VwGH Ra 2017/21/0130

VwGHRa 2017/21/013014.11.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision der E B in W, vertreten durch Dr. Romana Zeh‑Gindl, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz‑Josefs‑Kai 5/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. Mai 2017, G313 2141823‑1/3E, betreffend Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), und über einen in diesem Zusammenhang gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist

Normen

BFA-VG 2014 §9
EURallg
FrPolG 2005 §66 Abs1
MRK Art8
NAG 2005 §51 Abs1
NAG 2005 §51 Abs1 Z1
NAG 2005 §51 Abs1 Z2
NAG 2005 §53 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
32004L0038 Unionsbürger-RL
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1 lita
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1 litb
62009CJ0014 Hava Genc VORAB
62013CJ0333 Dano VORAB
62014CJ0067 Alimanovic VORAB
62016CJ0143 Abercrombie Fitch Italia VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017210130.L00

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

2. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zu 1.:

1 Das Bundesverwaltungsgericht hat dem von der Revisionswerberin gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision in der gegenständlichen Angelegenheit betreffend Ausweisung mit Beschluss vom 14. September 2017, G313 2141823‑1/11E, nicht stattgegeben. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2017/21/0193, gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst entschieden und die Wiedereinsetzung bewilligt. Damit ist der auch direkt beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte und an ihn gerichtete inhaltsgleiche Wiedereinsetzungsantrag gegenstandslos geworden. Demzufolge war das diesbezügliche Verfahren in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat einzustellen, sodass Fragen der Zulässigkeit und Rechtzeitigkeit des vorliegenden Wiedereinsetzungsantrags auf sich beruhen können.

Zu 2.:

2 Die 1955 geborene Revisionswerberin, eine rumänische Staatsangehörige, befindet sich seit 12. März 2010 in Österreich. Seit damals führte sie mit dem 1954 geborenen österreichischen Staatsbürger R. D. eine Lebensgemeinschaft; die Eheschließung erfolgte dann am 19. Oktober 2012 in Wien.

3 Den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis (siehe Rn. 6 und 7) zufolge verfügte die Revisionswerberin während ihres Aufenthalts in Österreich durchgehend über einen Krankenversicherungsschutz. Sie war in der Zeit vom 26. November 2012 bis 6. Juni 2014 und nach einer krankheitsbedingten Unterbrechung noch einmal im August 2015 (an zwei Tagen) bei der Stadt Wien im Bereich Straßenreinigung und Winterdienst als Aushilfsbedienstete geringfügig beschäftigt. Danach meldete sich die Revisionswerberin in der Zeit vom 17. September 2015 bis 29. April 2016 beim Arbeitsmarktservice (AMS) als arbeitssuchend. Diesbezüglich bestand eine am 21. September 2015 mit dem AMS geschlossene, bis 1. Dezember 2015 gültige schriftliche Betreuungsvereinbarung, wonach die Revisionswerberin vom AMS bei der Suche nach einer Arbeitsstelle als Reinigungskraft unterstützt werde. Mangels Vermittelbarkeit und wegen Erreichens des Regelpensionsalters wurde sie dann mit 30. April 2016 vom AMS abgemeldet. Seit Jänner 2016 (mit einer Unterbrechung im September 2016) bezieht die Revisionswerberin ‑ ebenso wie ihr Ehemann ‑ Mindestsicherung.

4 Die Revisionswerberin hatte am 25. Mai 2010 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung gemäß § 53 NAG gestellt. Im Zuge dieses Verfahrens gelangte die Niederlassungsbehörde zu dem Ergebnis, die diesbezüglichen Voraussetzungen lägen nicht vor, weil die Revisionswerberin keine Beschäftigung und keine ausreichenden Existenzmittel habe nachweisen können. Das wurde der Revisionswerberin mit Schreiben vom 23. Oktober 2012 mitgeteilt und gleichzeitig wurde der Akt der Landespolizeidirektion Wien gemäß § 55 Abs. 3 NAG „zur Überprüfung einer möglichen Aufenthaltsbeendigung“ übermittelt.

5 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. November 2016 wurde die Revisionswerberin sodann gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

6 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 16. Mai 2017 als unbegründet ab, wobei die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig erklärt wurde.

7 In Anknüpfung an den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt führte das BVwG in der rechtlichen Beurteilung aus, die Revisionswerberin gehe „seit längerer Zeit und auch derzeit“ keiner Beschäftigung nach, habe kein regelmäßiges Einkommen und lebe von der ihr und ihrem Ehegatten zuerkannten Mindestsicherung. Davor sei die Revisionswerberin „lediglich immer in geringfügigen Dienstverhältnissen“ beschäftigt gewesen und habe „Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und Notstandshilfe“ bezogen. Die „Inanspruchnahme einer Sozialhilfeleistung (Mindestsicherung)“ stehe „in untrennbarem Zusammenhang“ mit dem Erfordernis, über ausreichende Existenzmittel zu verfügen, wobei bereits dem Wortlaut des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG zu entnehmen sei, dass „die Gewährung von Sozialhilfeleistungen das Fehlen entsprechender Existenzmittel voraussetzt“. Das BFA sei im gegenständlichen Fall somit völlig zu Recht davon ausgegangen, dass die Existenzmittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts der Revisionswerberin überhaupt nicht gegeben seien. Demzufolge habe bei der Interessenabwägung auch die lange Aufenthaltsdauer nicht zu Gunsten der Revisionswerberin berücksichtigt werden können, habe sie sich doch nie rechtmäßig in Österreich aufgehalten, weil ihrem Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung mangels hinreichender Existenzmittel nie habe Folge gegeben werden können. Abgesehen von ihrem Ehemann, den die Revisionswerberin allerdings erst nach der Antragstellung und wenige Tage vor der Mitteilung der Niederlassungsbehörde vom 23. Oktober 2012 geheiratet habe, bestünden keine weiteren familiären und sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich. Davon ausgehend kam das BVwG zum Ergebnis, dass sich die vom BFA ausgesprochene Ausweisung der Revisionswerberin „als rechtmäßig darstellt“.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens ‑ Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet ‑ erwogen hat:

9 Gemäß § 53 Abs. 1 NAG haben EWR‑Bürger, die sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten (wollen), dies binnen vier Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen. Einen solchen Antrag stellte die Revisionswerberin nach ihrer Einreise am 12. März 2010 fristgerecht am 25. Mai 2010. Die zuständige Niederlassungsbehörde ging dann ‑ allerdings erst fast zweieinhalb Jahre nach der Antragstellung ‑ im Oktober 2012 davon aus, dass die Revisionswerberin die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 NAG nicht erfülle und leitete ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein. In diesem Verfahren erging die erstinstanzliche Entscheidung des BFA am 29. November 2016, somit erst nach weiteren (mehr als) vier Jahren. Angesichts dessen sei schon an dieser Stelle erwähnt, dass das BVwG bei der Interessenabwägung jedenfalls zu berücksichtigen gehabt hätte, dass iSd § 9 Abs. 2 Z 9 FPG die Dauer des bisherigen Aufenthalts der Revisionswerberin „in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist“.

10 Die gegenständliche Ausweisung hat ihre Rechtsgrundlage in § 66 Abs. 1 FPG. Danach können EWR‑Bürger dann ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG ‑ u.a. wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen nach § 51 NAG ‑ das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Im vorliegenden Fall stellt sich somit primär die Frage, ob der Revisionswerberin ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate zukam und noch zukommt. Die hierfür maßgeblichen Bestimmungen, mit denen die entsprechenden Normen der sogenannten „Freizügigkeitsrichtlinie“ (auch: „Unionsbürgerrichtlinie“: Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004) umgesetzt wurden, lauten:

„Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR‑Bürgern für mehr als drei Monate

§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR‑Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. ...

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR‑Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

...

Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR‑Bürgern

§ 53a. (1) EWR‑Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

...

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

...

Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen.“

11 Das BVwG hat den gegenständlichen Fall lediglich unter dem Gesichtspunkt des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG beurteilt und das Bestehen eines Aufenthaltsrechts allein deshalb verneint, weil die Revisionswerberin im Sinne dieser Bestimmung nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge. Das greift zu kurz. In der vorliegenden Konstellation wäre vielmehr in erster Linie auf den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 1 FPG abzustellen gewesen.

12 In diesem Zusammenhang ist vorweg darauf hinzuweisen, dass schon das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle, sofern dieses Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln kann (vgl. VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0264, Rn. 9, mit dem Hinweis einerseits auf VwGH 26.2.2013, 2010/22/0104, in dem wiederum auf VwGH 23.2.2012, 2010/22/0011, Bezug genommen wird, und andererseits auf EuGH [Große Kammer] 15.9.2015, Alimanovic, C‑67/14, Rn. 56). Dem wird auch in § 66 Abs. 1 FPG mit der in den ersten Satz aufgenommenen Einschränkung („es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden“) Rechnung getragen. Angesichts dessen hätte das BVwG ermitteln müssen, ob die Revisionswerberin ihre Einreise (auch) mit dem Zweck vorgenommen hatte, Arbeit zu suchen, und ob sie danach ein solches „Bemühen“ bis zur (erfolgreichen) Erlangung einer Arbeitsstelle, die eine vorangegangene Suche indiziert, gezeigt hat. Ohne Klärung dieser entscheidungswesentlichen Tatsachen konnte nicht beurteilt werden, ob der Revisionswerberin in dieser ersten Phase das angesprochene Aufenthaltsrecht zukam oder nicht.

13 In Bezug auf die anschließende geringfügige Beschäftigung der Revisionswerberin im Zeitraum vom 26. November 2012 bis 6. Juni 2014, deren Umfang vom BVwG allerdings nur zusammenfassend festgestellt wurde („tageweise mit jeweils einigen Tagen Abstand dazwischen“), scheint das BVwG ebenfalls davon ausgegangen zu sein, dass damit der Tatbestand des § 51 Abs. 1 NAG nicht erfüllt sei. Die dabei vom BVwG offenbar zugrunde gelegte Auffassung, es müssten kumulativ die Voraussetzungen der Z 1 und der Z 2 dieser Bestimmung erfüllt sein, trifft jedoch nicht zu; dem stehen schon der eindeutige Wortlaut sowohl des § 51 Abs. 1 NAG als auch des Art. 7 Abs. 1 lit. a und b der Freizügigkeitsrichtlinie (arg.: „oder“) entgegen (siehe dazu etwa auch EuGH [Große Kammer] 11.11.2014, Dano, C‑333/13, Rn. 75, wo es heißt: „Überdies unterscheidet die Richtlinie 2004/38 hinsichtlich der Voraussetzung, über ausreichende Existenzmittel zu verfügen, zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Personen. Der erstgenannten Gruppe von Unionsbürgern, die sich im Aufnahmemitgliedstaat befinden, steht nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 das Aufenthaltsrecht zu, ohne dass sie weitere Voraussetzungen erfüllen muss. Dagegen wird in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie von nicht erwerbstätigen Personen verlangt, dass sie über ausreichende eigene Existenzmittel verfügen.“). Um als „Arbeitnehmer“ im Sinn der genannten Bestimmungen zu gelten, muss lediglich eine „tatsächliche und echte Tätigkeit“ ausgeübt werden, die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine „völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit“ handelt. Die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer erhält, ist ebenso wenig von alleiniger Bedeutung wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Arbeitsverhältnisses (vgl. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitnehmerbegriff VwGH 29.9.2011, 2009/21/0386, Punkt 3.3. der Entscheidungsgründe; siehe auch VwGH 18.12.2012, 2010/09/0185, u.a. mit dem Hinweis auf das eine geringfügige Beschäftigung betreffende Urteil des EuGH vom 4.2.2010, Hava Genc, C‑14/09, Rn. 19 ff; siehe aus der letzten Zeit etwa auch EuGH 19.7.2017, Antonino Bordonaro, C‑143/16, Rn. 19 ff).

14 In Bezug auf die weiteren Zeiten des Aufenthalts der Revisionswerberin in Österreich hätte das BVwG sodann auf § 51 Abs. 2 Z 1 und 2 NAG Bedacht nehmen und ‑ allenfalls nach diesbezüglichen ergänzenden Ermittlungen ‑ deren fallbezogene Anwendbarkeit prüfen müssen. Danach hätte sich unter Umständen (sogar) ergeben können, dass der Revisionswerberin ‑ unter Einbeziehung der Regelung des § 53a Abs. 3 Z 1 iVm § 51 Abs. 2 FPG ‑ ein Daueraufenthaltsrecht zukommt, was mangels Vorliegens einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG einer Ausweisung von vornherein entgegengestanden wäre. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen zu der vom BVwG angenommenen, zeitlich jedoch nicht näher präzisierten Unterbrechung des Aufenthalts der Revisionswerberin in Österreich auf § 53a Abs. 2 Z 1 NAG zu verweisen.

15 Des Weiteren ist dem BVwG vorzuwerfen, dass es im Hinblick auf die Ehe der Revisionswerberin mit einem österreichischen Staatsbürger darauf hätte Bedacht zu nehmen gehabt, dass eine Trennung von einem österreichischen Ehepartner alleine wegen eines unrechtmäßigen Aufenthaltes nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht verhältnismäßig wäre; eine solche Trennung hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner rezenten Judikatur im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den „Familiennachzug“ (vgl. etwa VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0199, Rn. 12, mwN). Unter diesem Gesichtspunkt sind zwar die Annahmen des BVwG einzuordnen, der Revisionswerberin sei während des gesamten Zeitraums nie ein Aufenthaltsrecht zugekommen und ‑ wie vom BVwG im angefochtenen Erkenntnis auch noch unterstellt wurde ‑ sie habe „von Beginn an“ beabsichtigt, „sich im österreichischen Sozialsystem einen Vorteil zu verschaffen“. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, fehlt es aber für diese Einschätzung auf Basis der bisherigen Überlegungen des BVwG an einer tragfähigen Grundlage.

16 Schließlich zeigen die oben angestellten Erwägungen auch, dass das BVwG zu Unrecht von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA‑VG ausgegangen ist, sodass es auch nicht von der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte absehen dürfen. Einmal mehr ist im Übrigen in diesem Zusammenhang zu betonen, dass es bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ‑ ausgenommen in eindeutigen Fällen, wovon hier keine Rede sein kann ‑ auch der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bedarf (vgl. unter Vielen etwa VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0068, Rn. 12, mwN).

17 Aus all diesen Gründen, die teilweise auch in der deshalb gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässigen Revision angesprochen werden, erweist sich das angefochtene Erkenntnis als inhaltlich rechtswidrig, sodass es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

18 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. November 2017

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