VwGH Ra 2019/21/0162

VwGHRa 2019/21/016222.8.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des O S E in W, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. Jänner 2019, I403 2172355-2/8E, betreffend insbesondere Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt befristetem Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
EURallg
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z15
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
MRK Art8 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
32004L0038 Unionsbürger-RL

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210162.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im bekämpften Umfang (betreffend Rückkehrentscheidung, Einreiseverbot, Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG und Aussprüche nach § 18 Abs. 1 BFA-VG iVm § 55 Abs. 1a FPG) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein im November 1985 geborener nigerianischer Staatsangehöriger, stellte unmittelbar nach seiner Einreise am 23. Juli 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. 2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - nachdem zweimal vorgenommene Antragszurückweisungen gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 aufgehoben worden waren - im dritten Rechtsgang mit Bescheid vom 31. August 2017 zur Gänze ab. Des Weiteren sprach das BFA aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde. Unter einem erließ es gegen den Revisionswerber - unter gleichzeitiger Nichterteilung einer Frist für die freiwillige Ausreise - gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und es stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Schließlich sprach das BFA noch aus, dass der Revisionswerber gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 sein Aufenthaltsrecht ab dem 25. August 2017 verloren habe. Letzterem lag zugrunde, dass über den Revisionswerber "an diesem Tag" wegen des Verdachts der Begehung eines Suchtmitteldeliktes die Untersuchungshaft verhängt worden sei.

3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 9. Oktober 2017 in den Punkten Asyl und subsidiärer Schutz sowie hinsichtlich der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 und der Feststellung über den Verlust des Aufenthaltsrechtes ab dem 25. August 2017 als unbegründet ab. In Bezug auf die Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Aussprüche (betreffend die Frist für die freiwillige Ausreise und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat) gab das BVwG der Beschwerde hingegen Folge und verwies die Sache insoweit zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurück.

4 Der Revisionswerber hatte nämlich am 5. September 2015 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Ein gemeinsames, am 26. Mai 2016 geborenes Kind verstarb zwei Tage nach der Geburt, wobei der Revisionswerber bei seiner Befragung durch das BFA am 20. Juli 2017 angegeben hatte, dass seine Ehefrau mittlerweile wieder schwanger sei. Dazu habe das BVwG aber - so seine Begründung - aufgrund des Umstandes, dass das BFA die Einvernahme der Ehefrau unterlassen habe, keine abschließenden Feststellungen treffen können. Des Weiteren gestand das BVwG dem Revisionswerber zu, er habe "gewisse Schritte zur Integration gesetzt" und Deutschprüfungen auf dem Niveau A2 und B1 bestanden, die er durch Zertifikate vom 27. Juli 2016 und vom 16. März 2017 nachgewiesen habe. Allerdings sei er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21. September 2017, wegen §§ 27 Abs. 2a zweiter Fall, 27 Abs. 3 SMG, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, davon sieben Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit "von 8 Monaten" (richtig: von drei Jahren), rechtskräftig verurteilt worden.

5 In der rechtlichen Beurteilung verwies das BVwG dann auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der Bindung eines Fremden an einen österreichischen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK große Bedeutung zukomme. In einem solchen Fall müssten nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Fremden und seines Ehepartners getroffen werden. Das BFA habe es unterlassen, derartige Feststellungen in den angefochtenen Bescheid aufzunehmen. Dieser Bescheid und das zugrunde liegende Verfahren seien daher hinsichtlich einer möglichen Verletzung von Art. 8 EMRK im Ergebnis so mangelhaft, dass in diesem Umfang die Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA zur Erlassung eines neuen Bescheides unvermeidlich erscheine. Das BFA werde daher im fortgesetzten Verfahren die Ehefrau des Revisionswerbers einvernehmen und Feststellungen zum Familien- und Privatleben in Österreich treffen müssen. Unter anderem werde auch festzustellen sein, ob die Ehefrau des Revisionswerbers tatsächlich ein Kind von ihm erwarte und ob das Familienleben in Nigeria fortgesetzt werden könne bzw. eine Trennung zumutbar sei.

6 Nachdem das BFA den Revisionswerber und seine Ehefrau am 2. August 2018 niederschriftlich befragt hatte, erließ es den Bescheid vom 8. November 2018, mit dem es neuerlich aussprach, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm mit § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria festgestellt. Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde sodann gemäß § 18 Abs. 1 Z 2, 3 und 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt und gemäß § 55 Abs. 1a FPG ausgesprochen, es bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise. Des Weiteren wurde noch einmal festgestellt, der Revisionswerber habe gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 und 3 AsylG 2005 sein Aufenthaltsrecht ab dem 25. August 2017 verloren. Schließlich wurde über ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein mit acht Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt.

7 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde in erster Linie ins Treffen geführt, dem Revisionswerber komme die Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger zu, weil seine Ehefrau in Spanien von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe. Zum Beweis dafür wurden das der Ehefrau von den spanischen Behörden am 11. April 2018 ausgestellte, einer Anmeldebescheinigung entsprechende Dokument ("certificado de registro de ciudadano de la Union") und das dem Revisionswerber ausgestellte, einer Aufenthaltskarte entsprechende, bis am 10. Mai 2023 gültige Dokument ("familiar ciudadano de la Union") vorgelegt.

8 Dieser Beschwerde gab das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Jänner 2019 nur insoweit Folge, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9 Das BVwG stellte über den schon oben wiedergegebenen Sachverhalt hinaus fest, die weitere Schwangerschaft der Ehefrau des Revisionswerbers habe noch vor der Geburt geendet. Bislang sei der Revisionswerber in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Seine Ehefrau, zu der er am 11. November 2015 gezogen sei, finanziere die Miete und das gemeinsame Leben durch ihre Tätigkeit als bei der Gemeinde Wien beschäftigte Pflegehelferin. Im Oktober 2017, somit in einem zeitlich engen Zusammenhang zu dem den Antrag auf internationalen Schutz abweisenden Erkenntnis des BVwG vom 9. Oktober 2017 und zu seiner Verurteilung vom 21. September 2017, habe sich der Revisionswerber in Spanien niedergelassen, um dort zu arbeiten. Ende Juli 2018 sei er nach Österreich zurückgekehrt. Während seines Aufenthalts in Spanien sei er von seiner Ehefrau (nur) besucht worden. Er sei somit kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, wobei das BVwG diese dem Beschwerdevorbringen widersprechende Annahme im Rahmen der Beweiswürdigung noch eingehend begründete. Die Fortführung des Ehelebens in Nigeria wäre für die Ehefrau als österreichische Staatsbürgerin - so stellte das BVwG weiter fest - "wohl nur erschwert möglich". Es bestünden aber "keine besonderen Abhängigkeiten", sodass sie durch eine Rückkehr des Revisionswerbers nach Nigeria nicht automatisch gezwungen wäre, ihm zu folgen, was in weiterer Folge auch mit ihrer finanziellen Unabhängigkeit begründet wurde. Zur erwähnten strafgerichtlichen Verurteilung ergänzte das BVwG noch, dem Revisionswerber sei zur Last gelegt worden, in Wien gewerbsmäßig an einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich und wiederholt Kokain verkauft und sich damit des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften schuldig gemacht zu haben. Der Aufenthalt des Revisionswerbers stelle daher eine "Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit" dar.

10 Daran anknüpfend ging das BVwG dann bei der zur Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung von einem großen öffentlichen Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und davon aus, dass deshalb die "privaten Interessen" des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich "massiv" gemindert seien, was eine (vorübergehende) Trennung von seiner Ehefrau gerechtfertigt erscheinen lasse. Immerhin habe das Ehepaar auch von Oktober 2017 bis Juli 2018 eine Trennung in Kauf genommen und der Kontakt könne mit modernen Kommunikationsmitteln und durch Besuche in Nigeria aufrechterhalten werden.

11 Auch bei der Begründung zum Einreiseverbot unterstellte das BVwG ein "besonders großes öffentliches Interesse" an der Verhinderung von Suchtgiftdelikten, bei denen erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr bestehe. Der Ansicht des BFA, dass das persönliche Verhalten des Revisionswerbers eine "tatsächliche und gegenwärtige schwerwiegende Gefahr" darstelle, sei beizutreten. Die Verhängung eines Einreiseverbotes erscheine daher gerechtfertigt, allerdings sei die vom BFA verhängte Dauer von acht Jahren nicht angemessen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass es sich um die erste Verurteilung des Revisionswerbers handle. Dem entsprechend sei zwar bei seiner Verurteilung erschwerend die mehrfache Tatbegehung, mildernd seien aber das reumütige Geständnis, der bisherige ordentliche Lebenswandel und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben war, gewertet worden. Zudem sei der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG (Verurteilung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von "mehr als" (seit 1. November 2017 richtig: mindestens) sechs Monaten) mit der teilbedingten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten nur knapp erfüllt. Darüber hinaus sei bei der Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbotes auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen. Zwar habe die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin den Revisionswerber nicht von der Begehung der Straftat abzuhalten vermocht, dennoch sei davon auszugehen, dass diese Ehe die Dauer der von ihm ausgehenden Gefährdung verringere. Da sich in einer Gesamtschau der oben angeführten Umstände - so das BVwG zusammenfassend - die Verhängung des Einreiseverbotes zwar als notwendig und rechtmäßig erweise, die festgesetzte Dauer aber nicht angemessen erscheine, sei der Beschwerde dahingehend Folge zu geben, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre reduziert werde.

12 Das Absehen von der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das BVwG damit, dass der Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt sei.

 

13 Gegen dieses Erkenntnis, insbesondere soweit damit die Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes bestätigt wurde, richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde (Beschlüsse vom 13. März 2019 und vom 10. April 2019 zu E 783/2019) fristgerecht eingebrachte - außerordentliche Revision. Über diese Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, erwogen:

14 Vorauszuschicken ist, dass sich die Revision nach dem Inhalt der Revisionspunkte und der Begründung gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 und gegen die Feststellung des Verlustes des Aufenthaltsrechtes gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 und 3 AsylG 2005 ab dem 25. August 2017 nicht wendet. Dazu ist im Übrigen darauf zu verweisen, dass darüber bereits mit dem im ersten Rechtsgang erlassenen Erkenntnis des BVwG vom 9. Oktober 2017 rechtskräftig abgesprochen worden war. 15 In der Revision wird in der Zulässigkeitsbegründung unter mehreren Gesichtspunkten die Verletzung der Verhandlungspflicht geltend gemacht. Dieser Vorwurf trifft im Ergebnis zu, weshalb sich die Revision nicht nur - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig, sondern auch als berechtigt erweist.

16 Zunächst releviert die Revision, das BVwG hätte im Zusammenhang mit der Frage, ob dem Revisionswerber die Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger zukomme, verhandeln müssen. Dem kann allerdings nicht gefolgt werden. Voraussetzung für die Erlangung dieser Rechtsstellung, bei der dann die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes jedenfalls unzulässig gewesen wären (vgl. dazu VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0103, Rn. 10, mit dem Hinweis auf VwGH 31.8.2017, Ra 2017/21/0133, Rn. 7, mwN), wäre in der vorliegenden Konstellation gemäß § 2 Abs. 4 Z 11 iVm Z 15 FPG gewesen, dass die Ehefrau des Revisionswerbers in Spanien ihr aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG ) zukommendes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hätte. Nun hat das BVwG aber zutreffend darauf hingewiesen, dass sich der Beschwerde zu der angeblichen Ausübung eines derartigen Aufenthaltsrechts keine tatsächlichen Ausführungen entnehmen lassen, insbesondere seien die Aufnahme einer Beschäftigung in Spanien bzw. eine Arbeitssuche durch die Ehefrau des Revisionswerbers nicht behauptet worden. Das sei auch nicht zu unterstellen, weil sie - wie schon viele Jahre davor - auch in den Jahren 2017 und 2018 durchgehend bei der Gemeinde Wien als Pflegehelferin beschäftigt gewesen sei. Außerdem habe der Revisionswerber in seiner Vernehmung am 2. August 2018 ausdrücklich angegeben, seine Ehefrau habe ihn in Spanien nur (mehrmals) besucht, sei dann wieder zurückgefahren, meist nach einer Woche. Im Übrigen hätten auf Aufforderung des BVwG auch nach Fristerstreckung keine Unterlagen über eine Beschäftigung der Ehefrau des Revisionswerbers vorgelegt werden können, sodass allein mit der Vorlage der dem Revisionswerber und seiner Ehefrau ausgestellten spanischen Dokumente das Gegenteil nicht bewiesen worden sei. Dieser Argumentation tritt die Revision nicht konkret entgegen, sondern sie verweist wiederum nur auf die erwähnten Dokumente, deren Indizcharakter aber vom BVwG in schlüssiger Beweiswürdigung fallbezogen zu Recht verneint wurde. Insbesondere wird aber auch in der Revision kein Vorbringen dazu erstattet, in welcher Form die Ehefrau des Revisionswerbers in Spanien ihr unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen habe und weshalb sich das BVwG auf die Aussage des Revisionswerbers, seine Ehefrau habe ihn (nur) besucht, nicht hätte stützen dürfen. Angesichts dessen war es nicht rechtswidrig, dass das BVwG davon ausging, in Bezug auf die behauptete Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger sei in der Beschwerde bloß ein unsubstantiiertes Vorbringen erstattet worden, dessen Beurteilung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht verlangt habe.

 

17 Allerdings ergibt sich schon aus der oben in Rn. 11 wiedergegebenen eigenen Begründung des BVwG zur Reduzierung der Dauer des Aufenthaltsverbotes, dass in der gegenständlichen Konstellation kein "eindeutiger Fall" vorlag, der es dem BVwG ausnahmsweise erlaubt hätte, ohne Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung abzusehen (siehe zuletzt VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0101, Rn. 9, mit mehreren Nachweisen aus der ständigen Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen). Im Übrigen lag in Bezug auf die Gefährdungsprognose nach § 53 Abs. 3 FPG und demzufolge auch in Bezug auf die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG kein geklärter Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG vor.

18 In diesem Zusammenhang ist nämlich - worauf das BVwG im ersten Rechtsgang noch Bedacht genommen hatte - zunächst darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner rezenten Judikatur eine Trennung von einem österreichischen oder in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner in der Regel nicht alleine wegen eines unrechtmäßigen Aufenthalts, sondern im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt erachtete, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden (vgl. etwa VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0199, Rn. 12, mit dem Hinweis auf VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271, Rn. 13 f, mwN). Diesbezüglich brachte der Verwaltungsgerichtshof auch wiederholt zum Ausdruck, die durch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bewirkte Trennung von Familienangehörigen sei im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität in Kauf zu nehmen. Zur Beurteilung dieses öffentlichen Interesses bedarf es jedoch einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden aufgrund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung, wozu es näherer Feststellungen über die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild bedarf (vgl. zuletzt VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0034, Rn 13, mwN). Demnach hätte sich das BVwG näher mit den der Verurteilung vom 21. September 2019 zugrundeliegenden Straftaten befassen müssen, zumal diesbezüglich im angefochtenen Erkenntnis weder die Tatzeitpunkte noch die Zahl der "wiederholten" Kokainverkäufe und auch nicht die jeweils in Rede stehenden Mengen und die sonstigen Begleitumstände festgestellt wurden. Angesichts dessen kann die vom BVwG unterstellte Annahme des Vorliegens einer derart schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, dass eine Trennung des Revisionswerbers von seiner österreichischen Ehefrau gerechtfertigt ist, nicht ohne Weiteres nachvollzogen werden. Im Übrigen ist die Revision im Recht, dass - anders als das BVwG meinte - auch der in Spanien verbrachte Zeitraum bei der Berücksichtigung der Dauer eines Wohlverhaltens gegebenenfalls einzurechnen ist.

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher aus den dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

20 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. August 2019

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