BVwG W236 2118102-3

BVwGW236 2118102-32.10.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W236.2118102.3.00

 

Spruch:

W236 2118102-3/4E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lena BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb.XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.08.2018, Zl. 1019920400/180113276, zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, § 52 Abs. 2, § 52 Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz (in Rechtskraft erwachsen):

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 27.05.2014 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.2. Hiezu wurde er am 29.05.2014 von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und am 21.06.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er in den Jahren 1997 und 1998 in Zentralrussland für die tschetschenische Itschkeria-Regierung von Mashadov im Außenministerium als Kontrolleur und Beobachter gearbeitet habe. Eines Tages hätte man ihm vorgeworfen, dass er als Mitglied einer Mafia Geld angenommen hätte, weswegen er gerichtlich verurteilt und von 1998 bis 2005 in Zentralrussland im Gefängnis gewesen sei. Nach seiner Entlassung 2005 hätten ihn Kadyrowzy abermals festgenommen. Man habe ihm vorgeworfen, dass er als PKW-Lenker einem verunfallten und verletzten anderen PKW-Lenker keine erste Hilfe geleistet habe. Deswegen sei er erneut verurteilt worden und von 2005 bis 2013 in einem Gefängnis in Tschetschenien gewesen. Im Oktober 2013 sei er entlassen worden. Seitdem habe er sich bei Verwandten in Grosny versteckt gehalten. Im März 2014 habe er erfahren, dass er von den tschetschenischen Behörden wieder gesucht werde. Deshalb habe er sich im Mai 2014 entschlossen, das Heimatland zu verlassen.

 

1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.11.2015 wurde der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 und § 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft angesehen werde. Die Angaben des Beschwerdeführers seien widersprüchlich gewesen. Sollte es sich um ungerechtfertigte Inhaftierungen des Beschwerdeführers aufgrund dessen politischer Gesinnung handeln, würde er nicht immer wieder aus dem Gefängnis entlassen werden - dies auch noch vorzeitig. Im Weiteren wäre es nicht nachvollziehbar, warum die Regierung der Russischen Föderation nach der Haftentlassung des Beschwerdeführers ihm auch noch eine Wohnung zur Verfügung stellen sollte. Darüber hinaus wäre der Beschwerdeführer nach seinen Angaben in der Erstbefragung legal aus der Russischen Föderation ausgereist, was bei einer staatlichen Verfolgung jedoch unmöglich wäre.

 

1.4. Die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 15.03.2017 mit Erkenntnis vom 04.08.2017, GZ. W147 2118102-1/12E, hinsichtlich aller Spruchpunkte aufgrund der gesteigerten, widersprüchlichen und völlig unplausiblen Angaben des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs mit Zustellung an den Beschwerdeführer am 08.08.2017 in Rechtskraft.

 

2. Verfahren über den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz:

 

2.1. Am 01.02.2018 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Zu den Gründen für seine neue Antragstellung gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass die "alten" Asylgründe, die er im Jahr 2014 angegeben habe, nach wie vor aufrecht seien. Es seien aber zwei neue Gründe dazu gekommen. Erstens sei er im Dezember 2017 in die Schweiz gereist, weil er dort eine Freundin gehabt habe, die er heiraten habe wollen. Leider habe dies nicht wie geplant geklappt und sie hätten sich getrennt. Die Schweizer Behörden hätten ihn im Jänner 2018 dann informiert, dass Österreich für sein Asylverfahren zuständig sei und er nach Österreich zurückkehren müsse. In der Schweiz habe er bei einer Untersuchung zudem zufällig erfahren, dass er an TBC leide und dringend ärztliche Behandlung bedürfe. Der zweite neue Grund sei, dass Ende Oktober/Anfang November 2017 maskierte Männer von Kadyrow zu seiner Tochter in Tschetschenien in das Haus deren Schwiegereltern gekommen seien und nach ihm gesucht hätten. Sie hätten die Tochter nach seinem Aufenthaltsort gefragt und ihr und ihrem Ehemann mit dem Tode gedroht, sollten sie nicht die notwendigen Informationen preisgeben. Auch hätten sie im Handy seiner Tochter nach der Telefonnummer des Beschwerdeführers gesucht. Seine Tochter sei derzeit schwanger und sei vom Haus der Schwiegereltern vertrieben worden, nachdem die maskierten Männer dort aufgetaucht seien. Zudem seien "sie" auch im Haus seiner Schwester gewesen.

 

2.2. Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 18.07.2018 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er an einer geschlossenen TBC leide und alle drei Monate zum Lungenröntgen müsse. In Österreich lebe sein Bruder, der mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft habe. Er habe zu diesem telefonischen Kontakt; ab und zu würde sein Bruder ihn besuchen kommen. Ein Abhängigkeitsverhältnis zu diesem bestehe nicht.

 

Freiwillig wolle er nicht in die Russische Föderation zurückreisen. Er habe dort kein Haus, seine Verwandten hätten sich von ihm abgewendet. Er habe keine andere Wahl, er wolle nicht, dass seine Familie seinetwegen leide. Im Falle der Abschiebung werde er in Hungerstreik treten.

 

In der Schweiz habe er eine Frau heiraten wollen, jedoch habe er den Anwalt nicht bezahlen können; dieser habe 15.000 Schweizer Franken verlangt. Der Anwalt hätte ihm im Asylverfahren helfen sollen. Außerdem hätte die Hochzeit mit dieser Frau aufgrund der Dublin Relevanz mit Österreich ohnehin keinen Sinn gehabt, also sei er nach Österreich zurückgekehrt.

 

Hinsichtlich seiner Fluchtgründe führte der Beschwerdeführer aus, dass er immer noch zu Hause gesucht und auf ihn gewartet werde. Ende November 2017 sei seine Schwester von der Polizei heimgesucht worden. Man habe von ihr verlangt, dass sie sage, wann der Beschwerdeführer zurückkehren würde. In Tschetschenien sei verraten worden, dass er einen negativen Bescheid erhalten habe und deswegen zurückkehren werde. Er sei in Russland schuldlos im Gefängnis aufgrund einer Falschaussage gewesen; dem Zeugen sei unter Folter ein falsches Geständnis abgerungen worden. Er sei schon fast 60 und würde gerne nach Hause reisen, aber es sei unmöglich. Er müsste wieder ins Gefängnis. Sein Bruder sei bereits verstorben; dieser sei im Rollstuhl gesessen. Man habe seinem Bruder das Haus enteignet, falsche Dokumente wurden erstellt und Unterschriften gefälscht. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht entschieden habe, dass ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative zukomme, könne er nicht zurückkehren. Ihm sei sein Inlandspass bei seiner Inhaftierung abgenommen worden. Nach der Entlassung habe er ihn nicht zurückbekommen. Sollte er jetzt einen Inlandsreisepass beantragen, würde ihn die tschetschenische Polizei finden und abholen. Verwandte hätten schon versucht die Polizei zu schmieren, aber es habe nicht funktioniert.

 

2.3. Im Anschluss an die Befragung des Beschwerdeführers zu den Gründen seiner zweiten Asylantragstellung am 18.07.2018 wurde mit mündlich verkündetem Bescheid gemäß § 12a AsylG 2005 der faktische Abschiebeschutz des Beschwerdeführers gemäß § 12 AsylG 2005 aufgehoben; dieser Bescheid wurde in der Niederschrift beurkundet. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen zweiten Verfahren keine neuen Fluchtgründe vorbringen habe können. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt habe sich somit sei Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert. Sein nunmehriges Vorbringen sei nicht glaubhaft, weswegen der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei.

 

In der Folge legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Verwaltungsakt mit einem als "Beschwerdevorlage" bezeichneten Schreiben vom 18.07.2018 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo er am 20.07.2018 einlangte.

 

Mit Beschluss vom 23.07.2018, GZ. W236 2118102-2/3Z, legte das Bundesverwaltungsgericht den mündlich verkündeten Bescheid vom 18.07.2018 gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit.a B-VG (in Verbindung mit Art. 89 Abs. 2 und Art. 135 Abs. 4 B-VG) dem Verfassungsgerichtshof vor und stellte hinsichtlich § 22 Abs. 10 dritter und vierter Satz AsylG 2005 (in eventu iVm § 22 Abs. 1 BFA-VG in eventu § 12a Abs. 2 AsylG 2005) die Anträge, die genannten gesetzlichen Bestimmungen als verfassungswidrig aufzuheben. Hiezu erging bis dato keine Entscheidung.

 

2.4. Mit dem o.a. Bescheid vom 26.08.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den zweiten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.) und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt III.).

 

Begründend wird darin ausgeführt, dass der Beschwerdeführer kein neues Vorbringen erstattet habe und sein Vorbringen nach wie vor keinen glaubhaften Kern aufweise. Die Begründung des neuerlichen Asylantrages reiche nicht aus, einen neuen, gegenüber den früheren Asylverfahren wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen. Auch habe sich die Lage in der Russischen Föderation seit Rechtskraft des Letztverfahrens nicht geändert und keinesfalls verschlechtert, sodass auch vor diesem Hintergrund kein neuer Sachverhalt vorliegen könne. Es liege daher entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vor, sodass der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen sei. Lebensbedrohliche oder im Herkunftsstaat nicht behandelbare Erkrankungen des Beschwerdeführers liegen nicht vor. Eine der Rückkehr entgegenstehende Integration oder familiäre Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich haben ebensowenig erkannt werden können, wie eine der Rückkehr entgegenstehende Situation in der Russischen Föderation.

 

2.5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 21.09.2018 fristgerecht Beschwerde, in welcher der Bescheid zur Gänze in Beschwerde gezogen wird. Ausgeführt wird darin im Wesentlichen, dass der Beschwerdeführer neue Gründe vorgebracht habe (Kadyrowzy seien Ende Oktober/Anfang November 2017 bei seiner Tochter und Ende November 2017 auch noch bei seiner Schwester gewesen und hätten nach ihm gesucht; den Behörden sei bekannt geworden, dass sein Asylverfahren in Österreich negativ entschieden worden sei und er nach Russland zurückkehren müsse - zum Beweis werde die telefonische Befragung der Schwester und der Tochter des Beschwerdeführers beantragt), das Bundesamt jedoch keinerlei Ermittlungen dazu getätigt habe und sich in der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides nicht ordnungsgemäß mit dem neuen Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Die belangte Behörde habe keine glaubhafte Kernprüfung vorgenommen. Der Beschwerdeführer sei für die Itschkeria-Regierung politisch tätig gewesen und habe deswegen flüchten müssen. Er habe sich der Auflage widersetzt, das Land nicht verlassen zu dürfen und sei illegal ausgereist. Er besitze auch keinen Inlandsreisepass mehr, weswegen ihm auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zustehe.

 

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer angegeben habe, im Falle der Abschiebung in Hungerstreik zu treten, mache deutlich, dass der Beschwerdeführer psychische Probleme habe, weswegen die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens beantragt werden. Das Bundesamt habe sich auch nicht damit auseinandergesetzt, dass das Kadyrow-Regime immer radikaler werde. Hingewiesen wird zudem auf die schwierige Situation für Rückkehrer.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Auf Grundlage der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakten des Beschwerdeführers (insbesondere auch zu seinem Vorverfahren), der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zum Verfahrensgang:

 

Der Beschwerdeführer reiste am 27.05.2014 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.11.2015 zur Gänze abgewiesen. Die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 15.03.2017 mit Erkenntnis vom 04.08.2017, GZ. W147 2118102-1/12E, hinsichtlich aller Spruchpunkte als unbegründet abgewiesen und erwuchs mit Zustellung an den Beschwerdeführer am 08.08.2017 in Rechtskraft.

 

Am 01.02.2018 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.08.2018 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht eingeräumt (Spruchpunkt III.).

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 21.09.2018 fristgerecht Beschwerde.

 

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen privaten- und familiären Verhältnissen:

 

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stammt aus der Teilrepublik Tschetschenien, ist Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Seine Identität steht fest und ist aus dem Spruch der gegenständlichen Entscheidung ersichtlich.

 

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Er ist arbeitsfähig.

 

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

 

Der Beschwerdeführer beherrscht sowohl die Russische als auch die Tschetschenische Sprache. Er absolvierte in Tschetschenien eine neunjährige Grundschulausbildung sowie eine Ausbildung als Ökonom und Finanzspezialist und war in der Lage sein eigenes Einkommen zu erzielen.

 

In Tschetschenien leben noch die Schwestern des Beschwerdeführers und deren Familien sowie seine verheiratete Tochter mit deren Familie. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer abgesehen von seinem Bruder, zu welchem jedoch nur oberflächlicher Kontakt besteht, mit dem der Beschwerdeführer nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebt und zu dem er in keinem (finanziellen) Abhängigkeitsverhältnis steht, über keine familiären Anknüpfungspunkte.

 

Der Beschwerdeführer hat sich trotz seines über vierjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet nahezu keine Grundkenntnisse der deutschen Sprache angeeignet. Der Beschwerdeführer war in Österreich nie erwerbstätig, er lebt auch derzeit von staatlichen Sozialleistungen (Grundversorgung), sodass nicht von einer Selbsterhaltungsfähigkeit ausgegangen werden kann. Es kann somit nicht von einer besonderen Verfestigung im Bundesgebiet gesprochen werden.

 

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

 

1.3. Zu den Fluchtgründen:

 

Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers kann ebensowenig festgestellt werden, wie eine maßgebliche Änderung der vom Beschwerdeführer bereits im Erstverfahren vorgebrachten Fluchtgründe.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

 

1.4. Zur maßgeblichen Lage in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien:

 

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 26.08.2018 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zur Russischen Föderation wurde dem Beschwerdeführer in seiner Einvernahme am 18.07.2018 vorgelegt und diesem die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt sowie im angefochtenen Bescheid auszugsweise zitiert. Wenn auch mittlerweile ein neues "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zur Russischen Föderation (Stand 31.08.2018) publiziert wurde, so ergeben sich aus diesem für die entscheidungswesentlichen Umstände keine Änderungen von maßgeblicher Relevanz, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich den Ausführungen zur Lage in der Russischen Föderation vollinhaltlich anschließt und auch zu den seinen erhebt.

 

1.4.1. Politische Lage im Allgemeinen

 

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3 .2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3 .2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3 .2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

 

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3 .2017a).

 

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3 .2017a).

 

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.4.1.a. Politische Lage in Tschetschenien im Besonderen

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

 

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

1.4.2. Sicherheitslage im Allgemeinen

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

 

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

 

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

 

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

 

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

 

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.4.2.a. Sicherheitslage im Nordkaukasus im Allgemeinen

 

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen - besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

 

In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017).

 

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2016).

 

Im ersten Quartal des Jahres 2017 gab es im Nordkaukasus 45 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 36 Todesopfer (25 Aufständische, 11 Exekutivkräfte) und neun Verwundete (sieben Exekutivkräfte, zwei Zivilisten). In Tschetschenien wurden im selben Zeitraum elf Exekutivkräfte und 17 Aufständische getötet, zwei Zivilisten und sechs Exekutivkräfte wurden verletzt. In Dagestan wurden im selben Zeitraum acht Aufständische getötet und ein Polizist verletzt. In Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschay-Tscherkessien, Nordossetien-Alania und im Stavropol Gebiet gab es im selben Zeitraum keine Opfer (Caucasian Knot 15.5.2017).

 

Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 287 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 258; 2014: 525 Opfer). 202 davon wurden getötet (2015: 209; 2014: 341), 85 verwundet (2015: 49; 2014: 184) (Caucasian Knot 2.2.2017). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

1.4.2.b. Sicherheitslage in Tschetschenien im Besonderen

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).

 

2016 gab es in Tschetschenien 43 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 30; 2014: 117), davon 27 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 2.2.2017).

 

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat einen Anschlag auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien für sich reklamiert. Sechs Angreifer hätten am Freitag, den 24.3.2017 eine Militärbasis der russischen Nationalgarde nahe dem Dorf Naurski im Nordwesten Grosnys in Tschetschenien gestürmt. Alle Angreifer seien bei den mehrstündigen Kämpfen auf dem Stützpunkt getötet worden (Zeit Online 24.3.2017). Nach Armeeangaben wurden bei dem Angriff auch sechs russische Nationalgardisten getötet. Die Nationalgarde erklärte, der Angriff sei in den frühen Morgenstunden bei dichtem Nebel erfolgt. Die Soldaten auf dem Stützpunkt hätten den Angriff zurückgeschlagen. Außer den Toten habe es auch Verletzte gegeben. Die im vergangenen Jahr gebildete Nationalgarde ist direkt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt. Sie hat den Auftrag, Grenzen zu schützen und Extremisten zu bekämpfen (Focus Online 24.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

1.4.3. Rechtsschutz/Justizwesen im Allgemeinen

 

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassung, Zivil, Administrativ und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten (lt. Amnesty International in 0,5% der Fälle) zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen. 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte. Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass wenn der EGMR von einer Konventionsauslegung ausgeht, die der Verfassung der Russischen Föderation widerspricht, Russland in dieser Situation aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang sind. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings weiterhin um Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AA 24.1.2017).

 

Am 7. Juli 2016 wurden die unter dem Begriff Yarovaya-Paket zusammengefassten Änderungen der Gesetze zur Bekämpfung des Extremismus in Kraft gesetzt. Die geänderten Rechtsvorschriften waren zu weiten Teilen unvereinbar mit Russlands internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte. So wurden alle missionarischen Aktivitäten außerhalb eigens dazu bestimmter religiöser Institutionen verboten und Provider dazu verpflichtet, den gesamten Nachrichtenverkehr sechs Monate lang und alle Metadaten drei Jahre lang zu speichern. Zudem wurde die Höchststrafe für extremistische Delikte von vier auf acht Jahre und für Anstiftung zur Beteiligung an Massenunruhen von fünf auf zehn Jahre Haft angehoben. Am 16. November 2016 kündigte Präsident Putin an, dass Russland nicht länger beabsichtige, Vertragsstaat des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zu werden. Russland hatte das Statut im Jahr 2000 unterschrieben, jedoch nie ratifiziert (AI 22.2.2017).

 

Im November 2013 ist in Russland ein Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 3.3.2017).

 

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Es gibt Bestrebungen zu einer weiteren Entkriminalisierung leichterer Straftaten, bislang allerdings ohne konkrete Ergebnisse. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. Für zu lebenslange Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Trotz der Entlassung von Michail Chodorkowski und den Mitgliedern der Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot aus der Haft - bezeichnenderweise nicht durch die Justiz selbst, sondern durch Amnestie bzw. Begnadigung - bleiben deren Haftstrafen Beispiele für politisch motivierte Urteile. Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

1.4.3.a. Rechtsschutz/Justizwesen in Tschetschenien im Besonderen

 

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

 

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, ein Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

 

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013, vgl. US DOS 3.3.2017). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 24.1.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenen, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 24.1.2017).

 

Auch 2016 übte die tschetschenische Führung unmittelbaren Druck auf die Justiz aus. Am 5. Mai berief Ramzan Kadyrov eine Versammlung aller Richter ein und zwang vier von ihnen zum Rücktritt. Eine Reaktion seitens der Behörden der Russischen Föderation gab es darauf nicht (AI 22.2.2017).

 

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.4.4. Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Im April 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 3.3.2017).

 

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (US DOS 13.4.2016).

 

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 24.1.2017).

 

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenith 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramsan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017).

 

NGOs berichten, dass lokale Polizeibeamten manchmal nicht auf Anzeigen von Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt reagieren, solange das Leben des Opfers nicht in Gefahr ist. Viele Frauen melden keine Vergewaltigungen oder andere Arten von Gewalt, besonders wenn sie von Ehepartner begangen wurden, aufgrund des sozialen Stigmas und dem Mangel an offizieller Unterstützung (US DOS 3.3.2017, vgl. EASO 3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

1.4.5. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

 

? Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

 

? Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

 

? Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

 

? Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)

 

? Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

 

? Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)

 

? Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.09.2012) (AA 24.1.2017)

 

Die Menschenrechtslage in Russland hat sich weiter verschlechtert. Neben der mangelnden Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten sind v. a. Gewaltakte im Strafvollzug gegenüber Häftlingen und deren unzureichende medizinische Versorgung gravierende Probleme. Die damalige Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) der Russischen Föderation, Ella Pamfilowa, mahnte in ihrem Jahresbericht 2015 unter anderem eine Präzisierung des Begriffes "politische Tätigkeit" im Gesetz über NGOs an. Im Mai 2016 kam es in der Tat zu einer Gesetzesänderung. Seitdem wird allerdings nahezu jede NGO-Aktivität im öffentlichen Raum als "politisch" gewertet. Das hat zur Folge, dass NGOs in das Register "ausländischer Agenten" eingetragen werden können, wodurch sie häufig gezwungen sind, ihre Tätigkeiten massiv einzuschränken oder sogar einzustellen. Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Zuletzt hat er angemahnt, Amnesty International Zugang zu ihren von der Moskauer Stadtverwaltung geschlossenen Büros zu gewähren. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt. Auch der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2015, 14,2% der anhängigen Fälle (9.200 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2015 hat der EGMR 116 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an. Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus und konstatierten mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Hälfte der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. Im Rahmen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch die Russische Föderation wird von teilweise schweren Menschenrechtsverletzungen berichtet. Die OSZE (ODIHR und High Commissioner for National Minorities) berichtete im September 2015 über Einschränkungen der Versammlungs-, Vereinigungs-, Bewegungs- und Meinungsfreiheit. Im Wesentlichen leiden Kritiker der Krim-Annexion, Angehörige der Krim-Tataren, Vertreter des Kiewer Patriarchats der orthodoxen Kirche, der katholischen und protestantischen Kirche sowie der Zeugen Jehovas unter Einschränkungen ihrer Rechte. Im September 2016 wurde die Mejlis, der repräsentative Rat der Krimtataren, vom russischen Obersten Gerichtshof als extremistische Organisation eingestuft und verboten. Diverse Mejlis-Mitglieder erleiden (polizeiliche) Repressalien oder stehen unter Anklage (AA 24.1.2017).

 

Menschenrechtsverletzungen kommen regelmäßig vor. Zwar werden in Russland die Grundrechte in der Verfassung garantiert, es wächst jedoch der Widerspruch zwischen verfassungsrechtlichen Normen und der Rechtswirklichkeit. Die Staatsführung bekennt sich offiziell zur Einhaltung der Menschenrechte, stellt einige jedoch mit Verweis auf "traditionelle russische Werte" infrage (z.B. Nicht-Diskriminierung von LGBT-Personen) und leistet Verletzungen Vorschub (z.B. Stigmatisierung kritischer Stimmen als staatsfeindlich) bzw. bemüht sich nicht ausreichend um Prävention und Strafverfolgung (z.B. Übergriffe gegen Journalisten). Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen bleibt der Nordkaukasus. Im Verlauf des Berichtszeitraumes hat sich trotz rückläufiger Opferzahlen die Sicherheits- und Menschenrechtslage in der Region insgesamt nicht verbessert. Insbesondere in Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien bleibt die Menschenrechtslage schlecht. Die Sorge vor einer möglichen Ausbreitung der Gewalt im bislang relativ ruhigen westlichen Nordkaukasus besteht fort (AA 24.1.2017).

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren im Jahr 2016 verstärkten Einschränkungen unterworfen. Menschenrechtsverteidiger wurden wegen ihrer Aktivitäten mit Geldstrafen belegt oder strafrechtlich verfolgt. Zum ersten Mal kam es wegen eines Verstoßes gegen das sogenannte Agentengesetz zur Strafverfolgung. Eine Reihe von Personen wurde wegen ihrer Kritik an der Staatspolitik oder des Besitzes bzw. Verbreitens extremistischer Materialien nach den Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Extremismus unter Anklage gestellt. Es gab Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen in den Strafvollzugsanstalten des Landes (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2017a).

 

Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt. Laut einer rezenten Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und traf sich mit den einzelnen Republikoberhäuptern (ein Treffen mit Ramzan Kadyrow wurde abgesagt, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters der NGO Komitee gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

1.4.5.a. Menschenrechtslage in Tschetschenien im Besonderen

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtler an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert, ihre Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AI 22.2.2017).

 

In den letzten Monaten häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischen Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der soziökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow darüber hinaus mit einer kaum verhüllten Warnung vor Kritik an seiner Politik in einem TV-Beitrag an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora. Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein; man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow (ÖB Moskau 12.2016).

 

Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Auch 2016 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Operationen der Sicherheitskräfte gemeldet, darunter Fälle von Verschwindenlassen und mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen. Auch Menschenrechtsverteidiger waren in der Region gefährdet (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

1.4.5.b. Rebellentätigkeit/Unterstützung von Rebellen

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2016). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows De facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet würden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützerinnen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

 

Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

 

Als Vergeltungsmaßnahme sollen tschetschenische Sicherheitskräfte im Jänner 2017 27 Menschen hingerichtet haben. Das berichtete die russische regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta" unter Berufung auf lokale Ordnungskräfte. Demnach wollte die tschetschenische Führung den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramsan Kadyrow bei einem Auftritt in Grosny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017).

 

Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015). [Neuere Zahlen konnten nicht gefunden werden.]

 

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

 

Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

 

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der KA der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.04.2014 auf youtube veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe und die Anfragen seien gestellt worden zur Identifizierung der Militärangehörigen, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt würden, konnten ho. nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

 

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden, es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über antiterroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

 

2. Zahlreichen Personen, nach denen von russischen Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. Fall (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. Fall (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.4.6. Bewegungsfreiheit

 

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung. Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben (AA 24.1.2017, vgl. US DOS 3.3.2017, FH 2017).

 

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 3.3.2017).

 

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 24.1.2017).

 

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

1.4.6.a Meldewesen

 

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist, um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????¿???). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die zuständige lokale Behörde schicken. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, werden am Aufenthaltsort registriert. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12 .2011). Gegen Jahresmitte 2016 wurde der FMS aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

 

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss (DIS 8.2012). Im FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

1.4.6.b. Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

 

Was die Anzahl von Tschetschenen im Rest des Landes anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Laut Volkszählung 2010 lebten etwa in Moskau ca. 14.500 Tschetschenen (von insgesamt 1.4 Mio landesweit). Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl größer ist, insbesondere wenn man sie mit den Angaben über andere, kleinere Nationalitäten vergleicht (ca. 11.400 Osseten, über 17.000 Mordwinen). Dabei ist auch zu bedenken, dass laut der Statistik fast 700.000 Personen keine Angaben über ihre nationale Zugehörigkeit machten. In den meisten Regionen Russlands lag die Anzahl der Tschetschenen bei der Volkszählung 2010 bei einigen Hundert, größere Gemeinschaften gab es in Dagestan (ca. 93.600), in Inguschetien (ca. 18.700), sowie in den südlichen Regionen Astrachan (ca. 7.200), Wolgograd (fast 10.000), Rostow (ca. 11.500), Stawropol (ca. 12.000), Saratow (ca. 5.700) und im westsibirischen Tjumen (ca. 10.500) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Bevölkerung in Tschetschenien selbst wird auf etwa 1,3 Millionen geschätzt, wobei auch hier die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien in Frage gestellt werden. Laut Aussagen von Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Eine der derzeitigen Hauptmigrationsrouten aus dem Nordkaukasus nach Mitteleuropa führt über Belarus und Polen. Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich wird auf rund 30.000 Personen geschätzt. Das tschetschenische Oberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrecht halten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Prominentes Beispiel dafür sind die Brüder Jamadajew, von denen einer in Moskau erschossen und ein anderer in Dubai umgebracht wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Vor diesem Hintergrund herrscht aus menschenrechtlicher Perspektive die Einschätzung vor, dass die gemessen an der Größe der tschetschenischen Diaspora innerhalb und außerhalb Russlands quantitativ geringe Zahl an tatsächlich Verfolgten sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser nur selten begründbaren Gefährdungslage wird meist dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte. Laut einer aktuellen Analyse des Carnegie-Zentrums in Moskau sollen die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren, Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstrecke sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Überdies wird hervorgehoben, dass das tschetschenische Vasallentum zum Kreml in gewisser Konkurrenz mit den föderalen Sicherheitskräften um das Machtmonopol in Tschetschenien selbst stehe. Andere Kommentatoren verweisen auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als wenig autochthon kritisierten Salafismus. Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen also auch die oppositionellen Strömungen. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der bislang eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit. Dazu führte etwa der für den Nordkaukasus zuständige Minister Ende Februar 2016 Arbeitsgespräche mit dem BMWFW in Wien, und Anfang April veranstaltete die WKÖ eine Marktsondierungsreise in die Region. Für 2017 prognostiziert die Weltbank ein moderates Wachstum der russischen Volkswirtschaft (ÖB Moskau 12.2016).

 

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Ihr Aufenthalt wird aber durch antikaukasische Stimmungen erschwert. In großen Städten wird der Zuzug von Personen reguliert und ist erkennbar unerwünscht. Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" des Regimes von Ramsan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben) (AA 24.1.2017).

 

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Wolgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Wolgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Wolgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Wolgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Wolgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

 

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

1.4.7. Grundversorgung/Wirtschaft im Allgemeinen

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,6 Millionen, somit ungefähr 53% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,7% (WKO 4.2017). Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).

 

Russland ist einer der größten Energieproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Seit der Jahrtausendwende war die russische Wirtschaft eine der am schnellsten wachsenden großen Volkswirtschaften der Welt, mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von fast 7%. Die volkswirtschaftliche Stabilisierung war die größte Errungenschaft der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins. Entscheidend dafür war die Fähigkeit, die enorm angestiegenen Exporteinnahmen intelligent zu nutzen. Die Staatsverschuldung verschwand in Relation zum BIP fast vollständig:

Sie fiel von 51% auf 4%. Die Kreditwürdigkeit des Landes wurde damit erheblich gesteigert. Die Binnennachfrage wuchs aufgrund der Einnahmen aus den Rohstoffexporten. Der Staat akkumulierte die drittgrößten Devisenreserven weltweit, sowie zusätzlich einen Reservefonds und einen Fonds für den nationalen Wohlstand. In strategisch wichtigen Wirtschaftsbereichen (von der Weltraumtechnik und der Atomkraft, bis hin zu Schiffs- und Flugzeugbau) stärkte der Staat seine Position in dem er staatliche Kapitalgesellschaften gründete. Dabei spielten Holdings, die als Dachunternehmen die staatlichen Beteiligungen an einzelnen Betrieben einer Branche zusammenfassen, eine wichtige Rolle. Die im Herbst 2008 ausgebrochene internationale Finanzkrise traf Russland sehr stark. Die russische Regierung konnte in Reaktion darauf den russischen Finanzsektor mit staatlichen Geldern stabilisieren und anschließend ein umfangreiches Konjunkturpaket, das Steuervergünstigungen und staatliche Kreditgarantien umfasste, aus den Rücklagen finanzieren. Auf ein negatives Wirtschaftswachstum von 7,9% im Jahr 2009 folgten 2010-2012 wieder Zuwachsraten von über 4%: Getragen wurde das Wachstum von hohen Rohstoffpreisen, aber auch wachsender Beschäftigung und steigender Industrieproduktion. Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 40 in 2017. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2017 den 114. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wird für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 1,5% prognostiziert (GIZ 7.2017b).

 

Nach Jahren stetiger Verbesserung verschlechtert sich der allgemeine Lebensstandort seit 2012 wieder. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen und die Durchschnittsrente, bedingt durch die hohe Inflationsrate sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen und die Armut wuchs an. Während 2012 noch 10,7 % der Bevölkerung unter die offizielle Armutsgrenze fielen, ist die Anzahl der Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums weiter gestiegen und betrug im I. Quartal 2016 22,7 Millionen oder 15,7 % der gesamten Bevölkerung. Die staatliche Unterstützung reicht häufig nicht zur Deckung des Grundbedarfs. Problematisch bleibt die Situation der Rentner. In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Lage nach einigen Rentenerhöhungen verbessert, die Mehrheit der Rentner lebt jedoch in armen Verhältnissen. Die Renten belaufen sich auf durchschnittlich 12.425 Rubel pro Monat (AA 24.1.2017).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2017/1148 bis zum 31.1.2018 verlängert (WKO 29.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

1.4.7.a. Grundversorgung/Wirtschaft im Nordkaukasus im Besonderen

 

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2017a).

 

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

1.4.7.b. Grundversorgung/Wirtschaft in Tschetschenien im Besonderen

 

Die wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren stabilisiert. Laut der Zeitung RBK Daily wurden seit 2001 rund 464 Mrd. Rubel (ca. 14 Mrd. USD) in den Wiederaufbau der Republik investiert. Obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind, bestehen noch immer über 85% des Budgets der Republik aus Direktzahlungen aus Moskau. Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei 10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

1.4.8. Sozialbeihilfen

 

Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2017c).

 

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

 

? Invaliden und Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges;

 

? Invaliden und Veteranen militärischer Operationen

 

? Invaliden mit Behinderung I., II. und III. Grades

 

? Ehemalige minderjährige Insassen von Konzentrationslagern

 

? Kinder mit Behinderung

 

? Arbeitsveteranen

 

? Arbeiter der Heimatfront (Großer Vaterländischer Krieg)

 

? Invaliden als Folge der Tschernobyl-Katastrophe

 

? Menschen, die unter gesundheitlichen Folgen von Verstrahlung leiden

 

? Menschen die aus der Evakuierungszone der Tschernobyl-Katastrophe evakuiert wurden

 

? Kinder deren Eltern unter der Verstrahlung der Tschernobyl-Katastrophe leiden

 

? Beteiligte der Tschernobyl-Unfallfolgenbeseitigung

 

? Opfer politischer Repressionen

 

? Personen, die sich um das Land verdient gemacht haben ("Helden der Sowjetunion und Russland" etc.) (IOM 6.2014)

 

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

 

? ärztlich verschriebene Medikamente

 

? Sanatoriumsaufenthalt

 

? Ausgaben im Nahverkehr (kostenfreie Fahrten im Nahverkehr am Wohnort (nicht in allen Regionen); Schienenverkehr in Vororte, Langstreckenreisen zu und von der Behandlungsstätte) (IOM 6.2014)

 

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

 

MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

? Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);

 

? Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten (Wasser, Gas, Elektrizität, etc.);

 

? Familien mit geringem Einkommen;

 

? Studenten, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015).

 

Renten

 

? Personen im Rentenalter (55 Jahre für Frauen und 60 Jahre für Männer) mit mindestens fünfjährigem Versicherungseintrag haben Recht auf Altersrente

 

? Frühzeitige Rente ist offen im Falle von gefährlicher oder beschwerlicher Arbeit, Arbeit in nördlichen Gebieten, für Mütter von fünf Kindern oder mehr

 

? Hinterbliebene eines verstorbenen Arbeiters haben Recht auf Hinterbliebenenrente

 

? Begünstigte sind behinderte Witwen, Witwen älter als 55, Arbeitslose, die sich um Kinder unter 14 Jahren kümmern oder behinderte Kinder bis zu 18 Jahren, sowie weitere Angehörige eines verstorbenen Hauptverdieners

 

? Rente unabhängig von Todesursache oder Beitragszeit gewährt (IOM 8.2015).

 

Familienhilfe:

 

Die Regierung will die Bevölkerungszahl erhöhen. Daher erhalten

Familien mit drei oder mehr Kindern folgende Begünstigungen:

 

? Rabatt für Betriebskosten in Höhe von maximal 30% (Heizung, Wasser, Abwasser Gas, Strom)

 

? Großfamilien mit Kindern unter sechs Jahren erhalten kostenlose, verschreibungspflichtige Medikamente, sowie Behandlung in Kliniken und Vorrang in Sanatorien/Gesundheitszentren

 

? Großfamilien mit Bedarf für eine bessere Wohnsituation können kostenlose Unterkunft beantragen

 

? Großfamilien können Kredite für Hausbau/kauf erhalten

 

? Großfamilien, die einen Bauernhof führen wollen, erhalten steuerliche Vorzüge, sowie materielle Hilfe oder zinsfreie Darlehen

 

? Arbeitgeber gewähren Großfamilien Vorzüge

 

? Frauen mit fünf oder mehr Kindern, die diese bis zum Alter von acht Jahren aufgezogen haben, können frühzeitig im Alter von 50 Jahren in Rente gehen, sofern sie über 15 Jahre versichert waren

 

? Frauen mit zwei oder mehr Kindern, können mit 50 in Rente gehen, wenn sie für mindestens 20 Jahre versichert waren und mindestens zwölf Jahre im Norden oder 17 Jahre in vergleichbaren Regionen gearbeitet haben

 

? Zahlungen an Großfamilien zur Geburt, Zuschuss für zweites Kind und die folgenden liegt monatlich bei 4907 RUB 85 Kopeke im Jahr 2003

 

? Kompensationszahlungen im Zusammenhang mit den Kosten für die Erziehung:

 

? 3-4 Kinder - 600 RUB für jedes Kind unter 16 (oder unter 18 wenn das Kind an einer Bildungseinrichtung eingeschrieben ist)

 

? fünf oder mehr Kinder - 750 RUB für jedes Kind unter 16 (oder unter 18 wenn das Kind an einer Bildungseinrichtung eingeschrieben ist)

 

? Für Großfamilien mit fünf oder mehr Kindern 900 RUB für die ganze Familien zum Kauf von Sachen

 

? Monatliche Kompensationszahlungen für Essenskosten für Kinder unter drei Jahren in Höhe von 675 RUB (IOM 8.2015).

 

Behinderung

 

? Arbeitnehmer mit Behindertenstatus haben Recht auf Behindertenrente

 

? Unabhängig von Schwere der Behinderung, Beitragsdauer und Arbeitsstatus

 

? Bezahlt für die Dauer der Behinderung oder bis zum Erreichen des normalen Rentenalters (IOM 8.2015).

 

Wohnungswesen

 

Bürger ohne Unterkunft oder mit unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Apartments beantragen

 

? Wartezeit von mehreren Jahre oder Dekaden

 

? Lokale Behörden bestimmen die Voraussetzungen und notwendigen Unterlagen (IOM 8.2015).

 

Arbeitslosenhilfe

 

Im Nordkaukasus besteht die höchste Arbeitslosenquote des Landes. Arbeitslose (mit Ausnahme von Schülern, Studenten und Rentnern) können sich bei den Arbeitsagenturen arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitsagentur wird innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Lehnt der Bewerber die Stellen ab, wird er als arbeitslos eingetragen. Die Arbeitslosenhilfe basiert auf Durchschnittslohn der letzten Arbeit und ist auf ein Minimum und Maximum von der russischen Gesetzgebung begrenzt. Seit 2009 ist das Minimum RUB 850 (USD 15) pro Monat und das Maximum RUB 4.900 (USD 82). Die Förderung wird monatlich ausgezahlt, sofern der Begünstigte die notwendigen Verfahren der Neubewerbung (gewöhnlich zweimal im Monat) nach den Bedingungen der Arbeitsagentur durchläuft. Notwendige Unterlagen und Dokumente sind ein Reisepass oder ein gleichwertiges Dokument und ein Arbeitsbuch oder eine Kopie, die Lohnbescheinigung des letzten Jahres, die Steueridentifikationsnummer (INN certificate), der Rentenversicherungsausweis und Dokumente zum Nachweis der Ausbildung und Berufserfahrung (IOM 8.2015).

 

Unterbrechung der Arbeitslosenhilfe in folgenden Fällen:

 

? Zwei vorgeschlagene, passende Arbeitsangebote abgelehnt

 

? Bezahlter Staatsdienst nach drei Monaten abgelehnt

 

? Vorgeschlagene Trainings der Arbeitsagentur abgelehnt

 

? Beendigung der Arbeit aufgrund von disziplinarischen Verstößen

 

? Abbrechen von vorgeschlagenen Trainings

 

? Neubewerbungsverfahren nicht durchlaufen (IOM 8.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

1.4.8.a. Krankenversicherung

 

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

 

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

 

? Notfallbehandlung

 

? Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

 

? Stationäre Behandlung

 

? Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

 

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

 

Die Beiträge der Krankenversicherung zahlt der Arbeitgeber (5,1% des Gehalts), für die nichtarbeitende Bevölkerung kommt der Staat auf (Handelsblatt o.D.).

 

Quellen:

 

 

 

 

1.4.9. Medizinische Versorgung im Allgemeinen

 

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 7.2017c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden (AA 3 .2017a, vgl. GIZ 7.2017c, vgl. AA 24.1.2017). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 13.7.2017b, vgl. AA 24.1.2017).

 

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den obenstehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird. Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit durchaus variieren kann (ÖB Moskau 12.2016).

 

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 7.2017c).

 

Medizinische Versorgung gibt es bei staatlichen und privaten Einrichtungen. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu kostenfreier medizinischer Versorgung. Vorausgesetzt für OMS (OMS-Karte) sind gültiger Pass, Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren; einzureichen bei der nächstliegenden Krankenversicherungsfirma. Sowohl an staatlichen, wie auch privaten Kliniken bezahlte medizinische Dienstleistungen verfügbar; direkte Zahlung an Klinik oder im Rahmen von freiwilliger Krankenversicherung (Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 8.2015).

 

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

 

? Notfallbehandlung

 

? Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

 

? Stationäre Behandlung

 

? Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

 

Ausgaben für Gesundheitsleistungen in Russland sind immer noch niedriger als in entwickelten Ländern. Laut offiziellen Quellen stiegen die realen Ausgaben des russischen Staates für den Gesundheitssektor in den letzten zehn Jahren um 74% an. Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedoch betrugen diese 2014 nur 5,4% des BIP, und laut der Weltbank waren es sogar nur 3,7%. Selbst optimistische Einschätzungen weisen auf eine Unterfinanzierung der Gesundheitsbranche hin im Vergleich zu entwickelten Ländern, in denen dieser Index zwischen 4 und 8% des BIP liegt. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums sind für 2016 keine weiteren Reduzierungen der Gesundheitsausgaben geplant. Es liegen aktuell allerdings noch keine offiziellen Angaben zur längerfristigen Haushaltsplanung vor, da seit dem Föderalen Gesetz Nr. 273 vom 30. September 2015 die Planungsfrist für den staatlichen Haushalt nun ein Jahr statt drei Jahre beträgt. In der mittleren Perspektive kann man erwarten, dass die existierende Lücke in der russischen Gesundheitsfinanzierung durch öffentliche Mittel nicht gedeckt werden kann. Das hängt sowohl mit der wirtschaftlichen Gesamtsituation und den Auswirkungen des niedrigen Ölpreises auf den russischen Haushalt zusammen als auch mit Regulierungstrends, vor allem der laufenden Gesundheitsreform inklusive der Implementierung des Ko-Finanzierungsmodells für Gesundheitsleistungen zwischen dem Staat und den Verbrauchern im Rahmen des Pilotprogramms für Krankenversicherung "OMS+" (AHK o.D.).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

1.4.9.a. Medizinische Versorgung in Tschetschenien im Besonderen

 

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben (AA 5.1.2016). Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung ist modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012).

 

Es ist sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl. hierzu auch Kapitel 24.7 Medikamente).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA 31.3.2015).

 

Die Einkommen des medizinischen Personals liegen unter dem Durchschnitt. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (AA 3 .2017a). Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).

 

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es - wie für alle Bürger der Russischen Föderation - auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien [oder anderen Teilrepubliken] nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in andere Republiken geschickt (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

1.4.9.a.a. Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

 

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital 'Samashki', "Psychiatric Hospital 'Darbanhi'", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium 'Chishki'" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",

"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",

"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",

"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

1.4.9.b. Behandlungsmöglichkeiten von psychiatrischen Krankheiten (z.B. PTBS, Depressionen, etc.)

 

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Behandlungen durch einen Psychologen/Psychiater sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgedanken z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).

 

Posttraumatische Belastungsstörung ist in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl. BMA 7979).

 

Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).

 

Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTSD zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).

 

Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind (verfügbar auch in Tschetschenien!):

 

Mirtazapin, Sertralin, Citalopram, Amitriptylin, Trazodon, Fluoxetin, Paroxetin, Duloxetin (BMA 7754, BMA 7306, BMA 9701, BMA 7874, BMA 8169).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.4.9.c. Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS, Hepatitis C, Tuberkulose

 

HIV/AIDS ist in der Russischen Föderation mittels antiretroviraler Medikamente behandelbar, beispielsweise im Moscow HIV Center (BMA 7828) oder auch im Center of AIDS and infectious diseases prophylaxis and treatment in St. Petersburg (BMA 5411). Dies gilt auch für Tschetschenien, z.B. im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).

 

Hepatitis C ist sowohl in der Russischen Föderation (BMA 7828), als auch in Tschetschenien behandelbar (BMA 7927). Z.B. im European Medical Center in Moskau (BMA 7828) oder im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).

 

(Multiresistente) Tuberkulose ist beispielsweise im European Medical Center in Moskau behandelbar (BMA 6591). In Tschetschenien beispielsweise ist Tuberkulose in jedem Teil der Republik behandelbar, z.B. in Gudermes, Naderetchnyj, Shali, Shelkovskyj und Grosny. Es gibt in Grosny auch eine eigene Abteilung für Kinder (BDA 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

1.4.10. Behandlung nach Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Gegen Jahresmitte wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Im November 2012 wurde etwa ein per Sammelflug aus Österreich rücküberstellter Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug rücküberstellte Tschetschene in Grozny in Haft genommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus, die landesweit hohe Inflation sowie das durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Sinken der Realeinkommen. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen große Teile der russischen Bevölkerung und können somit laut Einschätzung der Botschaft nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich aufgrund der regionalen Spezifika insbesondere für Frauen. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche (politische) Verfolgung durch die russischen oder im speziellen die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keiner Diskriminierung von Seiten der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2016).

 

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zu den Verfahren des Beschwerdeführers und der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergeben sich aus den unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalten der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Verfahren auf Grund des ersten Antrags des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 27.05.2014 sowie des gegenständlichen Folgeantrags vom 01.02.2018.

 

Die Feststellungen zur Staats- und Volksgruppenangehörigkeit des Beschwerdeführers sowie zu seinem Glauben gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben. Seine Identität wurde aufgrund der in Vorlage gebrachten Dokumente bereits im Vorverfahren festgestellt. Die zuständige Richterin sieht keinen Grund an diesen Feststellungen zu zweifeln.

 

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründen auf dem Umstand, dass sich aus dem gesamten Akteninhalt nichts Gegenteiliges ergab. Soweit der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung am 01.02.2018 und seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 18.07.2018 angab, an geschlossener Tuberkulose zu leiden, ist dem entgegen zu halten, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage war, entsprechende Befunde in Vorlage zu bringen. Aus den vorgelegten Befunden aus der Schweiz lässt sich lediglich entnehmen, dass beim Beschwerdeführer der Verdacht einer Tuberkulose besteht. Bestätigungen über entsprechende Behandlungen konnte der Beschwerdeführer hingegen nicht vorlegen.

 

Soweit in der Beschwerde ausgeführt wird, dass aufgrund des vom Beschwerdeführer angekündigten Hungerstreiks im Falle der Abschiebung der Verdacht einer psychischen Beeinträchtigung des Beschwerdeführers bestehe, so ist dem entgegen zu halten, dass sich aus dem gesamten Akteninhalt keinerlei Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Beschwerdeführers ergeben. Er gab vielmehr (abgesehen von seiner angeblichen Tuberkulose) bei jeder Einvernahme vor dem Bundesamt und auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 15.03.2017 an, an keinen Krankheiten zu leiden und gesund zu sein. Auch erschließt sich der zuständigen Richterin der Zusammenhang zwischen einem angekündigten, einfach die nicht gewollte Abschiebung (vielleicht) verhindernden Hungerstreik und einer angeblichen psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers nicht. Von der Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens wurde vor dem Hintergrund des gesamten Akteninhaltes und dem Umstand, dass der Versuch, eine etwaige Abschiebung mit einem Hungerstreik vereiteln zu wollen, menschlich nachvollziehbar ist, daher abgesehen.

 

In Summe konnte daher die Feststellung ergehen, dass der Beschwerdeführer an keinen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leidet und arbeitsfähig ist.

 

Die Feststellungen zu den tschetschenischen und russischen Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben sowie dem Umstand, dass seine Einvernahmen durchwegs in Russischer Sprache abgehalten wurden. Die Feststellungen zu seiner Schulausbildung und seiner Ausbildung zum Ökonom und Finanzspezialist gründen auf seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 15.03.2017. Vor dem Hintergrund dieser Ausbildungen, des Gesundheitszustandes und der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers kann nicht erkannt werden, wieso es ihm in der Russischen Föderation nicht möglich sein sollte, seinen lebensnotwendigen Unterhalt zu verdienen. Damit - und auch auf Basis der festgestellten örtlichen Gegebenheiten zur Grundversorgung im Herkunftsstaat - wäre der Beschwerdeführer in der Lage, in Tschetschenien bzw. der Russischen Föderation die für ihn notdürftigste Lebensgrundlage zu bestreiten. Auch aus den getroffenen Länderfeststellungen lässt sich nicht der Schluss ableiten, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation - vor allem vor dem Hintergrund der nach wie vor vor Ort befindlichen Familienangehörigen - die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

 

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

 

Die Feststellungen über die in Tschetschenien noch lebenden Familienangehörigen des Beschwerdeführers bzw. zu seinem in Österreich lebenden Bruder beruhen auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben im Zuge seiner beiden Asylverfahren in Österreich.

 

Die Feststellung, dass keine nachhaltige, umfassende und fortgeschrittene Integration des Beschwerdeführers während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet stattgefunden und sich der Beschwerdeführer nahezu keine Grundkenntnisse der deutschen Sprache angeeignet oder sonstige Ausbildungen in Österreich absolviert hat, ergibt sich aus dem gesamten Akteninhalt, in dem sich keinerlei Zeugnisse, Unterlagen, Unterstützungsschreiben oder Ähnliches finden. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nicht selbsterhaltungsfähig ist und von der Grundversorgung lebt, ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben sowie aus der Einsichtnahme in das Grundversorgungs-System.

 

2.2. Dass eine maßgebliche Änderung der vom Beschwerdeführer bereits in seinem vorangegangenen Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe nicht festgestellt werden kann, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren. Schon in seiner Erstbefragung am 01.02.2018 gab der Beschwerdeführer an, seine Fluchtgründe aus dem Vorverfahren seien nach wie vor aufrecht. Hinzugekommen sei jedoch, dass Ende Oktober/Anfang November 2017 maskierten Männer von Kadyrow bei seiner Tochter in Tschetschenien und Ende November 2017 auch bei seiner Schwester nach ihm gesucht hätten, seine Familienangehörigen bedroht hätten und seinen Aufenthaltsort in Erfahrung bringen hätten wollen. Er werde somit nach wie vor gesucht.

 

Mit Blick auf diese Angaben geht die zuständige Richterin davon aus, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren erneut vorbringt, er sei in der Russischen Föderation einmal zu Unrecht inhaftiert worden, da man ihm Spionage für die Tschetschenische Regierung vorgeworfen habe, um kurz nach seiner (vorzeitigen!) Entlassung aufgrund seiner Betätigungen für die Republik Itschkeria in Tschetschenien erneut inhaftiert zu werden. Die nunmehrige Suche nach seiner Person bei seiner Tochter und seiner Schwester im Herbst 2017 stellte der Beschwerdeführer in direkten Zusammenhang mit seinen bereits im Erstverfahren vorgebrachten Fluchtgründen und der für ihn bestehenden Bedrohungssituation. Damit macht der Beschwerdeführer jedoch ein Vorbringen geltend, dass bereits die Begründung seiner Bedrohung anlässlich des ersten Antrags auf internationalen Schutz war. Dieser Antrag wurden letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.08.2017 rechtskräftig abgewiesen. Der Beschwerdeführer brachte im gegenständlichen Verfahren zu seiner Bedrohung keinen wesentlich geänderten Sachverhalt vor. Vielmehr wird zur Begründung des Folgeantrages dieselbe Bedrohung des Beschwerdeführers behauptet, welche lediglich um ein weiteres Detail, nämlich die neuerliche Suche nach ihm durch Leute von Kadyrow, ergänzt wird.

 

Zudem machte der Beschwerdeführer geltend, dass er im Dezember 2017 in die Schweiz reiste, um dort eine Frau zu heiraten. Da ihm diese Ehe jedoch nicht zu einem Aufenthalt verholfen hätte, habe er doch wieder von der Heirat abgesehen und sei auf entsprechenden Hinweis der Schweizer Behörden nach Österreich zurückgereist, um hier erneut einen Asylantrag zu stellen. Das diesbezügliche Verhalten des Beschwerdeführers legt den Schluss nahe, er stellte den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz lediglich zur neuerlichen Legalisierung seines Aufenthaltes und als gehe es ihm ausschließlich um den Erhalt eines Aufenthaltsrechts um jeden Preis. Auch damit machte der Beschwerdeführer jedoch keine Änderung jenes Sachverhaltes geltend, der bereits Grundlage seines rechtskräftig abgewiesenen ersten Asylantrages war.

 

Soweit in der Beschwerde darauf hingewiesen wird, dass der Beschwerdeführer nach seiner vorzeitigen Haftentlassung die Auflage erhalten habe, das Land nicht zu verlassen und er sich durch seine illegale Ausreise dieser Auflage widersetzte, ist dem entgegen zu halten, dass der Beschwerdeführer in all seinen Einvernahmen und Befragungen niemals angab, nur gegen die Auflage, das Land nicht zu verlassen, aus der Haft vorzeitig entlassen worden zu sein. Es ergibt sich aus dem gesamten Akteninhalt in keiner Weise, dass der Beschwerdeführer durch seine Ausreise gegen irgendeine, ihm auferlegte Verpflichtung verstoßen hätte. Den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen konnte daher keine Glaubhaftigkeit beigemessen werden. Darüber hinaus beziehen sich auch diese Ausführungen auf das zur Gänze als unglaubhaft befundene Vorbringen des Beschwerdeführers im Erstverfahren. Da der Beschwerdeführer nicht glaubhaft zu machen vermochte, man habe ihn zu Unrecht zwei Mal inhaftiert, entbehrt auch das Beschwerdevorbringen, man habe ihn nur gegen die Auflage entlassen, das Land nicht zu verlassen, jeglicher Grundlage.

 

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren zu seiner Bedrohung im Herkunftsstaat keinen wesentlich geänderten Sachverhalt vorbrachte. Vielmehr wird zur Begründung des Folgeantrages dieselbe Bedrohung wie in den Vorverfahren behauptet. Damit macht der Beschwerdeführer aber kein neues Vorbringen geltend, dass einer neuerlichen inhaltlichen Überprüfung unterzogen werden müsste.

 

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage zur Verfügung steht, basiert auf festgestellten örtlichen Gegebenheiten zur Grundversorgung im Herkunftsstaat und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer arbeitsfähig ist und nach wie vor über Familienangehörige in Tschetschenien verfügt. Auch aus den getroffenen Länderfeststellungen lässt sich nicht der Schluss ableiten, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

 

2.3. Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, welche dem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren zur Erledigung des Folgeantrages vorgehalten und denen in keiner Weise substantiiert entgegengetreten wurde, stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert, jedoch keinesfalls verschlechtert haben.

 

Die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat hat sich seit Abschluss seines Vorverfahrens somit nicht wesentlich geändert.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides - Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache:

 

3.1.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

 

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

 

Infolge des in § 17 VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstücks des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in § 68 Abs. 1 AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von § 68 AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K10.; vgl. auch VfSlg. 19.882/2014).

 

In Beschwerdeverfahren über zurückweisende Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG ist "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags auf internationalen Schutz durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgt ist, ob die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.

 

Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11., K17.).

 

Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage stützen dürfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhalts nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können im Rechtsmittelverfahren nicht neu geltend gemacht werden (s. zB VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).

 

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162;

10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58;

03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

 

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. das schon zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.11.2004 mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl. auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344).

 

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

 

Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit nur die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

 

3.1.2. Der Beschwerdeführer begründete seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz damit, er sei in der Russischen Föderation einmal zu Unrecht inhaftiert worden, da man ihm Spionage für die Tschetschenische Regierung vorgeworfen habe, um kurz nach seiner (vorzeitigen!) Entlassung aufgrund seiner Betätigungen für die Republik Itschkeria in Tschetschenien erneut inhaftiert zu werden. Nach seiner neuerlichen vorzeitigen Entlassung habe man ihn nicht in Ruhe gelassen, weswegen er letztlich geflohen sei. Dieser Antrag wurde durch das Bundesverwaltungsgericht mit der wesentlichen Begründung rechtskräftig abgewiesen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers vage, oberflächlich und widersprüchlich gewesen sei und er seine Angaben im Laufe seines Verfahrens auch gesteigert und abgeändert habe.

 

In den Befragungen zu seinem neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, sich auf die im ersten Verfahren vorgebrachten Gründe seiner Bedrohung im Herkunftsstaat zu stützen; die Gründe aus dem ersten Asylverfahren seien nach wie vor aufrecht. Hinzu komme jedoch, dass maskierte Männer im Herbst 2017 bei seiner Tochter und seiner Schwester nach ihm gesucht hätten und seinen Aufenthaltsort in Erfahrung bringen hätten wollen.

 

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung behauptet der Beschwerdeführer damit keinen neuen Sachverhalt im Sinne der dargelegten Judikatur, sondern macht lediglich denselben Fluchtgrund unter Bekräftigung des im ersten Verfahren angeführten Sachverhalts geltend. Er ergänzt den alten Sachverhalt leidglich um die neuerliche Suche nach seiner Person. Damit behauptet der Beschwerdeführer bloß ein "Fortbestehen und Weiterwirken" (vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480) des schon im ersten Asylverfahren erstatteten Vorbringens und beabsichtigt im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung seines mit Erkenntnis vom 04.08.2017 bereits rechtskräftig entschiedenen ersten Antrags auf internationalen Schutz (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321). Die zuständige Richterin sieht keinerlei Grund, von der Einschätzung in dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.08.2017 abzuweichen, dass nämlich der Beschwerdeführer in der Russische Föderation respektive Tschetschenien keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt ist.

 

Lediglich am Rande wird angemerkt, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner beabsichtigten Heirat einer Frau in der Schweiz kein asylrelevantes Vorbringen darstellen.

 

Das Gesamtvorbringen des Beschwerdeführers lässt sich somit auf jenes Maß zu reduzieren, über welches bereits mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.08.2017 rechtskräftig entschieden wurde.

 

3.1.3. Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

 

Ein Antrag auf internationalen Schutz richtet sich somit auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daher sind auch Sachverhaltsänderungen, die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, von den Asylbehörden im Rahmen von Folgeanträgen einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344).

 

Auch im Hinblick auf Art. 3 EMRK ist nicht erkennbar, dass die Rückführung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation zu einem unzulässigen Eingriff führen würde und er bei seiner Rückkehr in eine Situation geraten würden, die eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich brächte oder ihm jedwede Lebensgrundlage fehlen würde.

 

Es ergibt sich aus den Länderfeststellungen zur Russischen Föderation auch, dass kein Grund besteht, davon auszugehen, dass jeder zurückgekehrte Staatsbürger einer reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sodass nicht von einem Rückführungshindernis im Lichte der Art. 2 und 3 EMRK auszugehen ist. Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist aufgrund der Länderberichte auch darin beizupflichten, dass sich die Lage im Herkunftsstaat seit der Entscheidung im Vorverfahren nicht wesentlich geändert und zudem keineswegs verschlechtert hat.

 

Der Beschwerdeführer war jedenfalls vor seiner Ausreise aus der Russischen Föderation respektive Tschetschenien in der Lage seinen notwendigen Lebensunterhalt zu erwirtschaften und sich seine Lebensgrundlage zu sichern. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb es dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nicht möglich sein sollte, seinen Lebensunterhalt wieder aus Eigenem zu bestreiten. Der Beschwerdeführer ist - wie festgestellt - jedenfalls gesund und arbeitsfähig. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer in Tschetschenien nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte (Schwestern, erwachsene Tochter samt deren Familien). Er könnte daher - zusätzlich zu seiner Selbsterhaltungsfähigkeit - auf familiäre Unterstützung zurückgreifen, welche ihn vor einer Obdachlosigkeit und existentiellen Notlage bewahren würde.

 

Was den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers betrifft, wurde bereits oben in der Beweiswürdigung dargelegt, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, die von ihm vorgebrachte Tuberkulose durch Vorlage aktueller Befunde nachzuweisen bzw. sich auch aus dem gesamten Akteninhalt keine Hinweise auf eine physische oder psychische Erkrankung des Beschwerdeführers ergeben hätten. Selbst wenn der Beschwerdeführer an Tuberkulose sowie psychischen Problemen leiden würde, bleibt festzuhalten, dass damit keine Krankheiten vorgebracht wurden, die in der Russischen Föderation nicht behandelbar wären oder die akut einer Behandlung bedürfen.

 

Hinsichtlich etwaiger psychischer Probleme ist auszuführen, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte PTBS und sogar Selbstmordgefahr (EGMR 22.09.2005, Fall Kaldik, Appl. 28526) sowie schwere Depression und Selbstmordgefahr (EGMR 31.05.2005, Ovidenko, Appl. 1383/04), einer Abschiebung nicht im Wege stehen. Derartige Symptome bestehen beim Beschwerdeführer offensichtlich nicht. Zudem sind finden sich sowohl in Tschetschenien als auch in der Russischen Föderation Einrichtungen zur Behandlung psychischer Erkrankungen und ist laut Länderinformationen auch Tuberkulose behandelbar.

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten eine Überstellung in die Russische Föderation dann nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohte.

 

Überdies hat nach der ständigen Rechtsprechung im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. EGMR 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).

 

Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. EGMR 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).

 

Selbst bei tatsächlichem Vorliegen einer Tuberkulose und psychischer Probleme, läge eine akut lebensbedrohende Krankheit des Beschwerdeführers, welche eine Überstellung in die Russische Föderation gemäß der dargestellten Judikatur des EGMR verbieten würde, nicht vor. Auch wurde nicht konkret dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im Falle einer Überstellung verschlechtern würde. Es ist insbesondere nicht anzunehmen, dass sich der Beschwerdeführer in dauernder stationärer Behandlung befände oder auf Dauer nicht reisefähig wäre. Anlässlich einer Abschiebung werden von der Fremdenpolizeibehörde auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt.

 

Durch eine Abschiebung des Beschwerdeführers wird Art. 3 EMRK somit nicht verletzt. Es reicht jedenfalls aus, wenn medizinische Behandlungsmöglichkeiten im Land der Abschiebung verfügbar sind, was im Herkunftsstaat jedenfalls der Fall ist. Dass die Behandlung im Herkunftsstaat nicht den gleichen Standard wie in Österreich aufweist oder unter Umständen auch kostenintensiver ist, ist nicht relevant.

 

3.1.4. Da weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden konnte. Auch erstattet der Folgeantrag dasselbe Begehren wie schon der erste Antrag auf internationalen Schutz. Die Zurückweisung des gegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache war sohin rechtmäßig, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 AVG abzuweisen ist.

 

3.2. Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheides - Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz, Rückkehrentscheidung, Abschiebung in die Russische Föderation, keine Frist für die freiwillige Ausreise:

 

Vorauszuschicken ist, dass das Bundesamt zu Recht davon ausging, dass auch Zurückweisungen von Anträgen auf internationalen Schutz gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 - soweit die sonstigen Voraussetzungen dafür vorliegen - mit Rückkehrentscheidungen zu verbinden sind (siehe VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).

 

3.2.1. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts im Ermittlungsverfahren hervor.

 

3.2.2. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 leg.cit. von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

3.2.3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - folgende Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423):

 

? die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

? das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

? die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

? der Grad der Integration,

 

? die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

? die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

? Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

? die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

? die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

3.2.4. Was einen allfälligen Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers betrifft, ist Folgendes festzuhalten:

 

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; vgl. auch VfGH 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

 

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich zwar über einen Bruder, der mittlerweile österreichischer Staatsbürger ist, er hat zu diesem laut eigenen Angaben jedoch nur sporadischen Kontakt. Er lebt mit seinem Bruder nicht in einem gemeinsamen Haushalt, würde mit seinem Bruder nur ab und zu telefonieren und von diesem ab und zu besucht werden. Auch bekomme er von seinem Bruder unregelmäßig 70 bis 100 Euro geschenkt, monatlich schätze er, dass es sich um ein paar hundert Euro handle. Trotz dieser finanziellen Unterstützung konnte der Beschwerdeführer - nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung bezieht - kein emotionales oder finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Bruder glaubhaft machen, dass seiner Ausweisung entgegenstehen würde. Über sonstige Familienangehörigen verfügt der Beschwerdeführer in Österreich laut eigenen Angaben nicht. Eine Rückkehrentscheidung stellt daher keinen Eingriff in sein Recht auf Achtung des Familienlebens dar.

 

3.2.5 Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen.

 

3.2.5.1. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch kann in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, Solomon v. Niederlande, Appl. 44328/98; EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99; EGMR 22.04.2004, Radovanovic v. Österreich, Appl. 42703/98; EGMR 31.01.2006, da Silva und Hoogkamer

  1. v. Niederlande, Appl. 50435/99; EGMR 31.07.2008, Darren Omoregie ua
  2. v. Norwegen, Appl. 265/07).

 

3.2.5.2. Die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung fällt nach Ansicht der zuständigen Richterin des Bundesverwaltungsgerichts in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das die Interessenabwägung mängelfrei vorgenommen hat, auch in Bezug auf ein etwaiges Privatleben des Beschwerdeführers zu seinen Lasten aus und stellt die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar.

 

Der Beschwerdeführer befindet sich - mit einer Unterbrechung im Dezember 2017 und Jänner 2018 - seit Mai 2014, sohin gut vier Jahre, im österreichischen Bundesgebiet. Was seinen Aufenthalt im Bundesgebiet betrifft, ist festzuhalten, dass dieser - nach illegaler Einreise - allein dadurch gerechtfertigt war, dass der Beschwerdeführer zwei unberechtigte Asylanträge stellte und seiner Ausreiseverpflichtung im August 2017 nach rechtskräftigem Abschluss seines Erstverfahrens nicht nachkam. Er verfügte in Österreich nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts in seinen Asylverfahren. Der Beschwerdeführer konnte seinen Aufenthalt in Österreich nur dadurch rechtmäßig weiter verlängern, indem er der aus seinem Vorverfahren folgenden Verpflichtung zur Ausreise nicht nachkam und letztlich einen Folgeantrag stellte, welcher - mangels wesentlicher Sachverhaltsänderung - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen ist. Insofern kann der - ohnehin nicht sehr langen - Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers - isoliert betrachtet - keine hervorgehobene Bedeutung für seinen Verbleib im Bundesgebiet zugemessen werden.

 

Auch der Verfassungsgerichtshof verweist darauf, dass ein allein durch beharrliche Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken könne. Eine andere Auffassung würde sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen (VfSlg. 19.086/2010 mwH).

 

Die Dauer der einzelnen Verfahren übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg. 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.)

 

Der Beschwerdeführer zeigte auch keine außerordentlichen Bemühungen, sich in Österreich zu integrieren. Er spricht die Deutsche Sprache nur rudimentär, absolvierte keine Deutschkurse oder Ausbildungen und ging in Österreich nie einer Beschäftigung nach. Er bezieht nach wie vor Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer konnte keinerlei Integrationsmaßnahmen geltend machen und es finden sich dazu auch keinerlei Unterlagen in seinen Verwaltungsakten. Zudem wurden allfällige soziale Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich zu Zeitpunkten eingegangen, in denen sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltes im Bundesgebiet und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein musste. Er durfte sich hier bisher nur auf Grund seiner Anträge auf internationalen Schutz aufhalten, die zu keinem Zeitpunkt berechtigt waren (vgl. zB VwGH 20.2.2004, 2003/18/0347; 26.2.2004, 2004/21/0027; 27.4.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 8.4.2008, Nnyanzi, Appl. 21.878/06,). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände hat die durchzuführende Interessensabwägung in Anbetracht der äußerst geringen aktiven Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers im Sinne einer Aufenthaltsbeendigung auszugehen (vgl. zuletzt etwa VwGH 22.03.2017, Ra 2017/19/0028, in welchem eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nach einem 17-jährigen Aufenthalt als zulässig erachtet worden war).

 

Auch wenn der Beschwerdeführer bereits viereinhalb Jahre in Österreich verbracht hat, so ist in seinem Fall nicht davon auszugehen, dass er seinem Herkunftsstaat und den dort herrschenden Gepflogenheiten und Lebensumständen derart entrückt und entfremdet wäre, dass ihm eine Rückkehr und Wiedereingliederung in die dortige Gesellschaft unzumutbar oder unmöglich wäre. Der Beschwerdeführer verfügt nach wie vor über starke Bindungen zum Herkunftsstaat:

Insbesondere halten sich seine Tochter und seine Schwestern samt deren Familien nach wie vor in Tschetschenien auf. Der Beschwerdeführer, der als Erwachsener im Alter von 54 Jahren nach Österreich eingereiste, verbrachte sein gesamtes Leben bis zur Ausreise in Tschetschenien bzw. der Russischen Föderation. Er beherrscht sowohl die Russische als auch die Tschetschenischer Sprache in Wort und Schrift, erfuhr in Tschetschenien seine Schulbildung und seine Ausbildung zum Ökonom und Finanzspezialist und konnte seinen Lebensunterhalt aus eigenem bestreiten. Es ist daher davon auszugehen, dass er sich nach gut vier Jahren Abwesenheit vom Herkunftsstaat in die dortige Gesellschaft wieder eingliedern können wird; von einer völligen "Entwurzelung" kann nicht ausgegangen werden. Dabei könnte der Beschwerdeführer, zusätzlich zu seiner Selbsterhaltungsfähigkeit, auf familiäre Unterstützung zurückgreifen, welche ihn vor einer Obdachlosigkeit und existentiellen Notlage bewahren würde.

 

Den privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall nach den dargelegten Erwägungen schwerer als die Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seinen persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, rechtfertigen würden.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

 

3.2.6. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Zusammenhang gegeben.

 

3.2.7. Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist.

 

3.2.7.1. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde bereits im Vorverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig verneint. Ein weiteres einschlägiges Vorbringen wurde mit dem gegenständlichen Folgeantrag - wie oben unter Punkt II.3.1.3. bereits ausgeführt - nicht erstattet; auch die Länderfeststellungen lassen nicht auf solche Bedrohungen schließen.

 

Auch den zitierten und dem Beschwerdeführer schon vom Bundesamt vorgehaltenen Länderfeststellungen zur aktuellen Lage in der Russischen Föderation, welche der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge auch im vorliegenden Fall zu beachten sind (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119; 24.05.2016, Ra 2016/21/0101), ist keine ihn treffende Situation im angeführten Sinne zu entnehmen. Die Länderfeststellungen lassen nicht den Schluss zu, dass die Sicherheitslage im Herkunftsstaat allgemein dergestalt wäre, dass jedermann mit vor dem Hintergrund von Art. 2 und 3 EMRK maßgeblichen Übergriffen zu rechnen hätte. Ferner ist die Versorgungslage im Herkunftsstaat an sich gewährleistet.

 

Zu den allenfalls bestehenden Erkrankungen des Beschwerdeführers ist unter Verweis auf die aktuellen Länderfeststellungen und die oben unter Punkt II.2.1. und II.3.1.3. gemachten Ausführungen neuerlich festzuhalten, dass eine flächendeckende medizinische Grundversorgung in der Russischen Föderation gewährleistet ist und die allenfalls bestehenden gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers derzeit nicht jene besondere Schwere aufweisen, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK eine Abschiebung als unmenschliche Behandlung erscheinen ließen.

 

Durch eine Abschiebung des Beschwerdeführers wird Art. 3 EMRK somit nicht verletzt; auch sonst sind keine Hinweise hervorgekommen, die Gegenteiliges nahelegen würden.

 

3.2.7.2. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestünde eine innerstaatliche Fluchtalternative. Dies entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde bereits mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.08.2017 aufgrund der Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers rechtskräftig verneint. Maßgebliche Änderungen des Sachverhalts haben sich - weder in der Person des Beschwerdeführers noch in der allgemeinen Lage in der Russischen Föderation - ergeben.

 

3.2.7.3. Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für die Russische Föderation nicht.

 

Die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation ist daher zulässig.

 

3.2.8. Ebenso rechtmäßig ging das Bundesamt davon aus, dass bei Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz vom 14.06.2018 gemäß § 55 Abs 1a FPG 2005 keine Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers festzusetzen war.

 

3.2.9. Somit war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 und § 55 Abs. 1a FPG als unbegründet abzuweisen.

 

3.3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

 

3.3.1. Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

 

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

 

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem VwG durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das VwG (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn - wie im vorliegenden Fall - deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

 

3.3.2. Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist - aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Bundesverwaltungsgericht nur ein Monat liegt - die gebotene Aktualität auf. Hinsichtlich Spruchpunkt I. erscheint der Sachverhalt aus der Beschwerde in Verbindung mit den Verfahrensakten des ersten wie des zweiten Antrags auf internationalen Schutz hinreichend geklärt. Im gegenständlichen Fall wurde hinsichtlich der Rückkehrentscheidung der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substanziierter Weise behauptet (siehe VwGH 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9). Die Lebensumstände des Beschwerdeführers in Österreich wie im Herkunftsstaat sind den genannten Quellen umfassend zu entnehmen. Auch die örtlichen Gegebenheiten im Herkunftsstaat sind dem Akt des Bundesamtes zum Folgeantrag des Beschwerdeführers zu entnehmen. Zu seinem nunmehrigen Vorbringen wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt einvernommen. Das herangezogene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 18.07.2018 vorgehalten und ihm Gelegenheit geboten, dazu Stellung zu nehmen, der der Beschwerdeführer nicht substantiiert nachkam. Das Beschwerdevorbringen wirft keine neuen oder noch zu klärenden Sachverhaltsfragen auf. Es lagen somit keine strittigen Sachverhalts- oder Rechtsfragen vor und waren auch keine Beweise aufzunehmen. Das Bundesverwaltungsgericht musste sich auch keinen persönlicher Eindruck vom Beschwerdeführer im vorliegenden Fall trotz des Vorliegens einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verschaffen, da selbst unter Berücksichtigung aller zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Fakten auch dann für den Beschwerdeführer kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Bundesverwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft, weshalb eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233; 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 bis 0423, Ra 2017/19/0424). Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.

 

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben (siehe insbesondere VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082, wonach auch Zurückweisungen von Anträgen auf internationalen Schutz gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 mit Rückkehrentscheidungen zu verbinden seien.). Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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