OGH 2Ob246/98k

OGH2Ob246/98k24.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Schinko, Dr. Tittel und Dr. Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ludmilla D*****, vertreten durch Dr. Dieter Cerha und Dr. Herbert Orlich, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1. *****Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** 2. Alfred S***** und 3. Brigitte S*****, Lehrerin, beide*****, sämtliche vertreten durch Dr. Wolfgang Danninger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zahlung von S 1,804.508 sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 25. Mai 1998, GZ 14 R 7/98x-64, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 12. November 1997, GZ 7 Cg 33/95i-58, zum Teil abgeändert und zum Teil bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil, das in seinem klagsstattgebenden Teil und hinsichtlich der Abweisung des Begehrens auf Zahlung von S

284.853 samt Anhang als unangefochten unberührt bleibt, wird hinsichtlich der Abweisung des weiteren Begehrens auf Zahlung von S

116.667 samt 4 % Zinsen seit 11. März 1995 aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Am 21. 6. 1994 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin mit ihrem Moped sowie die Drittbeklagte als Lenkerin des dem Zweitbeklagten gehörenden und bei der erstbeklagten Partei versicherten PKW beteiligt waren. Das Alleinverschulden an dem Unfall trifft die Drittbeklagte.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin ua die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 1,200.000.

Die beklagten Parteien brachten dazu vor, die Klägerin habe keinen Sturzhelm getragen, sondern nur einen Radhelm, der ihr vom Kopf geflogen sei, weil er nicht ordnungsgemäß befestigt war. Erst dadurch hätten die schweren Kopfverletzungen entstehen können. Schon allein aus diesem Grunde sei das Schmerzengeld, das auch zu hoch bemessen sei, um ein Viertel zu reduzieren.

Das Erstgericht sprach der Klägerin ein Schmerzengeld von S 916.667 zu, wobei es insoweit im wesentlichen folgende Feststellungen traf:

Die Klägerin trug während der Fahrt keinen Motorradhelm, sondern einen Radfahrhelm. Der Verschluß des Helmes war aber nicht geschlossen, weshalb er während des Sturzes vom Kopf geschleudert wurde.

Die Klägerin erlitt durch den Unfall eine schwere Schädel-Hirn-Verletzung, das primäre Koma ging in ein apallisches Syndrom über. Ihr Leidenszustand wurde durch die Aspiration von Blut am Unfallstag mit einer fehlenden Durchlüftung des linken Lungenunterlappens kompliziert, weshalb eine Bronchoskopie mit Lungenlavage durchgeführt werden mußte. Weiters litt sie an längerdauernden Atemstörungen, es mußte zur Nahrungsaufnahme eine Magensonde angelegt werden. Es zeigte sich auch eine beginnende Niereninsuffizienz mit eingeschränkter Nierenfunktion und Verminderung der Harnproduktion. Außerdem bestanden einige Knochenbrüche sowie eine Milzruptur.

Hätte die Klägerin beim Sturz einen gut sitzenden und passenden Helm getragen, so wäre vor allem der Schädelbruch höchstwahrscheinlich unterblieben. Die Verletzungsintensität mit all ihren Folgen hätte um etwa ein Drittel vermindert werden können. Es konnte aber nicht festgestellt werden, ob dann das apallische Syndrom nicht eingetreten wäre und die Klägerin bewußt Schmerzen empfände.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß ein Schmerzengeld in der Höhe von S 1,000.000 angemessen sei. Davon stünden der Klägerin zwei Drittel, also S 666.667 ungekürzt zu. Vom restlichen Drittel müsse sie sich einen 25 %igen Abzug wegen Verletzung der Helmpflicht gefallen lassen, sodaß ihr noch weitere S 250.000 verblieben, was ein Gesamtschmerzengeld von S 916.667 rechtfertige.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung hinsichtlich des Schmerzengeldes dahin ab, daß der Klägerin nur ein solches in der Höhe von S 800.000 zugesprochen wurde; es sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig.

Zu dem von der Klägerin geltend gemachten Schmerzengeld führte das Berufungsgericht aus, nach Art IV Abs 1 der 4. KFG-Novelle sei auch der Lenker eines Mopeds zum bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Sturzhelmes verpflichtet. Die Verletzung dieser Verpflichtung begründe bezüglich des Schmerzengeldanspruchs ein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB. Dieses sei aber so weit nicht gegeben, als der Geschädigte nachweise, daß die Folgen in dieser Schwere auch beim Gebrauch des Sturzhelmes eingetreten wären. Die Behauptungs- und Beweislast treffe den Geschädigten. Hier habe die Klägerin nicht bestimmt nachweisen können, welche ihrer Verletzungen auch mit einem entsprechenden Sturzhelm eingetreten wären. Berücksichtige man, daß die schweren Kopfverletzungen und deren Folgen im Vordergrund stehen und alle anderen Verletzungen weit überwiegen, der Sturzhelm aber gerade Kopfverletzungen zu vermeiden oder zu verringern geeignet sei, könne nicht gesagt werden, in welchem Ausmaß die Klägerin auch bei Tragen eines richtigen Sturzhelmes Verletzungen und Verletzungsfolgen erlitten hätte. Ein entsprechender Nachweis sei ihr daher nicht gelungen. Da aber durch einen richtigen Sturzhelm sicher nicht sämtliche Verletzungen vermieden worden wären, sei dies durch Kürzung des Schmerzengeldes statt um 25 % um nur 20 % zu berücksichtigen. Die Klägerin habe daher einen Anspruch auf Schmerzengeld in der Höhe von S 800.000.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß ihr ein weiterer Schmerzengeldbetrag von S 116.667 sA zugesprochen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien haben Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu, ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht den Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt hat, indem es - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - von den Feststellungen der ersten Instanz ohne Beweiswiederholung abgegangen ist (s Kodek in Rechberger, ZPO Rz 4 zu § 502 mwN; 2 Ob 2288/96a; 5 Ob 2027/96s [zum Teil veröffentlicht in RdW 1998, 76]); sie ist im Sinne ihres Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.

Die klagende Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, das Erstgericht (richtig wohl: das Berufungsgericht) habe die Mitverschuldensquote zu Unrecht vom gesamten angemessenen Schmerzengeld berechnet. Dies wäre nur dann richtig, wenn bei Anlegen eines ordnungsgemäßen Sturzhelmes gar keine Verletzungen eingetreten wären. Nach den übernommenen Feststellungen wäre aber durch das Tragen eines Sturzhelmes die Verletzungsintensität nur um etwa ein Drittel vermindert worden. Das Berufungsgericht hätte daher lediglich von einem Drittel des Schmerzengeldes von S 1,000.000, also von S 333.333, die 20 %ige Mitverschuldensquote abziehen dürfen.

Hiezu wurde erwogen:

Zur Frage der Schmerzengeldkürzung infolge Verletzung der Sturzhelmpflicht haben die Vorinstanzen an sich zutreffend ausgeführt, daß sie nur bezüglich der vermeidbaren Verletzungen in Betracht kommt. Es ist daher eine Schmerzengelddifferenzrechnung anzustellen. Konkrete und fiktive Unfallfolgen sind einander gegenüberzustellen. Es ist das Schmerzengeld für die konkreten Folgen zu berechnen und jenes für die fiktiven Unfallfolgen. Vom höheren Schmerzengeld für die konkreten Folgen (Gesamtschmerzengeld) ist das niedrigere Schmerzengeld für die fiktiven Unfallfolgen abzuziehen. Die Differenz ergibt das Schmerzengeld für die vermeidbaren Verletzungen, welche der Kürzung unterliegt (Reischauer in Rummel**2, Rz 28 zu § 1304 ABGB mwN). Diese Berechnungsart hat auch das Erstgericht angestellt. Das Berufungsgericht hat zwar nicht eine andere Berechnungsart gewählt, ist aber davon ausgegangen, daß nicht gesagt werden könne, in welchem Ausmaß die Klägerin auch bei Tragen eines richtigen Sturzhelmes Verletzungen und Verletzungsfolgen erlitten hätte. Demgegenüber hat aber das Erstgericht festgestellt, die Verletzungsintenisität mit all ihren Folgen hätte durch das Tragen eines Sturzhelmes um etwa ein Drittel vermindert werden können. Das Berufungsgericht ist von dieser Feststellung des Erstgerichtes ohne Beweiswiederholung abgegangen und hat dadurch den Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt. Will nämlich das Berufungsgericht von Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes abgehen, so muß es alle zur Feststellung der betreffenden Tatsachen erforderlichen Beweise, die das Erstgericht unmittelbar aufgenommen hat, selbst wiederholen oder das Protokoll über die Beweisaufnahme in erster Instanz unter den Voraussetzungen des § 281a ZPO verlesen. Eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes liegt auch dann vor, wenn das Berufungsgericht seine rechtliche Beurteilung unter Abweichung von den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes ohne Durchführung einer Beweiswiederholung trifft (SZ 57/142; 2 Ob 2288/96a; RdW 1998, 46).

Wegen Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes war die Entscheidung des Berufungsgerichtes im angefochtenen Umfang aufzuheben und diesem eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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