BVwG I403 2214659-1

BVwGI403 2214659-11.3.2019

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs4 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
NAG §11 Abs2 Z1
StGB §217
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:I403.2214659.1.00

 

Spruch:

I403 2214659-1/4E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Andreas LEPSCHI, Währinger Str. 26/1/3, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.01.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

 

A)

 

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin), eine nigerianische Staatsbürgerin, befindet sich seit August 1999 im österreichischen Bundesgebiet.

 

Aufgrund einer Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger am 15.02.2002 erhielt die Beschwerdeführerin eine Niederlassungsbewilligung; aufgrund des Umstandes, dass es sich um eine Aufenthaltsehe handelte, wurde gegen die Beschwerdeführerin mit Bescheid der Bundespolizeidirektion vom 23.09.2003 ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Die Ehe wurde am 25.02.2005 für nichtig erklärt.

 

Am 04.03.2005 schloss die Beschwerdeführerin eine weitere Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger. Am 19.08.2009 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz; dem Antrag wurde in zweiter Instanz stattgegeben und ihr ein Aufenthaltstitel für Familienangehörige erteilt. Seither verfügt die Beschwerdeführerin über ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.

 

Die Beschwerdeführerin wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 28.08.2017 zu einer Freiheitsstrafe von vierundzwanzig Monaten, davon achtzehn Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, wegen § 217 Abs. 2 StGB verurteilt.

 

Am 09.10.2017 stellte sie einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit dem Zweck "Familienangehöriger". Das Amt der XXXX Landesregierung richtete eine Anfrage an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), ob aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung gegen die Erteilung Bedenken bestünden.

 

Die Beschwerdeführerin wurde, ebenso wie ihr Ehemann, durch das BFA am 30.11.2018 niederschriftlich einvernommen.

 

Mit Bescheid des BFA vom 14.01.2019 wurde gemäß § 52 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz (FPG) eine Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführerin erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen sie ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

 

Dagegen wurde fristgerecht am 12.02.2019 Beschwerde erhoben und beantragt, den angefochtenen Bescheid zu beheben, in eventu festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und die Abschiebung unzulässig ist, in eventu die Angelegenheit an das BFA zurückzuverweisen und dazu eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.

 

Beschwerde und Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 18.02.2019 vorgelegt.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin und zu ihrem Privatleben in Österreich:

 

Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine Staatsbürgerin Nigerias. Ihre Identität steht fest. Sie gehört der Volksgruppe der Benin/Edo und der christlichen Glaubensgemeinschaft an. Die Beschwerdeführerin lebte vor ihrer Ausreise in Benin City.

 

Die Beschwerdeführerin war seit 1999 nicht mehr in Nigeria; seither lebt sie in Österreich.

 

Die Beschwerdeführerin ist wegen einer HIV-Infektion seit 2002 in Behandlung und erhält eine antiretrovirale Therapie.

 

Die Beschwerdeführerin spricht Deutsch auf B1-Niveau. Sie arbeitete in einer Vollzeitbeschäftigung als Zimmermädchen und Putzfrau, verlor diese Tätigkeit aber aufgrund ihrer Verurteilung und arbeitete geringfügig als Verkäuferin. Seit 02.02.2019 ist sie wieder in Vollbeschäftigung.

 

Die Beschwerdeführerin stellte am 23.08.1999 einen Antrag auf internationalen Schutz, der rechtskräftig mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.11.2004 abgewiesen wurde.

 

Die Beschwerdeführerin reiste als Minderjährige nach Österreich ein und hält sich seit rund zwanzig Jahren im Bundesgebiet auf. Allerdings war ihr Aufenthalt bis zum 26.11.2010, abgesehen von der Phase eines vorläufigen Aufenthaltsrechts während ihres Verfahrens über ihren Antrag auf internationalen Schutz, unrechtmäßig. In dieser Zeit, somit in den ersten zehn Jahren ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet, verstieß die Beschwerdeführerin beharrlich gegen das Fremdenpolizei- und Einwanderungsrecht.

 

1.2. Zur Straftat der Beschwerdeführerin:

 

Die Beschwerdeführerin wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 28.08.2017, Zl. XXXX zu einer Freiheitsstrafe von vierundzwanzig Monaten, davon achtzehn Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, wegen des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs. 2 StGB verurteilt. Sie hatte im Zusammenwirken mit anderen Tätern, darunter ihren Angaben nach ihrer in Nigeria lebenden Schwester, daran mitgewirkt, dass vier nigerianische Frauen, durch Voodoo-Rituale genötigt und unter Vortäuschung einer anderen Beschäftigung dazu gebracht wurden, sich nach Österreich zu begeben, wo sie der Prostitution nachgehen sollten, um Schulden in der Höhe von 30.000 bis 40.000 Euro zu bezahlen.

 

Nigeria, speziell Benin City, ist eine Drehscheibe des Frauenhandels und sind typischerweise Frauen auch als Täterinnen in den Frauenhandelsnetzwerken zu finden. Die Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber dem BFA, dass sie sich des begangenen Unrechts nicht bewusst gewesen sei, dass sie nur ihrer Schwester habe helfen wollen und alle glücklich gewesen seien, als sie sie nach Traiskirchen gebracht habe, erscheinen nicht plausibel, sondern ist davon auszugehen, dass sie mit Vorsatz handelte - wie es auch dem Schuldspruch des Landesgerichts XXXX zugrunde gelegt wurde.

 

1.3. Zum Familienleben der Beschwerdeführerin:

 

Die Beschwerdeführerin schloss am 15.02.2002 die Ehe mit XXXX, einem österreichischen Staatsbürger. Dabei handelte es sich um eine Aufenthaltsehe, die 2005 für nichtig erklärt wurde. Am 04.03.2005 heiratete die Beschwerdeführerin den österreichischen Staatsbürger XXXX, mit welchem sie noch immer im gemeinsamen Haushalt lebt. Es handelt sich um eine aufrechte Ehegemeinschaft. Der Ehemann der Beschwerdeführerin ist im IT-Bereich tätig. Eine Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens in Nigeria ist dem Ehemann nicht zumutbar.

 

Am XXXX2014 wurde die gemeinsame Tochter, eine österreichische Staatsbürgerin, geboren.

 

Die Beschwerdeführerin befand sich vom 16.02.2017 bis 22.08.2017 in Untersuchungshaft. Während dieser Zeit wurde sie einmal wöchentlich von ihrem Ehemann besucht. Ihrer zu diesem Zeitpunkt drei- bzw. vierjährigen Tochter erzählte das Ehepaar, dass sich die Mutter in Afrika befinden würde. Der Ehemann wurde während der Untersuchungshaft seiner Ehefrau durch seine Eltern in der Erziehung der gemeinsamen Tochter unterstützt, doch gestaltete sich dies, unter anderem da die Eltern in einem anderen Bundesland leben, nicht einfach. Die Tochter der Beschwerdeführerin leidet aufgrund der Trennung von ihrer Mutter während der Untersuchungshaft an einer Angststörung. Eine langfristige Trennung von ihrer Mutter ist der Tochter der Beschwerdeführerin nicht zumutbar.

 

Die Beschwerdeführerin steht in gutem Einvernehmen mit den Eltern ihres Mannes, die sie als fixen Bestandteil ihrer Familie beschreiben.

 

Die Eltern der Beschwerdeführerin leben getrennt in Lagos und in Benin City; beide sind aufgrund von Erkrankungen nicht berufstätig. Auch ihre Geschwister (sechs väterlicherseits, fünf mütterlicherseits) leben in Nigeria; sie hält zu zwei Geschwistern väterlicherseits und zu ihren Geschwistern mütterlicherseits Kontakt. Die Beschwerdeführerin unterstützt ihre Familie in Nigeria finanziell.

 

1.4. Zur allgemeinen Situation in Nigeria:

 

Im angefochtenen Bescheid wurden auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes zu Nigeria (Stand: 07.08.2017) allgemeine Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin getroffen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich diesen unwidersprochen gebliebenen Aussagen an und stellt fest:

 

1.4.1. Zur Situation von Frauen:

 

Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht, kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 3.3.2017). Frauen werden in der patriarchalischen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias dennoch in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt. Dies wird am deutlichsten in Bereichen, in denen vor allem traditionelle Regeln gelten: So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen (AA 21.11.2016). Allerdings berichtet die Bertelsmann Stiftung, dass der Oberste Gerichtshof in einem bahnbrechenden Urteil entschied, dass Witwen das Recht haben von dem Verstorbenen zu erben (BS 2016). Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwenzeremonien über sich ergehen lassen (z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt). Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 21.11.2016). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden. Auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) spielen Frauen jedoch kaum eine Rolle (BS 2016).

 

Frauen mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Arbeitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen. Immer mehr Frauen finden auch Arbeit im expandierenden Privatsektor (z.B. Banken, Versicherungen, Medien). Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz. So findet sich z.B. beim Obersten Gerichtshof eine oberste Richterin, auch die Minister für Finanz und für Erdöl sind Frauen (BS 2016). Insgesamt bleiben Frauen in politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. In den 36 Bundesstaaten Nigerias gibt es keine Gouverneurin, allerdings vier Vizegouverneurinnen (AA 21.11.2016). Die Zahl weiblicher Abgeordneter ist gering - nur 6 von 109 Senatoren und 14 von 360 Mitgliedern des Repräsentantenhauses sind Frauen (AA 4 .2017a). In der informellen Wirtschaft haben Frauen eine bedeutende Rolle (Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Märkte, Handel) (USDOS 3.3.2017).

 

Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sich mit sexueller Gewalt, körperlicher Gewalt, psychologischer Gewalt, schädlichen traditionellen Praktiken und sozioökonomischen Gewalt. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, FGM/C usw. Straftatbestände da. Opfer haben Anspruch auf umfassende medizinische, psychologische, soziale und rechtliche Unterstützung. Das Gesetz ist nur im Federal Capital Territory (FCT) gültig, solange es nicht in den anderen Bundesstaaten verabschiedet wird (USDOS 3.3.2017).

 

Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird sozial akzeptiert. Die Polizei schreitet oft bei häuslichen Disputen nicht ein. In ländlichen Gebieten zögerten die Polizei und die Gerichte, in Fällen aktiv zu werden, in welchen die Gewalt das traditionell akzeptierte Ausmaß des jeweiligen Gebietes nicht überstieg (USDOS 3.3.2017).

 

Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Nigeria auf nationaler Ebene nicht unter Strafe gestellt. Einige Bundesstaaten, hauptsächlich im Süden gelegene, haben Gesetze, die geschlechtsspezifische Gewalt verbieten oder versuchen bestimmte Rechte zu schützen. Für häusliche Gewalt sieht das VAPP eine Haftstrafe von Maximum drei Jahren, eine Geldstrafe von höchstens 200.000 Naira oder eine Kombination von Haft- und Geldstrafe vor (USDOS 3.3.2017). Frauen zögern oft, Misshandlungsfälle bei den Behörden zu melden. Viele Misshandlungen werden nicht gemeldet. Begründet wird dies damit, dass die Polizei nicht gewillt ist, Gewalt an Frauen ernst zu nehmen und Anschuldigungen weiterzuverfolgen. Die Zahl an Fällen strafrechtlicher Verfolgung von häuslicher Gewalt ist niedrig, obwohl die Gerichte diese Vergehen zunehmend ernst nehmen. Die Polizei arbeitet in Kooperation mit anderen Behörden, um die Reaktion und die Haltung gegenüber geschlechtsspezifischer Gewalt zu verbessern. Dies beinhaltet den Aufbau von Referenzeinrichtungen für Opfer sexueller Misshandlung, sowie die Neuerrichtung eines Genderreferats. Im Allgemeinen sind die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten, wobei Frauen mit größeren Schwierigkeiten bei der Suche und beim Erhalt von Schutz insbesondere vor sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert sind als Männer (UKHO 8.2016b).

 

Vergewaltigung ist ein Kriminaldelikt. Das VAPP erweitert den Anwendungsbereich des bestehenden Rechts mit Bezug auf Vergewaltigungen. Gemäß dem VAPP beträgt das Strafmaß zwischen zwölf Jahren und lebenslänglicher Haft. Es sieht auch ein öffentliches Register von verurteilten Sexualstraftätern vor. Auf lokaler Ebene sollen Schutzbeamte ernannt werden, die sich mit Gerichten koordinieren und dafür sorgen sollen, dass die Opfer relevante Unterstützung bekommen. Das Gesetz enthält auch eine Bestimmung, welche die Gerichte dazu ermächtigt, den Vergewaltigungsopfern eine angemessene Entschädigung zuzusprechen (USDOS 3.3.2017).

 

Vergewaltigungen bleiben aber weit verbreitet. Aus einer Studie geht hervor, dass der erste sexuelle Kontakt bei drei von zehn Mädchen im Alter von zehn bis neunzehn Jahren eine Vergewaltigung war. Sozialer Druck und Stigmatisierung reduzieren die Zahl der tatsächlich zur Anzeige gebrachten Fälle (USDOS 3.3.2017).

 

Das Bundesgesetz kriminalisiert weibliche Beschneidung oder Genitalverstümmlung (USDOS 3.3.2017). Etwa 20 Millionen nigerianische Frauen sind Opfer von FGM. Das Gesundheitsministerium, Frauengruppen und viele NGOs führen Sensibilisierungskampagnen durch, um die Gemeinden hinsichtlich der Folgen von FGM aufzuklären (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 21.11.2017).

 

Das kanadische Immigration and Refugee Board berichtet, dass es unterschiedliche Zahlen zur Prävalenz der FGM in Nigeria gibt. Einige Quellen geben an, dass über 40 Prozent% der Frauen in Nigeria FGM ausgesetzt sind. Laut anderen Quellen liegt die Prävalenz der FGM zwischen 25-27 Prozent (IRB 13.9.2016) Dabei gibt es erhebliche regionale Diskrepanzen. In einigen Regionen im Südwesten und in der Region Süd-Süd wird die große Mehrzahl der Mädchen auch heute noch Opfer von Genitalverstümmelungen, in weiten Teilen Nordnigerias ist der Anteil erheblich geringer. Genitalverstümmelungen sind generell in ländlichen Gebieten weiter verbreitet als in den Städten (AA 21.11.2016).

 

Es gibt für Opfer von FGM bzw. für Frauen und Mädchen, die von FGM bedroht sind, Schutz und/oder Unterstützung durch Regierungs- und NGO-Quellen (UKHO 2.2017). Insgesamt kann festgestellt werden, dass Frauen, die von FGM bedroht sind und die nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich dem Schutz des Staates anzuvertrauen, auf sichere Weise in einen anderen Teil Nigerias übersiedeln können, wo es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie von ihren Familienangehörigen aufgespürt werden. Frauen, welche diese Wahl treffen, können sich am neuen Wohnort dem Schutz von Frauen-NGOs anvertrauen (UKHO 12.2013; vgl. UKHO .2.2017). U.a. folgende Organisationen gehen in Nigeria gegen FGM vor: The National Association of Nigerian Nurses and Midwives (NHW 10.5.2016), Nigerian Medical Women's Association -Nigerian Medical Association (AllAfrica 3.9.2014). UNFPA, der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, und UNICEF starteten in Zusammenarbeit mit dem Office of the First Lady, und den Bundesministerien für Gesundheit, Frauen und soziale Entwicklung am 9.2.2016 ein gemeinsames Projekt gegen FGM (UNFPA 9.2.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.4.2. Zur Grundversorgung:

 

Mit einem Wachstum von 6,31 Prozent gehörte Nigeria Anfang 2014 noch zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt und hatte Südafrika als größte Volks-wirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent überholt (GIZ 7.2017c). Nigeria verfügt über sehr große Öl- und Gasvorkommen, und konnte in den letzten Jahren auch dank verschiedener Reformen ein hohes einstelliges Wirtschaftswachstum verzeichnen. Wegen sinkender Ölein-nahmen (Ölpreisverfall und Reduzierung der Ölfördermenge durch Anschläge auf Ölförderan-lagen und Pipelines im Nigerdelta) befindet sich Nigeria zwischenzeitlich in einer Rezession, die sich 2017 voraussichtlich nur langsam erholen wird. Wachstum betrug 2015 noch 2,7 Prozent, für 2016 Negativwachstum von etwa -1,5 Prozent (AA 4 .2017c). Ab 2004 nutzte Nigeria den Ölgewinn, um seine Schulden zu bezahlen. Im Rahmen der wirtschaftlichen Re-formen der Regierung Obasanjo konnte das Land 2005 mit dem Pariser Club, also den inter-nationalen Gläubigern einen Schuldenerlass um 18 Mrd. US-Dollar von insgesamt 30 Mrd. US-Dollar aushandeln. Im Gegenzug zahlte die nigerianische Regierung 12 Mrd. US-Dollar zurück. Damit ist Nigeria das erste afrikanische Land, das gegenüber dem Pariser Club schuldenfrei geworden ist (GIZ 7.2017c).

 

Nigeria ist der zehntgrößte Erdölproduzent der Welt und der größte Erdölproduzent Afrikas. Über 70 Prozent der Staatseinnahmen und 90 Prozent der Exporterlöse stammen aus der Erdöl- und Erdgasförderung. Neben den Erdöl- und Erdgasvorkommen verfügt Nigeria über umfangreiche natürliche Ressourcen (z.B. Zinn, Eisen-, Blei-, und Zinkerz, Kohle, Kalk, Ge-steine und Posphat), die gesamtwirtschaftlich gesehen jedoch von geringer Bedeutung sind (GIZ 7.2017c).

 

Neben der Öl- und Gasförderung sind der (informelle) Handel und die Landwirtschaft von Bedeutung, die dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bietet (AA 21.11.2016). Der Reichtum Nigerias ist das Öl, doch über 60 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. In ländlichen Gegenden beträgt der Anteil über 90 Prozent (AA 4 .2017c). Der Sektor erwirtschaftete 2016 etwa 26 Prozent des BIP (GIZ 6.2016c). Nige-ria ist Afrikas größter Yam- und Augenbohnenproduzent und der weltweit größte Produzent von Maniok (Kassava) (AA 4 .2017c).

 

Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen - in der Regel in Subsistenzwirtschaft - mit Größen von einem bis fünf Hektar (AA 4 .2017c). Ne-ben Millionen von Kleinbauern gibt es Großfarmen. In den letzten Jahren wuchs dieser Sektor mit zehn Prozent überdurchschnittlich, denn die Förderung der Landwirtschaft mittels finanzi-eller und technischer Anreize (Produktivitätssteigerung mittels Düngermittel und Ausbau des Transportnetzwerkes) stand im Mittelpunkt von Wirtschaftsreformen der Regierung (GIZ 7.2017c). Auch die Mais- und Reisproduktion wurde - durch Einwirken der Regierung - kräf-tig ausgeweitet. Die unterentwickelte Landwirtschaft ist nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken. Dabei ist das Potenzial der nigerianischen Landwirtschaft bei Weitem nicht ausgeschöpft (AA 4 .2017c). Eine Lebensmittelknappheit war in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent, in vereinzelten Gebieten im äußersten Norden Nigerias (Grenzraum zur Republik Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen aber auch aufgrund der Flüchtlingsbe-wegungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, ins-besondere nordöstlichen Bundesstaaten nicht mehr aus (ÖBA 9.2016).

 

Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) macht ca. 20 Prozent des BIP im Jahr 2016 aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Far-ben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Haupthin-dernis für die industrielle Entfaltung ist die unzureichende Infrastrukturversorgung (Energie und Transport). Von den landesweit insgesamt 200.000 Straßenkilometer sind ca. 50 Prozent instandsetzungsbedürftig. Die Eisenbahnlinie Lagos-Kano (ca. 1.300 km) wurde 2013 mit chinesischer Hilfe modernisiert (GIZ 7.2017c).

 

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2016). Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in absoluter Armut (BS 2016; vgl. AA 21.11.2016).

 

Über 20 Millionen junge Menschen sind arbeitslos. Der Staat und die Bundesstaaten haben damit begonnen, diesbezüglich Programme umzusetzen. Die Resultate sind dürftig (BS 2016). Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 7.2017b).

 

Verschiedene Studien haben ergeben, dass mehr als 80 Prozent der arbeitsfähigen Bevölke-rung Nigerias arbeitslos sind und dass 60 Prozent der Arbeitslosen Abgänger der Haupt- o-der Mittelschule ohne Berufsausbildung sind (IOM 8.2014). Offizielle Statistiken über Arbeits-losigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Die Groß-familie unterstützt beschäftigungslose Angehörige. Es kann allgemein festgestellt werden, dass in Nigeria eine zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicher-heit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenziel-len Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern kann, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖBA 9.2016).

 

Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen. Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit (BS 2016). Die überwiegende Mehrheit der Nigerianer ist im informellen Arbeitsmarkt tätig und bekommt somit keine Pension (TE 25.10.2014). Jedoch wurde das Pension Reform Act novelliert, um die Kosten und Nutzen für die Mitarbeiter des öffentlichen und privaten Sektors zu harmoni-sieren (BS 2016). Bis März 2016 waren es etwa 7,01 Millionen Arbeitnehmer die beim Contri-butory Pension Scheme registriert sind und dazu beitragen. Dies repräsentiert etwa 7,45 Pro-zent der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung und 3,95 Prozent der gesamten Bevölkerung. 26 von 36 Bundesstaaten haben das Contributory Pension Scheme übernommen (TD 2.5.2016).

 

Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene, die State Economic Empowerment Strategy (SEEDS), als auch auf lokaler Ebene, die Local Economic Em-powerment and Development Strategy (LEEDS). Zahlreiche NGOs im Land sind in den Be-reichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 7.2017c).

 

Heimkehrer können gegen Gebühr eine Wohnung in jeder Region Nigerias mieten. Es gibt keine speziellen Unterkünfte für Heimkehrer. Reintegrationshilfe kann durch Regierungspro-gramme wie etwa NDE, NAPEP, NAPTIP, COSUDOW, UBE, SMEDAN, NACRDB erhalten werden und nichtstaatliche Organisationen wie etwa die Lift above Poverty-Organisation (LAPO) bieten allgemeine Reintegrationshilfe (IOM 8.2014). Die täglichen Lebenshaltungs-kosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten.

Verdienstmöglich-keiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröff-nung einer mobilen Küche für "peppersoup", "garri" oder "pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist je nach Region um 35-80 Euro zu erhalten. Saison- und regionalmäßig wer-den auch gebratene Maiskolben zusätzlich angeboten. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch "Minifarming" eine Möglichkeit, selbständig er-werbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als "bushmeat" gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun "grasscutter" (Bisamratten ähn-liche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als "bushmeat" gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare über Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Schnecken und "grasscutter" finden sich auf jeder Spei-sekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflech-ten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖBA 9.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.4.3. Zur allgemeinen medizinischen Versorgung:

 

Nigeria verfügt über ein sehr kompliziertes Gesundheitssystem. Das öffentliche Gesund-heitssystem wird von den drei Regierungsebenen geleitet (VN 14.9.2015) und das Hauptor-gan der Regierung für das Gesundheitswesen ist das Bundesgesundheitsministerium (IOM 8.2014). Die Bundesregierung ist zuständig für die Koordination der Angelegenheiten in den medizinische Zentren des Bundes und Universitätskliniken. Die Landesregierung ist zustän-dig für allgemeine Spitäler, die Kommunalregierung für die Medikamentenausgabestellen (VN 14.9.2015).

 

Die meisten Landeshauptstädte haben öffentliche und private Krankenhäuser sowie Fachkli-niken, und jede Stadt hat darüber hinaus eine Universitätsklinik, die vom Bundesgesund-heitsministerium finanziert wird (IOM 8.2014).

 

Öffentliche (staatliche Krankenhäuser): Diese umfassen die allgemeinen Krankenhäuser, die Universitätskliniken und die Fachkliniken. Die Gebühren sind moderat, doch einigen Kran-kenhäusern fehlt es an Ausrüstung und ausreichendem Komfort. Es treten oftmals Verzöge-rungen auf und vielfach werden Untersuchungen aufgrund der großen Anzahl an Patienten nicht sofort durchgeführt (IOM 8.2014). Die Kosten von medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden; die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrie-rungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein:

Tests und Medikamente werden unent-geltlich abgegeben, so ferne vorhanden (ÖBA 9.2016).

 

Private Krankenhäuser: Hierbei handelt es sich um Standard-Krankenhäuser. Diese Kran-kenhäuser verfügen nur teilweise über eine ausreichende Ausstattung und müssen Patienten für Labortests und Röntgenuntersuchungen oftmals an größere Krankenhäuser überweisen. Diese Krankenhäuser sind im Allgemeinen teurer (IOM 8.2014).

 

Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht zu vergleichen. Sie ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In den großen Städten findet man jedoch einige Privatkliniken mit besserem Standard (AA 4.7.2017). Es besteht keine umfassende Liste der Krankenhäuser und Ausstattungen, aber zahlreiche Krankenhäuser in Nigeria sind gut ausgestattet und in der Lage, zahlungsfähige Patienten medizinisch zu versorgen. Verschiedene Krankenhäuser in Nigeria haben sich auf unterschiedliche Krankheiten spezialisiert und Patienten suchen diese Krankenhäuser ent-sprechend ihrer Erkrankung auf. Allgemeine Krankenhäuser in Nigeria behandeln Patienten mit verschiedenen Krankheiten, verfügen jedoch üblicherweise über Fachärzte wie etwa Kin-derärzte, Augenärzte, Zahnärzte, Gynäkologen zur Behandlung bestimmter Krankheiten. Zu den Fachkliniken zählen orthopädische Kliniken, psychiatrische Kliniken etc. (IOM 8.2014).

 

Aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate von rund 90.000 Neugeborenen jährlich, die während der ersten 28 Tage nach ihrer Geburt sterben, rangiert Nigeria auf Platz 12 von 176 unter-suchten Ländern und gilt auch innerhalb des südlichen Afrikas als "einer der gefährlichsten Orte" um geboren zu werden (GIZ 7.2017b). Die aktuelle Sterberate unter 5 beträgt 128 To-desfälle pro 1.000 Lebendgeburten. Die mütterliche Sterblichkeit liegt bei 545 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten (ÖBA 9.2016).

 

Laut dem Gesundheitsministerium gibt es weniger als 150 Psychiater in Nigeria (IRIN 13.7.2017). Insgesamt gibt es in Nigeria acht psychiatrische Krankenhäuser, die von der Re-gierung geführt und finanziert werden. Sechs weitere psychiatrische Kliniken werden von Bundesstaaten unterhalten (SFH 22.1.2014; vgl. WPA o.D.). In diesen psychiatrischen Klini-ken werden unter anderem klinische Depressionen, suizidale Tendenzen, Posttraumatische Belastungsstörungen, Schizophrenie und Psychosen behandelt (SFH 22.1.2014). Es existiert kein mit deutschen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwah-reinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau, in denen Menschen mit psychischen Erkrankun-gen oft gegen ihren Willen untergebracht werden, aber nicht adäquat behandelt werden kön-nen (AA 21.11.2016; vgl. SFH 22.1.2014). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiat-ric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker nige-rianischer Staatsangehöriger an, die abgeschoben werden sollen. Die Kosten für den Emp-fang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000Naira (ca. 570 Euro). Zudem ist dort auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 21.11.2016).

 

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten dagegen als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schät-zungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 21.11.2016). Gemäß dem Exeku-tivsekretär des National Health Insurance Scheme (NHIS) beträgt nach zwölf Jahren die Zahl der Nigerianern, die durch das NHIS krankenversichert sind, 1,5 Prozent (Vanguard 22.6.2017). Hilfsorganisationen, die für notleidende Patienten die Kosten übernehmen, sind nicht bekannt. Aufwändigere Behandlungsmethoden, wie Dialyse oder die Behandlung von HIV/AIDS, sind zwar möglich, können vom Großteil der Bevölkerung aber nicht finanziert werden (AA 21.11.2016). Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 7.2017b).

 

Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 21.11.2016). Wenn ein Heimkehrer über eine medizinische Vorgeschichte verfügt, sollte er möglichst eine Überwei-sung von dem letzten Krankenhaus, in dem er behandelt wurde, vorlegen (IOM 8.2014). Heimkehrer, die vorher nicht in ärztlicher Behandlung waren, müssen lediglich dem Kranken-haus eine Registrierungsgebühr zahlen und in der Lage sein, ihre Behandlungskosten selbst zu tragen (IOM 8.2014; vgl. AA 21.11.2016). Hat eine Person keine Dokumente, führt dieser Umstand nicht zur Verweigerung medizinischer Versorgung oder zum Ausschluss von ande-ren öffentlichen Diensten (z.B. Bildung) (USDOS 3.3.2017).

 

Medikamente sind verfügbar, können aber je nach Art teuer sein (IOM 8.2014). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst auf-kommen (AA 21.11.2016). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/Aids können teils kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (ÖBA 9.2016).

 

In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Anti-biotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 21.11.2016).

 

Es gibt zahlreiche Apotheken in den verschiedenen Landesteilen Nigerias. Die National Agency for Food and Drug Administration and Control (NAFDAC) hat ebenfalls umfangreiche Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass diese Apotheken überwacht werden und der nigerianischen Bevölkerung unverfälschte Medikamente verkaufen (IOM 8.2014). Trotzdem bliebt die Qualität der Produkte auf dem freien Markt zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25 Prozent aller ver-kauften Medikamente), die aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur einge-schränkt wirken (AA 21.11.2016).

 

Der Glaube an die Heilungskräfte der traditionellen Medizin ist bei den Nigerianern nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher die traditionellen Heiler als die Schulmediziner nach westlichem Vorbild konsultiert (GIZ 7.2017b).

 

In den letzten Jahren wurden mehrere Massenimpfungen gegen Polio und Meningitis durch-geführt. Ende 2016 kam es zu einem akuten Meningitis-Ausbruch, bei dem 745 Menschen gestorben sind und mehr als 8.000 Verdachtsfälle registriert wurden (GIZ 7.2017b).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.4.4. Zu HIV/AIDS:

 

Nigeria hat die zweitgrößte HIV-Epidemie der Welt (NACA 2015; vgl. UNAIDS 10.2.2016). Für das Jahr 2015 schätzt UNAIDS, dass etwa 3,5 Millionen (2,6-4,5 Millionen) Menschen mit HIV in Nigeria leben. Davon sind etwa 1,9 Millionen (1,4-2,4 Millionen) Frauen im Alter ab 15 Jahren an HIV erkrankt. Die Anzahl der Kinder im Alter bis 14 Jahren wird auf 260.000 (190.000 bis 360.000) geschätzt (UNAIDS 2015).

 

Es wird geschätzt, dass im Jahr 2014 etwa 1.665.403 HIV-erkrankte Menschen antiretrovirale Medikamente (ARV) benötigten. Die Anzahl der an HIV erkrankten schwangeren Frauen, die ARV-Prophylaxen bekamen, um die Mutter-Kind-Übertragung von HIV zu verhindern, stieg von 57.871 im Jahr 2013 auf 63.350 im Jahr 2014 (NACA 2015). Laut UNAIDS wurden bis März 2017 1.336.383 Menschen mit HIV und Aids für Behandlungen eingeschrieben. Der UNAIDS Landesdirektor berichtet, dass Nigeria diesen Fortschritt erreichen konnten, da sie eine "Testen und Behandeln Strategie" eingeführt haben. Menschen, die einen positiven Test haben, werden sofort behandelt unabhängig ihrer CD4Werte (DP 1.6.2017). Medikamente gegen HIV/Aids können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (ÖBA 9.2016).

 

Laut jüngsten Schätzungen sinkt die Zahl der Neuinfektionen stetig. Im Jahr 2012 waren es 253.506 Neuinfektionen während die Anzahl im Jahr 2014 auf 227.518 sank. Im Jahr 2014 gab es 174.253 AIDS-bedingte Todesfälle (NACA 2015).

 

Die internationale Organisation AVERT führt vielfältige Kampagnen zur Steigerung der öffent-lichen Aufmerksamkeit, Aufklärung und Prävention durch. Zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung von HIV-AIDS wurde 2002 von Seiten der Regierung die National Agency for the Control of HIV/AIDS (NACA) gegründet (GIZ 7.2017b). NACA ist für die Umsetzung des na-tionalen HIV/AIDS Programms zuständig. Sie koordiniert und kontrolliert die Aktivitäten auf der Ebene der Bundesstaaten und LGAs. Das Programm zielt einerseits auf Aufklärung und Prävention und anderseits auf die Behandlung von HIV/AIDS (SF 26.3.2014; vgl. NACA 2015). Laut NACA gibt es in Nigeria im Jahr 2014 1.047 Zentren (im Jahr 2013 waren es 820), in denen antiretrovirale Behandlung angeboten wird (NACA 2015). Im Jahr 2014 gab es 8.114 HIV-Test- und Beratungszentren in Nigeria (NACA 7.2015). Im Bundesstaat Lagos gab es im Jahr 2013 laut MedCOI 57 kostenlose HIV-Test- und Beratungszentren (UKHO 5.2015).

 

Für 2016 bis 2020 gibt es von NACA eine eigene Strategie für Jugendliche und junge Er-wachsene, nämlich die National HIV Strategy for Adolescents and Young People 2016-2020. Das Ziel dieser Strategie ist es, die Anzahl neuer HIV-Infektionen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Nigeria zu verringern (UNESCO o. D.; vgl. NACA 2016).

 

Personen mit HIV/AIDS verlieren oft ihre Jobs oder es wird ihnen Gesundheitsversorgung verweigert (USDOS 3.3.2017). Der damalige Präsident, Goodluck Jonathan, unterzeichnete 2014 ein neues Gesetz, das Menschen mit HIV und AIDS vor Diskriminierungen schützen soll. Laut dem HIV/AIDS Anti-Discrimination Act 2014 ist es illegal, Menschen aufgrund ihrer Infektion zu diskriminieren. Arbeitgebern, Einzelpersonen oder Organisationen ist es unter-sagt, einen HIV-Test als Voraussetzung für eine Anstellung oder Zugriff auf Dienste zu for-dern (UNAIDS 11.2.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.4.5. Zur Behandlung nach der Rückkehr:

 

Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann aufgrund der dargelegten Gründe kein ungerechtfer-tigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzel-nen generell festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruch-nahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Der pauschale Hinweis eines Asyl-werbers auf die allgemein herrschende Situation in Nigeria reicht nicht aus, um eine Bedro-hung iSv Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK darzustellen. Es kann allgemein festgestellt werden, dass in Nigeria eine zurückgeführte Person, die in kei-nem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenziellen Grundbedürfnisse, aus selbstständiger Arbeit, si-chern kann, insbesondere dann wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖBA 9.2016).

 

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden. Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigeriani-scher Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen. Die Einwanderungsbehörde führt ein Fahndungsbuch, anhand dessen bei aus dem Ausland zu-rückkehrenden Nigerianern eine Überprüfung bereits bei Ankunft am Flughafen erfolgt: Bei Notierung im Fahndungsbuch wird der Betreffende noch im Flughafengebäude verhaftet; im anderen Fall wird der betroffenen Person ein vorläufiges Identifikationspapier durch die nige-rianische Einwanderungsbehörde ausgestellt, wenn sie lediglich über einen vorläufigen Rei-seausweis einer nigerianischen Botschaft verfügt (AA 21.11.2016).

 

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen dem Aus-wärtigen Amt nicht vor. Verhaftung bei Rückkehr aus politischen Gründen oder andere au-ßergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig ausge-reisten Asylbewerbern aus Deutschland sind nicht bekannt. Abgeschobene Personen wer-den im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der Nigerianischen Immigrationsbehör-de (Nigerian Immigration Service), manchmal auch der Drogenpolizei (National Drug Law Enforcement Agency/NDLEA) befragt und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 21.11.2016). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations im Rahmen von FRONTEX als "lead nation". Die Erfahrungen seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen. Die Rückgeführten verlassen das Flughafengebäude und steigen meistens in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Probleme, Anhaltungen oder Verhaftungen von rückge-führten Personen bei ihrer Ankunft am Flughafen Lagos wurden im Rahmen des Monitoring der Ankunft und des ungehinderten Verlassens des Flughafengeländes durch Vertreter der Botschaft nicht beobachtet. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit offiziellen Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖBA 9.2016).

 

Im Ausland straf- oder polizeilich auffällig gewordene Personen, insbesondere Prostituierte, werden in ihren Herkunfts-Bundesstaat überstellt. Wegen Drogendelikten im Ausland verur-teilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vor-schriften im "Decree 33" nicht zu befürchten. Im Mai 2012 erhielt die Deutsche Botschaft in Abuja ein Schreiben des nigerianischen Justizministers mit der Bestätigung der Nichtanwen-dung des "Decree 33" (AA 21.11.2016). Da die österreichische Botschaft stets "overstay" als Abschiebungsgrund angibt, sind Verhaftungen bei Ankunft in Nigeria unwahrscheinlich. Dadurch ist das "Dekret 33" nicht geeignet, ein Rückschiebungshindernis für eine Person darzustellen (ÖBA 9.2016).

 

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjäh-rige sind in Lagos grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. eine ausreichende Versorgung von minderjährigen Rückkehrern dort nicht ohne weiteres gewährleistet wäre (AA 21.11.2016).

 

Quellen:

 

 

 

2. Beweiswürdigung:

 

Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

 

2.1. Zum Verfahrensgang:

 

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

 

2.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:

 

Die Identität der Beschwerdeführerin ergibt sich aus ihrem nigerianischen Reisepass, ausgestellt am 18.10.2017.

 

Die frühere geringfügige berufliche Tätigkeit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus den im Akt einliegenden Lohngehaltsabrechnungen von Juli, August, September 2018, wonach sie als Handelsarbeiterin bei einem Personaldienstleister ein Einkommen von rund 400 Euro monatlich bezog. In Bezug auf ihre vorhergehende Tätigkeit als Zimmermädchen vom 10.03.2008 bis zum 23.08.2016 (unterbrochen durch Elternkarenz) wurde ein Arbeitszeugnis vorgelegt. Dass sie aktuell wieder eine Vollbeschäftigung innehat, ergibt sich aus dem Auszug des Sozialversicherungsträgers.

 

Dass die Beschwerdeführerin an HIV erkrankt ist und eine antiretrovirale Medikation erhält, ergibt sich aus den im Akt befindlichen ärztlichen Befunden (der Universitätsklinik für Dermatologie vom 03.03.2010, vom 12.03.2010 und vom 03.05.2010, eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 30.11.2018 und vom 21.01.2019).

 

Die Deutschkenntnisse der Beschwerdeführerin ergeben sich aus der Vorlage des A2-Zeugnisses vom 14.02.2012 und des B1 Zertifikates Deutsch vom 14.04.2012.

 

Die Feststellung zu ihrer Verurteilung ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Strafurteil. In ihrer Einvernahme durch das BFA am 30.11.2018 erklärte die Beschwerdeführerin, dass ihre Schwester sie um Hilfe gebeten habe, die Frauen von Italien nach Österreich zu bringen; sie habe nicht gewusst, in was ihre Schwester verwickelt gewesen sei und bereue ihre Straftat. Allerdings ergibt sich aus dem Strafurteil, dass es sich um eine bewusste Tat der Beschwerdeführerin gehandelt hat und sie mit Vorsatz am grenzüberschreitenden Prostitutionshandel beteiligt war.

 

2.3. Zum Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich und Nigeria:

 

Die Eheschließungen der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem im Akt einliegenden Heiratsurkunden. Dass es sich bei ihrer ersten Eheschließung am 14.02.2002 um eine Aufenthaltsehe handelte, ergibt sich aus der niederschriftlichen Einvernahme ihres damaligen Ehemannes vom 05.02.2003 und aus dem Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 25.02.2005, mit dem die Ehe aufgrund ihres alleinigen Zwecks als Aufenthaltsehe für nichtig erklärt wurde. Dass es sich bei ihrer zweiten Ehe um eine aufrechte Ehegemeinschaft handelt, ergibt sich unter anderem aus dem Bericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 28.10.2018.

 

Geburt und Staatsbürgerschaft der Tochter ergeben sich aus der im Akt einliegenden Geburtsurkunde und dem im Akt einliegenden Staatsbürgerschaftsnachweis.

 

Die Feststellung, dass eine Trennung für den österreichischen Ehemann der Beschwerdeführerin einen schweren Eingriff darstellen würde und dass er sich zugleich eine Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens nicht in Nigeria vorstellen kann, ergibt sich aus seiner Aussage gegenüber dem BFA (Fehler im Original des Protokolls vom 30.11.2018): "(...) Es wäre aber auch für mich ein eine Katastrophe, wir sind seit 2005 eine Familie und nach dieser Zeit seinen Partner plötzlich zu verlieren wäre eine Katastrophe. Eine gemeinsame Ausreise oder ein gemeinsames Leben woanders wäre nicht vorstellbar und keine Alternative für mich." Dass dem österreichischen Staatsbürger, der im Bundesgebiet verwurzelt ist, ein Umzug nach Nigeria zumutbar wäre, wurde auch von der belangten Behörde nicht behauptet.

 

Das BFA hatte im angefochtenen Bescheid gemeint, "keine so schwerwiegenden Eingriffe in das Kindeswohl" erkennen zu können, dass eine Rückkehrentscheidung und die Verhängung eines Einreiseverbotes unverhältnismäßig wären: "Während Ihres sechsmonatigen Aufenthaltes in der Justizanstalt haben Sie den Kontakt zu Ihrer Tochter komplett eingestellt und war es während dieser Zeit Ihrem Ehegatten - dem Kindsvater - mit Hilfe von anderen Familienmitgliedern möglich, die Betreuung ihrer gemeinsamen Tochter sicherzustellen. In Anbetracht Ihrer diesbezüglichen Abwesenheit und des Umstands, dass Sie bereits vor Ihrer Haftstrafe Ihrer Vorbildfunktion im Rahmen der Ausbeutung anderer nicht nachgekommen sind, ist dies auch für einen weiteren Zeitraum zumutbar." Dies widerspricht aber den Aussagen des Ehemannes vor dem BFA, der - befragt nach den Folgen einer Ausreise der Beschwerdeführerin - erklärte (Fehler im Original des Protokolls vom 30.11.2018): "Es wäre eine Katastrophe für unsere Tochter. Schon die 6 Monate wo ihre Mutter nicht da war, war ein sehr traumatisches Erlebnis für unsere Tochter. Sie hat ohne Grund zu weinen begonnen, war teilweise unkonzentriert. Seit meine Frau wieder aus dem Gefängnis zuhause ist, hat es sich langsam wieder gebessert. (...)" Zudem wurde der Kontakt, wie sich auch aus der Einvernahme vor dem BFA ergibt, aufgrund psychologischen Rates unterbrochen, um dem Kleinkind einen Besuch im Gefängnis und das Wissen um den Aufenthaltsort seiner Mutter zu ersparen. Der Ehemann hatte zudem zu Protokoll gegeben, dass die Betreuung seiner Tochter nicht einfach gewesen sei, da seine Eltern ihn zwar unterstützt hätten, aber nicht im selben Bundesland wohnen. Abgesehen davon berücksichtigt das BFA im angefochtenen Bescheid die Folgen für die Tochter im Falle einer langfristigen Trennung von ihrer Mutter in keiner Weise. In Bezug auf das Kleinkind wurde vom BFA im angefochtenen Bescheid auch zu Unrecht darauf verwiesen, dass die Möglichkeit einer Kontaktpflege im Wege grenzüberschreitender Kommunikationsmittel bestehen würde; es erscheint lebensfremd, die Beziehung einer Mutter zu einem Kleinkind über moderne Medien führen zu wollen (vgl. dazu VfGH, 11.06.2018, E345/2018).

 

Die Feststellung, dass die mit der Untersuchungshaft verbundene Trennung von ihrer Mutter für die Tochter der Beschwerdeführerin eine schwere Belastung war, ergibt sich zudem aus dem Patientenbrief des Krankenhauses Hietzing vom 19.02.2018, wonach die Tochter aufgrund der Trennung von ihrer Mutter während der Untersuchungshaft traumatisiert worden sei und seither an einer Angststörung leide.

 

Die berufliche Tätigkeit des Ehemannes ergibt sich aus den im Akt einliegenden Lohngehaltsabrechnungen von Februar, März, April, Juli, August und September 2018, wonach er als Senior IT-Consultant ein Brutto-Gehalt von 4.600 Euro monatlich bezog.

 

Dass die Beschwerdeführerin ein gutes Verhältnis zu den Eltern ihres Ehemannes pflegt, ergibt sich aus dem Empfehlungsschreiben vom 14.10.2018.

 

Die Feststellungen zu ihrer Familie in Nigeria ergeben sich aus ihren Aussagen gegenüber dem BFA am 30.11.2018.

 

2.4. Zum Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich:

 

Dass sich die Beschwerdeführerin seit rund zwanzig Jahren in Österreich aufhält, ergibt sich aus dem Umstand, dass sie am 22.08.1999 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet stellte. Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin war allerdings zunächst zu großen Teilen unrechtmäßig.

 

2.4.1. Zum Asylverfahren der Beschwerdeführerin:

 

Die Beschwerdeführerin war zwar zunächst aufgrund der Antragstellung vorläufig aufenthaltsberechtigt, doch wurde ihr Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.10.1999, Zl. 99 13.155-BAT abgewiesen. Der Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.10.1999, mit dem ihr Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden war, wurde zunächst mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 29.11.1999 bestätigt, dieser jedoch mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 03.07.2003, Zl. 2000/20/0071 aufgehoben. Der Unabhängige Bundesasylsenat wies die Angelegenheit an das Bundesasylamt zurück; dieses wies den Antrag mit Bescheid vom 03.11.2004 wiederum ab. Der Bescheid wurde rechtskräftig.

 

2.4.2. Zum unrechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet:

 

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 28.10.1999 wurde dann aufgrund der Mittellosigkeit der Beschwerdeführerin ein bis zum 31.10.2004 befristetes Aufenthaltsverbot verhängt, welches in weiterer Folge auch mit Bescheid der Sicherheitsdirektion des Landes XXXX vom 29.12.1999 bestätigt wurde. Allerdings wurde ein Abschiebungsaufschub erteilt, weil der Verwaltungsgerichtshof ihrem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in ihrem Asylverfahren mit Beschluss vom 09.03.2003 nachgekommen war.

 

Aufgrund des Umstandes, dass es sich bei ihrer Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger am 15.02.2002 um eine Aufenthaltsehe handelte, wurde gegen die Beschwerdeführerin mit Bescheid der Bundespolizeidirektion XXXX vom 23.09.2003 ein weiteres, auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland XXXX vom 14.06.2004 keine Folge gegeben. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde zunächst mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.09.2004 die aufschiebende Wirkung zuerkannt, die Beschwerde dann allerdings mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.10.2007, Zl. 2004/18/0288 als unbegründet abgewiesen.

 

Zuvor war am 08.07.2005 der Antrag auf Aufhebung des am 23.09.2003 erlassenen Aufenthaltsverbotes gestellt worden. Die Beschwerdeführerin wurde in einer niederschriftlichen Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion XXXX am 13.06.2008 darüber informiert, dass eine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nur möglich sei, wenn sie ihrer Ausreiseverpflichtung nachkomme. Die Beschwerdeführerin kam dieser Verpflichtung trotz ihrer entsprechenden Zusage nicht nach. Am 23.03.2009 wurde ein Devolutionsantrag gestellt, da die Bundespolizeidirektion über den am 08.07.2005 gestellten Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes noch nicht entschieden hatte. Am 15.06.2009 endete das Aufenthaltsverbot. Aufgrund dessen wurde der Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes mit Bescheid der Sicherheitsdirektion XXXX vom 22.06.2009 als unzulässig zurückgewiesen.

 

Die Bundespolizeidirektion XXXX wies die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 27.06.2009 aus dem Bundesgebiet aus und gewährte einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat. Zudem wurde ihr Antrag auf Feststellung einer Bedrohung ihrer Person gemäß § 50 Abs. 1 oder 2 FPG in Nigeria als unzulässig zurückgewiesen, da dies bereits mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.11.2004 verneint worden war. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion XXXX vom 01.09.2009 keine Folge gegeben. Dagegen wurde Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben und dieser mit Beschluss vom 19.10.2009 die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die Beschwerde wurde schließlich mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.01.2010 als unbegründet abgewiesen.

 

Zusammengefasst verblieb die Beschwerdeführerin trotz der Verhängung zweier Aufenthaltsverbote im Bundesgebiet, schloss eine Aufenthaltsehe und verließ das Bundesgebiet trotz ausdrücklicher Zusage (in der niederschriftlichen Einvernahme am 13.06.2008) nicht. Im Verwaltungsakt finden sich auch zwei Verlustanzeigen, welche die Beschwerdeführerin bei ihren Einvernahmen zu ihrer Ausreise vorlegte, um zu belegen, dass sie jeweils ihren Reisepass verloren hatte. Insgesamt ist festzustellen, dass die Beschwerdeführerin in den ersten zehn Jahren ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet beharrlich gegen das Fremdenpolizei- und Einwanderungsrecht verstoßen hatte (entsprechend auch VwGH, 21.01.2010, Zl. 2009/18/0429, Rz. 2.3.).

 

2.4.3. Zum rechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich:

 

Aufgrund ihrer Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger am 15.02.2002, welche sich nachträglich als Aufenthaltsehe herausstellen sollte, bekam die Beschwerdeführerin - trotz aufrechten Aufenthaltsverbotes - am 28.03.2002 eine Aufenthaltsbewilligung für ein Jahr.

 

Die Beschwerdeführerin stellte am 09.01.2006 beim Magistrat der Stadt XXXX einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels; aufgrund des zu diesem Zeitpunkt aufrechten Aufenthaltsverbotes wurde das Verfahren am 30.11.2006 eingestellt.

 

Am 15.06.2009 endete das Aufenthaltsverbot. Die Beschwerdeführerin stellte am 19.08.2009 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" aufgrund ihrer Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger am 04.03.2005. Dieser Antrag wurde zunächst mit Bescheid des Landeshauptmannes von XXXX vom 18.02.2010 abgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde allerdings mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 26.11.2010, Zl. 155.759/2-III/4/10 Folge gegeben und der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" erteilt. Dies wurde insbesondere mit der erst im Zuge einer Einvernahme am 13.04.2010 erstmals bekanntgegebenen HIV-Infektion der Beschwerdeführerin begründet.

 

Seit 26.11.2010 war die Beschwerdeführerin in Österreich rechtmäßig aufhältig.

 

2.5. Zu den Länderfeststellungen

 

Zur aktuellen Lage in Nigeria wurden im angefochtenen Bescheid umfassende Feststellungen auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Stand 07.08.2017) getroffen. Zusammenfassend wird festgestellt, dass die im Bescheid enthaltenen Länderfeststellungen zu Nigeria umfassend genug und ausreichend aktuell sind, um eine Entscheidungsgrundlage darzustellen. Zu den dahinterstehenden Quellen (und somit zu den Quellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen.

 

Die Feststellungen werden daher auch als Grundlage für das vorliegende Erkenntnis herangezogen. Diesen Feststellungen wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht entgegengetreten. Die wichtigsten entscheidungsrelevanten Feststellungen sind oben wiedergegeben.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

3.1. Zur Behebung des angefochtenen Bescheides:

 

3.1.1. Rechtliche Grundlagen

 

§ 11 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) lautet:

 

"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

 

§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

 

1. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;

 

2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

 

3. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

 

4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

 

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

 

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

 

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

 

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

 

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

 

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

 

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

 

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

 

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

 

7. in den Fällen der §§ 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs. 5 mehr als vier Monate vergangen sind.

 

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 7 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

 

4. der Grad der Integration;

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn

 

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

 

2. der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

 

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

 

(6) Die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs. 2 Z 2 und 4 mit einer Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) erbringen zu können, muss ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.

 

(7) Der Fremde hat bei der Erstantragstellung ein Gesundheitszeugnis vorzulegen, wenn er auch für die Erlangung eines Visums (§ 21 FPG) ein Gesundheitszeugnis gemäß § 23 FPG benötigen würde."

 

§ 52 Abs. 4 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) lautet:

 

"Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

 

1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

 

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

 

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

 

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

 

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

 

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen."

 

§ 9 BFA-Verfahrensgesetz lautet:

 

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine

Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

 

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

 

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

 

3.1.2. Zur Anwendung auf den Beschwerdefall:

 

Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, dass gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei, da der Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG im Falle der Beschwerdeführerin erfüllt sei, da ihr Aufenthalt öffentlichen Interessen widerstreite. Diesbezüglich wurde auf den Unrechtsgehalt der von der Beschwerdeführerin begangenen Straftat verwiesen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht folgt der Ansicht des BFA, dass es sich beim grenzüberschreitendenden Prostitutionshandel um ein schwerwiegendes Verbrechen handelt, das mit einer massiven Menschenrechtsverletzung gegenüber den Opfern einhergeht.

 

Die Aufenthaltsbeendigung von straffällig gewordenen Ausländern gilt grundsätzlich als legitimes Interesse eines Aufenthaltsstaates. Daher sind Straftaten wesentliche Gründe, die bei Rückkehrentscheidungen im Rahmen der Interessensabwägung zu Ungunsten eines Fremden ausschlagen können. Hierbei sind vor allem die Art der begangenen Straftat sowie deren Schwere und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild relevant. Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR kommt der Anzahl der begangenen Straftat weniger Bedeutung zu als der Dauer der strafbaren Phase und der insgesamt verhängten Strafe.

 

Im gegenständlichen Fall besteht zweifellos ein öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung der Beschwerdeführerin: Sie hatte während der ersten zehn Jahren ihres Aufenthaltes beharrlich gegen fremdenrechtliche Bestimmungen verstoßen, sich ihrer Außerlandesbringung widersetzt und sogar eine Aufenthaltsehe geschlossen. Dieses Fehlverhalten bzw. ihr unrechtmäßiger Aufenthalt liegen allerdings bereits fast zehn Jahre zurück. Die Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens des grenzüberschreitendenden Prostitutionshandels reicht aber für sich genommen schon aus, um ein großes öffentliches Interesse an ihrer Außerlandesbringung festzustellen.

 

In weiterer Folge prüfte das BFA anhand der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung im Falle der Beschwerdeführerin zulässig ist. Konkret geht es um die Frage, ob das zweifellos bestehende öffentliche Interesse an der Außerlandesbringung der Beschwerdeführerin ihre privaten Interessen an der Fortführung ihres Privat- und Familienlebens im Bundesgebiet überwiegen und somit eine Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellen würde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in einer Vielzahl von Erkenntnissen mit der nach § 11 Abs. 3 NAG bzw. § 9 Abs. 2 BFA-VG durchzuführenden Interessenabwägung bei einem langjährigen (mehr als zehnjährigen) Inlandsaufenthalt des Fremden befasst. Aus dieser Rechtsprechung lässt sich Folgendes ableiten:

 

Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bzw. die Nichterteilung eines humanitären Aufenthaltstitels ausnahmsweise nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (siehe zuletzt etwa das Erkenntnis des VwGH vom 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253, mwN).

 

Umgekehrt hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählen das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung (vgl. etwa die Erkenntnisse des VwGH vom 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165, und vom 10. November 2015, Ro 2015/19/0001, sowie die Beschlüsse des VwGH vom 3. September 2015, Ra 2015/21/0121, und vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0054), Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften (wie etwa das Ausländerbeschäftigungsgesetz; siehe das Erkenntnis des VwGH vom 16. Oktober 2012, 2012/18/0062, sowie den Beschluss des VwGH vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0054), eine zweifache Asylantragstellung (vgl. den Beschluss des VwGH vom 20. Juli 2016, Ra 2016/22/0039, sowie das zitierte Erkenntnis Ra 2014/22/0078 bis 0082), unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren (vgl. die zitierten Erkenntnisse Ra 2015/21/0249 bis 0253 sowie Ra 2016/21/0165), sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 31. Jänner 2013, 2012/23/0006).

 

Im Ergebnis bedeutet das, dass auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen ist, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer (Erkenntnis des VwGH vom 17.10.2016, Ro 2016/22/0005).

 

Im gegenständlichen Fall befindet sich die Beschwerdeführerin zwar bereits seit zwanzig Jahren im Bundesgebiet, doch sind die ersten zehn Jahre ihres Aufenthaltes zu relativieren, da in dieser Zeit zwei fünfjährige Aufenthaltsverbote gegen sie erlassen wurden und sie eine Aufenthaltsehe geschlossen hatte. Zudem wurde sie wegen des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels zu einer zweijährigen Haftstrafe (18 Monate bedingt) verurteilt, so dass auch dies die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland entsprechend relativiert. Insbesondere aufgrund dieser Verurteilung wäre trotz des langen Aufenthaltes und trotz der von ihr gesetzten Integrationsschritte (Deutschkenntnisse, Integration am Arbeitsmarkt) noch nicht von einem Überwiegen ihrer privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen.

 

Allerdings verfügt die Beschwerdeführerin auch über ein Familienleben in Österreich. Sie ist seit 2005 verheiratet, die Ehe ist aufrecht. Ihr Ehemann ist österreichischer Staatsbürger und brachte er gegenüber dem BFA klar zum Ausdruck, dass er sich ein Leben in Nigeria, wo er noch nie gewesen sei, nicht vorstellen könne. Von einer Fortführung des Familienlebens in Nigeria scheint auch das BFA nicht ausgegangen zu sein, wenn es im angefochtenen Bescheid auf die Möglichkeit moderner Kommunikationsmedien und Besuche in Nigeria verweist.

 

Der Ehemann der Beschwerdeführerin, mit welchem diese und ihre minderjährige Tochter ein Familienleben iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK in Österreich führen, ist als österreichischer Staatsbürger naturgemäß im Bundesgebiet dauerhaft aufenthaltsberechtigt. Eine Weiterführung des Familienlebens in Nigeria erscheint unverhältnismäßig bzw. unzumutbar, da der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin als österreichischer Staatsbürger in Österreich seit seiner Geburt verwurzelt ist, hier über entsprechende soziale, familiäre (insbesondere in Form seiner Eltern) und gesellschaftliche Kontakte verfügt und einer laufenden, unselbständigen Arbeitsbeschäftigung nachgeht.

 

Die Fremdenpolizeibehörden haben sich in Konstellationen, in denen eine aufrechte Ehe des Fremden mit einem österreichischen Staatsbürger besteht, mit den konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung auf die Situation des Fremden und seiner Familienangehörigen zu befassen und nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Fremden und seines Ehepartners zu treffen (vgl. VfGH, 21.02.2012, 2011/23/0289). Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Bindung eines Fremden an einen österreichischen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK große Bedeutung zu. In einem solchen Fall müssen nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Fremden und seines Ehepartners, insbesondere zu den Wohnverhältnissen, der Art ihrer Beschäftigungen und den erzielten Einkommen, aber etwa auch zur Frage der Deutschkenntnisse sowie zu den Bindungen zum Heimatstaat und zur Möglichkeit und Zumutbarkeit der Führung eines Familienlebens außerhalb Österreichs getroffen werden (zur Bedeutung der Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger etwa VwGH, 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 15, mwN oder VwGH, 16.01.2019, Ra 2018/18/0272).

 

Eine Trennung von Ehepartnern hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden (vgl. etwa VwGH, 11.11.2013, Zl. 2013/22/0224, oder VwGH, 07.05.2014, Zl. 2012/22/0084) oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug" (vgl. VwGH, 20.10.2016, Ra 2016/21/0271).

 

Ein solcher Sachverhalt liegt fallgegenständlich allerdings vor: Die Beschwerdeführerin wurde wegen eines Verbrechens verurteilt und wurde zudem die Ehe zu einem Zeitpunkt geschlossen, als der Aufenthalt der Beschwerdeführerin - nicht zuletzt wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe - unrechtmäßig war. Sowohl die Beschwerdeführerin wie auch ihr Ehemann mussten sich bei der Eheschließung ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein. Auf der anderen Seite ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Ehe bereits seit fast vierzehn Jahren andauert. Dennoch wäre - aufgrund der Schwere der von der Beschwerdeführerin begangenen Straftat - trotz ihrer Ehe eine Aufenthaltsbeendigung verhältnismäßig.

 

Zu berücksichtigen ist fallgegenständlich aber auch, dass die Beschwerdeführerin eine fünfjährige Tochter hat. Dem Argument im angefochtenen Bescheid, dass sich während der sechsmonatigen Inhaftierung der Beschwerdeführerin gezeigt habe, dass die Betreuung der Tochter auch ohne die Beschwerdeführerin möglich wäre, kann nicht gefolgt werden. Erstens wurde vom Ehemann der Beschwerdeführerin auf die Schwierigkeiten rund um die Betreuung hingewiesen und zweitens kann, wie in der Beschwerde auch vorgebracht wurde, eine sechsmonatige Abwesenheit nicht mit einer längerfristigen Trennung gleichgesetzt werden.

 

Zudem ergibt sich auch aus einem mit der Beschwerde vorgelegten Patientenbrief vom 19.02.2018, dass die Tochter der Beschwerdeführerin aufgrund der Trennung von ihrer Mutter eine Traumatisierung erlitt und seither eine Angststörung hat. Es wurde festgestellt: "Für eine förderliche Entwicklung ist für B. ein Aufwachsen mit beiden Elternteilen wie auch die Beziehung zu ihrer Mutter für ihre emotionale und psychosoziale Entwicklung enorm wichtig."

 

Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann in den ersten Lebensphasen eines Kindes ein ständiger Kontakt mit der Mutter nicht nur wünschenswert, sondern notwendig sein (vgl. etwa zuletzt VwGH, 16.01.2019, Ra 2018/18/0272 oder VwGH, 12.9.2012, 2012/23/0017). Ingesamt ist von einer engen affektiven Bindung des Kindes zur Beschwerdeführerin auszugehen, so dass, selbst wenn man davon ausginge, dass der Vater unter Zuhilfenahme von Kinderbetreuungseinrichtungen die Sorge für das gemeinsame Kind allein übernehmen könnte, es kaum vertretbar wäre, das fünfjährige Kind allein mit dem väterlichen Elternteil zu belassen und ihm eine langfristige Trennung von seiner Mutter zuzumuten.

 

Nicht mit der gegenständlichen Ausgangslage zu vergleichen ist der Sachverhalt, der dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 02.04.2015, SARKÖZI und MAHRAN gg Österreich, Appl. 27945/10, zugrundelag: Damals wurde die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen die Mutter eines Kindes mit österreichischer Staatsbürgerschaft nicht als Verletzung des Art. 8 EMRK gewertet. Die Umstände sind aber nicht vergleichbar, da das Kind im Fall, über den der EGMR zu entscheiden hatte, bei seinem Vater lebte und - wie vom EGMR betont wurde - das Aufenthaltsverbot wegen wiederholter Begehung schwerer Straftaten verhängt wurde, zeitlich befristet war und der Kontakt zwischen Mutter und Kind aufrechterhalten werden konnte, da die Distanz zwischen XXXX und XXXX einfache Besuchsmöglichkeiten erlaube. Zudem war dem eine mehrjährige Trennung von Mutter und Kind aufrund einer längeren Inhaftierung der Mutter vorangegangen.

 

Die vom EGMR in diesem Urteil herausgearbeiteten Leitlinien zeigen, dass eine längerfristige Trennung von Mutter und Kind nur in bestimmten Ausnahmefällen nicht als Verletzung des Art. 8 EMRK anzusehen ist.

 

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes kann im gegenständlichen Fall unter Berücksichtigung des Kindeswohls eine Außerlandesbringung der Beschwerdeführerin und die Erlassung eines Einreiseverbotes gegen sie nicht als verhältnismäßig angesehen werden und würde dies eine Verletzung des Art. 8 EMRK bedeuten.

 

Es sind zudem auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaige wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen, wobei im Rahmen der Gesamtabwägung einem solchen Vorbringen nicht in jeder Konstellation Relevanz zukomme (vgl. dazu VwGH, 30.06.2016, Zl Ra 2016/21/0076-10 und VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Das BFA stellte im angefochtenen Bescheid zwar fest, dass die Beschwerdeführerin HIV-infiziert ist, trifft aber keinerlei konkrete Feststellungen über die Möglichkeit einer medizinischen Behandlung in Nigeria. Aus den im Bescheid wiedergegebenen Länderfeststellungen ergibt sich, dass es teilweise kostenlose Medikamente gegen HIV geben würde, aber nicht flächendeckend und dass Personen mit einer HIV-Infektion oft die Gesundheitsversorgung verweigert würde. Auf die Frage, ob die Beschwerdeführerin Zugang zu Medikamenten hätte, wird im angefochtenen Bescheid selbst bei der Frage der Zulässigkeit der Abschiebung mit keinem Wort eingegangen. Im gegenständlichen Fall kann aber jedenfalls festgestellt werden, dass das Interesse der Beschwerdeführerin an einer Fortführung der in Österreich seit 17 Jahren in Anspruch genommenen Therapie ihr Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet zusätzlich stärkt.

 

Es wird vom Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Fall die Schwere des von der Beschwerdeführerin begangenen Verbrechens nicht verkannt und ist wohl davon auszugehen, dass im Fall einer erneuten Straffälligkeit die Interessensabwägung zu einem anderen Ergebnis führen würde. Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung aber unter Abwägung aller Umstände und Interessen, insbesondere aufgrund des zu berücksichtigenden Kindeswohls, nicht mit Art. 8 EMRK vereinbar.

 

Die mit Spruchpunkt I. erlassene Rückkehrentscheidung war daher ebenso zu beheben wie die darauf aufbauenden Spruchpunkte.

 

In einer Konstellation, in der im Zusammenhang mit dem Antrag auf Verlängerung eines erteilten Aufenthaltstitels nach dem NAG 2005 die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 Z 4 FrPolG 2005 zu prüfen ist, ist das Bundesverwaltungsgericht zu einer Feststellung nach § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, nicht befugt. Ebenso wenig ist dann eine Feststellung dahingehend zu treffen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen bzw. ein solcher Aufenthaltstitel zu erteilen (vgl. VwGH, 15.03.2018, Ra 2018/21/0017, VwGH, 17.11.2016, Ra 2016/21/0193 und VwGH, 20.10.2016, Ra 2016/21/0224).

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, der Beschwerde Folge zu geben und der Bescheid zu beheben.

 

Die (von einem Rechtsanwalt vertretene) Beschwerdeführerin weist gute Kenntnisse der deutschen Sprache auf. Daraus ergibt sich, dass ihr Spruch und Rechtsmittelbelehrung der gegenständlichen Entscheidung verständlich sein müssen und es keiner Übersetzung in ihre Muttersprache bedarf.

 

4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

 

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Von Seiten der Beschwerdeführerin wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, doch wird gegenständlich ohnehin der Beschwerde stattgegeben. Die belangte Behörde hatte mit Vorlage der Beschwerde die Durchführung einer Verhandlung nicht beantragt.

 

Zudem stand der Sachverhalt fest: Sowohl die Straftat der Beschwerdeführerin, ihr zwanzigjähriger Aufenthalt in Österreich (sowie dessen teilweise Unrechtmäßigkeit bzw. teilweise Rechtmäßigkeit) wie auch ihre HIV-Infektion ergeben sich unzweifelhaft aus dem Akteninhalt und sind unstrittig. Dass eine Trennung eines Kleinkindes von seiner Mutter, die bislang wesentlich für die Betreuung und Versorgung des Kindes zuständig war, nur unter bestimmten Voraussetzungen und eingeschränkt zumutbar ist, ergibt sich aus der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte und des EGMR.

 

Es konnte daher von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden.

 

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte