BVwG W237 1415578-6

BVwGW237 1415578-618.2.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W237.1415578.6.00

 

Spruch:

W237 1415578-6/20E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch die XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2017, Zl. 525185804-161705274, zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids wird gemäß

 

§ 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 58/2018, als unbegründet abgewiesen.

 

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 57 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA- Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 56/2018, und § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018, sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, reiste erstmalig am 06.07.2010 illegal in das österreichische Bundesgebiet, wo sie ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz einbrachte.

 

1.1. Sie begründete diesen Antrag im Wesentlichen damit, ihr Heimatland wegen ihres Sohnes verlassen zu haben, der im Jahr 2003 Widerstandskämpfern geholfen habe und deshalb im Jahr 2007 auf dem Weg zur Arbeit mitgenommen und geschlagen worden sei. Man habe ihn nach zwei Tagen schließlich wieder freigelassen, allerdings sei er im selben Jahr neuerlich für zehn Tage mitgenommen worden; die Beschwerdeführerin habe ihren Sohn damals freikaufen müssen. Ihr Sohn sei daraufhin geflohen, die Beschwerdeführerin jedoch anschließend von vier maskierten und bewaffneten Soldaten belästigt worden, die nach ihrem Sohn gefragt hätten. Die Beschwerdeführerin habe befürchtet, dass diese Nachfragen nicht aufhören würden, weshalb sie schließlich geflohen sei. Ihre Tochter sei nach wie vor im Herkunftsland; auch ihr hätten diese Leute aber gedroht, sie mitzunehmen, wenn der Sohn oder die Beschwerdeführerin nicht zurückkämen. Konkrete Übergriffe habe es allerdings nicht gegeben.

 

1.2. Mit Bescheid vom 07.09.2010 wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ab; unter einem wurde sie aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

 

Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin derart vage und oberflächlich gewesen sei und sie nicht einmal auf mehrfache Nachfrage ein detailliertes und umfassendes Bild ihrer Fluchtgründe zeichnen habe können, dass ihren Angaben keine Glaubhaftigkeit beigemessen werden könne. Zudem habe auch der Sohn der Beschwerdeführerin sein Vorbringen, auf welchem die Beschwerdeführerin ihre Fluchtgeschichte aufgebaut habe, nicht glaubhaft machen können und sei sein Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesasylamt ebenso als unbegründet abgewiesen worden. Abgesehen davon habe sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auch keine konkrete individuelle Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat ergeben.

 

Hinsichtlich der Erkrankungen der Beschwerdeführerin sei auszuführen, dass diese nicht so schwerwiegend seien, dass sie die Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden. Die Beschwerdeführerin habe in Rostow eine umfassende medizinische Behandlung erhalten und gelte als geheilt. Sie bedürfe lediglich regelmäßiger Kontrolluntersuchungen. Sie habe in Tschetschenien einer Arbeit nachgehen können und problemlos ihren Unterhalt erwirtschaftet. Es sei somit nicht davon auszugehen - insbesondere auch in Anbetracht der dem Bescheid zugrunde gelegten Länderfeststellungen zur medizinischen Versorgung in der Russischen Föderation -, dass die Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr in eine ausweglose Lage geraten würde.

 

1.3. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin durch persönliche Übernahme am 14.09.2010 zugestellt. Die Rechtsmittelfrist ließ die Beschwerdeführerin ungenützt verstreichen, weswegen der Bescheid am 28.09.2010 in Rechtskraft erwuchs. Die von der Beschwerdeführerin am 29.09.2010 eingebrachte Beschwerde wurde mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 28.10.2010 sodann als verspätet zurückgewiesen. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in die offene Rechtsmittelfrist wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 29.11.2010 abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom 29.11.2010 wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 14.03.2011 als unbegründet ab.

 

2. Die Beschwerdeführerin verblieb im Bundesgebiet und stellte am 10.05.2011 ihren zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

 

2.1. Diesbezüglich gab sie an, dass ihre Fluchtgründe nach wie vor aufrecht seien, sie somit wegen der Probleme ihres Sohnes nicht zurückkehren könne. Seit ungefähr einem Monat habe sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter, sie habe viel Negatives gehört; die Beschwerdeführerin vermute, dass ihre Tochter belästigt worden sei und Probleme bekommen habe, weil sich ihre Mutter und ihr Bruder nicht mehr in Tschetschenien aufhielten. Der psychische Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin habe sich stark verschlechtert. Der Sohn der Beschwerdeführerin lebe mit seiner Familie in Österreich und befinde sich in einem laufenden Asylverfahren, er würde sie pflegen und ihre Medikamenteneinnahme überwachen. Die Beschwerdeführerin wohne zwar mit ihrem Sohn in keinem gemeinsamen Haushalt, sie wolle dies jedoch wieder ändern.

 

Hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Probleme legte die Beschwerdeführerin verschiedene Befunde vor, aus welchen sich ergibt, dass sie an einer posttrauamtischen Belastungsstörung, sowie an einer generalisierten Angststörung leide und deshalb im XXXX in psychiatrischer Betreuung stehe; sie leide zudem an Hypertonie und an einer Polyneuropathie nach Chemotherapie.

 

Der eingeholten gutachterlichen Stellungnahme vom 24.05.2011 war zu entnehmen, dass bei der Beschwerdeführerin keine belastungsabgängige krankheitswertige psychische Störung vorliege, eine traumatypische Symptomatik habe nicht festgestellt werden können, es liege am ehesten eine generalisierte Angststörung vor, akute Suizidalität liege zum Untersuchungszeitpunkt nicht vor, eine Reisefähigkeit sei grundsätzlich gegeben.

 

2.2. Mit Bescheid vom 27.07.2011 wies das Bundesasylamt den zweiten Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.) und die Beschwerdeführerin unter einem aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt II.). Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin kein neuer entscheidungswesentlicher Sachverhalt im Vergleich zu ihrem Erstverfahren ergebe. Die Beschwerdeführerin habe lediglich das Fortbestehen eines Sachverhalts behauptet, der bereits rechtskräftig als unglaubwürdig und nicht asylrelevant bewertet worden sei. Da weder in der maßgeblichen Sachlage, noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lasse, stehe die Rechtskraft des Erstverfahrens dem neuerlichen Antrag entgegen.

 

Hinsichtlich der vorgetragenen gesundheitlichen Probleme und der vorgelegten Befunde sei auszuführen, dass im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung festgestellt worden sei, dass die Beschwerdeführerin an keiner belastungsabhängigen psychischen Störung leide, sondern lediglich eine generalisierte Angststörung bestehe. Eine solche sei in Anbetracht der Länderfeststellungen in der Russischen Föderation behandelbar bzw. seien dort auch entsprechende Medikamente erhältlich. Die Beschwerdeführerin lebe mit ihrem Sohn und dessen Familie in Österreich nicht in einem gemeinsamen Haushalt und es sei nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin in einem qualifizierten Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Sohn stehe bzw. auf diesen zwingend angewiesen sei. Über sonstige familiäre oder private Anknüpfungspunkte verfüge die Beschwerdeführerin in Österreich nicht, weshalb ihre Ausweisung keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle.

 

2.3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde, welche mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 31.08.2011 als unbegründet abgewiesen wurde. Zur psychischen Erkrankung der Beschwerdeführerin wurde insbesondere auf die gutachterliche Stellungnahme verwiesen, laut der eine posttraumatische Belastungsstörung eindeutig ausgeschlossen worden sei. Es sei der Eindruck entstanden, die Beschwerdeführerin habe ihr Vorbringen hinsichtlich ihres Gesundheitsstatus ohne das Vorliegen ausreichender Grundlagen massiv gesteigert, um den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu erlangen. Der psychische Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin habe sich somit auch im Hinblick auf das Erstverfahren nicht verschlechtert, wodurch kein entscheidungsrelevanter geänderter Sachverhalt vorliege.

 

3. Am 01.10.2012 stellte die Beschwerdeführerin ihren dritten Antrag auf internationalen Schutz.

 

3.1. Sie brachte in diesem Zusammenhang erneut vor, unter gesundheitlichen und vor allem psychischen Problemen zu leiden. Sie habe unheilbaren Krebs, in Russland erhalte sie keine Chemotherapie und die medizinische Versorgung sei generell schlechter als in Österreich. Zudem sei noch immer aktuell, dass sie wegen der Probleme ihren Sohn betreffend nicht nach Russland zurückkönne. Es belaste sie sehr, dass sich ihre Tochter nach wie vor dort befinde und sich versteckt halten müsse. Die Beschwerdeführerin legte verschiedene Schreiben und Befunde vor, laut der sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung, rezidivierender depressiver Störung mit gegenwärtig schwerer Episode ohne psychotische Symptome, Panikstörung, ZnN. Mammae (Mastektomie re, 2009), Arzneimittel induzierte Polyneuropathie nach Chemotherapie und arterieller Hypertonie mit hyperintensiven Krisen leide. Zudem führte sie an, dass sich ihr psychischer Status verschlechtert habe, sie in hohem Maße suizidgefährdet sei und im September 2011 einen Suizidversuch unternommen habe.

 

Die Beschwerdeführerin wurde am 14.11.2012 einer neuerlichen gutachterlichen Untersuchung unterzogen, bei der die Ärztin zu dem Ergebnis kam, dass bei der Beschwerdeführerin keine krankheitswertige psychische Störung vorliege und "die 2011 diagnostizierte Störung [...] in Vollremission" sei.

 

3.2. Mit Bescheid vom 14.3.2013 wies das Bundesasylamt den dritten Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurück und die Beschwerdeführerin gemäß aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus.

 

Begründend führte das Bundesasylamt darin aus, dass sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin kein neuer entscheidungswesentlicher Sachverhalt im Vergleich zu ihrem Erstverfahren ergeben habe. Die Beschwerdeführerin habe lediglich das Fortbestehen eines Sachverhaltes behauptet, der bereits rechtskräftig als unglaubwürdig und nicht asylrelevant bewertet worden sei. Da weder in der maßgeblichen Sachlage, noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lasse, stehe die Rechtskraft des Erstverfahrens dem neuerlichen Antrag entgegen. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin sei auszuführen, dass auch zur vorgetragenen rezidivierenden-depressiven Störung, der posttraumatischen Belastungsstörung und der Panikstörung bereits entschiedene Sache vorliege und derartige Erkrankungen in der Russischen Föderation behandelt werden könnten. Die Beschwerdeführerin sei der verpflichtenden freiwilligen Ausreise nicht nachgekommen und habe einen Aufenthalt geradezu erzwingen wollen. Auch hinsichtlich der onkologischen Probleme habe die Beschwerdeführerin keinerlei Befunde vorgelegt, aus denen ein akuter Behandlungsbedarf zu ersehen gewesen wäre.

 

3.3. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 17.04.2013 und der bekämpfte Bescheid behoben:

Die Behörde habe es verabsäumt, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt ausreichend zu ermitteln. So gebe es im vorliegenden Fall zwei einander widersprechende Gutachten zum psychischen Zustand der Beschwerdeführerin, weshalb es unumgänglich gewesen wäre, eine weitere fachärztliche Überprüfung durchzuführen, um die Unstimmigkeiten auszuräumen. Der psychische Zustand der Beschwerdeführerin sei derart unklar, dass die Feststellung der Behandelbarkeit von psychischen Erkrankungen nicht ausreiche, um die Gewährung subsidiären Schutzes auszuschließen bzw. nicht ausgeschlossen werden könne, dass gegenständlich ein neuer wesentlicher entscheidungsrelevanter Sachverhalt vorliege. Die Behörde werde im fortgesetzten Verfahren eine psychiatrische Befundung durch einen einschlägigen Facharzt zu veranlassen haben, um den tatsächlichen psychischen Zustand der Beschwerdeführerin feststellen zu können.

 

3.4. Die Beschwerdeführerin wurde folglich im fortgesetzten Verfahren von einer als Sachverständige gerichtlich beeideten und zertifizierten Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Ärztin für Psychotherapeutische Medizin untersucht. In dem Gutachten vom 11.08.2013 kam die Ärztin nach umfangreichen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass bei der Beschwerdeführerin eine Anpassungsstörung multifaktorieller Genese (F. 43.22, ICD-10) vorliege. Es handle sich um eine krankheitswertige und behandlungsbedürftige psychische Störung, die mit depressiver Stimmung, Angstzuständen und emotionaler Beeinträchtigung und Beeinträchtigung der psychophysischen Belastbarkeit einhergehe. Eine Simulation könne ausgeschlossen werden, eine Aggravation sei im gutachterlichen Kontext naheliegend und als kultur- und persönlichkeitsspezifisches Phänomen, aber auch als störungsimmanentes Symptom zu interpretieren.

 

In Folge wurde das Verfahren der Beschwerdeführerin zugelassen.

 

3.5. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 19.02.2014 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 01.10.2012 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 144/2013, (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 leg.cit. nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 144/2013, wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 144/2013, erlassen und wurde gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 46 leg.cit zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.).

 

Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei oder im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage gedrängt werden würde. Sie verfüge in der Russischen Föderation über Familienangehörige, das Asylverfahren des in Österreich aufhältigen Sohnes sei negativ abgeschlossen worden und ihr Sohn sei in die Russische Föderation ausgewiesen worden. Die Beschwerdeführerin leide an krankheitswertigen und behandlungsbedürftigen psychischen Störungen und Hypertonie.

 

3.6. Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Bescheid rechtzeitig Beschwerde.

 

3.6.1. Am 08.10.2014 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Beschwerdeverhandlung statt, welche jedoch wegen eines gesundheitlichen Zwischenfalls unterbrochen werden musste.

 

3.6.2. Die Beschwerdeführerin wurde daraufhin im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts von einem weiteren Facharzt für Psychiatrie untersucht.

 

Mit Gutachten vom 01.12.2014 führte der Sachverständige sinngemäß und zusammengefasst aus, dass sich bei der Beschwerdeführerin eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert (ICD 10, F 33.4) finde. Unter regelmäßiger Behandlung und entsprechender medikamentöser Einstellung werde nur mehr eine sehr diskrete Restsymptomatik angeführt. Für eine in den Vorbefunden angeführte posttraumatische Belastungsstörung habe sich zum nunmehrigen Untersuchungsbefund kein Hinweis ergeben. Die bedrohlichen Ereignisse hätten allerdings vor sieben Jahren stattgefunden und wären geeignet gewesen, eine posttraumatische Belastungsstörung auszulösen, sodass zumindest nicht auszuschließen sei, dass eine posttraumatische Belastungsstörung bestanden habe, die nunmehr abgeklungen sei. Eine Fortsetzung der nervenärztlichen Behandlung und medikamentösen Einstellung sei empfehlenswert.

 

3.6.3. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.03.2015 eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher die Beschwerdeführerin ausführlich zu ihren Fluchtgründen und ihrem Gesundheitszustand befragt wurde.

 

3.6.4. Die gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht sodann mit Erkenntnis vom 22.05.2015 nach denselben Rechtsgrundlagen wie im Spruch des angefochtenen Bescheids vollinhaltlich ab.

 

Diese Entscheidung begründete das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass im gegenständlichen Fall keine aktuelle oder drohende Verfolgungsgefahr bestehe und eine solche auch nie bestanden habe. Das Asylverfahren ihres Sohnes sei mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.04.2013 rechtskräftig negativ abgeschlossen worden, weil sein Vorbringen als unglaubwürdig und widersprüchlich qualifiziert worden sei. Die Beschwerdeführerin leide an einer krankheitswertigen und behandlungsbedürftigen psychischen Störung (Anpassungsstörung multifaktorieller Genese). Im Herbst 2014 habe sich ein gebessertes Bild und ein im Wesentlichen stabiler unauffälliger psychopathologischer Querschnittsbefund dargestellt. Es sei keine psychiatrische Erkrankung fassbar gewesen, welche die Beschwerdeführerin außer Lage setzen würde, gleichlautende Angaben zu Ereignissen aus der Vergangenheit zu machen. Sie leide zudem an Bluthochdruck, Reflux, Gastritis, Übergewicht, schlechten Cholesterinwerten sowie degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates (Spondylose, Bandscheibenvorfall), jedoch an keiner akut lebensbedrohlichen Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustands, die einer Rückführung in ihren Herkunftsstaat entgegenstünde. Am Ende der mündlichen Beschwerdeverhandlung habe die Beschwerdeführerin gemeint, sie habe in Österreich für die Caritas gearbeitet und sei gewillt, auch körperlich anstrengende Arbeiten zu übernehmen, sie würde sogar "auf allen Vieren jede Tätigkeit ausüben." Die Beschwerdeführerin sei nicht selbsterhaltungsfähig und lebe von der Grundversorgung, sie sei von keiner anderen in Österreich lebenden Person abhängig. Sie beherrsche die deutsche Sprache nur in geringfügigem Ausmaß und verfüge über keine Kenntnisse über die österreichische Politik, Geschichte oder Kultur; sie sei auch kein Mitglied bei einem Verein und habe nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich besessen.

 

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass sich die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin aus den von der belangten Behörde, sowie vom Bundesverwaltungsgericht in Auftrag gegebenen Gutachten ergebe, die ausführlich, widerspruchsfrei und schlüssig seien. Die Beschwerdeführerin sei diesen Gutachten nicht substantiiert entgegengetreten, weshalb die Ergebnisse des Gutachtens den Feststellungen zu Grunde gelegt werden könnten. Dem vom Rechtsvertreter vorgelegten medizinischen Befund, wonach die Beschwerdeführerin unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, sei zu entgegnen, dass in diesem Befund keine nachvollziehbare oder gar substantiierte Erörterung, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen diese Diagnosen getroffen worden seien, vorgenommen worden sei. Auch weise die Bestätigung im Vergleich zu den eingeholten Sachverständigengutachten einen weitaus geringeren Umfang auf; so fänden sich Befunde und ärztliche Bestätigungen der letzten Monate, die sich in einer zwei- bis dreizeiligen Feststellung des Posttraumatischen Belastungssyndroms ohne jegliche Begründung erschöpfen würde, weshalb diesen Schreiben jeglicher Beweiswert zu versagen sei.

 

Hinsichtlich des Fluchtvorbringens sei das Bundesverwaltungsgericht nach gesamtheitlicher Würdigung und im Besonderen aufgrund der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu dem Schluss gekommen, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin unglaubwürdig sei und nicht den Tatsachen entspreche. Besonders hervorzuheben sei, dass die Beschwerdeführerin im ersten und zweiten Rechtsgang bloß angeführt habe, dass ihr Sohn Widerstandskämpfer mit Nahrung und Wasser unterstützt habe, während sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 09.03.2015 erstmalig angegeben habe, dass ihr Sohn selbst Teil des Widerstands gewesen sei, womit ein gesteigertes und besonders drastisches Bild der Verfolgungssituation dargelegt worden sei, gleichzeitig jedoch ein eklatanter Widerspruch vorliege. In einer Gesamtbetrachtung sei das Bundesverwaltungsgericht angesichts der aufgezeigten Widersprüche, Unstimmigkeiten und Unplausibilitäten zum Schluss gekommen, dass das Vorbringen als erfundenes Konstrukt zwecks Asylerlangung zu werten sei und keine aktuelle individuelle Verfolgungsgefahr aus asylrelevanten Gründen bestehe.

 

3.7. Die Beschwerdeführerin erhob gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof, welcher die Revision mit Beschluss vom 19.01.2016 zurückwies.

 

4. Die Beschwerdeführerin stellte am 20.12.2016 ihren vierten Antrag auf internationalen Schutz.

 

4.1. Hierzu wurde sie am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Die Beschwerdeführerin gab zu den Gründen für den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen an, Bekannte in Österreich hätten ihr mitgeteilt, dass ihre Tochter geflüchtet sei. Die Beschwerdeführerin habe zu ihr keinen Kontakt und könne nicht mehr in ihre Heimat. Sie sei wegen psychischer Probleme zwei Wochen in stationärer Behandlung gewesen und würde sich umbringen, wenn sie abgeschoben werde.

 

4.2. Die Beschwerdeführerin wurde am 19.01.2017 neuerlich von einer als Sachverständige allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Ärztin für Allgemeinmedizin, Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin, Psychotherapeutin, untersucht. Der anschließend erstellten gutachterlichen Stellungnahme ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin bereits im Jahr 2011 bei dieser Ärztin bei einer Untersuchung gewesen sei. Zur Zeit der Befundaufnahme zeigten sich Symptome einer Anpassungsstörung F 43.2., die situativ aus dem langen Asylverfahren erklärbar seien. Daneben dürfte eine generalisierte Angststörung F 41.1. bestehen, die allerdings derzeit durch die aktuelle Situation und Symptomatik deutlich überlagert sei. Für eine PTSD hätten im Jahr 2011 wie auch jetzt keine Symptome bestanden, welche nach ICD 10 gefordert seien, um die Diagnose stellen zu können. Die Diagnosestellung erfolge symptom- und kriterienorientiert nach ICD-10 in Anlehnung an das AMDP-System unter Einbeziehung der aktuellen Forschungsergebnisse der Psychotraumatologie. Es sei anzuraten, dass die Beschwerdeführerin ein Antidepressivum der derzeitigen Substanzklasse am jeweiligen Aufenthaltsort weiter einnehme. Eine vorübergehende Verschlechterung bei Überstellung sei nicht auszuschließen, eine akute Suizidalität finde sich bei Befundaufnahme aber nicht; Affekthandlungen seien nie auszuschließen.

 

4.3. Am 01.03.2017 fand die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein ihres Rechtsvertreters und einer russischen Dolmetscherin statt. Hierbei gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie sei kürzlich aus dem Krankenhaus entlassen worden, weil sie Suizidgedanken gehabt habe. Sie habe das Gefühl gehabt, sie müsse ihr Leben beenden, ein Psychologe habe den Rettungswagen gerufen. In den letzten fünf bis sechs Monaten habe sie die Gedanken gehabt, sich das Leben zu nehmen. Auf Nachfrage, ob sie einen Suizidversuch unternommen habe, gab sie an, dass sie sich aufhängen und von einer Brücke habe springen wollen; es brodle in ihr. Sie sei schon oft auf einer Grazer Brücke gestanden und versucht gewesen, runterzuspringen. Sie nehme die Medikamente Seractil, Cymbalta, Sevikar, Pantoprazol, Trittico retard und ein Beruhigungsmittel. Der Beschwerdeführerin wurde das Ergebnis der PSY III Untersuchung mitgeteilt. Sie entgegnete, dass sie bei ihrem Sohn und ihren Enkelkindern bleiben wolle und ohne sie nicht leben könne, weil sie niemanden außer ihnen habe. Sie habe in Tschetschenien kein Haus und könne nirgendwo hingehen, ihr Bruder habe alles weggenommen. Bevor sie nach Tschetschenien gehe, sterbe sie lieber in Österreich. Hier lebe sie von der Grundversorgung und bekomme Unterstützung von der Caritas, ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter. Ihr Sohn arbeite und die Schwiegertochter erlerne gerade den Beruf der Kinderbetreuerin. Als die Beschwerdeführerin noch in Wien gelebt habe, habe sie bei der Caritas gearbeitet, wofür sie auch Geld bekommen habe. Sie sei kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation und habe bereits Deutschkurse besucht. Zu ihren Deutschkenntnissen gab sie an, dass sie recht viel verstehe, aber derzeit unter Stress stehe, weshalb ihr vieles nicht einfalle. Auf Nachfrage, ob die Beschwerdeführerin noch Verwandte in der Russischen Föderation habe, führte sie an, dass sie drei Schwestern habe: Eine habe zwei behinderte Enkelinnen und eine sei zuckerkrank; ihr Bruder wolle die Beschwerdeführerin nicht anerkennen und nicht sehen. Ihre Tochter sei auch verheiratet, seit einem Jahr habe sie aber keinen Kontakt mehr und sie kenne ihren derzeitigen Aufenthaltsort nicht. Auf Nachfrage, ob die Möglichkeit bestehe, bei den Familienangehörigen und Verwandten in der Russischen Föderation zu wohnen, antwortete die Beschwerdeführerin, dass das nicht möglich sei, weil ihre Schwester sowieso behinderte Enkelkinder habe und ihretwegen keine zusätzlichen Probleme haben wolle. Außerdem würde sie sowieso von tschetschenischen Sicherheitskräften umgebracht werden. Keiner der Verwandten würde sie unterstützen, sie wisse auch nicht, wovon diese derzeit lebten. Früher habe sie ihr eigenes Geschäft gehabt und ihre Verwandten auch nicht um Hilfe bitten können. Ihre ältere Schwester habe Kühe und eine Art Landwirtschaft gehabt, von der sie gelebt habe; ihr Bruder habe Häuser gebaut, die anderen seien Verkäufer gewesen.

 

Ihr Sohn lebe mit seiner Familie in Wien und ihre Cousine wohne als österreichische Staatsbürgerin in Niederösterreich. Zu ihrem Sohn habe sie eine sehr gute Beziehung, sie würden sich ungefähr zwei bis drei Mal im Monat treffen. Ihr Sohn unterstütze sie, sie sei sehr abhängig von ihm; ab und an bekomme sie ungefähr 100,- € von ihm, er bringe ihr auch Lebensmittel und kümmere sich um sie. Auch zu ihrer Cousine habe sie eine sehr gute Beziehung. Sie Cousine arbeite jedoch sehr viel, weshalb sie sich nicht oft sehen würden. Ihre Schwiegertochter sei für sie wie eine eigene Tochter.

 

Auf Nachfrage, warum die Beschwerdeführerin nun den vierten Antrag auf internationalen Schutz stelle, führte sie an, dass sie niemanden mehr habe und nicht wisse, wohin sie gehen könne. Sie sei sehr abhängig von ihrer Familie und könne ohne ihre Enkel nicht leben.

 

Ihre Fluchtgeschichte fasste die Beschwerdeführerin folgendermaßen kurz zusammen: Sie sei wegen ihres Sohnes geflüchtet. Dieser habe irgendwann im Jahr 2003, genau wisse sie es nicht mehr, nicht näher bestimmten Leuten, sogenannten Wahabiten, zu trinken gegeben oder ihnen zum Beten Unterschlupf gewährt. Fünf Jahre später hätten die Leute vom föderalen Sicherheitsdienst ihren Sohn von der Arbeit auf der Baustelle abgeholt und die Beschwerdeführerin habe ihn freikaufen müssen. Ihr Sohn sei daraufhin drei Tage lang im Krankenhaus gewesen, weil er mit Strom gefoltert worden sei. Anschließend wären diese Leute in ihr Haus eingedrungen und hätten ihn wieder abgeholt; seitdem würden sie sie verfolgen und nicht in Ruhe lassen. Diese Leute suchten immer irgendeinen Grund, um Häuser zu verbrennen oder Leute aus der Ortschaft herauszubringen. Sie habe immer noch Angst und wenn sie nach Hause zurückkehre, würde sie umgebracht werden. Die Beschwerdeführerin befürchte, dass nicht nur sie, sondern auch ihre in der Heimat aufhältige Familie umgebracht werde. Nach Vorhalt, dass die Behörde ihren Antrag zurückweisen werde, führte die Beschwerdeführerin an, dass sie sich umbringen werde. Sie sei müde von den ganzen negativen Entscheidungen; jeden Tag denke sie darüber nach, sie könne nicht mehr essen und habe immer Angst, weil sie nicht wisse, was mit ihr passiere.

 

4.4. Mit Schriftsatz vom 09.03.2017 erstattete die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsvertreter Stellungnahme zu den ihr vorgehaltenen Länderberichten. Darin brachte sie vor, eine manifeste psychiatrische Erkrankung und insbesondere eine Angststörung aufzuweisen. Ihre suizidalen Neigungen habe die Beschwerdeführerin in der Niederschrift bereits dargelegt. Sie sei geschieden und würde im Falle einer Rückkehr keinerlei familiären Rückhalt in Tschetschenien vorfinden; als alleinstehende Frau gehöre sie zu der sozial am stärksten benachteiligten Gruppe in Tschetschenien. Ihr Wohnhaus sei von ihrem Bruder in Besitz genommen worden, weshalb eine Rückkehr dorthin nicht möglich sei. In Österreich bestehe ein sehr enger familiärer Rückhalt durch ihren Sohn und ihre Schwiegertochter, die hier zum Aufenthalt berechtigt seien. Ihr Sohn unterstütze sie finanziell und es fänden wechselseitige Besuche statt. Auch zu ihren Enkelkindern habe die Beschwerdeführerin ein intensives Naheverhältnis. Sie habe sich sehr bemüht, Deutsch zu lernen und sich in deutscher Sprache verständigen zu können. Trotz ihrer Erkrankung sei sie in der Lage, eine Beschäftigung im Bundesgebiet auszuüben. Eine Aussicht auf Erwerbstätigkeit bestehe in Tschetschenien für sie hingegen nicht, die Arbeitslosenrate betrage dort ca. 80 %. Im Falle einer Rückkehr geriete sie in eine ausweglose Lage, welche durch ihre Erkrankung noch verstärkt wäre.

 

4.5.1. Am 21.03.2017 wurde die Beschwerdeführerin ein weiteres Mal durch die allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige untersucht. Der im Anschluss erstellten gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren ist zu entnehmen, dass es keine wesentlichen Änderungen in der Symptomatik zu den Voruntersuchungen gegeben habe, es finde sich, wie auch bei den beiden Voruntersuchungen, ein klagsames, sehr deutliches Vorbringen der subjektiven Beschwerden. Derzeit seien die Sorge und das Grübeln über die Situation im Asylverfahren als belastendes Symptom im Vordergrund. Dies könne differenzialdiagnostisch als Anpassungsstörung F 43.22 und/oder als generalisierte Angststörung F

41.1 bewertet werden. Eine Verschlechterung sei nicht sicher auszuschließen, eine akute Selbstgefährdung finde sich derzeit - wie auch bei den beiden vorigen Begutachtungen - allerdings nicht.

 

4.5.2. Mit Schriftsatz vom 29.03.2017 nahm der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin dazu Stellung und führte aus, dass sich aus dem Kurzbrief des XXXX konträr zur gutachterlichen Stellungnahme das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung ergebe. Es werde beantragt, einen medizinischen Sachverständigen auf dem Gebiet der Psychiatrie beizuziehen und mit der Erstellung eines psychiatrischen Befundes und Gutachtens über die Beschwerdeführerin zu beauftragen. Dies unter anderem zum Beweis dafür, dass bei der Beschwerdeführerin von einer erhöhten Suizidalität auszugehen sei und nicht "lediglich" von nicht auszuschließenden Affekthandlungen. Die Beilagen des XXXX würden dies entgegen der gutachterlichen Stellungnahme indizieren.

 

4.6. Mit Bescheid vom 05.04.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. I Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 161/2013, wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.). Gemäß § 57 AsylG 2005, Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. stellte das Bundesamt fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 leg.cit. in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.).

 

Die Zurückweisung des Antrags begründete das Bundesamt damit, dass entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliege: das letzte Asylverfahren sei mit 29.05.2015 rechtskräftig abgeschlossen worden. In diesem Verfahren seien alle bis zum Datum der Rechtskraft entstandenen Sachverhalte berücksichtigt worden, sodass darüber nicht neuerlich zu entscheiden sei. Das gesamte Vorverfahren habe auf einem nicht glaubhaften Vorbringen beruht. Die Beschwerdeführerin habe im gegenständlichen Verfahren keinen glaubhaften Sachverhalt vorgebracht, welcher nach rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens entstanden sei. Es könne kein glaubhafter neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen hätten sich keine Umstände ergeben, welche einer Rückkehrentscheidung in die Russische Föderation entgegenstünden. Eine besondere Integrationsverfestigung in Österreich bestehe nicht. Die Beschwerdeführerin spreche muttersprachlich Russisch und verfüge über gebrochene Deutschkenntnisse.

 

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass sich aus den aktuell eingeholten Gutachten eine Anpassungsstörung und eine generalisierte Angststörung ergebe, in diesen Gutachten wären alle bis dahin vorliegenden Befunde berücksichtigt worden, auch der 14-tägige stationäre Aufenthalt der Beschwerdeführerin. Aus den Vorverfahren lägen psychiatrisch-neurologische Gutachten vor, aus denen sich in keiner Weise ein Hinweis auf akute Suizidgefahr oder Gefahr der Selbstgefährdung ergebe. Aus den Länderfeststellungen sei ersichtlich, dass in der Russischen Föderation Behandlungsmöglichkeiten bestünden, welche auch zugänglich seien und die medizinische Versorgung gewährleistet sei. Unter Verweis auf die Judikatur des EGMR stehe auch eine eventuell behauptete psychische Störung oder ein physisches Gebrechen einer Überstellung in die Russische Föderation nicht im Wege. Die Beschwerdeführerin beziehe sich im gegenständlichen Verfahren auf Rückkehrhindernisse, welche bereits im Kern in ihren Vorverfahren zur Sprache gebracht worden seien. Sie habe dieses Vorbringen um den Umstand erweitert, dass sie im Falle ihrer Rückkehr in der Russischen Föderation umgebracht werde, ihre Familie mit ihr nichts zu tun haben wolle, ihre Tochter mittlerweile verheiratet sei und die Beschwerdeführerin keinen Kontakt mehr zu ihrer gesamten Familie im Heimatland habe. Die Beschwerdeführerin habe in ihrem ersten Asylverfahren behauptet, wegen der Probleme ihres Sohnes in Gefahr zu sein; dieser habe im Jahr 2003 Widerstandskämpfern geholfen, sei 2007 von Militärangehörigen mitgenommen worden und kurze Zeit darauf ein zweites Mal inhaftiert worden, bis man Lösegeld bezahlt habe. Im dritten Asylverfahren habe die Beschwerdeführerin neu vorgebracht, dass ihr Sohn mit Strom gefoltert worden sei und sie während der zweiten Festnahme ihres Sohnes selbst auch geschlagen worden sei, was sie davor nie behauptet habe. Nachdem ihr Sohn das Land verlassen habe, seien diese Leute zwei- bis drei Mal pro Monat zu ihr gekommen und hätten nach dem Sohn gefragt, was ebenso eine Steigerung zum Vorverfahren bedeute. Die im gegenständlichen Verfahren dargestellten Angaben, wonach die Beschwerdeführerin ihren Sohn und ihre Enkelkinder nicht verlassen wolle, nach wie vor medizinische Betreuung brauche und im Falle der Rückkehr umgebracht werde, reichten nicht aus, um darin einen neuen Sachverhalt zu erkennen. Ihre Angaben gingen über bloße Vermutungen nicht hinaus. Der objektive und entscheidungsrelevante Sachverhalt sei daher unverändert, weshalb entschiedene Sache vorliege.

 

Zum Aufenthalt in Österreich sei anzuführen, dass sich die Beschwerdeführerin aufgrund der immer wieder negativ abgeschlossenen Asylverfahren mehrmals illegal in Österreich aufgehalten habe und der seit Jahren bestehenden Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei. Es habe kein im Sinne des Art. 8 EMRK relevantes Familienleben festgestellt werden können. Im Heimatland würden mit ihrem Bruder, ihren drei Schwestern sowie ihrer Tochter nach wie vor Familienmitglieder leben. Der Beschwerdeführerin sei während der gesamten Aufenthaltsdauer nie ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zugekommen. Ihre Aufenthaltsdauer in Österreich gehe nicht über Vergleichsentscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes hinaus, darüber hinaus sei ihr Aufenthalt nicht auf einer den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerung begründet. Es sei der Beschwerdeführerin möglich, in der Russischen Föderation erneut ein relevantes Familien- und/oder Privatleben aufzubauen. Aufgrund einer Gesamtabwägung sei festzustellen, dass dem im Sinne des Art. 8 EMRK relevanten Interesse an einem weiteren Aufenthalt in Österreich ein wesentlich geringerer Stellenwert zukomme als dem gewichtigen öffentlichen Interesse an einer Beendigung ihres Aufenthaltes.

 

4.7. Die Beschwerdeführerin erhob durch ihren Rechtsvertreter gegen den angeführten Bescheid Beschwerde und stellte einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Darin wurde der bisherige Verfahrensverlauf zusammengefasst und im Wesentlichen vorgebracht, im Bescheid sei der aktuelle psychische Zustand der Beschwerdeführerin nicht ausreichend berücksichtigt worden. Es werde nach wie vor die Begutachtung durch einen psychiatrischen Sachverständigen beantragt. Zudem werde beantragt, den Sohn als Beweis für das persönliche Naheverhältnis einzuvernehmen. Das Vorliegen einer schweren Erkrankung sei auch unter dem Aspekt des Art. 8 EMRK zu beachten, was von der belangten Behörde unerörtert und mangelhaft geblieben sei. Eine Abschiebung in die Russische Föderation würde die Beschwerdeführerin jener Gefährdung ihrer Rechte aussetzen, deren Prüfung Gegenstand des Beschwerdeverfahrens wären. Ihr sei nach der Asylantragstellung eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung erteilt und ihr Verfahren seit sechs Monaten zugelassen. Es sei kein öffentliches Interesse an der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und der sofortigen Ausreise ohne jede Frist erkennbar.

 

4.8. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte den Verfahrensakt samt den Beschwerdeschriftsätzen dem Bundesverwaltungsgericht am 28.04.2017 vor.

 

4.8.1. Mit Schriftsatz vom 18.12.2017 übermittele der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin eine Krankenhausaufenthaltsbestätigung und einen klinisch-fachärztlichen Befundbericht vom 02.12.2017. Diesem Schriftsatz ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin einen schwerwiegenden Krankheitsschub erlitten habe und im Falle einer Abschiebung in eine lebensbedrohende Situation geraten würde. Es werde daher die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde und die Einholung eines Sachverständigengutachtens neuerlich beantragt. Zuletzt habe der behandelnde Arzt des XXXX gegenüber der Behörde versichert, dass eine Anhaltung und Abschiebung aus medizinischen Gründen aktuell lebensbedrohend sei. Das BFA sei jedoch nicht bereit, auch nur annähernd eine Genesung der Beschwerdeführerin abzuwarten, es sei ihr nicht einmal ihre Brustprothese, die ihr bei der Festnahme am 28.11.2017 abgenommen worden sei, rückerstattet. Darüber hinaus sei dem Rechtsvertreter fälschlich mitgeteilt worden, dass lediglich eine Einsicht in aktuelle ärztliche Bestätigungen geplant sei, die Beschwerdeführerin jedoch in Schubhaft genommen worden sei.

 

Dem beigelegten klinischen Befundbericht der XXXX vom 02.12.2017 ist zu entnehmen, dass sich die Beschwerdeführerin seit 29.11.2017 in stationärer Behandlung der psychiatrischen Abteilung befinde, sie sei wegen akuter Selbstgefährdung mit dem Rettungswagen in Polizeibegleitung gebracht worden. Es fänden sich die Diagnosen: F

43.1. Posttraumatische Belastungsstörung, F 33.2. rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig schwerer Episode ohne psychotische Symptome, F 41.0 Panikstörung, F 41.1. generalisierte Angststörung, chronischer Spannungskopfschmerz, PNP, ständiger Gebrauch von Schmerzmitteln, Hypertonie mit rezidivierenden Hochdruckkrisen, Hypercholesterinanämie, Morbus Scheuermann, Lumboischalgie li., Gastritis, Spinalstenose L2/L3, Diskusprotrusion L4/5, Laryngoösophagealer Reflux. Weiters wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin davor im XXXX wegen einer hypertensiven Krise, agitiert-depressiven Zustandsbilds mit akuter Suizidalität, impulshaften Versuchen einer Selbstverletzung sowie der Verweigerung von Essen, Trinken und Medikationseinnahme psychiatrisch behandelt worden sei. Die Beschwerdeführerin leide unter einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung mit multiplen somatischen Komplikationen, die notwendige Dauer des stationären Aufenthaltes sei derzeit nicht abschätzbar; unter Berücksichtigung der komplexen Situation werde von einer längeren Dauer ausgegangen, eine Abschiebung würde eine aktuelle Lebensbedrohung für die Beschwerdeführerin darstellen.

 

4.8.2. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.01.2018 wurde ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie zum Sachverständigen in gegenständlicher Beschwerdesache bestellt und folglich mit der Erstellung eines Gutachtens zum psychischen Zustand der Beschwerdeführerin betraut. Dem Sachverständigen wurde die Beantwortung folgender Fragen aufgetragen:

 

"1. a) Liegt eine krankheitswertige, psychische Störung vor? Wenn ja, welche?

 

b) Ist diese behandelbar? Wenn ja - wie? Bitte um Bekanntgabe der notwendigen Medikamente.

 

2. Wäre die Beschwerdeführerin in der Lage, an einer Beschwerdeverhandlung teilzunehmen bzw. ist sie einvernahmefähig? Ist die Beschwerdeführerin in der Lage, das Erlebte wiederzugeben?

 

3. War die Beschwerdeführerin in der Lage im Rahmen der beiliegenden Einvernahmen das Erlebte wiederzugeben?

 

4. a) Welche Folgen hätte eine Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation?

 

b) Wäre eine Überstellung in den Herkunftsstaat Russische Föderation aus ärztlicher Sicht möglich? Bzw. würde eine Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung aus ärztlicher Sicht bewirken? Wäre die Beschwerdeführerin in der Lage in der Russischen Föderation den Geschäften des täglichen Lebens nachzukommen? Ist die Beschwerdeführerin eigen- und fremdgefährdend?

 

5. Ist die Beschwerdeführerin geschäftsfähig?

 

6. Bedarf die Beschwerdeführerin eines Sachwalters?"

 

4.8.3. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.06.2018 wurde der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid die aufschiebende Wirkung zuerkannt, weil erst auf Grundlage des noch ausstehenden Gutachtens der aktuelle Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ermittelt werden könne, sich die Erstellung des Gutachtens aber wegen einer nicht vorhersehbaren Erkrankung des Sachverständigen verzögern werde. Derzeit könne somit (noch) nicht beurteilt werden, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat nicht doch eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK bzw. der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde

 

4.8.4. Am 04.07.2018 langte schließlich das in Auftrag gegebene Gutachten des Sachverständigen vom 20.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Hinsichtlich der in Auftrag gegebenen

Fragen ist dem Gutachten Folgendes zu entnehmen:

 

Zu 1.a.: Liegt eine krankheitswertige, psychische Störung vor? Wenn ja, welche?: Aus psychiatrischer Sicht fänden sich bei der Beschwerdeführerin rezidivierende depressive Verstimmungszustände, die diagnostisch am ehesten depressiven Episoden unterschiedlichen Ausprägungsgrades zuzuordnen seien. In den letzten Monaten sei es diesbezüglich zu zwei stationären Aufenthalten im Dezember 2017 an der psychiatrischen Abteilung der XXXXund im Februar 2018 an der psychiatrischen Abteilung des XXXX gekommen, wo diagnostisch schwere depressive Episoden festgestellt worden und beide Aufnahmen wegen suizidaler Einengung unter Unterbringungsbedingungen erfolgt seien. Die depressive Symptomatik sei im Zusammenhang mit Belastungen durch die derzeitige Migrationssituation, Belastungen durch körperliche Erkrankungen und auch Ungewissheit über die weitere Zukunft zu sehen und diagnostisch im Sinne einer reaktiven Depression anzunehmen. Zum nunmehrigen Untersuchungszeitpunkt habe sich ein wesentlich gebessertes Bild im Ausmaß einer leichtgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom (ICD 10: F 33.01) gefunden, es hätten sich weiterhin eine subdepressive Stimmungslage, Belastungsgefühle, insbesondere betreffend die derzeitige soziale Situation, aber auch die gesundheitliche Situation hinsichtlich diverser körperlicher Erkrankungen, Zukunftsängste, Ängste vor einer Rückführung und einer angeführten Durchschlafstörung gefunden. Weiters werde in Vorbefunden auch eine Angststörung beschrieben, die einer generalisierten Angststörung leichten Ausprägungsgrades zuzuordnen sei (ICD- 10: F41.1). In Vorbefunden werde auch die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung erwähnt, zum nunmehrigen Untersuchungszeitpunkt sei keine für eine posttraumatische Belastungsstörung spezifische Symptomatik explorierbar, wie auch schon bei Vorgutachten im Jänner 2017. Es sei nicht auszuschließen, dass eine solche bestanden haben könnte, die sich unter entsprechender Behandlung rückgebildet habe; so habe sich die Beschwerdeführerin bereits vor Jahren diesbezüglich an der Universitätsklinik in Behandlung befunden. Aus somatischer Sicht würden in Vorbefunden diverse andere Erkrankungen angeführt.

 

Zu 1.b.: Ist diese behandelbar? Wenn ja - wie? Bitte um Bekanntgabe der notwendigen Medikamente: Die Symptomatik sei behandelbar, die Beschwerdeführerin befinde sich in regelmäßiger nervenärztlicher Behandlung und sei entsprechend medikamentös eingestellt, sie erhalte antidepressive und schlaffördernde Medikation.

 

Zu 2.: Wäre die Beschwerdeführerin in der Lage, an einer Beschwerdeverhandlung teilzunehmen bzw. ist sie einvernahmefähig?

Ist die Beschwerdeführerin in der Lage, das Erlebte wiederzugeben?:

Derzeit sei keine psychische Störung in einem Ausmaß fassbar, dass die Beschwerdeführerin daran gehindert wäre, an einer Beschwerdeverhandlung teilzunehmen, bzw. ihre Einnahmefähigkeit beeinträchtigt wäre. Es sei keine psychische Erkrankung fassbar, die die Betroffene außer Lage setzen würde, Erlebtes wiederzugeben.

 

Zu 3.: War die Beschwerdeführerin in der Lage im Rahmen der beiliegenden Einvernahmen das Erlebte wiederzugeben?: Es fänden sich bei aller Problematik der retrospektiven Beurteilung, aber auch nach Durchsicht der Einvernahmeprotokolle keine Hinweise auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung in einem Ausmaß, die die Betroffene außer Lage gesetzt hätte, Erlebtes wiederzugeben.

 

Zu 4.a.: Welche Folgen hätte eine Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation?: Eine Rückführung stehe den Wünschen und Zielen der Beschwerdeführerin entgegen und sei diesbezüglich eine deutliche Angstsymptomatik fassbar. Daher sei eine Verschlechterung insbesondere der depressiven Symptomatik, möglicherweise auch wiederum mit suizidalen Einengungen und selbstschädigenden Handlungen, als möglich zu erachten.

 

Zu 4.b.: Wäre eine Überstellung in den Herkunftsstaat Russische Föderation aus ärztlicher Sicht möglich? Bzw. würde eine Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung aus ärztlicher Sicht bewirken? Wäre die Beschwerdeführerin in der Lage in der Russischen Föderation den Geschäften des täglichen Lebens nachzukommen? Ist die Beschwerdeführerin eigen- und fremdgefährdend?: Es sei keine psychische Erkrankung fassbar, die die Reisefähigkeit ausschließen würde. Es sei aber anzunehmen, dass eine Rückführung eine deutliche Verschlechterung der depressiven Symptomatik, möglicherweise auch wiederum mit selbstschädigenden Handlungen und suizidaler Einengung, beinhalten könnte. Die Zumutbarkeit sei eine juristische Feststellung und könne aus psychiatrischer Sicht nicht beantwortet werden. Es sei aber auch festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin an mehreren somatischen Erkrankungen leide, u.a. auch an einer instabilen Hypertonie mit rezidivierenden Bluthochdruckkrisen. Inwieweit die somatischen Erkrankungen eine Beeinträchtigung der Reisefähigkeit beinhalten würden, könne aus psychiatrischer Sicht nicht beurteilt werden, sondern müsste aus allgemeinmedizinischer oder internistischer Sicht beurteilt werden. Es sei bei der Beschwerdeführerin keine psychische Erkrankung in einem Ausmaß fassbar, dass die Beschwerdeführerin außer Lage gesetzt wäre, in der Russischen Föderation den Geschäften des täglichen Lebens nachzukommen, sie sei daher aus psychiatrischer Sicht in der Lage den Geschäften des täglichen Lebens nachzukommen. Zum Untersuchungszeitpunkt sei keine aktuelle Suizidalität fassbar gewesen, es sei in der Vergangenheit immer wieder zu suizidalen Einengungen und Handlungen gekommen und sei eine latente Suizidalität, d.h. Eigengefährdung bei der Beschwerdeführerin bei neuerlichen Belastungen nicht ausschließbar; Hinweise für eine Fremdgefährdung wären nicht fassbar.

 

Zu 5.: Ist die Beschwerdeführerin geschäftsfähig?: Derzeit sei keine psychische Erkrankung in einem Ausmaß fassbar, die ihre Geschäftsfähigkeit beeinträchtige.

 

Zu 6.: Bedarf die Beschwerdeführerin eines Sachwalters?: Derzeit sei keine psychische Erkrankung oder geistige Behinderung fassbar, die die Beschwerdeführerin außer Lage setzen würde, ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils selbständig zu regeln. Aus psychiatrischer Sicht sei derzeit die Anregung eines Sachwalterschaftsverfahrens medizinisch nicht indiziert.

 

4.8.5. Mit Schriftsatz vom 20.07.2018 nahm der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin zum übermittelten Gutachten Stellung und führte aus, das Gutachten zeige, dass sich bei der Beschwerdeführerin eine psychische Erkrankung finde und zusätzlich mehrere somatische Erkrankungen schwerwiegender Natur vorhanden seien. Es seien mehrere stationäre Krankenhausaufenthalte erforderlich gewesen und dokumentiert. Vom Gutachter werde eine latente Eigengefährdung in Form einer Suizidneigung diagnostiziert. Dies stehe im Einklang mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im laufenden Asylverfahren. Es werde auf die Beschwerde samt Anträgen und die erstatteten Stellungnahmen, insbesondere vom 18.12.2017, verwiesen. Die Beschwerdeführerin sei nach Kräften um eine Integration bemüht. Sie spreche gut Deutsch, habe Remunerantentätigkeit bei der Caritas verrichtet und sei seit über acht Jahren im Bundesgebiet durchgehend aufhältig. Es würden enge Familienangehörige (Sohn und Enkelkinder) rechtmäßig im Bundesgebiet leben und bestehe ein enger Kontakt und Zusammenhalt.

 

4.8.6. Am 22.10.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W237 zugewiesen.

 

4.8.6.1. Mit Schreiben vom 12.11.2018 wurden die Beschwerdeführerin und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.01.2019 unter gleichzeitiger Übermittlung der aktuellen Länderberichte zur Lage in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien, geladen.

 

4.8.6.2. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 17.01.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache, der Beschwerdeführerin und im Beisein ihres Rechtsvertreters eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

 

Darin gab die Beschwerdeführerin zu ihrer Gesundheit befragt an, sie habe Brustkrebs und eine psychische Störung. Nach einer Mastektomie ihrer rechten Brust im Jahr 2009 sei nun die zweite Brust befallen. Den Operationstermin werde sie am nächsten Tag erfahren; in diesem Zusammenhang wurde der Beschwerdeführerin aufgetragen, binnen einer Woche den konkreten Operationstermin bekannt zu geben. Sie habe Schmerzen im Rücken, in den Beinen und Händen und leide unter Bluthochdruck. Außerdem habe sie ständig Angst und könne weder ausreichend schlafen noch essen. Es bestünden immer ein Schwindelgefühl im Kopf und manchmal Orientierungsschwierigkeiten. Die Beschwerdeführerin legte betreffend ihre gesundheitlichen Beschwerden mehrere ärztliche Befunde vor.

 

Auf die Frage, warum sie am 20.12.2016 ihren vierten Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, erklärte sie, Angst davor zu haben, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren. Sie leide überhaupt ständig unter Ängsten. Wenn sie in ihr Heimatland zurückkehren könnte, um dort in Ruhe zu leben, wäre sie bereits zurückgekehrt. Sie stehe unter einem solch großen Stress, dass sie in der Folge auch eine neuerliche onkologische Erkrankung bekommen habe. Sie habe nur einen Sohn und dieser lebe in Österreich. Insofern ersuche sie, in Österreich bleiben zu können. Im Gegenzug würde sie auch gerne kostenlos arbeiten gehen, wenn sich ihr Zustand gebessert habe.

 

In der Folge gab die Beschwerdeführerin an, alleine in Graz zu wohnen, jedoch hielten sich ihr Sohn und zwei Enkel im Alter von acht und zehn Jahren ebenso in Österreich auf. Die Ehe ihres Sohnes sei geschieden. Der Sohn sei berufstätig und würde ebenso wie seine Ex-Frau und die Kinder in Wien wohnen; die Kinder gingen zur Schule. Ihren Sohn sehe sie aufgrund seiner Berufstätigkeit zwei- bis dreimal im Monat. Sie werde von ihm finanziell unterstützt. Auch zur ihren Enkelkindern halte sie Kontakt und sehe sie ca. ein- oder zweimal im Monat, im Urlaub öfter. Mit einer Cousine, die österreichische Staatsbürgerin sei und in Amstetten lebe, stehe sie hauptsächlich in telefonischem Kontakt.

 

In ihrem Herkunftsland habe zuletzt noch ihre Tochter gelebt, die Beschwerdeführerin habe aber derzeit keinen Kontakt zu ihr. Sie sei gegen die Heirat ihrer Tochter gewesen. Sie wisse auch nicht, ob ihre vier Schwestern und ihr Bruder alle noch leben würden, zumal sie schon lange nicht mehr in Kontakt mit ihnen stehe. Ihr Bruder hätte sie aber nie anerkannt. Für das alles interessiere sie sich aber derzeit nicht.

 

Der Beschwerdeführerin wurden anschließend Fragen in deutscher Sprache zu ihrem Tagesablauf gestellt, die sie beantwortete. Sie habe 2015 einen Deutschkurs absolviert, jetzt sei dies aber zu schwierig für sie. Sie habe auch als Freiwillige bei der Caritas gearbeitet; in diesem Zusammenhang legte sie eine Bestätigung vor. Nachgefragt erzählte die Beschwerdeführerin, dass sie dabei auch ein wenig Geld verdient habe. Wenn sich ihr Gesundheitszustand bessere, wolle sie zumindest als Putzfrau arbeiten. Nachgefragt gab sie an, dass sie in Österreich keine Ausbildungen absolviert habe. Sie habe hier zwei Freundinnen, eine arbeite als Augenärztin, die andere sei eine Gymnasiallehrerin.

 

Ihr Rechtsvertreter führte aus, dass die mit der Ladung zur Verhandlung übermittelten Länderfeststellungen zur Kenntnis genommen würden. Er verwies auf die darin enthaltenen Informationen zur Situation von Frauen in Tschetschenien. Danach sei von schwierigsten Lebensbedingungen für alleinstehende Rückkehrerinnen auszugehen, vor allem dann, wenn es keine männlichen Familienangehörigen gäbe, die für die Betroffene sorgen könnten. Laut einem Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe aus dem Jahr 2014 über alleinstehende Frauen im Nordkaukasus sei es auch mit großen Hindernissen verbunden, in den Genuss von Sozialleistungen zu kommen. Von alleinstehenden Frauen werde gezielt unrechtmäßig Geld verlangt. Dazu komme, dass die Beschwerdeführerin, wie sich erst kürzlich herausgestellt habe, unter einer unmittelbar lebensbedrohenden Erkrankung leide. Aus Sicht der Beschwerdeführerin sei der Zugang zur adäquaten medizinischen Versorgung bei der derzeitigen Befundlage ausgeschlossen. Die Beschwerdeführerin habe 2010 aus nachvollziehbaren Gründen ihre Heimat verlassen müssen. Es sei richtig, dass sie bereits mehrere Folgeanträge gestellt habe, dies jedoch immer unter einem subjektiv empfundenen Angstzustand, der auch nach den vorliegenden Gutachten als krankheitswertig eingestuft werden könne. Dieser Zustand sei bei der Beschwerdeführerin vor allem dann eingetreten, wenn sich eine unsichere Situation weiter zugespitzt habe. Es seien daher die Asylantragstellungen auch unter diesem Aspekt zu betrachten. Die familiären Bindungen der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet seien eng und würden intensiv gelebt werden.

 

4.8.6.3. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin legte am 24.01.2019 einen aktuellen Arztbrief des XXXXvom 20.01.2019 vor, in dem der Behandlungsverlauf betreffend ihr Karzinom in der linken Brust dargestellt ist. Bei der Beschwerdeführerin sei ein invasives lobuläres Karzinom der Brustdrüse festzustellen. Eine Mastektomie sei dringend indiziert; die entsprechende Operation werde am 07.02.2019 durchgeführt.

 

5. Von den in der mündlichen Verhandlung am 17.01.2019 vorgelegten Unterlagen abgesehen, brachte die Beschwerdeführerin seit rechtskräftigem Abschluss ihres dritten Asylverfahrens folgende Unterlagen in Vorlage:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zu den bisherigen Verfahren:

 

Der Ablauf der Verfahrensgänge im Detail sowie die Inhalte der in Rechtskraft erwachsenen Entscheidungen zu den vorangegangenen Anträgen auf internationalen Schutz werden so festgestellt, wie sie unter Pkt. I. der vorliegenden Entscheidung wiedergegeben sind.

 

Gegen die Beschwerdeführerin wurden jeweils im September 2010, August 2011 und Mai 2015 Rückkehrentscheidungen erlassen, denen sie keine Folge leistete. Sie stellte jeweils im Abstand von einigen Monaten nach einer Rückkehrentscheidung einen neuen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:

 

1.2.1. Die Beschwerdeführerin trägt den im Spruch angeführten Namen, ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe; sie bekennt sich zum muslimischen Glauben und ist geschieden. Sie lebte bis zu ihrem 47. Lebensjahr in der Russischen Föderation und spricht Russisch und Tschetschenisch. Vor ihrer Ausreise im Jahr 2010 bezog die Beschwerdeführerin sei Juli 2008 eine Invaliditätspension. In der Russischen Föderation leben der Bruder der Beschwerdeführerin, drei Schwestern sowie ihre volljährige Tochter.

 

Die - strafrechtlich unbescholtene - Beschwerdeführerin hält sich seit Juli 2010 durchgehend im Bundesgebiet auf. Sie lebt in einer Asylunterkunft in Graz und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung; sie geht keiner Arbeit nach und wird von ihrem im Bundesgebiet lebenden Sohn mit 100,- bis 150,- € mindestens einmal pro Monat finanziell unterstützt. Die Beschwerdeführerin beherrscht die deutsche Sprache auf grundlegendem, alltagstauglichem Niveau und absolvierte im Sommer 2015 eine Deutschprüfung auf A2-Niveau; sie besucht weiterhin einen A2-Kurs in ihrem Flüchtlingsquartier in Graz. Für die Caritas war sie im Rahmen einer Remunerantentätigkeit zuletzt im gesamten Jahr 2018 im Ausmaß von drei Stunden pro Woche freiwillig tätig und half bei der Sortierung. In ihrer Freizeit half sie in den vergangenen Jahren weiters bei der Organisation von Veranstaltungen für eine örtliche Pfarre. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Zeit im Bundesgebiet Bekannt- und Freundschaften mit österreichischen Staatsangehörigen geschlossen; derzeit benennt sie eine Augenärztin sowie eine Gymnasiallehrerin als ihre Freundinnen.

 

In Wien wohnen der Sohn der Beschwerdeführerin, ihre Schwiegertochter und zwei acht- und zehnjährige Enkel, die allesamt zum dauerhaften Aufenthalt in Österreich berechtigt sind. Der Sohn lebt von seiner Frau und seinen Kindern getrennt. Die Beschwerdeführerin sieht ihren Sohn zwei- bis dreimal, ihre Enkelkinder ein- bis zweimal im Monat. Weiters lebt eine Cousine der Beschwerdeführerin als österreichische Staatsbürgerin in Niederösterreich, zu der sie häufigen telefonischen, jedoch nur seltenen persönlichen Kontakt hält.

 

1.2.2. Der Beschwerdeführerin musste im Jahr 2009 in Tschetschenien nach Chemotherapie die rechte Brust wegen eines Tumors entfernt werden. Im Jahr 2018 trat ein bösartiger Tumor in ihrer linken Brust auf (invasives lobuläres Karzinom der Brustdrüse links), der im Herbst 2018 diagnostiziert wurde. Am 07.02.2019 wurde in diesem Zusammenhang eine Mastektomie vorgenommen. Infolge der vergangenen Chemotherapie leidet die Beschwerdeführerin unter Polyneuropathie. Weiters plagen sie chronische Kopfschmerzen und in jüngster Zeit auch vermehrt Fuß- und Rückenbeschwerden. Darüber hinaus leidet sie unter Bluthochdruck, erhöhtem Cholesterinspiegel, Gastritis, wiederholt auftauchendem Sodbrennen (Laryngoösophagealer Reflux) sowie degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates (Morbus Scheuermann, Lumboischalgie links, Spinalstenose L2/L3 und Diskusprotrusion L4/5). Die Beschwerdeführerin ist auf die Einnahme ihrer Medikamente ihren Blutdruck betreffend angewiesen. In ihrem Alltag ist sie mobilitätstechnisch kaum eingeschränkt; den Heilungsverlauf ihres Brustkarzinoms vorausgesetzt zeigt sie sich arbeitswillig und -fähig.

 

Ungeachtet ihrer physischen Erkrankungen leidet die Beschwerdeführerin seit ihrem ersten Asylverfahren unter starken psychischen Problemen, die sich im Laufe der letzten acht Jahre für untersuchende (Fach-)Ärzte verschiedenartig darstellten. Insgesamt leidet sie unter sowohl einer reaktiven Depression mit Episoden unterschiedlichen Ausprägungsgrades als auch einer generalisierten Angststörung leichten Ausprägungsgrades. Die Beschwerdeführerin befand sich in Österreich im Dezember 2017 und im Februar 2018 wegen suizidaler Einengung in psychiatrischer stationärer Behandlung. Im April 2018 bestand hingegen eine leichtgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom. Die psychischen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin sind ihrer ungewissen Aufenthaltssituation, ihrer Angst vor einer Trennung von ihrem in Österreich lebenden Sohn und seiner Familie, allgemeinen Zukunftsängsten sowie ihren physischen Leiden - zuletzt dem Auftritt eines bösartigen Tumors in ihrer linken Brust - geschuldet. Sie steht in psychotherapeutischer Behandlung und nimmt täglich antidepressive und schlaffördernde Medikamente.

 

Die Beschwerdeführerin ist reise- und geschäftsfähig und in der Lage, in der Russischen Föderation den Geschäften des täglichen Lebens nachzukommen. Mit einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ist von einer zumindest vorübergehenden Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustands auszugehen. Es liegt keine akut lebensbedrohliche oder im Herkunftsstaat nicht behandelbare Erkrankung vor.

 

1.3. Zur verfahrensrelevanten Situation in der Russischen Föderation:

 

1.3.1. Die allgemeine Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, speziell in Tschetschenien, hatte sich im April 2017 in Bezug auf die bereits im dritten - inhaltlich entschiedenen - Asylverfahren behandelten Aspekte nicht geändert. Es kann für den damaligen Zeitpunkt nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Tschetschenien Drohungen oder Gewalthandlungen von staatlicher oder privater Seite zu erwarten hätte. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass sie in eine ihre Existenz bedrohende Notlage geriete.

 

1.3.2. Zur aktuellen Lage in der Russischen Föderation, insbesondere in Tschetschenien, wird festgestellt:

 

Politische Lage

 

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

 

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt.

 

Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5 .2018b).

 

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5 .2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

 

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534 , Zugriff 1.8.2018

 

? CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html , Zugriff 1.8.2018

 

? EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf , Zugriff 1.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 1.8.2018

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 1.8.2018

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 1.8.2018

 

? OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true , Zugriff 29.8.2018

 

? Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen , Zugriff 1.8.2018

 

? Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident , Zugriff 1.8.2018

 

? Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin,

 

? https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html , Zugriff 1.8.2018

 

Tschetschenien

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx , Zugriff 1.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/ , Zugriff 1.8.2018

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf , Zugriff 1.8.2018

 

Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0 , Zugriff 28.8.2018

 

? BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/ , Zugriff 28.8.2018

 

? Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824 , Zugriff 29.8.2018

 

? EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html , Zugriff 28.8.2018

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170 , Zugriff 28.8.2018

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

Nordkaukasus

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

 

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

 

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

 

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/ , Zugriff 28.8.2018

 

? Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/ , Zugriff 28.8.2018

 

? DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520 , Zugriff 28.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

Tschetschenien

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

? Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/ , Zugriff 28.8.2018

 

? Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/ , Zugriff 28.8.2018

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2018a). Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

 

? Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

 

? Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

 

? Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

 

? Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)

 

? Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

 

? Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)

 

? Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.09.2012) (AA 21.5.2018).

 

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren 2016 knapp 10% der anhängigen Fälle Russland zuzurechnen (77.821 Einzelfälle). Der EGMR hat 2016 228 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führte Russland die Liste der verhängten Urteile mit großem Abstand an (an zweiter Stelle Türkei mit 88 Urteilen). Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus (222 von 228 Fällen) und konstatierten mehr oder wenige gravierende Menschenrechtsverletzungen. Zwei Drittel der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 21.5.2018).

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2017 weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs sahen sich nach wie vor mit Schikanen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert (AI 22.2.2018). Auch Journalisten und Aktivisten riskieren Opfer von Gewalt zu werden (FH 1.2018). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur, führten zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Angehörige religiöser Minderheiten mussten mit Schikanen und Verfolgung rechnen. Das Recht auf ein faires Verfahren wurde häufig verletzt. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor weit verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wurde weiter erschwert. Im Nordkaukasus kam es auch 2017 zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018).

 

Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie einer unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018, AA 21.5.2018).

 

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. (AA 21.5.2018). Auch 2017 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und trafen sich mit den einzelnen Republiksoberhäuptern, wobei ein Treffen mit Ramzan Kadyrow abgesagt wurde, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters des Komitees gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten (ÖB Moskau 12.2017).

 

Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten unter dem Vorsitz von M. Fedotow übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 8.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 8.8.2018

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 8.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

Tschetschenien

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Die unabhängige Novaya Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angebliche außergerichtliche Tötung von über zwei Dutzend Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Im Herbst 2017 besuchte das Komitee gegen Folter des Europarates neuerlich Tschetschenien und konsultierte dabei auch die russische Ombudsfrau für Menschenrechte. Ihre nachfolgende Aussage gegenüber den Medien, dass das Komitee keine Bestätigung außergerichtlicher Tötungen oder Folter gefunden habe, wurde vom Komitee unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der mit den russischen Behörden geführten Gespräche zurückgewiesen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien herausgebracht werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen. Ende 2015 wurden nach Angaben von Memorial mehrere hundert Menschen aufgrund oberflächlicher "Verdachtsmerkmale" wie zu kurzer Bärte tagelang in Behördengewahrsam genommen, ohne dass den Angehörigen hierzu Auskunft erteilt wurde (AA 21.5.2018). 2017 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 21.5.2018, vgl. HRW 18.1.2018), wo die Betroffenen gefoltert und einige sogar getötet wurden [vgl. Kapitel 19.4. Homosexuelle] (HRW 18.1.2018).

 

Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Kaukasischer Knoten, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von Novaya Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen Schwule berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Novaya Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht. Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen seit Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018).

 

In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow in einem TV-Beitrag mit einer deutlichen Warnung vor Kritik an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora: Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein, man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow. Gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax behauptete Kadyrow am 21. November 2017, dass der Terrorismus in Tschetschenien komplett besiegt sei, es gebe aber Versuche zur Rekrutierung junger Menschen, für welche er die subversive Arbeit westlicher Geheimdienste im Internet verantwortlich machte (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen, darunter Memorial und Human Rights Watch, prangern die seitens der regionalen Behörden praktizierte Sippenhaft von Familienangehörigen in Tschetschenien an. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 8.8.2018

 

? HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html , Zugriff 8.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

Frauen im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien

 

Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich zum Teil von der in anderen Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen sind laut NGOs nach wie vor ein Problem in Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018) aber auch in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Verlässliche Statistiken dazu gibt es kaum. Die Gewalt gegen Frauen bleibt in der Region ein Thema, dem von Seiten der Regional- und Zentralbehörden zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Erschwert wird die Situation durch die Ko-Existenz dreier Rechtssysteme in der Region - dem russischen Recht, Gewohnheitsrecht ("Adat") und der Scharia. Gerichtsentscheidungen werden häufig nicht umgesetzt, lokale Behörden richten sich mehr nach "Traditionen" als nach den russischen Rechtsvorschriften. Insbesondere der Fokus auf traditionelle Werte und Moralvorstellungen, die in der Republik Tschetschenien unter Ramzan Kadyrow propagiert werden, schränkt die Rolle der Frau in der Gesellschaft ein. Das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sprach im Rahmen seiner Empfehlungen an die Russische Föderation in diesem Zusammenhang von einer "Kultur des Schweigens und der Straflosigkeit" (ÖB Moskau 12.2017). Die Heirat einer 17-Jährigen Tschetschenin mit einem 47-jährigen örtlichen Polizeichef im Frühjahr 2015 gilt als Beispiel für die verbreitete Praxis von Zwangsehen. Außerdem weist sie auf eine Form der Polygamie hin, die zwar offiziell nicht zulässig, aber durch die Parallelität von staatlich anerkannter und inoffizieller islamischer Ehe faktisch möglich ist (AA 21.5.2018).

 

Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf, und gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Die Behandlung von Frauen, wie sie heute existiert, soll aber nie eine Tradition in Tschetschenien gewesen sein. Frauen sind sowohl unter islamischem Recht als auch im Adat hoch geschätzt. Allerdings ist die Realität in Tschetschenien, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Auch die Religion ist ein Rückschlag für die Frauen und stellt sie in eine den Männern untergeordnete Position. Diese Entwicklungen erfolgten in den letzten Jahren. Es ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft sind. Jedoch könne nur das Russische Recht Frauen effektiv schützen. Es wird auch berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird, und auch Kadyrow selbst - obwohl er sowohl Adat, als auch Scharia betont - sich in letzter Zeit eher auf die Scharia bezieht. Adat dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014). Gleichberechtigung ist in den islamisch geprägten Republiken ein kaum diskutiertes Thema. Frauenrechtsorganisationen engagieren sich, um dies zu ändern. Doch es fehlt die Unterstützung durch Behörden. Die traditionellen kaukasischen Werte und Normen würden dennoch dazu führen, dass Frauenrechte im Nordkaukasus öfter verletzt würden als in anderen Regionen Russlands. Für Dagestan, Tschetschenien und Inguschetien sind starke Traditionen durchaus charakteristisch. Weitaus weniger ausgeprägt sind sie in Nordossetien, Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien. Andererseits übt auch die Religion ihren Einfluss aus, denn die Rechte der Frau im Islam sind anders definiert als die Frauenrechte in der russischen Verfassung. Frauen in Tschetschenien wird beispielsweise vorgeschrieben, wie sie sich zu kleiden haben. Seit 2008 dürfen sie Ämter und Bildungseinrichtungen nur betreten, wenn sie einen langen Rock tragen und Arme und Haar bedeckt sind.

Nichtregierungsorganisationen versuchen die Lage zu verbessern. 2015 sollen in Tschetschenien sechs oder sieben Frauenrechtsorganisationen tätig gewesen sein - so viele wie noch nie. Sie helfen dabei, Probleme zu lösen, oftmals ohne öffentliche Aufmerksamkeit, da sie nicht offen vorgehen können. Wie Umfragen zeigen, wollen tschetschenische Frauen einerseits mehr über ihre Rechte erfahren, andererseits würden sie sich aber niemals öffentlich positionieren (RBTH 22.6.2015).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? EASO - European Asylum Support Office (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautenführung; Waisenhäuser), http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf , Zugriff 27.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? RBTH - Russia beyond the headlines (22.6.2015): Frauenrechte im Kaukasus: Zwangsverheiratung und Ehrenmord, https://de.rbth.com/gesellschaft/2015/06/22/frauenrechte_im_kaukasus_zwangsverheiratung_und_ehrenmord_34063 , Zugriff 27.8.2018

 

Bewegungsfreiheit

 

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 20.4.2018). Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 21.5.2018). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018) [bez. Registrierung vgl. Kapitel 19.1 Meldewesen].

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Stimmungen (AA 21.5.2018, vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017).

 

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2018).

 

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 1.2018). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018, vgl. FH 1.2018).

 

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against "Extremism" in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 22.8.2018

 

? US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 22.8.2018

 

Meldewesen

 

Gegen Jahresmitte 2016 wurde der Föderale Migrationsdienst (FMS), der für die Registrierung verantwortlich war, aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

 

Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanentem und temporärem Wohnort registrieren (EASO 8.2018). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde wo eine Person wohnt und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen "Gosuslugi" oder per Email (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren braucht man einen Pass, einen Antrag für die Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse beantragt werden. Auch die Beendigung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).

 

Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung gemacht werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tagen dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag für temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).

 

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12 .2011, vgl. US DOS 20.4.2018).

 

Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung für Tschetschenen aber kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korrupten Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018).

 

Quellen:

 

? ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against "Extremism" in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

? BAA Staatendokumentation (12.2011): Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation. Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation - Republik Tschetschenien

 

? DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 29.8.2018

 

? EASO - European Asylum Support Office (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia,

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? US DOS - United States Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices for 2016 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/337201/479965_de.html , Zugriff 22.8.2017

 

Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens

 

Die Bevölkerung Tschetscheniens schrumpft seit einigen Jahren, vor allem durch Abwanderung. Zwischen 2008 und 2015 haben laut offiziellen Zahlen 150.000 Tschetschenen die Republik verlassen. Sie ziehen sowohl in andere Regionen in der Russischen Föderation als auch ins Ausland. Als Gründe für die Abwanderung werden ökonomische, menschenrechtliche und gesundheitliche Gründe genannt. In Tschetschenien arbeiten viele Personen im informellen Sektor und gehen daher zum Arbeiten in andere Regionen, um Geld nach Hause schicken zu können. Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation. Laut der letzten Volkszählung von 2010 leben die meisten Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens z.B. in Moskau (über 14.000 Personen), in Inguschetien (knapp 19.000 Personen) in der Rostow Region (über 11.000 Personen), in Stawropol Krai (knapp 12.000 Personen), in Dagestan (über 9.000 Personen), in der Wolgograd Region (knapp 10.000 Personen) und in der Astrachan Region (über 7.000 Personen). Die Zahlen sind aber nicht sehr verlässlich, da bei der Volkszählung ein großer Teil der Bevölkerung nicht ihre Nationalität angab. Beispielsweise soll die tschetschenische Bevölkerung in der Wolgograd Region um das doppelte höher sein, als die offiziellen Zahlen belegen. Viele Tschetschenen leben dort seit 30 Jahren und sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. In St. Petersburg beispielsweise sollen laut Volkszählung knapp 1.500 Tschetschenen leben, aber allein während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999-2009) kamen 10.000 Tschetschenen, um in St. Petersburg zu leben und zu arbeiten, da es in Tschetschenien einen Mangel an Arbeitsplätzen gibt. Die soziale Zusammensetzung der tschetschenischen Bevölkerung dort ist unterschiedlich, aber die meisten sprechen ihre Landessprache und halten die nationalen Traditionen hoch. Unter den Tschetschenen in St. Petersburg gibt es Geschäftsmänner, Sicherheitsbeamte, Rechtsanwälte, McDonald's Franchisenehmer, aber auch Ärzte, Universitätsprofessoren und Maler. Viele arbeiten im Baugewerbe und im Ölgeschäft, zumeist in mittleren Betrieben, oder besitzen ein eigenes Geschäft oder eine Firma. Tschetschenen in St. Petersburg sehen sich selbst nicht unbedingt als eine engmaschige Diaspora. Sie werden eher durch kulturelle Aktivitäten, die beispielsweise durch die offizielle Vertretung der tschetschenischen Republik oder den sogenannten "Vaynakh-Kongress" (eine Organisation, die oft auch als "tschetschenische Diaspora" bezeichnet wird) veranstaltet wird, zusammengebracht. Auch in Moskau ist die Zahl der Tschetschenen um einiges höher, als die offiziellen Zahlen zeigen. Gründe hierfür sind, dass viele Tschetschenen nicht an Volkszählungen teilnehmen wollen, oder auch, dass viele Tschetschenen zwar in Moskau leben, aber in Tschetschenien ihren Hauptwohnsitz registriert haben [vgl. hierzu Kapitel 19. Bewegungsfreiheit, bzw. 19.1. Meldewesen] (EASO 8.2018). Außerdem ist es schwieriger eine Registrierung in Moskau oder beispielsweise in St. Petersburg zu erlangen, als in anderen Regionen. Dies gilt aber nicht nur für Tschetschenen (DIS 8.2012). Tschetschenen in Moskau arbeiten oft in der Automobil-, Hotel-, und Restaurantbranche. Viele besitzen auch Tankstellen, oder arbeiten im Baugewerbe und im Taxigeschäft (EASO 8.2018).

 

Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen die oppositionellen Strömungen in Inland sowie die Diaspora im Ausland. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften (ÖB Moskau 12.2017). Viele Personen innerhalb der Elite, einschließlich der meisten Leiter des Sicherheitsapparates misstrauen und verachten Kadyrow (Al Jazeera 28.11.2017). Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden (ÖB Moskau 12.2017).

 

In vielen Regionen gibt es offizielle Vertretungen der tschetschenischen Republik, die kulturelle und sprachliche Programme organisieren und auch die Rechte von einzelnen Personen schützen. Es wird berichtet, dass Kadyrow in Moskau jederzeit auf 1.000 bis 2.000 bewaffnete Männer zurückgreifen und weitere 20.000 relativ einfach hinzuziehen können soll (Telegraph 24.2.2016). Auch soll es einige hundert tschetschenische Sicherheitsbeamte in Moskau geben, die illegale Aktivitäten ausüben (New York Times 17.8.2017). In Moskau soll es außerdem einen bewaffneten Trupp von ca. 30 tschetschenischen Bodyguards geben. Gegen den Anführer dieses Trupps soll es Strafverfahren wegen eines bewaffneten Vorfalls, Kidnapping und Folter gegeben haben, es wurden jedoch alle Ermittlungen eingestellt, da er Beziehungen zur Regierung haben soll (EASO 8.2018). Es scheint, als hätten die föderalen Exekutivkräfte wenig Handhabe gegen Kadyrow bzw. seine Leute (EASO 8.2018).

 

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen (AA 21.5.2018). Es kann sein, dass die tschetschenischen Behörden nicht auf diese offiziellen Kanäle zurückgreifen, da diese häufig lang dauern und so ein Fall muss auch schlüssig begründet sein (DIS 1.2015). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor Ramzan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent (AA 21.5.2018).

 

Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in der Russischen Föderation trotz der vergangenen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? Al Jazeera (28.11.2017): Is Chechnya's Kadyrov really 'dreaming' of quitting?

https://www.aljazeera.com/indepth/opinion/chechnya-kadyrov-dreaming-quitting-171128063011120.html , Zugriff 31.8.2018

 

? EASO - European Asylum Support Office (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia,

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

? DIS - Danish Immigration Office (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

? DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 31.8.2018

 

? New York Times (17.8.2017): Is Chechnya Taking Over Russia? https://www.nytimes.com/2017/08/17/opinion/chechnya-ramzan-kadyrov-russia.html?ref=opinion , Zugriff 31.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? Telegraph (24.2.2016): Ramzan Kadyrov: Putin's 'sniper' in Chechnya,

http://s.telegraph.co.uk/graphics/projects/Putin-Ramzan-Kadyrov-Boris-Nemtsov-Chechnya-opposition-Kremlin/index.html , Zugriff 31.8.2018

 

Grundversorgung

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,5 Millionen, somit ungefähr 64% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3% (WKO 4.2017), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region (IOM 2017).

 

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2018 den 107. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wurde für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 2% prognostiziert (GIZ 6.2018b).

 

Nach zwei Jahren in der Rezession ist die russische Konjunktur auf einem Pfad der langsamen Erholung. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen (38.040 Rubel im August 2017) und die Durchschnittsrente (12.934 RUB im August 2017). Bedingt durch die hohe Inflationsrate und die Erhöhung der kommunalen Abgaben sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen (6% im 2016) und die Armutsrate bleibt hoch. Die soziale Lage in Russland ist weiterhin angespannt. Mehr als 15% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Das per Verordnung bestimmte monatliche Existenzminimum liegt mit 10.329 Rubel (2. Quartal 2017) weit unter dem Wert, der faktisch zum Überleben notwendig ist. Auffällig ist, dass der Mindestlohn mit 7.800 Rubel sogar die Grenze des Existenzminimums unterschreitet. Lediglich 7% der Bevölkerung verfügen über ein monatliches Einkommen von mehr als 60.000 Rubel. 39% des russischen BIP entstehen in der Schattenwirtschaft. Im 1. Quartal 2017 waren bis zu 63% der Bevölkerung armutsgefährdet. Dies kann nur teilweise durch die Systeme der sozialen Absicherung aufgefangen werden. Diese Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch extrem niedrige Löhne verursacht. Ungünstig ist die Arbeitsmarktstruktur. Der größte Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Dienst oder in Unternehmen, die ganz oder teilweise dem Staat gehören. Nur 26% aller Beschäftigten arbeiten in privaten Unternehmen. Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15-20% für Arbeitnehmer ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen von Arbeitgebern aufgrund fehlender Fortbildung als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Folglich müssen Arbeitnehmer bis zum 44. Lebensjahr jede Chance zum Vermögensaufbau nutzen, um sich vor Altersarmut zu schützen. Auch bei Migranten wird beim Lohn gespart. Sie verdienen öfters nur den Mindestlohn (AA 21.5.2018).

 

Die Lage der Rentner (29,5 % der russischen Bevölkerung) ist stabil, aber prekär (Rentenniveau: 30% des letzten Einkommens). In den ersten fünf Monaten 2017 waren die Altersrenten zwar um 7,6% höher als 2016, dies war aber die kumulierte Auswirkung von inflationsausgleichenden Indexierungen und einer einmaligen Sonderzahlung von 5.000 Rubel im Jänner 2017. Durch letztere stiegen die Renten einmalig um 37,3% und das Vermögen der Rentner um 33%. Die Stärke dieses Effekts zeigt letztlich vor allem, wie niedrig das Ausgangsniveau der Renten und Ersparnisse war. Gemessen am Existenzminimum ist das durchschnittliche Niveau der Rente zwischen 2012 und Ende 2016 um 19% gesunken. Damit führen die Rentner ein Leben an der Grenze des Existenzminimums und sind stark von den Lebensmittelpreisen abhängig. Dennoch gehören die Rentner nicht zu den Verlierern der Politik. Weil die Rente die verlässlichste staatliche Transferleistung ist, sind die Rentner vielmehr ein Stabilisierungsfaktor in vielen Haushalten geworden. Statistisch ist das Armutsrisiko von Haushalten ohne Rentner dreimal höher als das von Haushalten mit Rentnern. Die spezifischen Interessen der Rentner übertragen sich damit auch auf die Familien, die sie mitfinanzieren. Verlierer der aktuellen Politik sind v.a. ältere Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und Arbeitsmigranten. An der Höhe des Existenzminimums gemessen sank das Lohnniveau zwischen 2012 und 2016 um 54% (AA 21.5.2018).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2018/964 bis zum 31.1.2019 verlängert (WKO 22.8.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018b): Russland, Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/russland/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 24.8.2018

 

? IOM - International Organisation of Migration (2017):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

 

? WKO - Wirtschaftskammer Österreich (22.8.2018): Aktueller Stand der Sanktionen gegen Russland und die Ukraine, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/Aktueller_Stand_der_Sanktionen_gegen_Russland_und_die_Ukrai.html , Zugriff 24.8.2018

 

? WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2018): Länderprofil Russland, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-russland.pdf , Zugriff 24.8.2018

 

Nordkaukasus

 

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden noch immer zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 7.2018a, vgl. ÖB Moskau 12.2017), obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind. Aufgrund der Transferzahlungen aus dem föderalen Budget hat sich die wirtschaftliche Situation Tschetscheniens in den letzten Jahren einigermaßen stabilisiert. Trotz der Versuche Moskaus, die sozio-ökonomische Situation im gesamten Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen abhängig. Die Wirtschaftskrise während der vergangenen Jahre und damit einhergehenden budgetären Einsparungen stellen eine potentielle Gefahr für die Nachhaltigkeit der Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2017).

 

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt, und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen, und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grozny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die volatile Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus, und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014).

 

Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei

10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die russische Tageszeitung "Kommersant" den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2017). Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grozny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 24.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? Zenithonline (10.2.2014): Speznaz, Spiele und Korruption, Link nicht mehr aktiv, Originaldokument liegt bei der Staatendokumentation auf, Zugriff 24.8.2018

 

Sozialbeihilfen

 

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2017). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Da dieses Modell aktuell die Renten nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Rentenreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Am Tag der Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft [14. Juni 2018] hat die Regierung einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Renteneintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten finden Demonstrationen gegen die geplante Rentenreform statt (GIZ 7.2018c).

 

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2018c).

 

Personen im Rentenalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Altersrente. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2017).

 

Zu dem Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017).

 

Arbeitslosenunterstützung:

 

Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Ebenfalls wird dieses durch eine maximale und minimale festgelegte Höhe der russischen Rechtslage determiniert. Seit 2009 beträgt die Mindestlohnhöhe pro Monat 850 Rubel (12 Euro) und der Maximallohn

4.900 Rubel (71 Euro). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden (IOM 2017).

 

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen:

 

BürgerInnen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (min. 12%). Junge Familien mit vielen Kindern können bundesstaatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Im Jahr 2017 lag dieser Zuschuss bei 453.026 Rubel (ca 6.618 Euro) (IOM 2017).

 

Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

? Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);

 

? Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten (Wasser, Gas, Elektrizität, etc.);

 

? Familien mit geringem Einkommen;

 

? Studenten, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015).

 

Quellen:

 

? BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 24.8.2018

 

? IOM - International Organisation of Migration (2017):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

 

? RBTH - Russia beyond the Headlines (22.4.2017): Gratis-Studium und Steuerbefreiung: Russlands Wege aus der Geburtenkrise, https://de.rbth.com/gesellschaft/2017/04/22/gratis-studium-und-steuerbefreiung-russlands-wege-aus-der-geburtenkrise_747881 , Zugriff 27.8.2018

 

Medizinische Versorgung

 

Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. StaatsbürgerInnen haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung. Vorausgesetzt für OMS sind Unterlagen wie ein gültiger Pass und die Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren. Diese müssen bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden. An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung - Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2017).

 

Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, Stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Medizinische Leistungen stehen im allgemeinen kostenfrei zur Verfügung. Es gibt jedoch auch private Anbieter (IOM 2017), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 5.1.2016). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 5.1.2016, vgl. Ostexperte 22.9.2017) Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert (GIZ 7.2018c, vgl. IOM 2017, AA 21.5.2018, ÖB Moskau 12.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt jedoch ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 7.2018c).

 

Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Das Hauptproblem ist weniger die fehlende technische Ausstattung als vielmehr ein gravierender Ärztemangel und eine unzureichende Aus- und Fortbildung. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsversorgung zu stark auf klinische Behandlung ausgerichtet ist und gleichzeitig Allgemeinmediziner und Chirurgen fehlen. Das Problem wurde vom Staat erkannt. Die Zahl der Ärzte ist 2016 leicht gestiegen. Dank großangelegter Prophylaxe-Programme hat sich die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen vervierfacht (AA 21.5.2018).

 

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 12.2017). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann (ÖB Moskau 12.2017). Die Palliativmedizin muss erheblich ausgebaut werden, es fehlen vor allem stark wirkende Schmerzmedikamente. Im Zuge der Lokalisierungspolitik der Russischen Föderation sinkt der Anteil an hochwertigen ausländischen Medikamenten. Es wurde über Fälle von Medikamenten ohne oder mit schädlichen Wirkstoffen berichtet. Im starken Kontrast zum Erleben der Bevölkerung sieht die Regierung ihre Reformen im Gesundheitswesen pauschal als Erfolg und führt als Beleg die gestiegene Lebenserwartung an (AA 21.5.2018).

 

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 7.2018c).

 

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel 19. Bewegungsfreiheit und 19.1 Meldewesen) (DIS 1.2015, vgl. AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 22.8.2018

 

? GTAI - German Trade and Invest (5.1.2016): Russlands Privatmedizin erfährt ungewohnten Zulauf,

http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche ,t=russlands-privatmedizin-erfaehrt-ungewohnten-zulauf,did=1387278.html, Zugriff 23.8.2018

 

? DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 23.8.2018

 

? IOM - International Organisation of Migration (2017):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? Ostexperte.de (22.9.2017): Privatkliniken in Russland immer beliebter, https://ostexperte.de/russland-privatkliniken/ , Zugriff 23.8.2018

 

Tschetschenien

 

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung - inklusive Notfall- und spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind (DIS 1.2015).

 

Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos weitergegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung):

 

? infektiöse und parasitäre Krankheiten

 

? Tumore

 

? endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten

 

? Krankheiten des Nervensystems

 

? Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems

 

? Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde

 

? Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes

 

? Krankheiten des Kreislaufsystems

 

? Krankheiten des Atmungssystems

 

? Krankheiten des Verdauungssystems

 

? Krankheiten des Urogenitalsystems

 

? Schwangerschaft, Geburt, Abort und Wochenbett

 

? Krankheiten der Haut und der Unterhaut

 

? Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes

 

? Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen

 

? Geburtsfehler und Chromosomenfehler

 

? bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben

 

? Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die nicht in der Kategorie der Internationalen Klassifikation von Krankheiten gelistet sind (BDA CFS 31.3.2015).

 

Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen wie Minderjährige, Studenten, Arbeiter usw. und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenschwestern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015, vgl. GIZ 7.2018c, AA 21.5.2018). Trotzdem gibt es medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes (von hier stammt Ramzan Kadyrow). In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen auch günstiger (BDA CFS 31.3.2015).

 

In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Spezialisten arbeiten, die aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges teurer als in öffentlichen Institutionen aufgrund von komfortableren Aufenthalt, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischer Ausstattung (BDA CFS 31.3.2015).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 23.8.2018

 

? BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

? DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 23.8.2018

 

Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

 

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind: "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital 'Samashki', "Psychiatric Hospital 'Darbanhi'", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium 'Chishki'" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",

"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",

"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",

"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

? BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten (z.B. Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS/PTSD, Depressionen, etc.)

 

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).

 

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl. BMA 7979).

 

Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).

 

Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).

 

Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (auch in Tschetschenien!):

 

Mirtazapin, Sertralin, Citalopram, Amitriptylin, Trazodon, Fluoxetin, Paroxetin, Duloxetin (BMA 7754, BMA 7306, BMA 9701, BMA 7874, BMA 8169).

 

Quellen:

 

? MedCOI (11.3.2015): BMA 6551

 

? MedCOI (7.11.2014): BMA 6051

 

? MedCOI (1.4.2016): BMA 7979

 

? MedCOI (1.4.2016): BMA 7980

 

? MedCOI (26.2.2016): BMA 7754

 

? MedCOI (1.10.2015): BMA 7306

 

? MedCOI (29.5.2017): BMA 9701

 

? MedCOI (26.2.2016): BMA 7874

 

? MedCOI (23.5.2016): BMA 8169

 

? BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation mussten sich bislang alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. 2016 wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keinerlei Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Stellung eines Asylantrags im Ausland führt nicht prinzipiell zu einer Verfolgung. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 21.5.2018).

 

Rückkehrende zählen nicht automatisch zu den schutzbedürftigen Personenkreisen. Wie alle russischen Staatsangehörige können sie ebenfalls durch das Wohlfahrtssystem Leistungen erhalten. Mikrokredite für Kleinunternehmen können bei Banken beantragt werden (der Zinsatz liegt bei mindestens 10,6%). Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründung an (IOM 2017).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? IOM - International Organisation for Migration (2017):

Länderinformationsblatt Russ. Föderation

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zu den Feststellungen betreffend das Verfahren:

 

Der oben unter Pkt I. angeführte sowie unter Pkt. II.1.1. festgestellte Verfahrensgang ergibt sich aus den unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalten der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts zu den Verfahren hinsichtlich der vier gestellten Anträge auf internationalen Schutz.

 

2.2. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

 

Soweit sich das Bundesverwaltungsgericht im Folgenden beweiswürdigend auf die Aussagen der Beschwerdeführerin insbesondere in der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2019 stützt, ist einleitend festzuhalten, dass sie laut dem - schlüssigen und nachvollziehbaren - psychiatrisch-neurologischen Gutachten (vgl. dazu näher Pkt. II.2.2.2.) einvernahmefähig ist und ihre Aussagen einer freien Würdigung zugänglich sind. Auch nach Eindruck des erkennenden Richters in der Verhandlung schien die Beschwerdeführerin durch ihr psychiatrisches Krankheitsbild in keiner Weise gehindert, die ihr gestellten Fragen zu verstehen und zu beantworten.

 

2.2.1. Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin ergeben sich aus ihren (bereits in den Vorverfahren vorgelegten) Identitätsdokumenten, den gleichlautenden und diesbezüglich glaubwürdigen Angaben in ihren Verfahren über ihre Anträge auf internationalen Schutz in Österreich sowie aus dem Umstand, dass sie über entsprechende Sprach- und Ortskenntnisse verfügt. Die Feststellungen zur Herkunft der Beschwerdeführerin, zu ihrem Leben und ihren Familienangehörigen in der Russischen Föderation sowie zu ihrer Einreise nach Österreich wurden bereits in der ihr Verfahren über ihren dritten Antrag auf internationalen Schutz abschließenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.2015 getroffen; es ergaben sich im nunmehrigen Verfahren keine Anhaltspunkte dafür, davon abweichende Feststellungen zu treffen. Dass sie seit Juli 2008 eine Invaliditätspension bezog, ist aus einer bereits im ersten Asylverfahren vorgelegten (und ins Deutsche übersetzten) Bestätigung in russischer Sprache ersichtlich. Lediglich in der mündlichen Verhandlung brachte die Beschwerdeführerin erstmals vor, "vier Schwestern" gehabt zu haben, als sie die Russische Föderation 2010 verlassen habe; in allen bisherigen Verfahren sprach sie aber stets nur von drei Schwestern, zuletzt auch in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 01.03.2017. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher feststellend davon aus, dass drei Schwestern der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation leben und es sich bei der Aussage in der Verhandlung um einen Irrtum handelt, der sich durch ein Missverständnis in der Übersetzung (zB dahingehend, dass die Anzahl der Geschwister insgesamt unter Einrechnung des Bruders angegeben wurde) ergeben haben könnte.

 

Es konnte allerdings keine Feststellung dahingehend getroffen werden, dass die Beschwerdeführerin jeglichen Kontakt zu ihren in ihrem Herkunftsstaat aufhältigen Familienangehörigen abgebrochen hätte: Die Beschwerdeführerin behauptete zwar auch in ihren vorangehenden Befragungen nicht, dass sie mit diesen Familienangehörigen in Verbindung stünde; sie zeigte sich in der Verhandlung aber geradezu bemüht, den Umstand der Existenz ihrer Familienangehörigen in der Russischen Föderation herunterzuspielen. Letztlich vermochte sie auch nicht vollends schlüssig darzulegen, warum sie jeglichen Kontakt zu ihren Schwestern und ihrer Tochter abgebrochen haben sollte. Auffallend ist in diesem Zusammenhang jedenfalls, dass die Beschwerdeführerin den Kontaktabbruch zu ihrer Tochter in den vorangehenden Verfahren (bis hin zur Erstbefragung betreffend den nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz) stets auf ihre eigenen Fluchtgründe zurückführte, diesen zuletzt jedoch damit in Beziehung setzte, dass ihre Tochter gegen den Willen der Beschwerdeführerin einen bestimmten Mann geheiratet habe. Ebenso fällt ins Auge, dass die Beschwerdeführerin bereits in ihren früheren Asylverfahren behauptete, keinen Kontakt zu ihrer Tochter zu haben, in der letztmaligen Einvernahme vor der belangten Behörde am 01.03.2017 hingegen meinte, sie habe - erst - "seit einem Jahr keinen Kontakt mehr mit ihr". Insgesamt erweckte die Beschwerdeführerin in ihrem Aussageverhalten dem erkennenden Richter gegenüber den Eindruck, sie wolle bewusst vermeiden, irgendeine noch vorhandene Bindung zu ihrem Herkunftsstaat aufzuzeigen, um sich dadurch einen aufenthaltsrechtlichen Vorteil zu verschaffen. Ob sie nun tatsächlich noch Kontakt zu ihrer Tochter und/oder einem ihrer Geschwister hält, muss dahingestellt bleiben; die explizite Feststellung, sie habe jeglichen Kontakt aufgegeben, verloren oder abgebrochen, kann jedoch nicht getroffen werden.

 

Sämtliche Feststellungen betreffend das Leben der Beschwerdeführerin in Österreich waren hingegen auf Basis ihrer Angaben im gegenständlichen Verfahren zu treffen und stützen sich auf die vor der belangten Behörde vorgelegten - und hinsichtlich ihrer Echtheit unbedenklichen - Unterstützungsschreiben, Bestätigungen und Stellungnahmen. Der erkennende Richter konnte sich von den festgestellten Deutschkenntnissen der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung selbst überzeugen. Aus einem aktuellen Strafregisterauszug ist ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin in Österreich unbescholten ist.

 

Auch der Aufenthalt und Familienstand des Sohnes der Beschwerdeführerin, ihrer Schwiegertochter und ihrer Enkelkinder in Wien war anhand der diesbezüglich unbedenklichen - und sich mit ihren früheren Angaben deckenden - Aussagen in der mündlichen Verhandlung festzustellen. Dass diese Familienangehörigen zum dauerhaften Aufenthalt in Österreich berechtigt sind, ergibt sich aus aktuellen Auszügen aus dem Grundversorgungsinformationssystem. Die Beschwerdeführerin gab weiters in nicht anzuzweifelnder Art und Weise an, dass sie ihren Sohn zwei- bis dreimal und ihre Enkelkinder ein- bis zweimal im Monat sehe. Auch der häufige telefonische Kontakt mit ihrer österreichischen, in Niederösterreich lebenden Cousine wurde entsprechend ihren Angaben festgestellt.

 

2.2.2. Dass der Beschwerdeführerin im Jahr 2009 nach Chemotherapie die rechte Brust wegen eines Tumors entfernt werden musste, gab sie in den vergangenen Jahren gleichbleibend nicht nur in ihren Asylverfahren, sondern auch bei ärztlichen Untersuchungen an, was den einzelnen Diagnosen auch jeweils (zuletzt im Gutachten vom 20.06.2018) zugrunde gelegt wurde; bereits in ihrem ersten Asylverfahren legte sie diesbezüglich eine Vielzahl an (in russischer Sprache gehaltenen) ärztlichen Dokumenten vor, die im entsprechenden Verwaltungsakt aufliegen. Das Auftreten eines bösartigen Tumors in ihrer linken Brust im vergangenen Jahr ergibt sich aus den vorgelegten Arztbriefen samt entsprechenden Diagnosen; aus dem nach der Verhandlung am 24.01.2019 vorgelegten Arztbrief des XXXX ist der diesbezügliche Behandlungs- bzw. Untersuchungsverlauf des vergangenen Jahres ebenso wie der Operationstermin für eine Mastektomie am 07.02.2019 zu ersehen. Dass dieser nicht wahrgenommen worden wäre oder sich bei der Operation schwerwiegende Komplikationen im Sinne eines nicht erfolgreichen Eingriffs ergeben hätten, wurde seitens der Beschwerdeführerin bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht vorgebracht. Ihre sonstigen physischen Leiden konnten entsprechend ihren Angaben im Verfahren festgestellt werden, zumal auch diese durch ärztliche Bestätigungen (zuletzt das in der Verhandlung vorgelegte Attest einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 14.01.2019, aus dem auch hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin Schmerz- und Blutdruckmedikamente einnimmt) untermauert wurden.

 

Der erkennende Richter konnte in der Verhandlung nicht erkennen, dass die körperliche Mobilität der Beschwerdeführerin wesentlich eingeschränkt wäre. Dies deckt sich auch mit ihrem eigenen Vorbringen, wonach sie bei der Caritas freiwillig Remunerationstätigkeiten verrichtet habe, sowie der entsprechenden Bestätigung der Caritas vom 19.11.2018, wonach sie von Jänner bis Dezember 2018 drei Stunden in der Woche in der Sortierung mitgeholfen habe. Sie zeigte auch deutlich ihren weiteren Arbeitswillen und in diesem Zusammenhang - den Heilungsverlauf nach der Mastektomie vorausgesetzt - sich dazu bereit, körperliche Arbeiten in Österreich zu verrichten.

 

Was das psychische bzw. psychiatrisch-neurologische Krankheitsbild der Beschwerdeführerin betrifft, ist festzuhalten, dass sie in den Jahren ihres Aufenthalts in Österreich im Zuge der vergangenen vier Asylverfahren diesbezüglich mehrfach sowohl allgemein- als auch fachärztlich untersucht und begutachtet wurde (zu den einzelnen ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten vgl. den festgestellten Verfahrensgang unter Pkt. I.). Die konkreten Feststellungen zur aktuell vorliegenden Erkrankung wurden anhand des von Gerichts wegen eingeholten Gutachtens des Sachverständigen und Facharztes für Psychiatrie,XXXX, vom 20.06.2018 getroffen. Dieses Gutachten erging nach einer Untersuchung der Beschwerdeführerin sowie in Anschauung der vorangehenden Gutachten bzw. ärztlichen Stellungnahmen. Die im Rahmen des Gutachtens (im engeren Sinne) gezogenen Schlussfolgerungen ergingen auf Basis einer damit unbedenklichen Befundlage und sind schlüssig. Die Beschwerdeführerin trat den Aussagen des Gutachtens auch nicht in der anwaltlichen Stellungnahme vom 20.07.2018 entgegen. Die Angaben der Beschwerdeführerin sowie ihr Erscheinungsbild in der mündlichen Verhandlung stehen mit den Aussagen des Gutachtens in Einklang; insbesondere wurde deutlich, dass ihre psychischen Beeinträchtigungen vor allem in Zusammenhang mit ihren Zukunftsängsten, ihrem ungewissen aufenthaltsrechtlichen Status sowie der Furcht vor der Trennung von ihrer in Österreich lebenden Familie stehen. Aus dem Gutachten ergibt sich in Verbindung mit den im Beschwerdeverfahren erfolgten Mitteilungen ebenso, dass die Beschwerdeführerin Antidepressiva und Schlafmittel nimmt und sich im Dezember 2017 und im Februar 2018 wegen suizidaler Einengung in psychiatrischer stationärer Behandlung befand.

 

Soweit festgestellt wurde, dass sie reise- und geschäftsfähig sowie in der Lage ist, in der Russischen Föderation den Geschäften des täglichen Lebens nachzukommen, stützt das Bundesverwaltungsgericht diese Beurteilung auf ihre festgestellte körperliche Mobilität (siehe oben) in Verbindung mit den Aussagen des Gutachtens, wonach die Beschwerdeführerin erstens grundsätzlich in der Lage sei, Geschäfte des täglichen Lebens ohne Fremdbestimmung durchzuführen, und zweitens aus psychiatrischer Sicht reisefähig sei. Eine ihre Reisefähigkeit ausschließende psychiatrische Erkrankung konnte jedenfalls im gesamten Verfahren nicht diagnostiziert werden.

 

Festzustellen ist allerdings, dass bei einer - erzwungenen - Rückkehr in die Russische Föderation jedenfalls von einer zumindest vorübergehenden Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustands auszugehen ist: Dies geht nicht nur aus sämtlichen Gutachten hervor, sondern wurde auch in der Verhandlung deutlich. Die Beschwerdeführerin ist nämlich nicht nur nicht rückkehrwillig, sondern hat eine tiefsitzende Angst, ihren Aufenthalt in Österreich beenden zu müssen und von ihrer hier lebenden Familie getrennt zu werden. Wie bereits festgehalten, steht ihr gesamtes psychiatrisches Krankheitsbild damit in Zusammenhang bzw. ist dadurch bedingt.

 

Eine akute Suizidalität oder Selbstverletzungsgefahr für den Fall der Umsetzung einer Rückkehrverpflichtung war allerdings nicht festzustellen: Dabei wird nicht verkannt, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen des Verfahrens über ihren vierten Antrag auf internationalen Schutz Selbstmordgedanken ins Treffen führte und deshalb auch zweimal in stationärer psychiatrischer Behandlung stand. Laut Gutachten vom 20.06.2018 ist bei einer Rückführung eine Verschlechterung der depressiven Symptomatik der Beschwerdeführerin zwar anzunehmen, selbstschädigende Handlungen im Falle einer Rückführung werden aber lediglich als möglich erachtet - dass diese mit Gewissheit oder überwiegender Wahrscheinlichkeit auftreten wurden, ist dem nicht zu entnehmen. Auch der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin vermochte daraufhin in seiner Stellungnahme vom 20.07.2018 lediglich eine "latente Eigengefährdung in Form einer Suizidneigung" hervorzuheben. In der Verhandlung am 17.01.2019 kündigte die Beschwerdeführerin ebenso nicht an, sich im Falle ihrer Aufenthaltsbeendigung in irgendeiner Weise selbst zu verletzen oder umzubringen.

 

Das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung wurde schließlich im Gutachten vom 20.06.2018 nicht erkannt und daher - auch ob der widerstreitenden Aussagen dazu selbst in den vorangehenden Gutachten und Stellungnahmen - nicht festgestellt.

 

2.3.1. Die Feststellung, wonach sich im April 2017 - und damit im Zeitraum der Erlassung des angefochtenen Bescheids - an der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, speziell in Tschetschenien, in Bezug auf die bereits im dritten, inhaltlich entschiedenen Asylverfahren behandelten Aspekte nicht geändert hatte, beruht auf den im angefochtenen Bescheid enthaltenen ausgewogenen und zum damaligen Zeitpunkt aktuellen Länderberichten zur Lage insbesondere in Tschetschenien. Diese Berichte wurden dem Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin in Form des damaligen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl zur Russischen Föderation bereits am 01.03.2017 zur Kenntnis gebracht; weder in der Stellungnahme vom 09.03.2017 noch in der Beschwerde vom 26.04.2017 wurden die aus den Länderfeststellungen hervorgehenden Informationen oder deren Quellen bestritten. Auch dem Bundesverwaltungsgericht liegen keine Berichte bzw. Länderdokumente vor, die zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids im April 2017 ein anderes Bild der Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin zeichnen würden (dies geht auch nicht aus den unter Pkt. II.1.3.2. wiedergegebenen Feststellungen zur derzeitigen Lage in der Russischen Föderation hervor). Eine Feststellung, wonach die Beschwerdeführerin zum damaligen Zeitpunkt im Falle ihrer Rückkehr nach Tschetschenien Drohungen oder Gewalthandlungen von staatlicher oder privater Seite zu erwarten hätte, konnte auf Basis der genannten Länderfeststellungen nicht getroffen werden. Ihr Vorbringen in Zusammenhang mit ihrem neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz wird unter Pkt. II.3.1. einer näheren Beurteilung unterzogen.

 

2.3.2. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen aktuellen Situation in der Russischen Föderation stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die Beschwerdeführerin erhielt die zitierten Länderberichte mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung und hatte in dieser die Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Sie trat den Länderberichten aber zu keinem Zeitpunkt - auch nicht durch ihren Rechtsanwalt - substantiiert entgegen. Soweit der Rechtsvertreter in der Verhandlung am 17.01.2019 auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (datierend "auf das Jahr 2014") verwies, zeigte er nicht auf, inwiefern dieser den festgestellten Informationen zur Lage von Frauen im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien, widersprechen würde.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: BFA-VG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018 (im Folgenden: VwGVG), geregelt; gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 22/2018, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Der angefochtene Bescheid wurde dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am 12.04.2017 durch persönliche Übernahme zugestellt. Die am 26.04.2017 per Fax an die belangte Behörde übermittelte Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG rechtzeitig.

 

Zu A)

 

3.1. Zur Abweisung der Beschwerde betreffend die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache:

 

3.1.1. Gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 58/2018 (im Folgenden: AVG), sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

 

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber der Vorentscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides bzw. -erkenntnisses entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

 

Infolge des in § 17 VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstücks des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in § 68 Abs. 1 AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von § 68 AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K10; vgl. auch VfSlg. 19.882/2014). Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit zunächst die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.

 

Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11, K17).

 

Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage stützen dürfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhalts nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können im Rechtsmittelverfahren nicht neu geltend gemacht werden (s. zB VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).

 

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

 

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN). Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl. auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344).

 

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

 

Ein Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem Asylgesetz 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

 

3.1.2. Die Beschwerdeführerin begründete ihren dritten Antrag auf internationalen Schutz vom 19.02.2014 (sowie auch ihre beiden vorherigen Anträge auf internationalen Schutz) damit, dass ihr Sohn im Jahr 2003 Widerstandskämpfer unterstützt habe und deshalb im Jahr 2007 zwei Mal von Militärmitarbeitern entführt worden sei, weshalb die Beschwerdeführerin ihn habe freikaufen müssen. Nach der Flucht des Sohnes nach Österreich sei die Beschwerdeführerin von Soldaten belästigt worden, die bei ihr nach ihrem Sohn gefragt hätten. Dieser Antrag wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit der wesentlichen Begründung rechtskräftig abgewiesen, dass keine aktuelle oder drohende Verfolgungsgefahr bestehe und eine solche auch nie bestanden habe. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei unglaubhaft, weil sie sich im dritten Verfahren in weitere Widersprüche, Unstimmigkeiten und Unplausibilitäten verwickelt habe; zudem sei auch das Asylverfahren ihres Sohnes wegen Unglaubhaftigkeit seines Vorbringens rechtskräftig negativ abgeschlossen worden.

 

Im Rahmen ihrer Befragung zu ihrem nunmehr gegenständlichen vierten Antrag auf internationalen Schutz gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, dass sie diesen stelle, weil sie niemanden mehr habe und nicht wisse, wohin sie gehen könne; sie sei sehr abhängig von ihrer Familie und könne ohne ihre Enkel nicht leben. Sie habe immer noch Angst, dass sie umgebracht werde, wenn sie nach Hause zurückkehre. Warum sie diese Angst habe, wisse sie nicht; sie sei einfach da. Sie sei kürzlich aus dem Krankenhaus entlassen worden, wo sie wegen Suizidgedanken stationär aufhältig gewesen sei.

 

3.1.3.1. Bereits diesem Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Stellung ihres vierten Antrags auf internationalen Schutz, das sie auf entsprechende Befragung auch in der Verhandlung vom 17.01.2019 im Wesentlichen gleichlautend bestätigte, ist keine maßgebliche Änderung der von ihr bereits in ihren Vorverfahren vorgebrachten - und in diesen als unglaubhaft beurteilten - Fluchtgründe zu ersehen. Indem sie ihren vierten Antrag im Wesentlichen mit ihrem labilen Gesundheitszustand sowie der Intensivierung ihrer familiären Bindungen im Bundesgebiet begründete, machte sie keine Änderungen in Bezug auf die ihr in ihrem Herkunftsstaat drohenden Umstände geltend.

 

Soweit sie in ihrem Verfahren angab, sie habe immer noch Angst vor tschetschenischen Sicherheitskräften in der Russischen Föderation, die sie wegen ihres Sohnes im Visier hätten, bezieht sie sich auf ihre früheren Verfolgungsvorbringen, über die bereits rechtskräftig abgesprochen wurde. Auch soweit sie - lediglich unkonkret und unsubstantiiert - in der Erstbefragung zum gegenständlichen Antrag am 20.12.2016 in den Raum stellte, sie habe von Bekannten in Österreich gehört, dass ihre Tochter geflüchtet sei, wird damit kein neuer, die Beschwerdeführerin betreffender Sachverhalt behauptet. Allenfalls wäre dies ebenso als Behauptung des "Fortbestehens und Weiterwirkens" (vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480) des rechtskräftig entschiedenen Sachverhalts ihres früheren Vorbringens zu werten; lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin eine Flucht ihrer Tochter im weiteren Verfahren auch nicht mehr behauptete. Im Ergebnis beabsichtigte sie also die erneute sachliche Behandlung ihres mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.05.2015 bereits rechtskräftig entschiedenen Antrags auf internationalen Schutz (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321), um dadurch ihren weiteren Aufenthalt im Inland zu erwirken.

 

3.1.3.2. Zu prüfen ist weiters, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde im April 2017 Sachverhaltsänderungen in Bezug auf einen allfälligen subsidiären Schutzstatus der Beschwerdeführerin vorlagen. Aufgrund der im angefochtenen Bescheid festgestellten Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin ist dies allerdings nicht zu erkennen. Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist aufgrund der Länderberichte darin beizupflichten, dass sich die Lage im Herkunftsstaat seit der Entscheidung im vorangehenden Asylverfahren nicht wesentlich geändert - und vor allem nicht verschlechtert - hatte. Wie festgestellt, hatte die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids im Falle ihrer Rückkehr nach Tschetschenien weder Drohungen noch Gewalthandlungen von staatlicher oder privater Seite zu erwarten. Eine allgemeine Bürgerkriegssituation, die für sie das Risiko eines ernsthaften Schadens bewirken würde, lag nicht vor.

 

Ob und inwiefern sich das psychiatrische Krankheitsbild der Beschwerdeführerin für die belangte Behörde seit Abschluss des rechtskräftig entschiedenen Vorverfahrens geändert darstellte, kann für die Frage, ob hinsichtlich des nunmehrigen Antrags auf internationalen Schutz eine entschiedene Sache auch in Hinblick auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorliegt, dahinstehen: Nach der gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sind nach der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU ) vom subsidiären Schutz nämlich nur Fälle realer Gefahr, einen auf ein Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 Statusrichtlinie zurückzuführenden ernsthaften Schaden iSd Art. 15 Statusrichtlinie zu erleiden (Art. 15 lit. a und b), sowie Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt (lit. c) umfasst. Nicht umfasst ist dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführender Verletzung von Art. 3 EMRK. Im Lichte des Art. 3 Statusrichtlinie ist es dem nationalen Gesetzgeber auch verboten, Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten, die einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuerkennen (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106). Da sich das Krankheitsbild der Beschwerdeführerin - selbst wenn es im Falle ihrer Rückführung in ihren Herkunftsstaat eine Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK bewirken würde - jedenfalls nicht unter die Tatbestände des Art. 15 Statusrichtlinie subsumieren lässt, kann dadurch schon von Vornherein keine Änderung in Hinblick auf die Frage der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten vorliegen.

 

3.1.4. Da zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde somit weder in der maßgeblichen Sachlage - und zwar sowohl im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre der Beschwerdeführerin gelegen ist, als auch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist - noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten war, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von Vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden konnte. Die Zurückweisung wegen entschiedener Sache war sohin rechtmäßig, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 AVG abzuweisen ist.

 

3.2. Zur Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichterteilung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation:

 

3.2.1. Vorauszuschicken ist, dass das Bundesamt zu Recht davon ausgeht, dass auch Zurückweisungen von Anträgen auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: AsylG 2005), - soweit die sonstigen Voraussetzungen dafür vorliegen - mit Rückkehrentscheidungen zu verbinden sind (siehe VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082). Im Sinne dieser Judikatur ist dabei gemäß § 58 Abs. 1 AsylG 2005 zunächst die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen.

 

§ 57 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:

 

"'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz'

 

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) - (4) [...]"

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführerin weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: FPG), geduldet noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch die Beschwerdeführerin Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat die Beschwerdeführerin das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts im Ermittlungsverfahren hervor.

 

3.2.2. Für die weitere Beurteilung, ob gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen werden kann und in weiterer Folge ihre Abschiebung zulässig ist, erweist die sich die Beantwortung der Frage als maßgeblich, ob ihre Rückführung in die Russische Föderation respektive nach Tschetschenien (zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt) zu einer Situation führen würde, die eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin nach Art. 2 oder 3 EMRK mit sich brächte. Im vorliegenden Fall stellt sich diese Frage vor allem in Bezug auf die bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Krankheiten.

 

3.2.2.1. Zunächst ist festzuhalten, dass sich aus den unter Pkt. II.1.3.2. getroffenen Länderfeststellungen zur Russischen Föderation respektive Tschetschenien keine Gründe für die Annahme ergeben, dass jeder zurückkehrende Staatsbürger der reellen Gefahr einer Gefährdung einer Verletzung von Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sodass nicht von einem Rückführungshindernis im Lichte der Art. 2 und 3 EMRK auszugehen ist. Weder in der Russischen Föderation im Allgemeinen noch in Tschetschenien im Besonderen liegt derzeit eine allgemeine (Bürger‑)Kriegssituation vor oder finden Kampfhandlungen statt, von der die Zivilbevölkerung in einem größeren Ausmaß betroffen wäre.

 

3.2.2.2. Dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK deshalb überschritten wäre (vgl. diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059, zur dargestellten "Schwelle" des Art. 3 EMRK), kann ebenso nicht angenommen werden. Die Grundversorgung der Bevölkerung Russlands ist gewährleistet. Die Beschwerdeführerin bezog zuletzt auch eine staatliche Pension. Sie betonte im Laufe des Asylverfahrens mehrfach, dass sie auch in Österreich arbeiten wolle, womit sie ihre Arbeitswilligkeit und -fähigkeit selbst hervorhob. Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr auf familiäre Unterstützung zurückgreifen und zudem ihre staatliche Pension wieder beziehen könnte, weshalb sie vor einer Obdachlosigkeit und existentiellen Notlage bewahrt wäre. Selbst wenn sie keine Hilfe seitens ihrer in ihrem Herkunftsstaat lebenden Familienangehörigen in Anspruch nähme, ist kein Grund ersichtlich, warum die finanzielle Unterstützung ihres in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigten Sohnes in der Höhe von zumindest 100,- bis 150,- € nicht weiterhin erfolgen könnte, wenn sich die Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation befände. In einer Gesamtschau ihrer Situation in ihrem Herkunftsstaat kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass sie - in materieller bzw. finanzieller Hinsicht - in der Russischen Föderation in ihrer Existenz bedroht wäre (vgl. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 23.09.2009, 2007/01/0515).

 

3.2.2.3. Damit bleibt zu prüfen, ob eine solche reale Gefahr wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin besteht:

 

3.2.2.3.1. Grundsätzlich hat nach der ständigen Rechtsprechung im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland einer Abschiebung oder Überstellung nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich; allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. EGMR 13.12.2016, Appl. 41738/10, Paposhvili v. Belgien, Rz 189 ff).

 

Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2017/18/0008-0009; EGMR 13.12.2016, Appl. 41738/10, Paposhvili v. Belgien, Rz 183).

 

3.2.2.3.2. Soweit die Beschwerdeführerin unter chronischen Kopfschmerzen, Fuß- und Rückenbeschwerden, Bluthochdruck, erhöhtem Cholesterinspiegel, Gastritis, wiederholt auftauchendem Sodbrennen sowie den festgestellten Problemen in ihrem Bewegungsapparat leidet, ist festzuhalten, dass diese Erkrankungen nicht lebensbedrohlich sind. Die Beschwerdeführerin ist in ihrer Alltagsmobilität kaum eingeschränkt; sie zeigte sich deshalb auch wiederholt als arbeitswillig. Dass sie in der Russischen Föderation nicht fortgesetzt Blutdruck regulierende Medikamente einnehmen könnte, wurde nicht vorgebracht ist auch nicht ersichtlich. Die Verletzungsschwelle des Art. 3 EMRK wird durch das Vorliegen dieser Krankheiten deutlich nicht erreicht.

 

Bei dem im Herbst 2018 diagnostizierten bösartigen Tumor in der linken Brust der Beschwerdeführerin handelte es sich dagegen um eine schwere, lebensbedrohliche Erkrankung. Diese wurde aber in Österreich operativ behandelt; nach der am 07.02.2018 durchgeführten Mastektomie befindet sich die Beschwerdeführerin nunmehr in medizinisch unauffälligem postoperativen Zustand. Es kann davon ausgehend nicht angenommen werden, dass diese Erkrankung einer Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat dauerhaft im Sinne des Art. 3 EMRK entgegenstünde. Selbst wenn der Tumor mit der Operation nicht oder nicht vollständig entfernt worden sein sollte bzw. das Krebsleiden weiter bestünde, könnte die Beschwerdeführerin dieses auch in der Russischen Föderation behandeln lassen. Dies geht nicht nur aus den getroffenen Feststellungen zur derzeitigen Lage in der Russischen Föderation hervor, sondern auch aus der Krankengeschichte der Beschwerdeführerin selbst: So war sie bereits vor zehn Jahren an einem Krebsgeschwür in der rechten Brust erkrankt. Dieses wurde mittels Chemotherapie und schließlich einer Mastektomie im Jahr 2009 in Tschetschenien erfolgreich behandelt. Damit wird deutlich, dass ein - der Beschwerdeführerin auch zugängliches - medizinisches Behandlungssystem in ihrem Herkunftsstaat vorhanden ist. Ergänzend ist dazu festzuhalten, dass Krebsmedikamentation nach der vorliegenden Berichtslage (wie unter Pkt. II.1.3.2. festgestellt) in Tschetschenien kostenlos zur Verfügung gestellt wird.

 

Aus den physischen Leiden der Beschwerdeführerin ergibt sich somit keine reale Gefahr einer Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat.

 

3.2.2.3.3. Dies ist schließlich auch in Hinblick auf ihre psychischen Probleme nicht zu ersehen:

 

Unzweifelhaft handelt es sich bei der reaktiven Depression mit Episoden unterschiedlichen Ausprägungsgrades und der generalisierten Angststörung im Falle der Beschwerdeführerin um eine schwere Erkrankung, die ihr Alltagsleben in den vergangenen Jahren zumindest mitbestimmte. Dass sie sich im Dezember 2017 und im Februar 2018 wegen suizidaler Einengung in psychiatrischer stationärer Behandlung befand, zeigt ihre Vulnerabilität in diesem Zusammenhang besonders deutlich.

 

Festzuhalten ist aber, dass nach den getroffenen Länderfeststellungen für die psychischen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin entsprechende Behandlungsmöglichkeiten (vgl. Pkt. II.1.3.2., Unterpunkt "Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten [...]") in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien zur Verfügung stehen und die Beschwerdeführerin diese auch in Anspruch nehmen könnte. Angesichts ihres Pensionsanspruchs sowie möglicher finanzieller Unterstützungsleistungen durch ihren in Österreich lebenden Sohn kann nicht erkannt werden, dass sich die Beschwerdeführerin allenfalls notwendige Psychopharmaka in der Russischen Föderation nicht leisten könnte. Das festgestellte psychiatrische Krankheitsbild der Beschwerdeführerin erlaubt auch keine Beurteilung dahingehend, dass eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat und die damit verbundene Trennung von ihren in Österreich geschaffenen Strukturen - mag es auch zu einer vorübergehenden Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustands kommen - zwingend mit einer massiven, dauerhaften Verschlechterung einhergeht, sodass dieser die hohe Verletzungsschwelle des Art. 3 EMRK erreichen würde.

 

Eine akute Suizidalität oder Selbstverletzungsgefahr für den Fall einer Rückkehr der Beschwerdeführerin konnte - wie ausgeführt - nicht festgestellt werden. Doch selbst für den Fall, dass diese vorläge, stünde dies ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in Hinblick auf Art. 3 EMRK nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht entgegen (zu posttraumatischer Belastungsstörung in Verbindung mit Selbstmordgefahr vgl. EGMR 22.09.2005, Appl. 28526/05, Kaldik v Deutschland; zu schwerer Depression und Selbstmordgefahr sowie der Aussage, dass mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung kein ausreichendes "real risk" begründe, vgl. EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04, Ovidenko v Finnland). Dies wäre insbesondere deshalb nicht der Fall, weil Behandlungsmöglichkeiten betreffend psychiatrische Erkrankungen in der Russischen Föderation vorhanden sind.

 

3.2.2.4. Zusammenfassend ist demgemäß festzuhalten, dass eine Rückführung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation respektive nach Tschetschenien zu keiner Situation führen würde, die eine Verletzung ihrer Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK mit sich brächte. Dieses Ergebnis ist der nunmehr folgenden Beurteilung der Fragen, ob eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist und - bejahendenfalls - ob die Abschiebung der Beschwerdeführerin zulässig ist, zugrunde zu legen.

 

3.2.3. Zur Abweisung der Beschwerde betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung:

 

3.2.3.1 Die diesbezüglich maßgeblichen Rechtsgrundlagen stellen sich wie folgt dar:

 

Wie unter Pkt. II.3.2.1. festgehalten, sind auch Zurückweisungen von Anträgen auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 - soweit die sonstigen Voraussetzungen dafür vorliegen - mit Rückkehrentscheidungen zu verbinden.

 

§ 52 FPG lautet auszugsweise:

 

"Rückkehrentscheidung

 

§ 52 (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

 

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

 

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

(3) - (8) [...]

 

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

(10) - (11) [...]"

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet auszugsweise:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

(4) - (6) [...]"

 

3.2.3.2. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

3.2.3.3. Was einen allfälligen Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin betrifft, lässt sich das Bundesverwaltungsgericht von nachstehenden Erwägungen leiten:

 

3.2.3.3.1. Vom Prüfungsumfang des Begriffs des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, die miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt. Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden. Das Auflösen einer Hausgemeinschaft von Eltern und volljährigen Kindern alleine führt jedenfalls nicht zur Beendigung des Familienlebens im Sinn von Art. 8 Abs. 1 EMRK, solange nicht jede Bindung gelöst ist (EGMR 24.04.1996, Boughanemi, Appl 22070/93 [Z 33 und 35]). Für das Bestehen eines Familienlebens zwischen Eltern und Kindern im Sinn der Rechtsprechung des EGMR kommt es also nicht darauf an, dass ein "qualifiziertes und hinreichend stark ausgeprägtes Nahverhältnis" besteht, sondern darauf, ob jede Verbindung gelöst wurde (vgl. VfGH 12.03.2014, U 1904/2013).

 

3.2.3.3.2. Zur in Niederösterreich lebenden Cousine der Beschwerdeführerin besteht kein hinreichend ausgeprägtes Naheverhältnis, um von einem Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK sprechen zu können. Die Beschwerdeführerin hält zu ihr zwar häufigen, jedoch nahezu ausschließlich telefonischen Kontakt, der auch vom Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin fortgesetzt werden könnte. Eine Rückkehrentscheidung bedeutete daher in Bezug auf das Verhältnis der Beschwerdeführerin zu ihrer Cousine schon deshalb jedenfalls keinen Eingriff in das Recht auf Achtung ihres Familienlebens.

 

Für ihr Verhältnis zu ihrem Sohn und (zumindest) ihren Enkelkindern kann diese Beurteilung nicht getroffen werden: Zwar lebt die Beschwerdeführerin in Graz und damit von ihren in Wien wohnhaften Familienangehörigen getrennt; auch der ein- bis dreimal im Monat bestehende Besuchskontakt begründet für sich genommen noch kein schützenswertes Familienleben. Die räumliche Nähe zu ihren Familienangehörigen sowie die (in Österreich gegebene) jederzeitige Besuchsmöglichkeit stellen für die Beschwerdeführerin allerdings in Hinblick auf ihren fragilen psychischen Zustand einen wesentlichen stabilisierenden Faktor in ihrem Alltagsleben dar. Da sich sämtliche Anträge auf internationalen Schutz als unbegründet bzw. Bezweckung der Neubeurteilung einer bereits entschiedenen Sache herausstellten, kann davon ausgegangen werden, dass das Handeln der Beschwerdeführerin in den vergangenen achteinhalb Jahren - beginnend mit ihrer Einreise nach Österreich im zeitlichen Nahebereich mit jener ihres Sohnes - darauf gerichtet war, die Nähe zu ihrem Sohn bzw. ihren Enkelkindern in Österreich aufrecht zu halten. Ihr psychisches Krankheitsbild steht dabei - wie festgestellt - mit ihrer Angst vor dem Verlust dieser Nähe in engstem Zusammenhang. Ungeachtet der finanziellen Zuwendungen durch ihren Sohn ist also im Fall der Beschwerdeführerin von einem besonderen emotionalen Abhängigkeitsverhältnis auszugehen, das ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK im Inland begründet.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung würde in dieses aufgrund der dauernden Aufenthaltsberechtigung ihres Sohnes und ihrer Enkelkinder in Österreich jedenfalls eingreifen. Die Beurteilung, ob dieser Eingriff als statthaft zu erachten ist, setzt eine Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK nach den in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien voraus. Da die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihrem Sohn und ihren Enkelkindern auch einen wesentlichen Teil ihres in Österreich entfalteten Privatlebens bildet, wird diese Abwägung im Rahmen der Prüfung, ob eine Rückkehrentscheidung ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens verletzt, vorgenommen.

 

Schon an dieser Stelle ist aber festzuhalten, dass eine die Beschwerdeführerin treffende Rückkehrentscheidung keinen maßgeblichen Einfluss auf das Kindeswohl ihrer beiden Enkelkinder hätte, weil ein Kontakt zu den acht- und zehnjährigen Enkeln über die Mittel der Telekommunikation aufrecht erhalten werden könnte und die persönlichen Besuche schon bisher nicht in einer Häufigkeit stattfanden, dass das Wohl der in Österreich lebenden Enkelkinder bei Wegfall dieser Besuche ernsthaft gefährdet wäre (zur zwingenden Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung für ein Elternteil auf das Wohl eines Kindes im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK vgl. VfGH 24.09.2018, E 1416/2018).

 

3.2.3.4. Hinsichtlich des im Bundesgebiet bestehenden Privatlebens der Beschwerdeführerin ist Folgendes auszuführen:

 

3.2.3.4.1. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua. v. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, Solomon v. Niederlande, Appl. 44328/98; EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99; EGMR 22.04.2004, Radovanovic v. Österreich, Appl. 42703/98; EGMR 31.01.2006, da Silva und Hoogkamer

  1. v. Niederlande, Appl. 50435/99; EGMR 31.07.2008, Darren Omoregie ua
  2. v. Norwegen, Appl. 265/07).

 

3.2.3.4.2. Die Beschwerdeführerin reiste im Juli 2010 ins Bundesgebiet und hält sich seit nunmehr achteinhalb Jahren durchgehend in Österreich auf. Sie nutzte diese Zeit, um die deutsche Sprache auf grundlegendem, alltagstauglichem Niveau zu erlernen und im Sommer 2015 eine Deutschprüfung auf A2-Niveau zu absolvieren. Weiters zeigte sie sich bemüht, durch zeitweise Mitwirkung bei Tätigkeiten der Caritas sowie der Organisation von Veranstaltungen für eine Pfarre im sozialen Zusammenleben in Österreich engagiert zu sein.

 

Diese Umstände fallen im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten der Beschwerdeführerin ins Gewicht. Festzuhalten ist allerdings, dass es sich dabei in Anbetracht des langen Aufenthalts der Beschwerdeführerin in Österreich - auch unter Berücksichtigung ihrer gesundheitsbedingt (sowohl in physischer wie psychischer Hinsicht) zeitweise eingeschränkten Möglichkeiten - um keine besondere bzw. außergewöhnliche Integration in die sozialen Strukturen in Österreich handelt. Außerdem ist sie nicht selbsterhaltungsfähig, bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und lebt in einer Flüchtlingsunterkunft. Ihre im Bundesgebiet geschlossenen Bekannt- und Freundschaften mit österreichischen Staatsangehörigen sind als über das normale bzw. überhaupt erwartbare Ausmaß nicht hinausgehende soziale Kontakte zu werten, die keine tiefergehende Verfestigung im Sinne einer nachhaltigen Integration in Österreich bezeugen.

 

Dass die Beschwerdeführerin strafgerichtlich unbescholten ist, vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (vgl. VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

 

Die Schutzwürdigkeit ihres Privatlebens ist jedoch durch ihren Gesundheitszustand deutlich erhöht: Zwar bedeutete die Erlassung einer Rückkehrentscheidung keine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin nach Art. 2 oder 3 EMRK (s. Pkt. II.3.2.2.), doch sind vor allem ihre psychischen Beschwerden dergestalt, dass sie im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK stark ins Gewicht fallen (vgl. VfGH 21.09.2015, E 332/2015): Wie bereits unter Pkt. II.3.2.3.3.2. ausgeführt, bildet die in Österreich gegebene räumliche Nähe bzw. jederzeitige Besuchsmöglichkeit zu ihrem Sohn und ihren Enkelkindern einen für die Beschwerdeführerin in psychischer Hinsicht wesentlichen stabilisierenden Faktor in ihrem Alltagsleben. Ihr gesamtes fremdenrechtliches Handeln in den letzten achteinhalb Jahren war darauf gerichtet, die Nähe zu ihrem Sohn bzw. ihren Enkelkindern in Österreich aufrecht zu halten. Auch konnte festgestellt werden, dass eine Verpflichtung zur Ausreise wohl eine - zumindest vorübergehende - Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustands der Beschwerdeführerin mit sich brächte.

 

Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die in Graz wohnhafte Beschwerdeführerin nur ein- bis dreimal im Monat tatsächlich persönlichen Kontakt zu ihren in Wien lebenden Familienangehörigen hat. Einen über dieses Besuchsausmaß hinaus bestehenden fernmündlichen Kontakt könnte die Beschwerdeführerin auch aufrecht erhalten, wenn sie sich wieder in Tschetschenien befände. Des Weiteren wäre es ihrem Sohn - der in Österreich zwar zum dauernden Aufenthalt berechtigt ist, dies allerdings nicht auf Basis des Asyl- oder subsidiären Schutzstatus - möglich, persönliche Kontakte durch Besuche im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin fortzuführen. Das Aufrechterhalten von persönlichen Kontakten zu ihren Familienangehörigen in Österreich wäre in der bisherigen Frequenz damit zwar nicht möglich; dass die Verpflichtung zur Rückkehr nach Tschetschenien im Lichte der Schutzwürdigkeit des Privatlebens im vorliegenden Fall für die Beschwerdeführerin aber schlechterdings unzumutbar wäre, ist angesichts des Gesagten - auch unter Berücksichtigung ihres labilen Gesundheitszustands - nicht zu ersehen.

 

Diese Beurteilung ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die Beschwerdeführerin auch nach wie vor Bindungen zu Tschetschenien aufweist: Sie verbrachte den weit überwiegenden Teil ihres Lebens in der Russischen Föderation und verfügte dort über eine im Wesentlichen gesichertere wirtschaftliche Existenz, als dies in Österreich jemals der Fall war. Weiters leben ihre Tochter, ihre drei Schwestern und ihr Bruder in der Russischen Föderation. Die Beschwerdeführerin ist der russischen und tschetschenischen Sprache mächtig und mit den kulturellen Gegebenheiten dort vertraut. Es ist daher davon auszugehen, dass sie sich auch nach achteinhalbjähriger Abwesenheit von ihrem Herkunftsstaat in die dortige Gesellschaft wieder eingliedern können wird.

 

Den privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Im Fall der Beschwerdeführerin sind die öffentlichen Interessen an der Beendigung ihres Aufenthalts in Österreich sogar besonders erhöht: So handelt es sich bei der achteinhalb Jahre währenden Dauer dieses Aufenthalts zweifelsohne um einen beträchtlichen Zeitraum. Allerdings ist entscheidend zu berücksichtigen, dass das gegenständliche Verfahren bereits das vierte Asylverfahren der Beschwerdeführerin in Österreich darstellt. Ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte die Beschwerdeführerin am 06.07.2010. Das Verfahren wurde bereits nach zwei Monaten mit Bescheid des Bundesasylamts vom 07.09.2010 negativ abgeschlossen, wobei eine Ausweisung ausgesprochen wurde; dieser Bescheid erwuchs am 28.09.2010 in Rechtskraft. Für die Beschwerdeführerin musste somit bereits einige Wochen nach ihrer illegalen Einreise absehbar gewesen sein, dass es zu einer Aufenthaltsbeendigung kommt. Ihren weiteren Aufenthalt bis zum Entscheidungszeitpunkt vermochte sie nur dadurch zu legalisieren, indem sie drei weitere unbegründete Anträge auf internationalen Schutz stellte und den jeweiligen Verpflichtungen zur Ausreise beharrlich nicht nachkam. Mag diese Handlungsweise - wie vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung am 17.01.2019 hervorgehoben - auch in Zusammenhang mit ihrem psychischen Krankheitsbild gestanden sein, war ihr das Verschleppen der Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen doch sehr wohl bewusst. Insofern kommt den öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung der Beschwerdeführerin ein im vorliegenden Fall massives Gewicht zu, weil die Beschwerdeführerin sich drei rechtskräftigen Verpflichtungen, das Bundesgebiet zu verlassen, bewusst widersetzte, sodass ihre - durchaus schwerwiegenden - Interessen an einem Verbleib in Österreich demgegenüber nicht zu überwiegen vermögen (vgl. VwGH 31.10.2002, 2002/18/0190).

 

Ergänzend ist festzuhalten, dass mit knapp 22 Monaten die Dauer des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens - die sich aus der Einholung eines psychiatrisch-neurologischen Gutachtens sowie einer Geschäftsverteilungsänderung ergab - angesichts der nicht übermäßigen Komplexität der Rechtssache zwar als ungebührlich lang zu bewerten ist. Ansonsten überstieg die Dauer der einzelnen Verfahren aber nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg. 18.499/2008; 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Butt v. Norwegen, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

 

Überdies ist darauf hinzuweisen, dass es der Beschwerdeführerin bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG nicht verwehrt wäre, wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren (so auch VfSlg. 19.086/2010 unter Hinweis auf Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 861).

 

3.2.3.5. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG überwiegt damit das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet ihr persönliches Interesse an einem Verbleib. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin zwar einen Eingriff, aber keine Verletzung im Recht der Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Familien- und Privatlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

 

3.2.4. Zur Abweisung der Beschwerde betreffend die Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation:

 

3.2.4.1. Die diesbezüglich maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten:

 

"Abschiebung

 

§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

(2) - (7) [...]

 

[...]

 

Verbot der Abschiebung

 

§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht."

 

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist.

 

3.2.4.2. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:

 

3.2.4.2.1.Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Ein dementsprechender Sachverhalt liegt - wie unter Pkt. II.3.2.2. näher begründet - nicht vor. Ergänzend ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die Fremdenpolizeibehörde bei der Durchführung einer Abschiebung im Fall von bekannten Erkrankungen der abzuschiebenden Person stets durch geeignete Maßnahmen dem Gesundheitszustand Rechnung zu tragen hat. Insbesondere wird kranken Personen eine entsprechende Menge der verordneten Medikamente mitgegeben. Anlässlich einer Abschiebung werden von der Fremdenpolizeibehörde auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt. Im Fall einer schweren psychischen Erkrankung und insbesondere bei Selbstmorddrohungen sind geeignete Vorkehrungen zur Verhinderung einer Gesundheitsschädigung zu treffen (vgl. VwGH 26.02.2015, Ra 2014/22/0198 mwN).

 

3.2.4.2.2. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestünde eine innerstaatliche Fluchtalternative. Dies entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.05.2015 aufgrund der Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin rechtskräftig verneint. Diesbezüglich maßgebliche Änderungen des Sachverhalts haben sich - weder in der Person der Beschwerdeführerin noch in der allgemeinen Lage in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien - ergeben.

 

3.2.4.2.3. Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht im vorliegenden Fall nicht.

 

3.2.4.3. Die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation ist daher zulässig.

 

3.2.5. Somit war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids gemäß § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 FPG sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 als unbegründet abzuweisen.

 

Zu B)

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben (siehe insbesondere VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082, wonach auch Zurückweisungen von Anträgen auf internationalen Schutz gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 mit Rückkehrentscheidungen zu verbinden seien.). Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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