AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:L521.2118691.3.01
Spruch:
L521 2118691-3/101E
Schriftliche Ausfertigung des am 10.05.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2020, Zl. 237247706-190984371, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I.-III. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die wider die beschwerdeführende Partei erlassene Rückehrentscheidung auch auf § 52 Abs. 5 FPG 2005 gestützt wird und Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat: „Gemäß § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG 2005 wird festgestellt, dass die Abschiebung von XXXX , in die Republik Türkei zulässig ist“.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird Folge gegeben und es wird die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 2 FPG 2005 mit zwei Wochen ab Rechtskraft dieser Entscheidung festgelegt.
III. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass das wider die beschwerdeführende Partei ausgesprochene Einreiseverbot auf die Dauer von vier Jahren und sechs Monaten herabgesetzt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 06.11.2000 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er am 14.08.2002 zurückzog.
In der Folge begründete der Beschwerdeführer (der zunächst den Namen XXXX führte) erstmals am 05.08.2002 einen Wohnsitz im Bundesgebiet. Er hält sich seither – von Urlaubsaufenthalten in der Türkei abgesehen – im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer verfügte zuletzt über einen am 23.06.2006 erteilten und bis zum 23.05.2011 gültigen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-Familienangehöriger“. Aufgrund eines Ersuchens der Bundespolizeidirektion Wien vom 13.07.2012 wurde der Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers mit 25.07.2012 wiederrufen.
2. Am XXXX schloss der Beschwerdeführer in Wien die Ehe mit der österreichischen Staatsangehörigen XXXX . Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor.
Nachdem der Beschwerdeführer in der Folge ab dem Jahr 2004 zunächst mit Betretungsverboten im Hinblick auf die eheliche Wohnung belegt wurde und er in der Folge eine außereheliche Beziehung einging, wurde seine mit XXXX geschlossene Ehe am 28.06.2006 geschieden.
Am 02.11.2015 ging der Beschwerdeführer neuerlich die Ehe mit XXXX ein. Mit gemeinsamer Eingabe an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien vom 11.06.2019 beantragten der Beschwerdeführer und XXXX die Scheidung ihrer Ehe im Einvernehmen und brachten dazu vor, dass die eheliche Lebensgemeinschaft seit Oktober 2018 aufgehoben und die Ehe unheilbar zerrüttet sei. Nachdem der Beschwerdeführer diesen Nachweis über ein Jahr lang nicht in Vorlage brachte, erließ das Bezirksgericht Innere Stadt Wien erst am 11.11.2020 einen Beschluss über die Scheidung der Ehe des Beschwerdeführers und XXXX . Dieser Beschuss konnte dem Beschwerdeführer in der Folge nicht zugestellt werden.
Mit Eingabe seiner rechtsfreundlichen Vertreterin vom 04.12.2020 zog der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Scheidung seiner Ehe im Einvernehmen zurück. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien stellte das Scheidungsverfahren in der Folge mit Beschluss vom 11.12.2020, XXXX ein.
3. Vom Jahr 2005 an wurde der Beschwerdeführer wiederholt strafffällig. Zur diesbezüglichen Vorgeschichte wird zunächst auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.04.2012, Zl. 2010/18/0426, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wies der Verwaltungsgerichtshof eine Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010, Zl. E1/479.744/2009, als unbegründet ab. Mit diesem Bescheid hatte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien – im Instanzenzug – gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 und Z. 2 iVm § 63 Abs. 1 FPG 2005 in der damals anzuwendenden Fassung ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Zur Begründung wurden nebst insgesamt acht Betretungsverboten sowie einem Waffenverbot vier strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers sowie diverse Verwaltungsübertretungen (u.a. gemäß § 84 Abs. 1 Z. 2 SPG wegen Missachtung eines Betretungsverbotes, gemäß § 14 Abs. 8 FSG wegen Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeuges im Zustand der Minderalkoholisierung, gemäß § 82 Abs. 1 SPG und § 1 Abs. 1 Z. 1 und 2 WLSG wegen aggressiven Verhaltens gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht und Lärmerregung sowie - zuletzt im Jahr 2010 - gemäß § 5 Abs. 1 StVO wegen Lenkens eines KFZ in alkoholbeeinträchtigtem Zustand und § 1 Abs. 3 FSG) ins Treffen geführt.
Der Verwaltungsgerichtshof erkannte, dass sich der Beschwerdeführer nicht auf Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation berufen könne, da er nicht ein Jahr bei einem Arbeitgeber durchgehend beschäftigt gewesen sei. Seine Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen könne ihm weder eine Rechtsposition nach dem genannten Beschluss, noch die eines begünstigten Drittstaatsangehörigen verschaffen, weil sich weder aus der Beschwerde noch aus dem Verwaltungsakt Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass seine Ehefrau, von der er inzwischen auch wieder geschieden worden sei, ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte. Es sei auch nicht der erhöhte Gefährdungsmaßstab des § 56 Abs. 1 FPG anzuwenden gewesen, weil der Beschwerdeführer seine erste Straftat bereits am 30.03.2005, somit vor Erlangung seines Niederlassungsnachweises am 06.10.2005 (der gemäß § 11 Abs. 1 lit. c NAG-DV ab 01.01.2006 als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-Familienangehöriger" weitergalt), gesetzt habe. Die Trennung des Beschwerdeführers von seinen Angehörigen im Bundesgebiet sei im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.
4. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung in der Folge nicht nach. Zum weiteren Geschehnisverlauf wird auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.06.2016, L521 2118691-1/12E, verwiesen. Mit diesem Beschluss wurde einer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2015, Zl. 237247706-151238835, Folge gegeben und die Sache gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
Dem Verfahren lag ein Antrag des Beschwerdeführers vom 02.04.2014 auf Aufhebung des wider ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes zugrunde. Der Beschwerdeführer begründete seinen Antrag bzw. sein Rechtsmittel insbesondere damit, wieder mit seiner ehemaligen Gattin und seinen drei Kindern zusammenzuleben und seine Gattin am 02.11.2015 neuerlich geehelicht zu haben. Aufgrund falscher Freunde sei es zu privaten Problemen gekommen, die zur Scheidung und den ersten strafgerichtlichen Verurteilungen geführt hätten. Nunmehr habe er aus seinen Fehlern gelernt und sich mit seiner Gattin versöhnt. Da sein jüngster Sohn an infantiler Cerebralparese leide und sei zu 70% gesundheitlich eingeschränkt sei, sei er auf die Betreuung durch den Beschwerdeführer besonders angewiesen.
5. Das aufgrund des den Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.06.2016, L521 2118691-1/12E, wieder zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt den Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung des wider ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes in der Folge keiner weiteren inhaltlichen Erledigung zu.
6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.05.2019, Zl. 237247706-190441050, wurde wider den Beschwerdeführer – nach weiteren strafrechtlichen Anklagen und der Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382b und 382e EO am 11.02.2019 – die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
Im Gefolge einer Einvernahme am 07.05.2019 zog der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Aufhebung des wider ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes zurück, darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer aus der Schubhaft entlassen und ihm mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.05.2019, Zl. 237247706-190463266, gemäß § 77 FPG 2005 ein gelinderes Mittel zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.
Beim Versuch, dem Beschwerdeführer in weiterer Folge einen auf dem 16.09.2019 datierten Ladungsbescheid zur Vorsprache bei der türkischen Botschaft zur Erlangung eines Heimreisezertifikates zuzustellen, wurde von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 20.09.2019 festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer nicht mehr an der von ihm angegebenen Anschrift aufhielt. Der aktuelle Aufenthaltsort des Beschwerdeführers konnte in der Folge nicht festgestellt werden.
7. Am 25.09.2019 wurde der Beschwerdeführer festgenommen und wider ihn mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.9.2019, 33 Hv 18/18b-72, die Untersuchungshaft verhängt. Im Anschluss wurde der Beschwerdeführer bis zu seiner Entlassung aus der Strafhaft am 04.09.2020 durchgehend in Untersuchungs- und anschließend in Strafhaft angehalten.
8. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 20.03.2020 wurde der Beschwerdeführer seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl dazu aufgefordert, zu diversen Fragen – überwiegend betreffend das Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und bestehende Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat – schriftlich zu beantworten.
Eine erste Stellungnahme brachte der Beschwerdeführer persönlich am 27.03.2020 ein, eine weitere Stellungnahme seiner seinerzeitigen rechtsfreundlichen Vertreterin wurde am 27.07.2020 eingebracht.
9. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2020, Zl. 237247706-190984371, wurde dem den Beschwerdeführer – ohne zuvor eine niederschriftliche Einvernahme durchzuführen – kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 und § 9 BFA-VG wurde wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt II.). Ferner wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.), wobei ein Zielstaat dem bezughabenden Spruchpunkt nicht entnommen werden kann. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 4 FPG 2005 keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehen würde (Spruchpunkt IV.). Schließlich wurde wider den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 1 FPG 2005 ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).
Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer halte sich aufgrund eines im Jahr 2010 erlassenen Aufenthaltsverbotes unrechtmäßig um Bundesgebiet auf und verfüge über keinen gültigen Aufenthaltstitel. Er sei jedoch ungeachtet seines unrechtmäßigen Aufenthaltes aufgrund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, als „ARB-Türke“ anzusehen und es gelange deshalb der erhöhte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster Fall FPG 2005 zur Anwendung. In Anbetracht des festgestellten Sachverhaltes bestehe kein Zweifel daran, dass vom Beschwerdeführer nicht eine tatsächliche, gegenwärtige unerhebliche, sondern auch eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehen würde.
Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei seit dem 19.4.2012 rechtswidrig. Der Beschwerdeführer verfüge zwar grundsätzlich über starke familiäre Bindungen im Bundesgebiet, diese würden aber aufgrund der immer wiederkehrenden häuslichen Gewalt eine massive Schmälerung erfahren. Der Beschwerdeführer sei weder beruflich, noch sozial oder finanziell integriert und „unzählige Male angeklagt und rechtskräftig von österreichischen Gerichten verurteilt“ worden. Da in der Türkei die Eltern des Beschwerdeführers leben würden, könne von aufrechten Bindungen zum Herkunftsstaat ausgegangen wären.
In einer Zusammenschau würden die bestehenden familiären Bindungen im Bundesgebiet die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung nicht aufliegen, sodass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK zulässig sei. Die wiederholten strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers zeugten von Uneinsichtigkeit, einer hohen Rückfallswahrscheinlichkeit, wiederkehrenden Konflikten mit dem Gesetz, einer beharrlichen Ignoranz der Rechtsordnung und die Bereitschaft zur Schädigung von Mitbürgern. Aufgrund der persönlichen Situation des Beschwerdeführers habe eine Zukunftsprognose negativ auszufallen. Zum Schutz der Bevölkerung und deren Vermögens müsse ein Einreiseverbot mit der Rückkehrentscheidung verbunden werden. Weshalb bei einer möglichen Höchstdauer eines Einreiseverbotes von zehn Jahren im konkreten Fall die Ausschöpfung der Höchstdauer erforderlich war, kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden.
10. Mit Verfahrensanordnungen vom 25.08.2020 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig eine Rechtsberatungsorganisation für das Beschwerdeverfahren beigegeben und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
11. Mit weiterem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2020, Zl. 237247706-200773517, wurde wider den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 die (nach seiner Entlassung aus der Strafhaft und dem Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen zu vollziehende) Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.
12. Gegen den der vormaligen rechtsfreundlichen Vertreterin des Beschwerdeführers am 31.08.2020 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege seiner nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, womit die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheides, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht beantragt werden. Ferner begehrt der Beschwerdeführer, das Bundesverwaltungsgericht möge „die belangte Behörde in die Kosten dieses Verfahrens verfällen“.
In der Sache bringt der Beschwerdeführer vor, er habe zuletzt über einen Niederlassungsbachweis verfügt, was ihm ein unbefristetes Niederlassungsrecht in Österreich verschaffen würde. Das wider ihn erlassene Aufenthaltsverbot in der Dauer von zehn Jahren sei zwischenzeitlich wegen Zeitablaufes außer Kraft getreten. Sein Niederlassungsrecht würde damit wieder aufleben, zumal sich der Beschwerdeführer auf die Stillhalteklausel berufen könne und er seinen Niederlassungswillen nicht aufgegeben habe. Allenfalls sei der Beschwerdeführer auch berechtigt, als türkischer Ehegatte einer österreichischen Staatsbürgerin einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ im Inland zu stellen und das diesbezügliche Verfahren im Inland abzuwarten.
Während der vom Beschwerdeführer verbüßten unbedingten Haftstrafen sei stets in Justizanstalten beschäftigt gewesen. Die vorübergehende Nichtzugehörigkeit zum Arbeitsmarkt könne ihm vor dem Hintergrund der Judikatur des europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-340/97 nicht zur Last gelegt werden. Der Verlust einer nach dem Assoziierungsabkommen erworbenen Rechtsstellung sei nur nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation möglich und setze voraus, dass vom Betroffenen eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung ausgeht, die das Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Demnach könnten nur terroristische Gewaltakte oder Anschläge, die auf die Beseitigung der staatlichen Ordnung und er Einrichtungen gerichtet wären, aufenthaltsbeendende Maßnahmen rechtfertigen. Rauschgiftkriminalität genüge im Allgemeinen noch nicht für eine Aufenthaltsbeendigung. Bei fünf strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers wäre nur bedingte Freiheitsstrafen ausgesprochen worden. Verurteilungen zu unbedingten freien Strafen in den Jahren 2013 und 2016 würden im Zusammenhang mit Suchtmittelkonsum stehen. Die Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten liege bereits acht Jahre zurück. Zuletzt sei der Beschwerdeführer nur zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden und es liege das Fehlverhalten auch bereits zwei Jahre zurück.
Der Beschwerdeführer sei nahezu 20 Jahren Österreich aufhältig, davon wären zwölf Jahre des Aufenthaltes rechtmäßig. Er spreche gut Deutsch, sei teilweise berufstätig gewesen und selbst während der Anhaltung in Strafhaft einer Beschäftigung nachgegangen. Er habe sich „durch Absolvieren von mehreren Ausbildungszwecken beim WIFI integriert“. Seine aus seiner Ehegattin und den drei minderjährigen Söhnen bestehende Kernfamilie lebe in Österreich. Die berechtigten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet würden „massivst überwiegen“. Das belangte Bundesamt Ger auch unrichtig davon aus, dass keine innigen Beziehungen zur Kernfamilie bestehen würden. Das Bild einer zerrissenen Familie bestehe jedenfalls nicht. Die angefochtene Entscheidung greife somit in Rechte des Beschwerdeführers nach Dicken acht EMRK ein, was im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt sei.
13. Die Beschwerdevorlage langte am 30.09.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge zunächst der Gerichtsabteilung L524 und in weiterer Folge aufgrund einer Unzuständigkeitsanzeige der Leiterin dieser Gerichtsabteilung der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.
14. Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.10.2020, L521 2118691-3/6Z, wurde der Antrag des Beschwerdeführers, seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurückgewiesen. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wurde der Beschwerde in Abänderung des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides amtswegig die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer in seinem Rechtsmittel die Annahme des belangten Bundesamtes substantiiert bestritten habe, dass kein harmonisches Familienleben vorliegen würde. Da das belangte Bundesamt weder den Beschwerdeführer, noch dessen Ehefrau und auch nicht die gemeinsamen Kinder einvernommen habe, stellten sich die Annahmen des belangten Bundesamtes zum Familienleben des Beschwerdeführers aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes als rein spekulativ dar, was einen wesentlichen Begründungsmangel darstellen würde. In Anbetracht dessen sowie im Kontext der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei außerdem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zwingend notwendig, da seitens des belangten Bundesamtes die notwenige Einvernahme des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen unterlassen wurde und schon deshalb nicht von einem eindeutigen Fall im Sinn der Rechtsprechung – der das Absehen von einer mündlichen Verhandlung ermöglicht hätte – gesprochen werden kann.
15. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hob in der Folge den wider den Beschwerdeführer erlassenen Schubhaftbescheid vom 25.08.2020, Zl. 237247706-200773517, von Amts wegen auf. In einem dazu angefertigten Aktenvermerk wird die Entlassung des Beschwerdeführers seitens des verfahrensführenden Referenten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl als „sehr bedenklich und kritisch“ bezeichnet.
16. Am 01.10.2020, am 16.10.2020 und am 01.12.2020 richtet das Bundesverwaltungsgericht Aufforderungen an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, die fremdenrechtlichen Vorakten (der vorgelegte Verwaltungsakt enthält als ältestes Aktenstück eine E-Mail vom 13.03.2020) betreffend den Beschwerdeführer vorzulegen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte in der Folge Aktenteile über die Aufhebung des Schubhaftbescheides in Vorlage. Weitere Akten betreffend den Beschwerdeführer wurden dem Bundesverwaltungsgericht nicht übermittelt.
17. Zur Vorbereitung der für den 30.11.2020 anberaumten mündlichen Verhandlung wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.11.2020 aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage in der Türkei, zur Verfügbarkeit einer Drogenersatztherapie sowie zur Gewährleistung einer medizinischen Betreuung während der Covid-19-Pandemie zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb einer Frist schriftlich oder im Rahmen der Verhandlung mündlich Stellung zu nehmen.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes wurden zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung außerdem Urteilsausfertigungen betreffend die Urteile des Landesgerichtes für XXXX
18. Am 30.11.2020 und am 12.01.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die türkische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, seinen Standpunkt umfassend darzulegen. Darüber hinaus wurde die Ehegattin des Beschwerdeführers, XXXX , und die minderjährigen Söhne des Beschwerdeführers, XXXX , als Zeugen einvernommen.
19. Aufgrund des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung am 30.11.2020 sowie der zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Verfahrensergebnisse wurde in der Folge der Akt des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien betreffend das aktuelle Ehescheidungsverfahren des Beschwerdeführers angefordert und ferner die Landespolizeidirektion Wien um Übermittlung vorhandener verwaltungsstrafrechtlicher Vormerkungen und Anzeigen ersucht.
Der Beschwerdeführer brachte seinerseits am 08.01.2021 eine Beschwerdeergänzung ein, in welcher ausführlich auf ein – aus Sicht des Beschwerdeführers nach wie vor aufgrund eines Antrages vom 24.02.2011 anhängiges – Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels vor dem Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35, eingegangen wird. Ferner nimmt der Beschwerdeführer nochmals ausführlichst auf sein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet Bezug und beantragt, eine Rückkehrentscheidung dauerhaft für unzulässig zu erklären und ihm einen Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl trat dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Beschwerdeergänzung in einer schriftlichen Stellungnahme vom 12.01.2021 entgegen.
20. Infolge einer Anfrage des Bundesverwaltungsgerichtes teilte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35, am 22.01.2021 mit, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 24.02.2011 als Erstantrag geführt werde und beabsichtigt sei, diesen Antrag gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1 iVm § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG abzuweisen.
21. Der Beschwerdeführer äußerte sich zur vom Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35, vertretenen Rechtsansicht zunächst mit Stellungnahme vom 29.01.2021. Eine weitere, zunächst angekündigte Stellungnahme wurde innerhalb der eingeräumten und mit Verfügung vom 12.02.2021 verlängerten Frist zunächst nicht eingebracht.
22. Da aus den dem Bundesverwaltungsgericht nach der mündlichen Verhandlung am 12.01.2021 seitens der Landespolizeidirektion Wien übermittelten verwaltungsstrafrechtlicher Vormerkungen und Anzeigen hervorging, dass der Beschwerdeführer am 25.12.2020 in Wien mit Suchtgift, nämlich Kokain, betreten wurde, forderte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer mit Note vom 22.03.2021 auf, sich zur dahingehenden Anzeige der Polizeiinspektion Leopoldsgasse zu äußern.
23. In seiner Stellungnahme vom 29.03.2021 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er am 25.12.2020 in alkoholisiertem Zustand und ohne im Besitz einer Lenkerberechtigung zu sein ein Fahrzeug gelenkt habe. Das in diesem Fahrzeug aufgefundene Kokain habe jedoch nicht ihm gehört, sondern einem Freund. Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung wegen Suchtgifthandels habe er das Suchtgift jedoch unrichtig als sein eigenes Suchtgift deklariert und dessen Konsum eingeräumt. Er bestreite nunmehr vehement jeden „Suchtgiftbezug“.
24. Aufgrund der Verantwortung des Beschwerdeführers wurde die bereits geschlossene mündliche Verhandlung neuerlich eröffnet und diese am 19.04.2021 im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung, eines Vertreters des belangten Bundesamtes und eines Dolmetschers für die türkische Sprache fortgesetzt. Im Gefolge der fortgesetzten Verhandlung wurde ein Polizeibeamter und der Beschwerdeführer zum Vorfall vom 25.12.2020 einvernommen. Da ein weiter Polizeibeamter keine Entbindung von der Amtsverschwiegenheit vorweisen konnte, musste die mündliche Verhandlung neuerlich vertagt werden.
25. Am 10.05.2021 wurde die mündliche Verhandlung mit der Einvernahme des zweiten beim Vorfall vom 25.12.2020 involvierenden Polizeibeamten, eines Vertreters des belangten Bundesamtes und eines Dolmetschers für die türkische Sprache fortgesetzt. Der Beschwerdeführer und seine rechtsfreundliche Vertretung blieben der Verhandlung unentschuldigt fern.
Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet und seitens des Beschwerdeführers mit Eingabe seiner rechtsfreundliche Vertretung vom 11.05.2021 unter gleichzeitiger Vollmachtsauflösung die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt derzeit den im Spruch angeführten Namen, er ist Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der türkischen Volksgruppe. Vormals führte der Beschwerdeführer den Namen XXXX . Mit Beschluss des Zivilgerichtes in XXXX (Provinz XXXX ) vom 11.11.2014, Zl. 2014/325, wurde eine Änderung des Familiennamens des Beschwerdeführers XXXX von auf XXXX bewilligt.
Der Beschwerdeführer wurde am XXXX im Landkreis XXXX in der Provinz XXXX in der Türkei geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise im Jahr 1998. Er besuchte im Landkreis XXXX die Grundschule, anschließend die Hauptschule und dann ein Lyzeum, letzteres ohne die Matura zu erlangen. In der Folge erlernte der Beschwerdeführer den Beruf des Kochs. Den Wehrdienst in der Türkei leistete der Beschwerdeführer nicht ab.
Der Beschwerdeführer ist Moslem und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.
Die Eltern des Beschwerdeführers leben nach wie vor in der Türkei und dort in der Stadt XXXX in einer Wohnung. Der Vater des Beschwerdeführers ist Pensionist, seine Mutter führt den Haushalt. Im Haushalt der Eltern lebt ferner ein Bruder des Beschwerdeführers, welcher als Koch erwerbstätig ist. Ferner leben in der Türkei und dort in Istanbul zwei Schwestern des Beschwerdeführers, die beide verheiratet sind und den Haushalt ihrer Familien führen. Mit seinem Bruder und seinen Schwestern in der Türkei steht der Beschwerdeführer in gelegentlichem telefonischem Kontakt.
Bis in das Jahr 2011 besuchte der Beschwerdeführer die Türkei für Urlaubsaufenthalte sowie zum Zweck des Besuchs von Angehörigen.
1.2. Der Beschwerdeführer reiste an einem nicht mehr feststellbaren Tag im Jahr 1998 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und hielt sich zunächst etwa zwei Jahre illegal im Bundesgebiet auf. Am 06.11.2000 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz, den er am 14.08.2002 (ohne zuvor den Status eines Asylberechtigten oder eines subsidiär Schutzberechtigten erlangt zu haben) zurückzog. Am 05.08.2002 begründete der Beschwerdeführer erstmals einen Wohnsitz im Bundesgebiet. Die Meldehistorie des Beschwerdeführers weist in frühen Jahren Lücken auf (nämlich vom 11.11.2005 bis zum 09.03.2006, vom 04.09.2006 bis zum 16.01.2007, vom 13.11.2007 bis zum 11.01.2008 und vom 05.05.2009 bis zum 13.10.2009 sowie vom 04.06.2019 bis zum 25.09.2019). Im Zeitraum 24.06.2008 bis 05.05.2009 war der Beschwerdeführer obdachlos gemeldet.
Vom 30.08.2010 an bis zum 04.06.2019 war der Beschwerdeführer durchgehend bei seiner Ehegattin XXXX gemeldet. Vom 25.09.2019 an bis zum 16.10.2020 unterhielt der Beschwerdeführer Hauptwohnsitze in der Justizanstalt Josefstadt, der Justizanstalt Krems und dem Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände. Vom 16.10.2020 am bis zum 07.04.2021 war der Beschwerdeführer im Bundesgebiet nicht aufrecht gemeldet. Am 08.04.2021 begründete er neuerlich einen Hauptwohnsitz bei seiner Ehegattin XXXX .
1.3. Der Beschwerdeführer verfügte zuletzt über ein beschädigtes (und damit unbrauchbares) türkisches Reisedokument, ausgestellt von der Botschaft des Republik Türkei in Wien am 29.07.2015 ( XXXX ), gültig bis zum 23.08.2023. Er hat dieses Reisedokument eigenen Angaben zufolge in den letzten Wochen (nach seiner Entlassung aus der Haft, wo das Reisedokument noch vorhanden war) verloren.
1.4. Am 08.10.2002 schloss der Beschwerdeführer in Wien die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX . Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, nämlich XXXX . Die Kinder des Beschwerdeführers sind österreichische Staatsbürger.
Nachdem der Beschwerdeführer in der Folge ab dem Jahr 2004 zunächst mit Betretungsverboten im Hinblick auf die eheliche Wohnung belegt wurde und er in der Folge eine außereheliche Beziehung einging, wurde seine mit XXXX geschlossene Ehe am 28.06.2006 geschieden. Am 02.11.2015 ging der Beschwerdeführer neuerlich die Ehe mit XXXX ein.
Mit gemeinsamer Eingabe an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien vom 11.06.2019 beantragten der Beschwerdeführer und XXXX die Scheidung ihrer Ehe im Einvernehmen und brachten dazu vor, dass die eheliche Lebensgemeinschaft seit Oktober 2018 aufgehoben und die Ehe unheilbar zerrüttet sei. Im Gefolge der Tagsatzung vor dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien am 15.10.2019, XXXX , bekräftigen der Beschwerdeführer und XXXX ihre Angaben im Scheidungsantrag und schlossen einen Vergleich gemäß § 55a EheG, wonach der Beschwerdeführer die Ehewohnung bereits geräumt habe und ein wechselseitiger Unterhaltsverzicht abgegeben wurde. Der Beschwerdeführer und XXXX vereinbarten ferner hinsichtlich der Kinder die gemeinsame Obsorge sowie die hauptsächliche Betreuung durch die Mutter. Von der näheren Regelung eines Besuchsrechtes sowie des Kindesunterhaltes wurde abgesehen, insbesondere weil sich der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft befand und einkommens- und vermögenslos war.
Ein Scheidungsbeschluss wurde in der Tagsatzung vor dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien am 15.10.2019 nicht verkündet, da der Beschwerdeführer noch keine Elternberatung nach § 95 Abs. 1a AußStrG in Anspruch genommen hatte. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer wiederholt dazu aufgefordert, einen Nachweis über die Inanspruchnahme dieser Beratung vorzulegen. Nachdem der Beschwerdeführer diesen Nachweis über ein Jahr lang nicht in Vorlage brachte, erließ das Bezirksgericht Innere Stadt Wien am 11.11.2020 einen Beschluss über die Scheidung der Ehe des Beschwerdeführers und XXXX . Dieser Beschuss konnte dem Beschwerdeführer in der Folge nicht zugestellt werden.
Mit Eingabe seiner rechtsfreundlichen Vertreterin vom 04.12.2020 zog (nur) der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Scheidung seiner Ehe im Einvernehmen zurück. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien stellte das Scheidungsverfahren in der Folge mit Beschluss vom 11.12.2020, XXXX , ein. Der Beschwerdeführer und XXXX sind somit nach wie vor aufrecht verheiratet.
Die Ehegattin des Beschwerdeführers hat ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen.
1.5. Am 11.10.2020 beantragte der Beschwerdeführer eine Niederlassungsbewilligung als Familienangehöriger gemäß § 49 FrG 1997, diese wurde ihm zunächst mit Gültigkeit vom 21.10.2002 bis 31.10.2003 erteilt und in der Folge mehrmals verlängert.
Am 06.10.2005 beantragte der Beschwerdeführer die unbefristete Niederlassungsbewilligung (Niederlassungsnachweis, § 49 Abs. 2 FrG 1997), eine solche wurde ihm mit Gültigkeit bis zum 05.10.2015 umgehend erteilt. Da der Beschwerdeführer seines Aufenthaltstitels am 25.04.2006 verlustig wurde, beantragte er am 08.06.2006 neuerlich einen Aufenthaltstitel. Infolge der zwischenzeitlichen rechtlichen Änderungen durch das Fremdenrechtspaket 2005 wurde dem Beschwerdeführer nunmehr ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“ erteilt, wobei die Gültigkeit der Aufenthaltskarte mit 23.05.2011 befristet wurde. Am 24.02.2011 brachte der Beschwerdeführer einen dahingehenden Verlängerungsantrag ein.
Da mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010, Zl. E1/479.744/2009, im Instanzenzug gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 und Z. 2 iVm § 63 Abs. 1 FPG 2005 in der damals anzuwendenden Fassung ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde, sprach der Magistrat der Stadt Wien (aufgrund einer Verständigung der Fremdenbehörde, dass die höchstgerichtliche Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.04.2012, Zl. 2010/18/0426, abgewiesen wurde) mit Wirksamkeit 25.07.2012 einen Widerruf des Aufenthaltstitels des Beschwerdeführers infolge Ungültigkeit gemäß § 10 Abs. 1 NAG aus und stellte darüber hinaus das Verfahren über den Verlängerungsauftrag nicht weiter.
Die nach dem Niederlassung- und Aufenthaltsgesetz zuständige Behörde (Landeshauptmann von Wien im Wege des Magistrats der Stadt Wien) vertritt nunmehr die Rechtsansicht, dass der Beschwerdeführer derzeit über keinen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verfügt und der am 24.02.2011 eingebrachte Verlängerungsantrag mangels Existenz eines veränderbaren Aufenthaltstitels nunmehr als Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 NAG zu werten ist. Aufgrund einer Intervention der nunmehrigen Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wurde das diesbezügliche Verfahren zuletzt fortgesetzt. Der Magistrat der Stadt Wien hat das Bundesverwaltungsgericht am 22.01.2021 davon verständigt, dass einer Erteilung eines Aufenthaltstitels zufolge § 11 Abs. 2 Z. 1 iVm § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG öffentliche Interessen entgegenstehen und die Abweisung des Antrages intendiert werde.
Der Beschwerdeführer stellte keinen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.
1.6. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010, Zl. E1/479.744/2009, wurde im Instanzenzug gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 und Z. 2 iVm § 63 Abs. 1 FPG 2005 in der damals anzuwendenden Fassung ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Zur Begründung wurden nebst insgesamt acht Betretungsverboten sowie einem Waffenverbot vier strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers (dazu sogleich unten) sowie diverse Verwaltungsübertretungen (u.a. gemäß § 84 Abs. 1 Z. 2 SPG wegen Missachtung eines Betretungsverbotes, gemäß § 14 Abs. 8 FSG wegen Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeuges im Zustand der Minderalkoholisierung, gemäß § 82 Abs. 1 SPG und § 1 Abs. 1 Z. 1 und 2 WLSG wegen aggressiven Verhaltens gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht und Lärmerregung sowie - zuletzt im Jahr 2010 - gemäß § 5 Abs. 1 StVO wegen Lenkens eines KFZ in alkoholbeeinträchtigtem Zustand und § 1 Abs. 3 FSG) ins Treffen geführt.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, dieser erkannte der Beschwerde zunächst mit Beschluss vom 12.01.2011 die aufschiebende Wirkung zu. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.04.2012, Zl. 2010/18/0426, wurde die gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010, Zl. E1/479.744/2009, erhobene Beschwerde schließlich als unbegründet abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof führte in den Entscheidungsgründen unter anderem aus (Kürzungen durch das Bundesverwaltungsgericht):
„Der Beschwerdeführer beruft sich zunächst darauf, dass ihm die Rechtsstellung nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (ARB) zukomme. Er bringt jedoch selbst vor, lediglich zwischen 17. Juni 2002 und 6. Juli 2003 bei unterschiedlichen Arbeitgebern beschäftigt und danach teilweise selbstständig erwerbstätig gewesen zu sein. Für den erstmaligen Erwerb der Rechtsposition im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB kommt es unter anderem jedoch auf die ununterbrochene Fortdauer der Beschäftigung bei einem Arbeitgeber durch mindestens ein Jahr an; diese Voraussetzung ist fallbezogen nicht erfüllt. Auch für die behauptete Rechtsposition nach Art. 7 ARB ergaben sich keine Anhaltspunkte, weil dem Beschwerdeführer nicht der Familiennachzug zu einem türkischen Arbeitnehmer genehmigt wurde. Dass der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet hat, vermag ihm weder eine Rechtsposition iSd ARB noch die eines begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG zu verschaffen, weil sich weder aus der Beschwerde noch aus dem Verwaltungsakt Anhaltspunkte dafür ergeben, dass seine Ehefrau, von der er inzwischen auch wieder geschieden wurde, ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte (…). Die belangte Behörde hat daher ihre Zuständigkeit zu Recht in Anspruch genommen.
Aufgrund der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers bestehen gegen die Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG sei erfüllt, keine Bedenken. Somit kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer auch den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 2 FPG erfüllt hat. … Der Beschwerdeführer wurde zweimal wegen des Besitzes bzw. der Weitergabe von Falschgeld, einmal wegen Körperverletzung und einmal wegen Veruntreuung strafgerichtlich verurteilt. Zusätzlich wurden gegen ihn mehrere Betretungsverbote wegen häuslicher Gewalt verhängt und er wurde u.a. wegen aggressiven Verhaltens gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht bestraft. Er hat durch sein Verhalten nicht nur in das Vermögen anderer eingegriffen, sondern auch seine hohe Gewaltbereitschaft unter Beweis gestellt. Die Annahme der belangten Behörde, wonach die Annahme des § 60 Abs. 1 FPG gerechtfertigt sei, begegnet daher keinen Bedenken.
Wenn der Beschwerdeführer ins Treffen führt, er habe sich seit Jänner 2007 wohlverhalten, ist ihm zu entgegnen, dass sein strafrechtlich relevantes Verhalten bei Erlassen des angefochtenen Bescheides einerseits noch nicht so lange zurücklag, um auf Grund des seither verstrichenen Zeitraumes einen Wegfall oder eine wesentliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr annehmen zu können, und er andererseits zuletzt erst im März 2010 wegen des Lenkens eines KFZ in alkoholisiertem Zustand am 14. November 2009 rechtskräftig bestraft wurde. Von einem langjährigen Wohlverhalten kann daher keine Rede sein.
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht hatte die belangte Behörde auch nicht den erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 56 Abs. 1 FPG anzuwenden, weil der Beschwerdeführer seine erste dem gegenständlichen Aufenthaltsverbot zu Grunde liegende Straftat bereits am 30. März 2005, somit vor Erlangung seines Niederlassungsnachweises am 6. Oktober 2005 (der gemäß § 11 Abs. 1 lit. C NAG-DV ab 1. Jänner 2006 als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-Familienangehöriger" weitergalt), gesetzt hat.
Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG hat die belangte Behörde insbesondere den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und die Bindung zu seinen in Österreich lebenden Kindern berücksichtigt. Zutreffend ging sie von einem mit der Verhängung der gegenständlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen erheblichen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus. Seinen persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht jedoch die aus seinem Fehlverhalten resultierende Gefährdung des maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Vermögenskriminalität und am Schutz der körperlichen Integrität anderer - auch der seiner eigenen Familie - gegenüber, welches das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer - somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - als dringend geboten erscheinen lässt.
Seinen Unterhaltspflichten gegenüber seinen minderjährigen Kindern kann der Beschwerdeführer auch vom Ausland aus nachkommen, zumal er den Feststellungen der belangten Behörde zufolge im Bundesgebiet ohnedies nicht beruflich integriert ist. Eine (allfällige) Trennung des Beschwerdeführers von seinen Angehörigen ist im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen …“.
Dem Beschwerdeführer wurde in der Folge am 25.05.2013 und neuerlich am 11.11.2013 jeweils eine Information über die Verpflichtung zur Ausreise zugestellt. Der Beschwerdeführer leistete jedoch der Verpflichtung zur Ausreise bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Folge.
Am 02.04.2014 beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des wider ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes zugrunde. Diesem Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2015, Zl. 237247706-151238835, keine Folge gegeben. Aufgrund einer dagegen erhobenen Beschwerde hob das Bundesverwaltungsgericht diesen Bescheid mit Beschluss vom 06.06.2016, L521 2118691-1/12E, auf und verwies die Sache gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück.
Das aufgrund des den Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.06.2016, wieder zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt den Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung des wider ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes in der Folge keiner weiteren inhaltlichen Erledigung zu.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.05.2019, Zl. 237247706-190441050, wurde wider den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Im Gefolge einer Einvernahme am 07.05.2019 zog der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Aufhebung des wider ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes zurück, darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer aus der Schubhaft entlassen und ihm mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.05.2019, Zl. 237247706-190463266, gemäß § 77 FPG 2005 ein gelinderes Mittel zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. In der Folge wurde der Beschwerdeführer aus der Schubhaft entlassen.
Beim Versuch, dem Beschwerdeführer in weiterer Folge einen auf dem 16.09.2019 datierten Ladungsbescheid zur Vorsprache bei der türkischen Botschaft zur Erlangung eines Heimreisezertifikates zuzustellen, wurde von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 20.09.2019 festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer nicht mehr an der von ihm angegebenen Anschrift aufhielt. Der aktuelle Aufenthaltsort des Beschwerdeführers konnte in der Folge nicht festgestellt werden. Das gelindere Mittel zur Sicherung der Abschiebung wurde sodann wegen unbekannten Aufenthaltes des Beschwerdeführers aufgehoben.
1.7. Der Beschwerdeführer genoss bis zum 19.04.2012 freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Er war zunächst vom 17.06.2002 an mit mehrere kurzen Unterbrechungen als Arbeiter bei diversen Bauunternehmen beschäftigt (nämlich vom 17.06.2002 bis zum 30.06.2002, vom 01.07.2002 bis zum 22.12.2002, vom 07.10.2002 bis zum 31.10.2002, vom 07.01.2003 bis zum 28.02.2003 und vom 17.06.2003 bis zum 06.07.2003. Vom 22.07.2003 bis zum 19.10.2003 bezog der Beschwerdeführer erstmals Arbeitslosengeld. Ab dem 10.11.2003 war er bis zum 31.12.2003 als geringfügig beschäftigter Arbeiter und vom 11.12.2003 bis zum 16.03.2004 als Arbeiter erwerbstätigt. In der Folge ging der Beschwerdeführer weitere Beschäftigungsverhältnisse als Arbeiter ein, die vom 01.01.2004 bis zum 13.07.2004 und vom 21.02.2005 bis zum 01.07.2005 währten.
Teileweise parallel dazu war der Beschwerdeführer als Einzelunternehmer selbständig erwerbstätig. Er erlangte am 21.05.2004 eine Gewerbeberechtigung für das (freie) Güterbeförderungsgewerbe mit Kraftfahrzeugen bis zu 3.500 kg. Am 26.01.2006 legte der Beschwerdeführer die Gewerbeberechtigung zurück. Weitere Gewerbeberechtigungen erlangte der Beschwerdeführer nicht. Der Beschwerdeführer unterlag während seiner gewerblichen Tätigkeit der Pflichtversicherung in der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft nach § 2 Abs. 1 Z. 1 GSVG.
Vom 26.01.2006 an bis zum 03.02.2008 bezog der Beschwerdeführer (mit Unterbrechungen) Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Überbrückungshilfe. Vom 04.02.2008 bis zum 20.03.2008 und am 12.01.2009 war der Beschwerdeführer als Arbeiter neuerlich erwerbstätig. Ab dem 13.01.2009 bezog er bis zum 12.07.2009 Kinderbetreuungsgeld. Im Anschluss daran ging der Beschwerdeführer weitere kurzzeitige Beschäftigungsverhältnisse als Arbeiter ein (nämlich vom 05.10.2010 bis zum 31.10.2010 und vom 30.03.2011 bis zum 08.07.2011, vom 08.08.2011 bis zum 25.10.2011, am 29.11.2011 und vom 05.12.2011 bis zum 20.12.2011). Zwischen den Arbeitsverhältnissen bezog der Beschwerdeführer – wiederum mit Unterbrechungen – Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Am 01.10.2012 ging der Beschwerdeführer neuerlich ein Dienstverhältnis als Arbeiter ein, welches bis zum 22.01.2013 andauerte. Vom 23.12.2013 bis zum 27.06.2014 war er ebenfalls als Arbeiter erwerbstätig. Vom 02.12.2014 an bis zum 31.01.2015 war der Beschwerdeführer als Arbeiter in einem Frisörsalon zur Sozialversicherung angemeldet. Vom 10.03.2016 bis zum 20.04.2016, vom 25.07.2016 bis zum 05.08.2016 und vom 04.09.2017 bis zum neunten 20.11.2017 sowie vom 30.11.2017 bis zum 01.02.2018 schlossen sich weitere jeweils nur wenige Monate währende Arbeitsverhältnisse des Beschwerdeführers an. In den Zeiten der Arbeitslosigkeit bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Zuletzt war er vom sechsten 20.03.2018 bis zum 11.05.2018 und vom 15.05.2018 bis zum 10.10.2018 jeweils als Angestellter erwerbstätig. Keines der von Beschwerdeführer eingegangenen Arbeitsverhältnisse währte ununterbrochen länger als ein Jahr. Der Beschwerdeführer war entgegen seines Vorbringens nach dem 26.01.2006 nicht selbstständig als Transportunternehmer erwerbstätig. Sollte er selbstständig als Transportunternehmer tätig gewesen sein, ging er dieser Tätigkeit ohne Anmeldung zur Sozialversicherung und auch ohne Gewerbeberechtigung nach.
Im Bundesgebiet absolvierte der Beschwerdeführer Ausbildungen zum Schlosser und zum Baggerfahrer.
Der Beschwerdeführer ist seit seiner Entlassung aus dem Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände nicht erwerbstätig und verfügt über keine Krankenversicherung. Er verfügt allerdings über eine Einstellungszusage als vollzeitbeschäftigter „Maschinist“ bei der XXXX in 1120 Wien „voraussichtlich mit 08.03.2021“. Bis zum Entscheidungszeitpunkt brachte der Beschwerdeführer entgegen anfänglicher Zusicherungen weder einen unterfertigten arbeitsrechtlichen Vorvertrag in Vorlage, noch ging er tatsächlich ein Dienstverhältnis mit der genannten Gesellschaft ein. Einen anderen Arbeitsplatz hat der Beschwerdeführer nicht in Aussicht.
1.8. Der Beschwerdeführer hat keine Schulden. Er verfügt über ca. EUR 20,000,00 Barvermögen, welches aus einer Zahlung des Insolvenz-Entgelt-Fonds aus seinem letzten unselbständigen Beschäftigungsverhältnis (15.05.2018 bis zum 10.10.2018) herrührt. Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass ihm – solange er nicht erwerbstätig ist – gegenüber seiner Ehegattin ein Anspruch auf Ehegattenunterhalt zukommt.
1.9. Der Beschwerdeführer lebe zunächst nach seiner ersten Eheschließung mit seiner Ehegattin im gemeinsamen Haushalt, bisher von dort infolge von Gewalttätigkeiten gegen seine Ehegattin weggewiesen wurde und eine außereheliche Beziehung einging. Einige Zeit nach der Ehescheidung am 28.06.2006 kam es zu einer Versöhnung, der gemeinsame Haushalt wurde jedenfalls ab dem 30.08.2010 neuerlich begründet und es folgte die neuerliche Eheschließung im Jahr 2015.
Nachdem der Beschwerdeführer im Jahr 2018 neuerlich begann, Suchtgift zu konsumieren, verschlechterte sich seine Beziehung zu seiner Ehegattin und es kam neuerlich zu Beschimpfungen, Gewalttätigkeiten und Drohungen gegen XXXX . In der Nacht vom 15.01.2019 zum 16.01.2019 kam es neuerlich zu Beschimpfungen durch den Beschwerdeführer und es versuchte dieser, sich Zutritt zur ehelichen Wohnung zu verschaffen, nachdem sich XXXX dort aus Angst vor dem Beschwerdeführer selbst eingesperrt hatte. Zuletzt schlug der Beschwerdeführer eine Fensterscheibe ein und flüchtete, in der Folge wurde wider ihn ein Betretungsverbot gemäß § 38a SPG ausgesprochen. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11.02.2019, XXXX , wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 382b und 382e EO für die Dauer von sechs Monaten die Rückkehr in die eheliche Wohnung sowie der Aufenthalt dort und in der unmittelbaren Umgebung verboten. Dem Beschwerdeführer wurde ferner aufgetragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit seiner Ehegattin zu beenden.
Zuwiderhandlungen des Beschwerdeführers gegen diese einstweilige Verfügung sind für den 22.06.2019, den 27.07.2019, den 28.07.2019 und den 30.7.2019 dokumentiert.
Seit seiner Entlassung aus dem Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände wohnt der Beschwerdeführer wieder in der ehelichen Wohnung, ohne dort angemeldet zu sein. Seine Ehegattin XXXX möchte die Ehe mit dem Beschwerdeführer fortsetzen, da er ihr gegenüber Reue gezeigt hat. Sie attestiert dem Beschwerdeführer allerdings ein geringes Durchhaltevermögen.
XXXX ist Hauptmieterin der ehelichen Wohnung in 1030 Wien. Die monatliche Miete beträgt ca. EUR 530,00. XXXX ist geringfügig als Kassiererin in einem Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft tätig. Sie bringt ca. EUR 440,00 pro Monat ins Verdienen. Darüber hinaus bezieht XXXX Familienbeihilfe und weitere staatliche finanzielle Unterstützung im Betrag von ca. EUR 1.300,00 pro Monat. Da der Beschwerdeführer neuerlich in der ehelichen Wohnung wohnhaft ist, ist eine Neubemessung der Unterstützungsleistungen erforderlich. Deren zukünftige Höhe steht noch nicht fest.
Die älteren Söhne XXXX , leidet an einer spastischen beinbetonten bilateralen Cerebralparese sowie einer pathologischen niedrigen Wachstumsrate. Er benötigt zur Fortbewegung einen Rollstuhl. XXXX bewältigte die Pflege und Erziehung ihrer drei Söhne während der Abwesenheiten des Beschwerdeführers bislang alleine. Sie unternahm mit ihren Söhnen auch gemeinsame Urlaube und mit dem jüngsten Sohn Kuraufenthalte. Im Jahr 2020 nahm XXXX während der jüngsten Inhaftierung des Beschwerdeführers Unterstützung im Rahmen der mobilen Arbeit mit Familien der Magistratsabteilung 11 des Magistrates des Stadt Wien in Anspruch, da sie zusätzliche Unterstützung aufgrund der fortgeschrittenen Alters der drei Söhne benötigte.
XXXX lehnt eine Außerlandesbringung seines Vaters ab. Er sieht seinen Vater derzeit als vorranginge Ansprechperson bei „Problemen“ in Schule und Freizeit, da seine Mutter mit der Betreuung von XXXX ausgelastet ist. Aktuelle Probleme, für welche eine Hilfe des Vaters benötigt wird, werden mit Ausnahme von unzureichenden Schulnoten verneint. Das derzeitige Verhältnis zum Vater wird als gut beschrieben, früher habe er ihn wegen der Probleme „nicht so gemocht“.
XXXX lehnt eine Außerlandesbringung seines Vaters ebenfalls ab. Die Beziehung zum Vater sei derzeit besser als je zuvor und es habe ihm sein Vater „alles beigebracht“, früher habe er nicht viel Kontakt zu seinem Vater gehabt und es habe regelmäßig Streit gegeben oder es sei der Vater „ausgetickt“. Nunmehr sei der Beschwerdeführer ruhig und liebevoll und würde nicht mehr streiten oder schreien.
Auch XXXX lehnt die Außerlandesbringung seines Vaters ab. Sein Vater gehe mit ihm spazieren und er sei wichtig für ihn.
1.10. Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über einen Bruder, mit welchem er in regelmäßigem Kontakt steht und bei welchem nach Wegweisungen bzw. Betretungsverboten in der Vergangenheit gelegentlich einige Zeit nächtigte. In Wien leben außerdem zwei Onkel und zwei Tanten des Beschwerdeführers mit ihren zahlreichen Nachkommen (Cousinen und Cousins), der Beschwerdeführer trifft diese eigenen Angaben zufolge jedes zweite Wochenende.
Der Beschwerdeführer ist der türkischen Sprache auf muttersprachlichem Niveau mächtig. Seine Einvernahmen vor dem Bundesverwaltungsgericht und die meisten strafgerichtlichen Verhandlungen verrichtete er mit einem Dolmetscher. Er besuchte im Bundesgebiet eigenen Angaben zufolge einen Deutschkurs, verfügt jedoch über kein diesbezügliches Zertifikat. Prüfungen über Kenntnisse der deutschen Sprache auf einem bestimmten Niveau legte der Beschwerdeführer nicht ab. Der Beschwerdeführer verfügt für den Alltagsgebrauch hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, die er infolge seines langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet erworben hat. Für eine Unterstützung der Kinder im Unterrichtsfach Deutsch reichen die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers nicht aus.
Ein vereinsmäßiges Engagement des Beschwerdeführers ist nicht feststellbar. Feststellungen im Hinblick auf einen Freundeskreis können mangels dahingehenden Vorbringens und mangels vorliegender Unterstützungserklärungen nicht getroffen werden.
Der Beschwerdeführer beschreibt das derzeitige Verhältnis zu seiner Ehegattin als gut und führt die früheren ehelichen Streitigkeiten sowie seine Übergriffe auf seinen Suchtgiftkonsum zurück. Mit seinen Kindern unternimmt er „spontane Aktivitäten“ wie Ausflüge in den Prater oder gemeinsames Fahrradfahren, er spricht mit ihnen über Hausaufgaben und unternimmt mit ihnen Spaziergänge. Seine Ehegattin hilft der Beschwerdeführer im Haushalt und erledigt den Einkauf. Der Beschwerdeführer sieht seine Aufgabe einerseits im Erwirtschaften von Einkommen, andererseits darin aufzupassen, dass „die Kinder in der Freizeit nichts anstellen“.
XXXX ist der Ansicht, dass die Söhne den Vater benötigen, da die aufgrund der Pubertät Aktivitäten mit der Mutter für die Söhne nicht mehr attraktiv sind und die Kinder gegenüber dem Vater noch eher Respekt zeigen. Die aktuellen Freunde seiner Söhne waren dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Einvernahme nicht geläufig, da er erst seit kurzen wieder bei seiner Familie lebt. Über die beruflichen Ziele seiner Söhne ist der Beschwerdeführer nicht vollständig orientiert, auch nicht über die aktuell von den Söhnen besuchten Schulen.
1.11. Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit im Herkunftsstaat erworbener grundlegender Schulbildung, einer Berufsausbildung als Koch und im Bundesgebiet erworbener Berufserfahrung als Arbeiter bei Bauunternehmen und Ausbildungen als Schlosser und als Baggerfahrer.
Der Beschwerdeführer verfügt in seinem Herkunftsstaat über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage sowie über familiäre Anknüpfungspunkte in seiner Herkunftsregion in Gestalt seiner dort lebenden Eltern und Geschwister sowie eine Wohnmöglichkeit bei seiner Familie. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens in der Türkei möglich und zumutbar.
1.12. Vom Jahr 2005 an wurde der Beschwerdeführer wiederholt straffällig.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.07.2006, XXXX , wurde der Beschwerdeführer des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 und zwei erster Fall StGB schuldig erkannt und nach § 133 Abs. 2 erster Strafsatz zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von neun Monaten verurteilt. Die verhängte Freiheitsstrafe wurde unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Demnach hat der Beschwerdeführer in Wiener Neudorf und in Wien am 30.03.2005 bzw. 29.07.2005 als Verantwortlicher eines Einzelunternehmens ein Gut, das ihm anvertraut worden ist, sich oder einem Dritten mit dem Vorsatz zugeeignet, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem er zwei von der XXXX mit Leasingvertrag überlassene Fahrzeuge der Marke Mercedes-Benz 313 CDI, deren Gesamtwert EUR 3.000,00, nicht jedoch EUR 50.000,00 übersteigt, nach Vertragskündigung nicht zurückstellte und gegenüber den nachfragenden Beauftragten der Eigentümerin unrichtige Angaben über den Verbleib der Fahrzeuge machte, damit sie nicht gefunden würden.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Wien als erschwerend das Zusammentreffen zweier Vergehen, als mildernd demgegenüber die Unbescholtenheit sowie das umfassende reumütige Geständnis.
Vom weiteren im Strafantrag erhobenen Vorwurf, der Beschwerdeführer habe am 22.11.2005 vorsätzlich versucht, einen falschen 100-Euro- Geldschein, mithin nachgemachtes Geld, als echt und unverfälscht auszugeben, indem er den Geldschein bei einem Unternehmen in kleinere Geldscheine um wechseln wollte, wurde der Beschwerdeführer gemäß § 259 Z.3 StPO freigesprochen.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 07.05.2007, XXXX , wurde der Beschwerdeführer des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und nach dieser Gesetzesstelle zu einer unbedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.
Demnach hat der Beschwerdeführer am 07.09.2006 in Wien einen Dritten vorsätzlich am Körper verletzt, indem er mit einem Messer gegen das Gesicht des Dritten fuhr, wodurch dieser eine Schnittverletzung im Gesicht erlitt.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Wien als mildernd keinen Umstand, als erschwerend ebenfalls keinen Umstand. Vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.07.2006, XXXX , verhängten bedingten Freiheitsstrafe wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
Vom weiteren im Strafantrag erhobenen Vorwurf, der Beschwerdeführer habe am 02.10.2006 in Wien eine Dritte durch die Äußerung, er werde ihr die Hölle heiß machen bei Nichtbekanntgabe der Adresse ihres Ex-Mannes und er werde ihren Ex-Mann und sie umbringen, durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, nämlich der Bekanntgabe der Adresse ihres Ex-Mannes zu nötigen versucht, sowie am 10.12.2006 in Wien eine Dritte durch Gewalt, nämlich Festhalten und Umwickeln des Mundes mit einem Schal am Weglaufen und Schreien zu hindern versucht zu haben, wurde der Beschwerdeführer gemäß § 259 Z. 3 StPO freigesprochen.
Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 11.06.2007, XXXX , wurde der Beschwerdeführer gemeinsam mit einem Mittäter des Vergehens der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes nach § 233 Abs. 1 Z. 1 StGB schuldig erkannt und nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von einem Jahr verurteilt. Die verhängte Freiheitsstrafe wurde unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Demnach hat der Beschwerdeführer in Wien ab Dezember 2006 bis zum 22.01.2007 nachgemachtes Geld, nämlich jeweils Falsifikate von 100-Euro-Geldscheinen mit dem Vorsatz besessen, dass es als echt und unverfälscht ausgegeben werde.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht St. Pölten als mildernd das Geständnis sowie die Verleitung durch einen bereits verurteilten Dritten, als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe sowie den raschen Rückfall.
Vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.07.2006, 123 Hv 68/06f, verhängten bedingten Freiheitsstrafe wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 13.01.2009, XXXX , wurde der Beschwerdeführer des Vergehens der Weitergabe von Falschgeld oder verringerten Geldmünzen nach § 236 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Monaten verurteilt. Die verhängte Freiheitsstrafe wurde unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Demnach hat der Beschwerdeführer am 07.06.2006 in Wien fünf gefälschte 100-Euro-Geldscheine weitergegeben, indem er sie XXXX als Unterhalt für die gemeinsamen Kinder übergab.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Bezirksgericht Hernals als mildernd das lange zurückliegen der Tat, als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe.
Vom weiteren im Strafantrag erhobenen Vorwurf, der Beschwerdeführer habe am 02.07.2007 XXXX durch Schläge am Körper verletzt, wurde der Beschwerdeführer gemäß § 259 Z. 3 StPO freigesprochen. Ausweislich der Entscheidungsgründe erlitt XXXX eine Rissquetschwunde am Kopf, sie nahm ihr Recht auf Aussagebefreiung gemäß § 156 Abs. 1 Z. 1 StPO wahr, sodass das Gericht keine Feststellung dahingehend treffen konnte, dass es sich um ein über eine bloße Abwehrhandlung hinausgehendes Verhalten des Beschwerdeführers gehandelt habe.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.01.2011, XXXX , wurde der Beschwerdeführer des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und nach § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten verurteilt. Die verhängte Freiheitsstrafe wurde unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Demnach hat der Beschwerdeführer am 20.10.2010 in Wien XXXX
1. mit Gewalt, indem er sie mit einem Tuch würgte und zu Boden brachte und sie aufforderte, sich zu entschuldigen und „den Mund zu halten“, zu einer Handlung, nämlich dazu, sich bei ihm zu entschuldigen, und zu einer Unterlassung, nämlich dazu, ihn nicht zu beschimpfen, genötigt;
2. durch die beschriebene Tathandlung vorsätzlich am Körper verletzt, wodurch sein Hämatom am linken Auge und ein Hämatom am Hals erlitt.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Wien als mildernd das Geständnis, als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14.03.2013, XXXX , wurde der Beschwerdeführer des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 vierter und fünfter Fall SMG, teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuches nach § 15 StGB, sowie des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall SMG schuldig erkannt und gemäß § 28a Abs. 1 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten verurteilt.
Demnach hat der Beschwerdeführer in Graz und in Wien vorschriftswidrig Suchtgift
I. in einer die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge
1. anderen angeboten, indem er im Zeitraum von Jänner 2012 bis 16.03.2012 200g bis 300 g Kokain mit in Aussicht gestelltem Reinheitsgehalt von ca. 90 % zum Grammpreis von EUR 65,00 bis 70,00 einem abgesondert verfolgten Dritten zum Kauf anbot;
2. anderen zu überlassen versucht, indem er Ende Jänner 2012 1.800 g Cannabiskraut zum Preis von EUR 2.500,00 pro Kilogramm einem abgesondert verfolgten Dritten zum Kauf anbot, wobei das Suchtgift in einer Tasche mit sich führte und der Abschluss des Geschäftes nur daran scheiterte, dass der abgesondert verfolgte Dritte nicht über die entsprechende Menge Bargeld verfügte;
3. anderen überlassen, indem er im Zeitraum von Ende Jänner 2012 bis 16.03.2012 ca. 1000 g Cannabiskraut zum Preis von rund EUR 2.500,00 pro Kilogramm an einen abgesondert verfolgten Dritten verkaufte, er weiters ca. 750 g Cannabiskraut gegen eine Anzahlung von EUR 500,00 an eine abgesondert verfolgten Dritten verkaufte, er weiters ca. 700 g Cannabiskraut gegen eine Anzahlung von EUR 950,00 an einen abgesondert verfolgten Dritten verkaufte und er schließlich ca. 2000 g Cannabiskraut zum Preis von EUR 4.500,00 pro Kilogramm einem abgesondert verfolgten Dritten verkaufte, wobei aufgrund der Sicherstellung von 689,6 g Cannabiskraut von einer bestimmten ausgewerteten Qualität ausgegangen werden konnte;
II. erworben und besessen, indem er im Zeitraum von Anfang des Jahres 2008 bis 16.03.2012 unbekannte Mengen Cannabiskraut konsumierte.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Graz als mildernd keinen Umstand, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und Verbrechen. Vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.01.2011, XXXX , verhängten bedingten Freiheitsstrafe wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
In der Folge wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 22.07.2016, XXXX , des Vergehens des versuchten Diebstahls nach den §§ 15 und 127 StGB schuldig erkannt und gemäß § 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.
Demnach hat der Beschwerdeführer am 24.02.2016 in Wien versucht, eine fremde bewegliche Sache, nämlich ein Diktiergerät samt Fernbedienung im Wert von EUR 199,90, in einem Elektronikmarkt mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er die Ware in seiner Kleidung verbarg und den Kassenbereich passierte, ohne zu bezahlen.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien als mildernd das Geständnis sowie den Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist, als erschwerend zwei einschlägige Vorstrafen.
Vom Widerruf der mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30.09.2014, 187 BE 81/14w, bewilligten bedingten Entlassung wurde abgesehen.
Im Anschluss wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.02.2017, XXXX , des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 5 SMG, ferner des Vergehens der Verbreitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 4 erster Fall SMG und schließlich des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG schuldig erkannt und gemäß § 28 Abs. 1 StGB nach § 28 Abs. 4 erster Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.
Demnach hat der Beschwerdeführer in Wien vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Heroin, in zumindest durchschnittlicher Straßenqualität
I. anderen teils entgeltlich überlassen, wobei er ab der dritten entgeltlichen Tathandlung gewerbsmäßig handelte, wobei er selbst an ein Suchtmittel, nämlich Heroin gewöhnt ist und die strafbaren Handlungen vorwiegend begangen, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, und zwar
A. einem Dritten zu einem konkret nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Oktober 2016 1 g durch Verkauf um EUR 30,00,
B. einem Dritten im Zeitraum sieben und 20.10.2016 bis 7.11.2016 in zwei Angriffen 2 g durch Verkauf um je EUR 30,00,
C. einem Dritten unentgeltlich, nämlich seit Anfang November 2016 bis zum 08.11.2016 eine konkret nicht mehr feststellbare Menge beim gemeinsamen Konsum sowie am 08.11.2016 drei Baggies zu je 2,0 g brutto;
II. in einer die Grenzmenge des § 28b SMG mehrfach übersteigenden Menge von 69 g mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, am 04.11.2016 erworben und bis zum 08.11.2016 besessen, wobei er selbst an ein Suchtmittel, nämlich Heroin gewöhnt ist und die strafbaren Handlungen vorwiegend beging, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen;
III. im Zeitraum Ende November 2015 bis zum 08.11.2016 wiederholt ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.
Ein aus Suchtgiftgeschäften erlangter Geldbetrag von Euro 90,00 wurde gemäß § 20 Abs. 1 StGB für verfallen erklärt und das sichergestellte Suchtgift gemäß § 34 SMG und § 26 Abs. 1 StGB eingezogen.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Wien als mildernd das reumütige Geständnis sowie die Sicherstellung eines Teils des Suchtgiftes, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die einschlägigen Vorverurteilungen, der lange Tatzeitraum, die Begehung während offener Probezeit und den raschen Rückfall.
Vom Widerruf der mit den Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.01.2011, XXXX , sowie des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 22.07.2016, XXXX , jeweils gewährten bedingten Strafnachsicht sowie der mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30.09.2014, XXXX , bewilligten bedingten Entlassung wurde abgesehen, jedoch wurden die Probezeiten jeweils auf fünf Jahre verlängert.
Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.03.2017, XXXX , wurde dem Beschwerdeführer hinsichtlich der verhängten Freiheitsstrafe von neun Monaten gemäß § 39 Abs. 1 SMG Strafaufschub bis 22.02.2019 gewährt, dies unter der Voraussetzung einer regelmäßigen ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustandes, einer medizinisch-psychiatrischen Behandlung einschließlich einer Entzugs und Substitutionsbehandlung sowie einer Psychotherapie.
Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge umgehend aus der Strafhaft auf freien Fuß gesetzt. Am 23.03.2017 trat er eine ambulante Therapie bei der Institution XXXX in Wien an. Diese Institution übermittelte dem Landesgericht für Strafsachen Wien am 25.05.2018 einen positiven Abschlussbericht, wonach sich der Beschwerdeführer während der Therapie als zuverlässig und verantwortungsbewusst erwiesen habe. Die vereinbarten therapeutischen Ziele, etwa die soziale und berufliche Reintegration, den Ausbau der familiären Stabilität sowie den eingeschlagenen, abstinenzorientierten Lebensstil zu stärken und nachhaltig zu etablieren, sei erreicht worden. Die vom Beschwerdeführer abgegebenen Harntests wären stets negativ gewesen.
Aufgrund des positiven Endbericht wurde die wider den Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.02.2017, XXXX , verhängte Freiheitsstrafe mit Beschluss vom 10.07.2018 unter der Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren gemäß § 40 Abs. 1 SMG bedingt nachgesehen.
Am 25.09.2019 wurde der Beschwerdeführer festgenommen und wider ihn mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.9.2019, XXXX , die Untersuchungshaft verhängt.
Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12.02.2020, XXXX , des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125 und 126 Abs. 1 Z. 7 StGB, des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 und zwei StGB, des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs. 1 StGB, des Vergehens gegen das Waffengesetz nach § 50 Abs. 1 Z. 3 WaffG sowie des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB schuldig erkannt und gemäß § 28 StGB nach § 126 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
Demnach hat der Beschwerdeführer in Wien
A. fremde bewegliche Sachen beschädigt, wodurch ein Schaden von mehr als EUR 5.000,- entstand und zwar
I. am 16.10.2018 den PKW Land-Rover Freelander zweier Dritter, indem er die rechte hintere Scheibe mit einem Baseballschläger einschlug, eine unbekannte Flüssigkeit in den Kofferraumbereich schüttete, diese anzündete und den linken vorderen und beide hinteren Reifen des PKW mit einem Küchenmesser aufstach, wodurch ein Schaden in Höhe von EUR 11.000,00 entstand;
II. am 16.10.2018 den PKW Kia eines Dritten, indem er die Reifen links vorne und links hinten mit einem Küchenmesser aufstach, wodurch ein nicht mehr festzustellender Schaden entstand;
III. am 16.10.2018 den PKW Toyota Auris eines Dritten, indem er zwei Reifen mit einem Küchenmesser aufstach, wodurch ein nicht mehr festzustellender Schaden entstand;
IV. am 16.01.2019 in Wien das Küchenfenster der an XXXX vermieteten Wohnung, sohin eine fremde bewegliche Sache, vorsätzlich beschädigt, indem er es mit einem unbekannten Gegenstand einschlug, wodurch es zu Bruch ging (Schaden unter EUR 3.000,-);
B. am 22.3.2018 Vollmachten durch Einsetzen der Unterschrift einer Dritten durch ihn selbst, somit echte Urkunden mit dem Vorsatz verfälscht, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache, nämlich zu Durchführung von eigenmächtigen Handlungen in der Firma der Dritten, gebraucht werden und diese durch Vorlage bei einem Steuerberater auch gebraucht;
C. am 17.01.2019 in Wien im Zuge einer Beschuldigtenvernehmung Beamten der Landespolizeidirektion Wien, mithin zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten, durch die Behauptung, zwei unbekannte Täter hätten ihm am 16.01.2019 mit Gewalt gegen seine Person fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in Höhe von EUR 400,00, ein Schweizer Messer und Suchtgift mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie ihn festhielten und an der Wand fixierten, die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB wissentlich vorgetäuscht;
D. am 05.03.2019 ein Fixiermesser und einen als Taschenlampe getarnten Elektroschocker, somit Waffen besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten war;
E. am 28.08.2019 einem Taxilenker unter Vortäuschung der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit eine Dienstleistung, nämlich eine Taxifahrt im Wert von EUR 22,00 herausgelockt, indem er die Leistung in Anspruch nahm, den Fuhrlohn jedoch mit dem Vorsatz nicht bezahlte, sich oder einen Dritten durch das Verhalten des Getäuschten, nämlich die Erbringung der Dienstleistung in Erwartung, dass diese auch entlohnt wird, unrechtmäßig zu bereichern.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Wien als mildernd das teilweise Geständnis und die reduzierte psychische Verfassung des Beschwerdeführers, als erschwerend das Vorliegen mehrerer einschlägiger Vorstrafen sowie das Zusammentreffen mehrerer Straftaten.
Vom Widerruf der mit den Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.02.2017, XXXX , und des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 22.07.2016, XXXX , jeweils gewährten bedingten Strafnachsichten sowie der mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30.09.2014, XXXX , bewilligten bedingten Entlassung wurde neuerlich abgesehen.
Eine Schadensgutmachung hinsichtlich der Beschädigung von Fahrzeugen wurde vom Beschwerdeführer nicht geleistet.
Der Beschwerdeführer verbüßte die wider ihn verhänge Freiheitsstrafe im Anschluss daran in der Justizanstalt Krems. Während seiner Anhaltung zeigte er sehr gute Führung und Arbeitsleistung in der Schlosserei der Justizanstalt für drei Monate. Der Beschwerdeführer zeigte sich an einer Therapie interessiert und wurde zwei Male von Vertretern einer Therapieeinrichtung besucht, eine Therapie kam jedoch aufgrund der Covid-19-Situation nicht zustande. Der Beschwerdeführer nahm psychologische Beratungsgespräche im Rahmen des Sozialen Dienstes in der Justizanstalt in Anspruch. In der Justizanstalt Krems empfing der Beschwerdeführer einmal (nämlich am 13.02.2020) Besuch von XXXX und mehrfach Besuch von Verwandten.
Am 04.09.2020 wurde er in das Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände überstellt und dort zur Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen im Gesamtausmaß von 44 Tagen angehalten. Am 16.10.2020 wurde der Beschwerdeführer aus dem Arrest entlassen.
1.13. Der Beschwerdeführer begann im Jahr 2008 mit dem Konsum von Suchtgift. Er konsumierte zunächst Cannabis. Später – zumindest ab dem Jahr 2016 – konsumierte der Beschwerdeführer Heroin in Form des Rauchens auf einer Folie.
Der Beschwerdeführer wurde im Verfahren XXXX des Landesgerichtes für Strafsachen Wien von der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Dr. XXXX untersucht. Ausweislich des Sachverständigengutachtens vom 06.03.2017 gab der Beschwerdeführer unter anderem an, in Österreich eine Lehre als Bauschlosser abgeschlossen zu haben. Sieben Jahre lang habe er bei einer „türkischen Baufirma“ in Wien gearbeitet. Nach der Insolvenz dieses Unternehmens habe er weiter im Transportbereich gearbeitet, zwischendurch sei sechs Monate selbstständig gewesen, auch arbeitslos, er habe jedoch immer wieder Arbeit gefunden. Zuletzt sei er als Baggerfahrer teilzeitbeschäftigt gewesen und netto EUR 1.300,00 verdient. Als Grund für die Suchgiftabhängigkeit gab der Beschwerdeführer die körperliche Behinderung seines jüngsten Sohnes an. Die familiären Verhältnisse bezeichnete der Beschwerdeführer als gut. Nur seine Sucht habe er noch nicht nachgedacht und auch bislang keine stationäre oder ambulante Entzugsbehandlung bzw. Therapie absolviert. Sein Drogenkonsum bewirke, dass er „sehr schlimme Dinge mache“. Er vergesse Termine und sei unzuverlässig. Vom Suchtmittel Heroin seien nach einer Woche abhängig gewesen, ein Entzug habe zu starken Rückenschmerzen und Kältegefühl geführt, sodass er wiederum Suchtgift genommen habe. Gegenwärtig erhalte er Methadon als substituierende Medikation. Bei der Selbsteinschätzung im Hinblick auf eine mögliche Therapie gab der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der eigenen Stärke und der Wahrscheinlichkeit eines positiven Therapieabschlusses jeweils Bestwerte an. Die Schwierigkeit einer Drogentherapie schätzt er demgegenüber äußerst gering ein. Die Sachverständige diagnostizierte beim Beschwerdeführer psychische und Verhaltensstörungen durch Opiate verbunden mit einem Abhängigkeitssyndrom, derzeit in einem ärztlich überwachten Ersatzprogramm (F11.22), psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide, schädlicher Gebrauch (F12.1). Weitere psychische Erkrankungen konnten nicht festgestellt werden. Seitens der Sachverständigen wurde eine ambulante Therapie als ausreichend erachtet. Die weiteren Angaben des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine soziale und berufliche Verankerung wurden von der Sachverständigen als glaubhaft erachtet und daraus auf ein ausreichend stabiles soziales Umfeld und Beziehungsumfeld geschlossen. Die Therapiefähigkeit des Beschwerdeführers wurde von der Sachverständigen als eher gering eingeschätzt, die Kritikfähigkeit im Hinblick auf die eigene Person sei herabgesetzt bzw. kaum vorhanden. Der Beschwerdeführer wisse sich nur in positiven Zügen zu beschreiben, nicht aber negativen Zügen und in eigenen Schwächen.
Im Verfahren 33 Hv 88/18b des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde der Beschwerdeführer von der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen XXXX untersucht und es wurde ein auf den 05.11.2019 datiertes Sachverständigengutachten über den Geisteszustand bzw. die Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers erstellt. Ausweislich des Gutachtens wurde im Harn des Beschwerdeführers bei seiner Festnahme Opiate und Kokain festgestellt. Der Beschwerdeführer wurde umgehend neuerlich in ein Substitutionsprogramm aufgenommen. Eine Abhängigkeit von Cannabinoiden wurde vom Beschwerdeführer bestritten. Die Sachverständige attestiert dem Beschwerdeführer, dass der Schwellenwert für Psychopathie (einhergehend mit einer deutlich erhöhten Gefahr für eine hohe Wahrscheinlichkeit gewaltsame Übergriffe) bei 20 Punkten und einem Schwellenwert von 25 Punkten noch nicht erreicht werde, der Beschwerdeführer aber eine erhöhte Gefährdung für Gewalttätigkeiten aufweisen würde. Ungeachtet diverser Anhaltspunkte ergeben sich keine Hinweise auf eine paranoid sensitive Realitätsverzerrung oder eine behandlungsbedürftige Erkrankung aus dem paranoiden wahnhaften Formenkreis. Es fänden sich jedoch Hinweise auf psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzkonsum, aktuellem beschützen der Umgebung kontrolliert substituiert (F19.2). Weiters sei eine Persönlichkeitsakzentuierung (F60.8, F61) einhergehend mit dissozialen und emotional instabilen Anteilen festzustellen. Der Beschwerdeführer neige tendenziell dazu, im bestimmten Situationen bedürfnisorientierte Grenzen der Sozietät zu übersteigen. Der Auslöser eigenen Fehlverhaltens werde eher in der äußeren Umgebung als bei sich selbst gesehen und es neige der Beschwerdeführer immer wieder zur ihr hoher Irritabilität und Affektlabilität. Die Persönlichkeit des Beschwerdeführers wirke zwar auffällig, sei jedoch nicht im Sinn einer höhergradigen Abnormität psychiatrisch zu interpretieren. Der Suchtmitteleinfluss fördere auch zukünftig die Begehung äquivalenter Delikte sowie auch Auseinandersetzungen mit der Ehefrau. Die Kombination „männlicher Täter, Suchtmittelkonsum, erhöhte Gewaltbereitschaft, Persönlichkeitsakzentuierung bzw. Persönlichkeitsstörung, grenzwertig hoher Psychopathiescore, prolytrope kriminelle Handlungen“ sein naturgemäß ungünstig hinsichtlich der Begehung von künftigen Gewaltdelikten. Vor allem sei die Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich äquivalenter Handlungen wie tätlicher Übergriffe auf die Ehefrau ungünstig. Die ungünstige Gefährlichkeitsprognose ließe sich durch eine verlässliche Abstinenz von Suchtmitteln mindern.
Der Beschwerdeführer nimmt keine Suchtmitteltherapie und auch keine anderen therapeutischen Angebote in Anspruch. Er zeigt sich jedoch mit einer Therapie grundsätzlich einverstanden und steht eigenen Angaben zufolge in Kontakt mit einer Therapieeinrichtung. Der Beschwerdeführer unterhielt zuletzt – zumindest am 24.12.2020 – Kontakt mit Freunden, die Suchtgift konsumieren. Er führte in seinem (auf seinen Sohn XXXX zugelassenen) Fahrzeug Suchtgift, nämlich Kokain, mit sich. Der Beschwerdeführer konsumierte einige Tage vor dem 24.12.2020 auch selbst geringe Mengen Kokain.
1.14. Der Beschwerdeführer hatte nach seiner Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Graz am 14.03.2013, XXXX , eine unbedingte Freiheitsstrafe zu verbüßen. Er trat diese nicht auf Aufforderung hin an, sondern musste am 06.08.2013 zum Strafantritt polizeilich vorgeführt werden. In der Folge verbüßte der Beschwerdeführer die unbedingte Freiheitsstrafe in der Justizanstalt Simmering. Ein nachträglich gestellter Antrag auf Strafaufschub gemäß § 39 Abs. 1 SMG wurde mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 29.11.2013 abgewiesen, da mangels eines rechtzeitigen Ersuchens „jeglicher Anhaltspunkt für eine Therapiewilligkeit des Verurteilten fehlte“.
Am 06.07.2014 wurde der Beschwerdeführer entlassen, wobei ihm eine Reststrafe von einem Monat mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.06.2014, XXXX , bedingt nachgesehen und Bewährungshilfe angeordnet wurde.
Nach seiner bedingten Entlassung am 06.07.2014 wurde der Beschwerdeführer von einem Bewährungshelfer betreut. In einem Erstbericht vom 01.12.2016 berichtet der Bewährungshelfer, dass der Beschwerdeführer durch die unsichere Aufenthaltssituation belastet sei. Die Termine habe er bislang verlässlich wahrgenommen, nunmehr befinde er sich jedoch seit dem 07.11.2016 in Untersuchungshaft. Bei den letzten Terminen habe der Beschwerdeführer immer wieder erzählt, dass er eine Rückkehr in die Türkei mit seiner Familie planen würde, der in Österreich keine Zukunft für sich sieht. Er habe allerdings noch keine sachgerechte Lösung für die Betreuung seines jüngsten Sohnes gefunden.
In einem weiteren Bericht zur Hauptverhandlung im Verfahren XXXX des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15.02.2017 führt der Bewährungshelfer des Beschwerdeführers aus, der Beschwerdeführer habe zuletzt gemeinsam mit seiner Gattin und den drei minderjährigen Kindern im gemeinsamen Haushalt gelebt und Notstandshilfe bezogen. Die unsichere Aufenthaltssituation belastenden Beschwerdeführer weiterhin. Der Beschwerdeführer nehmen die Termine verlässlich war, eine Rückkehr in die Türkei gemeinsam mit der Familie werde nach wie vor immer wieder von ihm angesprochen.
In einem letzten Bericht vom 02.04.2019 ersucht der Bewährungshelfer um Aufhebung der Bewährungshilfe, da der Beschwerdeführer seit Herbst 2018 für ihn nicht mehr erreichbar sei und er nicht zu den brieflich vorgeschlagenen Terminen erscheine. Auch ein Hausbesuch sei nicht erfolgreich gewesen.
1.15. Wider den Beschwerdeführer besteht seit dem 04.11.2004 ein rechtskräftiges Waffenverbot, welches infolge einer Wegweisung und eines Betretungsverbotes verhängt wurde.
1.16. Der Beschwerdeführer trat in den letzten Jahren auch wiederholt auf verwaltungsstrafrechtlicher Ebene in Erscheinung.
Am 23.03.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen Missachtung des Hupverbotes im Bereich der Bundeshauptstadt Wien am 20.03.2018 angezeigt, was die Verhängung einer Geldstrafe im Betrag von EUR 70,00 nach sich zog (§ 22 Abs. 2 StVO).
Am 06.07.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 19 km/h am 23.06.2018 angezeigt, was die Verhängung einer Geldstrafe im Betrag von EUR 80,00 nach sich zog (§ 20 Abs. 2 StVO).
Am 28.11.2018 wurde der Beschwerdeführer angezeigt, weil er sich nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht rechtzeitig aus dem Bundesgebiet entfernt und sich am Tag der Anzeige immer noch im Bundesgebiet aufgehalten habe, was die Verhängung einer Geldstrafe im Betrag von EUR 500,00 nach sich zog (§ 120 Abs. 1b FPG 2005).
Am 16.01.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen Lenkens eines Fahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand am selben Tag angezeigt, was die Verhängung einer Geldstrafe von EUR 800,00 nach sich zog (§ 99 Abs. 1b iVm. § 5 Abs. 1 StVO). Dem Jahr Beschwerdeführer wurde die Weiterfahrt untersagt und es wurde ihm der Führerschein wurde der Beschwerdeführer (vorläufig) abgenommen.
Am 22.01.2019 wurde der Beschwerdeführer neuerlich angezeigt, weil es sich nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht rechtzeitig aus dem Bundesgebiet entfernt und sich am Tag der Anzeige immer noch im Bundesgebiet aufgehalten habe, was neuerlich die Verhängung einer Geldstrafe, dieses Mal im Betrag von EUR 2.500,00 nach sich zog (§ 120 Abs. 1b FPG 2005).
Am 07.02.2019 wurde der Beschwerdeführer angezeigt, weil er entgegen dem wider seine Person verhängten Betretungsverbot gemäß § 38a SPG die Wohnung seiner Ehegattin mit weiteren in seinem Besitz befindlichen Schlüssel betreten hatte und er auch nach diesem Vorfall nochmals bei der Gegensprechanlage andeutete und auch in der Folge im Nahebereich der Wohnung seiner Ehegattin verblieb, wo er von den verständigten Polizeibeamten beim Einparken mit einem Fahrzeug angetroffen wurde, sodass der Beschwerdeführer auch wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung angezeigt wurde. Aufgrund dieser Vorfälle wurde wider den Beschwerdeführer eine Verwaltungsstrafe im Betrag von EUR 150,00 (§ 38a Abs. 1 iVm § 84 Abs. 1 Z. 2 SPG) und eine weitere Verwaltungsstrafe im Betrag von EUR 850,00 (§ 1 Abs. 3 iVm § 37 Abs. 1 FSG) verhängt.
Am 17.02.2019 wurde der Beschwerdeführer von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes beim Einfahren mit einem Kraftfahrzeug in einen Kreuzungsbereich, obwohl die Ampelanlage gelbes Licht zeigte und ein sicheres Anhalten an der Haltelinie möglich gewesen wäre, wahrgenommen. Während der Verfolgung durch das Polizeifahrzeug überfuhr der Beschwerdeführer außerdem eine Sperrlinie. Da in der Folge festgestellt wurde, dass dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung vorläufig abgenommen worden war, wurde auch dieser Umstand zur Anzeige gebracht. Wider die Beschwerdeführer wurden deshalb Verwaltungsstrafen im Betrag von EUR 60,00 (§ 38 Abs. 1 lit. A StVO), im Betrag von EUR 100,00 (§ neun Abs. 1 StVO) sowie im Betrag von EUR 726,00 (§ 1 Abs. 3 iVm § 37 Abs. 1 FSG) verhängt.
Am 19.03.2019 wurde der Beschwerdeführer neuerlich wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung angezeigt, anlässlich der Betretung am 05.03.2019 fielen dem einschreitenden Beamten ferner nicht im Zulassungsschein eingetragen Umbauten an dem vom Beschwerdeführer gelenkten schwarzen Kastenwagen auf, was dem Beschwerdeführer eine zusätzliche Anzeige ein trug. Beim Beschwerdeführer wurde ferner (unter dem Fahrersitz) ein Elektroschockgerät und ein Messer aufgefunden (dieser Umstand führte zu einer strafgerichtlichen Verurteilung mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12.02.2020, 33 Hv 88/18b) und es wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer in der Fahrerkabine eine „Dashcam“ sowie ein gelbes Blitzlicht angebracht hatte. Der Beschwerdeführer wurde umgehend die Weiterfahrt untersagt. Aufgrund dieser Vorfälle wurden wider den Beschwerdeführer Verwaltungsstrafen im Betrag von EUR 150,00 (§ 99 Abs. 6 KFG) und im Betrag von EUR 1.000,00 (§ 1 Abs. 3 iVm § 37 Abs. 1 FSG) verhängt.
Am 15.03.2019 lenkte der Beschwerdeführer neuerlich ein Kraftfahrzeug, er überschritt dabei die im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 13 km/h, sodass eine Verwaltungsstrafe im Betrag von EUR 80,00 verhängt wurde (§ 99 Abs. 3 lit. a StVO).
Am 30.04.2019 wurde der Beschwerdeführer beim Lenken eines Fahrzeuges von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes wahrgenommen, da aufgrund technischer Probleme an einer Kreuzung nicht anfahren konnte und es in der Folge wegen blockieren der Bremsen zu einer starken Geruchs- bzw. Rauchentwicklung kam. In der Folge versuchte der Beschwerdeführer zunächst, sich den einschreitenden Beamten durch Wegfahren zu entziehen, da jedoch die Bremsen des Fahrzeuges weiterhin blockierten konnten die einschreitenden Beamten (die über kein Fahrzeug verfügten) den Beschwerdeführer einholen. Bei der Kontrolle gab der Beschwerdeführer zunächst falsche Identitätsdaten an und legte nach Konfrontation mit einem Lichtbild dar, dass er 20 kg abgenommen und sich einer Haarfortpflanzung unterzogen habe. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge festgenommen, wobei er nach seiner Einvernahme versuchte, sich durch Faustschläge und Schlagen des Kopfes gegen die Wand selbst zu verletzen, er die einschreitenden Beamten zu provozieren versuchte und sich insgesamt unkooperativ und aggressiv verhielt. Der Sachverhalt führte zu Verwaltungsstrafen wegen Missachtung von Anordnungen eines Straßenaufsichtsorganes (EUR 50,00, § 97 Abs. 4 StVO), wegen Erregung ungebührlichen Lärms durch durchdrehende Antriebsräder (EUR 70,00, § 102 Abs. 4 KFG), wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung (EUR 1.200,00, § 1 Abs. 3 iVm § 37 Abs. 1 FSG) und wegen aggressiven Verhaltens (EUR 150,00, § 82 Abs. 1 SPG).
Schon am 22.05.2019 wurde der Beschwerdeführer neuerlich beim Lenken eines Kraftfahrzeuges (dieses Mal mit einem französischen Kennzeichen) betreten. Bei der Kontrolle konnte der Beschwerdeführer auch keinen Zulassungsschein vorweisen. Im Fahrzeug befand sich kein Verbandszeug und keine Warnkleidung. Aufgrund dieser Vorfälle erging allerdings nur eine Bestrafung nach § 102 Abs. 1 KFG (EUR 28,00).
Am 31.05.2019 wurde der Beschwerdeführer in demselben Kraftfahrzeug beim Reparieren des Autoradios angetroffen. Da festgestellt wurde, dass das Fahrzeug in Österreich nicht angemeldet war, wurden die französischen Kennzeichentafeln abgenommen. Der Beschwerdeführer gab dazu unter anderem an, dass er „sobald wie möglich nach Frankreich ziehen möchte und daher diese Kennzeichen verwendet“. Eine Anzeige wegen fehlender Haftpflichtversicherung für das Fahrzeug führte zu einer Geldstrafe im Betrag von EUR 180,00 (§ 36 lit. d KFG).
Am 22.06.2019 wurde der Beschwerdeführer angezeigt, weil er entgegen dem Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11.02.2019, XXXX , in die eheliche Wohnung zurückgekehrt war. Die Anzeige trug dem Beschwerdeführer eine Verwaltungsstrafe im Betrag von EUR 500,00 ein (§ 84 Abs. 1b SPG).
Am 28.07.2019 wurde der Beschwerdeführer neuerlich angezeigt, weil er entgegen dem Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11.02.2019, XXXX , in die eheliche Wohnung zurückgekehrt war, und dabei von einer Nachbarin beobachtet und angezeigt wurde. Die Anzeige trug dem Beschwerdeführer eine weitere Verwaltungsstrafe im Betrag von EUR 500,00 ein (§ 84 Abs. 1b SPG).
Am 31.07.2019 wurde der Beschwerdeführer neuerlich angezeigt, weil er am 30.07.2019 neuerlich entgegen dem Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11.02.2019, XXXX , in die eheliche Wohnung zurückgekehrt war. Die Anzeige führte nochmals zu einer Verwaltungsstrafe im Betrag von EUR 500,00 (§ 84 Abs. 1b SPG).
Am 19.08.2019 wurde der Beschwerdeführer von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes schlafend in einem Fahrzeug angetroffen, welches über keine Kennzeichen verfügte. Im Bereich des Fahrzeuges nahmen die einschreitenden Beamten ausgelaufenen Diesel wahr. Der Zündschlüssel des Fahrzeuges steckte und der Beschwerdeführer konnte nicht erklären, wie das Fahrzeug – außer durch von ihm selbst gesetzte Handlungen – an den Ort der Betretung gekommen war. Der Beschwerdeführer wurde zur Entfernung des Diesels sowie des Fahrzeuges überhaupt aufgefordert. Bei einer Nachkontrolle am selben Tag wurde der Beschwerdeführer neuerlich schlafend in diesem Fahrzeug angetroffen und es wurde ihm dieses Mal der Fahrzeugschlüssel abgenommen. Der Sachverhalt führte zu zwei Verwaltungsstrafen jeweils im Betrag von EUR 200,00 (§ 1 Z. 3 iVm § 3 Kampierverordnung 1985) sowie zu weiteren Bestrafungen gemäß § 134 Abs. 1 KFG, § 99 Abs. 4 lit. g StVO, § 99 Abs. 4 lit. j StVO und § 1 Abs. 3 iVm § 37 Abs. 1 FSG, im Gesamtbetrag von EUR 1.815,60.
Zuletzt wurde der Beschwerdeführer am 25.12.2020 – mithin nach seiner Entlassung aus der Strafhaft bzw. dem Verwaltungsarrest und nach dem ersten Verhandlungstermin in diesem Verfahren – in Wien beim Lenken eines Kraftfahrzeuges um ca. 00:25 Uhr von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zwecks einer Routinekontrolle angehalten. Dabei wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer nach wie vor über keine gültige Lenkerberechtigung verfügt. Bei der Amtshandlung zeigte der Beschwerdeführer Anzeichen einer Beeinträchtigung durch Suchtgift. Im Fahrradraum konnte im Bereich der Handbremse ein Baggy mit einem weißen Pulver sowie ein Löffel aufgefunden werden. Der Beschwerdeführer gab dazu an, dass es sich um Kokain handeln würde, welches er um EUR 350,00 erworben habe und das er im Löffel erhitzen und auf diesem Wege rauchen würde. Er habe zuletzt vor zwei oder drei Tagen Kokain konsumiert. Die Untersuchung durch einen Amtsarzt wurde von Beschwerdeführer in der Folge verweigert. Das Fahrzeug, in welchem der Beschwerdeführer angetroffen wurde, ist auf seinen Sohn XXXX zugelassen. Dem Beschwerdeführer wurde die Weiterfahrt untersagt. Ein Straferkenntnis wurde in dieser Sache noch nicht erlassen, das Verwaltungsstrafverfahren ist noch anhängig. Die Staatsanwaltschaft Wien ist von der weiteren Verfolgung der Tat gemäß § 35 Abs. 9 SMG vorläufig zurückgetreten.
1.17. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG 2005 geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.
1.18. Zur gegenwärtigen Lage in der Republik Türkei werden folgende Feststellungen getroffen:
1. Aktuelles
20.04.2020: Wegen der Corona-Krise hat die Türkei am 15.04.20 mit der Entlassung von Häftlingen begonnen. Das Gesetz war am Vortag vom Parlament in Ankara verabschiedet worden und ermöglicht die Entlassung von bis zu 90.000 Gefangenen. Ausgenommen davon sind wegen Terrorvorwürfen Inhaftierte, darunter Regierungskritiker und Journalisten, sowie Gefangene, die wegen vorsätzlichen Mordes, Gewalt gegen Frauen, Sexualstraftaten und Drogendelikten in Haft sind (vgl. BN v. 06.04.20). Die Oppositionspartei CHP will den Straferlass vom Verfassungsgericht überprüfen lassen, weil keine politischen Häftlinge freikommen.
Seit zwei Wochen sind die türkischen Städte, darunter Ankara und Istanbul, wegen der COVID-19-Pandemie nach außen weitgehend abgeschottet. Die Bewohner brauchen für Reisen in andere Städte eine Genehmigung. Am 18.04.20 verlängerte die Regierung die Reisebeschränkungen für 31 Städte und Provinzen um zwei Wochen. Ausgenommen ist der Transport unverzichtbarer Güter. In den 31 Städten und Provinzen galt am Wochenende zudem erneut eine zweitägige Ausgangssperre. Bis Anfang März 2020 hatte die Türkei nur wenige hundert Coronafälle verzeichnet, seitdem stieg die Zahl der Infizierten sprunghaft auf über 82.000 Fälle an. Die Zahl der Toten liegt inzwischen bei über 2.000 Personen. Trotz der COVID-19-Krise sollen Gläubige nach Ansicht der türkischen Religionsbehörde im Ramadan fasten. Präsident Erdoğan lehnte am 12.04.20 das Rücktrittsgesuch von Innenminister Süleyman Soylu ab. Dessen Ministerium hatte am 10.04.20 kurzfristig eine 48-stündige Ausgangssperre angekündigt und war dafür scharf kritisiert worden. Da die Ausgangssperre erst zwei Stunden vor Beginn verkündet worden war, war es in Geschäften zu Panikkäufen, Gedränge und teilweise chaotischen Zuständen gekommen.
04.05.2020: Ausgangsperre Der türkische Präsident Erdogan hat wegen der Corona-Krise eine weitere dreitägige weitgehende Ausgangssperre für 31 Städte und Provinzen vom 01. bis 03.05.20 verhängt. Am 1. Mai war es Supermärkten aber erlaubt, zwischen 9 und 14 Uhr zu öffnen. Weitere Ausgangssperren an Wochenenden sind noch mindestens bis zum Ende des Fastenmonats Ramadan Ende Mai geplant.
11.05.2020: Da langsam ein Abflachen der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in der Türkei zu beobachten sei, plant die Regierung eine schrittweise Lockerung der zahlreichen bestehenden Einschränkungen. Am vergangenen Wochenende galt eine weitgehende Ausgangssperre nur noch in 24 Städten und Provinzen statt zuvor in 31. Zudem durften Senioren ab 65 Jahren zum ersten Mal seit dem 21.03.20 wieder für vier Stunden das Haus verlassen. Ab 11.05.20 sollen unter anderem Läden, Einkaufszentren und Friseure unter Auflagen wieder öffnen können. Beabsichtigt sei, dass nach der Sitzung des Corona-Wissenschaftsrats am 11.05.20 Reisebeschränkungen für weitere Provinzen aufgehoben werden könnten. In einer zweiten Phase vom Juni bis in den August 2020 sollen Ausgangssperren schrittweise verringert werden und die Zahl der Tage, an denen Bürger über 65 Jahren nach draußen dürfen, erhöht werden. Dann sollen auch wieder die Moscheen unter Einhaltung der Mindestabstände öffnen. Die Schutzmaskenpflicht bestehe weiterhin. Im Juni 2020 sollen dann auch Restaurants und Cafés mit Einschränkungen wieder öffnen dürfen, ebenso Bibliotheken. Sportveranstaltungen könnten wieder durchgeführt werden, allerdings ohne Zuschauer und nur unter bestimmten Sicherheits- und Hygienestandards. Kinos, Theater und Open-Air-Bühnen sollen eventuell im Juli 2020 wieder in Betrieb genommen werden dürfen. Überlegt werde auch, dann größere Veranstaltungen, wie beispielsweise Hochzeiten, unter bestimmten Auflagen wieder zu erlauben. Eine dritte Phase laufe von September 2020 bis zum Jahresende. Dafür würden detaillierte Pläne ausgearbeitet, um Schulen und Universitäten unter Einhaltung der Sicherheits- und Hygienemaßnahmen wiederzueröffnen. Danach sollen in einer vierten Phase alle Reise- und Flugbeschränkungen sowie die Maskenpflichten wieder aufgehoben werden. Es werde zudem bereits über Einreisemöglichkeiten für Touristen unter Durchführung von Coronatests an Flughäfen ab Juni 2020 nachgedacht.
18.05.2020: Es gab vergangene Woche mehr als 148.000 bestätigte COVID-19-Fälle, nach offiziellen Angaben starben bisher ca. 4.090 Infizierte, über 100.000 Menschen haben sich erholt. Die Türkei hat neben zahlreichen Lockerungen aktuell nochmals eine viertägige Ausgangssperre in 15 Städten und Provinzen verhängt, die am 16.05.20 begann und nach dem 19.05.20, einem nationalen Feiertag, enden soll. Kliniken, Apotheken, Bäckereien und andere als wichtig eingestufte Dienstleister bleiben geöffnet. Die Regierung erwägt zudem mögliche Maßnahmen, einschließlich einer viertägigen landesweiten Ausgangssperre, während des Bayram-Festes vom 24.05. bis 26.05.20, mit dem das Ende des Fastenmonats Ramadan begangen wird.
Tod nach Hungerstreik Der Musiker Ibrahim Gökçek ist am 14.05.20 nach über 300 Tagen Hungerstreik gestorben. Er hatte gefastet, um die Aufhebung des Auftrittsverbots seiner Band und die Freilassung inhaftierter Bandmitglieder zu erreichen. Seine Bandkollegin Helin Bölek war bereits vor ca. zwei Wochen nach 288 Tagen Hungerstreik gestorben. Ihren Hungerstreik hatten beide im vergangenen Jahr im Gefängnis begonnen, im November 2019 kamen sie zwar frei, setzten ihren Hungerstreik jedoch fort. Die Grup Yorum wurde 1985 in Istanbul gegründet. Die populäre Band ist für ihre regierungskritischen Protestsongs in türkischer und kurdischer Sprache bekannt und setzt sich aus wechselnden Mitgliedern zusammen. Die Regierung wirft der Band Verbindungen zur verbotenen militanten linksradikalen Untergrundorganisation Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) vor, die vor allem in den Achtzigerjahren zahlreiche Anschläge in der Türkei verübte und von der Türkei, den USA und der EU als Terrorgruppe eingestuft wird. Zwei Mitglieder von Grup Yorum, darunter Gökçeks Frau, befinden sich noch im Gefängnis.
25.05.2020: Die Regierung hat erstmals für das ganze Land eine viertägige Ausgangssperre über die Feiertage am Ende des Fastenmonats Ramadan verhängt. Sie begann am Vorabend des sogenannten Zuckerfests in der Nacht zum 23.05.20 und endet am 26.05.20. Die Reisebeschränkungen für 15 Städte, darunter Ankara und Istanbul, wurden zudem um 15 Tage bis zum 03.06.20 verlängert. Im Kampf gegen COVID-19 erlässt die Türkei seit Wochen weitgehende Ausgehverbote, bislang allerdings nur in ausgewählten Städten oder Provinzen. Staatspräsident Erdogan appellierte an die Bevölkerung, ihre Gewohnheiten den Regelungen anzupassen, und drohte mit neuen härteren Maßnahmen, falls sich die Situation wieder verschlechtern sollte. Zudem erklärte er das Schuljahr für beendet. Die Schulen, die seit dem 16.03.20 geschlossen sind, öffnen erst wieder im September 2020. In ausgewählten Moscheen sind ab dem 29.05.20 wieder Gebete zugelassen.
Am 15.05.20 wurden nach Medienberichten fünf weitere Bürgermeister der prokurdischen Demokratischen Volkspartei (HDP) aus dem Amt entlassen und durch staatliche Verwalter ersetzt. Ihnen wird vorgeworfen, die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) unterstützt zu haben. Bei den Kommunalwahlen im März 2019 hatte die HDP im Südosten des Landes in 65 Städten und Gemeinden gesiegt. Inzwischen sind nur noch 12 ihrer Bürgermeister im Amt.
15.06.2020: Medienberichten zufolge ordneten türkische Behörden am 09.06.2020 die Festnahme von 414 weiteren mutmaßlichen Regierungsgegnern an, denen eine Verbindung zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wird. Bei einem landesweiten Polizeieinsatz sei gegen 191 Verdächtige in 22 Provinzen vorgegangen worden, von denen sich 160 inzwischen in Haft befänden. Unabhängig davon habe die Staatsanwaltschaft Istanbul die Festnahme von 158 Personen angeordnet, darunter Militärs, Ärzte und Lehrer. Zudem gebe es Razzien gegen Mitglieder der Luftwaffe und andere Sicherheitskräfte. Bereits am 08.06.2010 war die Festnahme von 149 Personen angeordnet worden. Die meisten von ihnen seien ehemalige oder aktive Polizisten. Den Verdächtigen werde vorgeworden, am gescheiterten Militärputsch 2016 beteiligt gewesen zu sein und in Verbindung zu Gülen-Bewegung zu stehen. Schon in der vorangegangenen Woche waren 118 Haftbefehle gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger erlassen worden.
22.06.2020: Die wegen der Covid-19-Pandemie verhängten Ausgangssperren im Land wurden aufgehoben. Ausnahmen gelten nur noch für Menschen ab 65 Jahren. Auch die inländischen Reisebeschränkungen gelten seit dem 01.06.20 nicht mehr. Die Türkei hat das Einreiseverbot für deutsche Staatsangehörige bereits am 11.06.20 aufgehoben. Auch die Land- und Seegrenzen der Türkei sind wieder offen, mit Ausnahme der Landgrenze zu Iran. Auf Marktplätzen, in Supermärkten und in öffentlichen Verkehrsmitteln gilt eine Schutzmasken-Pflicht, Abstandsregel (drei Schritte) sind einzuhalten. In einigen Städten und Gegenden muss im gesamten öffentlichen Raum eine Maske getragen werden, wie z.B. in den wieder offenen Friseurgeschäften und Einkaufszentren sowie den bis 24 Uhr geöffneten Restaurants und Cafés. Zwei Wochen nach der Lockerung nimmt die Zahl der erfassten Neuinfektionen wieder zu. Die Regierung prüft derzeit, inwiefern neue Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, die auch regional begrenzt sein können.
Das Parlament hat am 11.06.20 trotz scharfer Kritik der Opposition die Befugnisse der Hilfspolizei ausgeweitet, die vor allem abends und nachts in Wohnvierteln patrouilliert. Die auch als „Wächter“ oder „Nachtadler“ bezeichneten Ordnungskräfte dürfen nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu nun Schusswaffen tragen und anwenden, Fahrzeuge anhalten, Ausweise kontrollieren und Leibesvisitationen vornehmen. Darüber hinaus dürfen sie z.B. bis zum Eintreffen der Polizei Maßnahmen ergreifen, um Proteste und Märsche zu verhindern, die die öffentliche Ordnung stören. Verhaftungen und Verhöre sind ihnen aber nicht gestattet. Sie unterstehen wie Polizei und Gendarmerie dem Innenministerium. Ihre Ausbildungszeit beträgt drei Monate. Nach Angaben des Innenministers sind derzeit landesweit mehr als 20.000 Hilfspolizisten im Einsatz, zukünftig sollen es bis zu 30.000 werden. Eine ähnliche Institution hatte es bereits bis 2008 gegeben. Präsident Erdoğan hatte nach dem Putschversuch von 2016 die Wiederbelebung verkündet, die ersten Einsätze gab es dann 2017. Die Opposition sieht die Entwicklung mit Sorge, kritisiert die umfangreichen Befugnisse und wirft der Regierungspartei AKP vor, eine eigene Miliz gründen zu wollen
29.06.2020: Am 24.06.20 begann in Istanbul der Prozess gegen den Chefeditor von OdaTV, Muyesser Yildiz, und sieben weitere Angeklagte wegen Geheimnisverrates. Die Angeklagten hatten über die Tätigkeiten des türkischen Geheimdienstes in Libyen berichtet und dabei konkrete Personen benannt, denen sie illegale Aktivitäten vorwarfen. OdaTV mit Sitz in Ankara ist politisch kritisch gegenüber der derzeitigen Regierung eingestellt.
06.07.2020: Im Prozess gegen den ehemaligen Leiter der türkischen Sektion von Amnesty International (AI), Taner Kilic, und weitere Angeklagte sind am 03.07.20 die Urteile gefallen. Kilic wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Ihm wird Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung und Beteiligung am Putsch 2016 vorgeworfen. Drei seiner Mitarbeiter wurden wegen Beihilfe zu einem Jahr und einem Monat Gefängnis verurteilt. Sieben weitere Mitarbeiter wurden für unschuldig befunden, unter ihnen der Deutsche Peter Steudtner und der Schwede Ali Gharavi. Der Prozess wie auch die Urteile wurden weitgehend als politisch motiviert wahrgenommen.
13.07.2020: Das Parlament verabschiedete am 11.07.20 eine umstrittene Gesetzesänderung zur Neuorganisation der Anwaltskammern. Seit Wochen protestierten Rechtsanwälte gegen Pläne der Regierung zur Zulassung alternativer Anwaltskammern. Mit einem symbolischen Marsch nach Ankara zum Parlament wollten Rechtsanwälte am 04.07.20 darauf aufmerksam machen. Polizisten stoppten die Kundgebung, mit der Begründung, die Teilnehmer verstießen gegen die Vorschriften des Social Distancing zur Bekämpfung des Coronavirus. Das bisherige System der türkischen Anwaltskammern verschaffte den Rechtsanwälten relativ viel Unabhängigkeit und Einfluss. Das neue Gesetz sieht sogenannte Multi-Anwaltskammern vor. Künftig sollen die Mitglieder von Kammern, in der mehr als 5000 Anwälte organisiert sind, dazu befugt sein, alternative Kammern zu gründen, sofern Unterschriften von mindestens 2.000 Anwälten zusammenkommen, die das wollen. Durch die Neuregelung wird auch die proportionale Vertretung in der nationalen Dachorganisation abgeschafft. In den drei größten Städten der Türkei - Istanbul, Ankara und Izmir - sind derzeit zwischen 10.000 und 50.000 Anwälte in einer Kammer organisiert. Allein in Istanbul residiert ein Drittel aller türkischen Advokaten. Theoretisch könnten in jeder dieser Städte mindestens fünf neue Kammern gegründet werden. Auch die Kammer in Antalya mit rund 5.000 Mitglieder könnte von der neuen Regelung betroffen sein. Bisher gibt es in jeder Provinz nur eine Anwaltskammer, in der jeder Anwalt Mitglied sein muss. Die Regierung, wolle nach Befürchtungen von Kritikern nun neue Kammern schaffen, deren Mitglieder auf der Linie der Regierungspartei AKP seien.
20.07.2020: Am 16.07.20 wurde der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel von einem Gericht in Istanbul in Abwesenheit wegen Propaganda für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen Haft verurteilt. Der Journalist saß fast ein Jahr in der Türkei in Untersuchungshaft, ehe er im Februar 2018 freikam und nach Deutschland ausreiste. Hintergrund der Anklage waren unter anderem Artikel, die er in seiner Zeit als TürkeiKorrespondent für die Zeitung Die Welt veröffentlicht hatte. Nach Medienberichten sprach ihn das Gericht vom Vorwurf der Volksverhetzung und der Propaganda für die Gülen-Bewegung frei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Yücel erklärte, in Berufung gehen zu wollen. Das Gericht gab zudem bekannt, dass zwei weitere Ermittlungen gegen Yücel liefen, dabei werde ihm Beleidigung des Präsidenten und des türkischen Staates vorgeworfen.
27.07.2020: Die größte Oppositionspartei der Türkei, die Republikanische Volkspartei (CHP), hielt am 25. und 26.07.20 ihren 37. Parteitag im Bilkent Odeon Kongresszentrum in Ankara ab. Am ersten Tag wählten die Delegierten den Parteivorsitzenden, am zweiten Tag die 60 Mitglieder der Fraktion. Dabei wurde der bisherige Parteivorsitzende Kemal Kilicdaroglu wiedergewählt. Er ist seit 2010 Parteivorsitzender und trat sein Amt auf dem 33. ordentlichen Parteitag an, der nach dem Rücktritt des ehemaligen Vorsitzenden Deniz Baykal stattfand. Aufgrund der COVID-19-Pandemie fand der Parteitag ohne Gäste statt. Die 1.356 stimmberechtigten Delegierten mussten sich am Einlass einer Temperaturkontrolle unterziehen, die Sitzordnung wurde so gestaltet, dass die Mindestabstände in dem 4.000 Sitze umfassenden Saal eingehalten werden konnten.
03.08.2020: Am 29.07.20 verabschiedete das türkische Parlament das umstrittene Gesetz über soziale Medien (vgl. BN v. 27.07.20). Unter anderem verpflichtet es Plattformen mit mehr als einer Million türkischer Nutzer dazu, Niederlassungen in der Türkei mit einem türkischen Staatsbürger als Vertreter zu eröffnen und die Daten ihrer türkischen Nutzer auf Servern im Land zu speichern. Anbieter müssen zudem innerhalb von 48 Stunden auf Anfragen zur Aufhebung oder Änderung bestimmter Inhalte reagieren, anderenfalls drohen hohe Geldstrafen und Einschränkungen der Dienste. Özlem Zengin, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AKP, erklärte zu dem Gesetz, die Regierung habe das Ziel, Beleidigungen, Beschimpfungen und Belästigungen in den sozialen Medien zu beenden.
10.08.2020: Da die Zahl der Neuinfektionen in der Türkei zuletzt wieder über die Marke von 1000 pro Tag gestiegen ist, beabsichtigt das Innenministerium die Maßnahmen gegen das Coronavirus wieder zu verschärfen. So sollen keine Verstöße gegen das obligatorische Tragen von Masken und Wahren von Abstand akzeptiert werden, beispielsweise bei Hochzeiten und Beschneidungszeremonien. Versammlungen nach Beerdigungen würden eingeschränkt und die Kontaktverfolgung von Beamten unterstützt. Die deutsche Bundesregierung hat zum 04.08.20 die Reisewarnung für die Türkei teilweise aufgehoben. Die Warnung gilt damit nicht mehr für die vier türkischen Küstenprovinzen Antalya, Izmir, Aydin und Mugla. Allerdings müssen sich alle Türkei-Reisenden innerhalb von 48 Stunden vor ihrer Rückkehr dort auf eigene Kosten auf eine mögliche Corona-Infektion hin testen lassen und weitere Sicherheitsauflagen einhalten. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass in den genannten Provinzen mit etwa fünf Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen die Ansteckungsgefahr relativ gering sei, zudem habe die Türkei ein spezielles Tourismus- und Hygienekonzept entwickelt.
07.09.2020: Die wegen Terrorvorwürfen verurteilte türkische Anwältin Ebru Timtik ist nach Angaben ihrer Anwaltskanzlei nach 238 Tagen im Hungerstreik am 27.08.20 in einer Klinik in Istanbul an Herzversagen gestorben. Timtik gehörte nach Angaben von Unterstützern zu insgesamt 18 Anwälten, die wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Ein Gericht in Istanbul hatte Timtik 2019 zu mehr als 13 Jahren Haft wegen Verbindungen zur linksextremen DHKP-C verurteilt, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. Im Oktober 2019 wurde das Urteil gegen sie und ihre Mitangeklagten bestätigt. Am 02.01.20 trat sie in einen Hungerstreik, um damit ein aus ihrer Sicht faires Gerichtsverfahren zu erzwingen.
Der Oberste Gerichtshof der Türkei ordnete am 03.09.20 die Freilassung des im Gefängnis in den Hungerstreik getretenen Anwalts Aytac Ünsal wegen der Lebensgefahr an, die seine weitere Inhaftierung darstelle. Er befindet sich seit 213 Tagen im Hungerstreik, den er nahezu zeitgleich mit der am 27.08.20 verstorbenen Anwältin Ebru Timtik begonnen hatte. Zusammen mit ihr war er im vergangenen Jahr wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt worden.
Nach Angaben der türkischen Regulierungsbehörde für den Rundfunk (RTÜK) muss der Nachrichtensender Tele1 wegen kritischer Äußerungen über den türkischen Präsidenten Erdoğan und die Religionsbehörde Diyanet vom 03.09.20 an für fünf Tage sein Programm unterbrechen. Begründet wurde dies mit einem Verstoß gegen den Grundsatz, dass Sendungen keinen Hass und Feindseligkeiten schüren dürften. Anlass dafür seien zwei Fernsehsendungen, in denen ein islamischer Gelehrter dem türkischen Präsidenten und der Religionsbehörde vorwarf, Moscheen zu politisieren und eine Theokratie zu etablieren. Woraufhin die Religionsbehörde mit einer Beschwerde reagiert habe. Die Sendesperre wurde gerichtlich bestätigt.
Nachdem der türkische Gesundheitsminister am 03.09.20 erklärte, dass sich die Türkei auf dem zweiten Höhepunkt der ersten Coronavirus-Welle befinde, hat das Innenministerium neue Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie verkündet. Demnach dürfen ab 04.09.20 Hochzeiten nur noch auf kleine Feierlichkeiten beschränkt werden, Verlobungsfeiern und andere Festivitäten werden vorerst verboten.
14.09.2020: Nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu verkündet die Regierung am 08.09.20 die landesweite Maskenpflicht. Sie gelte für alle 81 Provinzen und betreffe fast alle öffentlichen Bereiche wie Straßen, Parks, öffentliche Gartenanlagen, Picknick-Plätze, Fabriken und den Arbeitsplatz. Zudem seien auch ausdrücklich öffentliche Strände von dieser Regelung betroffen. An Hotelstränden muss jedoch keine Maske getragen werden. Bildungsminister Ziya Selcuk erklärte am 09.09.20, dass es wegen der anhaltenden COVID-19-Pandemie vorerst nur für Vorschulkinder und Erstklässler normalen Klassen-Unterricht geben werde. Für die älteren Schüler bzw. höheren Klassen werde Online-Unterricht fortgesetzt. Eigentlich sollten am 21.09.20 für alle Kinder und Jugendlichen die Schulen wieder öffnen.
Am 08.09.20 fanden nach Medienberichten in mehreren Städten in der Türkei Razzien gegen die HDP-Mitgliedspartei Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP) statt. Dabei wurden 14 Personen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation festgenommen. Am selben Abend fand in Istanbul-Kadıköy eine Protestaktion gegen die Festnahmen statt.
21.09.2020: Nach Angaben der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu vom 14.09.20 wurde erneut gegen mutmaßliche Unterstützer der Gülen-Bewegung vorgegangen. So seien Haftbefehle gegen 47 verdächtige Soldaten erlassen worden, von denen 17 festgenommen worden seien. Zudem seien Haftbefehle gegen zwölf Lehrer erlassen worden. Acht von ihnen sollen die Kommunikations-App ByLock genutzt haben, die nach Ansicht türkischer Behörden in der Vergangenheit vor allem für geheime Absprachen unter Gülen-Anhängern genutzt worden war.
Dem türkischen Journalisten Can Dündar, der seit 2016 im Exil in Deutschland lebt, droht nach Angaben seines Anwalts in der Türkei die Enteignung. Demnach habe am 17.09.20 ein Gericht in Istanbul entschieden, dass Dündars gesamter Besitz in der Türkei beschlagnahmt werden solle, wenn er nicht binnen 15 Tagen in die Türkei zurückkehre und sich dort der Justiz stelle. Der ehemalige Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet war 2015 in der Türkei wegen Spionage und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt worden, nachdem er in seiner Zeitung Dokumente veröffentlicht hatte, die Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Dschihadisten in Syrien belegen sollten. Er wurde im November 2015 verhaftet, kam aber aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichts im Februar 2016 aus der Untersuchungshaft und ging nach Deutschland. Er wurde später in Abwesenheit in erster Instanz wegen Verrats von Staatsgeheimnissen zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Im März 2018 hob ein Berufungsgericht das Urteil auf. Das Verfahren wurde im April 2019 neu aufgerollt und ein internationaler Haftbefehl gegen Dündar erlassen. Im Juni 2019 konnte Dündars Ehefrau ebenfalls nach Deutschland fliehen.
28.09.2020: Nach Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu wurden am 25.09.20 auf Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft Razzien in sieben Provinzen durchgeführt, um Funktionäre, Mandatsträger und Aktivisten der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP: Halkların Demokratik Partisi) zu verhaften. Insgesamt sollen 82 Haftbefehle ausgestellt worden sein, 19 Personen seien bereits festgenommen worden. Zudem wurde angekündigt, die Aufhebung der Immunität von sieben HDP-Abgeordneten zu beantragen. Als Grund für die Haftbefehle seien Demonstrationen und Auseinandersetzungen in Diyarbakır und weiteren überwiegend von Kurden bewohnten Städten im Oktober 2014 genannt worden. Damals hatte der IS die kurdische Stadt Kobane angegriffen, die auf syrischer Seite direkt an der türkischen Grenze liegt. Die türkische Regierung verlegte daraufhin Truppen an die Grenze, die aber nicht gegen den IS vorgingen, sondern Unterstützer daran hinderten, von der Türkei aus den Bewohnern in Kobane zur Hilfe zu kommen. Aus Protest dagegen kam es mehrere Tage lang zu Demonstrationen mit gewalttätigen Auseinandersetzungen in verschiedenen mehrheitlich von Kurden bewohnten Städten in der Türkei, bei denen insgesamt 40 Menschen ums Leben kamen. Warum nun, fast sechs Jahre nach den Ereignissen, erneut 82 Personen deswegen angeklagt werden sollen, hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht erklärt. Bereits 2014 war in diesem Zusammenhang die parlamentarische Immunität eines großen Teils der damaligen HDP-Fraktion aufgehoben worden und die populären HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und die damalige Ko-Vorsitzende Figen Yüksekdağ wurden verhaftet, seid 2016 und 2017 sitzen sie in Untersuchungshaft.
Die türkischen Behörden sind nach Medienberichten am 22.09.20 erneut gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger vorgegangen. Insgesamt seien 55 Verdächtige festgenommen worden, darunter 27 Anwälte. Die Aktion habe in 19 Provinzen stattgefunden.
05.10.2020: Am 01.10.20 trat in der Türkei das Gesetz über die Beschränkung von sozialen Medien in Kraft. Es zwingt Betreiber von Plattformen, mit mehr als einer Million Nutzer täglich, eine Präsenz in der Türkei zu unterhalten und von gerichtlicher Seite als verboten eingestufte Inhalte binnen 48 Stunden zu löschen. Dabei werden erhebliche Strafandrohungen, einschließlich Geldstrafen bis zu ca. fünf Millionen Dollar und die Drosselung der Internetgeschwindigkeit für die Dienste der besagten Plattform angedroht. Menschenrechtsgruppen, die die Unabhängigkeit vieler türkischer Gerichte bezweifeln, sehen das Gesetz sehr kritisch.
Im gerichtlichen Nachgang der Untersuchung von Protesten gegen die Untätigkeit der türkischen Armee während des Angriffs des IS auf Kobane im Jahr 2014 wurde die Inhaftierung von 117 Personen verfügt, darunter mehrere hochrangige Mitglieder der als pro-kurdisch bekannten Demokratischen Partei der Völker (HDP).
19.10.2020: Am 13.10.20 kam es nach Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu erneut zu Verhaftungen von mutmaßlichen Gülen-Anhängern. In mehreren Provinzen, darunter Ankara, Istanbul und Izmir, seien mindestens 136 Menschen festgenommen worden, insgesamt seien 192 Fahndungsbefehle ausgestellt worden und es werde nach weiteren Verdächtigen gesucht. Die Einsätze richteten sich unter anderem gegen Mitglieder der türkischen Küstenwache und der Luftwaffe. Die türkische Regierung macht die Gülen-Bewegung für den Putschversuch im Jahr 2016 verantwortlich, seitdem gilt sie in der Türkei als Terrororganisation.
Nach mehreren Verhaftungen von Politikern der prokurdischen Oppositionspartei HDP in den vergangenen Wochen gab es auch letzte Woche weitere Festnahmen. So wurde am 15.10.20 neben der Co-Bürgermeisterin der osttürkischen Stadt Kars, Sevin Alaca, auch der Provinzvorsitzende der HDP in Kars, Cengiz Anli, verhaftet.
Auf Druck der Opposition musste die türkische Regierung nach Medienberichten inzwischen eingestehen, dass die COVID-19-Statistiken geschönt worden seien. Nach Schätzungen der türkischen Ärztekammer habe die Regierung in den vergangenen Monaten etwa 350.000 Infektionen verschwiegen. Der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca hatte auf einer Pressekonferenz erklärt, seit dem 29.07.20 veröffentliche man täglich die Zahl der Coronakranken, dies seien Menschen mit Symptomen. Man habe somit am 29.07.20 angefangen, die Zahl der Patienten und nicht mehr die der Infektionen zu veröffentlichen. Infizierte mit asymptomatischen Krankheitsverläufen, die wegen ihrer COVID-19-Erkrankung nicht behandelt werden mussten, seien nicht mehr berücksichtigt worden.
26.10.2020: Die USA riefen am 23.10.20 alle US-Bürger in der Türkei zu erhöhter Wachsamkeit auf, da es glaubhafte Berichte über mögliche Terroranschläge gebe. Auch Entführungen von US-Bürgern oder Angehörigen anderer Nationalitäten in Istanbul und an anderen Orten in der Türkei zählten zu möglichen Bedrohungen. Alle diplomatischen Dienste in der Türkei, wie etwa die Visa-Vergabe, wurden vorübergehend ausgesetzt. USVertretungen in der Türkei waren in den vergangenen Jahren schon mehrmals das Ziel von Anschlägen oder Anschlagsdrohungen.
Nach Angaben der türkischen staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu vom 19.10.20 seien erneut elf Richter und Staatsanwälte wegen möglicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung und zum Putschversuch von 2016 entlassen worden. Die Entscheidung sei vom Rat der Richter und Staatsanwälte getroffen worden.
02.11.2020: Die Deutsche Bundesregierung setzt die Reisewarnung für die ganze Türkei wegen der COVID-19-Pandemie zum 09.11.20 wieder in Kraft. Eine seit Anfang August 2020 geltende Ausnahmeregelung für die vier Urlaubsregionen am Mittelmeer läuft damit aus. Als Grund wird angeführt, dass die Türkei nur noch Coronafälle an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) meldet, in denen Infizierte Krankheitssymptome aufweisen, was nicht den geltenden WHO-Richtlinien entspreche, da eine erhebliche Zahl von Infizierten auf diese Weise nicht erfasst würden. Grund dafür ist eine Äußerung des türkischen Gesundheitsministers Fahrettin Koca, der am 30.09.20 eingeräumt hatte, dass bereits seit Ende Juli 2020 nur die Infizierten mit Symptomen als Coronafälle gemeldet würden (vgl. BN v. 19.10.20). Die türkische Regierung sei aufgefordert worden, die Veröffentlichung der Daten wieder an internationale Standards anzupassen. Dies ist bisher noch nicht erfolgt, so dass eine verlässliche Bewertung des tatsächlichen Infektionsgeschehens in der Türkei derzeit nicht möglich sei.
Türkische Einsatzkräfte gingen am 29.10.20 gegen mutmaßliche Mitglieder der linksextremen Organisation Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) vor, die in der Türkei als Terrororganisation eingestuft ist. Dabei seien nach Medienberichten 93 Personen in zwölf Provinzen festgenommen worden. Insgesamt bestünden Festnahmeanordnungen für 120 Menschen. Die Festgenommenen sollen hohe Posten in der Organisation innehaben, ihnen werde unter anderem vorgeworfen, Anschläge geplant zu haben. Bei der Operation seien zudem große Mengen von Dokumenten sichergestellt worden.
09.11.2020: Die türkische Regierung verhängte am 04.11.20 Geldstrafen in Millionenhöhe (türkische Lira) gegen Facebook, Twitter und andere soziale Netzwerke. Die Strafen gehen auf das neue Gesetz zu sozialen Medien (vgl. BN v. 05.10.20, 03.08.20 und 27.07.20) zurück. Als Grund für die Strafe nannte Infrastrukturminister Sayan, dass innerhalb der vorgegebenen Frist keine örtlichen Vertreter für die Türkei benannt worden seien. Sollten die Plattformen ihre gesetzlichen Verpflichtungen nicht binnen 30 Tagen erfüllen, drohten ihnen weitere 30 Mio. Lira Strafe (ca. 3,06 Mio. Euro) und zuletzt eine erhebliche Bandbreitendrosselung.
17.11.2020: Nach Medienberichten sei am 12.11.20 der Kooperationsanwalt der Deutschen Botschaft in Ankara vom Vorwurf der Spionage freigesprochen worden. Das Gericht in Ankara habe zudem keine Beweise für die Vorwürfe einer Verletzung der Privatsphäre und des Erwerbens oder Verbreitens persönlicher Daten gesehen. Ein weiterer angeklagter Anwalt sei ebenfalls in allen Anklagepunkten freigesprochen worden. Der Kooperationsanwalt habe im Auftrag des BAMF in der Türkei u.a. Unterlagen im Zusammenhang mit Asylanträgen türkischer Staatsangehöriger in Deutschland überprüft. Er war im September 2019 verhaftet worden und ein halbes Jahr später aus der Untersuchungshaft freigekommen. Er war u.a. wegen Spionage und Geheimnisverrat angeklagt worden, die Staatsanwaltschaft beschuldigte ihn, sich in der Türkei illegal geheime Informationen beschafft und dann an die deutschen Behörden weitergegeben zu haben.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt die Türkei am 10.11.20 wegen der Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu einer Zahlung von je 16.000 EUR an die Kläger. Demnach basierten die Entscheidungen türkischer Gerichte, zehn Journalisten nach dem Putschversuch im Sommer 2016 monatelang in Untersuchungshaft zu halten, auf einem bloßen Verdacht und nicht auf nachvollziehbaren Gründen. Die zehn Kläger, darunter auch der damalige Chefredakteur, arbeiteten 2016 für die regierungskritische Tageszeitung Cumhuriyet. Nach einer Reihe veröffentlichter Artikel und Beiträge im Internet wurden die Journalisten beschuldigt, Propaganda für terroristische Organisationen zu machen, u.a. für die Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK). Die Justiz ordnete daraufhin Untersuchungshaft an; sie verbrachten zwischen sieben und 16 Monate im Gefängnis. Nach Auffassung des EGMR sei die Inhaftierung der Journalisten nicht begründet gewesen, da sie lediglich Gebrauch von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung gemacht hätten. Dabei habe es keine Beweise dafür gegeben, dass sie Terroristen unterstützten. Die Inhaftierung habe nicht nur gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, sondern auch gegen türkisches Recht.
11.01.2021: Nach Angabe der Nachrichtenagentur Anadolu vom 07.01.21 wurde in Ankara eine neue Anklageschrift im Kobanê-Verfahren angenommen. Insgesamt seien 108 Personen angeklagt, darunter Ex-Abgeordnete der pro-kurdischen Partei HDP unter ihnen die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, die sich wie 25 weitere Angeklagte in Haft befinden. Ihnen würden u.a. „Zerstörung der Einheit des Staates und Integrität des Landes" im Zusammenhang mit den sogenannten Kobanê-Protesten vom Oktober 2014 vorgeworfen, die sich gegen die Belagerung der syrischen Stadt Kobanê durch die Terrormiliz IS richteten und in Gewalt umschlugen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte forderte bereits zweimal die Freilassung von Demirtaş, zuletzt am 22.12.20, er befindet sich jedoch weiterhin in Haft.
Der seit 2016 im deutschen Exil lebende Journalist Can Dündar wurde am 23.12.20 in der Türkei in Abwesenheit zu 18 Jahren und neun Monaten Haft wegen Spionage und zu weiteren acht Jahren und neun Monaten wegen Terrorunterstützung verurteilt. Hintergrund des Verfahrens ist ein Zeitungsbericht aus dem Jahr 2015, in dem die regierungskritische Zeitung Cumhuriyet geheime Informationen veröffentlichte, die Waffenlieferungen der türkischen Regierung an Rebellen in Syrien belegen sollten. Damals war Dündar Chefredakteur der Cumhuriyet.
Er war für die Veröffentlichungen bereits 2016 zu über fünf Jahren Haft wegen Geheimnisverrats verurteilt, vom Spionagevorwurf jedoch freigesprochen worden. Der Oberste Gerichtshof hatte das Urteil 2018 jedoch aufgehoben und erklärt, ein neues Verfahren gegen Dündar müsse um den Straftatbestand der Spionage erweitert werden.
Nach Berichten der Nachrichtenagentur AFP verurteilte am 21.12.20 ein Gericht in Diyarbakir die kurdische Politikerin und frühere Abgeordnete der HDP Leyla Güven wegen Terrorismus-Vorwürfen zu 22 Jahren und drei Monaten Haft wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation sowie der Verbreitung von Terrorpropaganda. Bei der Urteilsverkündung war sie nicht anwesend, das Gericht ordnete ihre Verhaftung an. Bereits im Juni 2020 war ihr das Abgeordnetenmandat entzogen worden und sie wurde vorübergehend festgenommen. Güven hatte bereits im Jahr 2018 für Aufmerksamkeit gesorgt, als sie in einen 200-tägigen Hungerstreik getreten war, um die Freilassung des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan zu fordern.
Türkische Behörden nahmen nach Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu bei Razzien zwischen dem 20. und 31.12.20 über 260 Verdächtige in 33 Städten und Provinzen wegen mutmaßlicher Verbindungen zu terroristischen Organisationen fest. 161 der in Gewahrsam genommenen Personen seien ausländische Staatsangehörige. Die Polizei gehe davon aus, dass die Verdächtigen Anschläge in der Silvesternacht planten. Bei den Razzien habe die Polizei zudem Waffen, Sprengstoff und digitale Dokumente mit Verbindungen zu terroristischen Gruppen sichergestellt.
Hunderte Studenten haben bei einem Demonstrationszug durch Istanbul am 06.01.21 erneut gegen die Ernennung eines neuen Universitäts-Rektors durch Staatspräsident Erdoğan protestiert. Die Teilnehmer liefen mit Schildern und Bannern am Bosporus entlang und setzten dann mit einer Fähre auf den asiatischen Teil von Istanbul über, wo dann eine größere Kundgebung stattfand. Sicherheitskräfte beobachteten die Proteste, griffen jedoch nicht ein.
Die Kundgebung richtete sich gegen den ehemaligen AKP-Politiker Melih Bulu, der am Freitag von Erdoğan als Leiter der renommierten Boğaziçi-Universität eingesetzt wurde. Gegen diese Besetzung hatte es bereits am 04.01.21 Proteste gegeben. Die Polizei hatte auf diese Demonstration mit Razzien und der Festnahme von über 40 Menschen reagiert. Die Universität wurde eingezäunt, um die ursprünglich dort für Mittwoch geplante Kundgebung zu verhindern. Die Studierenden der Universität bezeichnen Bulu in Anlehnung an die per Dekret abgesetzten HDP-Bürgermeister als „Zwangsverwalter“. Als Präsident hat Erdoğan seit den Gesetzesänderungen nach dem Putschversuch im Jahr 2016 das Recht, Rektoren einzusetzen. Davor waren die Rektoren immer hochschulintern gewählt worden. Die Studenten kritisieren zudem die Nähe des Direktors zur AKP und die Ernennung als undemokratisch.
18.01.2021: Die türkischen Behörden begannen am 14.01.21 mit Massenimpfungen gegen das Coronavirus. Sie verwenden dabei den Impfstoff des chinesischen Pharmakonzerns Sinovac, der eine Notzulassung in der Türkei erhalten hat. Nach Angaben von Gesundheitsminister Koca sollen zunächst die Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden, anschließend seien Menschen über 65 Jahren an der Reihe. Er selbst und die wissenschaftlichen Berater der Regierung ließen sich bereits impfen, ebenso Präsident Erdogan. Am 17.01.21 wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums in der Türkei bei 148.636 Tests insgesamt 6.436 Neuinfektionen mit dem Coronavirus festgestellt, die Zahl der Erkrankten lag bei 803, die der Todesfälle in den letzten 24 Stunden bei 165. Die Zahl der Schwererkrankten lag bei 2.201, die Intensivbettenauslastung pro Woche lag bei 60,6 %. Die Krankenhäuser seien zu 45,5 % ausgelastet. Seit Pandemiebeginn gebe es 2.387.101 Erkrankte und 2.262.684 Genesene.
Der muslimische Fernsehprediger und Sektenführer Adnan Oktar wurde am 11.01.21 von einem Gericht in Istanbul zu 1.075 Jahren und 3 Monaten Haft verurteilt. Er wurde unter anderem wegen Unterstützung einer bewaffneten Terrororganisation, Spionage und in insgesamt 34 Fällen des Missbrauchs für schuldig gesprochen, sieben davon im Zusammenhang mit Kindern; außerdem wegen Freiheitsberaubung, Quälerei sowie wegen der Gründung und Leitung einer kriminellen Organisation. Vorgeworfen wurde ihm zudem Unterstützung der Gülen-Bewegung. Oktar war im Juli 2018 verhaftet worden. Nach Medienberichten erhielten auch 13 Weggefährten Oktars lange Haftstrafen wegen ähnlicher Vorwürfe. Oktar bestreitet die Anschuldigungen und wird voraussichtlich in Berufung gehen.
Als Fernsehprediger war er in der Türkei durch eine Show auf seinem Kanal A9 bekannt geworden. Dort umgab er sich größtenteils mit Frauen, die er seine »Kätzchen« nannte und für sich tanzen ließ. Er veröffentlichte unter dem Pseudonym Harun Yahya zudem eine Reihe von Büchern, in denen er unter anderem seine Unterstützung für die wortwörtliche Auslegung der Schöpfungsgeschichte (Kreationismus) darlegte.
25.01.2021: Nach Medienberichten nahmen Sicherheitskräfte am 19.01.21 bei landesweiten Operationen gegen die Gülen-Bewegung (FETÖ) zahlreiche Verdächtige fest. Die Razzien richteten sich gegen ein geheimes Netzwerk von FETÖ-Mitgliedern innerhalb der türkischen Streitkräfte. Bei der größten Operation in diesem Rahmen erließ die Generalstaatsanwaltschaft in Izmir Haftbefehle gegen 238 verdächtige Soldaten wegen FETÖ-Verbindungen, darunter einige Oberste und Oberstleutnante, von denen 173 festgenommen wurden. In der westlichen Provinz Balıkesir ordnete die Staatsanwaltschaft die Festnahme von 20 FETÖ-Verdächtigen an, um die Infiltration der Gruppe in einer Polizeischule zu untersuchen.
Wegen Verstoßes gegen das neue umstrittene Social-Media-Gesetz wurde vergangene Woche ein Werbeverbot gegen Twitter verhängt, dass auch Twitters Live-Video-App Periscope und die Online-Bildpinnwand Pinterest betrifft. Als Grund wurde angeführt, dass die Firmen keinen lokalen Ansprechpartner benannt hätten und damit gegen geltendes Recht verstießen. Zudem werde die Bandbreite von Twitter und Pinterest im April um 50 % gekappt und ab Mai um 90 %. Nach Medienberichten müssten von nun an Unternehmen ein Bußgeld zahlen, wenn sie auf den Plattformen Werbung schalten. Facebook Inc., zu der neben Facebook auch Instagram und WhatsApp gehören, habe inzwischen bekanntgegeben, dass sie einen Repräsentanten in der Türkei benennen werde.
Nach Medienberichten hob ein Berufungsgericht in Istanbul am 22.01.21 den im Februar 2020 erlassenen Freispruch für den inhaftierten Geschäftsmann und Kunstmäzen Osman Kavala und acht weitere Personen auf. Die Richter in Istanbul entschieden, dass die Fälle erneut von dem zuständigen Gericht geprüft werden sollen, nachdem neue Beweise vorgelegt worden seien. Kavala befindet sich seit November 2017 in Haft. Ihm wird neben einer Beteiligung an dem Putschversuch im Jahr 2016 auch politische und militärische Spionage vorgeworfen. In einem ersten Prozess im Zusammenhang mit den Protesten um dem Istanbuler Gezi-Park war er im Februar 2020 freigesprochen worden. Er musste jedoch wegen einer neuen Anklage im Zusammenhang mit dem Putschversuch erneut ins Gefängnis, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Freilassung bereits im Dezember 2019 gefordert hatte. Zuletzt hatte das türkische Verfassungsgericht am 29.12.20 entschieden, dass die Inhaftierung Kavalas seine Freiheitsrechte nicht verletzt habe.
01.02.2021: Nach Angaben des türkischen Innenministeriums vom 26.01.21 wurde der Kampf gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ausgeweitet und es seien zwei neue Phasen einer laufenden nationalen Operation zur Terrorismusbekämpfung im Osten und Südosten eingeleitet worden. Die Operation Eren-4 Karlıova-Varto habe in den östlichen Provinzen Bingöl und Mus mit 93 Teams begonnen, darunter über 1.600 Mitarbeiter der Gendarmerie, der Polizei und der Dorfwächter. Die Operation Eren-5 Bagok in der südöstlichen Provinz Mardin finde mit 145 Einsatzteams statt, darunter über 2.500 Mitarbeiter der Gendarmerie, der Polizei und der Dorfwächter. Die ersten drei Phasen der Operation Eren-1 Tendürek, Eren-2 Lice und Eren-3 Mount Ararat seien bereits im Januar 2021 gestartet worden. Die Operationen wurden nach Eren Bülbül benannt, einem 15-Jährigen, der am 11.08.17 von der PKK gefoltert worden sei.
Nach Medienberichten nahmen die türkischen Behörden vergangene Woche bei landesweiten Operationen 126 Personen fest, die verdächtigt werden, Verbindungen zum IS zu haben oder die Gruppe zu finanzieren. Dabei wurden auch Waffen, Dokumente, Pläne für Geldtransaktionen sowie größere Geldbeträge beschlagnahmt. Die Operation wurde in 58 Provinzen durchgeführt, es wird noch nach 22 weiteren Verdächtigen gefahndet.
Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu nahm die Polizei am 30.01.21 vier Studenten fest, die bei einem Protest an der Istanbuler Boğaziçi-Universität mit einem Bild religiöse Werte beleidigt haben sollen. Sie hatten am 29.01.21 vor dem Rektorat der Universität ein Bild aufgehängt, das die Kaaba im saudi-arabischen Mekka neben einer LGBTQI-Regenbogenflagge zeigt. Nach zwei weiteren Verdächtigen werde noch gesucht. An der Boğaziçi-Universität protestieren seit Wochen Studenten gegen die Ernennung eines ehemaligen Politikers der Regierungspartei AKP zum Rektor der Universität (vgl. BN v. 11.01.21).
08.02.2021: Bei weiteren Protesten (vgl. BN v. 01.02.21 und 11.01.21) gegen die Ernennung eines neuen Rektors der Boğaziçi-Universität in Istanbul haben Sicherheitskräfte erneut zahlreiche Menschen festgenommen. Am 02.02.21 hatten sich Studierende trotz eines Verbots im Istanbuler Stadtteil Kadiköy versammelt. Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Plastikgeschosse ein, um die Menge zu zerstreuen. Die lokale Behörde hatte zuvor wegen der COVID-19-Pandemie ein Versammlungsverbot erlassen. Auch in der Hauptstadt Ankara gab es bei einer Solidaritätskundgebung Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften und Festnahmen. In Istanbul sind nach Medienberichten im Zusammenhang mit den Demonstrationen am Vortag über 100 Menschen festgenommen worden, von denen inzwischen ein Großteil wieder frei sein soll. Gegen elf Personen sei Hausarrest verhängt worden. Nach Angaben des türkischen Innenministeriums vom 04.02.21 wurden seit Januar 528 Menschen im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen, davon seien 498 wieder freigelassen worden.
15.02.2021: Das türkische Innenministerium kündigte am 12.02.21 den Beginn einer weiteren Phase der inländischen Operationen zur Terrorismusbekämpfung im Südosten des Landes an, so werde die Operation Eren-10 Gabar in den südöstlichen Provinzen Sirnak und Siirt mit 68 Teams starten. Zuletzt hatte am 10.02.21 die Operation Eren-9 Kazan-Han Yaylasi in der Provinz Hakkari mit 129 Teams begonnen. Seit Beginn dieses Jahres wurden bereits die ersten acht Phasen der Operation gestartet, so seien Eren-1 Tendürek, Eren-2 Lice, Eren-3 Mount Ararat, Eren-4 Karlıova-Varto, Eren-5 Bagok, Eren-6 Mergelo, Eren-7 Mercan-Munsuz-Tal und Eren-8 Amanoslar laut Ministerium noch im Gange (vgl. BN v. 01.02.21).
22.02.2021: Nach Medienberichten nahm die Polizei am 15.02.21 bei landesweiten Razzien in 40 Provinzen über 700 Menschen wegen mutmaßlicher Kontakte zur verbotenen PKK fest, dabei seien auch zahlreiche Waffen, Dokumente und Dateien sichergestellt worden. Laut Angaben des türkischen Innenministeriums seien unter den Festgenommenen auch führende Vertreter der pro-kurdischen HDP.
Die türkische Regierung hatte der PKK am Vortag vorgeworfen, 13 im Nordirak gefangen gehaltene entführte Türken hingerichtet zu haben. Die PKK wies dies zurück und erklärte, türkische Luftangriffe hätten deren Tod verursacht (vgl. BN v. 15.02.21).
01.03.2021: Nach Medienberichten wurden am 24.02.21 im Rahmen von Ermittlungen der Oberstaatsanwaltschaft Izmir zu bisher unentdeckten FETÖ-Strukturen in den Streitkräften Haftbefehle gegen insgesamt 148 Verdächtig erlassen, davon 103 aktive Soldaten, nach 18 weiteren Verdächtigen werde gesucht. Dazu fanden Razzien in 47 Provinzen statt. Den Verdächtigen wird vorgeworfen, mit verdeckten Imamen der FETÖ - hochrangigen FETÖ-Mitgliedern - über Münztelefone kommuniziert zu haben. Von den Verdächtigen sollen zwölf von den Landstreitkräften, 47 von der Luftwaffe, 18 von der Marine, 38 von der Gendarmerie und 19 von der Küstenwache sein. Der Oberstaatsanwaltschaft zufolge existierten in den Streitkräften weitaus mehr Gülenisten, als diejenigen, die an dem gescheiterten Putschversuch teilgenommen haben. Die Existenz von unentdeckten bzw. inaktiven FETÖ-Zellen in den Streitkräften stelle noch immer eine große Gefahr dar.
Am 25.02.21 sollen nach Medienberichten beim türkischen Parlamentspräsidium für 33 Parlamentsabgeordnete Anträge von verschiedenen Staatsanwaltschaften zur Aufhebung des Abgeordnetenmandats eingegangen sein, mindestens neun davon sollen HDP-Abgeordnete betreffen. Darunter auch der Co-Vorsitzende der HDP, Pervin Buldan, der beschuldigt wird, 2014 an den pro-kurdischen Kobane-Protesten beteiligt gewesen zu sein, bei denen 37 Menschen starben.
08.03.2021: Alle 81 Provinzen der Türkei wurden seit dem 01.03.21 einer Corona-Risikoeinstufung zugeordnet. Das vierstufige System reicht von der Farbe Blau (geringes Risiko) über Gelb (mittleres Risiko) und Orange (hohes Risiko) bis zu Rot (sehr hohes Risiko). Nach Regierungsangaben soll die nächtliche Ausgangssperre von 21:00 bis 05:00 Uhr zunächst in allen Provinzen unabhängig von der Risikoeinstufung fortbestehen. Ab dem 07.03.21 soll jedoch wieder mehr Ausgang ermöglicht werden. In Provinzen der blauen und gelben Kategorie wird die Sperrzeit von Freitag bis Sonntag ganz abgeschafft, in der orangenen und roten Kategorie soll sie nur noch sonntags gelten. Für Personen unter 20 und über 65 Jahren werden die täglichen Ausgangsbeschränkungen in den beiden niedrigsten Risikostufen gestrichen. Für Touristen gelten die Ausgangssperren nach wie vor nicht.
Restaurants und Cafés in der Türkei dürfen nun in allen Provinzen der Risikostufen gering bis hoch von 07:00 bis 19:00 Uhr wieder öffnen. Demnach bleiben aktuell nur in 17 Provinzen mit der Corona-Warnstufe Rot (Inzidenzzahlen von über 100) die Lokale weiterhin geschlossen. Die Öffnung ist grundsätzlich mit Auflagen verbunden, so dürfen die gastronomischen Betriebe ihre Platzkapazitäten nur zu maximal 50 % auslasten. Zudem sollen die Grundschulen und die achten bis zwölften Klassen wieder mit dem Präsenzunterricht beginnen.
Die Staatsanwaltschaft in Ankara erließ nach Medienberichten am 05.03.21 Haftbefehle gegen 53 Verdächtige wegen angeblicher Verbindungen zur FETÖ, darunter 40 Verdächtige in den Seestreitkräften. Ihnen wird vorgeworfen über Münztelefone mit anderen FETÖ-Mitgliedern in Kontakt gestanden zu sein (vgl. BN v. 01.03.21).
15.03.2021: Ein Gericht in Ankara verurteilte am 08.03.21 die Journalisten Muyesser Yildiz und Ismail Duken wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen. Yildiz, der Nachrichtenredakteur von Ankara für die Nachrichten-Website OdaTV, wurde zu drei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt und Duken, der Ankara-Vertreter des Senders TELE1, zu einer Haftstrafe von einem Jahr und 15 Tagen. Bei der Berichterstattung ging es um das militärische Engagement der Türkei in Libyen.
Anlässlich des Internationalen Frauentags demonstrierten am 08.03.21 Frauenrechtlerinnen, Aktivisten und Oppositionelle in Istanbul gegen Diskriminierung und häusliche Gewalt. Laut Medienberichten wurden allein bis März 2021 mehr als 60 Türkinnen von Partnern oder Angehörigen getötet. Der Justiz wird vorgeworfen gegen Täter milde Urteile zu fällen. Zudem kritisierten Demonstrierende feindliche Aussagen von Regierungsvertretern gegen LGBTQI, die zu Diskriminierung beitragen. Zwei Tage nach der Demonstration wurden 13 Frauen, wegen des Vorwurfs gegen das Demonstrationsrecht verstoßen und den Präsidenten beleidigt zu haben, zunächst verhaftet und dann unter Auflagen wieder freigelassen.
Am 09.03.21 wurden fünf Angeklagte wegen des Mordes am russischen Botschafter Andrej Karlow 2016 in Ankara zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Sechs weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Acht Angeklagte erhielten Medienberichten zufolge Strafen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Dem Attentäter selbst, der kurz nach der Tat von Spezialkräften getötet worden war, warf die Justiz vor, der Gülen-Bewegung anzugehören. Für die Tat steht auch der in den USA lebende Fethullah Gülen unter Anklage; ein gesondertes Gerichtsverfahren gegen ihn und weitere Angeklagte soll getrennt verhandelt werden.
22.03.2021: Medienberichten zufolge wurde Ömer Faruk Gergerlioğlu, ein Abgeordneter der HDP im türkischen Parlament und ehemaliges Gründungsmitglied der türkischen Menschenrechtsorganisation Mazlum, am 17.03.21 seines Amtes enthoben. Die Amtsenthebung erfolgte aufgrund seiner Verurteilung für „Propaganda für eine terroristische Organisation“ wegen eines von ihm 2016 kommentierter Nachrichtenbeitrag in sozialen Medien. Der Beitrag thematisierte den Aufruf führender Mitglieder der PKK an die türkische Regierung, für eine friedliche Konfliktlösung einzutreten. Gergerlioğlu wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er legte gegen das Urteil Berufung ein. Am 21.03.21 wurde Gergerlioğlu, der seit seiner Amtsenthebung das Parlamentsgebäude nicht verlassen hatte, für kurze Zeit von der Polizei festgenommen.
Am 17.03.21 beantragte die türkische Generalstaatsanwaltschaft beim türkischen Verfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die prokurdische Oppositionspartei HDP. In der Anklageschrift werden Parteiführung und -mitglieder u.a. beschuldigt, durch ihre Handlungen gegen Rechtsregeln zu verstoßen sowie mit dem Ziel, die staatliche Integrität zu unterminieren, mit der verbotenen PKK zu konspirieren. Zudem sollen über 600 Funktionäre der Partei mit einem Politikverbot für fünf Jahre belegt werden. Sprecher der HDP dementierten Verbindungen zur PKK und äußerten, die Klage sei politisch motiviert.
Während einer großangelegten Razzia in vier türkischen Provinzen wurden am 18.03.21 und 19.03.21 in Istanbul, Ankara sowie den Provinzen Kagithane und Besiktas laut Medienberichten 20 bis 36 Personen festgenommen. Ihnen wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, die PKK durch die Teilnahme an illegalen Demonstrationen, Propaganda in sozialen Medien oder andere Aktivitäten zu unterstützen. Unter den Festgenommenen befinden sich führende Mitglieder der Oppositionspartei HDP sowie Öztürk Türkdoğan, der Vorsitzende der türkischen Menschenrechtsorganisation IHD.
Am 16.03.21 wurden in der Provinz Eskişehir drei Personen verhaftet, die verdächtigt werden, Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu haben. Ihnen wird laut türkischen Medienberichten von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, in eine Infiltration des türkischen Militärs involviert zu sein. Am 05.03.21 waren in diesem Zusammenhang 20 Beamte und Unteroffiziere der türkischen Luftwaffe verhaftet worden, von denen zwölf am 18.03.21 unter Auflagen wieder freigelassen wurden.
Laut Medienberichten wurden während einer großangelegten Razzia in Istanbul am 17.03.21 acht Männer unter dem Verdacht der IS-Mitgliedschaft verhaftet. Bei der Razzia wurden 12 Wohnungen durchsucht.
Am 20.03.21 protestierten mehrere hundert Demonstrierende in Istanbul und weiteren Städten gegen den Austritt der Türkei aus der sogenannten Istanbul-Konvention. Staatspräsident Erdoğan hatte am 20.03.21 durch Präsidialdekret den Austritt aus der Konvention erklärt. Regierungssprecher äußerten, die Konvention sei mit türkischen Gemeinschafts- und Familienwerten unvereinbar. Das internationale Abkommen war 2011 vom Europarat ausgearbeitet und als ersten Land von der Türkei unterzeichnet worden. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, Gewalt gegen Frauen zu verhüten und zu bekämpfen und dazu einen Rechtsrahmen zu schaffen.
29.03.2021: Medienberichten zufolge wurden am 23.03.21 erneut zwischen 150 und 186 Mitglieder des türkischen Militärs unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung verhaftet (vgl. BN v. 01.02. u. 08.03.21). Die Verhaftungen wurden in 53 der 81 türkischen Provinzen durchgeführt, nachdem der türkische Geheimdienst MIT eine Liste mit Verdächtigen aus 29 Provinzen sowie Telefondaten und Informantenaussagen an die Staatsanwaltschaft übermittelt hatte.
Laut Medienberichten wurden bei einer Demonstration am 25.03.21 auf dem Campus der Boğaziçi Universität in Istanbul vier Personen wegen des Tragens von Regenbogenflaggen verhaftet, weitere acht Personen wurden verhaftet, als sie gegen diese Festnahmen protestierten. Bei den anhaltenden Demonstrationen auf dem Campus der Universität gegen den Direktor Meli Bulu, kam es vermehrt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und zahlreichen Verhaftungen (vgl. BN v. 08.02.21). Viele der Verhafteten wurden inzwischen wieder frei gelassen.
Für den Mord an Hrant Dink, einem armenisch-türkischen Journalisten, wurden am 26.03.21 zwei Polizeichefs, mehrere Polizisten und weitere Angeklagte zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Dink war 2007 in Istanbul auf offener Straße erschossen worden. Der damals 17-jährige Täter, Ogun Samast, wurde bereits 2011 von einem Jugendgericht zu einer 23-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. 2010 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, die türkischen Behörden hätten Dink nicht ausreichend geschützt, obwohl ihnen bekannt war, dass Ultranationalisten seinen Mord planten und verurteilte die Türkei zu einer Schadensersatzzahlung an die Familie des Opfers. Im aktuellen Gerichtsurteil des Strafgerichts in Istanbul beschuldigt die Justiz die Angeklagten, der Gülen-Bewegung anzugehören. Die Tat sei im Einklang mit Zielen der Gülen-Bewegung begangen worden. Für die Tat stehen auch der in den USA lebende Prediger Fethullah Gülen und zwölf weitere Flüchtige unter Anklage. Gegen sie soll in einem gesonderten Gerichtsverfahren verhandelt werden.
Am 22.03.21 wurde Selahattin Demirtaş, der ehemalige Co-Vorsitzende der Oppositionspartei HDP, wegen Präsidentenbeileidigung zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Demirtaş, der sich bereits seit 2016 in Untersuchungshaft befindet, wurde u.a. wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation angeklagt. Das Hauptverfahren gegen ihn soll am 14.04.21 weitergeführt werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte mit der Begründung, dass seine Inhaftierung ein Vorwand für die Begrenzung von politischem Pluralismus sei, in zwei Urteilen 2018 und 2020 die Freilassung von Demirtaş verlangt. Das EGMR-Urteil wurde von türkischen Gerichten jedoch nicht berücksichtigt.
12.04.2021: Nach ihrer öffentlichen Kritik an dem von Erdoğan geplanten Projekt zum Bau des Kanals Istanbul, eines Kanals zwischen dem Schwarzen Meer und dem Marmarameer, wurden am 05.04.21 zehn pensionierte Admiräle verhaftet, denen von der Staatsanwaltschaft in Ankara vorgeworfen wird, durch die Anwendung von Gewalt und Nötigung die verfassungsmäßige Ordnung stürzen zu wollen. Im Vorfeld hatten die Pensionäre in einer von mehr als 100 ehemaligen Admirälen unterzeichneten Erklärung auf die öffentliche Debatte um einen möglichen Austritt der Türkei aus einem Schifffahrtsabkommen, dem Vertrag von Montreux, reagiert. Die ehemaligen Admiräle betonten in ihrem offenen Brief die Notwendigkeit des internationalen Abkommens, das der Türkei im Zweiten Weltkrieg ermöglicht hätte, Neutralität zu wahren und forderten die Regierung auf, sich weiterhin an das Schifffahrtsabkommen zu halten. Das Abkommen, das 1936 unterzeichnet wurde, regelt die Nutzung von Bosporus und Dardanellen durch Frachtschiffe und grenzt ihre Nutzung durch Militärschiffe ein. Ein Amtsträger hatte geäußert, dass der geplante Kanal vom Vertrag von Montreux ausgenommen sei. Erdoğan dementierte dies und implizierte seitens der pensionierten Admiräle einen Putschversuch.
Am 05.04.21 wurden während einer Razzia in der Provinz Diyarbakır im Frauenrechtsverein Rosa, der sich für Opfer von Gewalt einsetzt, 22 Frauen verhaftet, denen von der Staatsanwaltschaft in Ankara vorgeworfen wird, Treffen und Proteste abzuhalten, um Mitglieder für die PKK zu rekrutieren und politischen Propaganda für die Organisation zu verbreiten. Nach weiteren neun Verdächtigen wird gesucht.
Im Zusammenhang mit dem gescheiterten Putschversuch von 2016 wurden am 07.04.21 in einem Massenprozess durch ein Gericht in Ankara 38 ehemalige Militärbedienstete für „Bestrebungen, die gegen die Verfassung gerichtet sind“ zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, einem Netzwerk von Gülen-Anhängern zugehörig zu sein. Nach dem Urteil in dem Verfahren, das gegen 497 Angeklagte geführt wurde, wurden zudem 106 Personen zu Haftstrafen von mehr als 16 Jahren verurteilt. 121 Personen erhielten einen Freispruch.
2. Politische Lage
Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 24.08.2020). Diese Entwicklung wurde mit der Parlamentsund Präsidentschaftswahl im Juni 2018 abgeschlossen, u.a. wurde das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft (bpb 9.7.2018).
Die Venedig Kommission des Europarates zeigte sich in einer Stellungnahme zu den Verfassungsänderungen besorgt, da mehrere Kompetenzverschiebungen zugunsten des Präsidentenamtes die Gewaltenteilung gefährden, und die Verfassungsänderungen die Kontrolle der Exekutive über Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaft in problematischer Weise verstärken würden. Ohne Gewaltenkontrolle würde sich das Präsidialsystem zu einem autoritären System entwickeln (CoE-VC 13.7.2017).
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die ZehnProzent-Hürde, die höchste unter den OSZE-Mitgliedstaaten, wurde trotz der langjährigen Empfehlung internationaler Organisationen und der Rechtsprechung des EGMR nicht gesenkt. Die unter Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und es der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Am 16.4.2017 stimmten 51,4% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017, vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmission der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).
Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan mit 52,6% der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-säkulare Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31. März hatte der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem İmamoğlu, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6. Mai schließlich die Wahl wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees annullierte (FAZ 23.6.2019, vgl. Standard 23.6.2019). İmamoğlu gewann die wiederholte Wahl mit 54%. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Yildirim, erreichte 45% (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert von der Macht in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdogan bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirtas, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für İmamoğlu betonte (NZZ 23.6.2019).
Trotz der Aufhebung des Ausnahmezustands sind viele seiner Verordnungen in die ordentliche Gesetzgebung aufgenommen worden. Das neue Präsidialsystem hat etliche der bisher bestehenden Elemente der Gewaltenteilung aufgehoben und die Rolle des Parlaments geschwächt. Dies hat zu einer stärkeren Politisierung der öffentlichen Verwaltung und der Justiz geführt. Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen; gegen Gesetze Veto einzulegen, und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z.B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der Souveräne Wohlfahrtsfonds, sind inzwischen dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019).
Zunehmende politische Polarisierung, insbesondere im Vorfeld der Gemeinderatswahlen vom März 2019, verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der Demokratischen Partei der Völker (HDP), hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemaligen Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft. Laut europäischer Kommission muss die parlamentarische Immunität gestärkt werden, um die Meinungsfreiheit der Abgeordneten zu gewährleisten (EC 29.5.2019).
Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen bei Verdacht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können (ZO 25.7.2018).
Mehr als 152.000 Beamte, darunter Akademiker, Lehrer, Polizisten, Gesundheitspersonal, Richter und Staatsanwälte, wurden durch Notverordnungen entlassen. Mehr als 150.000 Personen wurden während des Ausnahmezustands in Gewahrsam genommen und mehr als 78.000 wegen Terrorismusbezug verhaftet, von denen 50.000 noch im Gefängnis sitzen (EC 29.5.2019). Die rund 50.000 wegen Terrorbezug Inhaftierten machen 17% aller Gefängnisinsassen aus (AM 4.12.2018).
3. Sicherheitslage
Im Juli 2015 flammte der bewaffnete Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wieder auf; der sog. Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Türkei musste zudem von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK (bzw. ihrer Ableger), des sogenannten Islamischen Staates sowie - in sehr viel geringerem Ausmaß - auch linksextremistischer Gruppierungen, wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), ausgesetzt. Die Intensität des Konflikts mit der PKK innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 14.6.2019). Dennoch ist die Situation im Südosten trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds weiterhin angespannt. Die Regierung setzte die Sicherheitsmaßnahmen gegen die PKK und mit ihr verbundenen Gruppen fort (EC 25.9.2019). Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (IHD) kamen 2018 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 502 Personen ums Leben, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (IHD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (IHD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (IHD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte 2018 sogar 603 Personen, die ums Leben kamen. Von Jänner bis September 2019 kamen 361 Personen ums Leben (ICG 4.10.2019). Bislang gab es keine sichtbaren Entwicklungen bei der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erreichung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 29.5.2019).
Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 4.10.2019). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in Diyarbakir, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin, §irnak und Hakkari bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, §anliurfa, Diyarbakir, Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Mu§, Tunceli, §irnak, Hakkari und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder „zeitweilige Sicherheitszonen“ eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkari entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbakir und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkari, Batman und Agri (AA 8.10.2019a). Das BMEIA sieht ein hohes Sicherheitsrisiko in den Provinzen Agri, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, §anliurfa, Siirt, §irnak, Tunceli und Van, wo es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten kommt. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gilt im Rest des Landes (BMEIA 4.10.2019).
Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 4.10.2019).
Die nachstehenden Grafiken aus der Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) von ACCORD veranschaulichen die regionale Verteilung sicherheitsrelevanter Vorfälle sowie die Anzahl der Vorfälle und der Opfer in der Türkei im Zeitraum Jänner – April 2020:
4. Rechtsschutz/Justizwesen
Der zwei Jahre andauernde Ausnahmezustand nach dem Putschversuch hat zu einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit geführt (EP 13.3.2019, vgl. PACE 24.1.2019). Negative Entwicklungen bei der Rechtsstaatlichkeit, den Grundrechten und der Justiz wurden nicht angegangen (EC 29.5.2019). Die Türkei verzeichnet weiterhin eine schwere Rückwärtsentwicklung hinsichtlich des Funktionierens des Justizwesens. Die Bedenken bezüglich der Unabhängigkeit der türkischen Justiz, die unter anderem auf die Entlassung und Zwangsversetzung von 30% der Richter und Staatsanwälte nach dem Putschversuch von 2016 zurückzuführen ist, bleiben bestehen (EC 29.5.2019, vgl. USDOS 13.3.2019). Obgleich Richter gelegentlich immer noch gegen die Regierung entscheiden, haben sowohl die Ernennung von tausenden neuen, regierungstreuen Richtern als auch die potenziellen beruflichen Konsequenzen für ein Urteil gegen die Interessen der Exekutive in einem größeren Rechtsfall sowie die Auswirkungen der laufenden Säuberung die Unabhängigkeit der Justiz insgesamt stark geschwächt (FH 4.2.2019).
Die Anstellung neuer Richter und Staatsanwälte im Rahmen des derzeitigen Systems trug zu den Bedenken bei, da keine Maßnahmen ergriffen wurden, um dem Mangel an objektiven, leistungsbezogenen, einheitlichen und im Voraus festgelegten Kriterien für deren Einstellung und Beförderung entgegenzuwirken. Es wurden keine rechtlichen und verfassungsmäßigen Garantien eingeführt, die verhindern, dass Richter und Staatsanwälte gegen ihren Willen versetzt werden. Die abschreckende Wirkung der Entlassungen und Zwangsversetzungen innerhalb der Justiz ist nach wie vor zu beobachten. Es besteht die Gefahr einer weit verbreiteten Selbstzensur unter Richtern und Staatsanwälten. Es wurden keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Rechtsgarantien ergriffen, um die Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive zu gewährleisten oder die Unabhängigkeit des Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) zu stärken. An der Einrichtung der Friedensrichter in Strafsachen (sulh ceza hakimligi), die zu einem parallelen System werden könnten, wurden keine Änderungen vorgenommen (EC 29.5.2019). Das Europäische Parlament (EP) verurteilte die verstärkte Kontrolle der Arbeit von Richtern und Staatsanwälten durch die Exekutive und den politischen Druck, dem sie ausgesetzt sind (EP 13.3.2019).
Die Entlassung von mehr als 4.800 Richtern und Staatsanwälten führt auch zu praktischen Problemen, da für die notwendigen Nachbesetzungen keine ausreichende Zahl an entsprechend ausgebildeten Richtern und Staatsanwälten zur Verfügung steht (Erfordernis des zweijährigen Trainings wurde abgeschafft). Die im Dienst verbliebenen erfahrenen Kräfte sind infolge der Entlassungen häufig schlichtweg überlastet. In einigen Fällen spiegelt sich der Qualitätsverlust in einer schablonierten Entscheidungsfindung ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall wider. In massenhaft abgewickelten Verfahren, wie etwa denjenigen betreffend Terrorismusvorwürfe, leidet die Qualität der Urteile häufig unter mangelhaften rechtlichen Begründungen sowie lückenhafter und oberflächlicher Beweisführung (ÖB 10.2019).
Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung festgelegt. Laut Art. 9 erfolgt die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte. Art. 138 der Verfassung regelt die Unabhängigkeit der Richter (AA 24.08.2020, vgl. ÖB 10.2019). Die EU-Delegation in der Türkei kritisiert jedoch, dass diese Verfassungsbestimmung durch einfach-rechtliche Regelungen unterlaufen wird. U.a. sind die dem Justizministerium weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften für die Organisation der Gerichte zuständig (ÖB 10.2019). Die richterliche Unabhängigkeit ist überdies durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) in Frage gestellt. Der Rat ist u. a. für Ernennungen, Versetzungen und Beförderungen zuständig. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen. Nach dem Putschversuch von Mitte Juli 2016 wurden fünf der 22 Richter und Staatsanwälte des HSK verhaftet, Tausende von Richtern und Staatsanwälten wurden aus dem Dienst entlassen. Seit Inkrafttreten der im April 2017 verabschiedeten Verfassungsänderungen wird der HSK teils vom Staatspräsidenten, teils vom Parlament ernannt, ohne dass es bei den Ernennungen der Mitwirkung eines anderen Verfassungsorgans bedürfte (AA 24.08.2020).
Das türkische Justizsystem besteht aus zwei Säulen: Der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Straf- und Zivilgerichte) und der außerordentlichen Gerichtsbarkeit (Verwaltungs- und Verfassungsgerichte). Mit dem Verfassungsreferendum im April 2017 wurden die Militärgerichte abgeschafft. Deren Kompetenzen wurden auf die Straf- und Zivilgerichte sowie Verwaltungsgerichte übertragen. Letztinstanzliche Gerichte sind gemäß der Verfassung der Verfassungsgerichtshof (Anayasa Mahkemesi), der Verwaltungsgerichtshof/Staatsrat (Danıştay), der Kassationshof (Yargıtay) und das Kompetenzkonfliktgericht (Uyuşmazlık Mahkemesi) (ÖB 10.2019). Seit September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Verfassungsgericht (AA 24.08.2020).
2014 wurden alle Sondergerichte sowie die Friedensgerichte (Sulh Ceza Mahkemleri) abgeschafft. Ihre Jurisdiktion für die Entscheidung wurde in der Hauptsache auf Strafkammern (Ağır Ceza Mahkemeleri) übertragen. Stattdessen wurde die Institution des Friedensrichters in Strafsachen (sulh ceza hakimligi) eingeführt, der das strafrechtliche Ermittlungsverfahren begleitet und überwacht. Im Gegensatz zu den abgeschafften Friedensgerichten entscheiden Friedensrichter nicht in der Sache, doch kommen ihnen während des Verfahrens weitreichende Befugnisse zu, wie z.B. die Ausstellung von Durchsuchungsbefehlen, Anhalteanordnungen, Blockierung von Websites sowie die Beschlagnahmung von Vermögen (ÖB 10.2019). Neben den weitreichenden Konsequenzen der durch den Friedensrichter anzuordnenden Maßnahmen wird in diesem Zusammenhang vor allem die Tatsache kritisiert, dass Einsprüche gegen Anordnungen nicht von einem Gericht, sondern ebenso von einem Einzelrichter geprüft werden (EC 29.5.2019, vgl. ÖB 10.2019). Die Urteile der Friedensrichter für Strafsachen weichen zunehmend von der Rechtsprechung des EGMR ab und bieten selten eine ausreichend individualisierte Begründung. Der Zugang von Verteidigern zu den Gerichtsakten ihrer Mandanten für einen bestimmten Katalog von Straftaten ist bis zur Anklageerhebung eingeschränkt. Manchmal dauert das mehr als ein Jahr (EC 29.5.2019). Die Venedig-Kommission forderte 2017 die Übertragung der Kompetenzen der Friedensrichter an ordentliche Richter bzw. eine Reform (ÖB 10.2019).
Probleme bestehen sowohl hinsichtlich der divergierenden Rechtsprechung von Höchstgerichten als auch infolge der Nicht-Beachtung von Urteilen höherer Gerichtsinstanzen durch untergeordnete Gerichte. So hat das Verfassungsgericht uneinheitliche Urteile zu Fällen der Meinungsfreiheit gefällt. Wo sich das Höchstgericht im Einklang mit den Standards des EGMR sah, welches etwa eine Untersuchungshaft in Fällen der freien Meinungsäußerung nur bei Hassreden oder dem Aufruf zur Gewalt als gerechtfertigt betrachtet, stießen die Urteile in den unteren Instanzen auf Widerstand und Behinderung (IPI 18.11.2019). Auch andere höhere Gerichte werden von untergeordneten Instanzen der Rechtsprechung ignoriert. Entgegen dem Urteil des Obersten Kassationsgerichtes bestätigte im November 2019 ein untergeordnetes Gericht in Istanbul seine Verurteilung von zwölf Journalisten der Tageszeitung Cumhuriyet, denen unterschiedliche Verbindungen zu terroristischen Organisationen vorgeworfen wurden (AM 21.11.2019).
Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten, und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte - jedenfalls in Terrorprozessen - bei den Verteidigungsmöglichkeiten. Fälle mit Bezug auf eine angebliche Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung oder der PKK werden häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte keine Akteneinsicht nehmen können. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert, bei Befragungen ihrer Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt. Beweisanträge dazu werden regelmäßig zurückgewiesen (AA 24.08.2020).
Private Anwälte und Menschenrechtsbeobachter berichteten von einer unregelmäßigen Umsetzung der Gesetze zum Schutz des Rechts auf ein faires Verfahren, insbesondere in Bezug auf den Zugang von Anwälten. Einige Anwälte gaben an, dass sie zögerten, Fälle anzunehmen, insbesondere solche von Verdächtigen, die wegen Verbindungen zur PKK oder zur Gülen-Bewegung angeklagt waren, aus Angst vor staatlicher Vergeltung, einschließlich Strafverfolgung (USDOS 13.3.2019). So wird gegen Anwälte strafrechtlich ermittelt, sie werden willkürlich inhaftiert und in Verbindung mit den angeblichen Verbrechen ihrer Mandanten gebracht. Die Regierung erhebt Anklage wegen Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen gegen Anwälte, die Menschenrechtsverletzungen aufdecken. Hierbei gibt es keine oder nur spärliche Beweise für eine solche Mitgliedschaft. Die Gerichte beteiligen sich an diesem Angriff gegen die Anwaltschaft, indem sie die Betroffenen zu langen Haftstrafen aufgrund von Terrorismusvorwürfen verurteilen. Die Beweislage hierbei ist meist dürftig und das Recht auf ein faires Verfahren wird ignoriert. Dieser Missbrauch der Strafverfolgung gegen Anwälte wurde von Gesetzesänderungen begleitet, die das Recht auf Rechtsbeistand für diejenigen untergraben, die willkürlich wegen Terrorvorwürfen inhaftiert wurden (HRW 10.4.2019). Seit dem Putschversuch 2016 gibt es eine Verhaftungskampagne, die sich gegen Anwälte im ganzen Land richtet. In 77 der 81 Provinzen der Türkei wurden Anwälte wegen angeblicher terroristischer Straftaten inhaftiert, verfolgt und verurteilt. Bis heute wurden mehr als 1.500 Anwälte strafrechtlich verfolgt und 599 Anwälte festgenommen. Bisher wurden 321 Anwälte wegen ihrer Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation oder wegen der Verbreitung terroristischer Propaganda zu Haftstrafen verurteilt (CCBE 1.9.2019).
Nach Änderung des Antiterrorgesetzes vom Juli 2018 soll eine in Polizeigewahrsam (angehaltene) befindliche Person spätestens nach vier Tagen einem Richter zur Entscheidung über die Verhängung einer U-Haft oder Verlängerung des Polizeigewahrsams vorgeführt werden. Eine Verlängerung der Polizeigewahrsam ist nur auf begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft, z.B. bei Fortführung weiterer Ermittlungsarbeiten oder Auswertung von Mobiltelefondaten, zulässig. Eine Verlängerung ist zweimal, zu je vier Tagen, möglich, insgesamt daher maximal zwölf Tage Polizeigewahrsam. Während des Ausnahmezustandes waren es bis zu 14 Tagen, mit einmaliger Verlängerung nach sieben Tagen. Die maximale U-Haftdauer beträgt gem. Art. 102 (1) der türkischen Strafprozessordnung (SPO) bei Straftaten, die nicht in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern fallen, ein Jahr. Aufgrund von besonderen Umständen kann sie um weitere sechs Monate verlängert werden. Nach Art. 102 Abs. 2 SPO beträgt die U-Haftdauer höchstens zwei Jahre, wenn es sich um Straftaten handelt, die in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern (Agir Ceza mahkemeleri) fallen (Straftaten, die mindestens eine zehnjährige Freiheitsstrafe vorsehen). Aufgrund von besonderen Umständen kann diese Dauer um ein weiteres Jahr verlängert werden (insgesamt maximal drei Jahre). Bei Straftaten, die das Anti-Terrorgesetz 3713 betreffen, beträgt die maximale U-Haftdauer höchstens sieben Jahre (zwei Jahre und mögliche Verlängerung um weitere fünf Jahre). Diese Gesetzesänderung erfolgte mit dem Dekret 694 vom 15.08.2017, das am 1.2.2018 zu Gesetz Nr. 7078 wurde (Art. 136) (ÖB 10.2019).
Wesentliche Regelungen der Dekrete des Ausnahmezustandes wurden in die reguläre Gesetzgebung überführt. So wurden z.B. Teile der Notstandsvollmachten auf die Provinzgouverneure übertragen, die vom Staatspräsidenten ernannt werden (AA 14.6.2019). Das nach Auslaufen des Ausnahmezustandes im Juli 2018 angenommene Gesetz Nr. 7145 sieht keine Abschwächung der Kriterien vor, auf Grundlage derer (Massen-)Entlassungen ausgesprochen werden können (Verbindungen zu Terrororganisationen, Handeln gegen die Sicherheit des Staates etc.). Ein adäquater gerichtlicher Überprüfungsmechanismus ist nicht vorgesehen. Beibehalten wird auch die Möglichkeit, Reisepässe der entlassenen Person einzuziehen. Entlassene Akademiker haben selbst nach Wiedereinsetzung nicht mehr die Möglichkeit, an ihre ursprüngliche Universität zurückzukehren (ÖB 10.2019).
Die mittels Präsidialdekret zur individuellen Überprüfung der Entlassungen und Suspendierungen aus dem Staatsdienst eingerichtete Beschwerdekommission begann im Dezember 2017 mit ihrer Arbeit. Das Durchlaufen des Verfahrens vor der Beschwerdekommission und weiter im innerstaatlichen Weg ist eine der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) festgelegten Voraussetzungen zur Erhebung einer Klage vor dem EGMR. Bis Mai 2019 wurden 126.000 Anträge eingebracht. Davon bearbeitete die Kommission bislang 70.406. Lediglich 5.250 Personen wurden wiedereingesetzt. Die Kommission wies 65.156 Beschwerden ab, 55.714 Beschwerden sind weiter anhängig (ÖB 10.2019).
Die Beschwerdekommission stellt keinen wirksamen Rechtsbehelf für die Betroffenen dar, um sich wirksam und zeitnah Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu verschaffen. Der Kommission fehlt die genuine institutionelle Unabhängigkeit, da ihre Mitglieder zum größten Teil von der Regierung ernannt werden und im Falle von Verdachtsmomenten hinsichtlich Kontakten mit verbotenen Gruppierungen ihrer Funktion enthoben werden können. Somit können die Ernennungs- und Entlassungsvorschriften leicht den Entscheidungsprozess beeinflussen. Denn sollten Kommissionsmitglieder nicht die von ihnen erwarteten Urteile fällen, kann sie die Regierung einfach entlassen. Den Beschwerdeführern fehlt es an Möglichkeiten, Vorwürfe ihrer angeblich illegalen Aktivität zu widerlegen, da sie nicht mündlich aussagen, keine Zeugen benennen dürfen und vor Stellung ihres Antrags an die Kommission keine Einsicht in die gegen sie erhobenen Anschuldigungen bzw. diesbezüglich namhaft gemachten Beweise erhalten. Umgekehrt verwendet die Kommission schwache Beweise zur Aufrechterhaltung der Entlassungsentscheidungen. Herangezogen werden oftmals rechtmäßige Handlungen der Betroffenen als Beweis für rechtswidrige Aktivitäten (Interaktionen mit Banken, Wohltätigkeitsorganisationen, Medien etc.). Es besteht eine Beweislastumkehr. Die Betroffenen müssen widerlegen, dass sie Verbindungen zu verbotenen Gruppen hatten. Irrelevant ist, dass die getätigten Handlungen zum Zeitpunkt ihrer Vornahme legal waren. Die Wartezeiten bis zur Entscheidung der Berufungsverfahren reichten bislang von vier bis zehn Monaten, während viele entlassene Beschäftigte im öffentlichen Sektor noch keine Antwort der Kommission erhielten, obwohl sie ihre Anträge vor über einem Jahr eingereicht haben. Die Kommission ist an keine Fristen für Entscheidungen gebunden (AI 25.10.2018, vgl. ÖB 10.2019).
Das Recht auf sofortigen Zugang zu einem Rechtsanwalt innerhalb von 24 Stunden ist grundsätzlich gewährleistet. Die Zustellung von Gerichtsurteilen an Rechtsanwälte ist möglich (AA 24.08.2020).
5. Sicherheitsbehörden
Die nationale Polizei, die unter der Kontrolle des Innenministeriums steht, ist für die Sicherheit in großen Stadtgebieten verantwortlich (AA 24.08.2020, vgl. USDOS 13.3.2019). Die Jandarma, eine paramilitärische Truppe, ist für ländliche Gebiete und spezifische Grenzgebiete zuständig (AA 24.08.2020, vgl. USDOS 13.3.2019, ÖB 10.2019), obwohl das Militär die Gesamtverantwortung für die Grenzkontrolle und die allgemeine Außensicherheit trägt (USDOS 13.3.2019). Die Jandarma mit einer Stärke von 180.000 Bediensteten wurde nach dem Putschversuch 2016 dem Innenministerium unterstellt, zuvor war diese dem Verteidigungsministerium unterstellt (ÖB 10.2019). Polizei und Jandarma sind zuständig für innere Sicherheit, Strafverfolgung und Grenzschutz. Die Jandarma beaufsichtigt die sog. "Sicherheitskräfte" (Güvenlik Köy Koruculari), die vormaligen Dorfschützer, eine zivile Miliz, die zusätzlich für die lokale Sicherheit im Südosten sorgen soll, vor allem als Reaktion auf die terroristische Bedrohung durch die PKK. Der Geheimdienst MiT ist der Präsidentschaftskanzlei unterstellt und für das Sammeln von Informationen über bestehende und potenzielle Bedrohungen verantwortlich (USDOS 13.3.2019). Die Polizei und mehr noch der Geheimdienst MiT haben unter der AKP-Regierung an Einfluss gewonnen. Seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung ist die Polizei aber auch selbst zum Objekt umfangreicher Säuberungen geworden (über 33.000 Bedienstete betroffen von massenhaften Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst, Entlassungen und Strafverfahren). Die Jandarma rekrutiert sich teils aus Wehrpflichtigen (AA 24.08.2020).
Die 2008 abgeschafften „Nachtwächter“ (Bekçi) wurden 2016 wiedereingeführt und bestanden Anfang 2020 aus über 20.000 Personen. Mit einer Gesetzesänderung im Juni 2020 wurden ihre Befugnisse gegen Kritik der Opposition erweitert (u.a. Waffeneinsatz, Personenkontrollen). Sie sollen für öffentliche Sicherheit in ihren eigenen Stadtteilen sorgen, werden von Regierungskritikern aber als „AKP-Miliz“ kritisiert und sollen für ihre Aufgaben kaum ausgebildet sein (AA 24.08.2020).
Nachrichtendienstliche Belange werden bei der Türkischen Nationalpolizei (Emniyet Genel Müdürlüğü - TNP) durch den polizeilichen Nachrichtendienst (İstihbarat Dairesi Başkanlığı - IDB) abgedeckt. Dessen Schwerpunkt liegt auf Terrorbekämpfung, Kampf gegen organisierte Kriminalität und Zusammenarbeit mit anderen türkischen Nachrichtendienststellen. Ebenso unterhält die Jandarma einen auf militärische Belange ausgerichteten Nachrichtendienst. Ferner existiert der nationale Nachrichtendienst (Millî İstihbarat Teşkilâtı- MiT), der seit September 2017 direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist (zuvor dem Amt des Premierministers) und dessen Aufgabengebiete der Schutz des Territoriums, des Volkes, der Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, der Wahrung des Fortbestehens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit der Türkei sowie deren Verfassung und der verfassungskonformen Staatsordnung sind. Es existiert nach wie vor der militärische Nachrichtendienst, der dem Generalstabschef untersteht. Dieser musste nach dem Putsch einige Aufgaben an den MiT abgeben. Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem MiT erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. MiT-Agenten besitzen von nun an eine größere Immunität gegenüber dem Gesetz. Es sieht Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren für Personen vor, die Geheiminformation veröffentlichen. Auch Personen, die dem MiT Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die Entscheidung, ob gegen den MiT-Vorsitzenden ermittelt werden darf, bedarf mit der Novelle aus 2014 der Zustimmung des Staatspräsidenten (ÖB 10.2019).
Der Polizei wurden im Zuge der Abänderung des Sicherheitsgesetzes im März 2015 weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht seitdem den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen (NZZ 27.3.2015, vgl. FAZ 27.3.2015, HDN 27.3.2015). Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Chefs der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen (Anadolu 27.3.2015).
Den Militär-, Polizei- und Nachrichtendiensten fehlt es an ausreichender Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament. Das Sicherheitspersonal verfügt über einen umfassenden Rechtsschutz. Trotz glaubhafter Berichterstattung über schwerwiegende Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen und den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte im Südosten ist die Erfolgsbilanz der gerichtlichen und administrativen Prüfung solcher Anschuldigungen nach wie vor schlecht. Die parlamentarische Aufsichtskommission für die Strafverfolgung blieb wirkungslos (EC 29.5.2019).
6. Folter und unmenschliche Behandlung
Die Türkei ist Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Sie hat das Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter (OPCAT) im September 2005 unterzeichnet und 2010 ratifiziert (ÖB 10.2019).
Vorwürfe über Folter, Misshandlung und grausame und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Polizeigewahrsam und Strafanstalten sowie das Fehlen einer adäqaten Untersuchung dieser Vorwürfe geben weiterhin Anlass zu großer Sorge (HRW 17.1.2019, vgl. EC 29.5.2019). Solche Vorwürfe gab es seit Ende des offiziellen Besuchs des UN-Sonderberichterstatters zu Folter im Dezember 2016, u.a. angesichts der Behauptungen, dass eine große Anzahl von Personen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Gülen- Bewegung oder zur PKK zu haben, brutalen Verhör-Methoden ausgesetzt sind, die darauf abzielen, erzwungene Geständnisse zu erwirken oder Häftlinge zu nötigen, andere zu belasten (OHCHR 27.2.2018, vgl. OHCHR 3.2018). Die Regierungsstellen haben keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen, um diese Anschuldigungen zu untersuchen oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen wurden Beschwerden bezüglich Folter von der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf die Notstandsverordnung (Art. 9 des Dekrets Nr. 667) abgewiesen, die Beamte von einer strafrechtlichen Verantwortung für Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand freispricht. Die Tatsache, dass die Behörden es versäumt haben, Folter und Misshandlung öffentlich zu verurteilen und das allgemeine Verbot eines solchen Missbrauchs in der täglichen Praxis durchzusetzen, fördert ein Klima der Straffreiheit, welches dieses Verbot und letztendlich die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft untergräbt (OHCHR 27.2.2018, vgl. EC 29.5.2019).
Laut Menschenrechtsinstitutionen seien Fälle von Folterungen und rechtswidrigen Ermittlungsverfahren wieder häufiger geworden. Zudem mehrten sich Berichte über Entführungen von Personen und die Existenz informeller Anhaltezentren, in denen es auch zu Fällen von Folter komme. Vertreter des Europarates in Ankara konnten die Existenz solcher Anhaltezentren jedoch nicht bestätigen. Folter bleibt, insbesondere wegen der Abschaffung von Garantien im Zuge des Ausnahmezustands sowie wegen der Nichtdurchführung von effektiven Untersuchungen, in vielen Fällen straflos, wenngleich es vereinzelt Anklagen und Verurteilungen gibt. Von systematischer Anwendung der Folter kann nach hiesigem Wissensstand dennoch nicht die Rede sein (ÖB 10.2019).
Gemeinsame Recherchen des ZDF-Magazins Frontal 21 und acht internationaler Medien, koordiniert von dem gemeinnützigen Recherchezentrum Corrective, basierend auf Überwachungsvideos, internen Dokumenten, Augenzeugen und befragten Opfern, ergaben, dass ein Entführungsprogramm, bei dem der Geheimdienst MiT nach politischen Gegnern, meist Gülen-Anhängern, sucht, die dann in Geheimgefängnisse verschleppt - auch aus dem Ausland - und gefoltert werden, um etwa belastende Aussagen gegen Dritte zu erwirken (ZDF11.12.2018, vgl. Correctiv 11.12.2018, Ha’aretz 11.12.2018). Laut einem Bericht der Tageszeitung Cumhuriyet soll eine Frau wegen Terrorismus inhaftiert worden sein. Die Frau behauptete bei einer Anhörung am 5.2.2019, dass sie sechs Monate lang in einem geheimen Zentrum in Ankara gefoltert wurde, welches vom türkischen Geheimdienst MiT betrieben wird (IPA 14.6.2019). Der Vorfall führte im März 2019 zu einer diesbezüglichen parlamentarischen Anfrage im Europaparlament an die Europäische Kommission (EP 11.3.2019).
Während nach Angaben des türkischen Menschenrechtsverbandes (iHD) 2017 insgesamt 2.682 Menschen Folter und Misshandlungen laut Meldungen ausgesetzt waren (iHD 6.4.2018), stieg diese Zahl 2018 auf insgesamt 2.719 Personen. Hiervon gaben 1.149 Personen an, dass sie in Gefängnissen gefoltert und misshandelt wurden (iHD 16.4.2019).
Berichte über Folter und Misshandlungen hielten auch 2019 an. So wurden infolge bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und der PKK in Urfa beispielsweise 47 Personen verhaftet. Nach Angaben ihrer Rechtsbeistände und ausgehend von vorliegenden Fotografien wurden einige der erwachsenen Inhaftierten in der Gendarmerie-Wache von Bozova Yaylak in der Provinz Urfa von Angehörigen der Polizei gefoltert oder anderweitig misshandelt (AI 13.6.2019). Die Rechtsanwaltsvereinigung Ankara berichtete auf der Basis von Interviews mit einigen der 249 ehemaligen türkischen Diplomaten, die wegen Terroranschuldigungen im Zuge einer Razzia verhaftet wurden, dass diese gefoltert oder misshandelt wurden (ABA/HRD 26.5.2019, vgl. WE 3.6.2019). Die Anwaltsvereinigung Diyarbakir berichtete auf der Basis von Interviews mit Betroffenen, dass vermeintlich 20 Häftlinge in einer Justizvollzugsanstalt in Elâzığ durch das Wachpersonal systematisch gefoltert wurden. Statt auf Beschwerden gegen das Wachpersonal Untersuchungen vorzunehmen, wurden gegen 40 Häftlinge Untersuchungen wegen Disziplinarverstöße eingeleitet (SCF 19.8.2019).
7. Wehrdienst
Die türkische Armee (TSK) ist zu 50% eine Berufsarmee, ergänzt um 200.000 Wehrpflichtige. Jedes Jahr werden etwa 300.000 türkische Männer über 18 Jahren für zwölf Monate einberufen. Nach offiziellen Angaben haben 1,9 Millionen junge Männer wegen ihres Studiums den Wehrdienst aufgeschoben. Weitere drei Millionen haben aus verschiedenen anderen Gründen einen Aufschub beantragt. Rund 650.000 entziehen sich gesetzwidrig der Wehrpflicht (AM 4.7.2018).
In den Artikeln 2, 25 und 26 des türkischen Wehrgesetzes heißt es, dass jeder Mann in der Türkei zur Einberufung verpflichtet ist und sich ab dem 1. Januar des Jahres, in dem er zwanzig Jahre alt wird, anmelden muss. Der Militärdienst gilt nicht für Frauen. Wehrpflichtiger bleibt man bis zum 1. Jänner des Jahres, in dem man 41 wird. Im Falle einer Mobilmachung können Männer bis zu ihrem 65. Lebensjahr zum Militärdienst einberufen werden. Türkische Staatsbürger, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Ausland haben, sind ab dem Jahr, in dem sie 19 Jahre alt werden, bis zum Ende des Jahres, in dem sie 38 Jahre alt werden, verpflichtet, der Einberufung zu folgen. Männer, die sich freiwillig zur Teilnahme an den Streitkräften melden, können dies ab dem Alter von 18 Jahren tun. Die türkischen Gesetze und Verordnungen sehen nur für Kranke oder Behinderte und für Einberufungspflichtige, deren Bruder während des Militärdienstes im Kampf gestorben ist, eine Ausnahme vom Militärdienst vor. Darüber hinaus ist es in der Praxis möglich, eine Ausnahmeregelung zu erhalten, indem man erklärt, dass man homosexuell ist. Die Verschiebung des Militärdienstes kann auf Grundlage des Gesetzes 1111, Artikel 35, erfolgen: Ein diesbezüglicher Antrag kann aus Gründen der Unentbehrlichkeit für jemanden eingereicht werden, der für die Regierung, die (Verteidigungs-)Industrie oder als Berufssportler arbeitet; wenn die Person noch studiert (Universitäten übermitteln eine standardisierte Aufschiebung für ihre Studenten); wenn die Person im Ausland arbeitet; und bei schlechter Gesundheit (mit ärztlicher Bestätigung). Eine Verschiebung des Militärdienstes kann auch wegen Inhaftierung beantragt werden. In der Regel wird eine Verschiebung um ein Jahr gewährt. Diese kann bei Vorlage der richtigen Unterlagen um ein Jahr verlängert werden. Das türkische Wehrgesetz erlaubt es Studenten, die zum Militärdienst einberufen werden, zunächst ihre Universitätsausbildung (bis zu dem Jahr, in dem sie 30 Jahre alt werden) oder ihre Postdoc-Ausbildung und Forschung (bis zu dem Jahr, in dem sie 36 Jahre alt werden) abzuschließen (MFA-NL 11.7.2019). Der Einsatzort für den Wehrdienst wird weiter durch das Los bestimmt (ÖB 10.2019).
Das neue Wehrpflichtgesetz vom 25.06.2019 (Nr. 7179) hat den Wehrdienst auf sechs Monate verkürzt sowie eine (auf 145.000 Personen pro Jahr kontingentierte) Freikaufoption eingeführt. Die Befreiung erfolgt für Inlandstürken durch Bezahlung eines Pauschalbetrags (aktuell: 35.054 TL) und Ableistung eines Grundwehrdienstes von 31 Tagen in Form einer Fernausbildung. Auch Auslandstürken können sich vom Wehrdienst freikaufen, für derzeit rund 5.700 EUR. Gem. des Übergangsartikels 1 Abs. 3 des Wehrpflichtgesetzes konnten sich Musterungsflüchtige und einbestellte Flüchtige bis zum 01.11.2019 durch Zahlung des Betrages für Freikauf gem. Art. 9 Wehrpflichtgesetzes freikaufen. Im Ausland geleisteter Wehrdienst wird nicht angerechnet (AA 24.08.2020). Das Gesetz sieht überdies vor, dass Wehrpflichtige nach den sechs Monaten ihren Militärdienst freiwillig gegen ein monatliches Gehalt von 2.000 Lira verlängern können. Leisten die Betreffenden ihre zusätzlichen sechs Monate in den südöstlichen und östlichen Provinzen wie Gaziantep, Şırnak und Hakkari ab, erhalten sie zusätzlich monatlich 1.000 Lira. Der Staatspräsident ist befugt, die Dauer der Wehrpflicht zu ändern, wobei die gegebenen sechs Monate nicht unterschritten werden dürfen (HDN 25.6.2019, vgl. DS 25.6.2019, IPA News 26.6.2019). Personen, die sich dem Militärdienst entziehen, und Deserteure sind von der neuen Regelung ausgeschlossen (Connection e.V. 11.7.2019).
Die Freikaufsregelung bzw. Ableistung eines stark verkürzten Militärdienstes gegen die Zahlung eines Geldbetrages wird im neuen Rekrutierungsgesetz (Kanun 7179) für zwei Gruppen neu gefasst: Artikel 9 definiert unter der Bezeichnung "Bezahlter Militärdienst" die Regelungen für türkische wehrpflichtige Staatsbürger, die in der Türkei leben; Artikel 39 definiert unter der Bezeichnung „Militärdienst mit Devisenzahlung“ (Dövizle Askerlik) Regelungen für türkische wehrpflichtige Staatsbürger, die auf Dauer im Ausland leben bzw. die eine doppelte Staatsbürgerschaft haben. Mit dem neuen Gesetz ist die Freikaufsumme nun auch in Höhe von 31.000 Türkische Lira nach dem jeweiligen Devisenkurs vom 1.1. des Jahres zu zahlen, und zwar auf einmal (Connection e.V. 11.07.2019). Es gibt keine Altersbegrenzung für die Zahlung. Es ist auch kein Militärdienst in der Türkei abzuleisten. (Connection e.V. 11.7.2019, vgl. MFA-NL 11.7.2019). Jedoch müssen im Ausland lebende Wehrpflichtige einen Online-Kurs beim türkischen Verteidigungsministerium absolvieren, bevor sie sich freikaufen können (MFA-NL 11.7.2019, vgl. ÖB 10.2019).
Es wurden keine Änderungen am militärischen Disziplinarsystem oder an den medizinischen Vorschriften vorgenommen, die Homosexualität als "psychosexuelle Störung / Krankheit" definieren. Ein Gesetz vom Januar 2018 über Disziplinarmaßnahmen für Sicherheitskräfte sah vor, dass "abnormale bzw. perverse" Handlungen für das gesamte Sicherheitspersonal ein Grund zur Entlassung sind (EC 29.5.2019). Transsexuelle, Homosexuelle und andere sexuelle Minderheiten können unter der Bezeichnung „psychosexuelle Störungen“ nach Vorsprache bei der Wehrdienstbehörde und Untersuchungen vom Militärdienst befreit werden. Homosexualität führt daher im Grundsatz zur Wehrdienstuntauglichkeit, die jedoch durch ärztliches Gutachten belegt werden muss (AA 24.08.2020). In Folge des gescheiterten Putschversuchs wurden alle militärischen Krankenhäuser geschlossen; das Personal wurde entweder verhaftet, entlassen oder in zivile Einrichtungen überführt. Die medizinische Versorgung der türkischen Streitkräfte obliegt seitdem dem türkischen Gesundheitsministerium, sodass die Untersuchungen seither durch den Familienarzt am Wohnort oder durch die nächstgelegene Gesundheitseinrichtung durchgeführt werden (AA 3.8.2018). Medienberichten zufolge erlitten einige Rekruten, die ihren Wehrdienst ableisteten, schwere Schikanen, körperliche Misshandlungen und Folterungen, die manchmal zu Selbstmord führten (USDOS 13.3.2019), wobei keine Angaben über die Anzahl derartiger Vorfälle vorliegen.
Neu hinzugekommen ist die Regelung, dass für türkische Doppelstaatsangehörige die Ableistung eines Grundwehrdienstes oder Wehrersatzdienstes außerhalb der Türkei nicht mehr anerkannt wird und damit die Dienstpflicht durch die Türkei als nicht erfüllt angesehen wird (ÖB 10.2019).
7.1. Wehrersatzdienst / Wehrdienstverweigerung / Desertion
Die Türkei ist das einzige Mitglied des Europarates, das das Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen nicht anerkennt (EC 17.4.2018). Das türkische Recht sieht die Möglichkeit eines Ersatzdienstes für Wehrdienstverweigerer nicht vor. Eine Person, die sich nicht zur Wehrpflicht meldet, gilt als Wehrdienstverweigerer und kann auf dieser Grundlage bestraft werden. Das Gesetz unterscheidet zwischen drei Arten der Umgehung des Militärdienstes: Umgehung der Registrierung/Sichtung (yoklama kaçakçılığı), Nichtmeldung für den tatsächlichen Dienst (bakaya) und Desertion (firar) (MFA-NL 11.7.2019).
Wehrdienstverweigerung bleibt strafbar und Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist nach wie vor nicht möglich. Derzeit besteht für Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen nur die Möglichkeit, eine Haftstrafe abzusitzen; danach muss der Wehrdienst nachgeholt werden. Im März 2012 wurde erstmals ein Urteil des Militärgerichts von dem Recht auf Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen vom Europäischen Gericht für Menschenrechte beeinflusst. Der angeklagte Wehrdienstleistende war nach fünf Monaten im Militärdienst geflohen und teilte seine Dienstverweigerung aus Gewissensgründen mit. Dieser wurde vom Militärgericht angeklagt, aber nicht wegen Wehrdienstverweigerung, sondern wegen Desertion zu zehn Monaten Haft verurteilt. Das Militärgericht nahm in seinem Urteil das erste Mal auf die Entscheidung des EGMR Bezug, welches die Rechte von Wehrdienstverweigerern aus Gewissensgründen schützt (Art. 9 EMRK). Der EGMR hat die Türkei bereits in einigen Fällen im Zusammenhang mit der Verweigerung der Anerkennung von Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen verurteilt (ÖB 10.2019).
Seit Änderung von Art. 63 des türkischen Militärstrafgesetzbuches ist nunmehr bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich. Die Verjährungsfrist beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen, jedoch meldet das Verteidigungsministerium nach Art. 26 dem Innenministerium, wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, damit diese festgenommen werden können. (AA 24.08.2020).
Das türkische Gesetz zu Desertion definiert in Artikel 66 die Strafe für Desertion. Militärpersonal wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen einem und drei Jahren belegt: wenn die betreffende Person sich von ihrer Einheit oder ihrem Einsatzort ohne Urlaub für mehr als sechs Tage entfernt hat; oder wenn die betreffende Person nach einem absolvierten Urlaub nicht innerhalb von sechs Tagen zum Dienst zurückkehrt und keine Entschuldigung dafür hat. Die Strafe beläuft sich auf mindestens zwei Jahre Gefängnis, wenn die Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn die Person während des Dienstes desertiert; wenn die Person die Übertretung wiederholt. Artikel 67 definiert, dass Militärpersonal, das ins Ausland geflohen ist, mit drei bis fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann, und zwar nach einer Absenz von drei Tagen, falls die betreffende Person das Land ohne Erlaubnis verlässt. Die Strafe soll mindestens fünf Jahre betragen und auf bis zu zehn Jahre erhöht werden: wenn die ins Ausland geflohene Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn sie während des Dienstes desertiert; wenn sie die Übertretung wiederholt; oder wenn sie während einer Mobilisierung (im Falle eines Krieges) desertiert. Schließlich können desertierte Militärangehörige für Befehlsverweigerung angeklagt und bestraft werden. Für andauernden Ungehorsam in der Öffentlichkeit drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Wer andere Soldaten zum Ungehorsam anstiftet, kann mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Das im Rahmen des Ausnahmezustands erlassene Dekret 691 vom 2.6.2017 hält unter anderem fest, dass Soldaten, die sich mehr als drei Tage ohne offizielle Erlaubnis im Ausland aufhalten, als Deserteure betrachtet und entsprechend bestraft werden. Ein ins Ausland geflohener Deserteur muss mit einer Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von mindestens fünf Jahren rechnen. Eine Strafe von zehn Jahren ist jedoch auch möglich (SFH 22.3.2018).
8. Allgemeine Menschenrechtslage
Die Türkei gehört dem Europarat an und ist Partei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950, des 1. Zusatzprotokolls (Grundrecht auf Eigentum) sowie des 6. Zusatzprotokolls zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten, des 11. (obligatorische Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte), des 13. (uneingeschränkte Aufhebung der Todesstrafe) und des 14. Zusatzprotokolls. Allerdings hat die türkische Regierung unter Berufung auf den Notstandsfall den Europarat am 22.07.2016 über eine allg. Derogation nach Art. 15 EMRK notifiziert sowie über eine entsprechende Derogation vom Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Der Notstand lief am 20.07.2018 aus; die Derogation wurde aufgehoben. Die Türkei ist Vertragspartei des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe von 1987. Sie gehört seit 1973 der OSZE an, unterzeichnete 1990 auch die Pariser Charta. Darüber hinaus gehört die Türkei zu den Erstunterzeichnern des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (11.05.2011), das für die Türkei zum 01.08.2014 in Kraft getreten ist.
Die EMRK ist aufgrund Art. 90 der Verfassung gegenüber nationalem Recht vorrangig und direkt anwendbar. EMRK und Rechtsprechung des EGMR werden jedoch bislang von der innerstaatlichen Justiz nicht ausreichend berücksichtigt. Das türkische Justizministerium bemüht sich gemeinsam mit EU und Europarat auch durch Fortbildungen für Richter und Staatsanwälte um Abhilfe. Wiederholt befasste sich das Ministerkomitee des Europarats mit der Türkei aufgrund nicht umgesetzter Urteile wie Ülke/Türkei (Wehrdienstverweigerung) oder Xenides-Arestis/Türkei (Eigentumsfragen in Nord-Zypern). Des Weiteren ist die Türkei den wichtigsten Übereinkommen der Vereinten Nationen beigetreten. Im Januar 2020 durchlief die Türkei die dritte Runde des Universellen Staatenüberprüfungsverfahrens (UPR) des VN-Menschenrechtsrats. Empfehlungen der beitragenden Staaten fokussierten v. a. auf die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz, Änderungen der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung, Stärkung der Frauenrechte und Gewährleistung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit (AA 24.08.2020).
Nach zwei Jahren der rapiden Verschlechterung der Menschenrechtslage endete der Ausnahmezustand am 18.7.2018. Dies ging jedoch nicht mit konkreten Schritten zur Verbesserung der Menschenrechte im Land einher. Stattdessen bleiben viele der während des Ausnahmezustands eingeführten Maßnahmen bis heute in Kraft. Diese haben nach wie vor tiefgreifende und verheerende Auswirkungen auf die türkischen Bürger (EC 29.5.2019, vgl. HRW 17.1.2019). Die Behörden haben verschiedene gesellschaftliche Gruppen auf der Grundlage unterschiedlicher rechtlicher Bestimmungen im Visier, um gegen abweichende Meinungen vorzugehen und ein Klima der Angst aufrecht zu erhalten. So wurde gegen Menschenrechtsanwälte und Gewerkschaftsvertreter in aufeinanderfolgenden Verhaftungswellen vorgegangen (AI 1.2.2019).
Zwar umfasst der Rechtsrahmen allgemeine Garantien für die Achtung der Menschen- und Grundrechte, dieser muss aber noch mit der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR bzgl. Garantien für die Achtung der Menschen- und Grundrechte in Einklang gebracht werden. In den Bereichen Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit sowie Verfahrens- und Eigentumsrechten gab es weiterhin schwere Rückschritte (EC 29.5.2019, vgl. EP 13.3.2019). Einschränkungen der Tätigkeit von Journalisten, Akademikern, Menschenrechtsverteidigern und kritischen Stimmen auf breiter Ebene wirken sich negativ auf die Ausübung dieser Freiheiten aus und führen zu Selbstzensur. Die Durchsetzung der Rechte wird durch die Zersplitterung und eingeschränkte Unabhängigkeit der öffentlichen Einrichtungen, die für den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zuständig sind, und das Fehlen einer unabhängigen Justiz behindert (EC 29.5.2019).
Gemäß der Verfassung besitzt jede Person mit seiner Persönlichkeit verbundene unantastbare, unübertragbare, unverzichtbare Grundrechte und Grundfreiheiten. Diese können gemäß Art. 13 der Verfassung nur durch Gesetz und mit der Maßgabe eingeschränkt werden, dass ihr Wesenskern unberührt bleibt. Die Beschränkungen dürfen nicht gegen Wortlaut und Geist der Verfassung, die Notwendigkeiten einer demokratischen Gesellschaftsordnung und der laizistischen Republik sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Diesen Grundsätzen steht der Kampf gegen den Terrorismus als zentrale Rechtfertigung für die Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte gegenüber (ÖB 10.2019).
Die Türkei hat eine weit gefasste Definition von Terrorismus, die auch Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die innere und äußere Sicherheit des Staates umfasst, die die Regierung regelmäßig einsetzt, um die legitime Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu kriminalisieren (USDOS 1.11.2019, vgl. ÖB 10.2019). Dieser Terrorismusbegriff ist mit dem Grundrechtsschutz unvereinbar (ÖB 10.2019). Das Europaparlament sieht die Antiterrormaßnahmen als Missbrauch zur Legitimation der Verstöße gegen die Menschenrechte und fordert die Türkei nachdrücklich auf, bei ihren Antiterrormaßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und ihre Rechtsvorschriften zur Terrorbekämpfung an die internationalen Menschenrechtsnormen anzupassen (EP 13.3.2019).
Terrorismus-Anklagen sind weiterhin weit verbreitet. Bis Juni 2018 war nach Angaben des Justizministeriums fast ein Fünftel (48.924) aller Insassen (246.426) wegen Terrorismusdelikten angeklagt oder verurteilt worden. Zu den Verfolgten und Verurteilten gehören Journalisten, Beamte, Lehrer und Politiker sowie Polizisten und Militärangehörige. Von den 48.924 waren 34.241 wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung, 10.286 wegen angeblicher Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und 1.270 wegen angeblicher Verbindungen zum sog. Islamischen Staat in Haft (HRW 17.1.2019).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spielt im Land eine besonders wichtige Rolle. Mit der Einführung der Individualbeschwerde seit September 2012 beruft sich das Verfassungsgericht noch häufiger auf die EMRK. Im Zuge des massenhaften strafrechtlichen Vorgehens gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung kam es zu einer deutlichen Zunahme der Individualbeschwerden beim EGMR, die jedoch in der Regel am Erfordernis der innerstaatlichen Rechtswegerschöpfung scheitern (AA 14.6.2019). Im Jahr 2018 stellte der (EGMR Verstöße gegen die EMRK in 142 Fällen (von 146) fest, die sich hauptsächlich auf das Recht auf ein faires Verfahren (41), die Meinungsfreiheit (40), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (29), die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (11), unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (11) und das Verbot von Folter (10) bezogen (EC 29.5.2019, vgl. ECHR 1.2019a). Im Berichtszeitraum 2018 wurden vom EGMR 6.717 neue Anträge registriert (ECHR 1.2019b, vgl. EC 29.5.2019). Auf dem Höhepunkt 2017 waren es 25.978 (ECHR 1.2019b). Im Rahmen des verstärkten Überwachungsverfahrens gibt es derzeit 410 Verfahren gegen die Türkei (EC 29.5.2019). Mit Stand 31.10.2019 waren 8.700 Verfahren aus der Türkei, das waren 14,5% aller Fälle, am EGMR anhängig (ECHR 12.11.2019). Konvention und Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) werden jedoch bislang von der innerstaatlichen Justiz nicht vollumfänglich berücksichtigt. Auch das Verfassungsgericht ist in letzter Zeit in Einzelfällen von seiner menschenrechtsfreundlichen Urteilspraxis abgewichen (AA 24.08.2020).
9. Todesstrafe
Die Türkei schaffte 2004 die Todesstrafe für alle Straftaten ab. Die letzte Hinrichtung erfolgte 1984 (AI 7.2018). Obwohl die Türkei dem Protokoll 13 der EMRK beigetreten ist, werden weiterhin von Regierungsvertretern, einschließlich des Präsidenten, Erklärungen zur Möglichkeit der Wiedereinführung der Todesstrafe abgegeben (EC 29.5.2019).
10. Bewegungsfreiheit
Bewegungsfreiheit im Land, Reisen ins Ausland, Auswanderung und Repatriierung sind verfassungsrechtlich garantiert; die Regierung schränkt diese Rechte allerdings ein. Die Verfassung besagt, dass die Reisefreiheit innerhalb des Landes nur durch einen Richter in Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Untersuchung oder Verfolgung eingeschränkt werden kann. Die Regierung beschränkte Auslandsreisen für Hunderttausende von Bürgern, denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zum gescheiterten Putschversuch 2016 vorgeworfen werden. Auch die von den lokalen Behörden verhängten Ausgangssperren infolge der gegen die PKK gerichteten militärischen Operationen schränkten die Bewegungsfreiheit ein (USDOS 13.3.2019).
Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder einer Personenkontrolle zu unterziehen. Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier. Es kann vorkommen, dass türkischen Staatsangehörigen, denen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt wurde, bei der Einreise oder der versuchten Einreise in die Türkei dieses Ausweisdokument an der Grenze abgenommen wird. Diese Gefahr besteht insbesondere bei Personen, deren Ausweise nicht für die Türkei gültig sind, denen jedoch befristet eine auch für dieses Land geltende Reiseerlaubnis gewährt wurde. Türkische Staatsangehörige dürfen nur mit einem gültigen Pass das Land verlassen. Die Ausreisekontrollen an türkischen Grenzübergängen sind in der Regel streng. Ein- und Ausreisedaten werden genauestens erfasst und die Reisenden in den entsprechenden türkischen Fahndungssystemen überprüft. Die Überwachung der sog. Grünen Grenze – also der Grenzverlauf zwischen Grenzübergängen – erfolgt durch das türkische Militär und wird unterstützt durch stetig weiter ausgebaute Grenzmauern / -zäune und technische Überwachungseinrichtungen. Das Grenzgebiet in der Türkei ist generell als militärisches Sperrgebiet ausgewiesen. Die Überwachung der sog. Blauen Grenze – also die Gewässer zwischen den zugelassenen Seegrenzübergängen in Häfen – erfolgt see- und landseitig durch die türkische Küstenwache, die dem türkischen Innenministerium untersteht. Schleuserorganisationen gelingt es trotzdem in einer Vielzahl von Fällen, Menschen auf dem Land-, Luft- oder Seeweg nach Deutschland und Westeuropa zu bringen. Drehscheiben der Schleusungskriminalität für ausländische Staatsangehörige, die sich als Flüchtlinge in der Türkei aufhalten, sind Istanbul und die Seewege, schwerpunktmäßig Ägäis und von dort speziell zu den dicht dem türkischen Festland vorgelagerten griechischen Inseln. Die illegale Ein- und Ausreise ist strafbar. Mit Änderung des Art. 33 des Passgesetzes, in Kraft getreten am 04.04.2011, wird die Ein- und Ausreise ohne authentische Pass oder Passersatzpapiere mit einem Bußgeld geahndet. Es werden immer wieder illegale Ausreisen durch ein sog. „Doppel-Check-In“ festgestellt. Nach Passieren der Passkontrolle mit teilweise echten Dokumenten und Reisezielen, die nur fiktiv ausgewählt wurden, werden im Transitbereich die eigenen Pässe gegen Falsifikate, die teilweise mitgeführt werden, ausgetauscht und zum Boarding wird eine bereits vorher ausgedruckte Online-Bordkarte zu Zielen in Schengenstaaten benutzt (AA 24.08.2020).
11. Grundversorgung/Wirtschaft
Die türkische Wirtschaft hat in den letzten zwölf Monaten erhebliche außenwirtschaftliche Veränderungen erlebt, darunter rückläufige Leistungsbilanz-Ungleichgewichte und eine geringere Auslandsverschuldung der Banken. Dies hat die außenwirtschaftlichen Schwächen verringert, die sich im Vorfeld des Währungsschocks vom August 2018 gehäuft hatten. Investitionen sind zurückgegangen, die Preise hoch geblieben und die Arbeitslosigkeit gestiegen. Diese Anpassungen haben den Fremdfinanzierungsbedarf des Landes reduziert und zu einer stabileren Lira beigetragen, ungeachtet der Währungsschwankungen im Verlaufe des Jahres 2019. Die Anpassungen wurden durch ein aktiveres Agieren der Politik und günstigere globale monetäre Bedingungen unterstützt. Dennoch sind die Devisenreserven in den letzten zwei Jahren abgebaut worden und haben die Türkei einem außenwirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Die Realwirtschaft ist nach wie vor stark von beharrlichen makro-finanziellen Schwächen betroffen. Die Investitionen gingen deutlich zurück (bis zum zweiten Quartal 2019), während die Industrieproduktion auf eine schwache Trendwende hinweist. Die allmähliche Erholung von der Rezession im Jahr 2018 wurde durch einen Anstieg des privaten Konsums und einer Nettoauslandsnachfrage betrieben. Der Rückgang der Inflation hat begonnen, nachdem die Wechselkursentwicklung und der Vertrauensverlust in die Lira die Verbraucherpreise stark anstiegen ließen. Die Inflation betrug in den ersten drei Quartalen 2019 durchschnittlich 17% (WB 2.11.2019).
Stagnierendes Produktionsniveau, steigende Produktionskosten und hohe Verbraucherpreise haben zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten und sinkenden Reallöhnen geführt. Die türkische Wirtschaft hat von Mai 2018 bis Mai 2019 rund 840.000 Arbeitsplätze verloren, was 2,9% der Gesamtbeschäftigung entspricht. Die Arbeitslosenquote stieg zwischen Mai 2018 und Mai 2019 von 10,6% auf 14%, wobei die Jugendarbeitslosigkeit einen Anstieg von 19,6% auf 25,6% verzeichnete. Die durchschnittlichen Reallöhne sanken zwischen 2017 und 2018 um 2,6%. Am stärksten betroffen sind ärmere Haushalte, da viele einkommensschwache Arbeitskräfte im Baugewerbe und in der Landwirtschaft beschäftigt sind, den Sektoren, in denen Beschäftigungsrückgang zu verzeichnen war (WB 2.11.2019).
Weitere Tendenzen: chronisch hohes Leistungsbilanzdefizit; starke Abhängigkeit von Energieimporten (mehr als 50% des Defizits); fehlende Leistungsfähigkeit in höherwertigen Wirtschaftssektoren, in Teilen beschränkte globale Wettbewerbsfähigkeit, niedrige lokale Wertschöpfung in der Produktion; Abhängigkeit von ausländischen Kapitalflüssen (auch durch die geringe Sparquote: 13% BIP) hoher Anteil an Schwarzarbeit und geringer Anteil von Frauen in der Erwerbsarbeit. Stark entwickelt ist die Westtürkei mit dem Marmara-Raum und der Ägäis. Dabei erwirtschaftet die Region Istanbul mit ca. 20% der Bevölkerung 40% der gesamten Wertschöpfung. Unterentwickelt ist der Südosten und Osten des Landes, gekennzeichnet oft durch bittere Armut und wirtschaftliche Rückständigkeit (GIZ 9.2019a).
Unter den OECD-Staaten hat die Türkei eine der höchsten Werte hinsichtlich der sozialen Ungleichheit und gleichzeitig eines der niedrigsten Haushaltseinkommen. Während im OECD-Durchschnitt die Staaten 20% des Brutto-Sozialproduktes für Sozialausgaben aufbringen, liegt der Wert in der Türkei unter 13%. Die Türkei hat u.a. auch eine der höchsten Kinderarmutsraten innerhalb der OECD. Jedes fünfte Kind lebt in Armut (OECD 2019).
Eine Wohnung kann entweder durch Zeitungsannoncen, Immobilienfirmen oder Bekannte gefunden werden. Immobilienfirmen sind hierbei am effizientesten. Eine Mietwohnung kostete im März 2019 in Istanbul TRY (Türkische Lira) 16 pro m², in Ankara TRY 10 pro m², in Izmir TRY 13 pro m² sowie in Antalya und in Bursa ebenfalls TL 10 pro m² (IOM 2019).
11.1. Sozialbeihilfen/-versicherung
Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294, über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität, und Nr. 5263, zur Organisation und den Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität, gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftung für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardımlaşma ve Dayanişma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben. Auch Ausländer, die im Sinne des Gesetzes internationalen Schutz beantragt haben oder erhalten, haben einen Anspruch auf Gewährung von Sozialleistungen. Welche konkreten Leistungen dies sein sollen, führt das Gesetz nicht auf (AA 14.6.2019).
Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik gibt es aber verschiedene Programme für mittellose Familien, wie z.B. Sachspenden (Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien, etc.); Kindergeld (eine einmalige Zahlung, die sich nach der Anzahl der Kinder richtet und 300 für das erste, 400 für das zweite und 600 Lira für das dritte Kind beträgt); finanzielle Unterstützung für Schwangere in einmaliger Höhe von 149 Lira unter bestimmten Bedingungen, wie geleistete Sozialversicherungsabgaben durch den Ehepartner oder vorherige Erwerbstätigkeit der Mutter selbst; Wohnprogramme; Einkommen für Behinderte und Altersschwache (dreimonatlich zwischen 1.527 und 2.589 Lira je nach Grad der Behinderung). All diese Hilfeleistungen des Staates sind an bestimmte Bedingungen gekoppelt, die von den Einzelnen nicht immer erfüllt werden können. Es gibt zwei unterschiedliche Arten von „Witwenunterstützung“. Jede Witwe (ohne Einkommen) hat im Jahr 2019 den Anspruch auf 550 Lira (alle zwei Monate). Diese Leistung wird vom Familienministerium bereitgestellt. Dann gibt es zum zweiten die Witwenrente, die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners richtet (max. 75% des Bruttomonatsgehalts des verstorbenen Ehepartners, jedoch max. 4.263 Lira) (ÖB 10.2019).
Das Sozialversicherungssystem besteht aus zwei Hauptzweigen, nämlich der langfristigen Versicherung (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung) und der kurzfristigen Versicherung (Berufsunfälle, berufsbedingte und andere Krankheiten, Mutterschaftsurlaub) (SGK 2016a). Das türkische Sozialversicherungssystem finanziert sich nach der Allokationsmethode durch Prämien und Beiträge, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und dem Staat geleistet werden. Für die arbeitsplatzbezogene Unfall- und Krankenversicherung inklusive Mutterschaft bezahlt der unselbständig Erwerbstätige nichts, der Arbeitgeber 2%; für die Invaliditäts- und Pensionsversicherung beläuft sich der Arbeitnehmeranteil auf 9% und der Arbeitgeberanteil auf 11%. Der Beitrag zur allgemeinen Krankheitsversicherung beträgt für die Arbeitnehmer 5% und für die Arbeitgeber 7,5% (vom Bruttogehalt). Bei der Arbeitslosenversicherung zahlen die Beschäftigten 1% vom Bruttolohn (bis zu einem Maximum) und die Arbeitgeber 2%, ergänzt um einen Betrag des Staates in der Höhe von 1% des Bruttolohnes (bis zu einem Maximumwert) (SGK 2016b; SSA 9.2018).
11.2. Arbeitslosenunterstützung
Bei Arbeitslosigkeit gibt es für alle ArbeiterInnen in der Türkei Unterstützung, auch für diejenigen, die in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, in staatlichen und in privaten Sektoren tätig sind (IOM 2019). Im Jahr 2017 sah eine Novelle des Arbeitslosenversicherungsgesetzes die Ausweitung des Versicherungsschutzes auf Selbständige zum 1. Januar 2020 vor. Der Betroffene muss in den letzten 120 Arbeitstagen Beiträge gezahlt haben und in den drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens für 600 Arbeitstage eingezahlt haben. Der Anspruch auf das Arbeitslosengeld muss innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf des Arbeitsvertrages geltend gemacht werden oder er erlischt. Der Arbeitslose muss registriert sein und für eine geeignete Beschäftigung zur Verfügung stehen (SSA 9.2018). Bei 600 Tagen Beitragszahlung erhält man 180 Tage Arbeitslosenhilfe, bei 900 Tagen Beitragszahlung erhält man 240 Tage Arbeitslosenhilfe, und bei 1080 Tagen Beitragszahlung erhält man 300 Tage Arbeitslosenunterstützung (IOM 2019, vgl. SSA 9.2018, ÖB 10.2019). Das minimale Taggeld beträgt 40% des durchschnittlichen Tagesverdienstes des Versicherten in den letzten vier Monaten. Das maximale monatliche Arbeitslosengeld beträgt 80% des gesetzlichen monatlichen Bruttomindestentgelts (SSA 9.2018, vgl. ÖB 10.2019). Nach der Erhöhung des Mindestlohnes (Jänner 2019) hat sich auch die Höhe des Arbeitslosengeldes geändert. Der Mindestarbeitslosenbetrag liegt nun bei 1.015 Lira (rund € 159), der Maximalbetrag bei 2.030 Lira (rund € 317) (ÖB 10.2019).
In der Türkei lag das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2018 bei 9.632 USD pro Kopf. Die Beschäftigungsrate liegt bei 45,4%, davon sind 71,1% Männer und 22,6% Frauen (IOM 2019).
12. Medizinische Versorgung
Das staatliche Gesundheitswesen besteht aus Krankenhäusern (Träger: SSK, Gesundheitsministerium, Universitäten), Polikliniken, Gesundheitsstationen (Variante 1: mit Pflegekraft, Variante 2: mit Arzt), niedergelassenen Ärzten und weiteren ambulanten Einrichtungen. Für die Versicherten ist die Behandlung kostenlos. Allerdings sind materielle und personelle Ausstattung oft mangelhaft, sodass mehr als eine ausreichende Basisversorgung nicht möglich ist. Selbst in Krankenhäusern sind die Patienten auf die Pflege durch Verwandte angewiesen. Medikamentenengpässe sind nicht selten. Auf 1.100 Einwohner kommt ein Arzt. Das liegt weit unter dem OECD-Durchschnitt (350 Einwohner pro Arzt). Nicht-Sozialversicherte haben keinen Anspruch auf Leistungen. Für sie und Kinder unter 18 Jahren gibt es die Grüne Karte (yeşil kart), mit der ärztliche Hilfe von den Ärmsten beansprucht werden kann. Daneben gibt es ein privates ärztliches Versorgungssystem, das gehobenen internationalen Standards genügt. Auch die Krisenmedizin ist auf einem guten Stand (GIZ 9.2019b).
Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und post-operationelle Versorgung dagegen oft mangelhaft, nicht zuletzt aufgrund der mangelhaften sanitären Zustände und Hygienestandards in den staatlichen Spitälern, vor allem in ländlichen Gebieten und kleinen Provinzstädten (ÖB 10.2019). Das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren allerdings strukturell und qualitativ erheblich verbessert – vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite – vor allem in ländlichen Provinzen – bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet, insbesondere auch bei chronischen Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrischen Erkrankungen.
Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmend auch private Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Innerhalb der staatlichen Krankenhäuser gibt es 28 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige für Erwachsene (AMATEM) mit insgesamt 732 Betten in 33 Provinzen. Das türkische Gesundheitsministerium plant, bis 2021 in weiteren 19 Provinzen noch jeweils ein AMATEM-Zentrum mit einer Gesamtkapazität von 725 Betten einzurichten. Zusätzlich gibt es noch sieben weitere sog. Behandlungszentren für Drogenabhängigkeit von Kindern und Jugendlichen (ÇEMATEM) mit insgesamt 100 Betten. Auch diese Kapazität will das Ministerium bis 2021 mit zusätzlich 15 neuen Zentren und weiteren 225 Betten erweitern. Die aktuelle Kapazität wird mit Blick auf die wachsenden Patientenzahlen als noch unzureichend eingeschätzt.
Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite, allerdings versorgt das Gesundheitsministerium alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphium. Auch können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben. Es gibt zwei staatliche Onkologiekrankenhäuser (Ankara, Bursa) unter der Verwaltung des türkischen Gesundheitsministeriums mit 712 Betten. Nach jüngsten offiziellen Angaben gibt es darüber hinaus 33 Onkologiestationen in staatlichen Krankenhäusern mit unterschiedlichen Behandlungsverfahren. Eine AIDS-Behandlung kann in 93 staatlichen Krankenhäusern wie auch in 68 Universitätskrankenhäusern durchgeführt werden. In Istanbul stehen zudem drei, in Ankara und Izmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine solche Behandlung zur Verfügung.
Zum 01.01.2012 hat die Türkei eine allgemeine, obligatorische Krankenversicherung eingeführt. Der grundsätzlichen Krankenversicherungspflicht unterliegen alle Personen mit Wohnsitz in der Türkei. Ausnahmen gelten lediglich für das Parlament, das Verfassungsgericht, Soldaten/Wehrdienstleistende und Häftlinge. Für nicht über eine Erwerbstätigkeit in der Türkei sozialversicherte Ausländer ist die Krankenversicherung freiwillig, ein Krankenversicherungsnachweis ist jedoch für die Aufenthaltserlaubnis notwendig (AA 24.08.2020). Die Gesundheitsreform ist als Erfolg zu werten, da mittlerweile 90% der Bevölkerung eine Krankenversicherung haben, und die Müttersterblichkeit bei Geburt um 70%, und die Kindersterblichkeit um 2/3 gesunken ist. Die Welt-Bank warnt jedoch vor explodierenden Kosten. Zahlreiche Ärzte kritisieren die sinkende Qualität der Behandlungen aufgrund der reduzierten Konsultationsdauer und der geringeren Ressourcen pro Patient (ÖB 10.2019).
Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. Im Fall von Krebsbehandlungen kann nach aktuellen Medienberichten aufgrund des gesunkenen Wertes der türkischen Währung keine ausreichende Versorgung mit bestimmten Medikamenten aus dem Ausland gewährleistet werden; es handelt sich aber nicht um ein flächendeckendes Problem (AA 14.6.2019). Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil-Regelung ausgenommen. Nach und nach hat das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Sağlık Ocağı) abgelöst und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung geführt. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig (AA 14.6.2019).
NGOs, die sich um Bedürftige kümmern, sind in der Türkei vereinzelt in den Großstädten vorhanden, können jedoch kaum die Grundbedürfnisse der Bedürftigen abdecken (ÖB 10.2019).
Um vom türkischen Gesundheits- und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Guvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Kosten von Behandlungen in privaten Krankenhäusern werden von privaten Versicherungen gedeckt. Versicherte der SGK erhalten folgende Leistungen kostenlos: Impfungen, Diagnosen und Laboruntersuchungen, Gesundheitschecks, Schwangerschafts- und Geburtenbetreuung, Notfallbehandlungen. Beiträge sind einkommensabhängig und fangen bei 76,75 Lira an (IOM 2019).
Rückkehrer aus dem Ausland werden bei der SGK-Registrierung nicht gesondert behandelt. Sobald Begünstigte bei der SGK registriert sind, gelten Kinder und Ehepartner/-in automatisch als versichert und profitieren von einer kostenlosen Gesundheitsversorgung. Rückkehrer können sich bei der ihrem Wohnort nächstgelegenen SKG-Behörde registrieren (IOM 2019).
Der freiwillige Mindestbetrag für die Grundversorgung – sofern keine Versicherung durch den Arbeitgeber bereits besteht – beträgt zwischen 6-12% des monatlichen Einkommens. Personen ohne ein reguläres Einkommen müssen ca. 13 EUR/Monat in die Krankenkasse einzahlen. Bei Nachweis über ein sehr geringes Einkommen (weniger als 150,- EUR/Monat) werden die Grundversorgungsbeiträge vom Staat übernommen (ÖB 10.2019).
Am 11.3.2020 verkündete der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca die Nachricht des ersten bestätigten Corona-Falles in der Türkei (FNS 3.2020; vgl. TG 11.3.2020). Die Fallzahlen waren im Vergleich zu anderen Ländern zunächst äußerst gering, Daten, wie jene der Universität Oxford zeigten jedoch eine beunruhigende Entwicklung der Infektionsrate in der Türkei: Das Land ist nach den ersten 100 bestätigten Fällen in der Geschwindigkeit des Anstiegs führend (Al Monitor 24.3.2020).
Die Türkei hat am 24.3.2020 zusätzliche Beschränkungen eingeführt, um die Menschen zu Hause zu halten und den Ausbruch des Corona-Virus einzudämmen. Das Innenministerium kündigte neue Regeln für Lebensmittelgeschäfte und öffentliche Verkehrsmittel an, die die Betriebszeiten der Supermärkte auf 9.00 bis 21.00 Uhr und die Kunden auf eine Person pro 7 Quadratmeter Grundfläche beschränken. Öffentliche Transportmittel dürfen nur mehr zur Hälfte belegt sein (Ahval 25.3.2020). Diese Schritte folgen auf eine Reihe früherer Beschränkungen, die das sog. social distancing fördern sollen, darunter die Schließung von Schulen, ein Verbot von Gemeinschaftsgebeten in Moscheen, die Absage von kulturellen Veranstaltungen und die Schließung von Zehntausenden von Geschäften. Im Unterschied zu anderen Staaten hat sich die Türkei geweigert, eine vollständige Abriegelung anzuordnen, und sich dafür für Teilmaßnahmen entschieden, wie z.B. das Verbot für Senioren und andere gefährdete Personen ihr Zuhause zu verlassen (Al Monitor 24.3.2020).
Turkish Airlines stellt seit dem 27. März die Flüge zu allen internationalen Zielen ein, mit Ausnahme von vier Strecken (Ahval 27.3.2020). Am 19.3.2020 hat die Türkei alle Landgrenzen mit den Nachbarstaaten für den Personenverkehr geschlossen. Laut einer Anordnung des Innenministeriums seien „vorübergehend“ für die Einreise wie für die Ausreise auch die Grenzübergänge mit Griechenland und Bulgarien geschlossen worden. Begründet wird Maßnahme mit dem Corona-Virus, was laut Kommentatoren der Türkei einen gesichtswahrenden Ausweg aus der jüngsten Migrationskrise gibt, die sie am 29. Februar mit der Erklärung ausgelöst hatte, dass die Grenzen nach Europa offen seien (FAZ 19.3.2020). Die türkische Regierung hat auch versucht die öffentliche Debatte über das Virus zu kontrollieren. Dies ging so weit, dass Dutzende Personen wegen kritischer, laut Regierung "grundloser und provokativer" Beiträge in den sozialen Medien verhaftet wurden (Al Monitor 24.3.2020). Aktuelle Informationen zu COVID-19 sind unter Punkt 1. Ersichtlich.
13. Behandlung nach Rückkehr
Türkische Staatsangehörige, die im Ausland für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, drohen polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Es kann davon ausgegangen werden, dass türkische Stellen Regierungsgegner, darunter insbesondere PKK- und Gülen-Anhänger, im Ausland ausspähen (AA 24.08.2020). Personen die für die PKK oder eine Vorfeldorganisation der PKK tätig waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen. Ähnliches gilt für andere Terrororganisationen (z.B. DHKP-C, türkische Hisbollah, Al-Qaida). Seit dem versuchten Militärputsch im Juni 2016 werden Personen, die mit dem Gülen-Netzwerk in Verbindung stehen, in der Türkei als Terroristen eingestuft. Nach Mitgliedern der Gülen-Bewegung, die im Ausland leben, wird zumindest national in der Türkei gefahndet; über Sympathisanten werden (eventuell nach Vernehmungen bei der versuchten Einreise) oft Einreiseverbote verhängt (ÖB 10.2019). Das türkische Außenministerium sieht auch die syrisch-kurdische PYD bzw. die YPG als Teilorganisationen der als terroristisch eingestuften PKK (MFA o.D.).
Die türkische Regierung hat im Nachgang zu dem Putschversuch 2016 zahlreiche ausländische Regierungen um Mithilfe bei der Ermittlung von Mitgliedern des sog. „Gülen-Netzwerkes“ gebeten. Öffentliche Äußerungen, auch in sozialen Netzwerken, Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten, Beerdigungen etc. im Ausland, bei denen Unterstützung für kurdische Belange geäußert wird, können strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie als Anstiftung zu separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen und Handlungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung führen und sogar als Indizien für eine Mitgliedschaft in einer Terrororganisation herangezogen werden. Für die Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen reicht hierfür ggf. bereits die Mitgliedschaft in bestimmten Vereinen oder die Teilnahme an oben aufgeführten Arten von Veranstaltungen aus (AA 24.08.2020).
Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Wird festgestellt, dass ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person ebenfalls in Polizeigewahrsam genommen. Im sich anschließenden Verhör durch einen Staatsanwalt oder durch einen von ihm bestimmten Polizeibeamten wird der Festgenommene mit den schriftlich vorliegenden Anschuldigungen konfrontiert, ein Anwalt in der Regel hinzugezogen. Der Staatsanwalt verfügt entweder die Freilassung oder überstellt den Betroffenen dem zuständigen Richter. Bei der Befragung durch den Richter ist der Anwalt ebenfalls anwesend. Wenn auf Grund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Strafverfahren anhängig ist, wird die Person bei der Einreise ebenfalls festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt. Es ist in den letzten Jahren jedoch kein Fall bekannt geworden, in dem ein in die Türkei zurückgekehrter Asylwerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA (AA 24.08.2020).
Abgeschobene türkische Staatsangehörige werden von der Türkei rückübernommen. Das Verfahren ist jedoch oft langwierig. Probleme von Rückkehrern infolge einer Asylantragstellung im Ausland sind nicht bekannt. Nach Artikel 23 der türkischen Verfassung bzw. Paragraph 3 des türkischen Passgesetzes ist die Türkei zur Rückübernahme türkischer Staatsangehöriger verpflichtet, wenn zweifelsfrei der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit vorliegt (ÖB 10.2019).
Die Pässe türkischer Staatsangehöriger im Ausland, die von den türkischen Behörden der Beteiligung an der Gülen-Bewegung verdächtigt werden, werden für ungültig erklärt und durch einen Ein-Tages-Pass ersetzt, mit dem sie in die Türkei zurückkehren können, um vor Gericht gestellt zu werden, wo sie ihre Unschuld zu beweisen haben. Lehrer und Militärangehörige scheinen besonders betroffen zu sein, sowie kritische Journalisten und, darüber hinaus, Kurden (UKHO 2.2018).
Es gibt Vereine, welche von türkischen Rückkehrern gegründet wurden. Hier werden spezielle Programme angeboten, welche die Rückkehrer in Fragen wie Wohnungssuche, Versorgung etc. unterstützen und zugleich eine Netzwerkplattform zur Verfügung stellen. Im Folgenden eine Auswahl:
• Rückkehrer Stammtisch Istanbul, LinkTurkey, E-Mail: info@link-turkey.com
• Die Brücke, E-Mail: info@bruecke-istanbul.org , http://bruecke-istanbul.com/
• TAKID, Deutsch-Türkischer Verein für kulturelle Zusammenarbeit, ÇUKUROVA/ADANA, E-Mail: almankulturadana@yahoo.de , www.takid.org (ÖB 10.2019).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt unter zentraler Zugrundelegung der im Verfahren erster Instanz vom Beschwerdeführer abgegebenen schriftlichen Stellungnahme sowie des Inhaltes der gegen den in diesem Verfahren angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde, ferner durch Vernehmung des Beschwerdeführers als Partei sowie der Ehegattin des Beschwerdeführers, XXXX , und der minderjährigen Söhne des Beschwerdeführers, XXXX , sowie des XXXX als Zeugen in der vor dem erkennenden Gericht durchgeführten mündlichen Verhandlung sowie durch Einholung aktueller Auszüge aus dem Strafregister, dem Gewerbeinformationssystem, der Versicherungsdatenbank des Hauptverbandes des Sozialversicherungsträger, dem Zentralen Melderegister und dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister und im Wege der Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, ferner durch vollständige Beischaffung der Gerichtsakten XXXX und Einsichtnahme in dieselben, beigeschafft wurde darüber hinaus der Akt des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien zur Zahl XXXX betreffend das Scheidungsverfahren des Beschwerdeführers in den Jahren 2019 und 2020. Darüber hinaus wurden die wider den Beschwerdeführer ergangenen strafgerichtlichen Urteile beigeschafft, in der mündlichen Verhandlung verlesen und erörtert, eingesehen und wurde ferner das im Rechtsinformationssystem des Bundes abrufbare Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.04.2012, Zl. 2010/18/0426, eingeholt wurde außerdem eine Stellungnahme samt Besucherliste der Justizanstalt Krems sowie eine Besucherliste des Polizeianhaltezentrums Hernalser Gürtel, eine Stellungnahme des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35, zum dort anhängigen Verfahren nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz sowie Einholung eines Auszuges aus der bei der Landespolizeidirektion Wien geführten Verwaltungsstrafevidenz betreffend die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen des Beschwerdeführers, ferner durch Verlesung und Erörterung des Gutachtens XXXX und schließlich durch Einsichtnahme in die vom Beschwerdeführer im Gefolge des Beschwerdeverfahrens vorgelegten bzw. im schriftlichen Wege übermittelten Stellungnahme und Urkunden sowie den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes L521 2118691-1 betreffend das Verfahren zur Aufhebung der verhängten Aufenthaltsverbotes.
Festgehalten wird, dass hinsichtlich des zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 19.04.2021 beantragten Zeugen XXXX – trotz zweimaliger Einräumung einer Frist – keine ladungsfähige Anschrift bekanntgegeben wurde und auch die an seine Kontaktadresse (unterhalten bei einer Suchtberatungsstelle in Wien) gerichtete Ladung nicht erfolgreich war und entgegen einer zweimaligen Aufforderung auch keine Stelligmachung des Zeugen zur mündlichen Verhandlung erfolgte. Ordnungsgemäße Beweisanträge haben nach der Rechtsprechung neben dem Beweismittel und dem Beweisthema im Fall von Zeugen auch deren aktuelle Adresse anzugeben (VwGH 23.01.2020, Ra 2019/15/0099; 29.03.2017, Ra 2016/15/0023). Dies gilt insbesondere in Sachverhaltskonstellationen wie dem hier gegenständlichen Verfahren, in welchem eine eindeutige Identifizierung einer Person mit den vorhandenen Angaben des Beweisführers gar nicht möglich ist und zunächst eine unrichtige Anschrift bekannt gegeben wird und auch amtswegige Recherchen nicht zur zweifelsfreien Ermittlung einer Abgabestelle im Sinn des Zustellgesetzes führen (mangels Angabe eines Geburtsdatums blieb bis zuletzt unklar, welche der zwei den Namen XXXX führenden Personen – eine geboren am 14.02.1985 [siehe dazu OZ 95] und eine andere geboren am 20.02.1985 [siehe dazu OZ 85] als Zeuge beantragt wird. Bei Fehlen einer ladungsfähigen Anschrift ist dem Antragsteller (insbesondere auch) eine angemessene Frist zur Bekanntgabe zu setzen, erst nach deren Ablauf darf angenommen werden, dass der Beweis nicht erbracht werden könne (VwGH 26.09.2015, Ra 2015/08/0211). In Anbetracht der unterbliebenen Bekanntgabe einer Anschrift ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung davon auszugehen, dass der Beweis nicht erbracht werden kann. Darüber hinaus stellt sich der Beweisantrag auch als unzulässig dar, zumal kein konkretes Beweisthema formuliert wurde (Verhandlungsschrift vom 19.04.2021, Seite 16).
Der ordnungsgemäß geladene Beschwerdeführer ist schließlich – ebenso wie seine ordnungsgemäß geladene rechtsfreundliche Vertreterin – der Verhandlung am 10.05.2021 unentschuldigt ferngeblieben. Die rechtsfreundliche Vertreterin des Beschwerdeführers übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am 03.05.2021 – ausschließlich per E-Mail – eine Vollmachtsauflösung. Die Übermittlung einer E-Mail ist allerdings gemäß § 1 Abs. 1 letzter Satz BVwG-EVV, BGBl. II Nr. 515/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 222/2016, keine zulässige Form der elektronischen Einbringung von Schriftsätzen im Sinne dieser Verordnung. Ein mittels E-Mail beim Bundesverwaltungsgericht eingebrachter Schriftsatz vermag nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Rechtswirkungen zu entfalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/01/0061; 15.03.2018, Ra 2017/21/0155). Im vorliegenden Fall entfaltete die der per E-Mail eingebrachte Vollmachtsauflösung am 03.05.2021 somit keine Rechtswirkungen. Dass die rechtsfreundliche Vertreterin zur Verhandlung nicht erschienen ist, hinderte deren Durchführung freilich nicht, da im gegenständlichen Verfahren kein Vertretungszwang entsteht. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer wiederholt im Wege der Übermittlung von Merkblättern auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Rechtsberatung bzw. -vertretung nach § 52 BFA-VG hingewiesen. Von dieser Möglichkeit hat der Beschwerdeführer – aus welchen Gründen auch immer – keinen Gebrauch gemacht.
Der Beschwerdeführer selbst kontaktierte am Tag der mündlichen Verhandlung um 11:55 Uhr das Bundesverwaltungsgericht und teilte – erkennbar von einem öffentlichen Ort mit Verkehrslärm anrufend – dass er „Fieber, Magenschmerzen, Schmerzen überall“ verspüre, jedoch zur Verhandlung erscheinen könne, wenn dies als erforderlich erachtet würde. Um 12:32 Uhr wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass sein Erscheinen erforderlich sei. Der Beschwerdeführer entgegnete, dass er von St. Pölten ausgehend schon die Rückreise angetreten habe und eine Anreise nunmehr zeitlich zu knapp wäre. Um 12:46 Uhr wurde der Beschwerdeführer neuerlich kontaktiert und ihm das Zuwarten mit der Verhandlung für die Zeit der Verspätung mitgeteilt, woraufhin ein Erscheinen zur Verhandlung um 15.00 Uhr bzw. um 15.30 Uhr seitens des Beschwerdeführers angekündigt wurde. Tatsächlich erschien der Beschwerdeführer zur Verhandlung nicht und es konnte auch um 15.15 Uhr nicht mehr telefonisch mit dem Beschwerdeführer ein Kontakt hergestellt werden, da er auf zwei Anrufe nicht reagierte und auch nicht zurückrief.
Um 16.02 Uhr – sohin nach dem Ende der Amtsstunden – übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht per E-Mail die Fotografie eines als Krankmeldung bezeichneten Dokumentes einer Arztpraxis für Allgemeinmedizin in Wien mit der folgenden wörtlichen Bemerkung „Ich bin kranken stant Lg“. Aus dem Dokument geht hervor, dass der Beschwerdeführer die Arztpraxis am 10.05.2021 aufgesucht habe und die Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers vom 07.05.2021 bis zum 14.05.2021 bestätigt werde. Dass der Beschwerdeführer bettlägerig sei, keinen Ausgang in Anspruch nehmen dürfe oder er aufgrund einer Erkrankung am Erscheinen bei der Verhandlung gehindert sei, geht aus dem Dokument nicht hervor.
Nach der Rechtsprechung hat eine rechtswirksam geladene Partei die zwingenden Gründe für ihr Nichterscheinen darzutun. Sie muss etwa im Fall einer Erkrankung nicht nur deren Vorliegen behaupten und dartun, sondern auch die Hinderung am Erscheinen bei der Verhandlung aus diesem Grund (statt aller VwGH 27.01.2021, Ra 2020/18/0428). Wenn der Beschwerdeführer am 10.05.2021 das Gericht kurz vor der Verhandlung telefonisch darüber in Kenntnis setzte, dass er Krankheitssymptome verspüren würde sei, aber im Fall der Notwendigkeit dennoch erscheinen könne, liegt schon aus diesem Grund kein Grund für die Annahme eines zwingenden Grundes für das Nichterscheinen vor. Umso mehr gilt dies, wenn zuletzt sogar eine bestimmte Zeit des Erscheinens (15.00 Uhr bzw. um 15.30 Uhr seitens des Beschwerdeführers mitgeteilt wird und diesem ein Zuwarten mit der Verhandlung bis zum verspäteten Erscheinen in Aussicht gestellt wird). Dem Beschwerdeführer wurde ferner nach Mitteilung der Notwendigkeit des Erscheinens hinreichend Zeit durch Zuwarten mit der Zeugeneinvernahme eingeräumt. Da der Beschwerdeführer zuletzt auch telefonisch nicht mehr erreichbar war, konnte die Verhandlung jedenfalls seiner in Abwesenheit durchgeführt werden. Dass (anschließende) Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsmeldung – hier mit der Diagnose Übelkeit und fiebriger Zustand (ohne nähere Angabe der Höhe des Fiebers) – keinen triftigen Grund für das Nichterscheinen zur mündlichen Verhandlung aufzeigt, wurde in der Rechtsprechung bereits mehrfach klargestellt (vgl. abermals VwGH 27.01.2021, Ra 2020/18/0428; 29.01.2020, Ra 2019/13/0122, wonach Arbeitsunfähigkeit für sich alleine jedenfalls nicht bewirkt, dass die betreffende Person vom Erscheinen abgehalten ist und eine arbeitsunfähige Person gleichwohl reisefähig und verhandlungsfähig sein kann. Da aus der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsmeldung die Triftigkeit der Abwesenheit jedenfalls nicht ableitbar ist, konnte der letzte der insgesamt vier Verhandlungstermine in Abwesenheit des Beschwerdeführers durchgeführt werden (die Einvernahme des Beschwerdeführers wurde darüber hinaus bereits am 19.04.2021 abgeschlossen und es war der Beschwerdeführer bei drei von vier Verhandlungsterminen persönlich anwesend).
2.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts des belangten Bundesamtes, wobei an dieser Stelle festzuhalten ist, dass das Verwaltungsverfahren erster Instanz höchst mangelhaft geführt wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof betont in seiner Rechtsprechung den Grundsatz, dass das Verwaltungsgericht sich bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung selbst einen persönlichen Eindruck vom Fremden zu verschaffen hat, sofern nicht ausnahmsweise ein eindeutiger Fall gegeben ist (statt aller nur VwGH 27.08.2020, Ra 2020/21/0247 mwN). Dieser Grundsatz gilt auch für das Verfahren vor der belangten Behörde, die jedoch im gegenständlichen Fall keine Einvernahme des Beschwerdeführers durchgeführt hat und auch nicht dessen Ehegattin und die gemeinsamen Kinder als Zeugin einvernommen hat, obwohl die amtswegige Ermittlungspflicht beide Schritte erforderlich gemacht hätten, weil der Beschwerdeführer in seiner handschriftlichen Stellungnahme vom 27.03.2020 und nochmals in seiner anwaltlichen Stellungnahme vom 25.07.2020 vorbringt, sich mit seiner Ehegattung versöhnt zu haben und neuerlich in die eheliche Wohnung einziehen zu wollen sowie dass ein Sohn des Beschwerdeführers auf den Rollstuhl angewiesen sei. Ein eindeutiger Fall im Sinn der Rechtsprechung liegt somit nicht vor.
Das Bundesverwaltungsgericht hat schon in seinem Beschluss vom 06.06.2016, L521 2118691-1/12E, mit näherer Begründung beanstandet, dass sich das belangte Bundesamt nicht mit dem Privat und Familienleben des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und die unter den gegebenen Vorzeichen erforderliche Einvernahme des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen unterlassen hat. Auch in diesem Verfahren hat das belangte Bundesamt obwohl zwischen der Verfahrenseinleitung am 20.03.2020 und der Erlassung des angefochtenen Bescheides mehr als fünf Monate lagen, die gebotene Einvernahme des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen unterlassen, sodass diese im Rechtsmittelverfahren nachgeholt werden mussten (obwohl dem Bundesverwaltungsgericht weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, als dem belangten Bundesamt).
In hohem Maße befremdlich ist in diesem Zusammenhang, dass die infolge der zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung und der ergänzenden Ermittlungen zwingend erforderlichen (und auch seitens des belangten Bundesamtes unbekämpft gebliebenen) Behebung des Ausspruchs über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.10.2020, L521 2118691-3/6Z, zu verfügenden Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Verwaltungsarrest seitens des verfahrensführenden Referenten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl als „sehr bedenklich und kritisch“ beanstandet wird, zumal es ausschließlich aufgrund der unzureichenden Ermittlungstätigkeit durch das belangte Bundesamt zu diesem Schritt kommen musste.
Dazu tritt, dass der angefochtene Bescheid – zufolge unzureichender Ermittlungen – auch inhaltlich mangelhaft ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat schon in seinem Erkenntnis vom 19.05.2015, Ra 2014/21/0057, festgestellt, dass die Wiedergabe der aus einer Strafregisterauskunft herrührenden Urteilsdaten nicht für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose ausreicht. Dazu sind nähere Feststellungen zu Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und der Tatumstände erforderlich (statt aller VwGH 20.08.2020, Ra 2019/19/0522 mwN). Solche Feststellungen enthält der angefochtene Bescheid nicht (lediglich die Umstände der jüngsten strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers werden disloziert im Verfahrensgang festgehalten), das belangte Bundesamt konnte sie auch gar nicht treffen, weil es nicht einmal die bezughabenden Urteilsausfertigungen beigeschafft hat.
Dass dann noch im angefochtenen Bescheid die Gefährdungsprognose systematisch unrichtig zu weiten Teilen in der Beweiswürdigung vorgenommen wird, eine nachvollziehbare Begründung hinsichtlich der Ausschöpfung der Höchstdauer hinsichtlich des Einreiseverbotes schlicht fehlt, die Rechtslage hinsichtlich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 verkannt wird und das belangte Bundesamt bis zuletzt nicht in der Lage war, die fremdenrechtlichen Vorakten vorzulegen, rundet das gewonnene Bild ab, dass im gegenständlichen Fall eine nahezu vollständige Abwälzung der gebotenen Ermittlungstätigkeit auf das Bundesverwaltungsgericht ganz offensichtlich intendiert war und durchgeführt wurde. Dass eine solche Vorgehensweise mit einer gravierenden Verfahrensverzögerung verbunden war bedarf keiner weiteren Erörterung, die Verantwortung dafür liegt ob der unterlassenen Ermittlungen beim belangten Bundesamt.
2.3. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Abstammung und seinem Religionsbekenntnis sowie dessen persönlichen und familiären Lebensumständen im Herkunftsstaat sowie seinen Familienverhältnissen unter den Punkten 1.1. und 1.2 ergeben sich aus den im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers in den Verfahren vor dem belangten Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht, dem Inhalt des Verwaltungsaktes und den vom Beschwerdeführer eingebrachten Stellungnahmen, sie sind im Beschwerdeverfahren nicht strittig. Auf die Diskrepanz, dass der Beschwerdeführer seine zwei in Istanbul lebenden Schwestern gegenüber der Sachverständigen XXXX als berufstätig (nämlich als Polizistinnen) darstellte, war mangels Relevanz nicht näher einzugehen. Dass zu den in der Türkei lebenden Geschwistern ein gelegentlicher telefonischer Kontakt besteht, wurde in der mündlichen Verhandlung eingeräumt. Den Beschluss des Zivilgerichtes in XXXX (Provinz XXXX ) vom 11.11.2014, Zl. 2014/325, über die durchgeführte Namensänderung brachte der Beschwerdeführer bereits im Verfahren L521 2118691-1 in Vorlage. Kurios ist daran, dass die Namensänderung mit den ständigen Verwechslungen begründet wird, welchen der Beschwerdeführer in der Türkei aufgrund einer Namensähnlichkeit mit seinem Nachbarn (!) ausgesetzt sei, so habe etwa sein Nachbar eine eigentlich an den Beschwerdeführer gerichtete hohe Telefonrechnung erhalten. Mit den Ergebnissen dieses Verfahrens, nämlich dass der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Jahre nicht mehr in der Türkei aufhältig war, ist das Vorbringen im Verfahren zur Namensänderung schlichtweg unvereinbar.
Der Beschwerdeführer legte im Hinblick auf seinen gesundheitlichen Zustand zuletzt in der mündlichen Verhandlung dar, dass er keine Medikamente einnehmen müsse und es ihm gesundheitlich gut gehen würde.
2.4. Die Feststellungen unter Punkt 1.2. beruhen einerseits auf dem Inhalt amtswegig angefertigter Auszüge aus dem Zentralen Melderegister. Seitens des Beschwerdeführers wurde in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass er derzeit über keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet verfügen würde und es wurde eine baldige Anmeldung in Aussicht gestellt. Eine solche wurde jedoch erst am 08.04.2021 vorgenommen.
Darüber hinaus räumte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung ein, bereits im Jahr 1998 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist zu sein und sich zunächst zwei Jahre unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten zu haben. Der am 06.11.2000 gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde bereits im Verfahrensgang des angefochtenen Bescheides ebenso erwähnt wie dessen Zurückziehung kurz vor der Eheschließung mit XXXX , am 08.10.2002. Der Beschwerdeführer bestätigte diesen Sachverhalt in der mündlichen Verhandlung, die schon im Jahr 1998 erfolgte (unrechtmäßige) Einreise erwähnte er bereits gegenüber der Sachverständigen XXXX . Dass dem Beschwerdeführer in Österreich weder der Status eines Asylberechtigten, noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ist unstrittig.
Dass das aktuelle Reisedokument des Beschwerdeführers beschädigt war (die Seite mit dem Lichtbild des Beschwerdeführers wurde herausgetrennt) und dieser damit unbrauchbar ist ergibt sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt. Der Beschwerdeführer legte darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung dar, dass er nicht mehr über das Reisedokument verfügen würde und er eine Verlustanzeige erstattet habe. Die Identität des Beschwerdeführers steht dessen ungeachtet zweifelsfrei fest.
2.5. Die zweimal erfolgte Eheschließung mit der XXXX ist urkundlich nachgewiesen, ebenso wie die Geburt der gemeinsamen Kinder XXXX . Die weiteren Feststellungen unter Punkt 1.4. zum Scheidungsverfahren vor dem zur Zahl XXXX des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien geführten Scheidungsverfahren ergeben sich aus dem Inhalt des beigeschafften Aktes.
Dass die Ehegattin des Beschwerdeführers ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte wurde im Verfahren nicht behauptet, sie legte vielmehr dar, ihre Lehre bei einer Supermarktkette gemacht zu haben und seither dort beschäftigt zu sein. Ausgehend davon kann ausgeschlossen werden, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat.
2.6. Die Feststellungen zum Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers bis zur Erlassung des Bescheides der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010, Zl. E1/479.744/2009, ergeben sich übereinstimmend aus dem Akteninhalt, den Eintragungen im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister sowie dem im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.04.2012, Zl. 2010/18/0426, dargelegten Verfahrensgang. Von wesentlicher Bedeutung für das Verfahren ist, dass der Beschwerdeführer vom 11.10.2002 an bis zur Erlassung des Bescheides der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010 über einen Aufenthaltstitel verfügte und er rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig war (darüber hinaus kam dem Beschwerdeführer bereits zuvor während des anhängigen Asylverfahrens ein Aufenthaltsrecht als Asylwerber zu).
Durch die entsprechende Eintragung im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister sowie korrespondierendes Vorbringen und die Mitteilung des Magistrates der Stadt Wien vom 22.01.2021 erwiesen ist, dass der Beschwerdeführer am 24.02.2011 einen Verlängerungsantrag zur weiteren Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ einbrachte. Ebenso ist die die entsprechende Eintragung im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister sowie die Mitteilung des Magistrates der Stadt Wien vom 22.01.2021 erwiesen, dass die gemäß § 10 Abs. 1 erster Satz NAG ohnehin ex lege eintretende Ungültigkeit des Aufenthaltstitels des Beschwerdeführers mit 25.07.2012 (mithin nach Abschluss des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof) im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister in Form eines Widerrufs dieses Aufenthaltstitels erfasst wurde.
Dass der Magistrat der Stadt Wien ausweislich seiner Mitteilung vom 22.01.2021 den Verlängerungsantrag vom 24.02.2011 derzeit als (offenbar trotz Inlandsantragstellung zulässigen) Erstantrag wertet und behandelt stellt sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes als Faktum dar, ob diese Vorgehensweise aus rechtlicher Sicht zutreffend ist oder nicht ist im Verfahren vor dem Magistrat der Stadt Wien zu klären. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich hier an der derzeitigen Sachlage zu orientieren, diese stellt sich so dar, dass der Magistrat der Stadt Wien den Verlängerungsantrag vom 24.02.2011 als Erstantrag behandelt und gemäß der Mitteilung vom 22.01.2021 beabsichtigt, diesen wegen § 11 Abs. 2 Z. 1 iVm § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG abzuweisen.
Wenn das belangte Bundesamt in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass das Verfahren über den Verlängerungsantrag gemäß § 25 Abs. 2 NAG einzustellen war, ist diese Rechtsansicht wohl eigentlich zutreffend, allerdings kommt dem belangte Bundesamt keine Parteistellung in eben diesem Verfahren zu, sodass das belangte Bundesamt auch über keine Handhabe verfügt, seine Rechtsansicht gegenüber dem Magistrat der Stadt Wien durchzusetzen. Wenn weiters auf eine Mitteilung im Akt verwiesen wird, wonach das Verfahren über den Verlängerungsantrag eingestellt wurde, ist dieser Hinweis zutreffend und es enthält eine Mitteilung des Magistrats der Stadt Wien vom 21.08.2020 (AS 303) tatsächlich einen solchen Inhalt. Diese Information ist jedoch in Anbetracht der im Beschwerdeverfahren eingeholten Auskünfte des Magistrats der Stadt Wien, wonach der Verlängerungsantrag nunmehr als Erstantrag behandelt werde, schlicht überholt.
Auf die in diesem Zusammenhang vom Beschwerdeführer vertretene Rechtsansicht, wonach er sich nach wie vor im Verlängerungsverfahren befinde, wird im Rahmen der rechtlichen Beurteilung eingegangen.
Die weiteren Feststellungen unter Punkt 1.6. ergeben sich zweifelsfrei aus dem veröffentlichten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.04.2012, Zl. 2010/18/0426, dem Inhalt des verwaltungsbehördlichen Aktes sowie dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes zur Zahl L521 2118691-1 (insbesondere dem Beschluss vom 06.06.2016, L521 2118691-1/12E) betreffend den Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung des wider ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes. Dass dieser Antrag in weiterer Folge zurückgezogen wurde und der Beschwerdeführer in zeitlichem Zusammenhang kurz in Schubhaft genommen wurde (Auslöser dafür war Übrigens der unter Punkt 1.16 festgestellte Vorfall am 30.04.2019) wurde in Schriftsätzen des Beschwerdeführers zugestanden und als „Tauschgeschäft“ für die Entlassung aus der Schubhaft in das gelindere Mittel dargestellt.
2.7. Die vom Beschwerdeführer im Inland ausgeübten und zur Sozialversicherung gemeldeten Arbeitsverhältnisse sowie der Bezug staatlicher Unterstützungsleistungen ergibt sich zweifelsfrei aus dem amtswegig eingeholten Sozialversicherungsdatenauszug, aus diesem ergibt sich auch, dass der Beschwerdeführer bislang nach seiner Entlassung aus dem Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände keine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit aufgenommen hat. Die Feststellungen über eine vom Beschwerdeführern ausgeübte gewerbliche Tätigkeit als Einzelunternehmer beruhen darüber hinaus auf den Eintragungen im Gewerbeinformationssystem Austria. Von Relevanz ist in diesem Zusammenhang, dass der Beschwerdeführer entgegen dem zuletzt erstatteten Vorbringen während seiner Anhaltung in Strafhaft keine der Sozialversicherung unterliegende Beschäftigung ausgeübt hat. Vielmehr war der Beschwerdeführer gemäß § 44 Abs. 1 StVG zur Arbeitsleistung verpflichtet. Seine sonstigen Arbeitsverhältnisse im Bundesgebiet währten allesamt nur kurz und in keinem Fall länger als ein Jahr. Die verschiedentlich vom Beschwerdeführer getätigten Aussagen, etwa gegenüber der Sachverständigen XXXX , wonach er ständig gearbeitet habe, sind mit seinem Versicherungsverlauf nicht in Einklang zu bringen. Der Beschwerdeführer brachte auch – ungeachtet des in der mündlichen Verhandlung ergangenen Auftrages – keine Nachweise über von ihm erlangte Gewerbeberechtigungen und weitere Versicherungszeiten in Vorlage. Wenn er ausführt, dass er „für manche Firmen mit meinem Auto geringfügig gearbeitet“ habe, kann daraus nur der Schluss gezogen werden, dass der Beschwerdeführer auch Tätigkeiten ausführte, ohne dass er zur Sozialversicherung angemeldet war bzw. dafür (mit Ausnahme des Zeitraums 21.05.2004 bis 26.01.2006) über keine die Pflichtversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz begründende Gewerbeberechtigung erlangte (in diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass für die Verpflichtung zur Erlangung einer Gewerbeberechtigung keine Geringfügigkeitsgrenze vorgesehen ist und die Pflichtversicherung diesfalls im Ausmaß der Mindestbeitragsgrundlage eintreten würde), oder aber er sich vor der Sachverständigen nicht wahrheitsgemäß verantwortete. Dass die weitergehenden Ausführungen des Beschwerdeführers etwa in einem Schreiben an die im Verfahren XXXX des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erkennende Richterin, wonach er „europaweit Handel“ betreiben würde und er alleine für seine Ehegattin im Jahr EUR 30.000,00 bis 40.000,00 ausgeben würde, unwahr sind und wahrscheinlich unter Drogeneinfluss zustande kamen, räumte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung selbst ein.
Die Einstellungszusage der XXXX sowie den nicht unterfertigten Vorvertrag brachte der Beschwerdeführer im Verfahren selbst in Vorlage, er brachte dazu zuletzt auch vor, dass die Verantwortungen der XXXX den schon vorbereiteten Vorvertrag nicht unterfertigt hätten. Hinweise auf eine anderweitige dem Beschwerdeführer offenstehende Beschäftigungsmöglichkeit ergaben sich in diesem Zusammenhang nicht. Der Beschwerdeführer räumte darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung ein, derzeit über keine Krankenversicherung zu verfügen.
Die Feststellungen zu den finanziellen Verhältnissen beruhen auf den dahingehenden Angaben des Beschwerdeführers. Die Auszahlung von insgesamt EUR 25.637,00 aus dem Insolvenz-Entgelt-Fonds wurde durch Vorlage eines entsprechenden Schreibens nachgewiesen. Den Darlegungen des Beschwerdeführers zufolge verwendete er einen Teilbetrag für seine Familie und sind nunmehr noch EUR 20.000,00 vorhanden.
2.8. Die Feststellungen betreffend die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Ehegattin und den wiederkehrenden Entfremdungen sowie neuerlichen Annäherungen ergeben sich aus dem Akteninhalt und dem insoweit weitgehend übereinstinnemden Angaben des Beschwerdeführers und der XXXX . Der Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11.02.2019, XXXX , wurde samt dem bezughabenden Akt beigeschafft, das dortige Vorbringen wurde von XXXX in der mündlichen Verhandlung bekräftigt. Dass der Beschwerdeführer dem Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11.02.2019 wiederholt zuwiderhandelte ist durch entsprechende Anzeigen und erfolgte Bestrafungen erwiesen.
Die nunmehrige Bereitschaft von XXXX , die Ehe und den gemeinsamen Haushalt mit dem Beschwerdeführer fortzusetzen und ihm eine weitere Chance einräumen möchte, ergibt sich aus dem dahingehenden Vorbringen der Zeugin in der mündlichen Verhandlung, wobei die Zeugin ihre Bereitschaft durchaus auch an das Fortbestehen einer stabilen persönlichen Verfassung des Beschwerdeführers knüpfte. Die Zeugen legte unabhängig davon dar, dass die gemeinsamen Kinder den Vater derzeit „mehr brauchen“ würden und es für sie alleine mit den gemeinsamen Kindern „zu stressig“ wäre. Die Zeugin legte freilich auch dar, dass sie ihre Kinder bislang alleine habe betreuen können, da diese „unproblematisch“ gewesen wären und dass sie auch Urlaubs- und Kuraufenthalte bewerkstelligt habe. Dies sich daraus ergebenden Konsequenzen sind Gegenstand der rechtlichen Beurteilung. Die weiteren zusammenfassenden Feststellungen betreffend die Wohnsituation und die finanzielle Lage von XXXX und die Umstände bzw. Wünsche der Kinder des Beschwerdeführers beruhen ebenso auf den Angaben in der mündlichen Verhandlung.
Die weiteren zusammenfassenden Feststellungen betreffend die familiären Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, seinen Sprachkenntnissen sowie das Verhältnis des Beschwerdeführers zu seinen Söhnen und seiner Ehegattin berufen auf den Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.
2.9. Die Feststellungen unter Punkt 1.11. beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers zu dessen Lebenslauf und zu seiner gesundheitlichen Verfassung in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht. Der Beschwerdeführer ist in der Türkei geboren und aufgewachsen, er hat dort grundlegende Schulbildung erworben und hat die ersten siebzehn Lebensjahre dort zugebracht. Der Beschwerdeführer ist sohin mit der Sprache sowie den Gebräuchen in seinem Herkunftsstaat vertraut.
Die Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf dessen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die in Österreich ausgeübte Berufstätigkeit. Ferner brachte der Beschwerdeführer keine maßgeblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, welche die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen würden.
Der Beschwerdeführer ist als gesunder und arbeitsfähiger Mensch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes in der Lage, sein Auskommen in der Türkei als Arbeitnehmer in der Industrie oder in der Bauwirtschaft oder im Handel selbst zu bestreiten. Er verfügt über hinreichend Berufserfahrung als Arbeiter und ist der türkischen Sprache mächtig. Da er der in der Türkei mehrheitlich vertretenen türkischen Volksgruppe zugehört, wird er keine Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt sein.
Da der Beschwerdeführer nach wie vor über seine Eltern, einen Bruder und zwei Schwestern in der Türkei verfügt, wird er auch sozialen Anschluss in der Türkei vorfinden, wenn er dies wünscht. Mit seinen Geschwistern in der Türkei steht der Beschwerdeführern in Kontakt. Ein Zerwürfnis mit seinen Eltern wurde ebensowenig in den Raum gestellt, auch wenn der Beschwerdeführer – in Ermangelung dahingehender Angaben im Zweifel – derzeit wenig oder keinen Kontakt zu den Eltern unterhalten mag. Das Bundesverwaltungsgericht geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr zumindest anfänglich mit Unterstützung aus dem Familienkreis rechnen kann, insbesondere mit der vorübergehenden Zurverfügungstellung einer Schlafgelegenheit.
Darüber hinaus stehen dem Beschwerdeführer die in der Türkei vorhandenen Systeme der sozialen Sicherheit, darunter Sozialleistungen für Bedürftige durch die Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität als Anspruchsberechtigter offen, da er über die türkische Staatsbürgerschaft verfügt. Ausweislich der Feststellungen zu Sozialbeihilfen in der Türkei sind nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 bedürftige Staatsangehörige anspruchsberechtigt, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt.
Das Bundesverwaltungsgericht geht zusammenfassend davon aus, dass aufgrund des persönlichen Profils des Beschwerdeführers davon auszugehen ist, dass dieser in der Türkei eine durch eigene Erwerbstätigkeit gesicherte Existenzgrundlage vorfindet, ohne dass es dazu einer Unterstützung eines dort bestehenden familiären Netzwerkes bedarf.
2.10. Die Feststellungen zum Inhalt der wider den Beschwerdeführer ergangenen strafgerichtlichen Urteile gründen sich auf den Inhalt der beigeschafften Urteilsausfertigungen bzw. dem Inhalt der beigeschafften strafgerichtlichen Akten, die weiteren Feststellungen über die ambulante Suchtgifttherapie gründen im Wesentlichen auf den Inhalt des Endberichtes der Institution XXXX vom 25.05.2018 und die Feststellungen über das Betragen in Haft auf die Stellungnahme der Justizanstalt Krems. Der maßgebliche Sachverhalt ist nicht strittig.
Soweit in der Folge Feststellungen zum Suchtgiftmissbrauch durch den Beschwerdeführer sowie zu dessen psychischer Verfassung getroffen werden, beruhen diese im Wesentlichen auf den Einschätzungen der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Dr. XXXX und XXXX in den vorliegenden Sachverständigengutachten. Vor den Sachverständigen räumte der Beschwerdeführern freilich Cannabiskonsum (erst) ab dem 33. Lebensjahr bzw. dem Jahr 2014 ein. Dem steht gegenüber, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14.03.2013, 16 Hv 133/12z, unter anderem wegen Konsums von Cannabis vom Jahr 2008 bis in das Jahr 2012 bestraft wurde und der Beschwerdeführer dort in der Hauptverhandlung am 22.11.2012 den Konsums von Cannabis vom Jahr 2008 bis in das Jahr 2012 gestanden hat. Der Beschwerdeführer verschwieg somit gegenüber den Sachverständigen diesen doch wesentlichen Umstand. Ausgehend vom Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14.03.2013 ist somit festzustellen, dass der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2008 mit dem Konsum von Suchtgift begonnen hat.
Die Erwägungen betreffend den neuerlichen Konsum von Suchtgift werden sogleich unter Punkt 2.10. getroffen
2.10. Die Feststellungen unter Punkt 1.14. ergeben sich zweifelsfrei aus den bezughabenden Mitteilungen der Bewährungshilfeorganisation, dem Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.06.2014, 187 BE 81/14w sowie dem Inhalt des Aktes des Landesgerichtes für Strafsachen Graz zum Verfahren XXXX .
Das wider den Beschwerdeführer verhängte Waffenverbot wurde dem Bundesverwaltungsgerichte ebenso von der Landespolizeidirektion Wien übermittelt, wie ein Auszug aus der Verwaltungsstrafevidenz sowie die zugrundliegenden Anzeigen sowie (teilweise) die bezughabenden Straferkenntnisse bzw. Strafverfügungen. Der Beschwerdeführer trat den Eintragungen in der Verwaltungsstrafevidenz nicht entgegen, sodass aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes die entsprechenden und unter Punkt 1.16 festgestellten verwaltungsrechtlichen Übertretungen erwiesen sind. Die daraus resultierenden Ersatzfreiheitsstrafen in Gesamtausmaß von 44 Tagen verbüßte der Beschwerdeführer zuletzt in Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände. XXXX , da ihm die Aufforderung zur Rechtfertigung an der angegebenen Wohnanschrift nicht zugestellt werden konnte.
Was den Verlauf der Ereignisse bei der am 25.12.2020 um ca. 00:25 Uhr vorgenommenen Fahrzeugkontrolle betrifft, wurde seitens des Beschwerdeführers das Lenken des Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand und ohne Lenkerberechtigung in der mündlichen Verhandlung und in der Stellungnahme vom 29.03.2021 zugestanden. Ebenso zugestanden wurde, dass im Fahrzeug des Beschwerdeführers Suchtgift, nämlich Kokain, vorgefunden wurde sowie dass der Beschwerdeführer – zumindest vor der Kontrolle, sohin am Abend des 24.12.2020 – Kontakt zu einer Person ( XXXX ) unterhielt, die Suchtgift konsumiert. Seitens des Beschwerdeführers bleibt außerdem unbestritten, dass er das aufgefundene Suchtgift gegenüber den einschreitenden Polizeibeamten als ihm gehörig darstellte und er gegenüber den einschreitenden Polizeibeamten auch einen Suchtgiftkonsum zugestand. Ausweislich der vorliegenden Anzeige und der von der Staatsanwaltschaft Wien
Die weitergehende und erstmals in der Stellungnahme vom 29.03.2021 vorgetragene Argumentation, dass das Suchtgift tatsächlich dem XXXX gehört habe und der Beschwerdeführer es – aufgrund der Befürchtung, ansonsten des Suchtgifthandels verdächtigt zu werden – gegenüber den einschreitenden Beamten unrichtig als sein eigens Suchtgift deklariert habe und er entgegen seinen Äußerungen auch kein Kokain konsumiert habe, ist unglaubwürdig. Den schlüssigen Darlegungen der Zeugen Inspektor XXXX und Inspektor XXXX zufolge befand sich zum Zeitpunkt der Kontrolle – entgegen den Darlegungen des Beschwerdeführers – keine weitere Person im Fahrzeug und es legten die Zeugen in diesem Zusammenhang dar, dass sie das Fahrzeug des Beschwerdeführers seitlich an einer Kreuzung stehend wahrgenommen haben und schon zu diesem Zeitpunkt und auch in der Folge während des Anhaltevorganges keine weitere Person wahrgenommen werden konnte. In Anbetracht des Umstandes, dass in der Nacht des 25.12.2020 gemäß § 2 Abs. 1 der 3. COVID-19-SchuMaV eine Ausgangssperre bestand und demgemäß kaum Menschen in der Öffentlichkeit zu sehen waren, erachtet das Bundesverwaltungsgericht die Verantwortung der Zeugen Inspektor XXXX und Inspektor XXXX als schlüssig und lebensnah, dass unter den gegebenen Umständen auszuschließen ist, dass sich eine dritte Person im Fahrzeug befand und sich diese im Zuge des Anhaltevorganges durch Flucht der Kontrolle entzog. Schon aufgrund der glaubwürdigen Ausführungen der Zeugen erweist sich die – nur in diesem Verfahren und nicht im Strafverfahren XXXX vor der Staatsanwaltschaft Wien, wo der Beschwerdeführer nach wie vor als geständiger Suchtmittelkonsument aufscheint, vorgebrachten – Erklärung des Beschwerdeführers, wonach es sich nicht um sein eigenen Suchtgift handeln würde und er sich nur deshalb fälschlicherweise selbst belastet habe, um sich den Vorwurf des Suchtgifthandels zu ersparen, als unglaubwürdige Schutzbehauptung. Dazu tritt, dass der Standpunkt des Beschwerdeführers widersprich und unschlüssig ist. Vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptete er nämlich, dass er am Abend des 24.12.2020 mit seinem suchtgiftabhängigen Freund ein Lokal in Wien aufgesucht und dort Alkohol konsumiert habe. Tatsächlich war die Gastronomie aber gemäß § 7 der 3. COVID-19-SchuMaV geschlossen. In solch einer Situation ist es vollkommen abwegig, an der Türe eines angeblich unrechtmäßig geöffneten Lokals zu warten und dabei noch in der Öffentlichkeit Alkohol zu konsumieren. Ferner erschließt sich dem Bundesverwaltungsgericht nicht, weshalb dem Beschwerdeführer beim Fund einer geringen Menge Kokain in seinem Fahrzeug Suchtgifthandel unterstellt werden sollte, sollte er behaupten, dass es sich um das von einem Freund zurückgelassene Suchtgift handeln. Alleine aus der Auffindung auf eine (entgeltliche) Weitergabe zu schließen ist vollkommen abwegig. Dazu tritt, dass der Beschwerdeführer gegenüber dem einschreitenden Polizeibeamten weder den Lokalbesuch, noch den Alkoholkonsum erwähnte und er in Anbetracht von in seinem Fahrzeug aufgefundenen Möbeln vielmehr darlegte, dass er sein Fahrzeug vom Parkplatz eines Möbelhauses abgeholt habe (und das in der Nacht vom 24.12.2020 auf den 25.12.2020). Die Angaben des Beschwerdeführers vor den einschreitenden Beamten und hier im Verfahren schließen sich demnach aus, was der Glaubwürdigkeit abträglich ist. Dass der angebliche Freund und Besitzer des Suchtgiftes zur Aussage vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht erschien und seitens des Beschwerdeführers nicht einmal hinreichend präzise Angaben zur zweifelsfreien Individualisierung des Zeugen getätigt wurden, rundet das gewonnene Bild ab. Ob des vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks ist schließlich die Schilderung des Zeugen XXXX glaubwürdig, wonach der Beschwerdeführer bei der Amtshandlung am 25.12.2020 kooperativ zeigte und sich über das eigene Fehlverhalten ärgerte, zumal der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung ähnlich reagierte.
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt aus diesen Erwägungen zum Schluss, dass die Angaben des Beschwerdeführers gegenüber den am 25.12.2020 einschreitenden Beamten, wonach das im Fahrzeug aufgefundene Kokain ihm gehören würde und er einige Tage zuvor Kokain konsumiert habe, richtig und den Feststellungen zugrunde zu legen sind.
Der vorläufige Rücktritt von der Verfolgung wurde seitens der Staatsanwaltschaft Wien dem Bundesverwaltungsgericht mit Note vom 06.04.2021 kommuniziert.
2.11. Den Daten des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister kann entnommen werden, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG 2005 geduldet war. Hinweise darauf, dass sein weiterer Aufenthalt zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig wäre oder der Beschwerdeführer im Bundesgebiet Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO wurden, kamen im Verfahre nicht hervor und es wurde auch kein dahingehendes Vorbringen erstattet, sodass keine dahingehenden positiven Feststellungen getroffen werden können.
2.12. Die zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat unter Punkt 1.13. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, welche in der mündlichen Verhandlung erörtert und dem Beschwerdeführer zuvor zur Erstattung einer Stellungnahme übermittelt wurden. Zur Sicherstellung der notwendigen Ausgewogenheit in der Darstellung wurden Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Der Beschwerdeführer ist der seiner rechtsfreundlichen Vertretung mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.11.2020 übermittelten Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat nicht entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung:
3.1.1. Den nachstehenden Erwägungen ist vorauszuschicken, dass die Frage der zeitlichen Geltung des mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010, Zl. E1/479.744/2009, wider den Beschwerdeführer erlassenen zehnjährigen Aufenthaltsverbotes – auch wenn dies in der Beschwerde weitwenig thematisiert wird – nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.
Dessen ungeachtet geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die Geltungsdauer des Aufenthaltsverbotes zwischenzeitlich abgelaufen ist. Die Frist begann nämlich gemäß § 63 Abs. 2 FPG 2005 (in der bei Erlassung des zitierten Bescheides im Oktober 2010 noch gültigen und insoweit hier maßgeblichen Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005) mit Durchsetzbarkeit der Maßnahme zu laufen, worunter gemäß § 67 Abs. 1 FPG (in der genannten Fassung) grundsätzlich der Eintritt der Rechtskraft zu verstehen war. Das Aufenthaltsverbot endete daher im Oktober 2020, woran auch die nunmehrige Anordnung in § 54 Abs. 3 letzter Satz FPG 2005 im Hinblick auf die Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 16 FPG nichts geändert hat (vgl. dazu grundlegend VwGH 05.07.2012, Zl. 200/21/0013). Die in der Beschwerde mehrfach angesprochene amtswegige Aufhebung des Aufenthaltsverbotes wegen Zeitablaufs ist im Übrigen weder Gegenstand dieses Verfahrens, noch kann dem FPG 2005 eine Rechtsgrundlage für dieses Begehren entnommen werden. Dass die zeitliche Geltungsdauer des Aufenthaltsverbotes abgelaufen ist, stellt jedenfalls keinen Grund für dessen (nachträgliche) Aufhebung dar.
Von Bedeutung für dieses Verfahren ist indes, dass der Beschwerdeführer das Bundesgebiet entgegen § 67 Abs. 1 FPG 2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009 seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht umgehend verlassen hat. Vielmehr missachtete er das rechtskräftige und höchstgerichtlich bestätigte Aufenthaltsverbotes während der gesamten Geltungsdauer (wobei er freilich in dieser Zeit auch mehrere Male in Haft angehalten wurde). Dass das belangte Bundesamt in dieser Zeit nicht willens oder fähig war, den ohnehin immer wieder durch strafbare Handlungen in Erscheinung tretenden Beschwerdeführer abzuschieben ist für dieses Verfahren belanglos, zumal eine fehlende zwangsweise Außerlandesbringung nichts daran ändert, dass der Beschwerdeführer stets zur unverzüglichen Ausreise verpflichtet war und auch über kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügte (§ 10 Abs. 1 zweiter Satz NAG; zum fehlenden Aufenthaltsrecht vgl. VwGH 30.09.2014, Ro 2014/22/0035).
Wenn der Beschwerdeführer schließlich nunmehr den Standpunkt vertritt, dass sein Aufenthaltsrecht nach dem Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltsverbotes wieder aufleben würde, wird § 10 Abs. 1 dritter Satz NAG unrichtig ausgelegt. Zufolge dieser Bestimmung lebt ein Aufenthaltstitel oder eine Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts von Gesetzes wegen wieder auf, sofern innerhalb ihrer ursprünglichen Geltungsdauer die Rückkehrentscheidung, das Aufenthaltsverbot oder die Ausweisung im Rechtsweg nachträglich behoben wird (Hervorhebungen durch das Bundesverwaltungsgericht). Voraussetzung ist somit eine Aufhebung innerhalb der Geltungsdauer sowie dass das Aufenthaltsverbot nachträglich behoben wird. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt ein Wiederaufleben nicht für Fälle einer Aufhebung gemäß § 69 FPG 2005 in Frage, sondern nur im Fall der Aufhebung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 09.08.2018, Ra 2018/22/0045 mwN; 30.09.2014, Ro 2014/22/0035). Der Ablauf der Geltungsdauer führt ausgehend davon schon gar nicht zum Wiederaufleben des Aufenthaltstitels. Auch die unzureichende Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 führt zu keinem für den Beschwerdeführer hier günstigeren Ergebnis, weil sich fallbezogen aus der unmittelbaren Geltung dieser Richtlinie (vgl. dazu EuGH 19.9.2013, Filev und Osmani, C-297/12) weder ein automatisches Erlöschen des Aufenthaltsverbotes, noch ein Wiederaufleben des ursprünglich erteilten Aufenthaltstitels ableiten lässt (siehe hiezu nochmals VwGH 09.08.2018, Ra 2018/22/0045 mwN).
Aus diesem Grund kommt auch eine Fortsetzung des seinerzeit mit dem 24.02.2011 gestellten Verlängerungsantrag eingeleiteten Verlängerungsverfahrens nicht in Betracht (vgl. zu einem ähnlichen Fall abermals VwGH 30.09.2014, Ro 2014/22/0035; zur Antragstellung selbst war der Beschwerdeführer aufgrund der vom Verwaltungsgerichtshof zuerkannten aufschiebenden Wirkung seiner Beschwerde berechtigt, vgl. dazu VwGH 08.08.2008, Zl. 2008/09/0077). Der Verwaltungsgerichtshof führte vielmehr aus, dass keine Gründe für die Annahme ersichtlich wären, dass die Wirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und deren nachfolgender Aufhebung während der Geltungsdauer eines Aufenthaltstitels anders sein sollten als im Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels. Der Verwaltungsgerichtshof wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bereits das FrG in dessen § 15 Abs. 3 eine inhaltlich vergleichbare Bestimmung enthielt (sodass sich die Frage nach der Anwendbarkeit der Stillhalteklausel in diesem Zusammenhang mangels einer neuen, verschlechternden Regelung gar nicht stellt).
Ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot vernichtet im Übrigen auch das gemäß § 20 Abs. 3 NAG grundsätzlich unbefristete Niederlassungsrecht, was sich schon aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.05.2015, Ro 2014/22/0001, ergibt, wonach in einem Verlängerungsverfahren nach Ablauf der befristeten Gültigkeit des Dokumentes als Vorfrage auch die Frage zu klären ist, ob der unbefristete Aufenthaltstitel nach § 10 Abs. 1 dritter Satz NAG von Gesetzes wegen wieder aufgelebt ist oder nicht. Da im gegenständlichen Fall nicht von einem Wiederaufleben nach § 10 Abs. 1 letzter Satz NAG auszugehen ist, ist das unbefristete Niederlassungsrecht des Beschwerdeführers mit der Durchsetzbarkeit des Bescheides der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010, Zl. E1/479.744/2009, erloschen (vgl. in diesem Sinn nochmals VwGH 09.08.2018, Ra 2018/22/0045, wonach es zum Wiederaufleben von nur im Fall des § 10 Abs. 1 letzter Satz NAG kommen kann). In einem älteren Erkenntnis vom 31.08.2006, Zl. 2003/21/0165, hielt der Verwaltungsgerichtshof in der Sache eines türkischen Staatsangehörigen, der nach dem Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes neuerlich in das Bundesgebiet einreiste und sich in der Folge auf die fortdauernde Gültigkeit eines ihm vor dem Aufenthaltsverbot ausgestellten unbefristeten Sichtvermerks berufen hat, wörtlich fest: „In § 11 Abs. 2 Fremdengesetz (1992) wurde somit ausdrücklich festgelegt, dass ein Sichtvermerk ungültig wird, wenn gegen Fremde ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar wird, und dieser (nur dann) von Gesetzes wegen wieder auflebt, sofern innerhalb seiner ursprünglichen Geltungsdauer das Aufenthaltsverbot oder die Ausweisung anders als gemäß § 26 FrG (Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes wegen "Wegfalls der Gründe für seine Erlassung") aufgehoben wird. Daher verbietet sich eine Annahme, dass jeder Sichtvermerk nach Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltsverbotes aufleben würde. Wäre dies vom Gesetzgeber gewünscht, bedürfte es nämlich nicht der Anordnung, dass ein Wiederaufleben nur in bestimmten Fällen erfolgt. Das begegnet entgegen der Beschwerdeansicht auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil einem Fremden nach Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltsverbotes die Erlangung eines neuen Aufenthaltstitels grundsätzlich möglich ist. … Entgegen der Beschwerdeansicht verstößt das Aufenthaltsverbot nicht gegen Gemeinschaftsrecht und auch nicht gegen den Beschluss des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation - ARB. … Hinsichtlich des Verlustes einer Berechtigung nach Art. 6 ARB stellte der EuGH etwa im Urteil vom 7. Juli 2005, Rechtssache C- 383/03 "Dogan", Rnr. 19 ff, auf eine nicht bloß vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitsmarkt und hinsichtlich Art. 7 ARB auf das Verlassen des Hoheitsgebietes des Aufnahmestaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe ab (so im Urteil vom 16. Februar 2006, Rs. C-502/04 "Torun", Rnr. 25 mwN; vgl. zum Ganzen auch das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2006, Zl. 2002/21/0130 mwN). Eine Beschränkung der im ARB implizierten Freizügigkeitsrechte ist durch dessen Art. 14 Abs. 1 ("Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.") zulässig (vgl. das Urteil des EuGH vom 11. November 2004, Rs. C-467/02 "Cetinkaya", Rnr. 36).
Somit ist die Berechtigung des Beschwerdeführers nach dem ARB jedenfalls (…) im Blick auf das - ohne Erhebung einer Berufung - rechtskräftig gewordene und durchgesetzte Aufenthaltsverbot vom 3. Oktober 1995, das eine Maßnahme nach Art. 14 Abs. 1 ARB darstellte, untergegangen.“ Das behauptete Wiederaufleben einer Niederlassungsbewilligung bzw. der behaupteten Anspruch auf „automatische Erteilung“ einer solchen nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes wurde ferner im Erkenntnis vom 19.01.2001, Zl. 2000/19/0079, vom Verwaltungsgerichtshof als unzutreffend verworfen.
Der gegenständliche Sachverhalt ist nicht anders zu beurteilen. Der Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010, Zl. E1/479.744/2009, brachte das Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zum Erlöschen und es steht das rechtskräftig verhängte Aufenthaltsverbot einem Wiederaufleben bzw. der weiteren Geltung eines zuvor bestehenden Niederlassungsrechtes entgegen. Es liegt somit kein Niederlassungs- oder anderweitiges Aufenthaltsrecht vor, welches die Ausstellung eines Aufenthaltstitels in einem bloßen Verlängerungsverfahren ermöglichen würde. Ausgehend davon war und ist mit diesem Verlängerungsantrag auch kein rechtmäßiger Aufenthalt nach § 24 Abs. 1 NAG verbunden. Dass das mit diesem Bescheid ausgesprochene Aufenthaltsverbot als Maßnahme nach Art. 14 Abs. 1 ARB mit dem Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation grundsätzlich im Einklang steht, bedarf keiner weiteren Erörterung. Der Beschwerdeführer konnte sich nämlich – wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 19.04.2012, Zl. 2010/18/0426, ausführte – gar nicht auf Art. 6 oder 7 dieses Abkommens berufen. Er setzte außerdem seine erste Straftat bereits vor Erlangung seines Niederlassungsnachweises.
Dass der Beschwerdeführer im Jahr 2010 bzw. auch nach dem Erkenntnis vom 19.04.2012 rechtswidrig im Bundesgebiet verharrte, verschafft(e) ihm kein neuerliches Aufenthaltsrecht und führt auch nicht zu einem Erhalt eine zuvor bestehenden Niederlassungsrechtes, dies mangels einer gesetzlichen Grundlage für eine solche Rechtsfolge – § 10 Abs. 1 NAG sieht entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers ein Wiederaufleben „aufgrund Zeitablaufs“ nicht vor, sondern es muss ein Aufenthaltstitel neu beantragt werden – und auch insbesondere deshalb, weil ein allein durch beharrliche Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt keine Rechtsansprüche nach sich ziehen kann (VfSlg. 19.086/2010). Nichts anderes bringt der Europäische Gerichtshof zum Ausdruck, wenn er in seinem Urteil vom 21.10.2003, C 317/01, Abatay, betont, dass sich nur derjenige auf die Stillhalteklausel nach Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 (die ansonsten lediglich eine Erwerbsabsicht des Betroffenen zur Voraussetzung hat) berufen kann, der die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats auf dem Gebiet der Einreise, des Aufenthalts und gegebenenfalls der Beschäftigung beachtet hat. Der Beschwerdeführer hat demgegenüber die österreichischen Vorschriften auf dem Gebiet des Aufenthalts missachtet, indem er seiner Verpflichtung zur Ausreise beharrlich nicht nachkam, wobei die Motive dafür an dieser Stelle nicht erheblich sind. Würde an dieser Stelle davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nunmehr (nach Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltsverbotes) wieder über ein unbefristeten Niederlassungsrecht verfügt und dieses derart in Anspruch genommen werden kann, dass alleine nach Vorlage eines Reisepasses und eines Lichtbildes ihm sogleich wieder ein Daueraufenthaltstitel auszustellen sei, würde daraus ein gravierender Wertungswiederspruch erwachsen, zumal der Beschwerdeführer damit besser gestellt wäre, als eine Person, die aufgrund eines ergangenen Aufenthaltsverbotes das Bundesgebiet verlässt. Besonders deutlich tritt der Wertungswiederspruch im Standpunkt des Beschwerdeführers in seiner jüngsten Stellungnahme an den Magistrat Wien hervor, in welcher sich der Beschwerdeführer gerade deshalb als rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig erachtet, weil er sich seit seinem Verlängerungsantrag vom 24.02.2011 „stets … im Bundesgebiet aufgehalten“ habe – dies in Missachtung des wider ihn ergangenen und zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ergangenen Aufenthaltsverbotes.
Der Beschwerdeführer verfügt somit über kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet. Dessen ungeachtet ist – wie im Folgenden auszuführen sein wird – auch § 52 Abs. 5 FPG 2005 verwirklicht, sodass selbst im Fall des Bestehens eines Niederlassungsrechtes aufgrund der vom Beschwerdeführer gegenwärtig ausgehenden gravierenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit eine aufenthaltsbeendende Maßnahme jedenfalls geboten und im Einklang mit Art. 14 Abs. 1 des
3.1.2. Die Einreise des Beschwerdeführers in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich ist im Jahr 1998 zunächst unrechtmäßig erfolgt. In weiterer Folge ehelichte der Beschwerdeführer erstmals eine österreichische Staatsangehörige, die Ehe wurde sodann am 28.06.2006 geschieden.
Nach dem vor dem 01.01.2006 geltenden § 49 Abs. 1 FrG 1997 genossen Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3 FrG 1997, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, Niederlassungsfreiheit. Angehörige von Österreichern – gleich welcher Staatsangehörigkeit – durften den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland stellen und die Entscheidung im Inland abwarten. Ihnen war nach § 49 Abs. 1 FrG 1997 in Verbindung mit § 47 Abs. 2 FrG 1997 eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdete (vgl. VwGH 31.05.2017, Ra 2016/22/0089). Der Anwendungsbereich des § 49 FrG erfasste auch jene Angehörigen von Österreichern, die türkische Staatsangehörige waren. Da wider den Beschwerdeführer im Jahr 2002 keine aufenthaltsbeendende Maßnahme rechtskräftig ergangen war und er die Absicht hegte, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, konnte er sich auf Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation (Stillhalteklausel) berufen (siehe dazu etwa VwGH 26.11.2020, Ra 2019/22/0194). Sein sich aus der Eheschließung und der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung in weiterer Folge ergebendes und mit der Ausstellung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“ am 08.06.2006 einhergehendes Niederlassungsrecht ging jedoch wie eingangs erörtert durch die rechtskräftige Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mittels des Bescheides der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010, Zl. E1/479.744/2009, unter. Seither hält sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, zumal ihm in der Folge kein Aufenthaltstitel neu erteil wurde. Daran kann ausweislich der vorstehenden Erwägungen auch das Verstreichen der Geltungsdauer des Aufenthaltsverbotes nichts ändern.
Wenn der Beschwerdeführer nunmehr zumindest implizit darauf hinweist, dass ihm der 24.02.2011 gestellte Verlängerungsantrag, der nunmehr als Erstantrag behandelt wird, und die neuerliche Eheschließung ein Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger verschaffen würden, ist dem Folgendes entgegenzuhalten: Sowohl nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, als auch nach jener des Verwaltungsgerichtshofes kann Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 nun einem türkischen Staatsangehörigen nicht zugutekommen, dessen Lage rechtswidrig ist (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0172 mwN). Die Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes ergibt sich insbesondere aus der Nichtbefolgung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen (VwGH 31.05.2017, Ra 2016/22/0089). Ganz grundsätzlich kann sich auf die Stillhalteklausel nur derjenige berufen, der die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats auf dem Gebiet der Einreise, des Aufenthalts und gegebenenfalls der Beschäftigung beachtet hat; sie steht auch nicht einer Verstärkung der Maßnahmen entgegen, die gegenüber türkischen Staatsangehörigen getroffen werden können, die sich in einer nicht ordnungsgemäßen Situation befinden (grundlegend EuGH 21.10.2003, C 317/01, Abatay, sowie VwSlg. 18322 A/2012). Der Beschwerdeführer leistete einer solchen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen – nämlich dem vor seiner zweiten Eheschließung am 02.11.2015 ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010, Zl. E1/479.744/2009 – keine Folge. Sein Aufenthalt war demgemäß schon vor der zweiten Eheschließung unrechtmäßig, sodass schon im Hinblick auf diese Tatsache die Stillhalteklausel nicht fruchtbar gemacht werden kann.
Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls verschafft in diesem Zusammenhang keine über Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 hinausgehenden Rechte, da die Stillhalteklausel in Art. 13 und diejenige in Art 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls gleichartig sind und die beiden Klauseln dasselbe Ziel verfolgen (EuGH 17.09.2009, C- 242/06, Sahin). Die neuerliche Eheschließung verschafft dem Beschwerdeführer somit mangels eines rechtmäßigen Aufenthaltes kein im Wege der Stillhalteklausel hergeleitetes Aufenthaltsrecht nach § 49 Abs. 1 FrG 1997.
Als verfehlt erweist sich in diesem Zusammenhang auch die Behauptung, dass die – ohnehin nicht anzuwendende Stillhalteklausel – ein Wiederaufleben des Niederlassungsrechtes des Beschwerdeführers bewirken würde. Das FrG 1997 sah in dessen § 16 Abs. 2 bereits in der Stammfassung BGBl. I Nr. 75/1997 eine mit § 10 Abs. 1 NAG vergleichbare Bestimmung vor. Die gegenteilige Annahme ist nicht nachvollziehbar. Mit einem Hinweis auf die erörterten Bestimmungen ist für den Beschwerdeführer somit nichts gewonnen.
3.1.3. Der Beschwerdeführer kann sich als türkischer Staatsbürger in Österreich auch derzeit nicht Art. 6 oder Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation berufen.
Zum einen hat der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 19.04.2012, Zl. 2010/18/0426, festgehalten, dass der Beschwerdeführer (bis dahin) keine nach Art. 6 oder Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 geschützte Position erlangt hat. Auch in weiterer Folge ging der Beschwerdeführer – dessen Aufenthalt im Bundesgebiet seither nicht mehr ordnungsgemäß ist – zwar einige unselbständige Beschäftigungsverhältnisse ein, allerdings währte keines dieser Beschäftigungsverhältnisse mehr als ein Jahr. Dazu tritt, dass die Position des Beschwerdeführers seit dem Erkenntnis vom 19.04.2012 nicht mehr ordnungsgemäß, was einer Heranziehung von Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates ebenfalls entgegensteht (VwGH 24.03.2015, Ro 2014/09/0057, unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH). Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 ist somit nicht erfüllt. Hinweise auf Zeiten einer ordnungsgemäßen selbständigen Erwerbstätigkeit seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes ergaben sich im Verfahren nicht, darüber hinaus ist eine selbständige Erwerbstätigkeit von Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht umfasst (VwGH 23.06.2015, Ro 2014/22/0038). Eine allenfalls ohne Gewerbeberechtigung und ohne Anmeldung zur Sozialversicherung ausgeübte Tätigkeit ist von vornherein irrelevant.
Dass der Beschwerdeführer gemäß § 44 Abs. 1 StVG während seiner Anhaltung in Haft zur Arbeitsleistung verpflichtet war, ist zutreffend. Eine solche Arbeitsleistung ist indes nicht als ordnungsgemäße Beschäftigung am regulären Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/ anzusehen. Die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 ARB setzt nämlich – wie bereits angesprochen – eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats voraus. Die Tätigkeit eines Strafgefangenen auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung begründet jedenfalls keine Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt (VwGH 17.05.2006, Zl. 2004/08/0271; vgl dazu auch den Beschluss des dt BVerwG vom 08.05.1996, 1 B 136/95; dass der Beschwerdeführer während seiner Inhaftierung ein Beschäftigungsverhältnis außerhalb der Justizanstalt erlangte kam im Verfahren nicht hervor).
Im Übrigen wird in der Beschwerde zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass Zeiten einer Inhaftierung nicht zwingend zum Verlust der Rechtsstellung nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 und für die Arbeitssuche nach der Entlassung aus einer freiheitsentziehenden Maßnahme eine angemessene Zeit einzuräumen ist. Mit der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C 340/97 ist allerdings für den Beschwerdeführer nichts gewonnen, da er nie eine nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 geschützte Position erworben hat. In diesem Zusammenhang ist auch zu bemerken, dass die Beschwerde ungeachtet ihrer weitwendigen Ausführungen über das Assoziationsrecht eine schlüssige Darlegung schuldig bleibt, weshalb der Beschwerdeführer eine nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 geschützte Position erworben haben sollte. Wenn sich die Beschwerde auf die Feststellungen des angefochtenen Bescheides bezieht, wonach der Beschwerdeführer „die Kriterien des Assoziierungsabkommens“ erfüllen würde (AS 343), ist einerseits festzuhalten, dass es sich bei diese Enunziation tatsächlich um eine dislozierte rechtliche Beurteilung handelt, die ausweislich der vorstehenden Darlegungen verfehlt ist. Da das Bundesverwaltungsgericht weder an die Feststellungen, noch an die Beweiswürdigung und schon gar nicht an die rechtliche Beurteilung der Behörde erster Instanz gebunden ist (vgl. schon VwGH 10.10.1995, Zl. 95/20/0453). Eine irrige rechtliche Beurteilung durch das belangte Bundesamt verschafft dem Beschwerdeführer ohne Vorliegen der Voraussetzungen jedenfalls nicht eine nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 geschützte Position.
Dem Erwerb einer nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 geschützten Position steht schließlich entgegen, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers bereits vor der ersten Eheschließung österreichische Staatsbürgerin war (VwGH 06.09.2012, Zl. 2012/18/0061).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer keine nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 geschützte Rechtsposition erlangt hat und er somit auch über kein daraus erwachsenes Aufenthaltsrecht verfügt.
3.1.4. Auch die Tatsache, dass der Magistrat Wien den am 24.02.2011 gestellten Verlängerungsantrag nunmehr als Erstantrag behandelt, verschafft dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht. Eine zulässige oder von der zuständigen Behörde faktisch hingenommene Inlandsantragstellung bewirkt nämlich kein über den über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Aufenthalts- oder Bleiberecht (VwGH 16.12.2014, Zl. 2012/22/0206). Demgemäß ist das Verfahren nach rechtmäßiger Antragstellung im Ausland abzuwarten, soweit kein nach anderen Rechtsvorschriften bestehendes Aufenthaltsrecht gegeben ist (VwGH 28.05.2019, Ro 2016/22/0016). Der am 24.02.2011 gestellte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, der derzeit von der zuständigen Behörde als Erstantrag behandelt wird, hat daher kein Aufenthaltsrecht zur Folge.
Dazu tritt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung selbst dann zulässig wäre, wenn davon ausgegangen wird, dass sich der Beschwerdeführer in einem offenen Verlängerungsverfahren vor der Niederlassungsbehörde befindet. Eine Rückkehrentscheidung ist nämlich gemäß § 52 Abs. 4 Z. 4 FPG 2005 auch gegen einen Drittstaatsangehörigen zu erlassen, der sich zwar rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung setzt diesfalls voraus, dass der Aufenthalt der beschwerdeführenden Partei den öffentlichen Interessen widerstreitet. Dies ist gegeben, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde (§ 11 Abs. 2 Z. 1 iVm § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG). Bei der Prüfung, ob die Annahme, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062 mwN), wobei dahingehend auf die folgenden Erwägungen verwiesen wird. In prozessualer Hinsicht (§ 52 Abs. 4 vorletzter Satz FPG 2005) ist noch darauf hinzuweisen, dass die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständige Behörde das Bundesverwaltungsgericht darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass vom Vorliegen des Versagungsgrundes nach § 11 Abs. 2 Z. 1 iVm § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG ausgegangen wird.
Da der angefochtene Bescheid eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot umfasst und im angefochtenen Bescheid ausführlich auf die vom Beschwerdeführer aufgrund strafgerichtlicher Verurteilungen ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit eingegangen wird, ist evident, dass eine gegenständlich jedenfalls eine Rückkehrentscheidung (samt Einreiseverbot) in Betracht kommt, ganz unabhängig von der Frage, ob sich die Rückkehrentscheidung schon aus dem unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet oder erst aus der von ihm ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ergibt. Im gegebenen Zusammenhang ist noch zu betonen, dass sich der Beschwerdeführer nicht auf die Stillhalteklausel berufen kann und es ist auch nicht ersichtlich ist, inwieweit die Berufung auf die Stillhalteklausel eine Verbesserung in der Rechtsposition des Beschwerdeführers bewirken würde, zumal eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit jeher als Versagungsgrund im Hinblick auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels definiert war (vgl. § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 in der Stammfassung BGBl. I Nr. 75/1997) und der Verwaltungsgerichtshof bereits erkannt hat, dass § 11 Abs. 2 Z. 1 iVm. Abs. 4 Z 1 NAG sich im Ergebnis inhaltsgleich wie die §§ 8 Abs. 3 Z. 2 iVm. 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 darstellen (VwGH 23.11.2017, Ra 2016/22/0099).
Aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs wird im Folgenden unter einem mit der Prüfung des wider den Beschwerdeführer ausgesprochenen Einreiseverbotes – daher auch zu klären sein, ob die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr das in § 52 Abs. 4 Z. 4 FPG 2005 in Verbindung mit § 11 Abs. 2 Z 1 und § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG angesprochene Niveau erreicht und somit eine Rückkehrentscheidung auch nach dieser Gesetzesstelle gerechtfertigt ist und ob die privaten Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen.
3.1.5. Selbst wenn entgegen der vorstehenden Erwägungen weiterhin von einem Niederlassungsrecht des Beschwerdeführers oder vom Erwerb einer nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 geschützten Position auszugehen wäre, ist für den Beschwerdeführer damit nichts gewonnen.
Gemäß § 52 Abs. 5 FPG 2005 hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG 2005 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung setzt diesfalls allerdings voraus, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (EuGH 8.12.2011, C-371/08 bzw. § 52 Abs. 5 FPG 2005). Wie im Rahmen der untenstehenden Abwägung noch näher auszuführen sein wird, ist im gegenständlichen Fall aufgrund der schwerwiegenden und andauernden sowie dem wiederholten Abgleiten in den Suchtgiftkonsum verbundenen Delinquenz des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen würde und es ist deshalb eine Rückkehrentscheidung selbst bei Heranziehung der (strengeren) Voraussetzungen des § 52 Abs 5 FPG 2005 zu erlassen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dieser Hinsicht im Übrigen in seinem Erkenntnis vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, erkannt, dass auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31.12.2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen ist. Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 08.12.2011, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-Richtlinie – umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG 2005 – entspricht. Wenn daher in der Beschwerde argumentiert wird, dass gegen den Beschwerdeführer als „Assotürke“ (so die Beschwerde wörtlich) keine Rückkehrentscheidung möglich sei und lediglich ein Aufenthaltsverbot in Betracht komme, wird damit die Rechtslage verkannt.
3.1.6. Als erstes Ergebnis ist damit festzuhalten, dass in Ansehung des Beschwerdeführers jedenfalls eine Rückkehrentscheidung (samt Einreiseverbot) in Betracht kommt. Das Bundesverwaltungsgericht tritt dem belangten Bundesamt im Ergebnis – wenn auch nicht in der Herleitung – bei, wenn dieses im angefochtenen Bescheid davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer über kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügt und deshalb schon gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG 2005 eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist.
Darüber hinaus ist aufgrund der – sogleich näher zu erörternden – Notwendigkeit eines Einreiseverbotes jedenfalls auch gemäß § 52 Abs. 4 Z. 4 FPG 2005 in Verbindung mit § 11 Abs. 2 Z 1 und § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG eine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen angezeigt und es ist schließlich selbst bei Heranziehung der (strengeren) Voraussetzungen des § 52 Abs 5 FPG 2005 zu erlassen.
Im Folgenden ist demnach – aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs unter einem mit der Prüfung des wider den Beschwerdeführer ausgesprochenen Einreiseverbotes – einerseits zu klären, ob die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr das in § 52 Abs. 5 FPG 2005 angesprochene Niveau erreicht und somit eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist und ob die familiären und privaten Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen.
3.1.7. Hält sich ein Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf und fällt er auch nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG, ist gemäß § 58 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen. Über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung ist gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. Die Rückkehrentscheidung setzt daher eine vorangehende Klärung der Frage voraus, ob ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird.
Ausweislich der Feststellungen und der vorstehenden rechtlichen Beurteilung verfügt der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel und kein anderweitiges Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet. Im Ermittlungsverfahren sind keine Umstände zu Tage getreten, welche auf eine Verwirklichung der in § 57 Abs. 1 AsylG 2005 alternativ genannten Tatbestände hindeuten würden, insbesondere wurde vom Beschwerdeführer selbst nichts dahingehend dargetan und auch in der Beschwerde kein diesbezügliches Vorbringen erstattet.
Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war ausweislich der Feststellungen nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde schließlich nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.
Dem Beschwerdeführer ist daher kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen. Der gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erhobenen Beschwerde kommt daher keine Berichtigung zu, es wird in der gegenständlichen Beschwerde dazu auch nichts ausgeführt.
3.2. Erlassung eines Einreiseverbotes:
3.2.1. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG 2005 kann vom Bundesamt mit Bescheid mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitpunkt nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten einzureisen und sich dort aufzuhalten.
Gemäß § 53 Abs. 2 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Absatz 1, vorbehaltlich des Absatz 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen miteinzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder anderen in Artikel 8 Absatz 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
§ 53 Abs. 3 FPG zufolge ist ein Einreiseverbot gemäß Absatz 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Ziffer 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen an Artikel 8 Absatz 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat gemäß § 53 Abs. 3 Z. 5 FPG 2005 insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist.
3.2.2. Bei der Bemessung eines Einreiseverbotes ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen hat, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchem zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FPG 2005 anzunehmen. Die Erfüllung eines Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 FPG 2005 indiziert, dass der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht nur geringfügig gefährdet (vgl. VwGH 24.5.2018, Ra 2017/19/0311 mwN).
Der Beurteilung des durch den Fremden zu erwartenden Gefährdungspotentials kommt sowohl für die Frage, ob ein Einreiseverbot überhaupt zu verhängen ist, als auch hinsichtlich der Bemessung seiner Dauer zentrale Bedeutung zu. Bei der Prüfung, ob die Annahme einer gegenwärtigen, hinreichend schweren Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden (vgl. VwGH 22.03.2018, Ra 2017/22/0194). Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120). Dabei ist – abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens – auch darauf abzustellen, wie lange die von einer Person ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002, mwN).
Das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen darf nicht regelmäßig schon dann erfolgen, wenn einer der Fälle des § 53 Abs. 2 Z. 1 bis 9 bzw. Abs. 3 Z. 1 bis 8 FPG 2005 vorliegt (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002). Allerdings ist bei Verurteilungen nach § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG 2005 das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit indiziert (VwGH vom 30.07.2014, Zl. 2013/22/0281).
3.2.3. Ausgehend von diesen in der Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätzen erweisen sich die mit dem angefochtenen Bescheid verfügte Rückkehrentscheidung sowie die Verhängung eines Einreiseverbotes als dem Grunde nach zutreffend.
Der Beschwerdeführer wurde in Österreich wiederholt straffällig und weist insgesamt – wie in den Feststellungen unter Punkt 1.12. ausführlichst dargestellt – neun strafgerichtliche Verurteilungen auf. Selbst wenn an dieser Stelle lediglich auf die nach der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010, Zl. E1/479.744/2009, Bedacht genommen wird, sind fünf strafgerichtliche zu verzeichnen.
Hervorzuheben ist, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14.03.2013, XXXX , des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 vierter und fünfter Fall SMG, teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuches nach § 15 StGB, sowie des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall SMG schuldig erkannt und gemäß § 28a Abs. 1 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten verurteilt wurde. Demnach hat der Beschwerdeführer unter anderem in Graz und in Wien vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge anderen angeboten, anderen zu überlassen versucht und anderen überlassen, wobei das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und Verbrechen zusätzlich als erschwerend bei der Strafzumessung berücksichtigt wurde.
Mit der Einteilung in Verbrechen und Vergehen trifft § 17 StGB eine grundsätzliche Unterscheidung der Straftaten, durch die das besondere Gewicht der als Verbrechen geltenden Straftaten ihrer Art nach betont werden soll. Über die Bezeichnung dieser Straftaten hinaus – mit „Verbrechen“ wird schon rein sprachlich ein höherer Unwert konnotiert – bringt die Anknüpfung an ein Mindestmaß der Strafdrohung von mehr als dreijähriger oder lebenslanger Freiheitsstrafe sowie die Einschränkung auf Vorsatztaten zum Ausdruck, dass es sich um solche handelt, denen ein besonders hoher Unrechtsgehalt innewohnt (VwGH 05.04.2018, Ra 2017/19/0531 mwN). Bei Suchtgifthandel tritt hinzu, dass solche Straftaten sogar als besonders schweres Verbrechen anzusehen sind. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ (der zwar hier nicht unmittelbar von Relevanz ist, weil § 6 Abs. 1 Z. 4 AsylG 2005 betreffend, jedoch dennoch als Orientierungshilfe herangezogen werden kann) Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typische schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (VwGH 29.08.2019, Ra 2018/19/0522; 25.10.2018, Ra 2018/20/0360).
Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.02.2017, XXXX , neuerlich – wiewohl minderschwerer – Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz schuldig erkannt (nämlich des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 5 SMG, ferner des Vergehens der Verbreitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 4 erster Fall SMG und schließlich des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG), wobei auch hier eine die Grenzmenge des § 28b SMG mehrfach übersteigenden Menge an Suchtgift vom Beschwerdeführer mit dem Vorsatz des Inverkehrsetzens angeschafft und besessen wurde.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Wien zwar als mildernd das reumütige Geständnis sowie die Sicherstellung eines Teils des Suchtgiftes, als erschwerend jedoch neuerlich das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die einschlägigen Vorverurteilungen, der lange Tatzeitraum, die Begehung während offener Probezeit und den raschen Rückfall.
Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit dem in den Feststellungen näher dargestellten Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12.02.2020, XXXX , des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125 und 126 Abs. 1 Z. 7 StGB, des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 und zwei StGB, des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs. 1 StGB, des Vergehens gegen das Waffengesetz nach § 50 Abs. 1 Z. 3 WaffG sowie des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB schuldig erkannt und gemäß § 28 StGB nach § 126 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
An dieser strafgerichtlichen Verurteilung ist einerseits hervorzuheben, dass sie insgesamt fünf unterschiedliche, vom Beschwerdeführer in zeitlicher Nähe zueinander begangene und deshalb gemeinsam angeklagte begangene Straftaten umfasst (und nicht nur eine einzelne Straftat), sowie dass der Beschwerdeführer diese Straftaten ausweislich seiner Verantwortung in der mündlichen Verhandlung auf seinen damals andauernden Konsum von Suchtgift – nämlich Heroin, welches er in Form des Rauchens auf einer Folie konsumierte – zurückführte. Dass der Beschwerdeführer zumindest vor seiner Festnahme am 25.09.2019 Suchtgift (nämlich Morphine und Kokain) konsumiert hatte, geht aus dem Gutachten der Sachverständigen XXXX vom 05.11.2019 zweifelsfrei hervor.
Ausgangspunkt des bereits im Jahr 2005 beginnenden strafrechtlichen Fehlverhaltens des Beschwerdeführers waren zunächst Vermögens- und Gewaltdelikte (nämlich eine Verurteilung wegen des Vergehens der Veruntreuung am 27.07.2006 und wegen des Vergehens der Körperverletzung vom 07.05.2007). Bereits zu dieser Zeit führten einerseits wirtschaftliche Schwierigkeiten des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit zu strafbaren Handlungen und andererseits Ehe- bzw. Beziehungsprobleme. Von Bedeutung für dieses Verfahren ist, dass diese Themenkreise ausweislich der vorliegenden Sachverständigengutachten sowie der Verantwortung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung auch in der Folge und bis zuletzt von großer Relevanz für die wiederkehrende mangelnde Stabilität des Beschwerdeführers waren. So setzte sich zunächst die Begehung von Vermögensdelikten durch den Beschwerdeführer fort (nämlich in Form zweier Verurteilungen wegen des Vergehens der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes am 11.06.2007 und am 13.01.2009, denen jeweils der Gebrauch gefälschter 100-Euro-Geldscheine durch den Beschwerdeführer zugrunde lag) und es kam zu einer in einem Freispruch mündenden Anklage wegen Gewalttätigkeiten gegenüber der Ehegattin XXXX .
Hinsichtlich der eigenen wirtschaftlichen Situation ergab das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zweifelsfrei, dass es dem Beschwerdeführer in den bisherigen Jahren seines Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht gelungen ist, sich auf dem Arbeitsmarkt bzw. als selbständig erwerbstätige Person stabil und nachhaltig zu etablierten. Eine anfängliche selbständige Erwerbstätigkeit führte zur ersten strafgerichtlichen Verurteilung wegen der Veruntreuung geleaster Fahrzeuge, woraus sich zwingend ergibt, dass diese in weiterer Folge eingestellte selbständige Erwerbstätigkeit nicht von wirtschaftlichem Erfolg gekrönt war. Auf dem Arbeitsmarkt ging der Beschwerdeführer die in den Feststellungen näher dargestellten Arbeitsverhältnisse ein, die jedoch allesamt nur kurze Zeit andauerten. Es gelang dem Beschwerdeführer insbesondere nicht, ein länger als ein Jahr währendes Arbeitsverhältnis einzugehen, sodass er bis zuletzt auch keine nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 geschützte Position erlangen konnte.
Sowohl bei der Untersuchung durch Sachverständige, als auch im Zuge der Befragung in der mündlichen Verhandlung zeigte sich deutlich, dass die eigene instabile wirtschaftliche Situation sowie die mangelnde Verwurzelung im Erwerbsleben den Beschwerdeführer beschäftigt und in einem negativen Sinn belastet. Anstatt sich jedoch in einer konstruktiven Art und Weise mit dieser Unzulänglichkeit auseinanderzusetzen, stellt der Beschwerdeführer vielmehr seine Lage wahrheitswidrig besser dar (etwa gegenüber der Sachverständigen Dr. XXXX , gegenüber der er eine mehrjährige bzw. eine gegenwärtige Tätigkeit bei Unternehmen mit der Bezeichnung XXXX ins Treffen führte, was die Untersucherin zu einer positiven Einschätzung im Hinblick auf die berufliche Integration veranlasste – tatsächlich aber war der Beschwerdeführer bei keiner der genannten Unternehmen ordnungsgemäß beschäftigt und es währte sein längstes Arbeitsverhältnis lediglich sieben Monate und nicht sieben Jahre wie gegenüber der Sachverständigen angegeben). In der mündlichen Verhandlung stellte sich der Beschwerdeführer neuerlich (wie bereits gegenüber der Sachverständigen XXXX ) als selbständiger „Transportunternehmer“ dar, der sieben Jahre lang „geringfügig und Vollzeit gearbeitet habe“. Auch wenn der Beschwerdeführer in der Folge in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage explizit darlegte, dass er für die behauptete selbständige Erwerbstätigkeit eine Gewerbeberechtigung erlangt und sich zur Sozialversicherung angemeldete habe, ist aus den eingeholten Datenbankauszügen zweifelsfrei ersichtlich, dass keine solchen Anmeldungen vorgenommen wurden. Der Beschwerdeführer konnte auch der Aufforderung nicht nachkommen, diesbezügliche Nachweise vorzulegen. Die Angaben des Beschwerdeführer betreffend seine angebliche langjährige Erwerbstätigkeit als Baggerfahrer oder Transportunternehmen stellen sich demgemäß nicht als glaubwürdig dar. Vielmehr ist evident, dass die Integration des Beschwerdeführers in das Erwerbsleben trotz eines mehr als zwanzig Jahre währenden Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht gelungen ist.
Die Ursache für die mangelnde Verwurzelung im Erwerbsleben ortete der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung ausschließlich bei seinen Dienstgebern, die immer wieder insolvent geworden wären, was mit dem von der Sachverständigen XXXX gewonnene Eindruck korrespondiert, dass der Beschwerdeführer die Auslöser eigenen Fehlverhaltens eher in der äußeren Umgebung sehen würde. Selbst die Ehegattin des Beschwerdeführers bestätigte bei ihrer Einvernahme, dass der Beschwerdeführer „sehr schnell“ aufgeben würde und er schon nach zehn Tagen erfolgloser Arbeitssuche am elften Tag „andere Wege“ suchen würde.
Im Hinblick auf der wiederholte strafrechtliche Fehlverhalten wirkte sich die unzureichende wirtschaftliche Situation des Beschwerdeführers und die Zeiten der Arbeitslosigkeit wiederholt destabilisierend aus, wobei sich die Lage des Beschwerdeführers mit dem im Jahr 2010 verhängten Aufenthaltsverbot und dem damit einhergehenden unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet weiter verschlechterte. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 22.07.2016 wurde er neuerlich wegen eines Vermögensdeliktes verurteilt. Auch den jüngsten gravierenden Entgleisungen des Beschwerdeführers in den Jahren 2018 und 2019 lagen ausweislich der Darlegungen der Ehegattin Schwierigkeiten im beruflichen Bereich sowie nicht erhaltene Lohnzahlungen zugrunde, die in einem neuerlichen Abgleiten in den Suchtgiftkonsum und unmittelbar anschließend in die Kriminalität mündeten. Zwar umfasste die letzte Verurteilung am 12.02.2020 keine Verurteilung wegen eines Verbrechens, sondern fünf Vergehen, allerdings erreichten die Umstände der Tatbegehung eine neue, gesteigerte Dimension. Während der Beschwerdeführer bislang Vermögensdelikte in Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit verübte und Falschgeld in Verkehr brachte, entfaltete der Beschwerdeführer zuletzt sich willkürlich gegen das Eigentum unbeteiligter Dritter gerichtete Aggressionen, indem er ein Fahrzeug beschädigte und in Brand setzte und bei anderen Fahrzeugen die Reifen zerstach. Seine bereits mit dem Inverkehrsetzens von Falschgeld unter Beweis gestellte Neigung, sich gefälschter Sachen zur Bereicherung zu bedienen, fand ihre Fortsetzung in der Verfälschung einer Urkunde.
Auch wenn sich der Beschwerdeführer zuletzt wieder mit seiner Ehegattin versöhnt hat, ist gegebenen Zusammenhang noch darauf hinzuweisen, dass die Beziehung des Beschwerdeführers mit seiner Ehegattin durch häusliche Gewalt überschattet ist. Einerseits wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.01.2011 des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, nachdem er XXXX mit einem Tuch würgte und zu Boden brachte und sie dabei vorsätzlich am Körper verletzte. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11.02.2019, XXXX , wurde dem Beschwerdeführer zuletzt gemäß § 382b und 382e EO für die Dauer von sechs Monaten die Rückkehr in die eheliche Wohnung sowie der Aufenthalt dort und in der unmittelbaren Umgebung verboten. Dem Beschwerdeführer wurde ferner aufgetragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit seiner Ehegattin zu beenden. Zuvor hatte er am 16.01.2019 nach einer Auseinandersetzung mit XXXX das Küchenfenster der ehelichen Wohnung eingeschlagen, wofür er am 12.02.2020 strafgerichtlich verurteilt wird. In der mündlichen Verhandlung hielt XXXX ihre Angaben, die zum Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11.02.2019 führten aufrecht und legte dar, dass der Beschwerdeführer „nicht er selbst“ gewesen sei. In diesem Verfahren brachte sie im Antrag vom 21.01.2019 vor, dass bereits fünf Betretungsverbote wider den Beschwerdeführer erlassen worden wären. Er sei außerdem bereits im Jahr 2005 wegen gegen sie gerichteter Gewalt in Untersuchungshaft genommen worden. Nach der Scheidung habe er ihr im Jahr 2007 einen Sessel auf den Kopf geschlagen und die Kinderzimmertüre eingetreten, was zu einer einstweiligen Verfügung geführt habe. Im Jahr 2010 habe sich der zu einer Verurteilung führende Vorfall ereignet. Danach sei der Beschwerdeführer einige Zeit in Haft gewesen und habe sich ansonsten wohlverhalten. Im Oktober 2018 habe er mit dem Konsum von Suchtgift begonnen und sie zunächst mit einem Messer mit dem Umbringen bedroht und „paranoid in der Wohnung nach einem fremden Mann gesucht“. Zuletzt habe der Beschwerdeführer herumgeschrien, nach Streit gesucht und sie schließlich mit einer Pistole bedroht, ferner sei er nach wie vor der Meinung, dass XXXX eine Beziehung mit einem anderen Mann unterhalte, den er wiederholt im Haus und in der Umgebung gesucht habe. Nachdem er gegen die Tür getreten und das Fenster eingeschlagen habe, habe sie der Polizei alles erzählt. Sie halte den Beschwerdeführer insbesondere wegen des Drogenkonsums für unberechenbar (ON 1 des Aktes des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien zur Zahl XXXX ). Das Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien legte diesen Sachverhalt seiner Entscheidung zu Grunde.
Zum mangelnden Respekt gegenüber fremden Vermögen tritt sohin auch mangelnder Respekt gegenüber der physischen Integrität dritter Personen, wobei klar erkennbar ist, dass sich der letzte Gewaltausbruch als Folge (neuerlichen) Drogenmissbrauchs darstellt und sich der Drogenmissbrauch – wie zuvor erörtert – als Folge der tristen wirtschaftlichen Lage und der mangelnden Integration in das Erwerbsleben darstellt. Die Sachverständige XXXX hält dazu in ihrem Gutachten unmissverständlich fest, dass der Suchtmitteleinfluss auch zukünftig die Begehung äquivalenter Delikte sowie auch Auseinandersetzungen mit der Ehefrau fördern würde und die Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich äquivalenter Handlungen wie tätlicher Übergriffe auf die Ehefrau ungünstig sei. Die ungünstige Gefährlichkeitsprognose ließe sich durch eine verlässliche Abstinenz von Suchtmitteln mindern.
Zentral und für das wiederholte Abgleiten des Beschwerdeführers in die Straffälligkeit auch nach der Verhängung eines zehnjährigen Aufenthaltsverbotes im Jahr 2010 ist somit der wiederholte Konsum und die Gewöhnung an Suchtmittel.
Der Beschwerdeführer begann im Jahr 2008 mit dem Konsum von Suchtgift. Er konsumierte zunächst Cannabis. Später – zumindest ab dem Jahr 2016 – konsumierte der Beschwerdeführer Heroin in Form des Rauchens auf einer Folie. Bei seiner Untersuchung durch die Sachverständige Dr. XXXX verschwieg der Beschwerdeführer den langjährigen Cannabiskonsum und legte auch – im Kontext der Feststellungen des Landesgerichtes für Strafsachen Graz im Urteil vom 14.03.2013 wahrheitswidrig – dar, dass er erst im 33. Lebensjahr (das wäre das Jahr 2014 gewesen) Personen kennengelernt habe, die Suchtgift konsumieren würden. Als Ursache für seinen Konsum führte der Beschwerdeführer weniger die unzureichende wirtschaftliche Situation und die mangelnde berufliche Verankerung an, sondern vielmehr die Behinderung seines Sohnes XXXX .
Der Suchtgiftkonsum des Beschwerdeführers führte nun nicht nur zu den zwei einschlägigen Verurteilungen, nämlich jener des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14.03.2013 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten und jener des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.02.2017 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten (die später bedingt nachgesehen wurde), sondern auch – wie bereits erörtert – in den Jahren 2018 und 2019 zu jenen willkürlich anmutenden Aggressionen gegen fremdes Eigentum, die teilweise Gegenstand des Urteiles des Landesgerichtes für Strafsachen für Strafsachen Wien vom 12.02.2020 waren. Mithin manifestierte sich die Gewöhnung des Beschwerdeführers an Suchtgift zuletzt nicht in einer einschlägigen Verurteilung, sondern setzte er im Zustand der Beeinträchtigung aufgrund des laufenden Suchtgiftkonsums strafbare Handlungen gegen andere Rechtsgüter.
Bereits ausgehend von den Umständen des Abgleitens in die Suchtgiftabhängigkeit kann das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen kaum erkennen, dass sich die familiären Gegebenheiten des Beschwerdeführers – wie nunmehr in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung behauptet wird – als stabilisierend darstellen. Vielmehr begann der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2008 mit dem Konsum von Cannabis und entfaltete rasch ein umtriebiges Wirken als Suchtgifthändler, war ihm die erste einschlägige Verurteilung im Jahr 2013 eintrug. Seiner Familie gegenüber verheimlichte er – zumindest den Angaben gegenüber der Sachverständigen Dr. XXXX zufolge – zunächst den Konsum von Suchtgift. Die in der Folge sich stabilisierende familiäre Situation, die auch zum Antrag auf Aufhebung des mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 04.10.2010 verhängten Aufenthaltsverbotes vom 02.04.2014 sowie zur neuerlichen Verehelichung am 02.11.2015 führte, bewirkte keinen Gesinnungswandel des Beschwerdeführers im Hinblick auf den Suchtgiftkonsum. Vielmehr steigerte sich das Konsumverhalten, indem der Beschwerdeführer mit dem Konsum von Heroin begann. Der Suchtgiftkonsum ging dabei rasch in eine entsprechende Abhängigkeit und einen stetigen täglichen Konsum zur Vermeidung von Entzugserscheinungen über (Gutachten der Sachverständigen Dr. XXXX , Seiten 10 und 14). Die familiären Bindungen des Beschwerdeführers – insbesondere die Verantwortung für seine Ehegattin und die gemeinsamen Söhne, wobei die Verantwortung gegenüber dem jüngsten Sohn XXXX an einer spastischen beinbetonten bilateralen Cerebralparese leidet, schon im Antrag auf Aufhebung des verhängten Aufenthaltsverbotes ausführlich thematisiert wurde – hielten den Beschwerdeführer somit schon in den Jahren 2015 und 2016 im Jahr 2016 nicht davon ab, mit dem Konsum von Heroin zu beginnen und in einen Abhängigkeitszustand einzutreten. Anstatt sich umgehend einer Therapie zu unterziehen, verheimlichte der Beschwerdeführer den Suchtgiftkonsum und versuchte zudem, diesen mit der schweren Erkrankung seines Sohnes und der damit einhergehenden Belastung zu erklären. Da der Beschwerdeführer jedoch mit dem Konsum von Cannabis schon im Jahr 2008 begann, als er von seiner Familie noch getrennt lebte, und die Befragung seiner Ehegattin als Ursache für instabile Situationen vielmehr Arbeitslosigkeit und mangelnden Erfolg bei der Arbeitssuche in den Raum stellte, stellt sich die Verantwortung des Beschwerdeführers für das Bundesverwaltungsgericht als nicht aufrichtig dar. Wenn in diesem Zusammenhang im Gutachten der Sachverständigen XXXX festgestellten wird, dass due Auslöser eigenen Fehlverhaltens vom Beschwerdeführer eher in der äußeren Umgebung als bei sich selbst gesehen werden und er immer wieder zur ihr hoher Irritabilität und Affektlabilität neige, gelangt das Bundesverwaltungsgericht vielmehr zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer die Leiden seines Sohnes als vorgeschobene Erklärung für die im eigenen Persönlichkeitsbild gelegene Unzulänglichkeiten – die eine Anfälligkeit des Beschwerdeführers für Suchmittelmissbrauch begründen (die Sachverständige XXXX erwähnt etwa erhöhte Gewaltbereitschaft, eine Persönlichkeitsakzentuierung bzw. Persönlichkeitsstörung, sowie einen grenzwertig hohen Psychopathiescore) – gebraucht. Sein Standpunkt, dass er wegen der Leiden seines Sohnes XXXX habe Suchtgift konsumieren müssen, um die von der familiären und gesundheitlichen Situation ausgehende „Belastung … besser zu bewältigen“ (Gutachten der Sachverständigen Dr. XXXX , Seite 14), ist jedenfalls nicht mit dem Standpunkt in Einklang zu bringen, dass die Hinwendung zur Familie für Stabilität sorgen würde und der Beschwerdeführer nur deshalb in Österreich geblieben sei bzw. nunmehr in Österreich bleiben müsse, um seine Familie und insbesondere XXXX zu unterstützen. Im gegebenen Zusammenhang verwundert auch, dass der Beschwerdeführer die angebliche Belastung durch seinen Sohn XXXX nicht im Wege einer Psychotherapie oder anderweitigen professionellen Behandlung zu bewältigen versuchte, sondern im Wege des Rauchens von Heroin.
Überhaupt ist schwer nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer einerseits wie im Sachverständigengutachten beschrieben zunächst lange Zeit seines Lebens abstinent war (ungeachtet der Frage, ob er nun 2008 im Alter von ca. 27 Jahre oder 2014 im Alter von 33 Jahren mit dem Konsum von Suchtgift begann) und dann doch noch mit dem Konsum von Suchtgift und in der Folge sogar begann, damit zu handeln, anstatt sich in ärztliche Behandlung bzw. Therapie zu begeben. Die Umstände weisen auf eine geringe Hemmschwelle im Umgang mit Suchtgift hin und verdeutlichen auch die fortschreitende Destabilisierung der (persönlichen) Situation des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, die mit einem sich steigernden Konsum verbunden war.
Gegenüber dem Sachverständigen Dr. XXXX schilderte der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang am 03.03.2017 etwa, dass er zuletzt täglich Heroin konsumiert habe und Entzugserscheinungen wie Kälte und Rückenschmerzen verspürt habe. Schon nach einer Woche des Konsums habe er sich psychisch und physisch abhängig geführt. Der Suchtgiftkonsum bewirkte, dass er „sehr schlimme Dinge mache“, er vergesse Termine und sei unzuverlässig. Wiewohl der Beschwerdeführer in der Folge bei der Selbsteinschätzung im Hinblick auf eine mögliche Therapie im Zusammenhang mit der eigenen Stärke und der Wahrscheinlichkeit eines positiven Therapieabschlusses jeweils Bestwerte (!) angab und er die Schwierigkeit einer Drogentherapie demgegenüber äußerst gering einschätzte, gelang es ihm augenscheinlich nicht, seine Suchtgiftabhängigkeit vor der Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am 16.02.2017 infolge eines eigenen Entschlusses durch Inanspruchnahme einer Therapie oder anderweitiger Unterstützung zu bewältigen. Es bedurfte vielmehr eines strafgerichtlichen Verfahrens und der Aussicht auf die Rechtswohltat des § 39 Abs. 1 SMG, um den Beschwerdeführer zu einer Therapie zu bewegen. Demgemäß stellte die Sachverständige in ihrem Gutachten auch fest, dass die Therapiefähigkeit des Beschwerdeführers als eher gering eingeschätzt werden müsse, zumal die Kritikfähigkeit im Hinblick auf die eigene Person herabgesetzt bzw. kaum vorhanden sei und sich der Beschwerdeführer nur in positiven Zügen zu beschreiben wisse, nicht aber negativen Zügen und in eigenen Schwächen. Die positiven Erfolgsaussichten ortete die Sachverständige nicht aufgrund des Persönlichkeitsbildes des Beschwerdeführers, sondern wegen der vergleichsweise kurzfristigen Abhängigkeit (Gutachten der Sachverständigen Dr. XXXX , Seite 15), wobei der Beschwerdeführer – wie bereits erwähnt – den schon im Jahr 2008 beginnenden Konsum von Cannabis verschwiegen hat.
Dass der eigenen Familie die Suchtgiftabhängigkeit in einer solchen Situation des nahezu täglichen Missbrauchs und der beschriebenen Entzugserscheinungen sowie der Begehung von „sehr schlimme[n] Dinge[n]“ sowie mangelnder Termintreue verborgen bleibt, ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht anzunehmen. Dennoch bewahrte das familiäre Netzwerk den Beschwerdeführer nicht vor einem weiteren Absinken – nämlich in die Kriminalität – und fungierte auch nicht in der Weise ordnend, dass der Beschwerdeführer zu einer Therapie gegen die Suchtgiftabhängigkeit oder zumindest zur Bewältigung seiner angeblichen schweren Belastung durch den gesundheitlichen Zustand seines Sohnes XXXX veranlasst wurde.
3.2.4. Wie eingangs bereits angesprochen wurde der Beschwerdeführer in Zusammenhang mit seinem Suchtgiftkonsum zweimal wie festgestellt strafgerichtlich verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14.03.2013, 16 Hv 133/12z, wurde der Beschwerdeführer des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 vierter und fünfter Fall SMG, teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuches nach § 15 StGB, sowie des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall SMG schuldig erkannt und gemäß § 28a Abs. 1 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten verurteilt.
Demnach hat der Beschwerdeführer in Graz und in Wien vorschriftswidrig Suchtgift
I. in einer die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge
1. anderen angeboten, indem er im Zeitraum von Jänner 2012 bis 16.3.2012 200g bis 300 g Kokain mit in Aussicht gestelltem Reinheitsgehalt von ca. 90 % zum Grammpreis von EUR 65,00 bis 70,00 einem abgesondert verfolgten Dritten zum Kauf anbot;
2. anderen zu überlassen versucht, indem er Ende Jänner 2012 1.800 g Cannabiskraut zum Preis von EUR 2.500,00 pro Kilogramm einem abgesondert verfolgten Dritten zum Kauf anbot, wobei das Suchtgift in einer Tasche mit sich führte und der Abschluss des Geschäftes nur daran scheiterte, dass der abgesondert verfolgte Dritte nicht über die entsprechende Menge Bargeld verfügte;
3. anderen überlassen, indem er im Zeitraum von Ende Jänner 2012 bis 16.03.2012 ca. 1000 g Cannabiskraut zum Preis von rund EUR 2.500,00 pro Kilogramm an einen abgesondert verfolgten Dritten verkaufte, er weiters ca. 750 g Cannabiskraut gegen eine Anzahlung von EUR 500,00 an eine abgesondert verfolgten Dritten verkaufte, er weiters ca. 700 g Cannabiskraut gegen eine Anzahlung von EUR 950,00 an einen abgesondert verfolgten Dritten verkaufte und er schließlich ca. 2000 g Cannabiskraut zum Preis von EUR 4.500,00 pro Kilogramm einem abgesondert verfolgten Dritten verkaufte, wobei aufgrund der Sicherstellung von 689,6 g Cannabiskraut von einer bestimmten ausgewerteten Qualität ausgegangen werden konnte;
II. erworben und besessen, indem er im Zeitraum von Anfang des Jahres 2008 bis 16.03.2012 unbekannte Mengen Cannabiskraut konsumierte.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Graz als mildernd keinen Umstand, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und Verbrechen. Die Erschwerungsgründe überwogen somit deutlich.
Im Anschluss wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.02.2017, 61 Hv 8/17t, des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 5 SMG, ferner des Vergehens der Verbreitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 4 erster Fall SMG und schließlich des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG schuldig erkannt und gemäß § 28 Abs. 1 StGB nach § 28 Abs. 4 erster Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.
Demnach hat der Beschwerdeführer in Wien vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Heroin, in zumindest durchschnittlicher Straßenqualität
I. anderen teils entgeltlich überlassen, wobei er ab der dritten entgeltlichen Tathandlung gewerbsmäßig handelte, wobei er selbst an ein Suchtmittel, nämlich Heroin gewöhnt ist und die strafbaren Handlungen vorwiegend begangen, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, und zwar
A. einem Dritten zu einem konkret nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Oktober 2016 1 g durch Verkauf um EUR 30,00,
B. einem Dritten im Zeitraum sieben und 20.10.2016 bis 7.11.2016 in zwei Angriffen 2 g durch Verkauf um je EUR 30,00,
C. einem Dritten unentgeltlich, nämlich seit Anfang November 2016 bis zum 08.11.2016 eine konkret nicht mehr feststellbare Menge beim gemeinsamen Konsum sowie am 08.11.2016 drei Baggies zu je 2,0 g brutto;
II. in einer die Grenzmenge des § 28b SMG mehrfach übersteigenden Menge von 69 g mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, am 04.11.2016 erworben und bis zum 08.11.2016 besessen, wobei er selbst an ein Suchtmittel, nämlich Heroin gewöhnt ist und die strafbaren Handlungen vorwiegend beging, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen;
III. im Zeitraum Ende November 2015 bis zum 08.11.2016 wiederholt ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.
Ein aus Suchtgiftgeschäften erlangter Geldbetrag von Euro 90,00 wurde gemäß § 20 Abs. 1 StGB für verfallen erklärt und das sichergestellte Suchtgift gemäß § 34 SMG und § 26 Abs. 1 StGB eingezogen.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Wien als mildernd das reumütige Geständnis sowie die Sicherstellung eines Teils des Suchtgiftes, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die einschlägigen Vorverurteilungen, der lange Tatzeitraum, die Begehung während offener Probezeit und den raschen Rückfall. Die Erschwerungsgründe überwogen somit deutlich.
Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.03.2017, 61 Hv 8/17t, wurde dem Beschwerdeführer hinsichtlich der verhängten Freiheitsstrafe von neun Monaten gemäß § 39 Abs. 1 SMG Strafaufschub bis 22.02.2019 gewährt, dies unter der Voraussetzung einer regelmäßigen ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustandes, einer medizinisch-psychiatrischen Behandlung einschließlich einer Entzugs und Substitutionsbehandlung sowie einer Psychotherapie.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits in zahlreichen Entscheidungen festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem nicht nur eine hohe Sozialschädlichkeit sondern erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 mwN; 26.11.1999, Zl. 99/21/0321) sowie dass eine durch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bewirkte Trennung von Familienangehörigen ist im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität in bestimmten Konstellationen in Kauf zu nehmen ist (VwGH 15.04.2020, Ra 2019/18/0270 mwN; 26.06.2019, Ra 2019/21/0034 mwN).
In Ansehung des dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14.03.2013 zu XXXX zugrundeliegenden Sachverhaltes und der Vorgeschichte fällt zunächst auf, dass der Beschwerdeführer seiner eigenen Darstellung zufolge zu diesem Zeitpunkt erst Cannabis konsumierte, er jedoch trotz eines nur kurzen inkriminierenden Tatzeitraums (Jänner 2012 bis 16.03.2012) einen große Menge unterschiedlichen Suchtgifts – nämlich Cannabiskraut und Kokain – an verschiedenen Orten in Österreich entgeltlich in Verkehr setzte und damit hohe Summen von mehreren tausend Euro erlöste bzw. zu erlösen versuchte. Ferner wurde der Beschwerdeführer wegen Besitzes und Eigenkonsum bestraft. Durch die begangenen Straftaten schädigte der Beschwerdeführer somit nicht nur sich selbst durch Beeinträchtigung seiner Gesundheit aufgrund Cannabiskonsums, sondern trug er – zur Verschaffung eines Einkommens – durch wiederholten Suchtgifthandel mit großen Mengen in einem sehr kurzen Tatzeitraum von nicht einmal drei Monaten dazu bei, Abnehmer in Wien und in Graz mit Kokain und Cannabis zu versorgen. Der Beschwerdeführer leistete somit mit seinem Verhalten dem (verbotenen) Konsum von Suchtmitteln im Bundesgebiet Vorschub. Die vom Beschwerdeführer verübte Übertretung das § 28a SMG führte auch zu gravierenden Nachteilen für Dritte, zumal diesen im Wege des Beschwerdeführers Zugang zu verbotenen Suchtmitteln eröffnet wurde.
Dazu tritt ein besonders schwerwiegender und im Anschluss noch gesondert zu erörternder Umstand, nämlich dass wider den Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt bereits ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot bestanden hat, welches lediglich aufgrund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtswirkung noch suspendiert war. Der Beschwerdeführer setzte dennoch – im Bewusstsein der wieder ihn aufgrund der vorangehenden Straffälligkeit bereits ausgesprochenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme, die den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor der vom Beschwerdeführers ausgehenden Gefährdung bezweckte – weitere strafbare Handlungen und beging sogar ein Verbrechen. Ihn konnten zu diesem Zeitpunkt weder das aufgrund der vorangehenden strafgerichtlichen Verteilungen drohende Haftübel (die Probezeit aufgrund des Urteils des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.01.2011, XXXX , war noch nicht abgelaufen), noch die ihm wiederholt gewährte Rechtswohltat bedingter Strafnachsichten, noch ein bereits in zweiter Instanz ausgesprochenes zehnjähriges Aufenthaltsverbot von der Begehung eines Verbrechens abhalten. Er leistete nicht einmal der Aufforderung zum Strafantritt Folge und musste zwangsweise in die Justizanstalt verbracht werde. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes zeigte sich bereits zu diesem Zeitpunkt, dass sämtliche möglichen präventiven Maßnahmen in Ansehung des Beschwerdeführers keine Wirkung entfalten (sodass auch vollkommen unverständlich ist, weshalb der Beschwerdeführer nicht im Anschluss an die Strafhaft in die Türkei abgeschoben wurde).
Im Anschluss wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.02.2017, XXXX , des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 5 SMG, ferner des Vergehens der Verbreitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 4 erster Fall SMG und schließlich des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG schuldig erkannt und gemäß § 28 Abs. 1 StGB nach § 28 Abs. 4 erster Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.
Demnach hat der Beschwerdeführer in Wien vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Heroin, in zumindest durchschnittlicher Straßenqualität
I. anderen teils entgeltlich überlassen, wobei er ab der dritten entgeltlichen Tathandlung gewerbsmäßig handelte, wobei er selbst an ein Suchtmittel, nämlich Heroin gewöhnt ist und die strafbaren Handlungen vorwiegend begangen, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, und zwar
A. einem Dritten zu einem konkret nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Oktober 2016 1 g durch Verkauf um EUR 30,00,
B. einem Dritten im Zeitraum sieben und 20.10.2016 bis 7.11.2016 in zwei Angriffen 2 g durch Verkauf um je EUR 30,00,
C. einem Dritten unentgeltlich, nämlich seit Anfang November 2016 bis zum 08.11.2016 eine konkret nicht mehr feststellbare Menge beim gemeinsamen Konsum sowie am 08.11.2016 drei Baggies zu je 2,0 g brutto;
II. in einer die Grenzmenge des § 28b SMG mehrfach übersteigenden Menge von 69 g mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, am 04.11.2016 erworben und bis zum 08.11.2016 besessen, wobei er selbst an ein Suchtmittel, nämlich Heroin gewöhnt ist und die strafbaren Handlungen vorwiegend beging, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen;
III. im Zeitraum Ende November 2015 bis zum 08.11.2016 wiederholt ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.
Ein aus Suchtgiftgeschäften erlangter Geldbetrag von Euro 90,00 wurde gemäß § 20 Abs. 1 StGB für verfallen erklärt und das sichergestellte Suchtgift gemäß § 34 SMG und § 26 Abs. 1 StGB eingezogen.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Wien als mildernd das reumütige Geständnis sowie die Sicherstellung eines Teils des Suchtgiftes, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die einschlägigen Vorverurteilungen, der lange Tatzeitraum, die Begehung während offener Probezeit und den raschen Rückfall.
Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.03.2017, XXXX , wurde dem Beschwerdeführer hinsichtlich der verhängten Freiheitsstrafe von neun Monaten gemäß § 39 Abs. 1 SMG Strafaufschub bis 22.02.2019 gewährt, dies unter der Voraussetzung einer regelmäßigen ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustandes, einer medizinisch-psychiatrischen Behandlung einschließlich einer Entzugs und Substitutionsbehandlung sowie einer Psychotherapie.
Aus der einschlägigen strafgerichtlichen Verurteilung ist der Schluss zu ziehen, dass der Beschwerdeführer selbst durch den Vollzug einer langen Freiheitsstrafe einerseits nicht von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abgehalten werden konnte und sich andererseits – wie vorstehend erörtert – auch sein eigenes Konsumverhalten hin zum Rauchen von Heroin verlagerte. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht zu berücksichtigen hat, dass das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.02.2017 keine Verurteilung wegen eines Verbrechens umfasst und die unbedingte Freiheitsstrafe letztlich doch – nach einer wirkungslosen Therapie aber dennoch rechtskräftig – nachgesehen wurde, zeigt sich dennoch, dass der Beschwerdeführer neuerlich entgeltlich Suchtgift in Verkehr setzte – wenn auch die strafbaren Handlungen nunmehr vorwiegend deshalb begangen wurden, um für den persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu erlangen – und ihm eine neuerliche Verurteilung wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nur deshalb erspart blieb, weil zu Teil I. des Schuldspruches keine Überschreitung der Grenzmenge vorlag, sondern nur zu Teil II. des Schuldspruches. Dennoch ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer Heroin in einer die Grenzmenge des § 28b SMG mehrfach übersteigenden Menge bereits mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, am 04.11.2016 erworben und bis zum 08.11.2016 besessen hat. Der Unwertsgehalt und die Sozialschädlichkeit des Deliktes nach § 28 Abs. 1 SMG bleibt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes zwar freilich hinter jedem des Verbrechens nach § 28a Abs. 1 SMG zurück, jedoch handelt es sich um ein Vorbereitungsdelikt und es ist fallbezogen von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer bereits einzelne Verkaufshandlungen gesetzt hat und bereits genügend Suchtgift für weitere Verkaufshandlungen beschafft hatte. Auch wenn seine weiteren Verkaufshandlungen durch die einsetzende Strafverfolgung vereitelt wurden und das Suchtgift sichergestellt werden konnte, ist klar, dass es der Beschwerdeführer auch nach seiner Verurteilung im Jahr 2013 und dem Vollzug einer unbedingten Freiheitsstrafe nicht beim Eigenkonsum beließ, sondern er in neuerlicher Missachtung der Rechtsordnung Ankaufs- und Verkaufsaktivitäten von Suchtgift aufnahm, um sich ein Einkommen zur Finanzierung der eigenen Abhängigkeit zu erwirtschaften. Der Beschwerdeführer setzte die Tathandlungen in den Jahren 2016 neuerlich (a) während des aufrechten Aufenthaltsverbotes, welches gerade der Verhinderungen weiterer Straftaten im Bundesgebiet dienen sollte, (b) während des anhängigen Verfahrens aufgrund des Antrages vom 02.04.2014 zur Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes, in welchem der Beschwerdeführer einen angeblich eingetretenen Gesinnungswandel sowie das gewünschte weitere Zusammenleben mit seiner Familie zur Begründung anführt, sowie (c) während offener Probezeit in drei Fällen und (d) nach Verspüren des Haftübels. Daraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass der Beschwerdeführer fremdenrechtlichen Maßnahmen, bedingten Strafnachsichten und selbst dem Vollzug der Strafhaft gleichgültig gegenübersteht und er darüber hinaus in einem vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängigen fremdenrechtlichen Verfahren mit einem Gesinnungswandel und seinen familiären Bindungen argumentiert und gleichzeitig weiterhin Straftaten begeht. Bereits an dieser Stelle ist festzuhalten, dass das Verhalten des Beschwerdeführers jeglichen Respekt vor der Strafrechtsordnung und den fremdenrechtlichen Vorschriften vermissen lässt und die weitere Begehung von strafbaren Handlungen ungeachtet der erörterten Umstände aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass vom Beschwerdeführer eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht.
Der Beschwerdeführer wurde nach der bedingten Strafnachsicht aus der Strafhaft auf freien Fuß gesetzt. Am 23.03.2017 trat er eine ambulante Therapie bei der Institution XXXX in Wien an. Diese Institution übermittelte dem Landesgericht für Strafsachen Wien am 25.05.2018 einen positiven Abschlussbericht, wonach sich der Beschwerdeführer während der Therapie als zuverlässig und verantwortungsbewusst erwiesen habe. Die vereinbarten therapeutischen Ziele, etwa die soziale und berufliche Reintegration, den Ausbau der familiären Stabilität sowie den eingeschlagenen, abstinenzorientierten Lebensstil zu stärken und nachhaltig zu etablieren, sei erreicht worden. Die vom Beschwerdeführer abgegebenen Harntests wären stets negativ gewesen. Aufgrund des positiven Endbericht wurde die wider den Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.02.2017, XXXX , verhängte Freiheitsstrafe mit Beschluss vom 10.07.2018 unter der Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren gemäß § 40 Abs. 1 SMG bedingt nachgesehen.
In Anbetracht der folgenden Ereignisse (ausweislich des Gutachtens der Sachverständigen XXXX gab der Beschwerdeführer schon am 18.10.2018 eine positive Harnprobe mit Spuren von Kokain, Benzodiazepinen, Cannabis, und Methadon, somit nach multiplem Konsum, ab) ist die Therapie als misslungen anzusehen und es wurde der Beschwerdeführer umgehend rückfällig. Bis zu seiner Festnahme am 25.09.2019 setzte der Beschwerdeführer seinen Konsum fort.
Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12.02.2020, XXXX , des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125 und 126 Abs. 1 Z. 7 StGB, des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 und zwei StGB, des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs. 1 StGB, des Vergehens gegen das Waffengesetz nach § 50 Abs. 1 Z. 3 WaffG sowie des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB schuldig erkannt und gemäß § 28 StGB nach § 126 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
Demnach hat der Beschwerdeführer in Wien
A. fremde bewegliche Sachen beschädigt, wodurch ein Schaden von mehr als EUR 5.000,- entstand und zwar
I. am 16.10.2018 den PKW Land-Rover Freelander zweier Dritter, indem er die rechte hintere Scheibe mit einem Baseballschläger einschlug, eine unbekannte Flüssigkeit in den Kofferraumbereich schüttete, diese anzündete und den linken vorderen und beide hinteren Reifen des PKW mit einem Küchenmesser aufstach, wodurch ein Schaden in Höhe von EUR 11.000,00 entstand;
II. am 16.10.2018 den PKW Kia eines Dritten, indem er die Reifen links vorne und links hinten mit einem Küchenmesser aufstach, wodurch ein nicht mehr festzustellender Schaden entstand;
III. am 16.10.2018 den PKW Toyota Auris eines Dritten, indem er zwei Reifen mit einem Küchenmesser aufstach, wodurch ein nicht mehr festzustellender Schaden entstand;
IV. am 16.01.2019 in Wien das Küchenfenster der an XXXX vermieteten Wohnung, sohin eine fremde bewegliche Sache, vorsätzlich beschädigt, indem er es mit einem unbekannten Gegenstand einschlug, wodurch es zu Bruch ging (Schaden unter EUR 3.000,-);
B. am 22.3.2018 Vollmachten durch Einsetzen der Unterschrift einer Dritten durch ihn selbst, somit echte Urkunden mit dem Vorsatz verfälscht, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache, nämlich zu Durchführung von eigenmächtigen Handlungen in der Firma der Dritten, gebraucht werden und diese durch Vorlage bei einem Steuerberater auch gebraucht;
C. am 17.01.2019 in Wien im Zuge einer Beschuldigtenvernehmung Beamten der Landespolizeidirektion Wien, mithin zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten, durch die Behauptung, zwei unbekannte Täter hätten ihm am 16.01.2019 mit Gewalt gegen seine Person fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in Höhe von EUR 400,00, ein Schweizer Messer und Suchtgift mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie ihn festhielten und an der Wand fixierten, die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB wissentlich vorgetäuscht;
D. am 05.03.2019 ein Fixiermesser und einen als Taschenlampe getarnten Elektroschocker, somit Waffen besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten war;
E. am 28.08.2019 einem Taxilenker unter Vortäuschung der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit eine Dienstleistung, nämlich eine Taxifahrt im Wert von EUR 22,00 herausgelockt, indem er die Leistung in Anspruch nahm, den Fuhrlohn jedoch mit dem Vorsatz nicht bezahlte, sich oder einen Dritten durch das Verhalten des Getäuschten, nämlich die Erbringung der Dienstleistung in Erwartung, dass diese auch entlohnt wird, unrechtmäßig zu bereichern.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen Wien als mildernd das teilweise Geständnis und die reduzierte psychische Verfassung des Beschwerdeführers, als erschwerend das Vorliegen mehrerer einschlägiger Vorstrafen sowie das Zusammentreffen mehrerer Straftaten.
Ausgehend davon ist evident, dass die sich die Folgedelinquenz des Beschwerdeführers nicht nur auf Suchtgiftdelikte beschränkte, sondern zwei Vermögensdelikte begangen wurden und willkürlich anmutende Aggressionen gegen fremdes Eigentum gesetzt wurden. Dass der Beschwerdeführer auch noch die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung vortäuschte und ein Fixiermesser und einen als Taschenlampe getarnten Elektroschocker trotz rechtskräftigen Waffenverbotes besaß, fällt dabei gar nicht mehr entscheidend ins Gewicht.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes wiegt besonders schwer, dass der Beschwerdeführer trotz einer absolvierten Drogentherapie nur wenige Wochen nach deren Abschluss neuerlich rückfällig wurde, wobei sich ausweislich der Angeben seiner Ehegattin als destabilisierend wiederum wirtschaftliche Schwierigkeiten aufgrund des Verlustes eines Arbeitsplatzes (offenbar ohne einen neuen Arbeitsplatz zu finden) erwiesen und nicht wie vom Beschwerdeführer vorgeschoben die physischen Leiden seines Sohnes. Wie bereits angesprochen hielt den Beschwerdeführer auch in den Jahren 2018 und 2019 weder seine Verankerung in seiner Kernfamilie von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen ab, noch das weiterhin aufrechte Aufenthaltsverbot und bedingte Strafnachsichten in mehreren Fällen. Vielmehr ereignete sich gerade in den Jahren 2018 und 2019 der bislang massivste Einbruch des Beschwerdeführers, einhergehend mit der Vorstellung eines Komplotts seiner Ehegattin und eines angeblichen Nebenbuhlers gegen ihn bis zur gegenüber dem Strafgericht geäußerten Vermutung, dass in seinen Kopf ein Chip implantiert worden sei, der dem Beschwerdeführer seither ständig Probleme verursachen würde. Die vom Beschwerdeführer verübten Taten führte auch zu gravierenden Folgen, nämlich an den von ihm demolierten Fahrzeugen – eine Schadensgutmachung wurde vom Beschwerdeführer nicht geleistet – sowie am Küchenfenster der Wohnung. Mit den von ihm gesetzten Vermögens- bzw. Urkundendelikten beeinträchtige der Beschwerdeführer ferner die Rechtssicherheit im geschäftlichen Verkehr. Dass er mit seinem neuerlichen Rückfall und der Begehung mehrerer Vergehen eine massive Störung der Rechtsordnung zu vertreten hat, bedarf keiner weiteren Erörterung.
Der Beschwerdeführer hat somit seit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes im Jahr 2010 ein Verbrechen verübt, nämlich das Verbrechen des Suchtgifthandels gemäß nach § 28a Abs. 1 vierter und fünfter Fall SMG, teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuches nach § 15 StGB, einschließlich der damit einhergehenden weiteren Taten sowie eine namhafte Anzahl von Vergehen, nämlich jenes des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall SMG, des versuchten Diebstahls nach den §§ 15 und 127 StGB, des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 5 SMG, der Verbreitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 4 erster Fall SMG und des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG sowie der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125 und 126 Abs. 1 Z. 7 StGB, der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 und zwei StGB, der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs. 1 StGB, des Vergehens gegen das Waffengesetz nach § 50 Abs. 1 Z. 3 WaffG sowie des Betruges nach § 146 StGB.
Das Verbrechen des Suchtgifthandles rechtfertigt aufgrund seiner Gravidität und des Zusammentreffens mit mehreren Vergehen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG 2005 aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ebenso, wie die Erlassung eines Einreiseverbotes gemäß § 52 Abs. 3 FPG 2005.
Insbesondere kann nicht von einem einmaligen Fehlverhalten des Beschwerdeführers gesprochen werden, auch nicht davon, dass er lediglich als Konsument in das Suchtgiftmilieu abglitt und nur gegen das SMG zuwiderhandelte. Vielmehr entfaltete der Beschwerdeführer im Jahr 2012 noch ohne gravierende Suchtgiftabhängigkeit zur Erwirtschaftung von finanziellen Mitteln innerhalb eines kurzen inkriminieren Zeitraums von nicht einmal drei Monaten eine hohe Menge an Suchtgift und hohe Erlöse umfassenden Suchtgifthandel, dies obwohl bereits ein Aufenthaltsverbot erlassen worden war und er bereits wiederholt in den Genuss bedingter Strafnachsichten kam. In der Folge konnten ihn weder das Haftübel, noch weitere bedingte Strafnachsichten von der Behebung strafbarer Handlungen abhalten. Während der Beschwerdeführer vor dem belangten Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht in den Jahren 2015 und 2016 ein Verfahren zur Aufhebung des Aufenthaltsverbotes betrieb – er leistete diesem Aufenthaltsverbot niemals Folge – und sich als geläuterte und – in seinen Familienverband eingebettete Person deklarierte, setzte er bereits wieder strafbare Handlungen und brachte Suchtgift entgeltlich in Verkehr. In der Folge erwies sich eine Therapie ebenso als wirkungslos, wie eine bedingte Strafnachsicht nach § 39 Abs. 1 SMG. Vielmehr nahm der Beschwerdeführer wenige Wochen nach Abschluss der Therapie wegen Arbeitsplatzverlustes und mangels anderweitiger Bewältigungsstrategien bei wirtschaftlichen und beruflichen Rückschlägen den Konsum von Heroin wieder auf es kam zu einem gravierenden Kontrollverlust Endes des Jahres 2018 bzw. zu Beginn des Jahres 2019, der zur letzten Verurteilung sowie einer mehrmonatigen Inhaftierung führte.
Mit seinem Verhalten demonstrierte der Beschwerdeführer zusammenfassend eindrucksvoll die von ihm ausgehende – und in Anbetracht der Begehung von Suchtgifthandel – schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Es mag im gegebenen Zusammenhang zutreffen, dass der Beschwerdeführer nur einmal wegen eines Verbrechens verurteilt wurde und er bislang nur zwei unbedingte Haftstrafen zu verbüßen hatten. Dem steht indes gegenüber, dass der Beschwerdeführer insgesamt neun Verurteilungen aufweist (die teilweise mehrere in zeitlicher Nähe begangene Straftaten umfassen, sodass tatsächlich – wie in der Feststellungen ausführlich dargestellt wird – mehr gerichtlich zur Verantwortung gezogene strafbare Handlungen als Verurteilungen vorliegen), er seit dem Jahr 2005 regelmäßig strafbare Handlungen setzt und mit Ausnahme der Zeit in Haft nach der Verurteilung im Jahr 2012 keine längeren Phasen des Wohlverhaltens zu verzeichnen sind, ferner dass sich Rechtswohltaten wie mehrfache bedingte Strafnachsichten ebenso als wirkungslos erwiesen wie das verspürte Haftübel und schließlich dass der Beschwerdeführer weder von einem verhängten Aufenthaltsverbote von der Begehung strafbareren Handlungen abhalten ließ, noch von seinen wiederholt betonten familiären Bindungen zu Ehegattin und Kindern.
Darüber hinaus zeugt sein Verhalten von einer niedrigen Hemmschwelle in Bezug auf Suchtgift, Gewalttätigkeiten und der Achtung fremden Eigentums. Der Beschwerdeführer ließ sich – ohne erkennbare Widerstandskraft und ohne erkennbaren Grund – zunächst zum Konsum von Cannabis verleiten und war in der Folge nicht in der Lage, das Abgleiten in den Heroinkonsum zu verhindern. Bereits einmal erwies sich eine Therapie gegen den Heroinkonsum als wirkungslos, wobei der Beschwerdeführer schon von der Sachverständigen Dr. XXXX in seiner Therapiefähigkeit als eher gering eingeschätzt wurde, da die Kritikfähigkeit im Hinblick auf die eigene Person herabgesetzt bzw. kaum vorhanden sei und sich der Beschwerdeführer nur in positiven Zügen zu beschreiben wisse, nicht aber negativen Zügen und in eigenen Schwächen. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes fällt besonders ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer als Ursache für die Suchtgiftabhängigkeit in der Vergangenheit stets die Belastung durch die gesundheitliche Lage des Sohnes ins Treffen führte, anstelle sich den in seiner Persönlichkeitsstruktur gelegenen Ursachen zu stellen oder zumindest therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, um den Eintritt der Suchtmittelabhängigkeit abzuwenden. Er suchte keine medizinische Hilfe und es kam im Beweisverfahren auch nicht hervor, dass er im Stadium der beginnenden Abhängigkeit Halt und Unterstützung im Familienverband suchte bzw. erlangte.
Dazu treten die zahlreichen und gravierenden Verwaltungsübertretungen, der letzten Jahre, insbesondere das mehrfache Lenken eines Fahrzeuges ohne Lenkerberechtigung, was eindrucksvoll verdeutlicht, dass der Beschwerdeführer der Rechtsordnung keine Achtung entgegen bringt und sich über diese nach Belieben hinwegsetzt.
Das Bundesverwaltungsgericht tritt daher der Anschauung des belangten Bundesamtes bei, dass vom Beschwerdeführer eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 52 Abs. 5 FPG 2005 und des § 53 Abs. 3 FPG ausgeht.
3.2.5. Für die nun anzustellende zukunftsgerichtete Prognose ist zunächst von Bedeutung, dass in der mündlichen Verhandlung nicht erkennbar war, dass sich der Beschwerdeführer mit seiner Neigung zu Suchtgift einerseits und den von ihm begangenen schweren Straftaten andererseits in einer Weise auseinandersetzen würde, die eine positive Prognose zulässt. Vielmehr gab er der Sachverständigen XXXX in ihren Ausführungen recht. Zu seinen strafbaren Handlungen verschwieg sich der Beschwerdeführer weitgehend.
Da der Beschwerdeführer sich in der Vergangenheit nicht kritisch mit seinem Heroinkonsum auseinandersetzte und auch die professionelle Hilfe in Gestalt einer Therapie nicht zur Abstinenz führte, sondern nach dem ersten Rückschlag nach Beendigung der Therapie vom Beschwerdeführer wiederum mit dem Missbrauch von Heroin begonnen wurde, wird er sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes mit hoher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin bei beruflichen oder privaten Rückschlägen anfällig für Suchtgiftkonsum zeigen. Neben der erfolglosen Therapie ergibt sich diese Einschätzung einerseits daraus, dass der Beschwerdeführer derzeit nicht einmal eine neuerliche Therapie absolviert und er darüber hinaus auch zuletzt Kontakt mit Suchtgiftkonsumenten hatte bzw. in seinem Fahrzeug Suchtgift gefunden wurde. Zwar wirkte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung gegenüber den Ursachen seiner Suchtgiftabhängigkeit etwas aufgeschlossener als noch bei der Begutachtung durch die Sachverständigen, allerdings zeigt die neuerliche Begehung von Verwaltungsübertretungen sowie das Auffinden von Suchtgift im Fahrzeug ohne jeden Zweifel, das sich der Beschwerdeführer von Suchtgift und dem Suchtgiftmilieu nicht erfolgreich distanzieren kann oder will. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt sohin zur Anschauung, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass der Beschwerdeführer insbesondere bei beruflichen und privaten Rückschlägen – erstere bahnen sich derzeit an, da der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel verfügt und keinen sicheren Arbeitsplatz in Aussicht hat – weiterhin Suchtgift konsumiert und er – mangels entsprechend hoher verfügbarer finanzieller Mittel zur Finanzierung des Konsums – neuerlich strafbare Handlungen zu diesem Zweck begeht, wie es bereits im Zeitraum 2015 und 2016 der Fall war. Bereits der Verwaltungsgerichtshof verweist auf die erfahrungsgemäß hohe Wiederholungsgefahr bei Suchtgiftdelinquenz (VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014). Ausweislich der vorstehenden Erwägungen ist auch in Ansehung des Beschwerdeführers zum Entscheidungszeitpunkt von einer hohen Wiederholungsgefahr auszugehen, dies nicht zuletzt auch da der hinkünftig Therapieerfolg nicht beurteilbar ist und eine Therapie bereits in der Vergangenheit wirkungslos war.
Wenn der Beschwerdeführer schließlich in seinem Rechtsmittel und in der mündlichen Verhandlung betont, ein harmonisches Familienleben zu führen, hat es den Beschwerdeführer nicht davon abgehalten, schwere Straftaten zu begehen und jahrelang immer wieder straffällig zu werden. Ausgehend davon kann das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennen, weshalb sein harmonisches Familienleben in Hinkunft ihn am neuerlichen Konsum von Suchtmitteln bzw. an der Begehung strafbarer Handlungen hindern sollte.
3.2.6. Eine positive Prognose war in Anbetracht der rezenten gravierenden strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers zusammenfassend schon zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht möglich. Um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, bedarf es demnach eines Zeitraums des Wohlverhaltens, wobei in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich ist (VwGH 22.03.2018, Ra 2017/22/0194). Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (VwGH 04.03.2020, Ra 2020/21/0035 mwN). Bei strafbaren Handlungen infolge Gewöhnung an Suchtmittel bedarf es der Rechtsprechung zufolge eines maßgeblichen Zeitraums des Wohlverhaltens zusätzlich zum Abschluss einer Therapie, um einen Wegfall der Gefährdung annehmen zu können (VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014; 22.05.2014, Ro 2014/21/0007 mwN).
Der Beschwerdeführer wurde erst vor kurzer Zeit, nämlich am 04.09.2020, aus der Strafhaft entlassen. Er verbrachte jedoch in der Folge noch einige Wochen bis zum 16.10.2020 im Verwaltungsarrest. Ein Wohlverhalten in Freiheit von maßgeblicher Dauer liegt (noch) nicht vor. Auch aus den dem Beschwerdeführer in der Strafhaft gewährten Vergünstigungen und Therapien lässt sich keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Verhalten ergebenden Gefährdung ableiten (vgl. zum Status eines Strafhäftlings als Freigänger VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0143). In Anbetracht der erst kurzen Zeit seit Verbüßung der Strafhaft sowie des Umstandes, dass eine Therapie schon einmal wirkungslos war und derzeit noch keine neue Therapie absolviert wird, ist nicht von einem Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden schweren Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit auszugehen.
Ein entscheidungserhebliches Wohlverhalten in Freiheit liegt in Anbetracht des Vorlebens und der noch nicht entscheidend ins Gewicht fallenden Zeit von sieben Monaten seit der Entlassung aus der Haft nicht vor. Darüber hinaus trat der Beschwerdeführer neuerlich in Erscheinung und setzte (zugestandene) gravierende Übertretungen der StVO (er ist im Hinblick auf das Lenken von Kraftfahrzeugen ohne Lenkerberechtigung aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes als Widerholungstäter ohne jeden Ansatz zur Einsicht anzusehen), er unterhielt (zugestandenermaßen) Kontakt mit einem Freund aus der Suchtgiftszene und es wurde in seinem Fahrzeug Suchtgift (zugestandenermaßen) vorgefunden. Wieder den Beschwerdeführer wurde demgemäß auch ein neuerliches Strafverfahren eingeleitet, wobei die Staatsanwaltschaft Wien von der weiteren Verfolgung der Tat gemäß § 35 Abs. 9 SMG vorläufig zurückgetreten ist.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes lassen die erörterten Vorfälle im Dezember 2020 unzweifelhaft erkennen, dass sich der Beschwerdeführer nicht von der Suchtgiftszene distanzieren kann und bei ihm trotz des neuerlichen Vollzuges einer Freiheitsstrafe und trotz des hier anhängigen Verfahrens kein nachhaltiger Sinneswandel eingetreten ist. Von einer der Rechtsordnung verbundenen Person wäre in der vom Beschwerdeführer dargelegten Situation verlangen, dass er umgehend die Polizei verständigt, wenn er mit Suchtgift in Kontakt gerät bzw. den persönlichen Umgang mit Suchtgiftabhängigen meidet. Dazu tritt, dass der Beschwerdeführer selbst den neuerlichen Erwerb und Konsum von Suchtgift (nunmehr Kokain) eingestand – seine in diesem Verfahren leugnende Verantwortung stellt sich als nicht glaubwürdig dar – und deswegen ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Wohl zeigte sich der Beschwerdeführer bei der Erörterung seiner persönlichen Lage und seines Suchtgiftkonsums in der Vergangenheit in der mündlichen Verhandlung nicht uneinsichtig. Er stimmte etwa der Einschätzung der Sachverständigen XXXX betreffend seine Person zu und erkannte auch die mangelnde berufliche und finanzielle Stabilität als einen Risikofaktor. Das verwirklichte strafrechtliche Unrecht stritt er nicht ab, jedoch erfolgte keine nähere Einlassung auf die Frage, weshalb die wiederholte Gewährung bedingter Strafnachsichten oder die Bewährungshilfe in der Vergangenheit nicht zu einem Gesinnungswandel führte („Dazu habe ich keine Erklärung. Ich weiß es nicht, ob das jetzt die damalige Entwicklung von mir ist oder ein Unglück war, ich kann es nicht sagen. …“, vgl. Seite 7 der Verhandlungsschrift vom 12.01.2021). Problematisch ist in Ansehung des Beschwerdeführers sohin einerseits, dass er auch in der mündlichen Verhandlung eine nähere Auseinandersetzung mit negativen Zügen und eigenen Schwächen scheute – was bereits die Sachverständig Dr. XXXX kritisch hervorhob. Andererseits findet sich der Beschwerdeführer gerade eben wieder in einer belastenden Situation ohne Aufenthaltsperspektive und ohne legale Erwerbstätigkeit wieder und der Beschwerdeführer ist trotz des angeblich derzeit harmonischen Familienlebens bereits wieder in frühere Verhaltensmuster – nämlich Suchtgiftkonsum und eine schwerwiegende Übertretung der StVO – zurückgefallen.
Die Feststellung eines nachhaltigen Gesinnungswandels samt einer positiven Zukunftsprognose ist bei solch einem Sachverhalt derzeit unmöglich. Im gegenständlichen Fall ist in Anbetracht der jüngsten Vorgänge und des in der mündlichen Verhandlung gewonnen Eindrucks vom Beschwerdeführer davon auszugehen, sich der Beschwerdeführer weiterhin in einer instabilen Phase befindet und er weiterhin Nähe zur Suchtgiftszene sucht. Er verfügt – wie er selbst demonstrierte – auch gegenwärtig über die entsprechenden Kontakte zu Personen aus der Suchtgiftszene. Im gegebenen Zusammenhang wird nicht verkannt, dass dem Beschwerdeführer die Wohltat des § 35 Abs. 9 SMG zugute gekommen ist und er nicht wegen seines jüngsten Verhaltens strafgerichtlich verurteilt wurde (sodass in strafrechtlicher Hinsicht die Unschuldsvermutung zum Tragen kommt). Dennoch ist weiterhin gegebenen Nähe des Beschwerdeführers zur Suchtgiftszene sowie der vor der Polizei und der Staatsanwaltschaft zugestandene Suchtgiftkonsum im Rahmen der Gefährdungsprognose zu berücksichtigen, die strafrechtliche Unschuldsvermutung steht dem nicht entgegen (VfGH 26.11.2020, E 3393/2020; VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0064). Das Bundesverwaltungsgericht gelangt ob des festgestellten Sachverhaltes zum Schluss, dass in Ansehung des Beschwerdeführers im Hinblick auf die neuerliche Begehung von Suchtgiftdelikten und von Folgedelinquenz in Form von szenetypischer Begleitkriminalität eine äußerst hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist, da er keine hinreichende Widerstandskraft entwickelt hat, um den Kontakt zur Suchtgiftszene abzubrechen bzw. zumindest die drohende Verwicklung in strafbares Verhalten abzuwenden. Somit ist auch evident, dass der Gefährdungsmaßstab des § 52 Abs. 5 FPG 2005 jedenfalls weiterhin verwirklicht ist und vom Beschwerdeführer eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht, die aufgrund der geringen zeitlichen Distanz zu den verübten Straftaten einerseits und des in der mündlichen Verhandlung von der Persönlichkeit des Beschwerdeführers gewonnen Bildes und in Anbetracht der jüngsten Vorgänge als gegenwärtig und schwerwiegend zu beurteilen ist. Im Vergleich zum Sachverhalt, der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegt, ist außerdem aufgrund nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides eingetretenen weiteren Vorfälle und dem neuerlichen Suchtgiftkonsum von einem noch weiter erhöhten Grad der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers auszugehen.
3.2.7. Die auf § 52 Abs. 5 FPG 2005 gestützte Rückkehrentscheidung erweist sich demnach ebenso wie das verhängte Einreiseverbot als rechtmäßig.
In Anbetracht der vom Beschwerdeführer verwirklichten Straftaten stellt sich jedoch das zehnjährige Einreiseverbot als überhöht dar.
Um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, bedarf es grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens, wobei in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich ist (VwGH 22.03.2018, Ra 2017/22/0194).
Ein entscheidungserhebliches Wohlverhalten in Freiheit liegt in Anbetracht der kurzen Zeit seit der Entlassung aus der Haft wie gerade erörtert nicht vor. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist in einer Gesamtwürdigung des festgestellten Sachverhaltes und den Erwägungen in Bezug auf die aus den jüngste Vorfällen abzuleitende vom Beschwerdeführer ausgehende aktuelle und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ein auf die Dauer von vier Jahren und sechs Monaten befristetes Einreiseverbot erforderlich, währenddessen der Beschwerdeführer sein Wohlverhalten unter Beweis zu stellen hat. Das belangte Bundesamt hat noch ein zehnjähriges Einreiseverbot für erforderlich gehalten, allerdings darf das Ausschöpfen der Höchstfristen für ein Einreiseverbot nicht regelmäßig erfolgen, sondern es ist bei der Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes einerseits unter Bewertung des bisherigen Verhaltens prognostisch darauf abzustellen, wie lange die Gefährdung bestehen bleiben werde, und andererseits auch auf die privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009). Da dem angefochtenen Beschied – wie bereits in der Beweiswürdigung angesprochen – eine nachvollziehbare Begründung hinsichtlich der Ausschöpfung der Höchstdauer hinsichtlich des Einreiseverbotes gänzlich fehlt, scheint das belangte Bundesamt offenbar von einem dahingehenden Automatismus auszugehen. Ein solcher Automatismus liegt dem Gesetz jedoch gerade nicht zugrunde.
Hinsichtlich der Dauer des Einreiseverbotes ist zunächst maßgeblich, dass der Beschwerdeführer zwar regelmäßig straffällig wurde, sich jedoch unter seinen zahlreichen Verurteilungen nur eine Verurteilung wegen eines Verbrechens findet und die Strafgerichtsbarkeit auffällig oft bedingte Strafnachsichten gewähre. Bei den Strafzumessungen halten sich die Milderungs- und Erschwerungsgründe im Allgemeinen die Waage. Schon deshalb ist die Ausschöpfung der Höchstfrist von zehn Jahren im gegenständlichen Fall nicht angezeigt. Einer maßgeblichen Reduktion des verhängten Einreiseverbotes deutlich unter fünf Jahre steht entgegen, dass der Beschwerdeführer zuletzt neuerlich Kontakt mit der Suchtgiftszene unterhielt und ohne Lenkerberechtigung ein Fahrzeug lenkte – mithin neuerliche jene Verhaltensweisen setzte, die in der Vergangenheit zu einem Abgleiten in kriminelle Handlungen führten, sodass nicht nur von einer anhaltenden, sondern aktuelle von einem erhöhten Grad der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers auszugehen ist, die eine längere Phase des Wohlverhaltens im Herkunftsstaat erfordert.
Mit einem Einreiseverbot für die Dauer von vier Jahren und sechs Monaten wird die Höchstfrist von zehn Jahren nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft. Es wird mit der Herabsetzung der zeitlichen Dauer des Einreiseverbotes den erörterten Umständen betreffend die Gravidität der strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers und den dabei herangezogenen Milderungs- und Erschwerungsgründe ebenso Rechnung getragen, wie den noch zu erörternden berechtigten privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers.
3.3. Privat- und Familienleben:
3.3.1. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden nach Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt.
Das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (VfSlg. 16928/2003). Der Begriff des Familienlebens ist nicht nur auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein. Maßgebend sind etwa das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR U 13.06.1979, Marckx gegen Belgien, Nr. 6833/74; GK 22.04.1997, X, Y u. Z gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21830/93).
Da die Rückkehrentscheidung zu einer Trennung des Beschwerdeführers von seiner Ehegattin und den gemeinsamen Söhnen führt, liegt ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens vor, der auf seine Zulässigkeit hin zu prüfen ist.
3.3.2. Der Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen eines Fremden an einem Verbleib in Österreich in dem Sinne, ob dieser Eingriff im Sinn des Art 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig ist, ist voranzustellen, dass die Rückkehrentscheidung jedenfalls der innerstaatlichen Rechtslage nach einen gesetzlich zulässigen Eingriff darstellt.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Moustaquim ist eine Maßnahme dann in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, wenn sie einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und zum verfolgten legitimen Ziel verhältnismäßig ist. Das bedeutet, dass die Interessen des Staates, insbesondere unter Berücksichtigung der Souveränität hinsichtlich der Einwanderungs- und Niederlassungspolitik, gegen jene des Berufungswerbers abzuwägen sind (EGMR U 18.02.1991, Moustaquim gegen Belgien, Nr. 12313/86).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Konvention kein Recht auf Aufenthalt in einem bestimmten Staat garantiert. Die Konventionsstaaten sind nach völkerrechtlichen Bestimmungen berechtigt, Einreise, Ausweisung und Aufenthalt von Fremden ihrer Kontrolle zu unterwerfen, soweit ihre vertraglichen Verpflichtungen dem nicht entgegenstehen (EGRM U 30.10.1991, Vilvarajah u.a. gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 13163/87).
3.3.3. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht (zur Maßgeblichkeit dieser Kriterien vgl. VfSlg. 18.223/2007).
Er hat etwa die Aufenthaltsdauer, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine fixen zeitlichen Vorgaben knüpft (EGMR U 31.1.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99; U 16.9.2004, M. C. G. gegen Deutschland, Nr. 11.103/03), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR GK 28.05.1985, Abdulaziz, Cabales und Balkandali gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 9214/80, 9473/81, 9474/81; U 20.6.2002, Al-Nashif gegen Bulgarien, Nr. 50.963/99) und dessen Intensität (EGMR U 02.08.2001, Boultif gegen Schweiz, Nr. 54.273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR U 04.10.2001, Adam gegen Deutschland, Nr. 43.359/98; GK 09.10.2003, Slivenko gegen Lettland, Nr. 48321/99; vgl. VwGH 5.7.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (EGMR U 11.04.2006, Useinov gegen Niederlande Nr. 61292/00) für maßgeblich erachtet.
Bereits vor Inkrafttreten des nunmehrigen § 9 Abs. 2 BFA-VG entwickelten die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in den Erkenntnissen VfSlg. 18.224/2007 und VwGH 17.12.2007, Zl. 2006/01/0216 unter ausdrücklichen Bezug auf die Judikatur des EGMR nachstehende Leitlinien, welche im Rahmen der Interessensabwägung gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen sind. Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt (VwGH 28.04.2014, Ra 2014/18/0146-0149, mwN). Maßgeblich sind dabei die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (VwGH 13.06.2016, Ra 2015/01/0255). Ferner sind nach der eingangs zitieren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie dies Verfassungsgerichtshofs die strafgerichtliche Unbescholtenheit aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht sowie Erfordernisse der öffentlichen Ordnung und schließlich die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen.
Die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt werden, ist auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung nach Art 8 Abs. 2 EMRK daher ein hoher Stellenwert zu (VfSlg. 18.223/2007; VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251).
Die öffentliche Ordnung, hier im Besonderen das Interesse an einer geordneten Zuwanderung, erfordert es daher, dass Fremde, die nach Österreich einwandern wollen, die dabei zu beachtenden Vorschriften einhalten. Die öffentliche Ordnung wird etwa beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Ausweisung kann in solchen Fällen trotz eines vielleicht damit verbundenen Eingriffs in das Privatleben und Familienleben erforderlich sein, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte (VwGH 21.2.1996, Zl. 95/21/1256). Dies insbesondere auch deshalb, weil als allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz gilt, dass aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen (VwGH 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007).
3.3.4. In Abwägung der gemäß Art. 8 EMRK maßgeblichen Umstände in Ansehung des Beschwerdeführers ergibt sich für den gegenständlichen Fall Folgendes:
Der Beschwerdeführer reiste mehr feststellbaren Tag im Jahr 1998 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und hielt sich zunächst etwa zwei Jahre illegal im Bundesgebiet auf. Am 06.11.2000 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz, den er am 14.08.2002 (ohne zuvor den Status eines Asylberechtigten oder eines subsidiär Schutzberechtigten erlangt zu haben) zurückzog. Am 11.10.2020 beantragte der Beschwerdeführer eine Niederlassungsbewilligung als Familienangehöriger gemäß § 49 FrG 1997, diese wurde ihm zunächst mit Gültigkeit vom 21.10.2002 bis 31.10.2003 erteilt und in der Folge mehrmals verlängert.
Der Beschwerdeführer hält sich somit seit mehr als zwanzig Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wobei zu seinen Gunsten davon ausgegangen wird, dass er mehr als zehn Jahre davon rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig war. An dieser Stelle ist freilich zunächst darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer keinen der früheren Aufenthaltsverfestigungstatbestände des § 9 Abs. 4 BFA-VG idF vor dem FrÄG 2018 erfüllt hat (zur Maßgeblichkeit dieser Erwägungen siehe jüngst VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0246). Der Beschwerdeführer reiste im Alter von ca. 18 Jahren erstmals in das Bundesgebiet ein, er ist somit nicht von klein auf im Bundesgebiet aufgewachsen. Darüber hinaus wurde er bereits vom Jahr 2005 an wiederholt straffällig, was dem Erwerb der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 und Z. 6 StbG 1985 entgegengestanden wäre. Zugunsten des Beschwerdeführers ist freilich zu berücksichtigen, dass sein rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.04.2012, Zl. 2010/18/0426, im Zweifel mehr als zehn Jahre andauerte – unter Berücksichtigung seines unrechtmäßigen Aufenthaltes nach der Einreise im Jahr 1998 und der seit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.04.2012 vergangenen Zeit sogar mehr als zwanzig Jahre – und der Verwaltungsgerichtshof bei einem mehr als zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich ausgeht (VwGH 15.01.2020, Ra 2017/22/0047 mwN). Der Verwaltungsgerichtshof betont jedoch in seiner Entscheidungspraxis gleichermaßen, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählen beispielsweise, aber nicht ausschließlich, das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung, Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, eine zweifache Asylantragstellung, unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren, sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (VwGH 18.01.2021, Ra 2020/21/0528 mwN). In dieser Hinsicht ist wesentlich, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers zuletzt unrechtmäßig war. Die jahrelange Missachtung eines auf Grund einer strafgerichtlichen Verurteilung erlassenen Aufenthaltsverbotes ist im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung nach Art. 8 MRK negativ in Ansatz zu bringen (VwGH 18.02.2019, Ra 2016/22/0115 mwN). Gerade Umstand steht einer Berufung auf jene Judikaturlinie des Verwaltungsgerichtshofes entgegen, wonach bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist (VwGH 29.06.2017, Ro 2016/21/0007). Dazu treten die vorstehend eingehend erörterten strafbaren Handlungen sowie die derzeit negative Zukunftsprognose, sodass von einer gegenwärtigen vom Beschwerdeführer ausgehenden gravierenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen ist.
Der Beschwerdeführer ging nach Erlangung eines Aufenthaltstitels zunächst wiederholte unselbständige Beschäftigungsverhältnisse als Arbeiter ein und war dann (teilweise parallel) als Einzelunternehmer selbständig erwerbstätig. Er erlangte am 21.05.2004 eine Gewerbeberechtigung für das (freie) Güterbeförderungsgewerbe mit Kraftfahrzeugen bis zu 3.500 kg. Am 26.01.2006 legte der Beschwerdeführer die Gewerbeberechtigung zurück. In der Folge bezog der Beschwerdeführer (mit Unterbrechungen) Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Überbrückungshilfe sowie Kinderbetreuungsgeld und ging – mit teilweise langen Unterbrechungen – mehrere kurze unselbständige Beschäftigungsverhältnisse ein. Keines der von Beschwerdeführer eingegangenen Arbeitsverhältnisse währte ununterbrochen länger als ein Jahr (siehe dazu näher die Feststellungen unter Punkt 1.7.). Derzeit ist der Beschwerdeführer ohne Beschäftigung, er hat eine solche auch nicht in Aussicht. Eine nachhaltige Integration des Beschwerdeführers in den Arbeitsmarkt ist somit – trotz des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers nicht gelungen. Da er derzeit ohne Beschäftigung und einkommenslos ist, bestehen keine maßgeblichen berechtigten wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, die bei der hier anzustellenden Abwägung mit entschiedenem Gewicht zu berücksichtigen wären.
Der Beschwerdeführer hat für den Alltagsgebrauch ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache aufgrund seines langjährigen Aufenthaltes am Bundesgebiet erworben. Er besuchte im Bundesgebiet eigenen Angaben zufolge einen Deutschkurs, verfügt jedoch über kein diesbezügliches Zertifikat und hat auch keine Prüfung über Sprachkenntnisse absolviert. Für eine Unterstützung der Kinder im Unterrichtsfach Deutsch reichen die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers nicht aus. Seine Einvernahmen vor dem Bundesverwaltungsgericht und die meisten strafgerichtlichen Verhandlungen verrichtete er mit einem Dolmetscher. Ausgehend davon ist war ein gewisses Interesse des Beschwerdeführers am Erwerb der deutschen Sprache feststellbar, jedoch kein hervorragendes Engagement, das bei der hier anzustellenden Abwägung mit entschiedenem Gewicht zu berücksichtigen wäre.
In den Jahren seines Aufenthaltes im Bundesgebiet gründete der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Ehegattin eine Familie, von der er allerdings (siehe dazu die Meldehistorien in Punkt 1.2. der Feststellungen) zeitweise aufgrund einer anderen Beziehung getrennt lebte. Trennungen von der Familie traten auch durch freiheitsentziehende Maßnahmen wider den Beschwerdeführer ein. Er ist Vater dreier Kinder, die – so wie seine Ehegattin – österreichische Staatsbürger sind. Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet außerdem über einen Bruder, mit welchem er in regelmäßigem Kontakt steht und bei welchem nach Wegweisungen bzw. Betretungsverboten in der Vergangenheit gelegentlich einige Zeit nächtigte. In Wien leben außerdem zwei Onkel und zwei Tanten des Beschwerdeführers mit ihren zahlreichen Nachkommen (Cousinen und Cousins), der Beschwerdeführer trifft diese eigenen Angaben zufolge jedes zweite Wochenende. Besonderen Momente der Abhängigkeit (wie etwa eine finanzielle Abhängigkeit oder Pflegebedürftigkeit) sind indes im Verfahren hinsichtlich des Bruders und der entfernteren Verwandten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nicht hervorgekommen.
Im Herkunftsstaat verbrachte der Beschwerdeführer die ersten siebzehn Lebensjahre. Er wurde dort sozialisiert, besuchte dort die Grundschule und weiterführende Schulen und spricht die Mehrheitssprache seiner Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso war festzustellen, dass er auch dort über Bezugspersonen in Form von nahen Angehörigen – seinen Eltern, einem Bruder und zwei Schwestern – verfügt. Es deutete nichts darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Aufgrund der Präsenz von Angehörigen im Herkunftsstaat ist auch gegenwärtig von vorhandenen- wenn auch nicht ausgeprägt starken – Bindungen zu diesem auszugehen. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes kann ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in die Türkei in eine ausweglose Lage geraten würde. Es ist ihm als erwerbsfähiger Mann zumutbar, in einer türkischen Großstadt oder einer Tourismusregion auch ohne familiären Rückhalt Fuß zu fassen und dort eine Erwerbstätigkeit in der Industrie, der Bauwirtschaft oder in einem Tourismusbetrieb aufzunehmen und dermaßen den Lebensunterhalt zu finanzieren. Ferner steht es dem Beschwerdeführer frei, sich in seine Herkunftsregion oder den aktuellen Wohnort seiner Eltern und seines Bruders zu begeben und dort mit familiärer Unterstützung Fuß zu fassen. Das persönliche Profil des Beschwerdeführers bietet in beiden Fällen keinen Anlass zu Befürchtung, dass er in der Türkei keine Lebensgrundlage vorfinden würde. Auch wenn die Arbeitslosigkeit in der Türkei erhöht und die wirtschaftliche Lage zufolge des Währungsverfalls und der Covid-19-Pandemie angespannt ist, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als Arbeiter mit mehrjähriger Berufserfahrung und mit Kenntnissen der deutschen Sprache in den geschilderten Branchen – nach einer anfänglichen Zeit der Arbeitssuche – eine Beschäftigung auffinden wird, zumal Gegenteiliges im Verfahren auch nicht substantiiert vorgebracht wurde. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Rückkehrfall als türkischen Staatsbürger der Zugang zum dortigen Sozialsystem (siehe dazu die Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Türkei) offensteht, sodass insgesamt eine gesicherte Existenzgrundlage in der Türkei als erwiesen anzusehen ist. Alter und Gesundheitszustand des Beschwerdeführers stehen einer Rückkehrentscheidung ebenfalls nicht entgegen. Ausweislich der Feststellungen können Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, sodass auch keine Versorgungsdefizite in medizinischer Hinsicht zu besorgen sind.
Soweit der Beschwerdeführer über private Bindungen in Österreich verfügt, werden diese zwar durch eine (zeitweilige) Rückkehr in die Türkei gelockert, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahestehen, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch Urlaubsaufenthalte in der Türkei und gegebenenfalls auch in einem Drittstaat etc.) aufrecht zu erhalten.
Im gegenständlichen Verfahren ist insgesamt keine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer festzustellen, die den zuständigen Behörden zur Last zu legen wäre (vgl. hiezu auch VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001).
Der grundsätzlich nicht unerheblichen Rechtsposition des Beschwerdeführers im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in Österreich aufgrund seiner unbestrittenen familiären Bindungen, des zunächst etwa zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthaltes und des anschließenden etwa neunjährigen faktischen, wenn auch unrechtmäßigen Aufenthaltes, des grundlegenden Spracherwerbs und der eingegangenen Beschäftigungsverhältnisse sind nun die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aufgrund der rezenten und gravierenden Straffälligkeit des Beschwerdeführers gegenüberzustellen, wobei festzuhalten ist, dass das Bundesverwaltungsgericht – wie vorstehend im Detail ausgeführt wurde – auch zur Anschauung gelangte, dass vom Beschwerdeführer aufgrund der rezenten Vorfälle auch gegenwärtig eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte ist ein Eingriff in das Familienleben – etwa durch Trennung von einem dauerhaft niedergelassenen Ehegatten – dann nicht unzulässig, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer solchen Maßnahme ein sehr großes Gewicht wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden (insbesondere bei Gewaltdelikten) beizumessen ist (VfSlg. 19.630/2012; VwGH 03.10.2017, Ra 2016/22/0056; 23.03.2017, Ra 2016/21/019). Der Verwaltungsgerichtshof hat außerdem schon wiederholt ausgesprochen, dass bei derart schweren Verbrechen im Zusammenhang mit Suchtmitteln weder ein langjähriger Aufenthalt in Österreich, noch eine sonst vollkommene soziale Integration im Inland einem Einreiseverbot entgegenstehen (VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0050; 04.04.2019, Ra 2019/21/0081; 24.10.2019, Ra 2019/21/0207). Auch das Gewicht des langjährigen Aufenthaltes erfährt durch die begangenen Straftaten eine maßgebliche Minderung. Der Verwaltungsgerichtshof geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält, als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten eines Fremden ins Gewicht fallen demnach rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht (VwGH 27.02.2007, Zl. 2006/21/0164 mwN, wonach das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt).
Ein Eingriff in das Familienleben – etwa durch Trennung von einem dauerhaft niedergelassenen Ehegatten oder Kindern – ist dann nicht unzulässig, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer solchen Maßnahme ein sehr großes Gewicht wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden beizumessen ist (VwGH 03.10.2017, Ra 2016/22/0056). Die durch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bewirkte Trennung von Familienangehörigen ist auch im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität in bestimmten Konstellationen in Kauf zu nehmen (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0162; 05.10.2017, Ra 2017/21/0174; 20.10.2016, Ra 2016/21/0271). Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist nicht nur die Dauer der vom Fremden ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; es auch auf die privaten und familiären Interessen des Betroffenen Bedacht zu nehmen (VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109).
Das Bundesverwaltungsgericht hat oben mit näherer Begründung ausgeführt, dass vom Beschwerdeführer eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht. Diese schwere Gefahr ist aufgrund der über eine lange Zeitspanne wiederholt begangenen Straftaten, der Beeinträchtigung verschiedener Rechtsgüter durch die Begehung von Gewalt- und Suchtgiftdelikten sowie das Unvermögen des Beschwerdeführers, sich von Kontakten zur Szene zu distanzieren und in Anbetracht des insgesamt in der mündlichen Verhandlung von der Persönlichkeit des Beschwerdeführers gewonnen Bildes als gegenwärtig und aktuell zu beurteilen. Aufgrund dessen überwiegt das öffentlichen Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in jedem Fall das – grundsätzlich berechtigte – Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet bei seinen Kindern und seiner Ehegattin sowie das aus dem langjährigen Aufenthalt abzuleitende berechtigte Interesse an einer Fortsetzung des Aufenthaltes im Bundesgebiet. Im Hinblick auf die Söhne des Beschwerdeführers stellen sich Urlaubskontakte bzw. gemeinsame Treffen in der Türkei bzw. in Drittstaaten sowie ein telefonischer oder elektronischer Kontakt aufgrund dessen fortgeschrittenen Lebensalters als zumutbar dar. Entsprechendes gilt für Kontakte mit der Ehegattin. Hinsichtlich der vorgebrachten Betreuungsnotwenigkeit kam im Beweisverfahren unzweifelhaft hervor, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers die Betreuung der Söhne auch alleine bewerkstelligen kann (wie es etwa während der Haft und der vorangehenden Zeit der Trennung bereits notwendig war) und die Angehörigen im Wege ihres Einkommens bzw. von Sozialleistungen ausreichend finanziell abgesichert sind und über den notwenigen Wohnraum verfügen. Da in Ansehung des Beschwerdeführers weiterhin von einer schweren Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen ist, ist das öffentliche Interesse an einer Verhinderung der weiteren Begehung von Straftaten und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit höher zu bewerten, als das grundsätzlich berechtigte Interesse des Beschwerdeführers auf ein Familienleben mit seinen Angehörigen. Bei der Abwägung der Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer nicht verwehrt ist, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen nach dem Ablauf des Einreiseverbotes und einem entsprechenden Wohlverhalten in der Türkei wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren oder schon vor dessen Ablauf die Aufhebung des Einreiseverbotes bei geänderten Verhältnissen zu beantragen.
Im Rahmen einer Abwägung dieser Fakten anhand des Art. 8 Abs. 2 EMRK sowie nach Maßgabe der im Sinne des § 9 BFA-VG angeführten Kriterien gelangt das Bundesverwaltungsgericht somit – wie bereits das belangte Bundesamt – zum Ergebnis, dass die berechtigten individuellen Interessen des Beschwerdeführers im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK eine maßgebliche Relativierung durch das straf- und fremdenrechtliche Fehlverhalten erfahren und diese in einer Gesamtwürdigung nicht so ausgeprägt sind, dass sie das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen.
Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben bereits wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht (VwGH 07.03.2019, Ra 2018/21/0141 mwN). Im gegebenen Zusammenhang ist wesentlich, dass den Kindern des Beschwerdeführers die Mutter als wesentliche Bezugsperson verbleibt. Ihr Auskommen ist durch den Bezug von Sozialleistungen (Wochengeld, Kinderbetreuungsgeld) und das Erwerbseinkommen der Mutter gesichert. Der Beschwerdeführer trägt derzeit nicht zum laufenden Familieneinkommen bei (auch wenn er aus seinem Vermögen jüngst Zuwendungen an die Familie tätigte) und hat dies auch während der Zeit der Trennung bzw. der Haft nicht getan. Eine materielle Unterstützung durch den Beschwerdeführer ist auch von der Türkei aus möglich.
Die Kinder sind außerdem als österreichische Staatsangehörige im Wege des Sozialsystems jedenfalls in ihren Grundbedürfnissen abgesichert. Sie werden weiterhin die Schule besuchen und eine adäquate Beaufsichtigung und Betreuung durch die Kindesmutter erfahren. Die finanzielle Situation der Familie ist zwar als angespannt zu bezeichnen, jedoch gelang es auch währen der haftbedingten Abwesenheit des Beschwerdeführers, die für die Lebenserhaltung erforderlichen Kosten aufzubringen und wurden im gegenständlichen keine dahingehenden Schwierigkeiten bzw. zukunftsbezogenen Befürchtungen vorgebracht. Dies gilt auch im Hinblick auf die besonderen medizinischen Bedürfnisse von XXXX , zumal diese in der Vergangenheit auch von der Mutter alleine bewältigt werden konnten und hier keine Anzeichen für geänderte Verhältnisse glaubhaft vorgebracht wurden. Zusätzlich steht in dieser Hinsicht die Inanspruchnahme von Unterstützung offen, eine solche Unterstützung im Rahmen der mobilen Arbeit mit Familien der Magistratsabteilung 11 des Magistrates des Stadt Wien wurde bereits in der Vergangenheit in Anspruch genommen.
Da dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zukommt (VwGH 16.05.2012, Zl. 2011/21/0277 mwN; VfGH 12.10.2016, E 1349/2016), dürfen Elternteile nur in Ausnahmefällen auf die Aufrechterhaltung des Kontaktes mit Fernkommunikationsmitteln verwiesen werden. Dem berechtigen Interesse an einem persönlichen Kontakt mit den Söhnen sowie einem damit verbundenen Beitrag zu deren Erziehung kommt grundsätzlich ein hohes Gewicht zu, wobei in der mündlichen Verhandlung nicht strittig war, dass sich der Beschwerdeführer derzeit seiner Söhne adäquat annimmt. Die Söhne des Beschwerdeführers wollen den persönlichen Kontakt mit diesem aufrechterhalten und sprechen sich gegen eine Außerlandesbringung aus.
Im gegenständlichen Fall liegen dessen ungeachtet die Voraussetzungen dafür vor, dass der laufende Kontakt mit den Söhnen mit Fernkommunikationsmitteln aufrecht erhalten werden kann und ein persönlicher Kontakt im Zuge von gemeinsamen (Urlaubs-)Aufenthalten in der Türkei oder einem Drittstaat wahrgenommen wird. Die Söhne des Beschwerdeführers sind nicht mehr im Kleinkindalter, sondern in jugendlichem Alter (17 Jahre, 16 Jahre und 14 Jahre). Sie besuchen die Schule und sind in Anbetracht ihres Lebensalters und dem Schulbesuch im Umgang mit neuen Medien vertraut. Die Beziehung der Söhne zum Beschwerdeführern ist nicht erst im Aufbau betroffen, sondern wurde bereits in der Vergangenheit geprägt. Es wird den Söhnen des Beschwerdeführers (wie im Übrigen auch seiner Ehegattin) daher möglich sein, den persönlichen Kontakt mit dem Beschwerdeführer zumindest im Wege von Urlaubsreisen in die Türkei aufrecht zu erhalten, zumal eine Übersiedelung in die Türkei der Lages des Falles nach eher nicht zu erwarten ist. Ansonsten kann der regelmäßige Kontakt mit Fernkommunikationsmitteln aufrechterhalten werden, worunter auch die Beratung in Erziehungsfragen fällt. Anderweitige aktuelle Herausforderungen im gemeinsamen Familienleben bzw. in Bezug auf die altersentsprechenden Bedürfnisse der Kinder, die einer Rückkehrentscheidung derzeit entgegenstehen würde, kamen in der mündlichen Verhandlung nicht hervor. Unzureichende Schulnoten erfordern nicht zwingend die weitere Anwesenheit des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.
Das Kindeswohl steht somit einer Rückkehrentscheidung unter dem Gesichtspunkt der Absicherung der Grundbedürfnisse der Kinder nicht entgegen. Die Ehegattin und die Kinder des Beschwerdeführers wären in Anbetracht der Sachlage und der daraus abzuleitenden gesicherten Existenzgrundlage in Österreich auch ohne Anwesenheit des Beschwerdeführers auch nicht dazu gezwungen, das Bundesgebiet bzw. das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen (siehe dazu etwa VwGH 17.04.2013, Zl. 2013/22/0062).
In Anbetracht dessen sowie der rezenten und wiederholten Straffälligkeit des Beschwerdeführers sowie dessen anhaltender Nähe zum Suchtgiftmilieu erweist sich die Trennung des Beschwerdeführers von seinen Kindern aufgrund der gegenständlichen Rückkehrentscheidung zusammenfassend als vertretbar und im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit als notwendig. Im gegebenen Zusammenhang ist außerdem darauf hinzuweisen, dass dem Beschwerdeführer grundsätzlich die Möglichkeit offensteht, im Fall eines weiteren Wohlverhaltens eine Aufhebung oder Herabsetzung des Einreiseverbotes zu beantragen und dermaßen die Zeit der Trennung von seiner Familie Kindern im Fall eines weiteren Wohlverhaltens zu verkürzen.
Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist nicht nur die Dauer der vom Fremden ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; es auch auf die privaten und familiären Interessen des Betroffenen Bedacht zu nehmen (VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109). In diesem Zusammenhang war das berechtigte Interesse an einem persönlichen Kontakt des Beschwerdeführers mit seinen Kindern zugunsten des Beschwerdeführers zu würdigen und bildete einen wesentlichen Grund dafür, dass das Einreiseverbot maßgeblich zu reduzieren war und – obwohl sich der Beschwerdeführer nicht erfolgreich von der Suchtgiftszene distanzieren konnte und er über einen langen Zeitraum und noch dazu während eines aufrechten Aufenthaltsverbotes immer wieder straffällig wurde – mit einem Einreiseverbot noch im Bereich der unteren Hälfte der möglichen Höchstdauer von zehn Jahren das Auslangen zu finden war.
3.4.5. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung wider den Beschwerdeführer keine sich aus Art. 8 EMRK bzw. § 9 BFA-VG ergebenden Hindernisse entgegenstehen. Aufgrund der erörterten rezenten und massiven Strafffälligkeit erweist sich fallbezogen eine Rückkehrentscheidung ungeachtet des bestehenden Familienlebens als notwendig und zulässig.
3.5. Zulässigkeit der Abschiebung:
3.5.1. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG 2005 (VwGH 15.9.2016, Ra 2016/21/0234).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG 2005 – diese Bestimmungen stellen auf dieselben Gründe ab, wie sie in §§ 3 und 8 AsylG 2005 enthalten sind – glaubhaft zu machen. Es ist die konkrete Einzelsituation des Fremden in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen; für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße im Sinn des § 50 Abs. 1 FPG 2005 durch den betroffenen Staat bekannt geworden sind (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).
3.5.2. Bezüglich § 50 Abs. 1 FPG 2005 bleibt festzuhalten, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung, noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt ausweislich der getroffenen Feststellungen zur Lage in der Türkei ebenfalls nicht vor und es wurde das Vorliegen einer dahingehenden Gefährdung im Rückkehrfall auch nicht vorgebracht. Soweit der Beschwerdeführer in einem an das belangte Bundesamt in einem anderen Verfahren gerichteten Schriftsatz darauf hinweist, dass er derzeit in der Türkei arbeitslos sei, ist auf die in der Türkei vorhandenen Systeme der sozialen Sicherheit zu verweisen.
Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen und in Anbetracht der Feststellungen zur Sicherheitslage nicht zu befürchten.
3.5.3. Ebenso sind keine von Amts wegen aufzugreifenden stichhaltige Gründe für die Annahme erkennbar, dass im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers dessen Leben oder dessen Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten im Sinn des § 50 Abs. 2 FPG 2005 bedroht wäre. Derartiges wurde im Verfahren auch nicht vorgebracht und vom Beschwerdeführer auch kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
3.5.4. Ebenso sind keine von Amts wegen aufzugreifenden stichhaltige Gründe für die Annahme erkennbar, dass im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers dessen Leben oder dessen Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten im Sinn des § 50 Abs. 2 FPG 2005 bedroht wäre. Der Beschwerdeführer hat auch weder ein ausreichend substantiiertes Vorbringen in diese Richtung geäußert, noch sind notorische gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sprechende Umstände erkennbar (vgl. VwGH 24.5.2016, Ra 2016/21/0101). Er brachte im Zuge seiner Stellungnahme vom 25.07.2020 vielmehr vor, seines Wissens nach in der Türkei „nicht gesucht“ zu werden. Er habe seinen Wehrdienst in der Türkei nicht abgeleistet und deshalb die Türkei „in den letzten Jahren nicht besucht“. Asylrelevante Befürchtungen betreffend die Wehrpflicht in der Türkei legte der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang nicht dar, alleine der Umstand des Bestehens der allgemeinen Wehrpflicht in einem Staat stellt keine Verfolgung im Sinn der Genfer Konvention dar. Bereits vor diesem Hintergrund lag keine Notwendigkeit vor, mit dem im Verfahren weitgehend anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz zu erörtern. Dazu tritt, dass der Beschwerdeführer ohnehin nur mehr bis zum Ablauf des 31.12.2021 wehrpflichtig ist und eine Einberufung bis dahin nicht wahrscheinlich ist. Ausweislich der Feststellungen bestehen ferner weitgehende Möglichkeiten eines Freikaufens vom Wehrdienst.
Der Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat erfolgte demnach zusammenfassend zu Recht. Das Fehlen der Angabe des Zielstaates im Spruch stellt ein bloßes Redaktionsversehen des belangten Bundesamtes dar, welches ohne weitere korrigiert werden konnte. Dass der Abspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung in Ansehung des Zielstaates Türkei intendiert war, geht aus dem angefochtenen Bescheid (Seite 61) unzweifelhaft hervor.
3.5.5. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 3 FPG 2005 schließlich unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine solche Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme besteht hinsichtlich der Türkei nicht.
3.6. Freiwillige Ausreise:
3.6.1. Da im gegenständlichen Verfahren der Beschwerde mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.10.2020, L521 2118691-3/6Z, gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG in Abänderung des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides amtswegig die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, wird Spruchpunkt IV. nicht aufgrund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar. Deshalb ist eine Frist für die freiwillige Ausreise vorzusehen (vgl. VwGH 07.03.2019, Ro 2019/21/0001; 28.04.2015, Ra 2014/18/0146, wonach § 55 Abs. 1a FPG nur dann anzuwenden ist, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde von der Verwaltungsbehörde aberkannt und vom Verwaltungsgericht nicht innerhalb der Frist des § 18 Abs. 5 BFA-VG 2014 wieder zuerkannt wird).
3.6.2. Die in Abänderung des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ergibt sich zwingend aus § 55 Abs. 2 erster Satz FPG. Dass besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung führenden Gründe überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht.
Zu B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von internationalem Schutz ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes abgeht. Die im Rahmen dieses Verfahrens anzustellende Zukunftsprognose beruht auf den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens und den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck und stellt eine auf den Einzelfall bezogene Abwägung dar.
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