OGH 2Ob190/07s

OGH2Ob190/07s15.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef S*****, vertreten durch Dr. Ernst Gramm, Rechtsanwalt in Neulengbach als Sachwalter, gegen die beklagten Parteien 1.) Andreas F*****, 2.) Österreichische Post AG, Postgasse 8, 1010 Wien, 3.) H***** AG, *****, alle vertreten durch Dr. Hanns Christian Baldinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 125.942,47 s.A. und Feststellung (Streitwert EUR 30.000,--), über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse EUR 42.128,86 s.A.) und der beklagten Parteien (Revisionsinteresse EUR 83.813,61 s.A. und Feststellung) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23. Juli 2007, GZ 15 R 29/07f-44, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Krems/Donau vom 28. November 2006, GZ 3 Cg 109/04y-38 bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

  1. 1.) Die Revision der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.
  2. 2.) Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt lauten:

    „Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen EUR 125.942,47 samt jeweils 4 % Zinsen aus EUR 80.017,19 von 1. 9. 2003 bis 11. 7. 2005, aus EUR 82.153,52 von 12. 7. 2005 bis 13. 2. 2006, aus EUR 121.809,35 von 14. 2. 2006 bis 4. 5. 2006 und aus EUR 125.942,47 seit 5. 5. 2006 zu bezahlen sowie die mit EUR 21.087,96 bestimmten Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz (darin enthalten EUR 3.514,66 USt) zu ersetzen.

    Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien der klagenden Partei für jeden künftigen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 6. 2. 2002, der sich gegen 11.55 Uhr im Gemeindegebiet von 3613 Albrechtsberg, im Ortsgebiet von Harrau bei der Ausfahrt des Anwesens Harrau Nr 1 ereignete, zur ungeteilten Hand zu haften haben, wobei die Haftung der drittbeklagten Partei mit der Haftpflichtversicherungssumme für den LKW VW mit dem Kennzeichen PT***** beschränkt ist und die Haftung sämtlicher beklagten Parteien hinsichtlich der Schmerzengeldansprüche mit drei Viertel begrenzt ist."

    Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 2.036,68 (darin enthalten EUR 339,45 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 6. 2. 2002 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker eines Motorfahrrades und der Erstbeklagte als Lenker eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Kastenwagens beteiligt waren. Der Erstbeklagte, der im Haus Harrau Nr 1 Post zugestellt hatte, fuhr aus der Hofeinfahrt rückwärts mit einer Geschwindigkeit von etwa 9 km/h in Richtung Landesstraße 7163 und hielt nach einer Wegstrecke von etwa 7 m das Fahrzeug auf Höhe der Hofeinfahrt an, um den Verkehr auf der Landesstraße zu beachten. In dieser Stillstandsposition ragte das Beklagtenfahrzeug mit dem Heck auf die aktive Fahrbahn. Ein Vorbeifahren wäre ohne Überschreiten der gedachten Fahrbahnmitte möglich gewesen. Der Kläger näherte sich der Hauseinfahrt mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h. Zum Zeitpunkt des Stillstandes des Beklagtenfahrzeuges befand sich das Klagsfahrzeug rund 19 m vor der späteren Kollisionsposition. Der Erstbeklagte fuhr weiter in die Landesstraße ein. 2,3 Sekunden nach dem Losfahren und nach einer Wegstrecke von rund 2 m kollidierte das Beklagtenfahrzeug mit dem von rechts auf der Landesstraße kommenden Klagsfahrzeug. Eine Reaktion des Klägers, dem eine Abwehrzeit von 0,5 bis 1 Sekunde zur Verfügung stand, durch Bremsung oder Auslenken steht nicht fest. Der Kläger trug keinen Sturzhelm und erlitt bei dem Unfall schwere Schädelverletzungen (offener Schädelbruch). Bei Tragen eines Sturzhelmes hätte der Kläger mit sehr großer Wahrscheinlichkeit den offenen Schädelbruch nicht erlitten. In diesem Fall wäre Unfallfolge eine leichte Schädelverletzung gewesen, die bleibenden Folgen wären aber nicht so schwer gewesen. Das Ausmaß jener Verletzungen und Verletzungsfolgen (und damit der daraus resultierenden Schmerzen), die der Kläger bei Tragen eines korrekten Sturzhelmes erlitten hätte, steht nicht fest.

Nach Krankenhaus- und Rehabilitationsaufenthalten vom 6. 2. 2002 bis 25. 7. 2002 wurde der zu 100 % invalide Kläger in einem Pflegeheim untergebracht, wo er seit 25. 7. 2002 ständig betreut wird. Die Pflegegebühren von derzeit täglich EUR 24,31 (monatlich EUR 2.529,30) werden vom Land Niederösterreich als Sozialhilfeträger übernommen. Der Kläger hat als Kostenbeitrag 80 % aus seinem Einkommen und seinem verwertbaren Vermögen zu leisten; 20 % des monatlichen Einkommens verbleiben ihm als „Taschengeld".

Die Pensionsversicherungsanstalt gewährte dem Kläger ab 1. 7. 2002 eine monatliche Invaliditätspension von EUR 651,07 abzüglich Ruhensbetrag gemäß § 90 ASVG (Krankengeld) von EUR 557,10. Ab 1. 1. 2003 betrug die monatliche Invaliditätspension EUR 658,91 abzüglich Ruhensbetrag gemäß § 90 ASVG von EUR 557,10. Die monatlichen Invaliditätspensionen erhöhten sich ab 1. 8. 2003 auf EUR 634,20, ab 1. 1. 2005 auf EUR 645,22 und ab 1. 1. 2006 auf EUR 681,35. Die Pensionsversicherungsanstalt gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 16. 3. 2004 ab 1. 7. 2002 ein Pflegegeld der Stufe 4 von EUR 620,30. Ab 1. 1. 2005 beträgt das Pflegegeld monatlich EUR 632,70. Anlässlich der Gewährung der Sozialhilfe mit Bescheid vom 29. 7. 2002 wurde ein Kostenbeitrag des Klägers von vorläufig 80 % seines Einkommens und 80 % des Pflegegeldes festgesetzt. Die Kosten der Pflege und der Betreuungsmaßnahme betrugen damals täglich EUR 80,--. Der Kläger wurde mit Bescheid vom 23. 2. 2006 verpflichtet, einen Teil der offenen Verpflegungskosten in Höhe von EUR 6.013,61 zu ersetzen. Dieser Betrag wurde aus dem Verkauf einer Liegenschaft des Klägers finanziert.

Der Kläger hatte von Dezember 1998 bis April 2001 und von September 2001 bis zum Unfallzeitpunkt Notstandshilfe bzw Überbrückungshilfe bezogen. Von Mai 2001 bis August 2001 hatte er keine Versicherungszeiten aufzuweisen.

Der Kläger begehrte zuletzt (ON 32) EUR 125.942,47 s.A., davon - bei einer Mitverschuldensquote von einem Viertel wegen Verletzung der Helmpflicht - Schmerzengeld von EUR 77.500,--, Pflegekosten von EUR 48.142,47 (jeweils 80 % der Invaliditätspension und des Pflegegeldes vom 25. 7. 2002 bis 30. 6. 2005 = EUR 42.128,86 und EUR 6.013,61 aus dem Verkauf einer Liegenschaft) und EUR 300,-- Fahrzeugschaden. Während der Kläger zu der Position „Pflegekosten" in der Klage darauf verwies, sie aus eigenen Mitteln aufgewendet zu haben, führte er in der Folge aus, die von öffentlicher Hand geleisteten Pflegekosten dienten nicht der Entlastung des Schädigers, weshalb ihm diesbezüglich Verdienstentgang zustehe (ON 13 S 3). Neben dem Leistungsbegehren erhob der Kläger ein Feststellungsbegehren, das ua der zugestandenen 25 %-igen Mitverschuldensquote Rechnung trägt. Die Beklagten wendeten ein zumindest 50 %-iges Mitverschulden des Klägers ein, der einerseits gegen die Sturzhelmpflicht verstoßen und andererseits verspätet bzw falsch reagiert habe. Die auch bei Verwendung eines Helmes eingetretenen Verletzungen wären komplikationslos verheilt. Das wegen Verletzung der Helmpflicht anzurechnende Mitverschulden des Klägers betreffe sämtliche Forderungen einschließlich des Feststellungsbegehrens. Zu den begehrten Pflegekosten wendeten die Beklagten - soweit noch relevant - ein, die Sozialhilfeträger leisteten die Kosten des Heimaufenthaltes direkt. Die Pensionsversicherungsanstalt habe ursprünglich Regressansprüche zufolge Übergangs der Ansprüche nach §§ 332 ff ASVG angemeldet, schließlich aber wegen des Bezuges von Notstandshilfe durch den Versicherten das Fehlen eines übergangsfähigen Deckungsfonds zugestanden und erklärt, von Regressmaßnahmen Abstand zu nehmen. Was den Verdienstentgang betreffe, sei der Kläger einkommensmäßig nicht schlechter gestellt als ohne das schädigende Ereignis.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit EUR 83.813,61 s.A. sowie dem Feststellungsbegehren statt und wies das Mehrbegehren von EUR 42.128,86 s.A. ab. Ausgehend von dem eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt hielt es folgende Schadenspositionen für gerechtfertigt: Schmerzengeld EUR 77.500,--, Fahrzeugschaden EUR 300,--, Kostenbeitrag für offene Verpflegungs-/Sozialhilfekosten EUR 6.013,61. Eine Kürzung des Schmerzengeldes wegen Verletzung der Sturzhelmpflicht komme an sich nur bezüglich der vermeidbaren Verletzungen in Frage. Nur die Differenz zwischen dem Schmerzengeld für die konkreten und jenen für die fiktiven Unfallfolgen unterliege der Kürzung. Mangels Feststellbarkeit der vermeidbaren Schmerzen müsse der Kläger eine Kürzung des insgesamt angemessenen Schmerzengeldes um eine Mitverschuldensquote von 25 % hinnehmen. Einen Reaktionsfehler verneinte das Erstgericht wegen der geringen Abwehrzeit bzw der im Verhältnis zu einem geringfügigen Aufmerksamkeitsfehler schwerwiegenderen Vorrangverletzung. Mit Ausnahme des Teilbetrages von EUR 6.013,61 wertete das Erstgericht die Pflegekosten mit dem Argument als nicht ersatzfähig, dass dem Kläger durch die direkte Überweisung von 80 % seines Einkommens an den Sozialhilfeträger kein Schaden entstanden sei. Wäre er nicht in einem Pflegeheim untergebracht, müsste er sein Einkommen für seinen Lebensunterhalt verwenden.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge. Es übernahm den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt mit Ausnahme einer (tatsächlich) widersprüchlichen und aus diesem Grund in der Beweisrüge der Beklagten gerügten Feststellung und teilte die Auffassung des Erstgerichtes sowohl zur Kürzung des Schmerzengeldbetrages als auch zur mangelnden Ersatzfähigkeit der Pflegekosten von EUR 42.128,86. Über den ohnehin vom Erstgericht als ersatzfähig qualifizierten Betrag von EUR 6.013,61 hinaus habe der Kläger keine Kosten für seine Unterbringung und Pflege geleistet. Wenn 80 % der Pensionsleistung und des Pflegegeldes zur Abdeckung der vom Sozialhilfeträger erbrachten Leistungen verwendet werden, könne dies allenfalls einen Regressanspruch des Sozialversicherungsträgers begründen, nicht aber einen Ersatzanspruch des Klägers. Diese einbehaltenen Beträge stünden dem Kläger auch bei Unterbleiben des schädigenden Ereignisses nicht zur Verfügung. Einen Verdienstentgang in Form einer Gegenüberstellung der vor dem Unfall bezogenen Notstandshilfe mit dem nunmehr ausbezahlten „Taschengeld" (20 % der Invaliditätspension und des Pflegegeldes) habe der Kläger nicht geltend gemacht.

Der Kläger bekämpft in seiner außerordentlichen Revision die Abweisung des Mehrbegehrens von EUR 42.128,86 s.A. mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren auch in diesem Betrag stattzugeben. Die Beklagten streben in ihrer, gegen die Klagsstattgebung gerichteten außerordentlichen Revision die Abweisung des gesamten Klagebegehrens an. Hilfsweise stellen die Parteien jeweils einen Aufhebungsantrag.

In ihrer Revisionsbeantwortung beantragen die Beklagten, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Revision der Beklagten ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Die Revision des Klägers ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, es ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

I. Zum Rechtsmittel der Beklagten:

1.) Zum Thema Reaktionsverspätung wiederholen die Beklagten ihren bereits in der Berufung vertretenen Standpunkt, Reaktionsanlass sei nicht erst das neuerliche Anfahren aus der Stillstandsposition, sondern bereits der Beginn des Rückfahrmanövers ab dessen Erkennbarkeit für den vorrangsberechtigten Kläger, dem dadurch eine Abwehrzeit von mehr als 4 Sekunden verblieben sei.

Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichtes begründet noch keine auffällige und damit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung, weil ein Vorrangberechtigter nicht von vornherein mit der Missachtung seines Vorranges rechnen muss (RIS-Justiz RS0073271 [T2]) und die erkennbare Bewegung eines benachrangten, zunächst noch außerhalb der Fahrbahn (hier: in einer Hofeinfahrt) befindlichen Fahrzeuges das Vertrauen auf die Beachtung des Vorranges nicht beseitigt (vgl 2 Ob 177/69 = ZVR 1970/62 = RIS-Justiz RS0073341; vgl RS0073423). Bei einem Einfahren des benachrangten Fahrzeuges in die Fahrbahn der bevorrangten Straße mit anschließendem Stillstand muss der dadurch nicht behinderte Vorrangberechtigte nicht damit rechnen, dass der wartepflichtige Lenker sein Fahrzeug wieder in Bewegung setzt (RIS-Justiz RS0073326). Da grundsätzlich der nach § 19 Abs 6 StVO wartepflichtige Lenker des Beklagtenfahrzeuges den ungünstigen Sichtverhältnissen (Kastenwagen, Rückwärtsschieben aus einer Hofeinfahrt) durch eine entsprechend vorsichtige Fahrweise Rechnung tragen hätte müssen (RIS-Justiz RS0074429), ist es vertretbar, dem Vorrangberechtigten das Vertrauen darauf zuzubilligen, der Wartepflichtige werde bei seinem Rückfahrmanöver jeweils entsprechend den Sichtverhältnissen anhalten, um den Vorrang des Fließverkehrs zu wahren. Dass der Erstbeklagte ein „rasantes" Rückfahrmanöver in einem Zug bis zur Kollision durchgeführt hätte, was Anlass für eine besondere Vorsicht des vorrangberechtigten Klägers gewesen wäre, behaupten die Beklagten selbst nicht. Erschwerend kommt bei der Wertung des Fahrverhaltens des Erstbeklagten noch dazu, dass er bei einer - in der Revision selbst als möglich zugestandenen - Vorwärtsfahrt aus dem Hof eine wesentlich bessere Sicht auf den Fließverkehr gehabt hätte. Die Ausführungen der Revision zum Ausmaß der Abwehrzeit und der daraus abgeleiteten Reaktionsverspätung des Klägers beruhen somit auf einer Prämisse, welche das Berufungsgericht in vertretbarer Weise abgelehnt hat.

2.) Art IV Abs 1 der 4. KFG-Nov, BGBl 1977/615 (nunmehr seit 1. 1. 2006 § 106 Abs 7 KFG, BGBl I 117/2005) beschränkt das Mitverschulden wegen Verletzung der (hier unzweifelhaft gegebenen) Pflicht zum bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Sturzhelms ausdrücklich auf den Schmerzengeldanspruch. Auf sonstige Ansprüche des zum Tragen eines Sturzhelms verpflichteten Unfallopfers hat die Verletzung der Helmpflicht keine Auswirkungen. Der Geschädigte kann eine Kürzung des Schmerzengeldanspruches um das Mitverschulden durch den Nachweis abwenden, dass die Folge in dieser Schwere auch bei Gebrauch des Sturzhelms eingetreten wäre.

Der Oberste Gerichtshof hat zum vergleichbaren Fall der Verletzung der Gurtanlegepflicht (Art III Abs 1 der 3. KFG-Nov, nunmehr § 106 Abs 2 KFG) bereits dargelegt, dass die Beschränkung des Mitverschuldens auf den Schmerzengeldanspruch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 Abs 1 B-VG verstößt, weil die sachliche Rechtfertigung für die erwähnte Beschränkung darin liege, dass der Gesetzgeber in der Nichtbenutzung der Sicherheitsgurten nur

einen Verstoß mit geringem Schuldgehalt gesehen habe (2 Ob 30/90 =

ZVR 1991/44; 2 Ob 62/05i = ZVR 2006/4; RIS-Justiz RS0038653;

RS0065739). Die gegen die Auffassung des Berufungsgerichtes, die Erwägungen des Obersten Gerichtshofes zum Fall der Nichtbenutzung der Sicherheitsgurte auf die Verletzung der Sturzhelmpflicht zu übertragen, gerichtete Argumentation der Beklagten begründet keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO. Die in der Revision geäußerten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen zur „Helmpflicht" lösen nicht für sich die Verpflichtung eines Rechtsmittelgerichtes aus, den Verfassungsgerichtshof anzurufen (RIS-Justiz RS0053638). Das Fehlen höchstgerichtlicher Judikatur, die ausdrücklich zur Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Bestimmungen über die „Helmpflicht" Stellung nimmt, begründet ebenfalls nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage.

3.) Eine Kürzung des Schmerzengeldes wegen Verletzung der Sturzhelmpflicht kommt nur bezüglich der vermeidbaren Verletzungen in Betracht. In einer Schmerzengelddifferenzrechnung sind die konkreten und fiktiven Unfallfolgen einander gegenüber zu stellen. Vom höheren Schmerzengeld für die konkreten Folgen (Gesamtschmerzengeld) ist das niedrigere Schmerzengeld für die fiktiven Unfallfolgen abzuziehen. Nur die Differenz unterliegt der Kürzung durch die Mitverschuldensquote (2 Ob 246/98k = ZVR 1999/94 = RIS-Justiz RS0110803; Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Das Schmerzengeld8, 74).

Erachtete das Berufungsgericht im konkreten Fall die Beweisergebnisse für eine Feststellung des Ausmaßes der fiktiven Unfallfolgen (und damit der fiktiven Schmerzen) als nicht ausreichend bzw die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens für nicht notwendig, so ist dies ein vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfender Akt der Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0043371 [T15]; RS0043320; RS0043414). Scheidet die oben dargelegte „Kürzungsmethode" mangels Feststellbarkeit der vermeidbaren Verletzungen aus, so geht dies ohnehin nicht zu Lasten der Beklagten.

Vertretbar ist ebenso die einzelfallbezogene (RIS-Justiz RS0029844) Höhe der Mitverschuldensquote wegen Verletzung der Sturzhelmpflicht:

Der (im Vergleich zum „Auslösungsverschulden") regelmäßig geringere Schuldgehalt eines (vergleichbaren) „Gurtenmitverschuldens" des Verletzten wird in ständiger Rechtsprechung bei der Gewichtung der Verschuldensanteile damit zum Ausdruck gebracht, dass die Verletzung der Gurtenanlegepflicht in der Regel mit etwa 25 % bewertet wird (2 Ob 62/05i = ZVR 2006/4 mwN; 2 Ob 13/06k; Danzl, EKHG8 § 7 E 180 f; Reischauer in Rummel, ABGB2 § 1304 Rz 28; Harrer in Schwimann, ABGB³

VI § 1304 Rz 59).

II. Zum Rechtsmittel des Klägers:

1.) Ungeachtet der sowohl im erstinstanzlichen als auch im berufungsgerichtlichen Verfahren gewählten Bezeichnung des Anspruches auf Ersatz des noch revisionsgegenständlichen Betrages von EUR 42.128,86 s.A. als „Verdienstentgang" macht der Kläger nach seinem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen anspruchsbegründenden Tatsachenvorbringen (vgl Rechberger/Frauenberger ZPO3, vor § 226 ZPO Rz 15; RIS-Justiz RS0037659) inhaltlich einen Schadenersatzanspruch wegen Vermehrung seiner Bedürfnisse (§ 1325 ABGB, § 13 Z 3 EKHG), nämlich die durch die Betreuung in einem Pflegeheim verursachten Kosten geltend (8 Ob 49/86; Koziol, Haftpflichtrecht2 II 127; Reischauer in Rummel, ABGB2 § 1325 Rz 12). Die vom Kläger offenbar irrtümlich vorgenommene rechtliche Qualifikation dieses Anspruches als „Verdienstentgang" ist für die rechtliche Beurteilung nicht bindend (vgl 1 Ob 76/04i mwN): Entgegen dem Verständnis der Vorinstanzen beruft sich der Kläger nämlich darauf, dass 80 % seines Einkommens (Invaliditätspension und Pflegegeld) zur teilweisen Abdeckung der unfallkausalen Kosten des Pflegeheimes verwendet werden. Die rechtliche Beurteilung hat sich daher auf die Ersatzfähigkeit des Anspruches wegen vermehrter Bedürfnisse zu konzentrieren.

2.) Auf Grund der in § 332 Abs 1 ASVG angeordneten Legalzession gehen Schadenersatzansprüche des Geschädigten bereits mit dem Eintritt des Versicherungsfalles schon zum Schädigungszeitpunkt auf den Sozialversicherungsträger in jenem Umfang über, als dieser sachlich und zeitlich kongruente Leistungen zu erbringen hat, während ein darüber hinausgehender Schadenersatzanspruch beim Geschädigten verbleibt (RIS-Justiz RS0030708; RS0087557; 2 Ob 256/06w; Neumayr in Schwimann3 VII § 332 ASVG Rz 8, 26). Damit tritt eine Trennung der Schicksale der dem Geschädigten zu seiner eigenen Geltendmachung verbliebenen Direktansprüche und der auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen „Regressansprüche" ein (2 Ob 256/06w; 2 Ob 48/05f; Neumayr aaO Rz 13). Entscheidend ist, ob ein Anspruch auf eine Sozialversicherungsleistung besteht. In diesem Ausmaß fehlt es dem Geschädigten gegenüber dem Schädiger an der Aktivlegitimation (RIS-Justiz RS0035295; RS0035237).

Die sachliche Kongruenz als Voraussetzung für den Rechtsübergang ist gegeben, wenn der Ausgleichszweck des Sozialversicherungsanspruches mit jenem des Schadenersatzanspruches ident ist und beide Ansprüche daher darauf abzielen, denselben Schaden zu decken (2 Ob 59/07a; RIS-Justiz RS0084987; RS0085343; Neumayr aaO Rz 41). Kommt es zur Legalzession eines kongruenten Anspruches, scheidet eine Minderung der Ersatzpflicht des Schädigers im Verhältnis zum Geschädigten im Rahmen des Vorteilsausgleiches oder einer Verletzung der Schadensminderungspflicht von vornherein aus (2 Ob 59/07a; RIS-Justiz RS0030384; 1 Ob 22/94 = SZ 67/137; 2 Ob 56/98v = SZ 71/03; Neumayr aaO Rz 9; Reischauer in Rummel2 § 1312 ABGB Rz 13).

3.) Die Invaliditätspension ist zwar ebenso wie das Krankengeld sachlich kongruent im Verhältnis zum Verdienstentgangsanspruch eines Geschädigten (RIS-Justiz RS0031026; RS0030708 [T2]; Neumayr aaO Rz 48), den der vor dem Unfall Notstandshilfe beziehende Kläger aber nicht geltend macht. Schon mangels sachlicher Kongruenz zu dem Anspruch auf Ersatz der Pflegekosten würde hinsichtlich der Invaliditätspension bzw des Krankengeldes ein Rechtsübergang an die Pensionsversicherungsanstalt als Sozialversicherungsträger ausscheiden.

4.) Im Gegensatz zur Invaliditätspension ist das Pflegegeld sachlich kongruent zu dem Anspruch auf Ersatz der Pflegekosten (Neumayr aaO Rz 49; Danzl, EKHG8 § 13 E 156b).

In dem hier gegebenen Fall der stationären Pflege auf Kosten eines Landes als Sozialhilfeträger normiert § 13 Abs 1 Z 1 Bundespflegegeldgesetz (BPGG) eine Legalzession: Für die Zeit der Pflege geht der Anspruch auf Pflegegeld bis zur Höhe der Pflegekosten, höchstens jedoch bis zu 80 %, auf den jeweiligen Kostenträger über. Dieser Anspruchsübergang hängt aber nach § 13 Abs 2 BPGG (im Gegensatz zur Legalzession nach § 332 Abs 1 ASVG) von einer Verständigung des Entscheidungsträgers des Pflegegeldes (hier die Pensionversicherungsanstalt) ab.

Eine ähnliche Regelung findet sich im § 42 Abs 2 des niederösterreichischen Sozialhilfegesetzes 2000: Der Übergang von Rechtsansprüchen des Geschädigten gegen Dritte an den Träger der Sozialhilfe setzt eine schriftliche Anzeige voraus.

Mit dem Anspruchsübergang nach § 13 Abs 1 BPGG, der mit dem auf das Einlangen der Verständigung beim Entscheidungsträger folgenden Monat eintritt, verliert der Betroffene die Aktivlegitimation hinsichtlich der vom Anspruchsübergang erfassten Teile des Pflegegeldes (RIS-Justiz RS0107497).

5.) Die Voraussetzungen für die in den vorangegangenen Punkten behandelte Legalzession können im vorliegenden Fall allerdings nicht relevant sein: Die mangelnde Aktivlegitimation des Geschädigten infolge einer Legalzession zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers oder des Trägers der Sozialhilfe ist im Direktprozess gegen den ersatzpflichtigen Schädiger nämlich nicht von Amts wegen, sondern als Frage des materiellen Rechtes nur auf Grund einer Einwendung des Beklagten zu berücksichtigen; dieser hat Tatsachen vorzubringen, aus denen sich in rechtlicher Beurteilung der Mangel der Sachlegitimation ergibt (6 Ob 260/03h; 2 Ob 35/05v = ZVR 2007/207 [krit: Huber]; 2 Ob 256/06w; RIS-Justiz RS0084869; zu § 13 BPGG 10 ObS 29/97f). Ein derartiger Einwand lässt sich dem Vorbringen der Beklagten, die ausdrücklich auf das Fehlen eines übergangsfähigen Deckungsfonds und auf die Abstandnahme der Geltendmachung von Regressansprüchen verwiesen und zu den Voraussetzungen der Legalzession nach § 13 BPGG (zur Anzeige) kein Vorbringen erstattet haben, nicht entnehmen.

6.) Mangels Überprüfbarkeit der Aktivlegitimation des Klägers kommt

die von den Vorinstanzen ansatzweise behandelte Vorteilsanrechnung in

Betracht. Lehre und Judikatur stellen beim Vorteilsausgleich auf die

besondere Art des erlangten Vorteiles und den Zweck der Leistung des

Dritten ab. Die Anrechnung eines Vorteiles muss dem Zweck des

Schadenersatzes entsprechen und soll nicht zu einer unbilligen

Entlastung des Schädigers führen (8 Ob 217/80 = ZVR 1982/29; 1 Ob

22/94 = SZ 67/135; 2 Ob 59/07a; RIS-Justiz RS0023600; vgl RS0019837;

vgl RS0031417; Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 10/33 ff; Karner in KBB § 1295 Rz 16; Reischauer aaO).

7.) Die beim Pflegegeld grundsätzlich zu bejahende sachliche Kongruenz könnte als Indiz dafür gewertet werden, in diesem Punkt eine Vorteilsanrechnung vorzunehmen (vgl 2 Ob 59/07a; vgl Pardey in Geigel, Haftpflichtprozess24, Kap 9 Rz 26 f), weil eine Vorteilsanrechnung nur bei sachlich kongruenten Leistungen in Frage kommen kann (Harrer in Schwimann3 VI Anh § 1323 ABGB Rz 3). Dieser Schluss ließe sich mit der Überlegung rechtfertigen, dass sowohl bei der sachlichen Kongruenz als auch bei der Frage des Vorteilsausgleichs primär auf den Zweck der Leistung abzustellen ist. Bei dieser Überlegung ist aber der Zweck einer Legalzession bei sachlich kongruenten Leistungen nicht zu übersehen: Diese soll nämlich auch eine Vorteilsanrechnung verhindern (Neumayr aaO § 332 ASVG Rz 6). Der Schädiger soll durch Leistungen der öffentlichen Hand nicht entlastet werden (Reischauer aaO § 1312 ABGB Rz 13; 6 Ob 260/03h). In diesem Sinn verneinte die Entscheidung SZ 67/135 ganz generell einen Vorteilsausgleich bei solchen Leistungen, weil die Sozialversicherung eben nicht den Schädiger, sondern den versicherten Geschädigten begünstigen soll. Bei der - sachlich inkongruenten und deshalb die Legalzession ausschließenden - Notstandshilfe und vergleichbaren Leistungen lehnt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung eine Vorteilsanrechnung auf den vom Schädiger zu ersetzenden Verdienstentgang ab (RIS-Justiz RS0031478; zuletzt 2 Ob 120/00m und 6 Ob 260/03h). Argumentiert wird mit dem vom Gesetzgeber bei Ausschluss einer Legalzession nicht gewollten Ergebnis, dass die öffentliche Hand anstelle des Schädigers die Aufwendungen zu tragen habe.

Die zu RIS-Justiz RS0030905 dokumentierte Judikatur lehnt ebenfalls grundsätzlich einen Vorteilsausgleich durch Anrechnung von Sozialleistungen wie dem Hilflosenzuschuss in jenen Fällen ab, in denen dritte Personen (insbesondere Familienangehörige) die durch den Unfall notwendig gewordenen Pflegedienste unentgeltlich leisteten. Die Entscheidung 8 Ob 49/86 = JBl 1987, 522 führt zu den Kosten eines Heimaufenthaltes aus, dass eine Anrechnung der vom Land als Träger der Sozialhilfe erbrachten Leistungen auf den Schadenersatzanspruch des Unfallopfers aus dem Titel der unfallbedingten Vermehrung seiner Bedürfnisse im Wege der Vorteilsausgleichung nicht in Betracht komme, weil diese Leistungen in Erfüllung einer nach dem Landessozialhilfegesetz bestehenden gesetzlichen Verbindlichkeit des Fürsorgeträgers, Hilfe zur Führung eines menschenwürdigen Lebens zu gewähren, geleistet wurden.

Das mit BGBl 110/1993 eingeführte Pflegegeld ersetzt seit 1. 7. 1993 den zuvor in § 105a ASVG geregelten Hilflosenzuschuss. Das Pflegegeld ist nach seinem Wesen (Zweck und Voraussetzungen für die Gewährung) eine Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung (10 ObS 241/03v = RIS-Justiz RS0119596). Diese Leistung hat den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten (RIS-Justiz RS0106555 [T5]; 10 ObS 2305/96k = SZ 69/210). Den betroffenen Personen soll durch Gewährung entsprechender Hilfestellung im persönlichen und sachlichen Lebensbereich zu einer menschenwürdigen Existenz verholfen werden (10 ObS 9/97i = RIS-Justiz RS0106398 [T2]). Im Gegensatz zum Pflegegeld als pauschalierte Abgeltung war bei dem in § 105a ASVG geregelten Hilflosenzuschuss eine konkrete Prüfung vorzunehmen: Anspruch auf Hilflosenzuschuss bestand nur, wenn die für die Hilfe aufzuwendenden Kosten den Betrag des Hilflosenzuschusses überschritten (RIS-Justiz RS0089224; RS0084283 [T1]).

Die unterschiedliche Gestaltung des Pflegegeldes (Pauschalabgeltung) im Vergleich zum Hilflosenzuschuss rechtfertigt allerdings nicht das Ergebnis, die zum fehlenden Vorteilsausgleich beim Hilflosenzuschuss und bei ähnlichen Sozialleistungen in der Judikatur entwickelten Kriterien nicht heranzuziehen, wenn - wie hier - eine Legalzession des Anspruches auf Pflegegeld nicht behauptet wurde. Auch beim Pflegegeld steht der Fürsorgecharakter einer derartigen Sozialleistung („Hilfe zur Führung eines menschenwürdigen Lebens") im Vordergrund, auch wenn die pflegebedürftige Person unter bestimmten, im BPGG definierten Voraussetzungen einen Anspruch auf Gewährung des Pflegegeldes hat.

Zusammenfassend ist festzuhalten:

Eine Vorteilsanrechnung findet beim Pflegegeld auch dann nicht statt, wenn eine Legalzession trotz sachlicher Kongruenz nicht behauptet wurde.

8.) Die Invaliditätspension wurde dem Kläger deshalb gewährt, weil er auf Grund der Unfallfolgen nicht mehr in der Lage war, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und ein Einkommen zu beziehen. Der Zweck dieser Leistung bestand somit nicht darin, den Aufwand für den Pflegebedarf zu decken. Diese Leistung des Sozialversicherungsträgers verfolgte nicht das Ziel, den Schädiger von seiner Verpflichtung zum Ersatz des pflegebedingten Mehraufwandes zu entlasten. Eine Vorteilsanrechnung ist daher auch bei dieser von der öffentlichen Hand gewährten Leistung abzulehnen, zumal die in diesem Punkt behauptungs- und beweispflichtigen (RIS-Justiz RS0036710) Beklagten keinen besonderen Vorteil des Klägers durch den Bezug der Invaliditätspension im Vergleich zur hypothetischen finanziellen Situation des Klägers ohne das schädigende Ereignis aufgezeigt haben.

9.) Aus diesen Erwägungen ist dem berechtigten Rechtsmittel des Klägers stattzugeben; der Anspruch des Klägers auf Ersatz der Beiträge zum Pflegeaufwand (80 % der Invaliditätspension und des Pflegegeldes), deren Höhe nie konkret bestritten wurde, ist berechtigt. In diesem Sinn waren die Entscheidungen der Vorinstanzen abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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