VwGH Ra 2018/21/0224

VwGHRa 2018/21/022420.12.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des I U alias F in W, vertreten durch Mag. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Oktober 2018, Zl. I419 1252001-4/3E, I419 1252001-5/3E, betreffend Aufenthaltsverbot sowie Mitwirkungsverpflichtung und Ladung nach § 46 Abs. 2a FPG iVm § 19 AVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §19;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §46 Abs2a idF 2017/I/145;
FrPolG 2005 §46 Abs2b idF 2017/I/145;
RückübernahmeAbk Nigeria 2012 Art4;
RückübernahmeAbk Nigeria 2012 Art5;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210224.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis erließ das Bundesverwaltungsgericht gegen den Revisionswerber, einen nigerianischen Staatsangehörigen, zum einen gemäß § 67 Abs. 1 FPG ein achtjähriges Aufenthaltsverbot, wobei es den entsprechenden erstinstanzlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 8. August 2018 auch insoweit bestätigte, als kein Durchsetzungsaufschub erteilt und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde; zum anderen wies es die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 29. August 2018, mit dem der Revisionswerber gemäß § 46 Abs. 2a iVm Abs. 2b FPG (in der Fassung des FrÄG 2017) und § 19 AVG zum persönlichen Erscheinen bei der Behörde und zur Mitwirkung an der Erlangung eines Heimreisezertifikats im Rahmen eines Interviewtermins mit einer nigerianischen Delegation verpflichtet wurde, als unbegründet ab.

2 Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen fest, dass der Revisionswerber am 16. Juli 2004 illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und unter einer Alias-Identität als angeblich Minderjähriger einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, der vom Bundesasylamt noch im selben Jahr abgewiesen worden sei. Die dagegen erhobene Beschwerde sei vom Asylgerichtshof am 15. Oktober 2010 abgewiesen worden. Anfang 2011 sei der Revisionswerber in seinen Herkunftsstaat gereist, wo er eine slowakische Staatsangehörige geheiratet habe. Von Mai 2012 bis April 2013 habe er in der Slowakei gelebt. Im Mai 2013 habe er nach neuerlicher illegaler Einreise einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt, den das BFA mit am 14. Juni 2013 in Rechtskraft erwachsenem Bescheid zurückgewiesen habe. Im Jahr 2015 habe das BFA eine Rückkehrentscheidung und ein zehnjähriges Einreiseverbot erlassen. Das Bundesverwaltungsgericht habe das Einreiseverbot aufgehoben und die Sache insoweit an das BFA zurückverwiesen, die Rückkehrentscheidung (samt Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG) jedoch bestätigt. Im Jahr 2016 habe das BFA eine neuerliche Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot erlassen. Der Bescheid sei vom Bundesverwaltungsgericht behoben worden, weil der Revisionswerber als Ehegatte einer in Österreich lebenden "freizügigkeitsberechtigten" EWR-Bürgerin möglicherweise begünstigter Drittstaatsangehöriger sei. Schließlich habe das BFA das nunmehr bekämpfte Aufenthaltsverbot in der Dauer von acht Jahren erlassen.

3 Der Revisionswerber sei seit dem 7. Dezember 2017 am Wohnsitz seiner Ehefrau gemeldet. Diese habe zwei Kinder im Alter von drei und vierzehn Jahren. Das jüngere Kind sei entgegen der biologischen Abstammung (von einem - von der Mutter auf Vorhalt der Unmöglichkeit der Empfängnis während der Strafhaft des Revisionswerbers genannten - slowakischen Staatsangehörigen) standesamtlich als Kind des Revisionswerbers beurkundet. Das geringe Wissen des Revisionswerbers über die Person seiner Ehefrau entspreche nicht der Dauer der Ehe, es stehe jedoch nicht fest, dass er eine Aufenthaltsehe eingegangen sei.

4 Der Revisionswerber sei am 5. Oktober 2004 erstmals wegen eines Drogendelikts angezeigt worden und am 4. November 2004 zu einer viermonatigen bedingten Freiheitsstrafe (wobei von einer Jugendstraftat ausgegangen worden sei) sowie am 24. Februar 2005 zu einer siebenmonatigen unbedingten Freiheitsstrafe, jeweils wegen des gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln, verurteilt worden. Am 1. Juni 2007 sei er wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt sowie wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe sowie am 16. Dezember 2014 wegen räuberischen Diebstahls sowie wegen des Gebrauchs fremder Ausweise, Urkundenunterdrückung und gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Er habe seit 2007 regelmäßig mit Heroin und Kokain gehandelt. Zuletzt sei er von 3. Mai 2014 bis 4. September 2015 in Untersuchungs- und Strafhaft gewesen. Am 7. April 2016 sei er wegen des Verdachts des Drogenhandels festgenommen worden, wobei er massiv Widerstand geleistet habe.

5 Bereits 2012 sei für den Revisionswerber ein Heimreisezertifikat vorgelegen, er sei jedoch vereinbarungswidrig nicht zur Ausreise am Flughafen erschienen. Eine weitere 2013 vorgesehene Abschiebung mit neuem Heimreisezertifikat sei im November gescheitert, weil der Revisionswerber untergetaucht sei.

6 Er sei außerhalb der Haftzeiten keiner angemeldeten Arbeit nachgegangen. Abgesehen von den Drogendelikten und der Unterstützung durch seine Frau und die Caritas lebe er nach eigenen Angaben vom Glücksspiel und vom Gebrauchtwagenexport nach Nigeria, wofür keine gewerberechtliche Anmeldung existiere.

7 Im Herkunftsstaat, wo er die Schule besucht habe, lebten seine Mutter sowie eine Schwester.

8 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber als Ehemann einer "freizügigkeitsberechtigten" EWR-Bürgerin begünstigter Drittstaatsangehöriger sei, der jedoch mangels fünfjährigen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts nicht das Daueraufenthaltsrecht erworben habe.

9 Das Bundesverwaltungsgericht bejahte in der Folge auf Grund der Straftaten des Revisionswerbers, insbesondere seiner Drogenkriminalität, das Vorliegen einer Gefährdung im Sinn des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG. Die Delinquenz des Revisionswerbers wiege auch schwerer als sein Familienleben, zumal die eheliche Bindung auffallend schwach wirke.

10 Die Verhängung eines achtjährigen Aufenthaltsverbots entspreche dem jahrelang fortgesetzten massiven "Gesamtfehlverhalten" des Revisionswerbers sowie der Gefährdungsprognose.

11 Zur nach § 46 Abs. 2a iVm Abs. 2b FPG und § 19 AVG auferlegten Verpflichtung zum Erscheinen bei der Behörde und Mitwirkung an der Erlangung eines Heimreisezertifikats führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren relevant - aus, die Argumentation des Revisionswerbers, dass er ohnedies einen Reisepass besitze, gehe insofern ins Leere, als dieser - wenn noch vorhanden - dem BFA nicht zur Verfügung stehe.

12 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

13 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

14 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

15 Der Revisionswerber macht unter diesem Gesichtspunkt geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchführen hätte müssen. Es hätte ermittelt werden müssen, ob eine Scheinehe vorgelegen sei, wie sich das Familienleben entwickelt habe, ob die Verhaftung wegen des Verdachts auf Drogenhandel im Jahr 2016 gerechtfertigt gewesen sei und ob das Wohl seiner Kinder den Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich verlange. Außerdem habe das Bundesverwaltungsgericht eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgenommen, indem es trotz dreijährigen Wohlverhaltens eine vom Revisionswerber ausgehende tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr bejaht habe.

16 Diesem Vorbringen ist entgegen zu halten, dass die einzelfallbezogene Beurteilung betreffend die Gefährdungsprognose und die Interessenabwägung bei einem Aufenthaltsverbot dann nicht revisibel ist, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0219, mwN). Es ist jedenfalls nicht unvertretbar, wenn das Bundesverwaltungsgericht angesichts der schweren und über einen langen Zeitraum ausgeübten Suchtgiftkriminalität des Revisionswerbers zum einen die Gefährdungsprognose nach § 67 erster bis vierter Satz FPG und zum anderen die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des Revisionswerbers bejaht hat, wobei es ohnedies von einem bestehenden Eheleben ausgegangen ist. Auf den der Verhaftung im Jahr 2016 zugrunde liegenden Sachverhalt ist es dabei nicht entscheidend angekommen, weil selbst die vom Revisionswerber behauptete dreijährige Zeit des Wohlverhaltens seit der letzten Haftentlassung im September 2015 in Anbetracht seiner häufigen Rückfälle jedenfalls zu kurz wäre, um einen Wegfall oder eine maßgebliche Minderung der Gefährdung annehmen zu können (vgl. etwa zu einem dreieinhalbjährigen Wohlverhalten VwGH 18.6.2013, 2013/18/0066). Angesichts dessen durfte das Bundesverwaltungsgericht auch von einem eindeutigen Fall ausgehen, sodass gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG ausnahmsweise das Absehen von einer mündlichen Verhandlung gerechtfertigt war (vgl. etwa VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0233, mwN).

17 In Bezug auf die Ladung und die Mitwirkungsverpflichtung nach § 46 Abs. 2a iVm 2b FPG macht der Revisionswerber als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend, dass bereits am 27. März 2012 ein Heimreisezertifikat für ihn ausgestellt worden sei. Der Staat Nigeria kenne daher seine Identität und habe seine Staatsangehörigkeit bereits bestätigt. Nach Art. IV des Rückübernahmeabkommens mit Nigeria genüge es, dass seine Staatsangehörigkeit festgestellt sei, um die Abschiebung durchzuführen. Im Übrigen sei auch aktenkundig, dass er über einen von der nigerianischen Botschaft in Wien am 15. November 2015 ausgestellten Reisepass verfüge. Als gelinderes Mittel zur Feststellung seiner Identität hätte das BFA ihm daher die Vorlage des Reisepasses auftragen können. Aus diesem Grund sei es nicht erforderlich und daher unzulässig gewesen, den Revisionswerber zur Teilnahme an einem Interviewtermin zu verpflichten; nach § 46 Abs. 2 FPG sei "eine solche Ladung" nur dann vorgesehen, wenn der Fremde über keinen Reisepass verfüge.

18 Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dem Revisionswerber keine Verpflichtung nach § 46 Abs. 2 FPG, sondern eine solche nach § 46 Abs. 2a FPG, verbunden mit einer Ladung nach § 19 AVG, auferlegt wurde. Nach § 46 Abs. 2a FPG in der Fassung des FrÄG 2017 ist das BFA jederzeit ermächtigt, bei der für den Fremden zuständigen ausländischen Behörde die für die Abschiebung notwendigen Bewilligungen (insbesondere Heimreisezertifikat oder Ersatzreisedokument) einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen gemäß § 97 Abs. 1 FPG auszustellen; macht es davon Gebrauch, hat der Fremde an den Amtshandlungen des BFA, die der Erlangung der für die Abschiebung notwendigen Bewilligung oder der Ausstellung des Reisedokumentes dienen, insbesondere an der Feststellung seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft, im erforderlichen Umfang mitzuwirken und vom BFA zu diesem Zweck angekündigte Termine wahrzunehmen. Diese Verpflichtung kann dem Fremden gemäß § 46 Abs. 2b FPG mit einem Bescheid, der mit einer Ladung vor das BFA oder zu einer Amtshandlung des BFA bei der zuständigen ausländischen Behörde verbunden werden kann, auferlegt werden.

19 Die Auferlegung der Mitwirkungsverpflichtung und die damit verbundene Ladung wären zwar nicht notwendig, wenn der Revisionswerber tatsächlich im Besitz eines gültigen Reisepasses wäre; da er aber im Verfahren vor dem BFA nur eine Kopie vorgelegt und erklärt hat, über das Original des Reisepasses nicht zu verfügen, und auch im Beschwerdeverfahren nur auf die Kopie des Reisepasses verwiesen wurde, kann dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht nicht entgegen getreten werden, wenn sie von der Erforderlichkeit der Erlangung eines (Ersatz‑)Reisedokuments unter Mitwirkung des Revisionswerbers ausgegangen sind. Das vom Revisionswerber ins Treffen geführte abgelaufene Heimreisezertifikat konnte daran schon deswegen nichts ändern, weil es unter einer anderen Identität des Revisionswerbers ausgestellt worden war. Im Übrigen kann selbst dann, wenn das besondere Identifizierungsverfahren nach Art. V des Rückübernahmeabkommens mit Nigeria wegen Vorliegens eines abgelaufenen (Ersatz‑)Reisedokuments nicht erforderlich ist, eine persönliche Vorsprache zur Identifizierung im Sinn des Art. IV Abs. 1 des Abkommens geboten sein (vgl. idS VwGH 25.4.2014, 2013/21/0191).

20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 20. Dezember 2018

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