Normen
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, ihr zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft mit ihrem Ehemann einen Aufenthaltstitels zu erteilen, gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe den verfahrensgegenständlichen Erstantrag im Inland eingebracht. Sie sei zwar zum Zeitpunkt der Antragstellung am 25. Juni 2012 infolge eines ihr erteilten - vom 8. Mai 2012 bis 30. September 2012 gültigen - Visums rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig gewesen. Jedoch hätte sie gemäß § 21 Abs. 1 NAG den Erstantrag vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und die Entscheidung im Ausland abzuwarten gehabt. Ein Ausnahmetatbestand des § 21 Abs. 2 NAG sei nicht erfüllt.
Die Behörde könne gemäß § 21 Abs. 3 NAG auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland (ua.) zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG vorliege und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar sei.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2012 habe die Beschwerdeführerin einen solchen Antrag eingebracht und vorgebracht, sie wäre die Ehefrau eines anerkannten Flüchtlings. Sie würde beabsichtigen, zu ihrem Ehemann zu ziehen. In der Folge würde sie das Bachelorstudium "Kunstgeschichte" aufnehmen und "im Rahmen des Möglichen" einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Beschwerdeführerin wäre rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Ein Familienleben wäre durch die Heirat und die gemeinsame Wohnsitznahme belegt. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann, der sich seit 17 Jahren in Österreich aufhalten würde, hätten sich bei Projekten im arabischen Raum kennengelernt und würden das Familienleben nur außerhalb der Türkei leben können, weil der Ehemann als Angehöriger der kurdischen Volksgruppe in der Türkei nicht sicher wäre. Zudem wäre nicht abschätzbar, wie die türkischen Behörden reagieren würden, wenn diesen bekannt würde, dass die Beschwerdeführerin mit einem "Staatsfeind" verheiratet wäre.
Es sei aber - so die belangte Behörde in ihrer Beurteilung - nicht nachvollziehbar, weshalb die Beschwerdeführerin nicht ausreisen könne, um gesetzeskonform einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus dem Ausland zu stellen. Es seien weiterhin Beziehungen zum Heimatland vorhanden. Es sei ihr "offensichtlich ohne Probleme" möglich gewesen, nach der Eheschließung wieder auszureisen und bei der Österreichischen Botschaft Ankara die Erteilung eines Visums zu beantragen. Erst im Anschluss sei sie wieder nach Österreich gereist. Aufgrund der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet könne nicht von einer maßgeblichen Integration gesprochen werden. Zwar bestünden wegen des Aufenthaltes des Ehemannes im Bundesgebiet unbestritten familiäre Bindungen in Österreich. Allerdings sei ihr Ehemann seit mehreren Jahren im Bundesgebiet niedergelassen, während die Beschwerdeführerin bislang in der Türkei gelebt und zu keinem Zeitpunkt ein gemeinsames Familienleben mit ihrem Ehemann geführt habe.
Bei Gesamtbetrachtung des Sachverhaltes sei zum Ergebnis zu gelangen, dass die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der Einwanderungsbestimmungen höher zu bewerten seien als der Umstand, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin in Österreich niedergelassen sei. Nach Abwägung der gegenläufigen öffentlichen und privaten Interessen ergebe sich, dass der Beschwerdeführerin die Ausreise zumutbar sei. Dem Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG könne nicht stattgegeben werden. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sei mangels rechtskonformer Antragstellung abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles angesichts des Zeitpunktes der Zustellung des angefochtenen Bescheides (16. Juli 2013) nach den Bestimmungen des NAG idF des BGBl. I Nr. 68/2013 richtet.
Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sind Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.
Die Beschwerde bestreitet nicht die Richtigkeit der Ausführungen der belangten Behörde, wonach im gegenständlichen Fall ein Erstantrag, auf den § 21 Abs. 1 NAG Anwendung finde, vorliege und der Antrag entgegen dieser Bestimmung im Inland gestellt worden sei. Der Verwaltungsgerichtshof hegt am Boden der Feststellungen im angefochtenen Bescheid auch keine Bedenken gegen die diesbezügliche behördliche Auffassung.
Abweichend von § 21 Abs. 1 NAG kann die Behörde gemäß § 21 Abs. 3 NAG auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, Z 2 oder Z 4 NAG vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist: 1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§ 2 Abs. 1 Z 17 NAG) zur Wahrung des Kindeswohls oder 2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3 NAG). Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren.
Art. 8 EMRK verlangt in einem Fall, wie dem vorliegenden, eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch Wahrung eines geordneten Fremdenwesens mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK dem Bestehen einer Ehe mit einem dauerhaft niedergelassenen Partner große Bedeutung zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2012, Zlen. 2009/22/0257 bis 0259, mwN; vgl. in diesem Sinn für das aufenthaltsbeendende Verfahren § 61 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 idF des FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38).
Diese Rechtslage verkennend hat die belangte Behörde in ihre Überlegungen nicht ausreichend einbezogen, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin über den Status eines Asylberechtigten und somit über ein dauerndes Aufenthaltsrecht in Österreich verfügt (vgl. § 2 Abs. 1 Z 15 AsylG 2005). Obwohl die Beschwerdeführerin bereits im Verwaltungsverfahren ein konkretes Vorbringen dazu erstattet hat, warum in ihrem Fall ein aus Art. 8 EMRK resultierender Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bestehe, hat es die belangte Behörde in rechtswidriger Weise unterlassen, dazu nähere Feststellungen zu treffen. Zudem ist sie bei ihrer Beurteilung davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin "zu keinem Zeitpunkt ein gemeinsames Familienleben" mit ihrem Ehemann geführt habe. Dabei hat sich die belangte Behörde aber ohne nähere Begründung über das - auch im angefochtenen Bescheid wiedergegebene - Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass sie mit ihrem Ehemann die "Ehewohnung in W" bewohnen würde und das Bestehen des Familienlebens "durch die Heirat und gemeinsame Wohnsitzannahme belegt" wäre, hinweggesetzt. Vor diesem Hintergrund greift die Begründung der belangten Behörde, die allein - der Sache nach - den unsicheren Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführerin in den Vordergrund rückt, ohne sich umfassend mit den konkreten Umständen des vorliegenden Falles auseinanderzusetzen, jedenfalls zu kurz.
Darüber hinaus würde die Auffassung der belangten Behörde bedeuten, dass die Beschwerdeführerin das Familienleben mit ihrem Ehemann entweder aufzugeben hätte oder in einem anderen Land fortsetzen müsste. Damit kommt dem von der belangten Behörde nicht weiter thematisierten Umstand Bedeutung zu, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin anerkannter Flüchtling ist. Sie hat verkannt, dass bei der Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art. 8 EMRK zulässig ist, zu beachten ist, ob eine Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist und ob auf Grund einer aus Asylgründen bedingten Trennung der Familie der Eingriff in das Familienleben als unzulässig zu werten wäre. Da dem Ehemann der Beschwerdeführerin der Status eines Asylberechtigten zukommt, steht im vorliegenden Fall aber bereits fest, dass eine Fortsetzung des Familienlebens im gemeinsamen Heimatstaat nicht möglich, jedenfalls aber nicht zumutbar ist. In einem solchen Fall ist der damit verbundene Eingriff in das Familienleben zwar nicht jedenfalls unzulässig, es muss aber dem öffentlichen Interesse an der Vornahme dieser Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen sein, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 13. November 2012, Zl. 2011/22/0081, mwN). Auch diesbezüglich fehlt jegliche Auseinandersetzung im angefochtenen Bescheid.
Sohin war der angefochtene Bescheid wegen - vorrangig wahrzunehmender - inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 11. November 2013
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