OGH 10ObS29/97f

OGH10ObS29/97f18.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Danzl sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Becke (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Land Tirol, vertreten durch das Amt der Tiroler Landesregierung, Präsidialabteilung IV, 6020 Innsbruck, Wilhelm-Greil- Straße 17, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Pflegegeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.Oktober 1996, GZ 25 Rs 96/96w-19, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 29.Mai 1996, GZ 42 Cgs 21/96x-12, teilweise als nichtig aufgehoben, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird keine Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 2.1.1996 hatte die beklagte Partei den Antrag der am 8.1.1906 geborenen und seit 1984 im Altenheim Lienz untergebrachten späteren Klägerin Anna B*****, die ein Pensionseinkommen von knapp S 5.200,- bezogen hatte, auf Erhöhung des Pflegegeldes (von bisher Stufe 2) abgelehnt.

In ihrer Klage begehrte sie die "Zuerkennung einer höheren Pflegestufe". Nachdem sie während des Verfahrens am 31.3.1996 verstorben und das Verfahren gemäß § 76 Abs 1 ASGG unterbrochen war, erklärte das Amt der Tiroler Landesregierung namens des Landes Tirol als Sozialhilfeträger unter Berufung auf § 19 BPGG den "Eintritt in die Parteistellung des Klagsverfahrens" und beantragte die "Fortsetzung des Pflegegeldverfahrens"; für die Verstorbene seien die ungedeckten Pflegekosten vom 1.6.1995 bis zu ihrem Tod vom Land aus Mitteln der Sozialhilfe getragen worden. In der darauffolgenden Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung wurde von den Parteien außer Streit gestellt, daß das Land Tirol im Rahmen der Sozialhilfe der Verstorbenen für deren Heim- und Krankenhausaufenthalt, soweit die ausbezahlte Pension nicht hingereicht hat, seit Jänner 1995 aufgekommen ist, im übrigen jedoch die Fortsetzungsberechtigung des Amtes der Tiroler Landesregierung von der beklagten Partei ausdrücklich bestritten.

Das Erstgericht bejahte die Fortsetzungsberechtigung und verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin für die Zeit vom 1.6.1995 bis 31.3.1996 das Pflegegeld der Stufe 3 in gesetzlicher Höhe zur Auszahlung zu bringen. Ausgehend von den im einzelnen festgestellten Gesundheitsstörungen der vormaligen Klägerin Anna B***** bejahte das Erstgericht deren Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 3, allerdings begrenzt mit dem Tag ihres Todes. Des weiteren bejahte das Erstgericht auch die Eintrittsberechtigung des nunmehr als Kläger geführten Landes, da dieses (gemäß § 19 Abs 1 Z 2 BPGG) überwiegend für deren Pflege aufgekommen sei, wobei dies aber im Sinne der wiedergegebenen Außerstreitstellung erst ab dem Zeitraum 1.6.1995 zu gelten habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es hob das angefochtene Urteil samt dem vorangegangenen Verfahren insoweit als nichtig auf, als die beklagte Partei für den Zeitraum 1. bis 30.6.1995 zu mehr als zur Pflegegeldstufe 2 in gesetzlicher Höhe zur Auszahlung verpflichtet wurde und wies in diesem Umfang das Klagebegehren zurück; im übrigen (nämlich den Zuspruch von Pflegegeld der Stufe 2 für Juni 1995 und der Stufe 3 für die Zeit vom 1.7.1995 bis 31.3.1996 betreffend) wurde das Ersturteil bestätigt. Die - nicht weiter bekämpfte und damit in Rechtskraft erwachsene - Zurückweisung wurde mit der fehlenden Klagbarkeit bis 1.7.1995 (nach dem Übergangsrecht des § 4 BPGG idF der Novelle BGBl 1995/131 - siehe hiezu ausführlich ua 10 ObS 2351/96z) begründet. Da die nunmehrige klagende Partei für den verbleibenden Zeitraum die Verstorbene "überwiegend und ohne angemessenes Entgelt gepflegt" habe, seien die Eintrittsvoraussetzungen des § 19 Abs 1 Z 1 PBGG erfüllt. Da nach § 76 Abs 4 ASGG für die Prozeßnachfolge nach dem Tod eines Pflegegeldklägers auf den § 19 BPGG ausdrücklich verwiesen werde, sei das Amt der Landesregierung auch fortsetzungsberechtigt und aktiv legitimiert.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte, gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige und von der klagenden Partei nicht beantwortete Revision, gerichtet auf Abänderung des bekämpften Urteils im Sinne einer Abweisung des (restlichen) Klagebegehrens, wendet sich ausschließlich gegen die Fortsetzungsberechtigung des Landes Tirol als Sozialhilfeträger; allenfalls wird auch angeregt, die Aufhebung des § 76 Abs 4 ASGG gemäß Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen.

Der Oberste Gerichtshof hat hiezu folgendes erwogen:

1. a) Stirbt der pflegebedürftige Kläger während eines bereits anhängigen, auf Ansprüche nach dem BPGG gerichteten Verfahrens, so ist nach dem (durch Art XVI Z 10 des genannten Gesetzes, BGBl 1993/110 eingeführten) Abs 4 des § 76 ASGG der Abs 1 "mit der Maßgabe des § 19 Abs 3 sinngemäß" anzuwenden. § 76 Abs 4 ASGG ist damit lex specialis gegenüber dem generelleren (und umfassenderen) Abs 1. Nach dem Willen des Gesetzgebers (RV 776 BlgNR 18.GP, 33) sollte hiedurch "eine entsprechende Anpassung des Kreises der zur Verfahrensfortsetzung Berechtigten" im Hinblick auf die vom § 76 Abs 2 ASGG" etwas abweichende Regelung" des § 19 BPGG geschaffen werden.

§ 19 Abs 3 BPGG regelt dabei allerdings nur die Fortsetzung des Verfahrens vor dem Entscheidungsträger, während es im vorliegenden Verfahren um die Fortsetzung des bereits anhängig gemachten gerichtlichten Verfahrens geht, welche in § 76 Abs 4 ASGG geregelt ist. Nur über diese Bestimmung (mit ihrem Verweis auf § 19 Abs 3 BPGG) ist die Regelung des BPGG (sinngemäß) anwendbar (so auch Pfeil, BPGG, 191), wobei verfassungsrechtliche Bedenken hiegegen nicht bestehen.

b) § 19 Abs 1 BPGG sieht vor, daß dann, wenn im Zeitpunkt des Todes einer pflegebedürftigen Person eine fällige Geldleistung (nach dem BPGG) noch nicht ausbezahlt ist, sofern in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, auf Antrag (welcher gemäß Abs 2 innerhalb von sechs Monaten nach dem Tod der pflegebedürftigen Person gestellt werden muß) in folgender Rangordnung bezugsberechtigt sind: zunächst die Person, die den Pflegebedürftigen in dem Zeitraum, für den die fällige Geldleistung gebührt, überwiegend und ohne angemessenes Entgelt gepflegt hat (Z 1); sodann die Person, die für den Zeitraum, für den die fällige Geldleistung gebührt, überwiegend für die Pflege aufgekommen ist (Z 2). Ist im Zeitpunkt des Todes des Anspruchswerbers oder Anspruchsberechtigten - wie hier - ein Verfahren auf Gewährung (oder Neubemessung) des Pflegegeldes noch nicht abgeschlossen, so sind nach Abs 3 des § 19 BPGG die im Abs 1 genannten Personen in der dort festgelegten Rangordnung auf (wiederum binnen sechs Monaten zu stellenden) Antrag zur Fortsetzung des Verfahrens berechtigt.

Da Betreuungs- und Hilfsverrichtungen (nach § 1 bzw 2 EinstV) nur von natürlichen Personen durchgeführt werden können, kommen als Berechtigte nach § 19 Abs 1 Z 1 BPGG auch nur natürliche Personen in Betracht (Gruber/Pallinger, BPGG Rz 2 zu § 19; Pfeil, BPGG 189). Schon aus dieser Erwägung ist daher die Annahme des Berufungsgerichtes, die klagende Partei (als unstrittig juristische Person des öffentlichen Rechts) habe die Voraussetzung des § 19 Abs 1 Z 1 BPGG erfüllt, jedenfalls verfehlt (in diesem Sinne auch ausdrücklich § 29 Abs 1 der im übrigen für die Gerichte nicht verbindlichen - ausführlich ua 10 ObS 2349/96f und 10 ObS 2425/96g - Richtlinien für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes in SozSi 1994, 686 ff). Da jedoch davon auszugehen ist, daß jedenfalls keine solche natürliche Person einen Fortsetzungsantrag binnen der Frist von sechs Monaten nach dem Tod der vormaligen Klägerin gestellt hat, ist auf die subsidiär nächste Rangstufe des § 19 Abs 1 Z 2 iVm Abs 3 BPGG Bedacht zu nehmen. Berücksichtigt man den Zweck des Pflegegeldes (vgl § 1 BPGG) und den Wortlaut des Abs 1 Z 2 (des § 19 leg cit), der keine Einschränkung auf natürliche Personen enthält, so ist anders als nach dem Abs 1 Z 1 hier auch juristischen Personen, welche (wie das eintretende Land nach Außerstreitstellung bereits in erster Instanz) pflegebedürftige Mehraufwendungen überwiegend getragen hat, die Berechtigung zum Bezug und damit zur Fortsetzung des Verfahrens einzuräumen (Gruber/Pallinger aaO Rz 3; Pfeil, aaO; gleichermaßen auch § 29 Abs 2 der Richtlinien).

Zwar fehlen Feststellungen über das konkrete betragliche Aufkommen des Landes für die Pflege der Verstorbenen; die Parteien haben jedoch außer Streit gestellt (und steht demnach fest), daß das Land Tirol im Rahmen der Sozialhilfe den Heim- und Krankenhausaufenthalt der Genannten getragen hat, "soweit die ausbezahlte Pension nicht hingereicht hat". Da sich aus dem angeschlossenen Pensionsakt ergibt, daß die Verstorbene eine Pension von knapp S 5.200 (Blatt 120: S 5.190,70) bezogen hat und als notorisch (§ 269 ZPO) unterstellt werden kann, daß die Kosten der Pflege jedenfalls mehr als das Doppelte dieses Betrages (bzw mehr als das Doppelte von 80 % desselben: § 324 Abs 3 ASVG) betragen haben, ergibt sich im Zusammenhalt mit der wiedergegebenen Außerstreitstellung der Parteien, daß die klagende Partei jedenfalls überwiegend für die Kosten der Pflege aufgekommen ist, sodaß diese Voraussetzung für die Fortsetzungsberechtigung damit als erfüllt angesehen werden muß.

2. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war die verstorbene Anna B***** im Altenheim Lienz nicht Selbstzahlerin, sondern wurden die Kosten hiefür (jedenfalls im außer Streit gestellten Zeitraum ab dem Jänner 1995) vom Land Tirol im Rahmen der Sozialhilfe getragen. Nach § 13 Abs 3 des Tiroler SozialhilfeG, LGBl 1973/105, hat das Land die Kosten der Sozialhilfe zu tragen; die Gemeinden haben hiebei nach einem bestimmten Schlüssel allerdings mitzuwirken (zuletzt idF der Novelle LGBl 1996/11). Wurde die Pflege einer pflegebedürftigen Person auf Kosten eines Landes, einer Gemeinde oder eines Sozialhilfeträgers ua in einem Altenheim (§ 13 Abs 1 Z 1 BPGG) durchgeführt, so geht für die Zeit dieser Pflege der Anspruch auf Pflegegeld bis zur Höhe der Verpflegskosten, höchstens jedoch bis zu 80 vH, gemäß § 13 Abs 1 leg cit (also kraft Legalzession) auf den jeweiligen Kostenträger über; für die Dauer des Anspruchsübergangs gebührt der pflegebedürftigen Person bloß ein Taschengeld in Höhe von 20 vH des Pflegegeldes der Stufe 3. Im übrigen ruht der Anspruch auf Pflegegeld. Der Anspruchsübergang tritt dabei gemäß Abs 2 mit dem auf das Einlangen der Verständigung beim Entscheidungsträger (di nach § 22 Abs 1 Z 1 BPGG hier die beklagte Partei als Sozialversicherungsträger) folgenden Monat ein, mit welchem Zeitpunkt die Legalzession und damit auch der Verlust der Aktivlegitimation des Betroffenen hinsichtlich der vom Anspruchsübergang erfaßten Teile des Pflegegeldes eintritt (vgl hiezu auch E 17 und 18 zu § 332 ASVG in MGA ABGB34, welche Grundsätze auch auf die hier vorliegende Legalzession übertragbar sind); das Fehlen der aktiven Klagelegitimation ist hiebei als Frage des materiellen Rechts (Fasching, Lehrbuch2 Rz 338) grundsätzlich nicht von Amts wegen, sondern nur über Einwendung zu prüfen. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Aktenlage kein Hinweis darauf, daß das Land Tirol eine solche Verständigung im Sinne des § 13 Abs 2 BPGG an die beklagte Partei übermittelt hätte; erst bei Übermittlung einer Verständigung in diesem Sinne wäre aber ab dem folgenden Monat der Anspruchsübergang eingetreten. Bis dahin war die Betroffene (Verstorbene) daher jedenfalls selbst aktiv legitimiert (vgl abermals Pfeil, aaO 161). Die beklagte Partei hat auch weder zu Lebzeiten der Betroffenen noch nach deren Tod vorgebracht, daß eine Verständigung im vorstehenden Sinne ergangen wäre; um den Mangel der Aktivlegitimation aus diesem Grunde wahrzunehmen, wäre aber eine entsprechende Einwendung erforderlich gewesen, sodaß hierauf - zumal dieser Umstand in der Revision auch gar nicht weiter releviert wird - vom Obersten Gerichtshof nicht näher eingegangen werden kann. Da die Annahme der Prozeßnachfolge des nunmehr als Kläger auftretenden Landes aus den bereits oben zu Punkt 1. genannten Gründen zu Recht erfolgte, ist mangels einer entsprechenden Einwendung die Problematik des § 13 BPGG im hier zur Prüfung anstehenden Fall nicht weiter zu untersuchen und kann daher letztlich dahingestellt bleiben.

3. Die bekämpfte Entscheidung des Berufungsgerichtes war somit im Ergebnis zu bestätigen.

Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, da sich die klagende Partei mangels Erstattung einer Revisionsbeantwortung am Revisionsverfahren nicht beteiligt hat.

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