OGH 1Ob76/04i

OGH1Ob76/04i16.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dmitry K*****, vertreten durch Mag. Erich Rebasso, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B***** AG, ***** vertreten durch Dr. Haimo Puschner, Mag. Martin Spernbauer und Mag. Nikolaus Rosenauer, Rechtsanwälte in Wien, und die Nebenintervenientin A***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Liebscher Hübel & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 1. USD 203.384,72 sA und 2. EUR 15.079,78 sA (gesamt EUR 197.700,52) infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. Dezember 2003, GZ 4 R 191/03t-21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

1. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die beklagte Partei ohne Auftrag des Klägers Überweisungen von dessen Girokonto vorgenommen hat, wodurch dieses buchmäßig kein Guthaben mehr aufweist. Die beklagte Partei stellt auch nicht grundsätzlich in Frage, dass der Kläger berechtigt ist, die Auszahlung des tatsächlich - nämlich ohne Berücksichtigung der von der beklagten Partei eigenmächtig vorgenommenen Transaktionen - vorhandenen Kontoguthabens zu verlangen.

2. Der Auffassung der Revisionswerberin, der Kläger habe sein Begehren ausschließlich auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes gestützt, weshalb die Vorinstanzen auf dessen Erfüllungsanspruch nicht hätten Bedacht nehmen dürfen, ist nicht zu folgen.

Rechtliche Beurteilung

§ 226 Abs 1 ZPO verlangt lediglich die Angabe von Tatsachen, auf welche sich der Klageanspruch gründet. Ein Klagebegehren ist daher rechtlich schon dann schlüssig, wenn es als Rechtsfolge aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen abgeleitet werden kann (RdW 1986, 272; SZ 60/288, MietSlg 51.663 uva). Auch im Rechtsmittelverfahren ist die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen auf der Basis des festgestellten Sachverhalts allseitig zu überprüfen (Nachweise etwa bei Kodek in Rechberger2 § 471 ZPO Rz 9).

Auch wenn die Rechtsprechung zu bestimmten Konstellationen die Auffassung vertreten hat, die Anführung bestimmter Rechtsgründe könne im Einzelfall eine Beschränkung der rechtlichen Prüfungsbefugnis des Gerichts nach sich ziehen, ist doch in der Regel nicht anzunehmen, der Kläger wolle durch bestimmte Rechtsausführungen einen nach seinen Klagebehauptungen an sich rechtlich möglichen Zuspruch beschränken. Grundsätzlich ist daher das Gericht auch an die vom Kläger vorgenommene rechtliche Qualifikation des der Klage zugrunde liegenden Sachverhalts nicht gebunden, kann aber stets nur über einen geltend gemachten Anspruch, also über jenen, der aus den Klagebehauptungen abzuleiten ist, entscheiden (RIS-Justiz RS0037659). Das Gericht ist dabei in der Regel an die vom Kläger vorgenommene rechtliche Qualifikation des der Klage zugrunde liegenden Sachverhalts nicht gebunden (9 Ob 2311/96k ua). Dies muss insbesondere dort gelten, wo die vom Kläger vorgenommene rechtliche Qualifikation ersichtlich auf einem Rechtsirrtum beruht. Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts sind der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt und die hiefür angegebenen Tatsachen; eine unrichtige rechtliche Qualifikation wirkt sich dann nicht zum Nachteil des Klägers aus, wenn er alle anspruchsbegründenden Tatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt hat (4 Ob 12/02x, 1 Ob 198/02b, 8 Ob 82/03x). Im Zweifel ist die Beschränkung auf einen von mehreren nach dem Sachvortrag in Frage kommenden Rechtsgründen nicht anzunehmen (1 Ob 379/98m).

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der Kläger über sein Kontoguthaben disponieren wollte und ihm dies von der beklagten Partei mit dem Argument verweigert wurde, ein Guthaben bestehe nicht mehr. Hat das Berufungsgericht das Begehren des Klägers auf Zahlung jener Beträge, die sich ohne das Vorgehen der beklagten Partei buchungsmäßig auf seinem Konto befunden hätten, ungeachtet der unrichtigen Qualifikation als Schadenersatzanspruch auf der Grundlage eines Erfüllungsanspruchs aus dem Girokontovertrag für berechtigt erkannt, so kann darin weder ein Widerspruch zur herrschenden höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch eine krasse Fehlbeurteilung im Einzelfall erblickt werden, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte.

3. Die Behauptung der Revisionswerberin, der Kläger könne aus dem Titel des Schadenersatzes nur Naturalrestitution im Sinne einer "Rückbuchung", also einer Richtigstellung der unrichtigen Buchungsvorgänge, begehren, geht schon deshalb ins Leere, weil der Kläger bereits durch das von ihm erhobene Begehren mit ausreichender Deutlichkeit zum Ausdruck brachte, dass er nicht allein die buchmäßige Richtigstellung des Kontostands anstrebt, sondern vor allem eine Disposition über sein tatsächlich vorhandenes Guthaben durch Auszahlung vornehmen will. Damit wiederholt er den bereits vorprozessual unternommenen Versuch, sein Kontoguthaben zu realisieren, wozu er bei üblicher Vertragsgestaltung auch zweifellos berechtigt ist. Soweit die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang Feststellungen über den Inhalt des Girovertrags vermisst, ist nicht zu erkennen, welche für sie allenfalls günstigen Feststellungen sie damit im Auge haben könnte. Im Verfahren erster Instanz hat sie auch gar nicht behauptet, der Kläger wäre aufgrund bestimmter Regelungen im Girovertrag nicht berechtigt, die Auszahlung seines Guthabens zu verlangen. Der Hinweis, der Kläger habe sich nicht (auch) auf § 871 ABGB berufen, ist in diesem Zusammenhang nicht verständlich.

Der Behauptung der beklagten Partei, die Kontoverbindung mit dem Kläger sei noch immer aufrecht und eine Naturalrestitution in Form einer Rückbuchung von Buchgeld ohne Aufwand wäre daher möglich, ist entgegenzuhalten, dass es der beklagten Partei selbstverständlich frei steht, auch eine buchmäßige Richtigstellung vorzunehmen. Warum dies den Anspruch des Klägers auf Auszahlung seines Guthabens berühren sollte, ist jedoch nicht zu erkennen. Da die Revisionswerberin dazu nichts Konkretes ausführt, bleibt es auch im Dunkeln, weshalb darin ein sekundärer Verfahrensmangel liegen soll, dass es das Berufungsgericht unterlassen habe, "Feststellungen zu einem vertraglichen Erfüllungsanspruch" zu ergänzen bzw eine Ergänzung aufzutragen.

4. Da der Zuspruch des Klagebetrags auf vertraglicher Grundlage nicht zu beanstanden ist, ist es auch ohne Bedeutung, dass die Nebenintervenientin Forderungen gegen den Kläger behauptet hat, sodass nur ein "allenfalls darüber hinausgehender Betrag als Schaden im Vermögen des Klägers eingetreten" sein könne: Allfällige Forderungen der Nebenintervenientin gegen den Kläger berühren das Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen nicht, zumal die beklagte Partei auch gar nicht etwa behauptet hat, sie habe durch ihre (eigenmächtige) Überweisung Verbindlichkeiten des Klägers beglichen bzw Forderungen der Nebenintervenientin gegen diesen erworben. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass sich die beklagte Partei in ihrer Streitverkündung selbst auf den Standpunkt stellt, im Fall auftrags- und damit rechtsgrundloser Überweisung werde sie sich an der Nebenintervenientin - ersichtlich auf der Basis des Bereicherungsrechts - regressieren.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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