VwGH 2013/21/0191

VwGH2013/21/019125.4.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des E O in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 17. Oktober 2013, Zl. 1053581/FrB/13, betreffend Ladung in einer Angelegenheit des Fremdenpolizeigesetzes 2005, zu Recht erkannt:

Normen

RückübernahmeAbk Nigeria 2012 Art3 Abs2;
RückübernahmeAbk Nigeria 2012 Art4 Abs2 litb;
RückübernahmeAbk Nigeria 2012 Art4 Abs6;
RückübernahmeAbk Nigeria 2012 Art5;
RückübernahmeAbk Nigeria 2012 Art3 Abs2;
RückübernahmeAbk Nigeria 2012 Art4 Abs2 litb;
RückübernahmeAbk Nigeria 2012 Art4 Abs6;
RückübernahmeAbk Nigeria 2012 Art5;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, zwecks Mitwirkung an der Angelegenheit "Identitätsprüfung" für den 25. Oktober 2013 zur belangten Behörde geladen. Dazu wurde des Näheren Folgendes ausgeführt:

"Gegen Sie besteht eine durchsetzbare Ausreiseentscheidung. Für Sie ist ein Ersatzreisedokument bei der zuständigen ausländischen Behörde für die Abschiebung einzuholen. Eine Befragung zur Klärung Ihrer Identität und Herkunft ist erforderlich."

Weiters wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, diesen Ladungsbescheid und "jegliche Identitätsdokumente" mitzubringen. Für den Fall der unentschuldigten Nichtbefolgung der Ladung wurden die zwangsweise Vorführung gemäß § 19 Abs. 3 AVG und ein Festnahmeauftrag gemäß § 74 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG angedroht. Als weitere Rechtsgrundlage wurde § 46a FPG genannt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, auf die der Beschwerdeführer repliziert hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdesachen - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind. Weiters ist vorweg darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung (im Oktober 2013) zu überprüfen hat.

2. Der Beschwerdeführer verweist zunächst auf das Vorerkenntnis vom 28. August 2012, Zl. 2012/21/0096, mit dem ein ihm gegenüber ergangener Ladungsbescheid aufgehoben worden war. Maßgeblich für diese Entscheidung war, dass für den Beschwerdeführer bereits ein Heimreisezertifikat vom 10. Juni 2010 existierte, sodass die Identität des Beschwerdeführers im Jahr 2010 offenkundig auch für die nigerianischen Behörden geklärt schien. Aus welchen Gründen dennoch die Ladung zum Zweck der "Identitätsprüfung" erforderlich war, war für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich und wurde von der belangten Behörde - die keine Gegenschrift erstattet hatte - auch nicht dargelegt. Der Beschwerdeführer meint nun, die belangte Behörde habe mit dem neuerlichen Ladungsbescheid gegen die Bindungswirkung des Erkenntnisses vom 28. August 2012 verstoßen.

Dazu erklärt die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift, dass das am 10. Juni 2010 für den Beschwerdeführer ausgestellte Heimreisezertifikat keine Gültigkeit mehr habe und daher ein neuerliches Interview für die Ausstellung eines neuen Heimreisezertifikats unumgänglich gewesen sei.

Der Beschwerdeführer verweist in seiner Replik auf das Rückübernahmeabkommen zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Bundesrepublik Nigeria, BGBl. III Nr. 116/2012 (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen), nach dessen Art. IV der Nachweis der Staatsangehörigkeit auch durch ein abgelaufenes Dokument erbracht werden könne. Nur dann, wenn es nicht möglich sei, die erforderlichen Dokumente zum Nachweis der Staatsangehörigkeit des Betroffenen zu erlangen, aber Nachweise existierten, die es erlaubten, die Staatsangehörigkeit zu vermuten, sehe Art. V des Abkommens ein Identifizierungsverfahren vor.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Rückübernahmeabkommens lauten:

"Artikel III

Rückführungsverfahren

(1) Die Rückführungsverfahren erfolgen ohne Ausstellung eines Reisedokuments, wenn die betroffene Person im Besitz eines aktuell gültigen nationalen Reisepasses oder eines international anerkannten und gültigen Reisedokuments ist.

(2) Nationale Reisepässe und international anerkannte Reisedokumente im Sinne dieses Abkommens sind:

für die Republik Österreich:

-Reisepass

-Dienstpass

-Diplomatenpass

-Sammelpass

-Konventionspass

für die Bundesrepublik Nigeria:

-Standardpass

-Dienstpass

-Diplomatenpass

-Seemannspass

-Emergency Travel Certificate

(3) ...

(4) ...

(5) ...

Artikel IV

Nachweis der Staatsangehörigkeit

(1) Ist kein gültiges nationales Reisedokument oder international anerkanntes Reisedokument gemäß Artikel III Absatz 2 vorhanden, ist die rückzuführende Person zu identifizieren und bei Vorlage eines der Dokumente oder anderer Beweismittel, die in Absatz 2 und 3 nachstehend angeführt sind, durch die ersuchende Vertragspartei mit einem Reisedokument als Staatsangehörige der ersuchten Vertragspartei zu versehen.

(2) Der Nachweis der Staatsangehörigkeit kann erbracht werden durch:

(a) Staatsangehörigkeitsnachweise;

(b) abgelaufene Pässe jeder Art (wie in Artikel III

Absatz 2

festgelegt);

(c) Personalausweise, einschließlich vorübergehender

oder

provisorischer;

(d) öffentliche Urkunden, in denen die Staatsangehörigkeit der

betroffenen Person angegeben ist;

(e) Seemannsregistrierungsbücher und Kapitänsdienstkarten;

(f) von den zuständigen Behörden gelieferte eindeutige Informationen;

(g) für die nigerianische Seite ein von den nigerianischen Behörden

ausgestelltes Herkunftsstaatszeugnis

oder ein ECOWAS-Reisedokument oder -Zeugnis;

(h) jedes andere von der Regierung der ersuchten Vertragspartei

anerkannte Dokument, das die Feststellung der Identität der

betroffenen Person erlaubt.

(3) Die Glaubhaftmachung der Staatsangehörigkeit kann insbesondere

erfolgen durch:

(a) Photokopien der in Absatz 2 dieses Artikels

angeführten

Dokumente;

(b) Führerscheine;

(c) Ausweise von Unternehmen;

(d) Geburtsurkunden;

(e) Zeugenaussagen;

(f) eigene Angaben der betroffenen Person;

(g) Sprache der betroffenen Person. Jedoch weist die Fähigkeit, eine

der Sprachen der ersuchten

Vertragspartei zu sprechen, nicht

automatisch die Staatsangehörigkeit

der betroffenen Person nach;

(h) jedes andere Dokument, das dazu beitragen kann, die Staatsangehörigkeit der betroffenen

Person nachzuweisen.

(4) Wenn die Staatsangehörigkeit glaubhaft gemacht wird und diese Glaubhaftmachung durch Unterstützung der ersuchten Vertragspartei, insbesondere nach einer Befragung durch die jeweils zuständigen Stellen, bestätigt wurde, gilt die Staatsangehörigkeit unter den Vertragsparteien als nachgewiesen.

(5) Die ersuchte Vertragspartei stellt innerhalb von vier (4) Werktagen ab Eingang der Dokumente oder anderen Beweismittel nach Absatz 2 und 3 dieses Artikels ein Reisedokument gemäß Absatz 1 aus.

(6) Die Dokumente nach Absatz 2 und 3 dieses Artikels reichen auch bei Ablauf von deren Gültigkeitsdauer für den Nachweis oder die Glaubhaftmachung der Staatsangehörigkeit aus.

Artikel V

Besonderes Identifizierungsverfahren

(1) In Fällen, die nicht unter Artikel III und IV oben fallen, können, abgesehen von Fällen, in denen die Staatsangehörigkeit nach Artikel IV widerlegt wurde, wenn es nicht möglich ist, die erforderlichen Dokumente zum Nachweis der Staatsangehörigkeit des Betroffenen zu erlangen, aber Nachweise existieren, die es erlauben, die Staatsangehörigkeit zu vermuten, die Behörden der ersuchenden Vertragspartei die diplomatischen und konsularischen Vertreter der ersuchten Vertragspartei um Unterstützung bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit des Betroffenen bitten. Das Identifizierungsverfahren verläuft wie folgt:

(a) die Person wird so bald wie möglich, spätestens jedoch

fünf(5) Tage nach dem Eingang des Ersuchens befragt;

(b) die Befragung findet im Allgemeinen in den Räumlichkeiten der Botschaft statt;

(c) das Ergebnis der Befragung wird der ersuchenden

Vertragspartei

so bald wie möglich, spätestens

jedoch fünf (5) Werktage nach

dem Tag der Befragung übermittelt;

(d) nach Bestätigung der Staatsangehörigkeit der Person wird von

der ersuchten Vertragspartei

innerhalb von vier (4) Werktagen ein Reisedokument ausgestellt.

(2) Ist es schwierig oder unpraktisch, die Befragung in der Botschaft der ersuchten Vertragspartei, wie in Absatz (1) (b) vorgesehen, abzuhalten, bezahlt die ersuchende Vertragspartei die Reisekosten, die dem Vertreter der ersuchten Vertragspartei entstehen."

Dem Beschwerdeführer ist insoweit Recht zu geben, als sein abgelaufenes Heimreisezertifikat (Emergency Travel Certificate) gemäß Art. IV Abs. 2 lit. b und Abs. 6 iVm Art. III Abs. 2 des Rückübernahmeabkommens zum Nachweis der Staatsangehörigkeit ausreichte und daher das besondere Identifizierungsverfahren nach Art. V des Abkommens nicht erforderlich war. Dennoch konnte die Ladung nach den Erläuterungen der belangten Behörde in der Gegenschrift als notwendig im Sinn des § 19 Abs. 1 AVG angesehen werden, weil eine Identifizierung des Beschwerdeführers im Sinn des Art. IV Abs. 1 des Abkommens im Rahmen einer persönlichen Vorsprache geboten erscheinen durfte. Dass die Ausstellung eines Heimreisezertifikats (Ersatzreisedokuments) Zweck der Ladung war, wurde in dieser auch angegeben.

3. Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, dass er auf Grund seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die in Italien eine Beschäftigung ausgeübt und mit der er in Italien gelebt habe, begünstigter Drittstaatsangehöriger sei und die Richtlinie 2004/38/EG auf ihn anzuwenden sei. Er betreue das 2011 geborene gemeinsame Kind. Seine Abschiebung würde dazu führen, dass sein Kind de facto zum Halbwaisen würde und seine Ehefrau wegen der Kinderbetreuung keiner Arbeit mehr nachgehen könnte oder aber, dass beide mit dem Beschwerdeführer ins Ausland ziehen und somit auf den Kernbestand ihrer Unionsbürgerrechte verzichten müssten. Es sei also - trotz des seit 2005 bestehenden Aufenthaltsverbotes - die Abschiebung nicht mehr zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits im Vorerkenntnis vom 28. August 2008, Zl. 2012/21/0096, unter Bezugnahme auf Vorjudikatur ausgesprochen, dass es der belangten Behörde trotz der Ehe mit einer (freizügigkeitsberechtigten) österreichischen Staatsbürgerin nicht verwehrt war, unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf Grund der zum Bescheiderlassungszeitpunkt noch dem Rechtsbestand angehörenden aufenthaltsbeendenden Maßnahme Schritte zur Vorbereitung der Ausreise bzw. Abschiebung zu setzen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass ein Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 10. Oktober 2012 rechtskräftig abgewiesen und die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. Mai 2013, Zl. 2012/18/0212, abgelehnt wurde.

4. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, idF BGBl. II Nr. 8/2014 weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 25. April 2014

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