in denen in ähnlich gelagerten Fällen Asyl gewährt wurde, so ist dazu festzuhalten, dass seitens des erkennenden Richters nicht verkannt wird, dass in Einzelfällen derartige Entscheidungen ergingen, jedoch sind die diesen Fällen zugrundeliegenden Sachverhalte mit dem vorliegenden Fall nicht zur Gänze vergleichbar. So war etwa der Beschwerdeführer in der Entscheidung des BVwG vom 9.5.2017, W226 2105945-2, im Jahr 2012 ins Visier der dagestanischen Behörden geraten, was auf den Beschwerdeführer fallgegenständlich nicht zutrifft.

 

Insofern in der Stellungnahme vom 31.1.2019 die Entscheidung des EGMR vom 7.7.2016, 78514/14, R.V./Frankreich, angeführt wird, so ist dazu auszuführen, dass, wie bereits oben dargelegt, zum aktuellen Zeitpunkt nicht mehr davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer im Verdacht steht, sich am tschetschenischen Widerstand zu beteiligen. Es ist daher nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer einer besonderen Risikogruppe im Sinne der Entscheidung des EGMR angehört, die alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer Bedrohung ausgesetzt wäre.

 

Auch aus den in der Beschwerde vom 14.9.2018 angeführten Berichten lässt sich eine tatsächliche und individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers nicht ableiten. Die dort angeführten Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe hinsichtlich einer verstärkten Repression des Regimes gegenüber politisch Oppositionellen stammen aus April 2017, sind sohin mehr als zwei Jahre alt und ist insofern den vom erkennenden Gericht herangezogenen aktuelleren Berichten der Vorzug zu geben.

 

Insgesamt hat sich eine aktuelle bestehende Verfolgungsgefahr weder von Amts wegen noch aus den Angaben des Beschwerdeführers ergeben und war daher der diesbezüglichen Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zuzustimmen (siehe aus der hg Judikatur dazu auch die Entscheidung des BVwG vom 18.12.2018, W112 1258438-2, in der eine Verfolgung von Veteranen des ersten oder zweiten Tschetschenienkrieges nicht mehr festgestellt werden konnte sowie auch schon die Entscheidung des BVwG vom 7.3.2019, W125 1240799-3).

 

2.4.2. Was die Ausführungen des Beschwerdeführers in der Stellungnahme vom 31.1.2019, wonach er als Rückkehrer, der im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, im Falle einer Rückkehr im besonderen Fokus der Behörden stünde und ihm eine Festnahme, Verschleppung, Folterung oder unrechtmäßige Inhaftierung drohe, betrifft, so ist auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, das auch dieser Entscheidung zugrunde liegt, zu verweisen. Sieht man sich dieses im Gesamten an, ohne nur einzelne Sätze herauszugreifen, so lässt sich diesem klar entnehmen, dass keine Fälle bekannt sind, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr alleine deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Insofern lässt sich auch aus dem diesbezüglichen Vorbringen für den Beschwerdeführer nichts gewinnen.

 

2.4.3. Nur der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation auch keine menschenrechtswidrige Verfolgung wegen seiner strafgerichtlichen Verurteilungen hier in Österreich droht. Den zugrundeliegenden Länderinformationen ist klar zu entnehmen, dass es keine pauschale Bestrafung in Form einer Doppelbestrafung gibt. Die Russische Föderation ist Mitglied des Europarates und trat für diese das 7. Zusatzprotokoll zur EMRK am 1.8.1998 in Kraft. Damit hat sich die Russische Föderation im Rahmen der EMRK zur Einhaltung des Prinzips "ne bis in idem" und damit zum Doppelbestrafungsverbot verpflichtet. Selbst wenn es in der Russischen Föderation zu einer solchen unzulässigen Doppelbestrafung kommen würde, wäre der Beschwerdeführer im Falle einer erneuten Verurteilung auf den innerstaatlichen Rechtsweg und in weiterer Folge auf die Möglichkeit einer Beschwerdeerhebung an den EGMR zu verweisen.

 

Im Ergebnis war daher der diesbezüglichen Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zuzustimmen.

 

2.5. Außerdem ist festzuhalten, dass, wie vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl schon zu Recht ausgeführt, auch die offenbar problemlose Beschaffung eines Führerscheins, welcher von den Behörden im Heimatland im Jahr XXXX ausgestellt wurde, nicht auf seitens dieser bestehendes reales und intensives Interesse an der Person des Beschwerdeführers hindeutet. Auch wenn die Umstände der Ausstellung aufgrund der vagen Angaben des Beschwerdeführers und dessen als Zeugin einvernommener Schwester nicht ganz klar sind, ist die Tatsache, dass dem Beschwerdeführer im Jahr XXXX ein Führerschein durch die russischen Behörden ausgestellt wurde, unstrittig.

 

Das erkennende Gericht gewann den Eindruck, als würden der Beschwerdeführer und seine Schwester diesbezüglich etwas verheimlichen wollen, so waren deren Ausführungen sehr unpräzise und teilweise auch widersprüchlich. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 30.7.2018 führte der Beschwerdeführer etwa lediglich aus, seine Schwester hätte "mit jemandem zu Hause" einen Kontakt hergestellt, woraufhin ihm der Führerschein geschickt worden sei. In der mündlichen Verhandlung sprach er dann davon, dass seine Schwester einen Onkel väterlicherseits ersucht habe, sich an die Führerscheinbehörde in XXXX zu wenden und der Führerschein dann schließlich "irgendwie", nähere Umstände seien ihm nicht bekannt, ausgestellt und "quasi per Taxi" nach XXXX gebracht worden sei.

 

Auch die diesbezüglichen Angaben der Schwester des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung waren trotz entsprechender Nachfrage knapp und vage; so gab sie an, nur zu wissen, dass der Onkel die Führerscheinausstellung organisiert und "jemanden" gebeten habe, diesen nach Österreich zu bringen.

 

Es blieb auch gänzlich unklar, weshalb der Beschwerdeführer den Führerschein erst fünf Jahre nach seiner Einreise beantragte. Wenn er dies damit zu rechtfertigen versucht, dass er sich zuerst hier habe einleben wollen, so vermag dies nicht zu überzeugen.

 

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die Ausführungen in der Meldung der Landespolizeidirektion Wien vom 29.6.2017; dieser lässt sich nämlich entnehmen, dass der Beschwerdeführer selbst angab, er sei seit 26.3.2015 durchgehend in Österreich wohnhaft. Auch wenn daraus nicht zwingend abgeleitet werden kann, dass sich der Beschwerdeführer tatsächlich nach Zuerkennung des Status des Asylberechtigen Heimatland aufhielt, lässt die Aussage derartiges aber jedenfalls vermuten.

 

2.6. Dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergab sich aus seinen eigenen Angaben im Verfahren, insbesondere anlässlich der zuletzt stattgefundenen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

2.7. Hinsichtlich der Feststellung, wonach dem Beschwerdeführer im Falle seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine Gefährdung in seinem Recht auf Leben, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung droht, ist festzuhalten, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen jungen und gesunden Mann handelt, welchem eine Teilnahme am Erwerbsleben möglich und zumutbar ist. Er verbrachte die ersten XXXX Jahre seines Lebens im Herkunftsstaat, weshalb er mit den dortigen Lebensbedingungen jedenfalls in ausreichendem Maße vertraut ist. Er spricht Russisch und Tschetschenisch und hat im Heimatland vor seiner Ausreise einen Schulabschluss gemacht. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass sich noch Familienangehörige des Beschwerdeführers im Heimatland befinden und es ihm im Bedarfsfall auch möglich wäre, bei einer Rückkehr Kontakt mit diesen aufzunehmen. So sprach der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zwar davon, dass sein Onkel und seine Tante (in der Beschwerde vom 14.9.2018 gab er noch an, dass sich eine Tante und ein Onkel in Russland aufhalten) mittlerweile verstorben seien, führte aber selbst aus, dass sein Onkel Kinder hatte. Auch wenn er gleichzeitig behauptete, nicht zu wissen, wo sich diese aufhalten, so erscheint es dennoch zumutbar, dass der Beschwerdeführer zu diesen wieder Kontakt aufnimmt. In diesem Zusammenhang ist auch auszuführen, dass der Beschwerdeführer anlässlich der Einvernahme vom 23.9.2009 davon sprach, vor seiner Ausreise (nach dem Tod seiner Mutter) bei seiner Tante, die auch einen Mann und drei Kinder habe, gelebt zu haben. Selbst, wenn man den Angaben des Beschwerdeführers, wonach sein Onkel und seine Tante mittlerweile verstorben seien, Glauben schenkt, so gebe es noch immer jedenfalls deren drei Kinder, die der Beschwerdeführer, da er vor seiner Ausreise sogar bei diesen wohnte, jedenfalls besser kennen muss. Insofern erscheint es jedenfalls zumutbar, dass der Beschwerdeführer zu diesen wieder Kontakt herstellt. Dem Vorbringen in der Beschwerde vom 14.9.2018, wonach dem Beschwerdeführer die Gebräuche sowie die Sprache und Schrift seines Heimatlandes mittlerweile fremd geworden seien, ist nicht zu folgen; dass der Beschwerdeführer mit der Sprache seines Heimatlandes nach wie vor vertraut ist, ergibt sich schon aus der Zeugenaussage seiner Schwester in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach der Beschwerdeführer mit dieser zu Hause Tschetschenisch spreche.

 

2.8. Hinzuweisen ist zudem darauf, dass dem Beschwerdeführer in eventu eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar ist. Aus den Länderberichten geht hervor, dass das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes auch Tschetschenen - wie allen russischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen - zusteht. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandsreisepasses und nachweisbarer Wohnraum. Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt.

 

Da der Beschwerdeführer bei der Ausreise sowohl über einen russischen Inlandsreisepass als auch einen Auslandsreisepass verfügte, erscheint eine solche Registrierung möglich. Auch wenn der Beschwerdeführer vorbrachte, sein Inlands- und Auslandsreisepass seien in Polen verblieben, so erscheint es möglich und zumutbar, dass er sich einen aktuellen Reisepass von den Behörden ausstellen lässt, schließlich konnte auch eine Führerscheinausstellung im Jahr XXXX offenbar problemlos erfolgen.

 

Dass eine solche Wohnsitznahme außerhalb Tschetscheniens möglich ist, geht bereits aus dem Faktum hervor, dass etwas 14.500 Tschetschenen alleine in Moskau, 11.500 allein in der Rostow Region und 12.000 in Stawropol leben.

 

Soweit der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorbringt, man würde ihn überall finden, ist dem entgegenzuhalten, dass sich aus den Ausführungen im Länderinformationsblatt ergibt, dass die Machtentfaltung des tschetschenischen Oberhauptes außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt gilt und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands steht jedenfalls nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow.

 

Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auf das Urteil des EGMR vom 30.11.2017, Nr 54646/17, X/Deutschland, und die entsprechende Vorentscheidung des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.7.2017, Zl BVerwG 1 VR 3.17, zu verweisen: Befürchtungen von Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" Kadyrows nicht sicher zu sein, wurden in der Entscheidung des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.7.2017 derart eingestuft, dass diese allgemeine Berichtslage eine konkrete Betroffenheit des dortigen Beschwerdeführers mit einer solchen Situation nicht hinreichend belegen würde. Das Risiko, dass (ad casu) dagestanische Behörden den aus Deutschland ausgewiesenen Beschwerdeführer außerhalb Dagestans suchen und misshandeln oder nach Dagestan bringen würden, hielt der zuständige Senat ebenfalls für gering. Diese Einschätzung wurde schließlich durch die zurückweisende Entscheidung des EGMR vom 7.11.2017 bestätigt.

 

Beim Beschwerdeführer in der angeführten Entscheidung handelte es sich um einen russischen Staatsangehörigen, der in Deutschland aufwuchs und sich dort jahrelang mit einer Aufenthaltsberechtigung aufhielt. 2017 wurde dann seine Abschiebung nach Russland angeordnet, da er verdächtigt wurde, sich an einem terroristischen Anschlag in Deutschland beteiligen zu wollen und daher eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle. Herr X. habe sich zwar noch nicht in der Planungsphase eines Attentats befunden, es bestehe aber eine abstrakte Gefahr für die Gesellschaft. Diese abstrakte Gefahr überwiege seine privaten Interessen an einem Verbleib in Deutschland, wo er die letzten 15 Jahre gelebt habe.

 

Ebenfalls in gerade genannter Entscheidung thematisiert wurde die Haltung des russischen Staates, gegen islamistischen Terrorismus konsequent vorzugehen, sowie das Faktum, dass abgeschobene Kaukasier besondere Aufmerksamkeit russischer Behörden erfahren würden. Doch auch diese Informationen würden die Annahme nicht erlauben, dass der dortige Beschwerdeführer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder ähnliches erwarten würde, wobei das deutsche Bundesverwaltungsgericht dabei Bezug auf eine Auskunft des russischen "Komitee zur Verhinderung von Folter" nimmt, wonach es nahezu ausgeschlossen erscheine, dass der (dortige) Beschwerdeführer "präventiv" gefoltert oder einer anderen Art 3 EMRK-widrigen Behandlung ausgesetzt würde, selbst wenn er im Falle seiner Abschiebung mit einer Befragung und Überwachung zu rechnen haben würde. Es würden keine Hinweise vorliegen, dass sich ein Fokus der russischen Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit Strafverfahren, die wegen Beteiligung in einer illegalen bewaffneten Gruppierung im Ausland eröffnet worden seien, auch auf Personen richten würde, die nicht aus Syrien, dem Irak oder der Türkei, sondern aus Westeuropa zurückkehren würden. Gegen Tschetschenen, die sich in Moskau oder in anderen Bereichen der Russischen Föderation niedergelassen hätten, würden Strafverfahren aufgrund falscher Anschuldigungen heute kaum noch vorkommen. Auch diese Einschätzung wurde durch die zurückweisende Entscheidung des EGMR vom 7.11.2017 bestätigt.

 

Der Beschwerdeführer stammt im nun gegenständlichen Fall ebenso ursprünglich aus dem Nordkaukasus und ist es auch für den Beschwerdeführer, der, entgegen dem Beschwerdeführer in der oben zitierten Entscheidung, niemals wegen terroristischer Straftaten verurteilt wurde, eine vertretbare Annahme, dass ihm im Falle einer Ansiedlung in einem anderen Teil der Russischen Föderation nicht jedenfalls oder mit einer entsprechend beachtlichen Wahrscheinlichkeit Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die russischen oder tschetschenischen Sicherheitsbehörden drohen würde.

 

Der Beschwerdeführer legte auch zu keinem Zeitpunkt substantiiert dar, was gegen eine Niederlassung seiner Person in anderen Landesteilen spricht, sondern gab lediglich nicht näher begründet an, er hätte dort keine Zukunft, weil er nur einen Schulabschluss gemacht habe.

 

Es wäre dem Beschwerdeführer also jedenfalls auch zumutbar, in der tschetschenischen Diaspora in Moskau, Rostow oder Stawropol Fuß zu fassen und einen Arbeitsplatz zu finden (vgl in diesem Sinne auch die hg Entscheidungen W226 2186272-1 vom 21.1.2019 und W103 1302519-2 vom 12.9.2018, in denen in vergleichbaren Fällen ebenfalls vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen wurde).

 

Soweit der Beschwerdeführer in der Stellungnahme vom 31.1.2019 vorbringt, eine innerstaatliche Fluchtalternative sei zu verneinen und diesbezüglich eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus 2016 zitiert, so ist dem entgegenzuhalten, dass der Sachverhalt in dem angeführten Erkenntnis (Furcht vor Verfolgung aufgrund des asylberechtigten Lebensgefährten in Österreich) in keiner Weise mit dem gegenständlichen Fall vergleichbar ist.

 

Soweit im Hinblick auf das Nichtbestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative eine Anfragebeantwortung von Amnesty International an das deutsche Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt zitiert wird, in der im Wesentlichen undifferenziert eine innerstaatliche Relokationsalternative verneint wird, stehen diese Ausführungen den ausgewogenen Länderinformationen der Staatendokumentation entgegen und kann daraus für den Beschwerdeführer insgesamt nichts gewonnen werden.

 

2.9. Die Feststellungen zum Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus seinen Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 30.7.2018 und seinen Ausführungen und jenen seiner Schwester in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.1.2019 sowie aus den im Akt einliegenden Dokumenten. Einem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister lässt sich entnehmen, dass der Beschwerdeführer lediglich von 11.10.2011 bis 18.9.2012 an derselben Adresse, wie seine Schwester, gemeldet war.

 

Aus den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren und jenen seiner Schwester im Rahmen der Zeugeneinvernahme lässt sich in keiner Weise ableiten, dass zu den in Österreich aufhältigen Familienangehörigen ein besonderes finanzielles oder persönliches Abhängigkeitsverhältnis bestehen würde. Der Beschwerdeführer sprach zwar davon, derzeit meistens bei seiner Schwester aufhältig zu sein, eine besonders enge Beziehung, die über die üblichen Bindungen hinausgehen würde, ist im gesamten Verfahren jedoch nicht hervorgekommen.

 

Hinsichtlich der Feststellung, dass der Beschwerdeführer die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin künftig via elektronischen Medien und dem Internet aufrechterhalten kann, ist auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung zu verweisen.

 

Dass der Beschwerdeführer derzeit erwerbstätig ist, ergab sich aus seinen Angaben im Verfahren sowie aus den vorgelegten diesbezüglichen Bestätigungen.

 

Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers beruhen insbesondere auf den Wahrnehmungen des erkennenden Richters in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers waren so fortgeschritten, dass große Teile der Verhandlung in deutscher Sprache abgehalten werden konnten. Dass Tschetschenisch die Muttersprache des Beschwerdeführers ist, hat dieser im Verfahren durchgehend angegeben und ist unstrittig. Was die Russischkenntnisse des Beschwerdeführers betrifft, so hat dieser in der Erstbefragung vom 4.9.2009 zwar angegeben, nur schlecht Russisch zu sprechen, dem kann allerdings nicht gefolgt werden, nachdem in der Folge sämtliche Einvernahmen und Verhandlungen im Verfahren in russischer Sprache erfolgten und der Beschwerdeführer jedes Mal angab, damit einverstanden zu sein und den Dolmetscher gut zu verstehen.

 

Die Ausführungen zu den Verhältnissen des Beschwerdeführers im Heimatland gründen sich auf seine Angaben im Verfahren.

 

2.10. Die Feststellung, wonach ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt und ein Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung zum Entscheidungszeitpunkt nicht prognostiziert werden kann, beruht einerseits auf den drei strafgerichtlichen Verurteilungen zwischen Mai 2016 und August 2017 und andererseits auf der Tatsache, dass über den Beschwerdeführer in den Jahren 2015 bis 2018 insgesamt achtzehn Mal Verwaltungsstrafen verhängt wurden.

 

Wenn der Beschwerdeführer in der Beschwerde vom 14.9.2018 beteuert, er bereue diese Taten zutiefst und auch in der Stellungnahme vom 31.1.2019 darauf hinweist, dass er sich bezüglich seiner strafgerichtlichen Verurteilungen einsichtig gezeigt habe, so steht dies nicht mit seinen Angaben im Verfahren im Einklang. So behauptete er in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 30.7.2018, nur zweimal strafgerichtlich verurteilt worden zu sein, den Vorfall, als er "vergessen" habe, die Tankfüllung zu bezahlen, habe er sogleich "mit der Polizei geklärt". Auf Vorhalt des Strafregisterauszuges erkundigte er sich lediglich, ob "alle dafür so bestraft werden", wenn man vergesse, bei der Tankstelle zu bezahlen. Auch aus der Reaktion des Beschwerdeführers auf Vorhalt der von ihm begangenen Verwaltungsübertretungen lässt sich nicht ableiten, dass er diese bereuen würde. So gab er lapidar an, er sei "halt mal zu schnell gefahren". Auch wenn nicht verkannt wir, dass der Beschwerdeführer die offenen Strafen nun ratenweise bezahlt, so ergibt sich in Zusammenschau mit seinen sonstigen Angaben daraus noch nicht, dass eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aktuell nicht mehr gegeben ist. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung bejahte der Beschwerdeführer zwar zunächst die Frage, ob alle Verurteilungen seiner Person in Österreich aus seiner Sicht zu Recht erfolgten, relativierte dies dann aber wieder, indem er ausführte, dass dies "mit den Bestellungen bei den Versandhäusern" so nicht stimme. Auf Vorhalt des entsprechenden Urteils durch den Richter brachte er dann schließlich vor, nicht zu wissen, wie das Gericht dazu gekommen sei. Auch wenn der Beschwerdeführer, insbesondere in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, immer wieder beteuerte, er werde zukünftig keine Straftaten mehr begehen, so konnte, insbesondere auch aufgrund der noch relativ kurzen Zeit des Wohlverhaltens, insgesamt nicht nachhaltig dargelegt werden, dass der Beschwerdeführer die österreichische Rechtsordnung in Zukunft achten und sich wohlverhalten wird.

 

2.11. Die Feststellungen zu den entscheidungsrelevanten Aspekten der Situation in der Russischen Föderation, welche diesem Erkenntnis zugrunde liegen, ergeben sich aus den unter I.2.6. genannten / in der Beschwerdeverhandlung vom 14.1.2019 verwiesenen Quellen, unter Beachtung der von der Partei in ihren Stellungnahmen vom 31.1.2019 erwähnten weiteren Quellen. Soweit in der Beschwerde vom 14.9.2018 moniert wird, dass die im Bescheid zitierten Länderinformationen veraltet seien, kann diesem Einwand nicht gefolgt werden. Die ausführlichen Länderinformationen der Staatendokumentation enthalten eine Vielzahl von Berichten verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen. Soweit es sich um Quellen älteren Datums handelt, können diese, aufgrund der sich nicht geänderten Verhältnisse, nach wie vor als aktuell bezeichnet werden. Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall also jedenfalls dem Erfordernis der Zugrundelegung aktueller Beweismittel entsprochen und besteht für das erkennende Gericht kein Grund, an der Richtigkeit der Situationsdarstellungen zu zweifeln. Darüber hinaus wurden in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 14.1.2019 weitere aktuelle Berichte in das Verfahren eingeführt. Wenn bemängelt wird, dass diese nur allgemeine Aussagen über die Russische Föderation enthielten, sich aber kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befassen würden, ist dazu festzuhalten, dass dies unrichtig ist, zumal die Länderberichte Ausführungen zu Veteranen der Tschetschenienkriege beziehungsweise deren Angehörigen enthalten. Insgesamt ist es dem Beschwerdeführer also nicht gelungen, die getroffenen Länderfeststellungen in Zweifel zu ziehen.

 

Die Staatendokumentation adaptiert ihre Länderfeststellungen laufend und arbeitet in die bestehenden Länderinformationen jeweils die neuesten Entwicklungen ein.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

 

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg cit). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs 1 VwGVG).

 

3.2. Zu Spruchteil A)

 

3.2.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

 

3.2.1.1. Der mit "Aberkennung des Status des Asylberechtigten" betitelte § 7 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

"(1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

 

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

 

2. einer der in Art 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

 

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

 

(2) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs 1 wahrscheinlich ist.

 

(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt - wenn auch nicht rechtskräftig - nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs 1 Z 2 aberkannt werden.

 

(4) Die Aberkennung nach Abs 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen."

 

Gemäß § 2 Abs 3 AsylG ist ein Fremder im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt (Z 1), oder mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 2).

 

Da der Beschwerdeführer mehrfach wegen vorsätzlich begangener Straftaten verurteilt und sohin im Sinne des § 2 Abs 3 AsylG straffällig wurde, kommt die Bestimmung des Abs 3 leg cit fallgegenständlich nicht zur Anwendung.

 

Gemäß § 7 Abs 1 Z 2 AsylG 2005, welcher vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angewendet wurde, ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn einer der in Art 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist.

 

Art 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention lautet:

 

"C. Dieses Abkommen wird auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn sie

 

1. sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat; oder

 

2. die verlorene Staatsangehörigkeit freiwillig wieder erworben hat; oder

 

3. eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz ihres neuen Heimatlandes genießt; oder

 

4. sich freiwillig in dem Staat, den sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen oder nicht betreten hat, niedergelassen hat; oder

 

5. wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

 

Die Bestimmungen der Ziffer 5 sind nicht auf die in Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels genannten Flüchtlinge anzuwenden, wenn sie die Inanspruchnahme des Schutzes durch ihr Heimatland aus triftigen Gründen, die auf frühere Verfolgungen zurückgehen, ablehnen;

 

6. staatenlos ist und die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, sie daher in der Lage ist, in ihr früheres Aufenthaltsland zurückzukehren.

 

Die Bestimmungen der Ziffer 6 sind jedoch auf die in Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels genannten Personen nicht anzuwenden, wenn sie die Inanspruchnahme des Schutzes durch ihr früheres Aufenthaltsland aus triftigen Gründen, die auf frühere Verfolgungen zurückgehen, ablehnen."

 

3.2.1.2. Im vorliegenden Beschwerdefall sind die Voraussetzungen des Asylaberkennungsgrundes gemäß § 7 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt C Z 5 GFK erfüllt:

 

Wie beweiswürdigend dargelegt, reiste der Beschwerdeführer im Jahr 2009 im Alter von XXXX Jahren in das österreichische Bundesgebiet ein und erhielt in der Folge aufgrund seines glaubhaften Vorbringens, demzufolge sich sein Vater im Jahr 2007 den Widerstandskämpfern angeschlossen habe und daher auch ein hohes Risiko für ihn als Angehörigen bestand, durch Behörden verfolgt zu werden, den Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

 

Wie bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dargestellt und beweiswürdigend festgehalten, kam es seit dem Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers - wenn auch eine nach wie vor vielfach problematische Menschenrechtssituation nicht verkannt wird - zu einer Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers. Es kann demnach nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr aufgrund des Anschlusses seines Vaters an die Widerstandskämpfer im Jahr 2007 nach wie vor mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gezielte staatliche Verfolgung drohen würde.

 

Wie in der Beweiswürdigung umfassend dargestellt, brachte der Beschwerdeführer im nunmehrigen Aberkennungsverfahren - weder im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch in der Beschwerdeverhandlung - konkrete Umstände vor, welche auf das Vorliegen einer Gefährdung seiner Person im Herkunftsstaat schließen ließen. Nach seinen Rückkehrbefürchtungen befragt, berief sich der Beschwerdeführer vorwiegend auf den Umstand, dass er Probleme bei der Bestreitung seines Lebensunterhaltes hätte. Die Ausführungen des Beschwerdeführers gestalteten hinsichtlich einer aktuellen Verfolgungsgefahr, wie in der Beweiswürdigung festgehalten, äußerst vage und handelte es sich dabei bis zuletzt nur um Mutmaßungen, die keineswegs untermauert wurden.

 

Auch von Amts wegen konnten, wie dargelegt, keine Gründe dahingehend erkannt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation zum aktuellen Zeitpunkt von russischen Behörden verfolgt wird. Hierbei ist auch auf die zwischenzeitig eingetretene Lageänderung hinzuweisen (siehe dazu insbesondere die Entscheidung des BVwG vom 18.12.2018, W112 1258438-2 sowie jene vom 6.9.2018, W236 2202290-1 (nachfolgende Beschwerdeablehnung, VfGH vom 25.2.2019, E 420/2019) und vom 7.3.2019, W125 1240799-3), wonach insbesondere seit 2011 keine Verfolgungen im Kontext der ersten beiden Tschetschenienkriege festzustellen waren.

 

Hinzu kommt, dass dem Beschwerdeführer im XXXX ein Führerschein von den Behörden seines Heimatlandes ausgestellt wurde und ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, würde er tatsächlich noch eine asylrelevante Verfolgung befürchten, ein solches Risiko eingegangen wäre, mag er sich auch nicht persönlich an die Behörden gewandt haben. Abgesehen davon wird durch die offensichtlich unproblematische Reisepassausstellung evident, dass dem Beschwerdeführer zum jetzigen Zeitpunkt offensichtlich keine Verfolgung mehr droht. Würde der Beschwerdeführer nach wie vor von den Behörden in seinem Heimatland gesucht werden, hätten diese ihm wohl kaum ohne weiteres einen Führerschein ausgestellt.

 

Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sind beim Beschwerdeführer daher aus dem Grund des § 7 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt C Z 5 GFK gegeben und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher abzuweisen.

 

Da sich die Aberkennung des Status des Asylberechtigten als rechtmäßig erweist, hat die belangte Behörde auch gemäß § 7 Abs 4 AsylG 2005 zu Recht festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt.

 

Überdies ist festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 in eventu offensteht (siehe dazu näher die beweiswürdigenden Erwägungen unter 2.8.), so man eine Rückkehr nach Tschetschenien selbst für unzulässig ansähe.

 

3.2.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

3.2.2.1. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs 1 oder aus den Gründen des Abs 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

Somit war zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art 2 EMRK (Recht auf Leben), Art 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.2.1995, Zl 95/18/0049; 5.4.1995, Zl 95/18/0530; 4.4.1997, Zl 95/18/1127; 26.6.1997, ZI. 95/18/1291; 2.8.2000, Zl 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.9.1993, Zl 93/18/0214).

 

3.2.2.2. Wie bereits unter 3.2.1. ausgeführt, droht dem Beschwerdeführer im Herkunftsland keine Gefährdung in Zusammenhang mit seinen ursprünglichen Ausreisegründen, die im Jahr 2010 zur Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten geführt haben.

 

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass in der Russischen Föderation derzeit eine "extreme Gefahrenlage" (vgl etwa VwGH vom 16.4.2002, 2000/20/0131) im Sinne einer dermaßen schlechten wirtschaftlichen oder allgemeinen (politischen) Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Abschiebung als unrechtmäßig erscheinen ließe.

 

Es wird nicht verkannt, dass es gemäß den aktuellen Länderfeststellungen im Nordkaukasus immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Gleichzeitig wird darin aber ausgeführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangen beiden Jahren deutlich zurückgegangen ist. Insofern in der Beschwerde vom 14.9.2018 der EASO Bericht aus März 2017 zitiert wird, der (auch) in Tschetschenien weitläufige Menschenrechtsverletzungen aufzeige, so ist dazu festzuhalten, dass daraus nicht undifferenziert auf eine allgemeine Gefährdung für sämtliche Staatsbürger geschlossen werden kann. Auch wenn die Sicherheitslage im Nordkaukasus teilweise problematisch ist, erlaubt die allgemeine Lage in der Russischen Föderation dennoch die Erlassung von negativen Entscheidungen in Fällen, in denen eine individuelle Verfolgung nicht besteht. Im vorliegenden Fall sind individuelle aktuell bestehende Fluchtgründe, wie bereits oben näher ausgeführt, nicht hervorgekommen.

 

Dem volljährigen und gesunden Beschwerdeführer ist die Teilnahme am Erwerbsleben möglich und ist es ihm zumutbar, seinen notdürftigen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Beschwerdeführer war bis zum Alter von XXXX Jahren im Heimatland aufhältig, spricht die tschetschenische und russische Sprache und ist mit den Gegebenheiten seines Heimatlandes vertraut. Wie bereits beweiswürdigend festgehalten, ist auch davon auszugehen, dass sich im Heimatland nach wie vor Familienangehörige des Beschwerdeführers aufhalten, die ihm im Falle einer Rückkehr zumindest anfänglich unterstützend zur Seite stehen könnten. Wenn auch nicht verkannt wird, dass sich der Beschwerdeführer nunmehr seit knapp zehn Jahren in Österreich aufhält, kann aufgrund der individuellen Umstände keine vollständige Entwurzelung respektive mit einer Rückkehr verbundene unzumutbare Härten erkannt werden.

 

Darüber hinaus steht dem Beschwerdeführer, wie bereits festgehalten, eine innerstaatliche Fluchtalternative in eventu offen. Jedenfalls droht dem Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung nach Moskau, Rostow oder Stawropol kein reales Risiko der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Es ergeben sich keine Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer in anderen Landesteilen durch tschetschenische Sicherheitskräfte gefunden und misshandelt würde (vgl dazu auch BVwG vom 31.1.2018, W211 1428789-2 sowie vom 9.4.2018, W112 1315471 und vom 7.3.2019, W125 1240799-3).

 

Die reale Gefahr, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat eine Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe drohen könnte, kann somit nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung sprechen würden, sind ebenfalls nicht erkennbar, weswegen die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides auch aus diesem Grund abzuweisen war.

 

3.2.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides:

 

3.2.3.1. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

Gemäß § 57 Abs 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Keine der Voraussetzungen des § 57 AsylG ist im gegenständlichen Falle erfüllt, weshalb das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht festgestellt hat, dass dem Beschwerdeführer keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz zuzuerkennen ist.

 

Gemäß § 52 Abs 2 Z 3 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

§ 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

 

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

 

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

 

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

 

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr 60/1974 gilt."

 

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

 

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).

 

Beim sogenannten "erweiterten Familienleben", zu Geschwistern, Onkeln, Tanten, usw wird ein "effektives Familienleben" gefordert, das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder speziell engen, tatsächlich gelebten Banden zu äußern hat (vgl Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 343 f).

 

Weiters ist zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen wird und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art 8 Abs 2 EMRK).

 

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl EGMR 8.3.2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06; 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). Bei dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl VfGH 29. 9. 2007, B 1150/07; 12. 6. 2007, B 2126/06; VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/479; 26. 1. 20006, 2002/20/0423; 17. 12. 2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20053, S. 282ff). Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen; das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung; Bindung zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit beziehungsweise bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen beziehungsweise die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht.

 

3.2.3.2. Im vorliegenden Fall fällt die gemäß Art 8 Abs 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das die Interessenabwägung mängelfrei vorgenommen hat, trotz des langjährigen Aufenthalts in Österreich zu Lasten des Beschwerdeführers aus:

 

3.2.3.2.1. Der Beschwerdeführer lebt seit September 2009, sohin seit knapp zehn Jahren, im österreichischen Bundesgebiet.

 

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

 

In Österreich hält sich die Schwester des Beschwerdeführers mit deren Familie auf; diese ist mittlerweile österreichische Staatsangehörige. Das Bundesverwaltungsgericht geht nicht davon aus, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Schwester beziehungsweise deren Familie ein Familienleben dahingehend besteht, dass diese in einer Form der finanziellen oder sonstigen Abhängigkeit stünden; Hinweise darauf haben sich während des gesamten Verfahrens nicht ergeben.

 

Der Beschwerdeführer hat Bestätigungen in Vorlage gebracht, wonach er seit August 2017 als XXXX tätig ist und außerdem eine geringfügige Beschäftigung ausübt und brachte im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vor, 1.700,- Euro netto pro Monat zu verdienen. Es ist also von einer Selbsterhaltungsfähigkeit auszugehen und hat er das Bestehen eines finanziellen Abhängigkeitsverhältnisses zu seiner Schwester auch zu keinem Zeitpunkt behauptet. Im Verfahren ist auch nicht hervorgekommen, dass zwischen dem jungen und gesunden Beschwerdeführer und seiner Schwester in irgendeiner sonstigen Weise ein Abhängigkeitsverhältnis bestünde.

 

Wie festgestellt, war der Beschwerdeführer nur von 11.10.2011 bis 18.9.2012 an derselben Adresse gemeldet wie seine Schwester. Auch wenn die Behauptung des Beschwerdeführers, er halte sich seit August 2018 die meiste Zeit über bei seiner Schwester auf, zutreffen sollte, ist dennoch ein Abhängigkeitsverhältnis zu dieser zu verneinen und vermag dies an den überwiegenden öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung nichts zu ändern.

 

Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen würden nur dann unter den Schutz des Art 8 Abs 1 EMRK fallen, wenn zusätzliche Merkmale einer Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen. Solches ist im gegenständlichen Fall nicht hervorgekommen.

 

Ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens kann im gegenständlichen Fall somit insgesamt nicht erkannt werden.

 

3.2.3.2.2. Was die Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers im Bundesgebiet betrifft, so ist zunächst auszuführen, dass diese, den Angaben des Beschwerdeführers zufolge, erst seit einigen Monaten besteht; in der Einvernahme vom 30.7.2018 gab er noch an, keine Beziehung zu führen, erstmals brachte er in der Beschwerde vom 14.9.2018 vor, sich in einer Lebensgemeinschaft zu befinden und zu hoffen, diese noch weiter vertiefen zu können. Der Beschwerdeführer verneinte die Frage, ob ein gemeinsamer Wohnsitz vorliegt, in der mündlichen Verhandlung; vielmehr führte er aus, seine Lebensgefährtin wohne derzeit noch bei ihren Eltern, sie würden sich teilweise jeden zweiten Tag, teilweise aber auch nur am Wochenende sehen. Ein Abhängigkeitsverhältnis des Beschwerdeführers zu seiner Lebensgefährtin konnte nicht festgestellt werden. Beim Eingehen der Beziehung vor noch nicht einmal einem Jahr war dem Beschwerdeführer auch bereits der Umstand, dass ein Aberkennungsverfahren eingeleitet worden war und sohin die Unsicherheit seines Aufenthaltes bewusst.

 

Festzuhalten ist auch, dass sich die Ausführungen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Lebensgefährtin widersprüchlich zu den Angaben seiner Schwester gestalteten: Während der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung behauptete, seine Lebensgefährtin und seine Schwester hätten sich bereits oft gesehen, brachte die als Zeugin einvernommene Schwester des Beschwerdeführers vor, die Lebensgefährtin ihres Bruders nur aus Erzählungen zu kennen, sie aber noch nie getroffen zu haben. Damit konfrontiert, änderte der Beschwerdeführer seine Ausführungen dann insofern ab, als er zunächst zu Protokoll gab, dass die Aussage seiner Schwester zutreffe, sich die beiden noch nie persönlich getroffen hätten, er seiner Schwester aber alles über sie erzählt habe. Schließlich relativierte er diese Angaben wiederum, indem er ausführte, es sei schon möglich, dass sie sich "mal kurz gesehen" hätten.

 

Es ist für den erkennenden Richter keineswegs nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer und seine Schwester derart unterschiedliche Angaben machten und schien es so, also ob der Beschwerdeführer die wahren Umstände seiner Lebensgemeinschaft verschleiern wollte.

 

Ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers liegt aufgrund des Bestehens der Lebensgemeinschaft insgesamt nicht vor (vgl dazu auch die Entscheidung des EGMR vom 31.7.2008, 265/07, Omoregie ua / Norwegen; diese betraf die Ausweisung eines ehemaligen (nigerianischen) Asylwerbers und erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls keine Verletzung von Art 8 EMRK, obwohl der Beschwerdeführer während seines Asylverfahrens eine Lebensgemeinschaft mit einer norwegischen Staatsangehörigen gegründet hatte und Vater einer gemeinsamen Tochter geworden war, da sich der Beschwerdeführer, der seine Lebensgefährtin (nach Abweisung des Asylantrages) geehelicht hatte, über die Unsicherheit seines fremdenrechtlichen Aufenthaltsstatus in Norwegen bereits zu Beginn der Beziehung im Klaren sein habe müssen; siehe auch die Entscheidungen des VwGH vom 26.6.2019, Ra 2019/21/0123, vom 28.2.2019, Ra 2018/01/0409, vom 31.1.2019, Ra 2019/20/0028 sowie vom 26.11.2018, Ra 2018/20/0498).

 

Auch wenn Besuche durch die Lebensgefährtin aufgrund des Umstandes, dass diese hinsichtlich des Herkunftsstaates Russische Föderation den Asylstatus zuerkannt bekommen hat, nicht möglich sind, geht der erkennende Richter, wie festgestellt, davon aus, dass die Beziehung auch vom Heimatland aus über elektronische Medien und das Internet beziehungsweise Treffen in anderen Staaten aufrechterhalten werden kann (vgl dazu die hg Entscheidung vom 11.5.2017, W112 1244064-2).

 

Was das sonstige Privatleben des Beschwerdeführers betrifft, so ist diesem zugute zu halten, dass er infolge seines nunmehr knapp zehnjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet die deutsche Sprache beherrscht, sodass auch die mündliche Beschwerdeverhandlung zum großen Teil auf Deutsch abgehalten werden konnte.

 

Auch wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer (mit kürzeren Unterbrechungen) bereits seit dem Jahr 2012 im Bundesgebiet erwerbstätig ist. Derzeit ist er (seit August 2017) in dem Unternehmen XXXX in XXXX in der Abteilung XXXX als XXXX tätig. Zusätzlich übt er eine geringfügige Beschäftigung bei dem Unternehmen XXXX aus.

 

Darüberhinausgehende besondere Integrationsbemühungen hat er jedoch nicht dargetan.

 

Hinzuweisen ist außerdem auf die drei rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sowie auf die Verhängung von Verwaltungsstrafen nach dem Führerscheingesetz, der Straßenverkehrsordnung und dem Kraftfahrzeuggesetz in achtzehn Fällen.

 

Die letzte strafgerichtliche Verurteilung liegt erst knapp über zwei Jahre zurück und ist davon auszugehen, dass die Fortsetzung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Wie sich aus den diesbezüglichen Aussagen des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie in der Beschwerdeverhandlung ergibt, ist er bezüglich der verübten Straftaten beziehungsweise Verwaltungsübertretungen nur teilweise einsichtig und bestehen daher nach wie vor Zweifel an einer hinreichenden Verbundenheit des Beschwerdeführers mit der hiesigen Werteordnung und den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates. Die Zeit des Wohlverhaltens ist bis dato zu kurz, um von einer positiven Zukunftsprognose ausgehen zu können (vgl dazu auch schon die beweiswürdigenden Erwägungen unter 2.10.).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden zwar regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen und es kann grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (vgl etwa VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0340). Was den gegenständlichen Fall betrifft ist einerseits festzuhalten, dass diese Rechtsprechungslinie nur Konstellationen betroffen hat, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH vom 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; VwGH vom 10.11.2015, Ro 2015/19/0001; VwGH vom 31.8.2017, Ra 2017/21/0120; VwGH vom 5.10.2017, Ra 2017/21/0174; VwGH vom 10.9.2018, Ra 2018/19/0169-10). Wie bereits ausgeführt, weist der Beschwerdeführer drei rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen auf und wurden über ihn zusätzlich in achtzehn Fällen Verwaltungsstrafen nach dem Führerscheingesetz, der Straßenverkehrsordnung und dem Kraftfahrzeuggesetz verhängt. Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers würde demnach mit einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit einhergehen, zumal eine positive Zukunftsprognose in seinem Fall aufgrund der kontinuierlichen Missachtung von Rechtsnormen und der noch relativ kurzen Zeit des Wohlverhaltens nicht erkannt werden kann (vgl dazu VwGH vom 18.6.2013, 2013/18/0066 und VwGH vom 20.12.2018, Ra 2018/21/0224).

 

Festzuhalten ist überdies, dass der Beschwerdeführer bis zum Alter von XXXX Jahren im Herkunftsstaat gelebt hat, sodass er mit den dortigen Gegebenheiten und der Landessprache unzweifelhaft in ausreichendem Maß vertraut ist.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, rechtfertigen würden.

 

Gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr 189/1955) erreicht wird.

 

Nach § 55 Abs 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

 

Obigen Erwägungen zufolge sind die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 nicht gegeben.

 

Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Nach § 50 Abs 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr 210/1958, oder das Protokoll Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Feststellungen zufolge keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. als unbegründet abzuweisen.

 

3.2.4. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides:

 

3.2.4.1. Der mit "Einreiseverbot" betitelte § 53 FPG lautet wie folgt:

 

"§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

 

...

 

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

 

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

 

5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

 

7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

 

8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

 

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

 

(5) Eine gemäß Abs 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

 

(6) Einer Verurteilung nach Abs 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht."

 

Bei der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289; 24.3.2015, Ra 2014/21/0049).

 

Bei der Entscheidung betreffend die Verhängung eines Einreiseverbots ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - darauf abzustellen, wie lange die vom Fremden ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237).

 

Weiters ist bei der Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbots auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen (VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002; vgl auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 53 FPG, K12).

 

Schließlich darf bei der Verhängung eines Einreiseverbots das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen nicht regelmäßig schon dann erfolgen, wenn einer der Fälle des § 53 Abs 2 Z 1 bis 9 beziehungsweise des § 53 Abs 3 Z 1 bis 8 FPG vorliegt (vgl etwa VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002 mwH).

 

3.2.4.2. Im vorliegenden Fall ist infolge der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers der Tatbestand des § 53 Abs 3 Z 1 FPG erfüllt.

 

Wie bereits zur Frage der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung geprüft, überwiegen im Falle des Beschwerdeführers die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung und ist die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Sinne des Eingriffsverhaltens nach Art 8 EMRK gerechtfertigt.

 

Das von der belangten Behörde angeordnete Einreiseverbot nach § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 6 FPG erweist sich somit dem Grunde nach als gerechtfertigt.

 

3.2.4.3. Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist die Dauer der vom Fremden ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (VwGH vom 15.12.2011, 2011/21/0237 und vom 20.12.2016, Ra 2016/21/0109).

 

Diesbezüglich ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer dreimal innerhalb von nicht einmal einem Jahr strafgerichtlich verurteilt wurde, wobei die letzte Verurteilung im Mai 2017, sohin vor gerade einmal etwas mehr als zwei Jahren erfolgte. Was die Verwaltungsübertretungen betrifft, so konnten den Beschwerdeführer selbst Strafen nicht von weiteren Übertretungen abhalten. Er wurde in den Jahren 2015 bis 2018 insgesamt achtzehnmal wegen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung, das Kraftfahrzeuggesetz und das Führerscheingesetz bestraft. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ist auch künftig nicht so schnell ein Gesinnungswandel zu erwarten; die Zeit des Wohlverhaltens ist jedenfalls noch zu kurz, um davon ausgehen zu können. In Anbetracht der festgestellten privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich und unter Berücksichtigung der genannten öffentlichen Interessen, insbesondere in Anbetracht der dreimaligen strafgerichtlichen Verurteilungen und der Vielzahl an Verwaltungsübertretungen, erscheint ein Einreiseverbot in der Dauer von drei Jahren als angemessen und war die Entscheidung der Behörde auch insofern zu bestätigen (vgl auch BVwG vom 15.11.2018, L504 2120838-1 sowie vom 24.1.2017, G301 1257844-7 (nachfolgende Revisionszurückweisung, VwGH vom 31.8.2017, Ra 2017/21/0041)).

 

3.3. Zu Spruchteil B)

 

Gemäß § 25a Abs 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl Nr 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

 

Im konkreten Fall ging das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst nicht von der bereits zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab und ist diese auch nicht uneinheitlich. Die Revision ist fallgegenständlich zudem deshalb nicht zulässig, weil weder die Aberkennungsentscheidung, die Frage des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative noch die Rückkehrentscheidung beziehungsweise die Verhängung des Einreiseverbotes neue Rechtsfragen aufwarfen.

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