VwGH Ro 2016/22/0016

VwGHRo 2016/22/001628.5.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmanns von Niederösterreich (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht), gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 16. August 2016, LVwG-AV-1321/001-2015, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: S G, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56
NAG 2005 §11 Abs1 Z5
NAG 2005 §21 Abs2 Z5
NAG 2005 §21 Abs6
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RO2016220016.J00

 

Spruch:

Das Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang der Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1. Der Mitbeteiligte, ein serbischer Staatsangehöriger, stellte am 17. Februar 2015 persönlich beim Revisionswerber den Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zum Zweck der Familienzusammenführung mit seiner in Österreich rechtmäßig aufhältigen Ehefrau.

2.1. Mit Bescheid vom 7. Oktober 2015 wies der Revisionswerber den Antrag gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 in Verbindung mit § 21 Abs. 6 NAG sowie gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG ab.

Der Revisionswerber führte begründend aus, der Mitbeteiligte sei zum visumfreien Aufenthalt im Schengen-Raum für die Dauer von 90 Tagen in einem Zeitraum von 180 Tagen berechtigt gewesen. Vor der gegenständlichen Antragstellung sei er zuletzt am 20. November 2014 nach Österreich eingereist, die Antragstellung am 17. Februar 2015 sei daher am 90. Tag des visumfreien Aufenthalts erfolgt und damit zulässig gewesen. Laut den im Reisepass angebrachten Grenzkontrollstempeln sei der Mitbeteiligte erst am 11. Juni 2015 wieder aus dem Schengen-Raum ausgereist, er habe daher den Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 in Verbindung mit § 21 Abs. 6 NAG verwirklicht.

Die für den Lebensunterhalt des Mitbeteiligten in Österreich unterhaltspflichtige Ehefrau beziehe ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.370,23. Damit der Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führe, wäre ein Einkommen von zumindest EUR 1.639,26 erforderlich (= Richtsatz für ein Ehepaar gemäß § 293 ASVG von EUR 1.307,89, zuzüglich Wohnungsmiete von EUR 610,09, abzüglich Wert der freien Station von EUR 278,72). Die vom Mitbeteiligten vorgelegten arbeitsrechtlichen "Vorverträge" entsprächen nicht den Anforderungen und könnten daher nicht berücksichtigt werden. Folglich sei die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG nicht erfüllt.

Die Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG falle zu Ungunsten des Mitbeteiligten aus. Einem gemeinsamen Familienleben im Heimatstaat, wo für den Mitbeteiligten weiterhin eine wirtschaftliche und soziale Struktur sowie entsprechende Bindungen vorlägen, stünden keine wesentlichen Hindernisse entgegen. Zwar seien familiäre Bindungen zur in Österreich aufhältigen Ehefrau entstanden, die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der Zuwanderungsbestimmungen überwögen jedoch das persönliche Interesse des Mitbeteiligten an einem Zuzug nach Österreich.

2.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde mit dem Vorbringen, er werde bei der Ehefrau mitversichert sein, sodass sein Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könne. Auch habe er einen den Anforderungen entsprechenden Arbeitsvorvertrag vorgelegt, wobei sein Einkommen und jenes der Ehefrau jedenfalls ausreichten, um den gemeinsamen Unterhalt zu bestreiten.

In der mündlichen Verhandlung führte der Rechtsvertreter des Mitbeteiligten ergänzend aus, die im Bescheid vorgeworfene Überschreitung des visumfreien Aufenthalts stimme an sich, im Antragszeitpunkt sei aber keine Überschreitung vorgelegen. An anderer Stelle brachte der Rechtsvertreter vor, der Mitbeteiligte habe den visumfreien Aufenthalt stets eingehalten, seine diesbezüglichen Angaben unterlägen der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.

3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde statt und erteilte den beantragten Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten.

3.2. Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Der Mitbeteiligte habe seine über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügende Ehefrau im Mai 2014 geheiratet. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Eheschließung nur zu dem Zweck erfolgt wäre, dem Mitbeteiligten die Erlangung eines Aufenthaltstitels zu ermöglichen.

Am 17. Februar 2015 habe der Mitbeteiligte persönlich beim Revisionswerber die erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zum Zweck der Familienzusammenführung mit seiner Ehefrau beantragt. Die Antragstellung sei am 90. Tag des Aufenthalts des Mitbeteiligten im Schengen-Raum erfolgt. Im Antragszeitpunkt sei keine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts vorgelegen.

Laut den im Reisepass befindlichen Grenzkontrollstempeln sei der Mitbeteiligte nach der Antragstellung wieder am 28. Mai in das Schengengebiet eingereist und am 11. Juni 2015 wieder ausgereist. Eine weitere Einreise sei am 12. Juni und die Ausreise am 31. Juli 2015 erfolgt, eine neuerliche Einreise am 4. September und die Ausreise am 18. September 2015. Eine weitere Einreise habe am 29. Dezember 2015 und die Ausreise am 14. März 2016 stattgefunden. Zuletzt sei der Mitbeteiligte im Juni 2016 eingereist.

Aktuell liege daher keine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts durch den Mitbeteiligten vor. Ein aufrechtes Einreiseverbot bzw. aufenthaltsbeendende Maßnahmen seien nicht gegeben. Es liege auch keine Bestrafung wegen nicht rechtmäßiger Einreise oder wegen Umgehung der Grenzkontrolle vor.

Verurteilungen des Mitbeteiligten schienen weder im österreichischen noch im serbischen Strafregister auf.

Es sei nicht erkennbar, dass der Aufenthalt des Mitbeteiligten im Bundesgebiet die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem Völkerrechtssubjekt wesentlich beeinträchtigen würde.

Der Mitbeteiligte beabsichtige, seinen Hauptwohnsitz in Österreich in einem (näher bezeichneten) Haus, das eine Wohnfläche von 130 m2 aufweise und als ortsüblich anzusehen sei, zu nehmen; dort wohnten aktuell auch seine Ehefrau und deren Stiefsohn, die Eigentümer des Hauses seien. Weiters beabsichtige der Mitbeteiligte, mit Nebenwohnsitz in einer (näher genannten) Wohnung mit einer Wohnfläche von 55 m2 zu leben, wobei seine Ehefrau über einen unbefristeten Mietvertrag verfüge.

Der Mitbeteiligte beabsichtige, langfristig einer Erwerbstätigkeit in Österreich nachzugehen. Zu dem Zweck verfüge er über einen Arbeitsvorvertrag mit der D GmbH, wonach er als Reinigungskraft auf unbestimmte Zeit mit 40 Wochenstunden und einem monatlichen Bruttolohn von EUR 1.570,80 (inklusive Sonderzahlungen netto EUR 1.452,43) eingestellt werde.

Der Mitbeteiligte verfüge in Serbien gemeinsam mit seiner Mutter und seinem ältesten Sohn über Ersparnisse von EUR 10.000,-- aus nicht illegalen Quellen.

Die Ehefrau des Mitbeteiligten arbeite seit Jänner 2015 ununterbrochen und beziehe einen monatlichen Bruttolohn von aktuell EUR 1.490,-- (inklusive Sonderzahlungen netto EUR 1.391,58).

Der Mitbeteiligte habe keine regelmäßigen Aufwendungen zu tragen. Für die Ehefrau bestünden regelmäßige Aufwendungen von monatlich EUR 831,76 bis 881,76 (= EUR 610,09 für Wohnungsmiete samt Betriebskosten, EUR 150,-- bis 200,-- für Unterstützung des Stiefsohns, EUR 25,-- für Fernsehen, EUR 16,67 für serbisches Fernsehen, EUR 30,-- für Internet).

Der Mitbeteiligte habe Anspruch auf eine alle Risken abdeckende in Österreich leistungspflichtige Krankenversicherung.

Der Mitbeteiligte verfüge über Deutschkenntnisse zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau. Im Februar 2015 habe er eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1 absolviert; weiters habe er ein ÖSD-Zeugnis "A1 Grundstufe Deutsch 1" vom März 2015 vorgelegt.

Für den Mitbeteiligten sei ein Quotenplatz vorhanden.

3.3. Die rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts ist im Wesentlichen wie folgt zusammenzufassen:

Der Mitbeteiligte sei als serbischer Staatsangehöriger zum visumfreien Aufenthalt in Österreich für die Dauer von bis zu 90 Tagen in einem Zeitraum von 180 Tagen berechtigt gewesen. Die Antragstellung am 17. Februar 2015 sei unstrittig innerhalb des visumfreien Aufenthalts (am 90. Tag) und damit berechtigter Weise im Inland erfolgt. Dahingestellt bleiben könne, "ob direkt nach Antragstellung eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthaltes" eingetreten sei, weil "jedenfalls danach sowie im Entscheidungszeitpunkt des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich keine Überschreitung" vorgelegen sei. Für die Frage einer Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts sei nämlich auf den Entscheidungszeitpunkt abzustellen, wie sich aus dem (näher erörterten) Wortlaut des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG und aus den Gesetzesmaterialien ergebe. Gegenständlich sei der Mitbeteiligte "nach Antragstellung nachweislich wieder aus dem Schengener Raum ausgereist" und habe "in weiterer Folge und insbesondere im hg. Entscheidungszeitpunkt die Dauer seines erlaubten visumfreien Aufenthaltes nicht überschritten". Der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG sei daher nicht verwirklicht.

Der Aufenthalt des Mitbeteiligten könne auch zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. Der Richtsatz für Ehegatten im gemeinsamen Haushalt nach § 293 Abs. 1 ASVG betrage aktuell EUR 1.323,58. Dem stehe einerseits das monatliche Nettoeinkommen des Mitbeteiligten aus seiner künftigen Beschäftigung in Österreich von EUR 1.452,43 gegenüber, wobei daraus keine regelmäßigen Aufwendungen zu tätigen seien. Andererseits beziehe die Ehefrau ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.391,58, wobei daraus regelmäßige Aufwendungen von EUR 831,76 bis 881,76 zu bestreiten seien; abzüglich des Werts der freien Station verbleibe daher ein verfügbares Einkommen von EUR 791,88 bis 841,88. In Summe ergebe sich daher für den Mitbeteiligten und seine Ehefrau ein verfügbares monatliches Haushaltsnettoeinkommen von zumindest EUR 2.244,31, sodass der gesetzlich vorgesehene Richtsatz - auch ohne Berücksichtigung von Ersparnissen - erreicht werde. Folglich sei die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG gegeben.

Nach den getroffenen Feststellungen seien auch alle weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels erfüllt, Erteilungshindernisse lägen nicht vor (wird jeweils an Hand der einzelnen Tatbestände des § 11 Abs. 1 und 2 sowie § 21a Abs. 1 NAG näher erörtert).

Insgesamt sei daher - in Stattgebung der Beschwerde - dem Mitbeteiligten der beantragte Aufenthaltstitel, befristet auf zwölf Monate, zu erteilen gewesen.

3.4. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Frage, ob § 11 Abs. 1 Z 5 NAG in einem Fall wie hier, wo "allenfalls direkt nach Antragstellung eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthaltes vorlag, jedoch sodann nachweislich eine Ausreise aus dem Schengener Raum und keine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthaltes mehr erfolgte und insbesondere auch im Entscheidungszeitpunkt nicht vorliegt", der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegenstehe, durch die Rechtsprechung nicht abschließend geklärt erscheine.

4.1. Gegen dieses Erkenntnis (ausgenommen die gleichzeitig ausgesprochene unbekämpft gebliebene Verpflichtung zum Ersatz der Dolmetschergebühren) wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende - ordentliche Revision mit einem Aufhebungsantrag.

Der Revisionswerber macht im Wesentlichen geltend, es fehle Rechtsprechung zu der vom Verwaltungsgericht in der Zulassungsbegründung aufgeworfenen Rechtsfrage, wobei die Frage richtiger Weise dahingehend zu beantworten sei, dass der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG auch in einem solchen Fall verwirklicht sei. Ferner weiche das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, weil das Verwaltungsgericht die bei Vorliegen des Erteilungshindernisses nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG gebotene Interessenabwägung im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG zu Unrecht unterlassen habe.

4.2. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

 

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht in den vom Revisionswerber aufgezeigten Fragen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen ist. Die Revision ist aus dem Grund auch berechtigt.

6.1. Nach § 21 Abs. 2 Z 5 NAG sind Fremde, die an sich zur visumfreien Einreise berechtigt sind, während ihres erlaubten visumfreien Aufenthalts zur Antragstellung im Inland berechtigt.

Gemäß § 21 Abs. 6 NAG schafft eine Inlandsantragstellung (unter anderem) nach Abs. 2 Z 5 kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Vielmehr ist nach Ablauf eines solchen erlaubten Aufenthalts gemäß § 21 Abs. 1 NAG die Entscheidung im Ausland abzuwarten.

Nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt.

6.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen (siehe VwGH 22.2.2018, Ra 2017/22/0154; vgl. auch 22.3.2018, Ra 2017/22/0177, Ra 2017/22/0204; u.a.), dass der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG einerseits einen sichtvermerkfreien Aufenthalt des Antragstellers und andererseits die Überschreitung der Dauer des so erlaubten Aufenthalts voraussetzt. Der Zweck der Bestimmung des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG liegt darin, zu verhindern, dass Fremde ihren Aufenthalt im Bundesgebiet durch das Stellen eines Antrags nach dem NAG über den sichtvermerkfreien Zeitraum hinaus ohne Vorliegen eines Aufenthaltstitels ausdehnen. Das Verfahren ist daher nach rechtmäßiger Antragstellung im Inland und nach Ablauf des sichtvermerkfreien Zeitraums im Ausland abzuwarten. Ein Zuwiderhandeln steht der Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels grundsätzlich entgegen, auch wenn zwischenzeitlich eine Ausreise erfolgt ist.

6.3. Vorliegend ergibt sich aus den vom Verwaltungsgericht getroffenen unstrittigen Feststellungen, dass der Mitbeteiligte nach rechtmäßiger Einreise am 20. November 2014 den gegenständlichen Erstantrag am 17. Februar 2015 (und damit am 90. Tag seines visumfreien Aufenthalts) persönlich beim Revisionswerber stellte. Im Antragszeitpunkt lag somit (noch) keine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts vor.

In der Folge reiste der Mitbeteiligte zwar erwiesener Maßen aus dem Bundesgebiet aus, zumal im Reisepass seine neuerliche Einreise am 28. Mai 2015 dokumentiert ist. Wann genau die Ausreise nach der Antragstellung im Inland erfolgte, wurde jedoch - auf Grund der irrigen Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, es käme darauf gar nicht an, vielmehr wäre einzig maßgebend, dass insbesondere im Entscheidungszeitpunkt eine Überschreitung des rechtmäßigen Aufenthalts nicht (mehr) vorgelegen sei - nicht festgestellt.

Richtigerweise bedarf es jedoch einer derartigen Feststellung, um beurteilen zu können, ob der Mitbeteiligte die Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts überschritten und damit das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG verwirklicht hat. Nach der (schon oben erörterten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs liegt nämlich der genannte Versagungsgrund auch dann vor, wenn nach rechtmäßiger Antragstellung im Inland zunächst der Zeitraum des sichtvermerkfreien Aufenthalts überschritten wurde, zwischenzeitig jedoch eine Ausreise erfolgte und daher späterhin insbesondere im Entscheidungszeitpunkt ein Zuwiderhandeln nicht (mehr) vorlag.

6.4. Das Verwaltungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die nach dem Vorgesagten erforderlichen Feststellungen - diesbezügliche Beweisaufnahmen (etwa durch Befragung des Mitbeteiligten und Einholung von Meldeauskünften) wurden vom Verwaltungsgericht bereits getätigt - zu treffen haben, um beurteilen zu können, inwiefern von einer Überschreitung der Dauer des visumfreien Aufenthalts und damit von der Verwirklichung des Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 NAG ausgegangen werden kann.

7.1. Nach § 11 Abs. 3 NAG kann ein Aufenthaltstitel trotz Vorliegen eines Erteilungshindernisses (unter anderem) gemäß Abs. 1 Z 5 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der vorzunehmenden Beurteilung nach Art. 8 EMRK unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung eines Aufenthaltstitels mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 11 Abs. 3 NAG genannten Kriterien, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. etwa VwGH 18.3.2019, Ra 2019/22/0041; mwN).

7.2. Sollte das Verwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren zum Ergebnis kommen, dass der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG verwirklicht sei, wird es auch die für die Anwendung des § 11 Abs. 3 NAG in Verbindung mit Art. 8 EMRK erforderlichen Feststellungen vollständig (der oben wiedergegebene Sachverhalt lässt Feststellungen nicht zu allen maßgeblichen Kriterien erkennen) zu treffen haben, um die nach dem Vorgesagten gebotene Interessenabwägung im Sinn einer Gesamtbetrachtung vornehmen zu können.

8. Insgesamt war daher das angefochtene Erkenntnis (im Umfang der Anfechtung) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

9. Im Übrigen ist festzuhalten, dass die rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts jedenfalls insofern keinen Bedenken begegnet, als auf Grundlage der im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Feststellungen vom Fehlen der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG nicht ausgegangen werden kann und auch Anhaltspunkte für das Fehlen sonstiger Erteilungsvoraussetzungen oder das Bestehen weiterer Versagungsgründe (§ 11 Abs. 1 Z 5 NAG ausgenommen) nicht zu sehen sind.

Wien, am 28. Mai 2019

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