VwGH Ra 2017/22/0194

VwGHRa 2017/22/019422.3.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Bundesministers für Inneres gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 11. August 2017, KLVwG- 563/12/2017, betreffend Rückstufung gemäß § 28 Abs. 1 NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt; mitbeteiligte Partei: E B, vertreten durch Dr. Helmut Sommer, Mag. Felix Fuchs und Mag. Margot Moser-Lechner, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Neuer Platz 5/II), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs5 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §53 Abs3 idF 2013/I/068;
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1 idF 2013/I/068;
VwGG §42 Abs2 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017220194.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt (Behörde) stellte mit Bescheid vom 6. Februar 2017 fest, dass das aufgrund des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EU" bestehende unbefristete Aufenthaltsrecht der Mitbeteiligten, einer kosovarischen Staatsangehörigen, gemäß § 28 Abs. 1 Niederlassung- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ende.

2 Begründend führte die Behörde aus, aufgrund von neun rechtskräftigen Verurteilungen gemäß §§ 88 Abs. 1 und 229 Abs. 1 StGB, zuletzt vom 1. Juni 2016, lägen die Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot vor, welche derzeit (erkennbar aus Gründen des Art. 8 EMRK) jedoch nicht verhängt werden könnte.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Kärnten (LVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der Beschwerde der Mitbeteiligten statt und behob den Bescheid. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.

4 Begründend führte das LVwG im Wesentlichen aus, fallbezogen sei eine Gefährdungsprognose gemäß § 53 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) durchzuführen und dabei festzustellen, ob der Aufenthalt der Mitbeteiligten eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Dabei reiche es nicht aus, auf Verurteilungen zu verweisen. Vielmehr seien die Art und Schwere der den Verurteilungen zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Drittstaatsangehörigen maßgeblich (Hinweis auf VwGH 31.3.2008, 2007/21/0533); dies habe die Behörde unterlassen.

Den Feststellungen des LVwG zufolge weise die Mitbeteiligte im Zeitraum von 2006 bis 2017 insgesamt zehn Verurteilungen auf; davon seien zwei Jugendstraftaten, eine Verurteilung wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt (2010), eine wegen Urkundenunterdrückung (2013) und fünf Verurteilungen wegen Körperverletzung bzw. fahrlässiger Körperverletzung; die Verurteilungen hätten 2008 zu einer Geldstrafe, 2010, 2014 und 2015 zu bedingten Freiheitsstrafen sowie einer Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre und 2016 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten geführt. Der letzten Verurteilung 2017 liege ein versuchter Diebstahl zugrunde, der zu einer Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten und zwei Wochen geführt habe.

Das letzte Körperverletzungsdelikt liege mehr als zweieinhalb Jahre zurück, wobei die im Zuge dieses Raufhandels von der Mitbeteiligten verletzte Person ebenfalls wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden sei. Die der Verurteilung im Jahr 2014 zugrunde liegende Körperverletzung resultiere aus einer Rangelei mit der Freundin ihres Exfreundes, bei der sich die Gegnerin der Mitbeteiligten bei der gegenseitigen Stoßerei oberflächliche Verletzungen am Kopf und im Gesicht sowie eine Prellung der Hüfte zugezogen hätte. Auch der versuchte Diebstahl im Zusammenhang mit den anderen Verurteilungen könne keine hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit begründen. Dabei berücksichtigte das LVwG das anhängige Obsorgeverfahren bezüglich ihres am 24. Oktober 2010 in Österreich geborenen Sohnes und den Umstand, dass die Mitbeteiligte seit Mai 2017 einer bezahlten Beschäftigung nachgehe und ihre Haftstrafe im elektronisch überwachten Hausarrest verbüße.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundesministers für Inneres mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

6 Die Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 In ihrer Zulässigkeitsbegründung rügt die Amtsrevision mit näherer Begründung, das LVwG habe die Gefährdungsprognose nicht im Sinn des Gesetzes vorgenommen und sei von der hg. Rechtsprechung abgewichen (Hinweis auf VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0065;

20.6.2017, Ra 2017/01/0029).

8 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig

und auch begründet:

9 § 28 Abs. 1 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der im

vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 68/2013 lautet:

"Rückstufung und Entziehung eines Aufenthaltstitels

§ 28. (1) Liegen gegen einen Inhaber eines Aufenthaltstitels ‚Daueraufenthalt - EU' (§ 45) die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor, kann diese Maßnahme aber im Hinblick auf § 9 BFA-VG nicht verhängt werden, hat die Behörde das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechts mit Bescheid festzustellen und von Amts wegen einen befristeten Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus' auszustellen (Rückstufung)."

§ 52 Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, lautet:

"Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige Rückkehrentscheidung

(1) ...

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel ‚Daueraufenthalt - EU' verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde."

§ 53 Abs. 3 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, lautet auszugsweise:

"Einreiseverbot

§ 53. (1) ...

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer

unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. ..."

10 Gemäß § 52 Abs. 5 FPG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen bestimmte Drittstaatsangehörige nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Dabei muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden, wobei im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zugrunde liegende Fehlverhalten unter Berücksichtigung seiner Art und Schwere eine Gefährdungsprognose zu treffen ist (vgl. VwGH vom 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, Rn. 8). Um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, bedarf es grundsätzlich eines Zeitraumes des Wohlverhaltens, wobei in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich ist (vgl. VwGH vom 27.4.2017, Ra 2016/22/0094, Rn. 11).

11 Die Mitbeteiligte wurde unbestritten zwischen 2006 und 2017 insgesamt zehnmal - mehrmals auch wegen Delikten gegen die körperliche Integrität - verurteilt. Bei der Gefährdungsprognose ist daher die wiederholte Straffälligkeit der Mitbeteiligten über einen langen Zeitraum maßgeblich, wobei sowohl die zunächst bedingt verhängten Freiheitsstrafen als auch 2016 die unbedingte Freiheitsstrafe die Mitbeteiligte nicht davon abhalten konnten, 2017 (innerhalb der fünfjährigen Probezeit der vorherigen Verurteilung) abermals straffällig zu werden (vgl. dazu VwGH 31.8.2017, Ra 2017/21/0041). Darüber hinaus wurde sie zuletzt mit Urteil vom 11. Jänner 2017 rechtskräftig wegen versuchten Diebstahls (am 15. Oktober 2016) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von dreieinhalb Monaten verurteilt und befand sich zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses in elektronisch überwachtem Hausarrest. Angesichts dessen kann nicht von einem Wohlverhalten der Mitbeteiligten ausgegangen werden. Die vom LVwG vorgenommene Gefährdungsprognose, wonach die Mitbeteiligte keine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, ist unter Berücksichtigung der wiederholten Delinquenz über einen langen Zeitraum und der evidenten Unbelehrbarkeit der Mitbeteiligten nicht nachvollziehbar.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 22. März 2018

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