BVwG W220 2208448-1

BVwGW220 2208448-16.12.2018

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W220.2208448.1.01

 

Spruch:

W220 2208447-1/6E

 

W220 2208452-1/6E

 

W220 2208448-1/6E

 

W220 2208450-1/6E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela Unterer als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , 3) XXXX alias XXXX geb. XXXX , 4) XXXX , geb. XXXX , alle Staatsangehörigkeit Indien und alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.09.2018, Zahlen

 

1) 16-1125741102-161099439, 2) 16-1125741309-161099340, 3) 16-1125740900-161099269, 4) 17-1163552403-170935295, zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

1. Verfahrensgang:

 

1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet. Der minderjährige Drittbeschwerdeführer und der minderjährige Viertbeschwerdeführer sind ihre gemeinsamen Kinder.

 

1.2. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer reisten im Besitz eines Visums und somit legal in das Bundesgebiet ein und stellten am 09.08.2018 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei der Drittbeschwerdeführer durch die Zweitbeschwerdeführerin als seine gesetzliche Vertreterin vertreten wird.

 

1.3. Im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.08.2018 gab der Erstbeschwerdeführer an, er sei Sympathisant der "SIV Sena Partei" und würde deshalb von Angehörigen der "Congress Party, BJP" mit dem Umbringen bedroht und verfolgt. Sie hätten auch gedroht, seine Frau und sein Kind zu töten.

 

Die Zweitbeschwerdeführerin gab in ihrer Erstbefragung vom selben Tag an, auch ihr Sohn und sie seien telefonisch mit dem Umbringen bedroht worden und seien sie deshalb geflohen.

 

Im Zuge der erkennungsdienstlichen Behandlung gaben der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin falsche Namen und Geburtsdaten an.

 

1.4. Am 26.07.2017 wurde der Viertbeschwerdeführer im Bundesgebiet geboren. Er stellte am 09.08.2017 durch die Zweitbeschwerdeführerin als seine gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei für ihn keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden.

 

1.5. Mit Schreiben der Österreichischen Botschaft für Bangladesch, Bhutan, Indien, Malediven, Nepal und Sri Lanka in Neu-Delhi wurden die Visaanträge der Familie vorgelegt.

 

1.6. Am 11.09.2018 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Sie hielten dabei im Wesentlichen ihr Fluchtvorbringen aus der Erstbefragung aufrecht, wobei sich die Zweitbeschwerdeführerin maßgeblich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers stützte.

 

1.7. Mit den im Spruch genannten Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 6 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Festgestellt wurde, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt V.). Den Beschwerden gegen diese Entscheidungen wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen die Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt VIII.).

 

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer ihr Heimatland aus wohlbegründeter Furcht verlassen hätten. Es könne weiters nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer Mitglied der Partei "SIV Sena" sei. Festgestellt wurde hingegen, dass er als Vorarbeiter gearbeitet habe. Den Beschwerdeführern drohe im Falle einer Rückkehr keine Verfolgung, keine Gefährdung durch die Polizei oder oder andere staatliche Organe, keine wie auch immer geartete sonstige Gefährdung und keine ihre Existenz bedrohende Notlage. Alle Beschwerdeführer seien gesund. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien im erwerbsfähigen Alter und sei davon auszugehen, dass sie in der Lage seien, im Heimatland ihr Auskommen zu sichern.

 

Die Beschwerdeführer würden über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich verfügen. Auch sonstige soziale Beziehungen hätten nicht festgestellt werden können. Es könne kein schützenswertes Privatleben in Österreich festgestellt werden.

 

Zum Einreiseverbot wurde festgestellt, dass den Beschwerdeführern keine Frist für die freiwillige Ausreise in ihr Heimatland gewährt worden sei, dass diese ihren Antrag auf internationalen Schutz offensichtlich unbegründet und missbräuchlich gestellt hätten und dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin versucht hätten, über ihre Identitäten zu täuschen, welche jedoch aufgrund der VIS-Treffer der Fingerabdrücke festgestellt werden hätten können.

 

Zur Situation im Herkunftsstaat traf das Bundesamt (auszugsweise) folgende Feststellungen:

 

"1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

 

KI vom 11.4.2017: Acht Tote und über 200 Verletzten bei Demonstrationen bei Wahl in Srinagar, Kaschmir (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 3.1)

 

Im Zuge einer Nachwahl zur Besetzung eines freien Sitzes im indischen Unterhaus, kam es am Sonntag, dem 9.4.2017, in Srinagar, Kaschmir, zu Zusammenstößen zwischen separatistischen, die Wahl boykottierenden Demonstranten und den indischen Sicherheitskräften. Während des Konflikts wurden acht Demonstranten getötet und über 200 Personen, Demonstranten und Sicherheitsbeamte, verletzt (Reuters 10.4.2017).

 

Am Montag den 10.4.2017 verhängte die indische Polizei eine Ausgangssperre für die Bevölkerung mehrerer Gebiete Kaschmirs, errichtete Straßensperren und schränkte den Verkehr ein (Reuters 10.4.2017).

 

Die Wahlbeteiligung lag bei nur 7% (Times of India 11.4.2017). Eine zweite Nachwahl, ursprünglich geplant für den 12.4.2017 in Anantnag, wurde in Anbetracht der aktuellen Lage auf den 25.5.2017 verschoben (Reuters 10.4.2017).

 

Indien beschuldigt Pakistan die Separatisten zu unterstützen, was in Islamabad bestritten wird (Reuters 10.4.2017).

 

Bei einem weiteren Vorfall am Montag sind vier mutmaßliche Kämpfer erschossen worden, als sie versuchten die umstrittene Grenze von Pakistan kommend, in der Nähe des Keran-Sektors zu infiltrieren (Reuters 10.4.2017).

 

Da sich seit der Tötung des einflussreichen Separatistenkämpfers Burhan Wani im Juli 2016, die Spannungen in der Region erhöht haben (BBC 10.4.2017), und es seither in Kaschmir wiederholt zu gewalttätigen Protesten kam, in deren Verlauf bisher 84 Zivilisten getötet und über 12.000 Zivilisten und Sicherheitskräfte verletzt wurden (Reuters 10.4.2017), sind vorsorglich etwa 20.000 zusätzliche indische Truppen in die Region entsandt worden (BBC 10.4.2017).

 

2. Politische Lage

 

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016, BBC 27.9.2016). Die - auch sprachliche - Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.9.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9 .2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.4.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9 .2016a).

 

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.8.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9 .2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.8.2016). Das oberste Gericht in New Delhi steht an der Spitze der Judikative (GIZ 11.2016). Die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (Bürokratie, Militär, Polizei) unterliegen überdies der Kontrolle durch die freie Presse des Landes, die nicht nur in den landesweiten Amtssprachen Hindi und Englisch, sondern auch in vielen der Regionalsprachen publiziert wird. Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9 .2016a).

 

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.4.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.8.2016).

 

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.4.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9 .2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).

 

Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 16.8.2016). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 16.8.2016).

 

Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis NDA (AA 16.8.2016), mit der hindu-nationalistischen BJP (AA 9 .2016a) als stärkster Partei (282 Sitze), den Kongress an der Regierung ab (AA 16.8.2016). Die seit 2004 regierende Kongress-geführte Koalition unter Manmohan Singh erlitt hingegen große Verluste, womit Sonia Gandhi und Sohn Rahul nun auf die Oppositionsbank rücken (Eurasisches Magazin 24.5.2014; vgl. auch:

FAZ 16.5.2014, GIZ 11.2016). Die AAP, die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang landesweit nun nur vier Sitze (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Der BJP Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt (AA 16.8.2016) und steht seit 16.5.2014 (GIZ 11.2016) einem 65-köpfigen Kabinett vor (AA 16.8.2016).

 

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).

 

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Profilierung als aufstrebende Großmacht (AA 9 .2016b). Ein ständiger Sitz im VN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 12.2016). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an. Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft (Association of Southeast Asian Nations - ASEAN) und Mitglied im "ASEAN Regional Forum" (ARF). Auch bilateral hat Indien in den letzten Monaten seine Initiativen in den Nachbarländern verstärkt. Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. In der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) hat Indien im Februar 2016 von Russland den diesjährigen Vorsitz übernommen. Bei ihrem Treffen in Ufa im Juli 2015 beschloss die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), Indien und Pakistan nach Abschluss der Beitrittsprozeduren als Vollmitglieder aufzunehmen (AA 9 .2016b).

 

Die Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich jüngst erneut zugespitzt. In den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit haben sich wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zur kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst.

 

Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmirproblem (AA 9 .2016b).

 

Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 12.2016).

 

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze, kontrolliert Indien die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs, und war Indien maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 12.2016).

 

3. Sicherheitslage

 

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.8.2016).

 

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 9.1.2017).

 

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).

 

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.8.2016).

 

Pakistan und Indien

 

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 9 .2016b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege, davon zwei aufgrund des umstrittenen Kaschmirgebiets. Friedensgespräche, die 2004 begannen, wurden trotz Spannungen wegen der Kaschmirregion und sich immer wieder ereignenden schweren Bombenaschlägen bis zu den von Islamisten durchgeführten Anschlägen in Mumbai 2008, fortgesetzt (BBC 27.9.2016).

 

Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und der jüngste terroristische Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Indien reagierte auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. In der Folge kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 9 .2016b). Bei einem Treffen in New York Ende September 2013 vereinbarten die Premierminister Singh und Sharif lediglich, den Waffenstillstand künftig besser einhalten zu wollen (GIZ 11.2016a). Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist über die aktuellen Entwicklungen zum Stillstand gekommen. Noch am Weihnachtstag 2015 hatte Premierminister Modi seinem pakistanischen Amtskollegen einen Überraschungsbesuch abgestattet und damit kurzzeitig Hoffnungen auf eine Entspannung aufkeimen lassen (AA 9 .2016b).

 

3.1. Jammu und Kaschmir

 

Erhebliches Unruhepotential besteht weiterhin im Bundesstaat Jammu und Kaschmir, wo Angriffe eindringender Militanter, der ungeklärte Konflikt zwischen Indien und Pakistan um die Region, die Unzufriedenheit der mehrheitlich muslimischen kaschmirischen Bevölkerung und teils drakonische Sonderrechte indischer Sicherheitskräfte ein Klima des Misstrauens und der Angst schaffen (AA 9 .2016b). Militante Gruppen in Jammu und Kaschmir kämpfen weiterhin gegen Sicherheitskräfte, kaschmirische Einrichtungen und lokale Politiker, die sie für "Statthalter" und "Kollaborateure" der indischen Zentralregierung halten. Überläufer zur Regierungsseite und deren Familien werden besonders grausam "bestraft" (AA 16.8.2016).

 

Indien zählt weltweit zu den zehn am stärksten vom islamistischen Fundamentalismus betroffenen Staaten. In den letzten zehn Jahren wurden über 6.000 Menschen Opfer islamistischer Gewalt. Den Schwerpunkt bildet dabei der von Indien kontrollierte Teil Kaschmirs. Das zentrale Ziel islamistischer Fundamentalisten in Indien bleibt die Abspaltung Kaschmirs. Im Einklang mit der Dschihad-Ideologie sehen sich viele islamistische Gruppierungen zudem im Krieg gegen alle Ungläubigen und streben die gewaltsame Islamisierung des gesamten Subkontinents an. Befördert wird der Konflikt durch die anhaltende wirtschaftliche Benachteiligung und Diskriminierung vieler Muslime (BPB 12.11.2015).

 

Seit September 2014 ist es wiederholt zu Feuergefechten gekommen. Zehntausende Zivilisten auf beiden Seiten mussten ihre Häuser verlassen. Indische Regierungsvertreter erklären die Verletzungen des Waffenstillstands als Taktik Pakistans, um Kämpfer und Terroristen in den von Indien kontrollierten Teil Kaschmirs zu schleusen. Die Lage in der Region ist seit Jahrzehnten angespannt, weil dort mehrere bewaffnete Gruppen aktiv sind, u.a. militante Separatistengruppen, die den indischen Staat bekämpfen und in Pakistan Zuflucht finden (BPB 20.11.2015). Seit Monaten wird die Provinz Kaschmir von einer Spirale der Gewalt beherrscht. Die Unruhen sind in ihrer Intensität stärker als die von 2010. Manche Beobachter interpretieren sie gar als die blutigsten in der Geschichte Kaschmirs (GIZ 11.2016).

 

Der von 2014 bis 2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist über die aktuellen Entwicklungen zum Stillstand gekommen (AA 9 .2016b). Pakistanische Streitkräfte haben das Waffenstillstandsabkommen allein im August 2014 16mal verletzt. Berichten zufolge waren Aufständische jedoch nicht in der Lage, die internationale Grenze zu überschreiten (FH 28.1.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 183 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 117, für das Jahr 2013 181, für das Jahr 2014 193 für das Jahr 2015 174 und für das Jahr 2016 267 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 9.1.2017).

 

Im indischen Teil Kaschmirs bleibt weiterhin der Armed Forces (Special Powers) Act (AFSPA) in Kraft (USDOS 13.4.2016; vgl. auch:

BPB 20.11.2015). Unter dem Sonderermächtigungsgesetz für das indische Militär kam es wiederholt zu außergerichtlichen Tötungen, Vergewaltigungen und Folter durch Angehörige der Sicherheitskräfte. Im September 2015 wurden sechs indische Soldaten aufgrund ihrer Rolle bei der Tötung von Zivilisten in Kaschmir von einem Militärgericht zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Allgemein gilt die steigende Wahlbeteiligung im indischen Unionsstaat Jammu und Kaschmir als Indikator für eine wachsende Anerkennung der Legitimität Indiens in der Region (BPB 20.11.2015). Die 1997 eingesetzte staatliche Menschenrechtskommission von Jammu und Kaschmir hat kaum Wirkungen entfaltet. Insbesondere hat sie keine Möglichkeit, Übergriffe von Armee und paramilitärischen Kräften zu untersuchen (ÖB 12.2016).

 

3.2. Naxaliten

 

Die ländlichen Gebiete im Osten haben sich zum Schauplatz für den schwersten innerstaatlichen Konflikt in Indien entwickelt. Gewalttätige linksextremistische Gruppen (sogenannte "Naxaliten" oder "maoistische Guerilla") (AA 16.8.2016) führen einen "Volksbefreiungskrieg" gegen den indischen Staat (BPB 12.11.2015) und stellen weiter eine große innenpolitische Herausforderung für die indische Regierung dar (AA 16.8.2016). Dem seit Jahrzehnten existierenden Phänomen des maoistischen (naxalitischen) Terrors wurde bislang nur mit geringem Erfolg mit polizeilichen Maßnahmen auf lokaler Ebene begegnet (ÖB 12.2016). Die Naxaliten, die überwiegend in der landesweit verbotenen Communist Party of India (CPI-Maoist) zusammengeschlossenen sind verüben regelmäßig Anschläge auf Sicherheitskräfte, politische Gegner und die öffentliche Infrastruktur (BPB 12.11.2015). Sie operieren in weiten Teilen des östlichen Kernindiens, vor allem im ländlichen Raum. In Chhattisgarh, Jharkhand, Bihar, Madhya Pradesh, Westbengalen, Odisha und Andhra Pradesh ist es den Naxaliten in zahlreichen Distrikten gelungen, eigene Herrschaftsstrukturen zu errichten (AA 16.8.2016). Die Naxaliten streben die gewaltsame Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung an. Ihre maoistische Guerillastrategie zielt auf die Kontrolle über die ländliche Bevölkerung und die Zerstörung der zentralen Institutionen des Staates (BPB 12.11.2015).

 

Die Naxaliten verfolgen eine Doppelstrategie: Auf der einen Seite stehen soziales Engagement, Arbeitsbeschaffung und die Verteidigung der Armen und Schwachen, auf der anderen Seite brutale Gewalt, Guerillaaktionen, Einschüchterung und Erpressung gegen echte und vermeintliche, auch zivile "Gegner". Mordkommandos gegen Polizeieinheiten sind nicht selten. Allerdings sind auch Menschenrechtsverletzungen der Sicherheitskräfte in den Naxaliten-Gebieten dokumentiert. Die Zivilbevölkerung findet sich zwischen den Fronten wieder (AA 16.8.2016).

 

Nach einer zunehmenden Militarisierung und räumlichen Ausdehnung des Konflikts zwischen 2005 und 2009 hat die indische Zentralregierung im Frühjahr 2009 einen nationalen sicherheits- und entwicklungspolitischen Aktionsplan zur Eindämmung der Gewalt beschlossen. Hierdurch konnten die Naxaliten vielerorts zurückgedrängt und durch die Verhaftung, Tötung oder Kapitulation führender Kader erheblich geschwächt werden. Trotz des Rückgangs des Gewaltniveaus seit 2012 ist ein Ende des Konflikts nicht in Sicht. Die Rebellen verüben auch weiterhin Anschläge auf Sicherheitskräfte. Im Mai 2013 griffen sie einen Konvoi der regierenden Kongress-Partei im indischen Bundesstaat Chhattisgarh an, wobei 27 Kongress-Politiker ums Leben kamen (BPB 12.11.2015). In jüngster Vergangenheit kam es zu einer Häufung spektakulärer Attentate der Maoisten, nicht nur gegen Sicherheitskräfte der Regierung, sondern auch gegen zivile Ziele, wie Eisenbahnverbindungen (ÖB 12.2016).

 

3.3. Punjab

 

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Millionen. im Punjab (MoHA o.D.) und bilden dort die Mehrheit (USDOS 10.8.2016).

 

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren aus anderen Unionsstaaten oder Pakistan. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2016). Nichtstaatliche Kräfte, darunter organisierte Aufständische und Terroristen, begehen jedoch zahlreiche Morde und Bombenanschläge im Punjab und Konfliktregionen wie etwa Jammu und Kaschmir (USDOS 13.4.2016). Im Juli 2015 griffen Mitglieder einer bewaffneten Gruppe eine Polizeiwache und einen Busbahnhof in Gurdaspur im Bundesstaat Punjab an und töteten drei Zivilpersonen und vier Polizisten. 15 Personen wurden verletzt (USDOS 2.7.2016; vgl. auch: AI 24.2.2016). Es handelte sich dabei um den ersten größeren Anschlag seit den Aktivitäten militanter Sikhs in 1980er und 1990er Jahren (USDOS 2.7.2016).

 

Im Oktober 2015 gab es in fünf Distrikten des Punjab weitverbreitete und gewalttätige Proteste der Sikhs gegen die Regierung in Punjab. Dabei hat die Polizei auf Protestanten geschossen und zwei Personen getötet sowie 80 Personen verletzt. Grund der Proteste waren Berichte, laut denen unbekannte Täter das heilige Buch der Sikhs entweiht hätten. Die Polizei hat ein Duzend Protestanten wegen versuchten Mordes, Beschädigung öffentlichen Eigentums und des Tragens von illegalen Waffen festgenommen. Was die Aufarbeitung der Gewaltausbrüche im Jahr 1984, bei denen 3.000 Menschen, darunter hauptsächlich Sikhs, ums Leben gekommen seien betrifft, so kommen Gerichtsverfahren nur langsam voran. Zivilgesellschaftliche Aktivisten und Interessensverbände der Sikhs zeigen sich weiterhin besorgt, dass die Regierung die Verantwortlichen noch nicht zur Rechenschaft ziehen konnte (USDOS 10.8.2016).

 

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne der ISI bekannt, die gemeinsam mit BKI und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2016). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 13.4.2016; vgl. auch:

BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2016). Ehrenmorde stellen vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass bis zu 10% aller Tötungen in diesen Staaten sogenannte Ehrenmorde sind (USDOS 13.4.2016).

 

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte (Folter, Folter mit Todesfolge, extra-legale Tötungen etc.) interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2016).

 

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte Die Sikhs, 60% der Bevölkerung des Punjabs, stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 12.2016).

 

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 12.2016).

 

4. Rechtsschutz/Justizwesen

 

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig lange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 16.8.2016; vgl. auch:

USDOS 13.4.2016). Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption (AA 24.4.2015).

 

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 27.1.2016). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht ist in jedem Unionsstaat. Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen. Er führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und in Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche wie auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 12.2016).

 

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 1.8.2015 eine Vakanz von 34% der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 13.4.2016). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 16.8.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

 

Richter zeigten einen beträchtlichen Einsatz in der Bearbeitung von sogenannten "Public Interest Litigation" (Klagen im öffentlichen Interesse). Insbesondere in unteren Ebenen der Justiz ist Korruption weit verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 27.1.2016). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70% aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 16.8.2016).

 

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 16.8.2016).

 

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt (AA 16.8.2016).

 

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischen Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es gibt Fälle, in denen Häftlinge misshandelt werden. Hierbei kann die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit sowie die politische Überzeugung des Opfers eine Rolle spielen. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben beispielsweise 80% aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein (AA 16.8.2016).

 

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities (Prevention) Amendment Bill und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 13.4.2016). Das Gesetz erlaubt den Angeklagten in den meisten Zivil- und Kriminalfällen den Zugang zu relevanten Regierungsbeweisen, aber die Regierung behält sich das Recht vor, Informationen zurückzuhalten und tut dies auch in Fällen, die sie für heikel erachtet. Die Angeklagten haben das Recht, sich dem Ankläger zu stellen und ihre eigenen Zeugen und Beweismittel zu präsentieren, jedoch konnten Angeklagte dieses Recht manchmal aufgrund des Mangels an ordentlicher Rechtsvertretung nicht ausüben. Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 13.4.2016).

 

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein.

 

Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 12.2016).

 

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 27.1.2016).

 

5. Sicherheitsbehörden

 

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 6.2016) und untersteht den Bundesstaaten (AA 16.8.2016). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und bundesstaatenübergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 6.2016).

 

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 6.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt, was in einigen Fällen zu Korruption führt. (USDOS 13.4.2016). Versprochene Polizeireformen verzögerten sich 2015 erneut (HRW 27.1.2016).

 

Die Effektivität der Strafverfolgung und der Sicherheitskräfte ist im gesamten Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es einerseits Fälle von Polizisten/Beamten gibt, die auf allen Ebenen ungestraft handeln, so gab es andererseits auch Fälle, in denen Sicherheitsbeamte für ihre illegalen Handlungen zur Verantwortung gezogen wurden (USDOS 13.4.2016).

 

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 6.2016). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 16.8.2016; vgl. auch: BICC 6.2016), wie etwa beim Kampf gegen bewaffnete Aufständische, der Unterstützung der Polizei und der paramilitärischen Einheiten sowie dem Einsatz bei Naturkatastrophen (BICC 6.2016).

 

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) herangezogen. Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl. Bei ihren Aktionen genießen die Handelnden der Streitkräfte weitgehend Immunität vor Strafverfolgung. Der AFSPA kommt zur Anwendung, nachdem Regierungen der Bundesstaaten ihre Bundesstaaten oder nur Teile davon auf der Basis des "Disturbed Areas Act" zu "Unruhegebieten" erklären. Als Unruhegebiete gelten zurzeit der Bundesstaat Jammu und Kaschmir und die nordöstlichen Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Assam, Meghalaya, Manipur, Mizoram und Nagaland (AA 16.8.2016 vgl. USDOS 25.6.2015).

 

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sog. Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 16.8.2016). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als "Black Cat" bekannt, die Rahtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze -, die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz), als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesh und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Weiters zählen die Assam Rifles - zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten-, die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) als Indo-Tibetische Grenzpolizei sowie die Küstenwache, die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force, zum Werkschutz der Staatsbetriebe dazu (ÖB 12.2016). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 16.8.2016).

 

Die Grenzspezialkräfte ("Special Frontier Force)" unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten der Grenze zu China eingesetzt werden. Auch für das Handeln der Geheimdienste, das sogenannte Aufklärungsbüro ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und den Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing" - Auslandsgeheimdienst), bestehen gesetzliche Grundlagen (AA 24.4.2015; vgl. auch USDOS 25.6.2015).

 

Der "Unlawful Activities (Prevention) Act" (UAPA) wurde verschärft. Die Änderungen beinhalten u.a. eine erweiterte Terrorismusdefinition und in Fällen mit Bezug zu Terrorismus die Möglichkeit zur Ausweitung der Untersuchungshaft ohne Anklage von 90 auf 180 Tage und erleichterte Regeln für den Beweis der Täterschaft eines Angeklagten (die faktisch einer Beweislastumkehr nahekommen) (AA 24.4.2015).

 

6. Folter und unmenschliche Behandlung

 

Indien hat im Jahr 1997 das VN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert (AA 16.8.2016). Es sind außerdem keine für die Ratifizierung notwendigen Änderungen der nationalen Gesetzgebung eingeleitet worden (BICC 6.2016). Ein innerstaatlicher Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Folter, welcher innerstaatliche Voraussetzung der Ratifizierung der VN-Anti-Folterkonvention ist, wurde vom Parlament nicht verabschiedet (AA 16.8.2016).

 

Folter ist in Indien jedoch verboten (AA 16.8.2016) und der indische Staat verfolgt Folterer grundsätzlich und veranstaltet Kampagnen zur Bewusstseinserhöhung der Sicherheitskräfte, doch bleiben Menschenrechtsverletzungen von Polizeibeamten und paramilitärischen Einheiten häufig ungeahndet und führen nicht einmal zu Ermittlungsverfahren. Besonders gefährdet sind Angehörige unterer Kasten und andere sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten (ÖB 12.2016). Aufgrund von Folter erlangte Aussagen sind vor Gericht nicht zur Verwertung zugelassen (AA 16.8.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Das Gesetz verbietet somit Folter, aber es gibt Berichte von NGOs, dass solche Praktiken verbreitet sind, speziell in Konfliktgegenden (USDOS 13.4.2016). Folter durch Polizeibeamte, Armee und paramilitärische Einheiten bleibt häufig ungeahndet, weil die Opfer ihre Rechte nicht kennen, eingeschüchtert werden oder die Folter nicht überleben (AA 16.8.2016).

 

Nach zuverlässigen Angaben des "Asia Pacific Human Rights Network" wird Folter systematisch von der Polizei als Mittel der Befragung und der Gelderpressung oder der summarischen Bestrafung vermeintlicher Täter angewendet (AA 16.8.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016); Todesfälle von Häftlingen stehen nach belastbaren Einschätzungen von NROs mit der Anwendung von Folter in Zusammenhang (AA 16.8.2016).

 

Menschenrechtsexperten zufolge versuchte die Regierung auch weiterhin Personen festzunehmen und ihnen einen Verstoß nach dem - aufgehobenen - Gesetz zur Bekämpfung von Terrorismus, terroristischer Akte und zerstörenden Handlungen anzulasten. Dieses Gesetz besagte, dass Geständnisse, die vor einem Polizisten abgelegt wurden, als zulässige Beweise im Gericht behandelt werden (USDOS 13.4.2016).

 

Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir. Folter wird aber auch in anderen Landesteilen, vor allem in sozial schwachen und bevölkerungsreichen Staaten wie Uttar Pradesh und Bihar, angewandt. Folter und Misshandlungen in Gefängnissen sind nach belastbaren Erkenntnissen von Amnesty International verbreitet (AA 16.8.2016).

 

Trotz der Trainings für senior police officers, bleiben willkürliche Verhaftungen, Folter und erzwungene Geständnisse durch Sicherheitskräfte verbreitet (ÖB 12.2016).

 

Es kommt immer wieder zu willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane, insbesondere der Polizeikräfte, vor allem gegenüber Häftlingen in Polizeigewahrsam. In einigen Fällen wird von willkürlichen und nicht gemeldeten Verhaftungen berichtet, bei denen dem Verhafteten mitunter ausreichend Wasser und Nahrung vorenthalten werden. Von etlichen Ausnahmen abgesehen, werden gesetzeswidrige Handlungen in diesem Bereich geahndet. Die angerufenen Gerichte haben hierbei in den letzten Jahren verstärkt Verantwortung gezeigt, zumal NGOs und die Presse kritisch über die ihnen bekannt gewordenen Fälle berichten. Auch über Übergriffe der Militärs und der paramilitärischen Gruppen bei ihren Einsätzen im Inneren (vor allem in Jammu und Kaschmir sowie in Indiens Nordosten) berichten Menschenrechtsorganisationen und die Nationale Menschenrechtskommission. Auch diese werden vereinzelt (militär-) gerichtlich geahndet, Prozess und Prozessausgang bleiben allerdings geheim (ÖB 12.2016).

 

7. Korruption

 

[...]

 

8. NGOs und Menschenrechtsaktivisten

 

[...]

 

9. Ombudsmann

 

[...]

 

10. Wehrdienst und Rekrutierungen

 

Indien unterhält eine Berufsarmee (AA 16.8.2016). Es besteht keine Wehrpflicht (CIA 12.12.2016). Fälle von Zwangsrekrutierungen sind nicht bekannt. Das Mindesteintrittsalter in die Armee beträgt 16 Lebensjahre. Fahnenflucht, der Versuch der Fahnenflucht und die Beihilfe dazu werden nach dem "Army Act" von 1950 und den entsprechend lautenden "Navy Act" und "Air Force Act" je nach Schwere des Falles mit hohen Gefängnisstrafen oder mit der Todesstrafe geahndet (AA 16.8.2016). Im Alter von 16 bis 18 Jahren kann man sich freiwillig zum Militärdienst melden (CIA 12.12.2016).

 

11. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 16.8.2016). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 12.2016). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 16.8.2016). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, aber ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 16.8.2016).

 

Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind Missbrauch durch Polizei und Sicherheitskräfte einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet und trägt zur ineffektiven Verbrechensbekämpfung, insbesondere auch von Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Mitglieder registrierter Kasten und Stämme sowie auch gesellschaftlicher Gewalt aufgrund von Geschlechts-, Religions-, Kasten- oder Stammeszugehörigkeit bei (USDOS 13.4.2016).

 

Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 6.2016), eine verallgemeinernde Bewertung kaum möglich:

Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 16.8.2016). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tiefverwurzelte soziale Praktiken wie nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 16.8.2016). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 6.2016). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 6.2016).

 

Separatistische Rebellen und Terroristen in Jammu und Kaschmir, den nordöstlichen Bundesstaaten und im Maoistengürtel begehen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde an Zivilisten, Polizisten, Streitkräften und Regierungsbeamten. Aufständische sind für zahlreiche Fälle von Entführung, Folter, Vergewaltigung, Erpressung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 13.4.2016).

 

Die Behörden verstoßen auch weiterhin gegen die Privatsphäre der Bürger. In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein und es gibt Berichte von Verhaftungen, aber keine Verurteilungen nach diesem Gesetz. Manche Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 13.4.2016).

 

Im Oktober 1993 wurde die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) gegründet. Ihre Satzung beinhaltet den Schutz des Menschenrechtgesetzes aus dem Jahre 1993. Die Kommission verkörpert das Anliegen Indiens für den Schutz der Menschenrechte. Sie ist unabhängig und wurde durch ein Umsetzungsgesetz des Parlaments gegründet. Die NHRC hat die Befugnis eines Zivilgerichtes (NHRC o.D.). Die NHRC empfiehlt, dass das Kriminalermittlungsbüro alle Morde, in denen die angeblichen Verdächtigen während ihrer Anklage, Verhaftung, oder bei ihrem Fluchtversuch getötet wurden, untersucht. Viele Bundesstaaten sind diesem unverbindlichen Rat nicht gefolgt und führten interne Revisionen im Ermessen der Vorgesetzten durch. Die NHRC Richtlinien weisen die Bundesstaatenregierungen an, alle Fälle von Tod durch Polizeihandlung binnen 48 Stunden an die NHRC zu melden, jedoch hielten sich viele Bundesstaatenregierungen nicht an diese Richtlinien. Die NHRC forderte von den Bundesstaatenregierung, den Familien von Opfern eine finanzielle Kompensation zu bieten, aber die Bundesstaatenregierungen erfüllten diese Richtlinien nicht konsequent. Die Behörden haben die Streitkräfte nicht dazu aufgefordert, Todesfälle während der Haft an die NHRC zu melden (USDOS 13.4.2016).

 

12. Meinungs- und Pressefreiheit

 

[...]

 

13. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

 

Das Gesetz garantiert die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 13.4.2016), wenngleich es auch zu Einschränkungen kommen kann. Gemäß §144 der Strafprozessordnung sind die Behörden ermächtigt, das Recht auf freie Versammlung einzuschränken und Ausgangssperren zu verhängen, wann immer "sofortige Prävention oder schnelle Abhilfe" notwendig ist. Staatsgesetze, die auf diesen Vorgaben basieren, werden oft missbraucht, um das Abhalten von Treffen und Versammlungen einzuschränken. Ungeachtet dessen finden regelmäßig Protestveranstaltungen statt (FH 27.1.2016).

 

Ein Antrag für das Abhalten von Versammlungen und Demonstrationen muss vorab bei den zuständigen lokalen Behörden gestellt werden. Vereinzelt werden Anträge abgelehnt, wie beispielsweise in Jammu und Kaschmir, wo die Behörden Separatistengruppen manchmal keine Erlaubnis ausstellt (ÖB 12.2016) und die Sicherheitskräfte manchmal Mitglieder politischer Gruppen, die an friedlichen Protesten teilnehmen, verhaften oder angreifen (USDOS 13.4.2016). In Zeiten von Unruhen in Jammu und Kaschmir ziehen die Behörden die Strafprozessordnung heran, um öffentliche Versammlungen zu verbieten oder Ausgangssperren zu verhängen (USDOS 13.4.2016).

 

Gewerkschaftliche Streiks und öffentliche Protestveranstaltungen können zur Lahmlegung des gesamten öffentlichen Lebens im betroffenen Gebiet und zu Gewalttätigkeiten führen. Gewerkschaften spielen in Indien jedoch eine relativ geringe Rolle, da nur etwa 8% der indischen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind. Der "Essential Services Maintenance Act" erlaubt es der Regierung, Streiks in staatlichen Unternehmen zu verbieten (ÖB 12.2016)

 

Bei der Organisation von internationalen Konferenzen kommt es zu Restriktionen und Genehmigungen aus dem Ministerium für Inneres können nur mithilfe von NGOs erlangt werden. Auch wenn das Genehmigungsverfahren in manchen Fällen langwierig ist, so werden die Berechtigungen von den Behörden doch routinemäßig erteilt (USDOS 13.4.2016).

 

13.1. Opposition

 

Die politische Opposition kann sich grundsätzlich frei betätigen. Die Wahlen zu den Gemeindeversammlungen, Stadträten und Parlamenten auf bundesstaatlicher wie nationaler Ebene sind frei, gleich und geheim. Sie werden - ungeachtet von Problemen, die aus der Größe des Landes, verbreiteter Armut bzw. hoher Analphabeten-Rate und örtlich vorkommender Manipulationen resultieren - nach Einschätzung internationaler Beobachter korrekt durchgeführt. Behinderungen der Opposition kommen insbesondere auf regionaler und kommunaler Ebene vor, z.B. durch nur eingeschränkten Polizeischutz für Politiker, Versagung von Genehmigungen für Wahlkampfveranstaltungen, tätliche Übergriffe durch Anhänger anderer Parteien. Derartige Vorkommnisse werden von der Presse aufgegriffen und können von den politischen Parteien öffentlichkeitswirksam thematisiert werden. Sie ziehen in der Regel auch Sanktionsmaßnahmen der unabhängigen und angesehenen staatlichen Wahlkommission ("Election Commission of India") nach sich (AA 16.8.2016).

 

Wichtigste Oppositionspartei ist nach ihrer Niederlage bei der jüngsten Lok Sabha-Wahl die Kongresspartei (Indian National Congress - INC) unter Führung von Parteichefin Sonia Gandhi (Schwiegertochter Indira Gandhis und Witwe Rajiv Gandhis). Ihr Sohn Rahul Gandhi, der die Kongresspartei als eine Art unerklärter Spitzenkandidat in den Wahlkampf führte, konnte gegen Narendra Modi und die in Indien weit verbreitete Wechselstimmung wenig Wirkung entfalten. In den letzten Jahren haben eine Reihe von regionalen Parteien an Profil und Einfluss gewonnen (AA 9 .2016a).

 

Indien verfügt über eine vielfältige Parteienlandschaft. Neben den großen nationalen Parteien Kongress (in ihren Wurzeln sozialistisch inspirierte nationale Sammlungsbewegung), Bharatiya Janata Party (BJP, hindu-nationalistisch) sowie überregional wirkenden kommunistischen Parteien gibt es eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene von politischer Bedeutung sind. (AA 16.8.2016).

 

Jede offiziell anerkannte Partei wird entweder als Bundes- oder als Regionalpartei eingestuft. Wenn eine Regionalpartei in mehr als vier Bundesstaaten offiziell anerkannt ist, erhält sie den Status einer Bundespartei. Zu den wichtigsten indischen Parteien gehören Indian National Congress, Bharatiya Janata Party, Bahujan Samaj Party (BSP), Communist Party of India und Communist Party of India (Marxist). Bekannte und einflussreiche regionale Parteien sind Telugu Desam in Andhra Pradesh, Muslim League in Kerala, Shiv Sena in Maharashtra, Dravida Munnetra Kazhagam in Tamil Nadu und Samajwadi Party in Uttar Pradesh (GIZ 12.2016).

 

14. Haftbedingungen

 

Dem Bericht des National Crime Records Bureau (NCRB) aus dem Jahr 2014 zufolge, gab es 1387 Gefängnisse landesweit mit einer genehmigten Kapazität von 356.561 Personen - bei einer Häftlingszahl von 418.536 (USDOS 13.4.2016). Der Anteil der Gefängnisinsassen an der Gesamtbevölkerung liegt mit ca. 0,35% niedrig. Trotzdem sind die Gefängnisse zum Teil massiv überbelegt (AA 16.8.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Dem Bericht der NCRB zufolge waren die Gefängnisse in Chhattisgarh mit 261% und in Delhi mit 216,8% ihrer Kapazität ausgelastet. Es gab 17.681 weibliche Häftlinge - etwa 4,2% der Häftlingszahl - und weniger als 1% Jugendliche (USDOS 13.4.2016). Eine Sonderbehandlung für Ausländer ist nicht vorgesehen (AA 16.8.2016). Untersuchungshäftlinge werden häufig zusammen mit bereits verurteilten Häftlingen inhaftiert, Männer und Frauen werden getrennt untergebracht (USDOS 13.4.2016).

 

Der überwiegende Teil der Häftlinge sind Untersuchungshäftlinge (2014: 67,7%), die wegen der sehr starken Überlastung der Gerichte zum Teil jahrelang auf den Beginn ihres Prozesses warten müssen (AA 16.8.2016; vgl. USDOS 13.4.2016).

 

Die Haftbedingungen können stark variieren. Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet (Standard einer indischen Grundversorgung), für die Hygiene sind die Häftlinge selbst verantwortlich, ärztliche Basisversorgung ist ebenfalls regelmäßig gewährleistet (AA 16.8.2016). Die Sanitäreinrichtungen, das Essen, die medizinische Versorgung und Umgebungsbedingungen sind jedoch oft unzureichend. Trinkwasser ist nur manchmal erhältlich (USDOS 13.4.2016). Häftlinge können sich tagsüber im Gefängnishof bewegen und Sport treiben. Jeder Häftling kann die Haftbedingungen hinsichtlich Unterbringung, Hygiene, Verpflegung und medizinischer Behandlung durch Geldzahlungen verbessern. Es ist ebenfalls üblich, dass Häftlinge von Verwandten zusätzlich versorgt werden (AA 16.8.2016). Gefängnisse und Haftanstalten sind auch weiterhin personell unterbesetzt und eine ausreichende Infrastruktur fehlt. Häftlinge werden physisch schlecht behandelt (USDOS 13.4.2016).

 

Langdauernde, willkürliche Inhaftierung bleibt ein bedeutendes Problem als Folge eines überlasteten und nicht entsprechend ausgestatteten Gerichtssystems sowie wegen mangelnder Rechtssicherheit. Die Regierung unternimmt weiterhin Bemühungen mithilfe von sogenannten "Fast Track-Gerichten", um Überbelegung der Gefängnisse sowie Verringerung langdauernder Inhaftierungen zu reduzieren (USDOS 13.4.2016).

 

Es gab auch weiterhin Berichte über Vergewaltigungen von Häftlingen durch die Polizei. Manche Vergewaltigungsopfer hatten Angst, aufgrund des drohenden sozialen Stigmas und möglichen Vergeltungshandlungen, sich zu melden und das Verbrechen anzuzeigen, speziell dann, wenn der Täter ein Polizist oder ein anderer Beamter war. Die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) hat das Mandat Vergewaltigungsfälle in denen Polizisten involviert sind zu untersuchen. Die NHRC ist gesetzlich befugt, Informationen über Mitglieder des Militärs und den paramilitärischen Streitkräften zu verlangen, jedoch hat sie kein Mandant, um Fälle zu untersuchen, die diese Einheiten betreffen. Es gab Fälle, in den sich Polizeibeamte weigerten, Vergewaltigungen zu registrieren (USDOS 13.4.2016). Todesfälle von Häftlingen stehen nach belastbaren Einschätzungen von NGOs mit der Anwendung von Folter in Zusammenhang. Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des IKRK (Internationales Komitee des Roten Kreuzes) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir (AA 16.8.2016).

 

Nach Angaben der NHRC ist ein großer Teil der Todesfälle in Gefängnissen (2014: 1.702) auf Krankheiten wie Tuberkulose und HIV/Aids zurückzuführen, deren Verlauf durch die Haftbedingungen und mangelhafte Versorgung verschlimmert bzw. beschleunigt wird. Es steht in den Gefängnissen eine medizinische Basisversorgung zur Verfügung, bei Bedarf wird ins (oftmals unzureichend ausgestattete) Krankenhaus eingeliefert (AA 16.8.2016).

 

Der Public Safety Act gilt nur in Jammu und Kashmir und erlaubt staatlichen Behörden das Festnehmen von Personen ohne Anklage oder gerichtlicher Überprüfung für bis zu zwei Jahren. Während dieser Zeit ist es den Familienmitgliedern nicht erlaubt, Zugang zu den Häftlingen zu haben. Häftlingen ist der Zugang zu einem Anwalt während Befragungen erlaubt. In der Praxis vollzieht die Polizei in Jammu und Kaschmir regelmäßig willkürliche Verhaftungen und verweigert Häftlingen, speziell den mittelosen, den Zugang zu Anwälten und medizinischer Betreuung (USDOS 13.4.2016).

 

Gefangene haben auch das Recht ihre religiösen Riten abzuhalten, was auch in der Praxis in den meisten Fällen berücksichtigt wird. Die Regierung erlaubt NGOs innerhalb bestimmter Richtlinien, Gefangenen Unterstützung anzubieten. Gefängnisbeamte führen umfangreiche Aufzeichnungen. Für Haftanstalten gibt es keinen Ombudsmann, aber die Gefangenen dürfen sich mit Beschwerden an die Justizbehörden wenden. Alternative Strafvollzugsmethoden werden nur selten angewandt (USDOS 25.6.2015).

 

Der "Arbeitsgruppe Menschenrechte in Indien" und den Vereinten Nationen zufolge, starben zwischen 2001 und 2010 14.231 Menschen in Polizeigewahrsam und werden jedes Jahr rund 1,8 Millionen Menschen Opfer von Polizeifolter - wobei es sich dabei nur um die bei der NHRC registrierte Fällen handelt und die Dunkelziffer wahrscheinlich höher ist (FH 28.1.2015). Der NHRC zufolge, sind während der letzten 8 Monate des Jahres 2015 111 Personen in Polizeigewahrsam gestorben (FH 27.1.2016).

 

Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben bspw. 80% aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein (AA 16.8.2016).

 

15. Todesstrafe

 

Die indische Regierung hat im Jahr 2012 das inoffizielle Memorandum in Bezug auf die Todesstrafe aufgehoben (HRW 27.1.2016). 59 Straftatbestände verschiedener Gesetze bzw. des indischen Strafgesetzbuch erlauben das Verhängen der Todesstrafe. In Militärgesetzen ist die Todesstrafe als Regelstrafe für schwere Fälle von Kollaboration, Meuterei und Fahnenflucht, seit Ende 2014 auch für gewaltsame Flugzeugentführung mit Todesfolge vorgesehen. Weder die indische Regierung noch die einzelnen Unionsstaaten führen eine Statistik über zum Tode Verurteilte (AA 16.8.2016).

 

Jedes Strafgericht kann die Todesstrafe verhängen. Der Oberste Gerichtshof hat eine restriktive Rechtsprechung zur Verhängung der Todesstrafe aufgestellt, wonach diese nur unter zwei engen Voraussetzungen verhängt werden kann: Die Tat muss außerordentlich schwerwiegend ("rarest of the rare cases") sein, und für den Täter bestehen keine Aussichten auf Resozialisierung (AA 16.8.2016). Eine Erhebung der renommierten National Law University zeigte im Mai 2016 jedoch auf, dass die Todesstrafe von lokalen Strafgerichten weiterhin kontinuierlich verhängt wird; die Gesamtzahl an Gefangenen im Todestrakt beträgt derzeit ca. 400. Zwischen 2000 und 2015 wurden

1.468 Todesurteile verhängt; davon wurden rund 30% in nächster Instanz freigesprochen, nur etwa 5% der Todesurteile wurden letztinstanzlich bestätigt (AA 16.8.2016).

 

Zum Tode Verurteilte haben das Recht, ein Gnadengesuch einzureichen. Das Begnadigungsrecht steht je nach Instanzenzug dem Staatspräsidenten bzw. dem Gouverneur des jeweiligen Bundesstaates zu. Der Oberste Gerichtshof hat am 21.1.2014 eine überlange, nicht zu rechtfertigende Dauer des Gnadenverfahrens als verfassungswidrig qualifiziert. Die Todesurteile von 15 Personen wurden daraufhin in lebenslange Haft umgewandelt. Außerdem urteilte das Gericht, dass eine solche Umwandlung auch bei Geisteskrankheit des Täters - unabhängig vom Zeitpunkt der Erkrankung - erfolgen müsse. Mit Entscheidung vom 18.2.2014 ist das Todesurteil gegen drei Attentäter von Premierminister Rajiv Gandhi vom Supreme Court wegen der überlangen Dauer des Gnadenverfahrens in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt worden (AA 16.8.2016).

 

Im August 2015 empfahl die Law Commission of India (beratendes Gremium der Regierung) die Abschaffung der Todesstrafe - mit Ausnahme von Straftaten, die mit Terrorismus und Aufstacheln zum Angriffskrieg im Zusammenhang stehen. Da weite Teile von Parlament und Bevölkerung in Indien die Todesstrafe weiterhin befürworten, ist mit einer baldigen Abschaffung nicht zu rechnen. Zuletzt im November 2014 stimmte Indien im Menschenrechtsausschuss der VN-Vollversammlung gegen eine Resolution, die die weltweite Aussetzung der Todesstrafe zum Ziel hat (AA 16.8.2016; vgl. auch:

HRW 27.1.2016).

 

Im April 2014 verhängte ein Gericht in Mumbai die Todesstrafe gegen drei Männer wegen Vergewaltigung. Grundlage des Urteils war ein neues Gesetz aus dem Jahr 2013, das für mehrfache Vergewaltigung die Todesstrafe vorsieht (AI 25.2.2015). Im Jahr 2015 wurde in Indien eine Person hingerichtet und in mehr als 75 Fällen die Todesstrafe verhängt (AI 6.4.2016).

 

16. Religionsfreiheit

 

[...]

 

17. Ethnische Minderheiten

 

Minderheiten sind nach indischem Recht als religiöse und sprachliche Minderheiten definiert (ÖB 12.2016). Die Verfassung enthält eine Garantie zum Schutz vor Diskriminierungen wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, Rasse, Kaste, Geschlecht oder Geburtsort. Minderheiten haben das Recht auf eigene Bildungseinrichtungen sowie auf Pflege ihrer Sprache und Kultur (AA 16.8.2016). Das Gesetz räumt dem Präsidenten auch die Befähigung ein, benachteiligte Kasten und Stämme für spezielle Quoten und Begünstigungen zu bestimmen (USDOS 13.4.2016). Gesetze setzen Quoten bei Bildungseinrichtungen und Regierungsanstellungen für sogenannte "registrierte" Kasten (Dalits) und Stämme, sowie einige andere sogenannte "benachteiligte Klassen", fest (FH 27.1.2016).

 

Historisch sind weite Teile der Gesellschaft in Kasten oder Clans organisiert (USDOS 13.4.2016) und Mitglieder unterer Kasten und Minderheiten sind weiterhin alltäglicher Diskriminierung ausgesetzt (FH 27.1.2016). Die Kaste ist ein komplexes traditionelles Hierarchiesystem, das auf ritueller Reinheit und Berufsgruppen beruht. Obwohl mit der Verfassung von 1949 Kastendiskriminierung verboten wurde, bleibt die Registrierung zum Zwecke positiver Förderprogramme bestehen und die Regierung betreibt weiterhin verschiedene Programme, um Mitglieder niederer Kasten zu stärken (USDOS 13.4.2016). Besonders auf dem Land bleiben Diskriminierungen aufgrund der Kastenzugehörigkeit, die in der Struktur der indischen Gesellschaft angelegt sind und auf sozialen und religiösen Traditionen fußen und vielfach implizit verlaufen, jedoch weit verbreitet (USDOS 13.4.2016).

 

Um Minderheiten stärker in das öffentliche Leben zu integrieren und ihre Teilhabe zu erhöhen, erfahren die unterste Schicht der Kastenordnung (sog. "Dalits" oder "Unberührbare") sowie die Adivasis eine positive Diskriminierung, deren Zulässigkeit in der Verfassung festgeschrieben ist. Im Bildungswesen (u.a. Studienplätze) und in der staatlichen Verwaltung (u.a. Stellenvergabe) sind Quoten von bis zu 49,5% für die sogenannten "Scheduled" Castes and "Scheduled" Tribes ("scheduled" = in der Verfassung erwähnte Kasten und Stämme) sowie für andere benachteiligte Gruppen, "Other Backward Castes", vorgesehen. Quoten werden auf zentralstaatlicher Ebene nur nach Kastenzugehörigkeit und sozialem Status, nicht aber nach Religion, zugeordnet. Allerdings gibt es in einigen Bundesstaaten Quotenregelungen für bestimmte religiöse Gemeinschaften, so z.B. in Tamil Nadu, Kerala und Andhra Pradesh für "rückständige" Christen und Muslime (AA 16.8.2016).

 

Trotz dieser umfangreichen positiven Förderprogramme, weitreichender gesetzlichen Schutzbestimmungen und verfassungsmäßigem Verbot von "Unberührbarkeit" (Artikel 17) werden Angehörige von niederen Kasten und Dalits in Indien noch immer massiv und systematisch diskriminiert, vor allem auch durch Polizei und Strafjustiz (AA 16.8.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016).

 

Zum Schutz der benachteiligten Gruppen und zur Gewährleistung ihrer Repräsentation im Unterhaus des Parlaments, muss jeder Bundesstaat Sitze für die geschützten Kasten und Stämme in Proportion zur Bevölkerung des Staates reservieren. Nur Kandidaten, die diesen Gruppen angehören dürfen an den Wahlen in den reservierten Wahlkreisen teilnehmen. Bei den Wahlen 2014 waren 84 Sitze für Kandidaten der geschützten Kasten und 47 für jene der geschützten Stämme reserviert, was insgesamt 24% der Sitze im Unterhaus ergab. Mitglieder der Minderheitenbevölkerung dienten als Premierminister, Vizepräsidenten, Richter des Obersten Gerichts und Mitglieder des Parlaments (USDOS 13.4.2016).

 

Englisch genießt den Status der sekundär offiziellen Sprache, ist aber die wichtigste Sprache für nationale, politische und wirtschaftliche Kommunikation. Hindi ist die am weitest verbreitet gesprochene Sprache und die Hauptsprache von 41% der Menschen. Es gibt 14 weitere offizielle Sprachen: Bengali, Telugu, Marathi, Tamil, Urdu, Gujarati, Malayalam, Kannada, Oriya, Punjabi, Assamese, Kashmiri, Sindhi, und Sanskrit. Hindustani ist eine populäre Variante des Hindi/Urdu und wird weitgehend im Norden Indiens gesprochen, ist aber gemäß Zensus aus dem Jahr 2001 keine offizielle Sprache (CIA Factbook 12.12.2016). Die nationale Volkszählung kategorisiert die Bevölkerung anhand der gesprochenen Sprachen, aber nicht nach rassischen oder ethnischen Gruppen (USDOS 13.4.2016).

 

Vor allem in Indiens abgelegenen Nordosten gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Stämme und Ethnien. Ihr Verhältnis untereinander und gegenüber der Zentralregierung birgt großes

 

Konfliktpotential. Dieses beruht v.a. auf der Missachtung der großen ethnischen und kulturellen Vielfalt der dortigen Bevölkerungsgruppen, ihren Bestrebungen zur Wahrung ihrer kulturellen Identität sowie auf der wirtschaftlichen Vernachlässigung seitens der indischen Zentralregierung (AA 16.8.2016). Kinder aus vulnerablen Gemeinschaften sind Formen der Diskriminierung aufgrund ihrer Kasten- oder Religionszugehörigkeit sowie ihrer Ethnie ausgesetzt (HRW 27.1.2016).

 

Konfliktfördernd ist v.a. auch der als Bedrohung wahrgenommene, unkontrollierte Zustrom illegaler (muslimischer) Einwanderer, vor allem aus Bangladesch. Es gibt ca. 100 Rebellengruppen, deren Aktivitäten bis heute zehntausende Menschenleben gekostet haben. Aktionen von Polizei und Militär richten sich gegen diese militante Gewalt, nicht aber gegen bestimmte Ethnien (AA 16.8.2016).

 

18.1. Frauen

 

Indien ist eine männerzentrierte Gesellschaft. Trotz verfassungsmäßigen Schutzes, einer Vielzahl entsprechender Gesetze und einer breiten öffentlichen Debatte bleibt die soziale Realität von Frauen in Indien von zum Teil krasser Diskriminierung bestimmt. Materielle Benachteiligung, Ausbeutung, Unterdrückung und fehlende sexuelle Selbstbestimmung prägen häufig den Alltag von Frauen - besonders in ärmeren Gesellschaftsschichten und im ländlichen Kontext. Mitgiftmorde, Entrechtung von Witwen, Analphabetentum und Unterernährung bleiben regional unterschiedlich, insgesamt aber stark verbreitet. Die Alphabetisierungsrate liegt nach den letzten verfügbaren Zahlen von 2011 bei etwa 74,1% (65,5% der Frauen, 82,1% der Männer). Frauen haben größere Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, in leitenden Positionen sind sie die Ausnahme. Im formellen Sektor des Arbeitsmarktes sind lediglich ein Fünftel der Beschäftigten Frauen, der öffentliche Dienst schneidet noch schlechter ab (RP 17.1.2014).

 

Seit 1947 haben Frauen in der indischen Politik und Gesellschaft immer wieder eine entscheidende Rolle gespielt. Allerdings sind noch heute lediglich 12% der Mitglieder beider Parlamentskammern Frauen. Auf kommunaler Ebene sind nach Einführung einer gesetzlichen Quotenregelung derzeit 37% der Mitglieder in dörflichen Räten Frauen (AA 16.8.2016). Mit der Verabschiedung der "Women¿s Reservation Bill 2008", sind 33% der Parlamentssitze für Frauen reserviert (ÖB 12.2016). Es gibt weithin respektierte Unternehmensführerinnen. In zahlreichen NGOs erheben Frauen ihre Stimme (AA 16.8.2016), die in zahlreichen Gruppen organisierte Frauenbewegung genießt hohes Ansehen. Eine indische Frauenrechtlerin hat 2006 den alternativen Friedensnobelpreis erhalten. Insgesamt sind Frauen in Politik und Wirtschaft unterrepräsentiert. Frauen und Mädchen werden gesellschaftlich gegenüber Männern benachteiligt (AA 24.4.2015).

 

Gewalt und sexuelle Übergriffe gegen Frauen sind in Indien in nahezu allen Landesteilen und quer durch alle gesellschaftlichen Schichten weiterhin ein großes Problem (AA 16.8.2016). Ein besonders brutales Verbrechen - die Vergewaltigung einer jungen Studentin mit Todesfolge (16.12.2012, verstorben am 23.12) - hat in der indischen Öffentlichkeit eine breite Diskussion zum Thema Frauenrechte, Gewalt gegen Frauen und sexuelle Selbstbestimmung ausgelöst. Themen wie Vergewaltigungen und sexuelle Belästigung werden offen diskutiert (AA 24.4.2015; vgl. auch: BICC 6.2016).

 

Ein Großteil sexueller Gewalt findet innerhalb der Familien statt (AA 16.8.2016). Das Gesetz schützt Frauen vor einigen Formen häuslicher Gewalt, darunter physischen, verbalen, emotionalen oder ökonomischen Missbrauch sowie die Androhung von Missbrauch. Das Gesetz erkennt das Recht von Frauen an, in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Gatten oder Partner zu leben, solange der Streit anhält. Frauen können aber auch auf Kosten des Partners in anderen Unterkünften untergebracht werden. Obwohl das Gesetz auch das Recht auf Unterstützung durch die Polizei, rechtliche Hilfe, Schutzunterkünfte und Zugang zu medizinischer Hilfe vorsieht, bleibt häusliche Gewalt ein ernstes Problem (USDOS 13.4.2016). Das Gesetz zum Schutz der Frauen gegen häusliche Gewalt (Protection of Women From Domestic Violence Act 2005) sieht Strafsanktionen vor und soll die Ehefrau neben häuslicher Gewalt auch vor dem Verlust ihres in die Familie des Mannes eingebrachten Vermögens und vor dem Verstoß aus dem Familienhaushalt schützen. Das Gesetz wurde aber erst von vier der 28 Unionsstaaten ratifiziert (ÖB 12.2016). Mangelhafte Rechtsdurchsetzung und Rechtsschutz sowie allgegenwärtige Korruption schränkten die Effektivität des Gesetzes ein (USDOS 13.4.2016). Die Polizei geht Anzeigen wegen häuslicher Gewalt mit Zurückhaltung nach. Es gibt einige Frauenhäuser, dazu NGOs, die hier aufklärerisch tätig sind. Die aktuelle Regierung plant, je ein Frauenhaus pro Distrikt (660) einzurichten (AA 24.4.2015; vgl. auch: USDOS 25.6.2015).

 

Vergewaltigung ist strafbar, außer Vergewaltigung in der Ehe, wenn die Frau älter als 15 Jahre ist (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016) und wird mit Haft von zwei Jahren bis lebenslang, einer Geldstrafe von 20.418 Rupien (US$ 306), oder beidem geahndet. Laut offizieller indischer Kriminalstatistik (National Crime Records Bureau -NCRB) kam es 2014 (dem letzten Jahr, zu dem Daten verfügbar sind) landesweit zu 36.735 Vergewaltigungsfällen. Dies bedeutet im Vergleich zu 2013 eine Steigerung von 8,9%. Vergewaltigung ist demnach das am stärksten steigende Verbrechen. Beobachter gehen davon aus, dass die Dunkelziffer höher ist und nicht alle Vergewaltigungen angezeigt werden (USDOS 13.4.2016).

 

In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen (BICC 6.2016), jedoch sind Rechtsdurchsetzung und legale Möglichkeiten für Vergewaltigungsopfer inadäquat, überlastet und außerstande das Problem effizient anzugehen. Polizisten versuchen manchmal eine Versöhnung zwischen Täter und Opfer herbeizuführen und haben in einigen Fällen Vergewaltigungsopfer dazu aufgefordert, den Täter zu heiraten. Im März 2016 brachte die Regierung neue Richtlinien für die Behandlung von Vergewaltigungsopfern heraus, die obligatorische forensische und medizinische Untersuchungen in gekennzeichneten Bereichen in Spitälern für Vergewaltigungsopfer festlegen und den sogenannten "zwei Finger Test" verbieten. Viele Gerichtsverfahren und Untersuchungen in Bezug auf frühere Vergewaltigungen sind nach wie vor anhängig (USDOS 13.4.2016).

 

Die Anzahl polizeilich registrierter Fälle von Verbrechen gegen Frauen (insgesamt 14 Tatbestände, von Vergewaltigung über Gewalt durch den Ehemann/Verwandte bis hin zu Mitgift-Nötigung) hat in den letzten Jahren beständig zugenommen. So registrierte das NCRB im Jahr 2014 insgesamt 337.922 derartiger Straftaten - somit gegenüber 2013 einen Zuwachs von über 9%. Es ist davon auszugehen, dass der Anstieg der Zahlen vor allem einem geänderten Anzeigeverhalten geschuldet ist. Über ein Drittel der Straftaten (insgesamt 122.877) entfielen 2014 auf den Straftatbestand "Grausamkeiten durch Ehemann oder dessen Angehörige". Hintergrund sind zumeist Mitgift(nach-)forderungen der Familie des Ehemannes (AA 16.8.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

 

Geschlechtsspezifische Abtreibung oder nachgeburtliche Tötung bleiben verbreitet. Das Geschlechterverhältnis ist entsprechend unausgewogen: 918 Mädchen zu 1.000 Jungen (Alter bis 6 Jahre, Zensus 2011). Diese Diskrepanz ist im Norden gravierender als im Süden, in den Städten deutlicher als auf dem Land. Sozioökonomische Ursache ist vor allem die zwar verbotene aber noch weithin praktizierte Mitgift-Tradition, eine oft gewaltige finanzielle Belastung für die Familie der Braut. Die pränatale Geschlechtsbestimmung ist zwar seit 1997 verboten, wird aber gleichwohl vorgenommen, vor allem in der Mittelschicht (AA 16.8.2016).

 

Trotz des seit 50 Jahren geltenden gesetzlichen Verbots ist das Brautgeld ein selbstverständlich von der Brautfamilie geleisteter und von der Familie des Bräutigams erwarteter finanzieller und materieller Transfer, häufig in der Höhe mehrerer Jahreseinkommen. Mitgift wird nicht selten durch Beleidigungen, Misshandlungen und Hausverweise eingefordert. In extremen Fällen werden die Frauen genötigt oder fallen einem Mitgiftmord zum Opfer, der oft als häuslicher Unfall, Verkehrsunfall oder Selbstmord getarnt wird. Bei Todesfällen verheirateter Frauen innerhalb von sieben Jahren nach Eheschließung besteht gesetzlich unterstellter pauschaler Verdacht für Mitgiftmord und somit polizeiliche Verpflichtung, den Todesfall spezifisch zu untersuchen (AA 16.8.2016).

 

Arrangierte Ehen sind auch bei städtisch und westlich geprägten Jugendlichen akzeptiert. Scheinehen mit dem Ziel der Erlangung eines Aufenthaltstitels im Ausland kommen in Visumverfahren regelmäßig vor (AA 16.8.2016).

 

Das für Hindus geltende Erb- und Familienrecht wurde im Jahr 2005 von diskriminierenden Klauseln befreit, so dass verheirateten Töchtern und Söhnen die gleichen Erbanteile zustehen. In der Praxis wird diese Regelung aber weiterhin nicht durchgehend beachtet und wird insbesondere von der ländlichen Bevölkerung de facto ignoriert. Witwen bleiben oft unversorgt und es kommt vor, dass sie von der Familie des Mannes verstoßen werden, ohne in ihre Ursprungsfamilie zurückkehren zu können. Die erbrechtlichen Regelungen für Muslime sehen vor, dass die Erbanteile der Töchter grundsätzlich nur halb so groß sind wie die der Söhne. Die nach islamischem Recht gegebene Möglichkeit der Scheidung durch dreifache Lossagung (talaq) des Ehemanns von seiner Frau besteht fort. Bei familienrechtlichen Streitfällen vor örtlichen Gerichten werden Frauen oft gar nicht angehört, z.B. weil die Verhandlung in einer Moschee stattfindet, zu der Frauen keinen Zutritt haben (AA 16.8.2016).

 

Frauen in Krisengebieten wie in Jammu und Kaschmir, im Nordosten, Jharkhand und Chhattisgarh sowie vulnerable Dalit- oder Stammesfrauen sind oft Opfer von Vergewaltigungen oder Bedrohungen mit Vergewaltigung ausgesetzt. Laut der nationalen Kriminalstatistik werden - verglichen mit anderen Kastenzugehörigkeiten - die meisten Vergewaltigungen gegen Dalit Frauen verübt (USDOS 13.4.2016).

 

Auch im Rahmen der Religionsausübung wird Gewalt gegen Frauen ausgeübt. Nach glaubhaften Angaben indischer NGOs werden - trotz gesetzlicher Verbote - jährlich bis zu 15.000 meist noch sehr junge Mädchen, oft mit Dalit-Hintergrund, als "Devadasis" einem Tempel geweiht oder mit einer Gottheit "verheiratet" und de facto zur Prostitution im Tempel gezwungen. Das Oberste Gericht Indiens kritisierte im Februar 2016, dass einige Bundesstaten - v.a. Karnataka, Maharashtra, Andhra Pradesh und Tamil Nadu - nicht ausreichend gegen die Devadasi-Praxis vorgingen (AA 16.8.2016).

 

Es gibt kein nationales Gesetz, dass sich mit weiblicher Genitalverstümmelung befasst. Menschenrechtsorganisationen zufolge wird weibliche Genitalverstümmelung von 70% bis 90% der Dawoodi Bohra Muslimen praktiziert. Deren Zahl wird auf eine Million geschätzt, die sich auf die Bundesstaaten Maharashtra, Gujarat, Madhya, Pradesh und Rajasthan verteilt. Eine Gruppe von 17 Dawood Bohra Frauen hat auf social networking Sites von der Regierung ein Verbot dieser Praxis gefordert (USDOS 13.4.2016).

 

18.2. Kinder

 

Die Verfassung verbrieft das Recht der Kinder auf eine gesunde Entwicklung in Freiheit und Würde und auf Schutz vor Ausbeutung sowie moralischer und materieller Vernachlässigung. Gleichwohl bleibt die Lebenswirklichkeit von vielen Kindern in Indien schwierig, besonders für Mädchen: Schulabbrüche, Unterernährung, Kinder- und Zwangsarbeit sind - vor allem auf dem Land - keine Ausnahmeerscheinungen. Auch Gewalt gegen Kinder bleibt ein verbreitetes Phänomen in Indien - vor allem im familiären, aber auch im schulischen Umfeld. Noch 2007 wurden rund die Hälfte aller Kinder in Indien gemäß einer Studie des zuständigen Ministeriums Opfer sexuellen Missbrauchs - Beobachter gehen davon aus, dass sich die Situation trotz Aufklärungskampagnen und gesetzlichen Maßnahmen nicht wesentlich verbessert hat (AA 16.8.2016). Die Vergabe des Friedensnobelpreises 2014 an den Aktivisten Kailash Satyarthi stellt die Tatsache, dass noch immer Millionen von Kindern in Indien unter schlimmsten Verhältnissen arbeiten müssen ins Rampenlicht (HRW 29.1.2015).

 

Die Verfassung garantiert freie Bildung für Kinder von sechs bis 14 Jahre, aber die Regierung kann diese Anforderungen nicht immer erfüllen (USDOS 13.4.2016). Zwar hat Indien in Bezug auf Zugang zu Bildung seit der Einführung des "Right to Education Act" im Mai 2010 (Schulpflicht 6.-14. Lebensjahr) bedeutende Fortschritte gemacht (AA 16.8.2016), jedoch sind Kinder aus vulnerablen Gemeinden - besonders der Dalits und Stammesgruppen - Diskriminierung ausgesetzt (HRW 21.1.2014). Es gibt zahlreiche Berichte über Schulen, die unterprivilegierten Schülern die Zulassung verweigern. NGO-Quellen zufolge, besucht weniger als die Hälfte der unterprivilegierten Kinder im Alter zwischen sechs und 14 Jahren die Schule (USDOS 13.4.2016). Statistiken der Regierung zufolge brechen zwei von fünf Kindern die Schule vor Abschluss der achten Klasse ab, wobei die Zahlen für Kinder aus armen und ausgegrenzten Gemeinden aufgrund der Diskriminierung wegen Kasten- Religions- und ethnischer Zugehörigkeit noch höher sind. Diejenigen, die die Schule vorzeitig abbrechen, enden oft in Kinderarbeit und früher Heirat (HRW 27.1.2016).

 

Mädchen sind besonders benachteiligt. Analphabetismus ist bei ihnen deutlich weiter verbreitet als bei Jungen (AA 24.4.2015). Dem von der NGO Pratham veröffentlichten jährlichen Erziehungsbericht aus dem Jahr 2013 zufolge haben nur 70% der eingeschriebenen Mädchen auch tatsächlich die Grundschule besucht, wobei die Rate in einigen Bundesstaaten bei unter 60% lag. Mädchen im Alter von 11 - 14 Jahren waren meistens nicht eingeschrieben (USDOS 13.4.2016). Eine der wichtigsten Ursachen neben dem Heranziehen der Mädchen zu Haus- und Feldarbeit ist das niedrige Heiratsalter (AA 24.4.2015). So werden z. B. laut der NGO "Children's Investment Fund Foundation" rund ein Drittel aller Mädchen in Indien trotz gesetzlichen Verbots unter 18 Jahren verheiratet (AA 16.8.2016). Eine Verheiratung von Mädchen im Alter von 15 Jahren und darunter ist auf dem Lande keine Ausnahmeerscheinung. Alle diese Mädchen sind dem Bildungswesen und dem Arbeitsmarkt entzogen. Seit 2006 gibt es Bestimmungen zum Mindestalter bei der Heirat: 18 Jahre für Frauen, 21 Jahre für Männer. Minderjährigen-Ehen sind jedoch nicht automatisch nichtig, sondern lediglich (bis zum Erreichen des Heiratsalters) aufhebbar. Antragsberechtigt sind allerdings nur der minderjährige Ehepartner bzw. die Eltern. Da es sich um arrangierte Ehen handelt, werden solche Delikte nicht zur Anzeige gebracht. Die Eltern dieser Kinder bleiben unterhaltspflichtig bis zum gesetzlichen Heiratsalter der betroffenen Kinder; Priester und lokale Beamte, die solche Heiraten zugelassen bzw. registriert haben, können strafrechtlich verfolgt werden. In der dörflichen Gemeinschaft gelten solche Paare als rechtswirksam verheiratet (AA 24.4.2015).

 

Indien ist nach wie vor das Land mit den meisten Kinderarbeitern weltweit (AA 16.8.2016), sie ist gesellschaftlich und auch politisch akzeptiert. Besonders häufig ist Kinderarbeit im Hindugürtel Nordindiens sowie in Rajasthan und Madhya Pradesh. Das Gesetz über Verbote und Vorschriften für Kinderarbeit (Child Labour Prohibition and Regulation Act, 1984) stellt die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren lediglich in "gefährlichen Betrieben" unter Strafe. Solche Betriebe finden sich in der Leder- und Textilindustrie und der Glasproduktion sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe (AA 24.4.2015). Nach offiziellen Zahlen arbeiten rund 10 Millionen Kinder im Alter zwischen 5 und 14 Jahren; in der Kategorie bis 18 Jahren sind es insgesamt 33 Millionen (Zensus 2011). Trotz gesetzlicher Verschärfungen und intensiver Bemühungen von Staat und Zivilgesellschaft, Kinderarbeit zu bekämpfen, gab es im Vergleich zum letzten Zensus 2001 eine drastische Zunahme bei den Fünf- bis Neunjährigen. Kinder werden in Indien vor allem zu besonders gefährdeten Tätigkeiten eingesetzt, z.B. in Steinbrüchen; auch heute noch in faktischer Leibeigenschaft. Kinderprostitution ist weit verbreitet. Kinder werden aus materieller Not verkauft, aber es kommt auch zu Entführungen (AA 16.8.2016; vgl. auch: BBC 2.2.2014). Tausende Kinder bleiben weiterhin vermisst, viele von ihnen werden innerhalb oder außerhalb des Landes geschmuggelt (HRW 21.1.2014). Die betroffenen Kinder stammen zumeist aus den ärmsten Bundesstaaten (AA 16.8.2016). Im Rahmen des Nationalen Kinderarbeitsprojekts (National Child Labour Project, NCPL), mit dem die Regierung seit 1988 versucht, der Kinderarbeit zu begegnen, stehen für Kinder, die aus ihren Arbeitsverhältnissen ausscheiden, etwa 7.300 Sonderschulen des Ministeriums für Arbeit und Beschäftigung offen. Eine auf gesetzlicher Grundlage eingesetzte Kinderrechtskommission soll den zugunsten der Kinder bestehenden Rechtsvorschriften Geltung verschaffen (AA 24.4.2015).

 

Ende Mai 2016 trat das reformierte Jugendstrafrecht (Juvenile Justice Act) in Kraft, demnach Kinder zwischen 16 und 18 Jahren bei "besonders abscheulichen" Verbrechen wie z. B. Vergewaltigung als Erwachsene strafverfolgt werden können (AA 16.8.2016).

 

Zahlen zu Personen unter 18 Jahren in den Streitkräften dienen, liegen nicht vor. Schätzungen von NGOs zufolge werden mindestens

2.500 bewaffnete Kinder den Rebellengruppen in den Maoistengebieten zugeordnet. Es gibt Vorwürfe, wonach von der Regierung unterstützte Anti-Maoistische Dorfstreitkräfte Kinder rekrutieren und auch bewaffnete aufständische Gruppen, einschließlich der Maoisten in den nordöstlichen Staaten sowie islamistische Gruppen in Jammu und Kaschmir Kinder einsetzen. Dem indischen Innenministerium zufolge haben maoistische Gruppen Jungen und Mädchen im Alter von sechs bis 12 Jahren zu speziellen Kindereinheiten (Bal Dasta und Bal Sangham) in Bihar, Jharkhand, Chhattisgarh und Odisha zwangsrekrutiert und zu Kampf- und nachrichtendienstlichen Tätigkeiten herangezogen. Aufständische bilden Kinder auch als Spione und Kuriere sowie zum Waffeneinsatz, Informationsbeschaffung und Sprengstoffschmuggel. Regierungsquellen zufolge werden Kinder von Maoisten als menschliche Schutzschilde bei Auseinandersetzungen mit Regierungskräften verwendet (USDOS 13.4.2016).

 

18.3. Homosexuelle

 

[..]

 

19. Bewegungsfreiheit

 

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 13.4.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 16.8.2016).

 

Die Regierung lockerte Einschränkungen in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Burma. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen. Die Sicherheitskräfte untersuchen Wagen und deren Inhaber bei Checkpoints im Kaschmirtal, vor öffentlichen Veranstaltungen in Neu Delhi oder nach großen terroristischen Angriffen (USDOS 13.4.2016).

 

Die Regierung darf die legale Ausstellung eines Passes, an einen Anwärter, von dem geglaubt wird, dass er in Aktivitäten außerhalb des Landes verwickelt ist, die "schädlich für die Souveränität und Integrität der Nation" sind, verweigern Bürger von Jammu und Kaschmir sind auch weiterhin mit massiven Verzögerungen bei der Ausstellung eines Passes konfrontiert, oft dauert es bis zu zwei Jahre, bis ihnen das Außenministerium einen Pass ausstellt oder erneuert. Die Regierung setzt Antragsteller - geboren in Jammu und Kaschmir -, darunter auch Kinder von Militäroffizieren Berichten zufolge zusätzlichen Kontrollen aus, bevor sie einen Pass erhalten (USDOS 16.8.2016).

 

Mit dem geplanten Datenverbundsystem für die zentralen Sicherheitsbehörden und die Unionsstaaten, Crime and Criminal Tracking Network System (CCTNS), soll künftig ein Informationsaustausch auf allen Ebenen gewährleistet sein. Für 2012 war eine Anbindung von 15.000 Polizeistationen und 6.000 übergeordneten Stellen vorgesehen. Die Umsetzung des ambitionierten Vorhabens liegt jedoch weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan (AA 3.3.2014).

 

Indien ist das siebtgrößte Land der Erde mit über einer Milliarde Einwohnern (ÖB 12.2016). Es ist davon auszugehen, dass Betroffene sich durch Flucht in einen anderen Landesteil jeglicher Art der privaten/halbstaatlichen Probleme entziehen können, da nicht davon auszugehen ist, dass über das Dorf hinaus Anwohner oder lokale Behörden Hinweise erhalten oder recherchieren können oder sich überhaupt dafür interessieren, was ein Zugezogener in der Vergangenheit gemacht haben könnte. Es fehlen jegliche zentrale Aktenführung oder Informationsaustausch. Es bedarf lediglich eines sehr einfachen, öffentlichen Namensänderungsverfahrens, um seine Identität zu verschleiern (AA 3.3.2014).

 

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, so dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 16.8.2016). Ob der Betreffende nach der Umsiedlung dort die Möglichkeit hat, sich ein wirtschaftliches Auskommen zu verschaffen, hängt ausschließlich von seiner Eigeninitiative ab (AA 3.3.2014).

 

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, so dass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten ("high profile" persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen ("low profile" people) (ÖB 12.2016).

 

19.1. Meldewesen

 

Es gibt kein Meldewesen in Indien (AA 16.8.2016).

 

20. IDPs und Flüchtlinge

 

Indien ist ein wichtiges Aufenthaltsland, hat allerdings die VN-Konvention über die Anerkennung von Flüchtlingen von 1951 und das Protokoll von 1967 nicht unterzeichnet und gewährt ausländischen Flüchtlingen in der Regel keinen besonderen Status. Besondere Gesetze zum Status von Flüchtlingen gibt es nicht (AA 16.8.2016). Das Land beherbergt eine große Flüchtlingszahl, inklusive 150.000 tibetischer Flüchtlinge und dabei, insbesondere auch den Dalai Lama (UNHCR 13.4.2016). Indien behandelt Flüchtlinge je nach Nationalität unterschiedlich. Es gewährt Tibetern und Tamilen aus Sri Lanka grundsätzlich Schutz - in der Regel durch indische Passersatzpapiere (Certificate of Identity), die mit einem dauernden Bleiberecht verbunden sind. Nepalesen können frei nach Indien einreisen und genießen mit Ausweispapieren nach dem Freundschaftsvertrag beider Länder von 1950 Rechte, die mit denen indischer Bürger vergleichbar sind. Nach einem 2007 aktualisierten Abkommen von 1949 mit Bhutan erhalten dessen Staatsangehörige eine Aufenthaltsberechtigung in Indien und viele Rechte, die indischen Staatsangehörigen zustehen. Als Asylberechtigte anerkannte myanmarische und afghanische Staatsangehörige erhalten ein UNHCR-Dokument, das sie als anerkannte Flüchtlinge ausweist, sowie eine indische Aufenthaltserlaubnis. Staatsangehörige anderer Nationen, die durch UNHCR als Asylberechtigte anerkannt werden, erhalten ebenfalls ein UNHCR-Dokument, das sie als Asylberechtigte ausweist, jedoch keine Aufenthaltserlaubnis. Hinduistische Afghanen mit mindestens 12-jähriger Aufenthaltsdauer in Indien werden besonders ermutigt, die indische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Eine größere Anzahl lebt gut integriert in der Hauptstadt (AA 16.8.2016)

 

Die Regierung kooperierte im Allgemeinen mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen, in dem sie Schutz und Hilfe, für ausgewählte IDPs, Flüchtlinge, zurückkehrende Flüchtlinge, Asylwerber, staatlose Personen und andere betroffene Personen anbietet (USDOS 13.4.2016). UNHCR hat keinen formalen Status in Indien. Zwar wird den UNHCR-Mitarbeitern Zugang zu Flüchtlingen in den städtischen Gebieten gewährt, aber der weit wichtigere Zugang zu den staatlichen Flüchtlingslagern, außer in Tamil Nadu, wird ihnen verwehrt (AA 16.8.2016).

 

Grundsätzlich kann jeder Flüchtling nach 12-jährigem Aufenthalt in Indien indischer Staatsangehöriger werden. Der Großteil der Tibeter lehnt dies jedoch ab, getragen von der Hoffnung, eines Tages in die Heimat zurückzukehren. Indien teilt den Flüchtlingen Siedlungsgebiete zu, Afghanen erhielten Land in Lajpat Nagar in Delhi. Schon aufgrund der religiösen Verwandtschaft werden diese Flüchtlinge nicht nur toleriert sondern in die indische Gesellschaft integriert und dort akzeptiert. Gerade tibetische Flüchtlinge haben mit Hilfe von NGOs (teils mit ausländischer Unterstützung) sowie Bemühungen der tibetischen Exilregierung und Institutionen Möglichkeiten zur Schul-/Berufsausbildung sowie Zugang zu Startkapital und sind dementsprechend wirtschaftlich aktiv. Nach Erfahrungen der Deutschen Botschaft Neu Delhi handelt es sich bei in Deutschland asylsuchenden Tibetern oft nicht um Personen, die aktuell aus Tibet geflohen sind, sondern um Personen, die schon seit längerer Zeit in Indien gelebt haben (AA 16.8.2016).

 

Bezugnehmend auf Statistiken des International Displacement Monitoring Centre (IDMC) vertrieben langdauernde regionale Konflikte mindestens 616.140 Personen, inklusive 221.090 Hindus aus dem Kaschmir, die durch regierungsfeindliche Aufständische vertrieben wurden. Die Schätzungen der genauen Zahl der Vertriebenen aufgrund von Konflikt oder Gewalt sind schwierig, da keine Zentralregierungsbehörde verantwortlich für die Überwachung der Zahlen derer ist, die vertrieben worden sind. Humanitäre- und Menschenrechtsorganisationen haben eingeschränkten Zugang zu den Lagern und den betroffenen Regionen von Vertriebenen. Während die Bewohner von IDP Camps registriert werden, hält sich eine unbekannte Anzahl von IDPs außerhalb der Camps auf. Viele IDPs haben unzureichenden Zugang zu Nahrung, sauberem Wasser, Unterkunft und Gesundheitsvorsorge. Schätzungen über die Anzahl der Eingeborenen, die aufgrund des Aufruhrs in Chhattisgarh vertrieben wurden, variieren. IDMC schätzt, die Zahl der IDPs in Chhattisgarh auf 50.000, in Telangana auf 13.820 und in Andhra Pradesh auf 6.240 Personen (USDOS 13.4.2016).

 

21. Grundversorgung/Wirtschaft

 

Indiens Wirtschaft hat sich zuletzt erholt und an Dynamik gewonnen. Indien zählt nach wie vor zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt. Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2015/2016 bei 7,6% (AA 9 .2016).

 

Das Land hat eine aufstrebende urbane Mittelschicht. Die große Zahl an Facharbeitskräften macht es zu einem beliebten Ziel für internationale Firmen, die versuchen ihre Arbeit auszulagern. Der Großteil der ländlichen Bevölkerung ist weiterhin arm, da deren Leben auch weiterhin durch das altertümliche Hindukastensystem beeinflusst wird, welches jeder Person einen Platz in der sozialen Hierarchie zuweist (BBC 27.9.2016)

 

Das hohe Wachstum der Jahre bis 2011 hat die regionalen Entwicklungsunterschiede auf dem Subkontinent und das zunehmende Einkommensgefälle zwischen der expandierenden städtischen Mittelschicht und der überwiegend armen Bevölkerung auf dem Lande, wo noch knapp 70% aller Inder leben, schärfer hervortreten lassen. Ende September 2014 verkündete Premierminister Modi die "Make in India" Kampagne und rief ausländische Investoren dazu auf, in Indien bei verbesserten Investitionsbedingungen zu produzieren. Zur Ankurbelung der weiteren Industrialisierung werden groß angelegte Infrastrukturprojekte verfolgt. Auch im Bereich Schiene, den Häfen und im Luftverkehr sind erhebliche Investitionen nötig und geplant. Wachstum und Wohlstand verdankt Indien vor allem dem Dienstleistungssektor mit einem Anteil von über 53% am BIP. Hiervon profitiert aber bei einem Beschäftigungsanteil von etwa 30% nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Zur Überwindung der Massenarmut sollen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, vor allem auch für nicht oder gering qualifizierte Kräfte (AA 9 .2016).

 

Indien hat eine Erwerbsbevölkerung von 404,5 Millionen, von welchen 43 Millionen im formellen Sektor und 361 Millionen im informellen Sektor arbeiten, wo sie weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert sind, noch Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung haben (AA 9 .2016). Der Hauptteil der Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, sind im privaten Sektor tätig (BAMF 12.2015). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 17,4% (2015/16) der Gesamtwirtschaft, obgleich rund 50% der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind (AA 9 .2016).

 

Die Regierung hat überall im Land mehr als 900 Arbeitsagenturen (Employment Exchanges) eingeführt um die Einstellung geeigneter Kandidaten zu erleichtern. Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle im Regierungssekte frei ist. Das MGNREGA Gesetz (Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act) ist ein Arbeitsgarantieprogramm. Erwachsenen eines ländlichen Haushalts, welche gewillt sind Handwerksarbeit zum Mindestlohn zu verrichten, wird hierdurch eine gesetzliche Jobgarantie für 100 Tage im Jahr gewährt. Das Kommissariat oder Direktorat der Industrie (The Commissionerates or Directorates of Industries) bieten Hilfe bei der Geschäftsgründung in den verschiedenen Staaten. Einige Regierungen bieten Arbeitslosenhilfe für Personen, die bereits mehr als drei Jahre bei der Stellenbörse registriert sind (BAMF 12.2015)

 

Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 1.313 Euro. Etwa 30% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze von 1 USD pro Kopf und Tag. Rund 70% haben weniger als 2 USD pro Tag zur Verfügung. Auf dem Human Development Index des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme - UNDP) steht Indien auf Platz 135 unter 187 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika. Gleichzeitig konnten in den letzten beiden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in Indien der Armut entkommen (AA 9 .2016).

 

In Indien haben derzeit von 400 Millionen Arbeitskräften nur etwa 35 Millionen Zugang zum offiziellen Sozialen Sicherungssystem in Form einer Altersrentenabsicherung. Dies schließt Arbeiter des privaten Sektors, Beamte, Militärpersonal und Arbeitnehmer von Unternehmen des staatlich öffentlichen Sektors ein (BAMF 8.2014). Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zu meist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an welche sich jedoch an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (BAMF 12.2015).

 

Die Arbeitnehmerrentenversicherung ist verpflichtend und mit der Arbeit verknüpft. Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmer ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 12.2015).

 

Etwa ein Viertel der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen. Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 16.8.2016).

 

Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar ID Nummer ausgestellt. Obwohl diese nicht verpflichtend ist, gaben Beamte an, dass der Nichtbesitz den Zugang zur Staatshilfe limitieren werden könnte (FH 3.10.2013). Die unverwechselbare Identitätsnummer ermöglicht es beispielsweise, dass staatliche Zuschüsse direkt an den Verbraucher übermittelt werden. Anstatt diese auf ein Bankkonto zu senden, wird sie an die unverwechselbare Identitätsnummer überwiesen, die mit der Bank verbunden ist und geht so an das entsprechende Bankkonto. 750 Millionen Inder haben derzeit eine derartige Identitätsnummer, ca. 130 Millionen haben diese auch mit ihrem Bankkonto verknüpft (International Business Times, 2.2.2015).

 

Die Identifizierungsbehörde Indiens wurde eingerichtet, um die rechtliche und technische Infrastruktur zu schaffen, die notwendig ist, um allen indischen Einwohnern eine 12-stellige Identitätsnummer (UID) auszustellen, die online überprüft werden können. Dieses Projekt soll gefälschte und doppelte Identitäten ausschließen. Das neue Identitätssystem wird mit Fotos, demographischen und biometrischen Details (Fingerabdrücke und IrisBild) verbunden. Der Erwerb einer UID ist freiwillig und kostenlos. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, sich registrieren zu lassen (UK Home Office 2.2015).

 

Da die im Rahmen des UID bzw. Aadhaar Projektes gesammelten Daten nicht in das nationale Bevölkerungsregister (NPR) integriert werden, stellt dieses jedoch nur eine bloße Auflistung von Namen und demographischen Details dar. Bisher wurden 1,04 Milliarden Aadhaar Nummern generiert, mit dem Plan der vollständigen Erfassung der Bevölkerung bis März 2017. Die zuständige Behörde für die einheitliche Identifikationsnummer weigert sich, die gesammelten Daten an das für das Bevölkerungsregister zuständige Innenministerium weiterzuleiten, da sie aufgrund des im Juli 2016 verabschiedeten Gesetzes von einem Datenaustausch ausgeschlossen ist (HT 8.8.2016).

 

22. Medizinische Versorgung

 

Die Struktur von Indiens Gesundheitssystems ist vielseitig. Nach der indischen Verfassung haben die verschiedenen Staaten die Leitung über die meisten Aspekte des Gesundheitswesens, inklusive öffentlicher Gesundheit und Krankenhäuser. Rund 80% der Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens kommt von den Staaten (BAMF 12.2015).

 

Die gesundheitliche Grundversorgung wird vom Staat kostenfrei gewährt. Sie ist aber durchweg unzureichend (AA 16.8.2016) und schließt keine kostenfreie Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung ein (BAMF 8.2014). Staatliche Krankenhäuser bieten Gesundheitsversorgung kostenfrei oder zu sehr geringen Kosten (BAMF 12.2015).

 

Staatliche Gesundheitszentren bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Dies sind meist Ein-Mann-Kliniken, die auch kleine Operationen anbieten. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Insgesamt gibt es mehr als 23.000 solcher Kliniken in Indien. Gemeindegesundheitszentren (Community Health Centres) sind als Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden verfügbar. Taluk Krankenhäuser werden von der Regierung und dem zuständigen Taluk [Anmerkung: Verwaltungseinheit] betrieben Bezirkskrankenhäuser (District level hospitals) und spezialisierte Kliniken sind für alle möglichen Gesundheitsfragen ausgestattet (BAMF 12.2015).

 

Der private Sektor hat ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der Gesundheitsversorgung. (BAMF 12.2015) und da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Sektors sehr stark ist, weichen viele für eine bessere oder schnellere Behandlung auf private Anbieter aus. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen der fortschrittlicheren Infrastruktur und des qualifizierteren Personals einen besseren Ruf. In allen größeren Städten gibt es medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Behandlungen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich (AA 16.8.2016). Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten einen Standard, der dem westlicher Industriestaaten vergleichbar ist. Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 16.8.2016). Private Gesundheitsversorgung ist vergleichbar teuer und den Großteil der Kosten zahlen die Patienten und deren Familien selbst. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personenausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN, driving license) (BAMF 12.2015).

 

Mehrere Versicherungsgesellschaften bieten eine Krankenversicherung an, die bestimmte medizinische Kosten abdeckt, unter anderen auch stationären Krankenhausaufenthalt. Die Abdeckung variiert je nach Versicherungspolizze (BAMF 8.2014). Die staatliche Krankenversicherung (Universal Health Insurance Scheme) erfasst nur indische Staatsbürger unterhalb der Armutsgrenze. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben. Bekannte Versicherer sind General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa etc. Zudem gibt es viele wohltätige Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (BAMF 12.2015).

 

In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 16.8.2016). Medikamentenläden sind in Indien zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden. (BAMF 12.2015). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 16.8.2016). Die Kosten für die notwendigsten Medikamente staatlich kontrolliert, sodass diese weitreichend erhältlich sind (BAMF 12.2015).

 

23. Rückkehr

 

Allein die Tatsache, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung. In den letzten Jahren hatten indische Asylbewerber, die in ihr Heimatland abgeschoben wurden, grundsätzlich - abgesehen von einer intensiven Prüfung der (Ersatz-) Reisedokumente und einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden - keine Probleme. Polizeilich gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (AA 16.8.2016). Die indische Regierung hat kein Reintegrationsprogramm und bietet auch sonst keine finanzielle oder administrative Unterstützung für Rückkehrer (BAMF 12.2015).

 

23.1. Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)

 

[...]

 

24. Dokumente

 

Echtheit der Dokumente

 

Der Zugang zu gefälschten Dokumenten oder echten Dokumenten falschen Inhalts ist leicht. Gegen entsprechende Zahlungen sind viele Dokumente zu erhalten. Erleichtert wird der Zugang überdies durch die Möglichkeit, Namen ohne größeren Aufwand zu ändern. Angesichts der Unzuverlässigkeit des Urkundenwesens werden indische öffentliche Urkunden seit dem Jahr 2000 von den deutschen Auslandsvertretungen nicht mehr legalisiert (AA 16.8.2016).

 

Echte Dokumente unwahren Inhalts

 

Echte Dokumente unwahren Inhalts sind problemlos (gegen entsprechende Zahlungen oder als Gefälligkeit) erhältlich. Bei Personenstandsurkunden handelt es sich dabei um echte Urkunden falschen Inhalts, bei Gerichtsentscheidungen (z.B. Scheidung, Sorge) um echte Urteile, die jedoch aufgrund erfundener Sachverhalte und ohne Einhaltung grundlegender Verfahrenserfordernisse (rechtliches Gehör, Interessenabwägung, Begründung) ergehen (AA 16.8.2016).

 

Zugang zu gefälschten Dokumenten

 

Der deutschen Botschaft New Delhi werden im Rahmen laufender Asylverfahren nur sehr selten Unterlagen zur Überprüfung vorgelegt. In der Vergangenheit haben sich Dokumente im Zusammenhang mit Strafsachen und Fahndung sowie dazugehörige Eidesstattliche Versicherungen (affidavits) auch als falsch oder gefälscht herausgestellt. Die Überprüfung der Echtheit von Haftbefehlen gestaltet sich schwierig. Vorgelegte Dokumente ("Warrant of Arrest", "First Investigation Report", Bestätigungsschreiben von Rechtsanwälten, "Affidavits" von Dorfvorstehern oder Angehörigen) stellen sich bei Überprüfung häufig als gefälscht heraus. Überprüfungen im Asylverfahren ergeben häufig, dass weder der Sachvortrag noch die Identität des Betreffenden bestätigt werden kann (AA 16.8.2016)."

 

Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Vorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin unglaubwürdig seien und wurde auf Widersprüche zwischen den Angaben des Erstbeschwerdeführers und jenen der Zweitbeschwerdeführerin verwiesen.

 

1.8. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19.10.2018 fristgerecht gleichlautende Beschwerden.

 

1.9. Mit hg. Beschlüssen vom 05.11.2018, Zahlen W220 2208447-1/2Z, W220 2208452-1/2Z, W220 2208448-1/2Z, W2208450-1/2Z wurde den Beschwerden gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

2. Feststellungen:

 

2.1. Die Beschwerdeführer führen die im Spruch genannten Namen, sind Staatsbürger Indiens, Angehörige der Volksgruppe der Rajputen und des hinduistischen Glaubens. Ihre Muttersprache ist Punjabi. Ihre Identität steht fest.

 

2.2. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer reisten mit einem Visum der Kategorie B per Flugzeug legal in das Bundesgebiet ein und stellten hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Viertbeschwerdeführer wurde im Bundesgebiet geboren.

 

2.3. Der Erstbeschwerdeführer war im Herkunftsstaat berufstätig. Die Zweitbeschwerdeführerin war Hausfrau. Beide befinden sich im arbeitsfähigen Alter.

 

Im Herkunftsstaat leben weiterhin die Eltern und Geschwister des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin sowie weitere Verwandte.

 

2.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern in Indien eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht. Das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers, auf welches auch die anderen Beschwerdeführer ihren Antrag stützen, kann den Feststellungen mangels Glaubwürdigkeit nicht zugrunde gelegt werden. Im Falle einer Verfolgung stünde den Beschwerdeführern in Indien eine innerstaatliche Schutz- bzw. Fluchtalternative offen.

 

2.5. Die Beschwerdeführer verfügen im Bundesgebiet über keinerlei Familienangehörige oder intensive soziale Kontakte. Sie sind nicht Mitglieder in Vereinen. Sie beziehen Leistungen aus der Grundversorgung. Der Erstbeschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1, die Zweitbeschwerdeführerin verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2. Ein schützenswertes Privatleben in Österreich liegt nicht vor.

 

2.6. Die Beschwerdeführer sind gesund.

 

2.7. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin machten im Zuge ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung falsche Angaben zu ihren Namen und ihren Geburtsdaten sowie zu jenem des Drittbeschwerdeführers, welche nach amtswegiger Einsichtnahme in das VIS aufgrund von Treffern der Fingerabdrücke korrigiert wurden.

 

2.8. Zum Herkunftsstaat wird auf die oben wiedergegebenen Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl verwiesen.

 

3. Beweiswürdigung:

 

3.1. Die Staatsangehörigkeit, Herkunft und Identitäten der Beschwerdeführer werden aufgrund der im Akt einliegenden Visaanträge (Akt BF1, AS 63 ff; Akt BF2, AS 53 ff; Akt BF3, AS 31 ff) bzw. aufgrund der vorgelegten Geburtsurkunde des Viertbeschwerdeführers (Akt BF4, AS 3) festgestellt. Die Feststellung zur Muttersprache der Beschwerdeführer basiert auf ihren Angaben im Verfahren in Zusammenschau mit ihren tatsächlichen Sprachkenntnissen.

 

3.2. Ebenso basieren die Feststellungen zur Einreise des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin und des Drittbeschwerdeführers auf den im Akt einliegenden Visaanträgen in Zusammenschau mit amtswegig eingeholten Auszügen aus dem VIS. Die Feststellung, dass der Viertbeschwerdeführer im Bundesgebiet geboren wurde, wird gleichfalls aufgrund der vorgelegten Geburtsurkunde getroffen.

 

3.3. Die Feststellungen über die allgemeine Lebenssituation der Beschwerdeführer und ihre Familienangehörigen im Herkunftsstaat beruhen auf den übereinstimmenden Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren. Aufgrund der mit dem Visaantrag vorgelegten Unterlagen des Erstbeschwerdeführers kann festgestellt werden, dass dieser im Herkunftsstaat berufstätig war (Akt BF1, AS 103 ff).

 

3.4. Hinsichtlich der im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten Ausreisemotive der Beschwerdeführer gelangt auch das erkennende Gericht in Übereinstimmung mit der diesbezüglichen Beurteilung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführer eine bestehende Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht glaubhaft machen konnten:

 

Zunächst ist dem Bundesamt zuzustimmen, wenn es ausführt, es beeinträchtige die Glaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, wenn diese bei ihrer Erstbefragung versucht hätten, sowohl über ihre Identität als auch über jene ihres Sohnes zu täuschen (siehe dazu Punkt 3.7.).

 

Die Zweitbeschwerdeführerin sowie der minderjährige Drittbeschwerdeführer und der minderjährige Viertbeschwerdeführer stützten ihren Antrag maßgeblich auf das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers. Dieser gab in der Erstbefragung an, er sei Sympathisant der "SIV Sena Partei" und sei von den Mitgliedern der "Congress Party" mit dem Umbringen bedroht und verfolgt worden. Mitte 2016 sei er sogar attackiert und verletzt worden. Er habe Angst um das Leben seiner Familie und seien auch Drohungen gegen seine Frau und seinen Sohn ausgesprochen worden (EB BF1 09.08.2016, Akt BF1, AS 9). Auch in der Einvernahme vom 11.09.2018 gab der Erstbeschwerdeführer an, er habe bei der Partei "SIV Sena" gearbeitet. Eine andere Partei habe gewollt, dass der Erstbeschwerdeführer zu ihnen wechsle. Er habe abgelehnt. Zwei Jahre lang sei nichts passiert, danach sei er verfolgt worden (EV BF1 11.09.2018, Akt BF1, AS 145).

 

Das Bundesamt zeigte zutreffend auf, dass das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers in Zusammenschau mit den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin zahlreiche Widersprüche aufweist und daher in einer Gesamtschau als unglaubwürdig zu beurteilen ist.

 

So gab der Erstbeschwerdeführer zu den Verfolgungshandlungen, die die andere Partei gesetzt habe, an, Männer seien zu ihnen nach Hause gekommen und hätten Kot vor die Türe geschmissen (EV BF1 11.09.2018, Akt BF1, AS 145). Er habe diese Männer persönlich gesehen und auch seine Frau habe sie gesehen (EV BF1 11.09.2018, Akt BF1, AS 147). Auf weitere Nachfrage brachte er schließlich vor, seine Frau habe die Männer nicht gesehen, nur das Sackerl, das abgelegt gewesen sei bzw. den Kot, den sie geworfen hätten (EV BF1 11.09.2018, Akt BF1, AS 149). Diesen Angaben des Erstbeschwerdeführers widersprechen die Aussagen der Zweitbeschwerdeführerin, welche ausdrücklich Anschläge auf ihr Haus verneinte (EV BF2 11.09.2018, Akt BF2 AS 109). Sie gab auch an, sie hätte niemals mitbekommen, dass fremde Männer oder Unbekannte Kot oder Plastiksäcke mit Kot auf ihr Haus, ihr Grundstück oder vor ihre Haustüre geworfen hätten und habe sie solche Sachen auch nie wegräumen müssen (EV BF2 11.09.2018, Akt BF2, AS 111, 117). Die Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin stehen somit in unauflöslichem Widerspruch.

 

Der Erstbeschwerdeführer gab in diesem Zusammenhang ebenso an, zwei Männer auf einem Motorrad hätten ein Sackerl mit Kot in die Schultasche seines Sohnes getan (EV BF1 11.09.2018, Akt BF1, AS 145 ff). Auch diesem Vorbringen widersprach die Zweitbeschwerdeführerin eindeutig. Diese gab an, ihr Sohn sei nie mit Schmutz, Kot oder Ähnlichem nach Hause gekommen. Er sei nie in die Schule gegangen, sondern nur in Betreuung gewesen (EV BF2 11.09.2018, Akt BF2, AS 111). Der Erstbeschwerdeführer erklärte außerdem, sein Sohn sei mit dem Schulbus in die Schule gefahren (EV BF1 11.09.2018, Akt BF1, AS 145). Dies verneinend gab die Zweitbeschwerdeführerin an, ihr Sohn sei immer zur Fuß zur Betreuung gegangen, diese sei gleich in der Nähe gewesen (EV BF2 11.09.2018, Akt BF2, AS 113).

 

Der Erstbeschwerdeführer führte zu den Verfolgungshandlungen weiters aus, er sei zwei Mal bei der Polizei gewesen. In weiterer Folge habe seine Frau einen Anruf erhalten und sei ihr gesagt worden, dass ihr Mann bei der Polizei gewesen wäre und sie jetzt sehen würden, was mit ihnen passieren würde (EV BF1 11.09.2018, Akt BF1, AS 151). Auch diesem Vorbringen widersprach die Zweitbeschwerdeführerin eindeutig. Sie gab an, sie wisse nicht, ob ihr Mann jemals bei der Polizei gewesen sei und diese um Hilfe ersucht habe. Er habe ihr nichts davon erzählt, dass er bei der Polizei gewesen sei und habe auch der vom Erstbeschwerdeführer beschriebene Anruf nicht stattgefunden (EV BF2 11.09.2018, Akt BF2, AS 115).

 

Weiters erzählte der Erstbeschwerdeführer von einem Schussattentat auf seinen Freund, wobei er dazu, wie das Bundesamt zutreffend aufzeigte, nur oberflächliche Angaben machen konnte und sich auf konkrete Nachfrage hin herausstellte, dass es sich nicht um einen Freund gehandelt hätte, sondern um einen Mitarbeiter der Partei (EV BF1 11.09.2018, Akt BF1, AS 145 ff).

 

Es ist dem Bundesamt zuzustimmen, wenn es ausführte, dass der vorgelegte Bericht des Beschwerdeführers ("Times of India" vom 01.11.2017) über die Ermordung des XXXX nicht geeignet sei, dem Vorbringen des Beschwerdeführers Glaubwürdigkeit zu verleihen.

 

Der Erstbeschwerdeführer brachte schließlich vor, er habe für die Partei gearbeitet und sei deren Vizepräsident gewesen (EV BF1 11.09.2018, Akt BF1, AS 149). Dies widerspricht sowohl seinen Angaben in der Erstbefragung, wo er vorbrachte, in einer Fabrik als Vorarbeiter beschäftigt gewesen zu sein (EB BF1 09.08.2016, AS 1), als auch den Unterlagen zum Visaantrag, aus denen hervorgeht, dass der Erstbeschwerdeführer selbstständig tätig war (Akt BF1, AS 103 ff). Es ist der belangten Behörde zuzustimmen, wenn diese ausführte, dass das vorgelegte Bestätigungsschreiben des Erstbeschwerdeführers angesichts der Tatsache, dass er versucht hätte, über seine Identität zu täuschen und angesichts der Tatsache, dass er im Visaverfahren falsche Angaben gemacht hatte, als Gefälligkeitsschreiben oder als Schreiben mit falschem Inhalt anzusehen ist.

 

Insgesamt war daher den Überlegungen des Bundesamtes zu folgen, wenn dieses zu dem Schluss kommt, dass das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers nicht geeignet ist, eine Asylgewährung zu indizieren und der Asylantrag offenkundig ausschließlich dazu dient, sich ein Aufenthaltsrecht für das österreichische Bundesgebiet zu verschaffen. Das Bundesamt machte zu Recht darauf aufmerksam, dass sich die Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin zum Teil massiv widersprachen und dass beide nachweislich nicht davor zurückschrecken, falsche Angaben zu machen, wenn sie sich davon im Verfahren einen Vorteil erhoffen.

 

Das Bundesamt führte auch zu Recht aus, dass die Beschwerdeführer vor der Ausreise in der Lage waren, ihre primären Bedürfnisse in Indien zu befriedigen. Beim Erstbeschwerdeführer und bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich um gesunde Personen im arbeitsfähigen Alter. Der Erstbeschwerdeführer verfügt nach eigenen Angaben jedenfalls bereits über Berufserfahrung. Außerdem können die Beschwerdeführer in Indien auf ein soziales Netz zurückgreifen, welches zumindest aus den Eltern der Zweitbeschwerdeführerin und aus den Geschwistern des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin besteht.

 

3.5. Die Feststellungen zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich werden aufgrund der Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin in Zusammenschau mit den vorgelegten Unterlagen und mit amtswegig eingeholten Auszügen aus dem GVS getroffen.

 

3.6. Die Feststellungen, dass die Beschwerdeführer gesund sind, ergeben sich aufgrund ihrer Angaben im Verfahren in Zusammenschau mit der Tatsache, dass Gegenteiliges nicht vorgebracht wurde und in den Akten auch keine Befunde einliegen, aufgrund deren auf das Vorliegen einer Erkrankung zu schließen wäre.

 

3.7. Die Feststellung, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin im Zuge ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung falsche Angaben zu ihren Namen und ihren Geburtsdaten sowie zu jenem des Drittbeschwerdeführers machten, ergibt sich aufgrund des Akteninhaltes.

 

3.8. Die Feststellungen zur Situation in Indien beruhen auf den angeführten Quellen. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

4. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu Spruchteil A)

 

4.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

 

Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK (i.d.F. des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politi-schen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Gemäß § 3 Abs. 3 Z. 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, 2. Auflage [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert wird. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (vgl. VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die dargestellten Voraussetzungen für eine Asylgewährung nicht erfüllt. Wie sich aus oben vorgenommener Beweiswürdigung ergibt, ist es den Beschwerdeführern nicht gelungen, eine persönliche Verfolgungsgefahr in ihrer Heimat Indien glaubhaft darzulegen.

 

Es bestehen auch keine ausreichenden Hinweise dafür, dass sich aus der allgemeinen Situation allein etwas für die Beschwerdeführer gewinnen ließe, zumal keine ausreichenden Anhaltspunkte bestehen, dass die Beschwerdeführer schon allein auf Grund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu fürchten haben. Wenngleich nicht verkannt wird, dass es in Indien zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann, ist hiebei auch die Anzahl der dort lebenden Personen in Betracht zu ziehen (über 1 Milliarde Menschen), womit sich aber die Anzahl der berichteten Übergriffe relativiert, sodass auch unter Berücksichtigung dieser Berichte über Menschenrechtsverletzungen keine asylrelevante Verfolgungsgefahr betreffend die Beschwerdeführer auf Grund der allgemeinen Situation allein mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erkannt werden kann.

 

Im Übrigen hätten die Beschwerdeführer auch bei Wahrunterstellung der behaupteten Bedrohungssituation, wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, nicht im gesamten Staatsgebiet Verfolgung zu befürchten, weshalb ihnen keine Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK zukommt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist in der Regel zumutbar (vgl. auch z.B. VwGH 26.06.1997, 95/21/0294; 11.06.1997, 95/21/0908; 06.11.1998, 95/21/1121). Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit im Fall der Beschwerdeführer, sich in anderen Landesteilen niederzulassen, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Aus den Länderberichten geht auch hervor, dass die Möglichkeiten, sich außerhalb der engeren Heimat in Indien eine Existenzgrundlage zu schaffen, sehr stark von den individuellen Fähigkeiten, Kenntnissen und der körperlichen Verfassung abhängen und durch Unterstützung seitens Verwandter, Freunde oder Glaubensbrüder deutlich erhöht werden können. Selbst für unqualifizierte, aber gesunde Menschen ist es zufolge der Länderfeststellungen in der Regel möglich, sich durch Gelegenheitsjobs (im schlechtesten Falle als Tellerwäscher, Abfallsammler, Lagerarbeiter, Rikschafahrer etc.) den Lebensunterhalt zu sichern. Zudem garantieren die Gesetze die Reisefreiheit und die Regierung respektierte dies im Allgemeinen in der Praxis. Im Lichte dieser Gegebenheiten ist nicht ersichtlich, weshalb es den Beschwerdeführern nicht möglich sein sollte, sich eine Existenzgrundlage in einem anderen Teil Indiens zu schaffen.

 

Selbst wenn man vom Vorbringen des Erstbeschwerdeführers ausgeht, ergibt sich aus den vom Bundesamt herangezogenen und nicht ausreichend konkret bestrittenen Feststellungen zur allgemeinen Situation zudem, dass es den Beschwerdeführern möglich wäre, etwaigen Repressionen auszuweichen, zumal sich aus dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers jedenfalls nicht entnehmen lässt, dass er selbst eine exponierte Persönlichkeit wäre, die landesweit von Anhängern der Congress Party gesucht würde. Es ist sohin von einer innerstaatlichen Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) auszugehen.

 

Da es nach den vom Bundesamt herangezogenen Feststellungen Existenzmöglichkeiten für die Beschwerdeführer außerhalb ihrer engeren Heimat gibt, ist es ihnen zumutbar, sich in einen anderen Teil Indiens, etwa nach Delhi, zu begeben. Dafür, dass es ihnen problemlos möglich ist, in ihr Heimatland zu reisen, etwa nach Delhi, aber auch in viele andere Teile ihres Heimatlandes, ohne in ihre engere Heimat zurückkehren zu müssen, besteht für Indien keinerlei Zweifel. Es sind sohin die Voraussetzungen für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gegeben, weswegen auch aus diesem Grunde weder die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten noch die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Betracht kommt (vgl. VwGH 24.01.2008, 2006/19/0985).

 

Da sohin keine Umstände vorliegen, wonach es ausreichend wahrscheinlich erscheint, dass die Beschwerdeführer in ihrer Heimat in asylrelevanter Weise bedroht wären, ist die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Ergebnis nicht zu beanstanden.

 

4.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 AsylG 2005 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg.cit. zu verbinden (Abs. 2 leg. cit.). Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Abs. 3 leg. cit. abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

 

§ 8 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies ist dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.04.1999, 98/20/0561; 20.05.1999, 98/20/0300).

 

Nach der (zur Auslegung der Bestimmungen zum subsidiären Schutz anwendbaren) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8 AsylG 1997 iVm § 57 FremdenG 1997 ist Voraussetzung einer positiven Entscheidung nach dieser Bestimmung, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, eine positive Entscheidung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.01.2001, 2001/20/0011).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören - der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten (oder anderer in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnter) Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwSlg. 15.437 A/2000;

VwGH 25.11.1999, 99/20/0465; 08.06.2000, 99/20/0203; 08.06.2000, 99/20/0586; 21.09.2000, 99/20/0373; 25.01.2001, 2000/20/0367;

25.01.2001, 2000/20/0438; 25.01.2001, 2000/20/0480; 21.06.2001, 99/20/0460; 16.04.2002, 2000/20/0131). Diese in der Rechtsprechung zum AsylG 1997 erwähnten Fälle sind nun z.T. durch andere in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnte Fallgestaltungen ausdrücklich abgedeckt. Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat (unter dem Gesichtspunkt des § 57 FremdenG, dies ist nun auf § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu übertragen) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, 98/21/0427).

 

Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, Zl. 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

 

Wie die Beweiswürdigung ergeben hat, vermochten die Beschwerdeführer eine aktuelle (asylrelevante) Bedrohung im Herkunftsstaat nicht glaubhaft darzutun, weshalb auf Grund der konkreten Vorbringen der Beschwerdeführer auch keinerlei Bedrohung im Sinne des § 8 AsylG erkannt werden kann.

 

Zudem ist auch im gegebenen Zusammenhang die innerstaatliche Fluchtalternative einschlägig, sodass auf die bereits oben zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide getätigten und auch hier zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen verwiesen wird. Es kommt daher auch aus dem Grunde des Vorliegens der innerstaatlichen Schutz- bzw. Fluchtalternative die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht in Betracht.

 

Aus der allgemeinen Situation allein ergeben sich aber auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass es wahrscheinlich wäre, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr im Sinne des § 8 AsylG 2005 bedroht wären. Auf die bereits oben zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide getätigten und auch hier einschlägigen Ausführungen wird ebenfalls verwiesen.

 

An dieser Stelle ist gleichfalls auf die jüngste Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, in welcher dieser darauf hinweist, dass - ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH zur Statusrichtlinie - vom subsidiären Schutz nur Fälle realer Gefahr, einen auf ein Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 Statusrichtlinie zurückzuführenden ernsthaften Schaden iSd Art. 15 Statusrichtlinie zu erleiden, sowie Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt umfasst sind. Nicht umfasst ist dagegen die reale Gefahr jeglicher, etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführender Verletzung von Art. 3 EMRK. Dem nationalen Gesetzgeber ist es verboten, Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten, die einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten, unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Herkunftsstaat, zuerkennen. Die Bestimmung des § 8 AsylG 2005 ist daher richtlinienkonform auszulegen (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

 

Da sohin keine Gründe für die Annahme bestehen, dass die Beschwerdeführer im Heimatland im Sinne des § 8 AsylG 2005 bedroht wären, ist die durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausgesprochene Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien nicht zu beanstanden.

 

4.3. Zur Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

 

§ 55 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

 

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

 

§ 57 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

 

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

 

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

 

58 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

 

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

 

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

 

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wurde.

 

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen."

 

§ 46 FPG lautet:

 

"§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind."

 

§ 50 FPG lautet:

 

"§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht."

 

§ 52 FPG lautet:

 

"§ 52 (1) [...]

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

[...]

 

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei."

 

§ 55 FPG lautet:

 

"§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. [...]"

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"Schutz des Privat- und Familienlebens

 

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben der Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürgerinnen oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Entsprechend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (in Folge "EGMR") als auch jener des Verfassungsgerichtshofes muss der Eingriff hinsichtlich des verfolgten legitimen Ziels verhältnismäßig sein.

 

Ob eine Verletzung des Rechtes auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des bzw. der Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (EGMR, Maslov/Österreich, 23.06.2008, 1638/03, RN 63). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration der Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Der Begriff des "Familienlebens" besteht unabhängig vom nationalen Recht (EGMR, Marckx/Belgien, 13. Juni 1979, Serie A Nr. 31 , §§ 31 und 69). Folglich gilt, dass die Frage, ob ein "Familienleben" besteht, im Wesentlichen eine Frage der Tatsachen ist und von den tatsächlich bestehenden engen familiären Bindungen abhängt (K./Vereinigtes Königreich, Nr. 11468/85, Kommissionsentscheidung vom 15. Oktober 1986, DR 50). Der Begriff "Familie" in Artikel 8 bezieht sich nicht allein auf eheliche Verbindungen, sondern kann auch andere de facto "Familienbande" mitumfassen, wenn die Parteien außerhalb einer Ehe zusammenleben (EGMR, Johnston und andere/Irland, 18. Dezember 1986, Serie A Nr. 112, § 56).

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführer weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch die Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurden. Weder haben die Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist.

 

Die Beschwerdeführer verfügen im Bundesgebiet außerhalb ihrer Kernfamilie über keine familiären Anknüpfungspunkte. Sie sind alle in gleichem Ausmaß von einer Rückkehrentscheidung betroffen. Eine Verletzung des Rechts auf ein Familienleben liegt daher nicht vor.

 

Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben der Beschwerdeführer eingreifen.

 

Geht man nun im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privatleben der Beschwerdeführer in Österreich aus, fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu Lasten der Beschwerdeführer aus und würde die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK darstellen:

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob sie in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541).

 

Der Verwaltungsgerichtshof geht bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf die VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und geht im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte".

 

Im Fall der Beschwerdeführer ist von einem ab September 2016 und somit knapp über zwei Jahre bestehenden, durchgängigen Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich auszugehen.

 

Nach der aktuellen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen "kann" und somit schon allein aufgrund des Aufenthalts von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber der privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. VwGH 23.02.2016, Zl. Ra 2015/01/0134-7).

 

Es sind jedoch im Verfahren keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine tatsächliche, fortgeschrittene Integration der Beschwerdeführer hervorgekommen, aufgrund derer eine die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation anzunehmen wäre.

 

Der durch die Ausweisung der Beschwerdeführer allenfalls verursachte Eingriff in ihr Recht auf Privatleben ist jedenfalls insofern iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, als das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung ihr Interesse an einem weiteren Verbleib in Österreich überwiegt.

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der Verwaltungsgerichtshof stellen in ihrer Rechtsprechung darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist (VwGH 30.04.2009, 2009/21/086, VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721 und die dort zitierte EGMR-Judikatur).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, 44328/98, Solomon v. Niederlande; 09.10.2003, 48321/99, Slivenko v. Lettland; 22.04.2004, 42703/98, Radovanovic v. Österreich;

31.01.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande;

31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie ua v. Norwegen).

 

Die Beschwerdeführer halten sich erst seit September 2016 im Bundesgebiet auf. Sie verfügten nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts des Asylverfahrens. Sie sind legal - jedoch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen - nach Österreich eingereist und haben versucht, bei der erkennungsdienstlichen Behandlung über ihre Namen und Geburtsdaten zu täuschen. Die Dauer der geführten Verfahren übersteigt auch jedenfalls nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

 

Die Beschwerdeführer verfügen über stärkere Bindungen zum Herkunftsstaat: Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben dort den weit überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht. Sie wuchsen in Indien auf, wurden dort sozialisiert und gründeten dort eine Familie. Sie sprechen eine Landessprache als Muttersprache. Der Erstbeschwerdeführer hat in Indien die Schule besucht und war berufstätig. Darüber hinaus halten sich zahlreiche Familienangehörige der Beschwerdeführer in Indien auf.

 

Der Drittbeschwerdeführer wurde ebenfalls in Indien geboren und hat dort die ersten drei Jahre seines Lebens verbracht. Der Viertbeschwerdeführer wurde im Bundesgebiet geboren. Beide Buben befinden sich jedenfalls im anpassungsfähigen Alter. Da ihre Eltern nur über geringe Deutschkenntnisse verfügen, ist davon auszugehen, dass im elterlichen Haushalt auf Punjabi kommuniziert wird und die minderjährigen Beschwerdeführer daher über altersadäquate Kenntnisse dieser Sprache verfügen.

 

Im Gegensatz dazu sind die Beschwerdeführer in Österreich schwächer integriert:

 

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin konnten Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 bzw. A2 nachweisen. Sie konnten keine vertieften sozialen Kontakte nachweisen. Es wurde auch nicht vorgebracht, dass der Drittbeschwerdeführer den Kindergarten besucht. Die Beschwerdeführer gehen im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit nach und beziehen Leistungen aus der Grundversorgung.

 

Das Interesse der Beschwerdeführer an der Aufrechterhaltung ihrer allenfalls bestehenden privaten Kontakte ist auch dadurch erheblich geschwächt, dass sie sich bei allen Integrationsschritten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein mussten (vgl. zB VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass aufgrund der vom Bundesamt getroffenen Länderfeststellungen auch nicht davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende oder ausweglose Situation geraten werden. Wie sich aus diesen Feststellungen ergibt, ist die Nahrungsmittelversorgung in Indien durchwegs gesichert. Beide erwachsenen Beschwerdeführer sind gesund und in erwerbsfähigem Alter. Der Erstbeschwerdeführer verfügt über Berufserfahrung. Es ist ihnen daher zuzutrauen, den Lebensunterhalt ihrer Familie - notfalls durch das Verrichten von Hilfsarbeiten - zu erwirtschaften. Alle Beschwerdeführer sind gesund, sodass auch in dieser Hinsicht nicht vom Vorliegen einer besonderen Vulnerabilität auszugehen ist. Abgesehen davon verfügen die Beschwerdeführer über Familienangehörige im Herkunftsstaat, von denen - zumindest zu Beginn - Hilfe zu erwarten ist. Insgesamt lässt sich daher auch in dieser Hinsicht kein erhöhtes Interesse der Beschwerdeführer an einem Verbleib im Bundesgebiet erblicken.

 

Den schwach ausgeprägten privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib in Österreich.

 

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ihr persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

 

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005.

 

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Indien nicht.

 

Umstände, die das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung begründen würden, kamen nicht hervor. Ebenso ergibt sich aus den obigen Ausführungen, dass keine Umstände vorliegen, die gegen eine Abschiebung nach Indien sprechen.

 

Im angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, was den gesetzlichen Grundlagen entspricht.

 

Aufgrund dieser Ausführungen war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis V. und VIII. abzuweisen.

 

4.4. Zum Einreiseverbot:

 

§ 53 Abs. 1 und 2 FPG idgF lautet:

 

"§ 53 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzuweisen und sich dort nicht aufzuhalten.

 

(Anm.: Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)

 

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

 

1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

 

2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;

 

3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;

 

4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;

 

5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;

 

6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;

 

7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;

 

8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder

 

9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat."

 

Beim Erstellen der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 2 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache unter anderem von Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der Verwaltungsübertretungen und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230. Außerdem ist auf die persönlichen und familiären Interessen des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109).

 

Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über keinen Aufenthaltstitel und sind sie auch nicht zur legalen Aufnahme von Beschäftigung berechtigt. Ihre familiären und privaten Anknüpfungspunkte in Österreich sind nicht dergestalt, dass sie einen Verbleib im Bundesgebiet rechtfertigen würden. Die Beschwerdeführer haben unbegründete und missbräuchliche Asylanträge gestellt und ist die Stellung eines derartigen Antrages geeignet, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden. Die Beschwerdeführer haben weiters im Zuge der erkennungsdienstlichen Behandlung falsche Namen sowie Geburtsdaten angegeben, weil sie sich davon einen Vorteil im Verfahren erhofften.

 

All diese Umstände rechtfertigen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes - wie schon das Bundesamt im angefochtenen Bescheid festgestellt hat - jedenfalls die Annahme, dass ein Verbleib und eine Aufenthaltsverfestigung der Beschwerdeführer im Bundesgebiet eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt.

 

Die Erlassung von Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot steht unter dem Vorbehalt des § 9 BFA-VG ("Schutz des Privat- und Familienlebens"). Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung demnach nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist (VwGH 02.10.2012, 2012/21/0044, mwN).

 

Zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer wird auf die bereits zuvor unter Punkt 4.3. vorgenommene Interessenabwägung im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 EMRK verwiesen.

 

Unter Berücksichtigung aller genannten Umstände kann eine Gefährdung von öffentlichen Interessen als gegeben angenommen werden (vgl. VwGH 19.05.2004, 2001/18/0074). Es kann daher der belangten Behörde nicht vorgeworfen werden, wenn sie im vorliegenden Fall von einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausging, welche die Anordnung eines Einreiseverbotes erforderlich macht.

 

In Hinblick auf die dargelegten Erwägungen ist unter Betrachtung des Gesamtverhaltens der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt auch die von der belangten Behörde festgesetzte Dauer des Einreiseverbotes von zwei Jahren nicht zu beanstanden.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des gegenständlichen Bescheides war daher ebenfalls abzuweisen.

 

4.5. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

 

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

 

Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

 

Nach Abs. 4 leg.cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

 

Gemäß Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) - folgend: GRC - hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge Abs. 2 leg.cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

 

Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

 

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.3.2012, U 466/11, ua. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG 2005 noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

 

Die Beschwerdeführer stellten in der Beschwerde einen Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.

 

Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, sind im gegenständlichen Fall jedoch erfüllt. Dies ergibt sich schon allein aus dem Umstand, dass in concreto eine innerstaatliche Fluchtalternative, die Spruchpunkt I. und II. allein zu tragen vermag, gegeben ist, der - wie aufgezeigt - in der Beschwerde nicht konkret entgegen getreten wurde. Auch hinsichtlich Spruchpunkt II. wurde in der Beschwerde der Beurteilung durch den angefochtenen Bescheid nichts Konkretes entgegengehalten, womit der erste Tatbestand des § 21 Abs. 7 BFA-VG erfüllt ist.

 

Im Hinblick auf die Feststellung der Unglaubwürdigkeit der Vorbringen der Beschwerdeführer zu einer konkreten Bedrohungssituation in ihrer Heimat, zu der in der Beschwerde ebenfalls keine konkreten Mängel dargetan wurden, ist der zweite Tatbestand des § 21 Abs. 7 BFA-VG ebenfalls gegeben.

 

Die Beschwerde enthält keine substantiierten Ausführungen, mit denen den Feststellungen und der rechtlichen Beurteilung in der angefochtenen Entscheidung zu Spruchpunkt III. entgegengetreten wurde, und es ist daher auch diesbezüglich der Sachverhalt als geklärt anzusehen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017, grundsätzliche Ausführungen zur Verhandlungspflicht des Verwaltungsgerichtes getätigt und dabei unter anderem Folgendes festgehalten:

 

"Mit Blick darauf, dass der Gesetzgeber (...) im Zuge der Schaffung des § 21 Abs. 7 BFA-VG vom bisherigen Verständnis gleichlautender Vorläuferbestimmungen ausgegangen ist, sich aber die Rechtsprechung auch bereits damit auseinandergesetzt hat, dass sich jener Rechtsrahmen, in dessen Kontext die hier fragliche Vorschrift eingebettet ist, gegenüber jenem, als sie ursprünglich geschaffen wurde, in maßgeblicher Weise verändert hat, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" nunmehr folgende Kriterien beachtlich sind:

 

"Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhalts ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen."

 

Ausgehend von diesem Kriterienkatalog ist im gegenständlichen Fall maßgeblich, dass die belangte Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt vollständig ermittelt und ein durchwegs mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt hat. Aufgrund des äußerst kurzen Zeitraumes von wenigen Wochen zwischen Erlassung der angefochtenen Bescheide und der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist davon auszugehen, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt noch die gebotene Aktualität aufweist. Weiters hat die belangte Behörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt und teilt das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung. Der Beschwerde ist kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen. Den Feststellungen der belangten Behörde widersprechende Ausführungen haben sich als unsubstantiiert erwiesen. Sohin erscheint der gegenständliche Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

 

Zum Spruchteil B)

 

4.6. Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übertragbar. Die fehlenden Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 ergeben sich aus durch den klaren Wortlaut der Bestimmung eindeutig umschriebenen Sachverhaltselementen, deren Vorliegen im Fall des Beschwerdeführers nicht einmal behauptet wurden. Die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat knüpft an die zitierte Rechtsprechung zu den Spruchpunkten I. und II. des angefochtenen Bescheides an.

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