BVwG W125 2147045-2

BVwGW125 2147045-222.11.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W125.2147045.2.00

 

Spruch:

W125 2147055-2/7E

 

W125 2147045-2/7E

 

W125 2147052-2/6E

 

W125 2147054-2/6E

 

W125 2147047-2/6E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Christian FILZWIESER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX , 3. XXXX , geboren am XXXX , 4. XXXX , geboren am XXXX und 5. XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit Russische Föderation, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahl XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX zu Recht erkannt:

 

A)

 

I. Die Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. der angefochtenen Bescheide werden gemäß § 68 Abs 1 AVG als unbegründet abgewiesen.

 

II. Die Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt III. bis VI. der angefochtenen Bescheide werden gemäß § 10 Abs 1 Z 3, § 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, § 52 FPG und § 55 Abs 1a FPG als unbegründet abgewiesen.

 

III. Die Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt VII. der angefochtenen Bescheide werden mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass dieser, jeweils wie folgt zu lauten hat:

 

"Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG wird gegen Sie ein Einreiseverbot für die Dauer von zwölf Monaten erlassen."

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1.1. Der Erstbeschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, gelangte am 14.1.2016 gemeinsam mit seiner Frau, der Zweitbeschwerdeführerin, und den gemeinsamen Kindern, den minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen irregulär in das Bundesgebiet und stellte noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, zu dem er vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.1.2016 erstbefragt wurde.

 

Dabei erklärte der Erstbeschwerdeführer zu seinen familiären Verhältnissen befragt, dass seine ganze Familie in Europa verteilt sei. In Österreich lebe ein Cousin. Er sei mit seiner Familie über unbekannte Länder nach Österreich gekommen, bei dieser Reise mit privaten PKWs bis zur ukrainischen Grenze und von dort nach Österreich habe er keinen einzigen polizeilichen Kontakt wahrgenommen. Er habe die Russische Föderation verlassen, weil Lebensgefahr für ihn und seine Familie bestanden hätte, sie seien verfolgt worden, man hätte ihnen die Papiere abgenommen.

 

1.2. Auch die Zweitbeschwerdeführerin schilderte im Zuge ihrer Erstbefragung gleichlautend, dass sie auf unbekannten Wegen von Tschetschenien bis zur ukrainischen Grenze gebracht worden sei, von dort sei sie dann mit einem privaten PKW nach Österreich gefahren worden. Auch sie wisse nicht, durch welche Länder sie dabei gereist seien, sie hätten Österreich als Zielland gehabt, weil der Erstbeschwerdeführer hier einen Cousin habe. Auch sie befürchte, im Fall der Rückkehr getötet zu werden, die Familie werde verfolgt.

 

Nach einer vorgelegten Heiratsurkunde haben die beiden erwachsenen Beschwerdeführer im Jahre 2003 in Inguschetien die Ehe geschlossen.

 

1.3. Am 23.9.2016 wurden die erwachsenen Beschwerdeführer durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen.

 

1.3.1. Der Erstbeschwerdeführer schilderte, in keinerlei ärztlicher Behandlung oder sonst in Therapie zu stehen, er nehme auch keine Medikamente ein, es gehe ihm gesundheitlich gut. Er sei russischer Staatsbürger, Tschetschene, habe zuletzt mit der Familie in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny gelebt. Der Vater sei 2015 verstorben, jetzt lebe nur mehr die Mutter dort. Weder er noch die Zweitbeschwerdeführerin hätten einen Reisepass gehabt, sie hätten nur die Dokumente besessen, die er gerade übergeben habe, nämlich erneut die Heiratsurkunde und einen Führerschein. Er habe in den 90er Jahren einen Reisepass besessen, mit diesem sei er aber nicht ausgereist. Der russische Inlandspass sei gemeinsam mit anderen Dokumenten "von bestimmten Personen" mitgenommen worden. Er selbst habe bis zuletzt als privater Taxilenker gearbeitet, in seinem eigenen Beruf habe es keine Arbeit gegeben. Sonst habe er auf die Kinder aufgepasst, da die Zweitbeschwerdeführerin gearbeitet habe. Die Mutter sei Pensionistin und lebe jetzt im Haus in Grosny. Sie seien in der Familie fünf Brüder und eine Schwester gewesen, zwei Brüder seien schon tot, einer sei im Jahr 2002 vom Militär mitgenommen worden, seitdem fehle von ihm jede Spur. Ein Bruder lebe in Frankreich, die Schwester lebe in einem namentlich genannten Ort nahe Grosny. Im Jahr 2002 sei ein Bruder getötet worden, 2002 sein anderer Bruder mitgenommen worden. Der jüngere Bruder sei deshalb im Jahr 2003 nach Frankreich gereist und habe dort 2005 auch einen positiven Asylbescheid bekommen. Ein anderer Bruder sei nach St. Petersburg gezogen, dort sei er verhaftet und in das Gefängnis gesteckt worden. Dieser Bruder sei am 21.4.2016 verstorben. Er sei im Jahr 2009 mit seiner Familie von Inguschetien nach Grosny gezogen, er selbst habe nie gegen den Kadyrow-Clan gekämpft, er sei der ältere Bruder. Der Vater habe ihn darum gebeten, es nicht zu tun, aber seine Brüder und viele Verwandten hätten gekämpft und er habe diese unterstützt. Diese Verwandten hätten im ersten und zweiten Krieg gegen die russische Armee gekämpft. Einige hätten direkt gekämpft, andere hätten unterstützt.

 

Der Erstbeschwerdeführer habe niemals direkten Kontakt mit dem jetzigen Präsidenten in Tschetschenien gehabt, er habe auch niemals irgendeinen Kontakt mit Clan-Mitgliedern von Kadyrow gehabt, er habe mit solchen Leuten nichts zu tun und habe immer versucht, solche Kontakte zu vermeiden.

 

Er sei einmal in Moskau inhaftiert gewesen. Er sei einmal mitgenommen worden, dann sei er geflohen.

 

Der Erstbeschwerdeführer schilderte nunmehr, dass er "Mitglied einer Menschenrechtsorganisation namens Memorial" gewesen sei. Die Filiale befinde sich in Inguschetien in der dortigen Hauptstadt. Dafür würde es auch Beweismittel geben, diese seien ihm aber abgenommen und beschlagnahmt worden. Er werde versuchen, etwas später Beweismittel vorzulegen. Er werde probieren, Mitarbeiter dieser Organisation in Inguschetien zu erreichen.

 

Für Memorial sei er beim Informationsaustausch tätig gewesen, so habe er bei verhafteten Personen geholfen, einen Rechtsbeistand zu besorgen. Er habe versucht, Informationen zu erhalten, wo diese Person festgehalten wird, damit die Verwandten informiert werden können.

 

Auf die Aufforderung, die konkreten Gründe für die Ausreise zu schildern, führte der Erstbeschwerdeführer aus wie folgt: Am 8.1.2016 sei sein Bruder, der inzwischen am 21.4.2016 verstorben sei, zu ihnen in das Elternhaus gekommen. Im Haus seien der Bruder und die Mutter sowie die Kinder des Erstbeschwerdeführers geblieben. Er selbst sei mit der Zweitbeschwerdeführerin in das Geschäft gegangen, ein Verwandter der Mutter habe angerufen und gesagt, dass sie nicht nach Hause gehen sollen. Er sei dann zu diesem Verwandten der Mutter gefahren und habe erfahren, dass zum Familienhaus die Militärs mit zwei Fahrzeugen gekommen seien. Der Bruder sei mitgenommen worden und gefragt worden, wo sich der Erstbeschwerdeführer aufhalte. Die Militärs hätten eigentlich nach dem Erstbeschwerdeführer gesucht. Sie hätten das Haus durchsucht und die Tasche mit Dokumenten und Fotos mitgenommen. Die Militärs hätten dem Bruder zwei bis drei Tage Zeit gegeben, damit der Erstbeschwerdeführer sich bei ihnen stelle. Er habe dann erfahren, dass am 24.12.2015 eine Demonstration gegen den Präsidenten Kadyrow in Wien und in anderen europäischen Städten stattgefunden hätte. Daraufhin habe Kadyrow gesagt, dass alle, die Verwandte in Europa haben, zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Er selbst sei dann nicht zur Behörde gegangen, sein Bruder sei dort nicht mehr lebend herausgekommen. Am 11.1.2016 habe ein Verwandter der Mutter die Ausreise organisiert und am 14.1.2016 seien sie schon hier in Österreich gewesen.

 

Zur eigenen Verhaftung in Moskau befragt, vermeinte der Erstbeschwerdeführer, dass das schon im Jahr 1999 gewesen sei. Er und der inzwischen verstorbene Bruder XXXX seien damals in Moskau gewesen. Gegen sie sei damals im Jahr 1999 ein Verfahren fabriziert worden und sie hätten eine einjährige Haftstrafe bekommen. Viele Tschetschenen seien damals unschuldig ins Gefängnis gekommen. Seine Brüder und viele Verwandten hätten gekämpft, es habe immer die Gefahr bestanden, mitgenommen zu werden. Er sei zuhause geblieben, weil er der älteste der Brüder gewesen sei und bei den Eltern habe bleiben müssen. Die Mutter sei jetzt ganz allein, die Schwester besuche sie hin und wieder. Nach allgemeinen Erzählungen über die Haft im Jahr 1999 und über das Wesen von Memorial wurde der Erstbeschwerdeführer gefragt, wo sich eigentlich das Büro in der Hauptstadt von Inguschetien befunden habe. Die Antwort lautete, dass sich dieses Büro mitten in Nasran, in einer zentralen Straße befinde, man müsse vom Bahnhof rauf, in der Nähe des Krankenhauses.

 

Auf die Frage, aus welchem Grund und wann der Bruder XXXX in St. Petersburg verhaftet worden sei und wie lange dieser inhaftiert gewesen sei, führte der Erstbeschwerdeführer aus wie folgt: "Zuerst wurde er 2012 oder 2013 von Skinheads zusammengeschlagen. Als er halbwegs wieder zu sich kam, da lag er auf der Straße, ein Polizeiauto kam vorbei. Die Polizisten haben ihn ebenfalls zusammengeschlagen. Die Passanten brachten ihn in das Krankenhaus. Er wurde operiert. Ihm wurde die Milz entfernt.... Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus hat er versucht, die Leute zu finden, die ihn zusammengeschlagen haben. Es stellte sich heraus, dass die Skinheads gemeinsam mit den Polizisten waren. Sie verbreiteten Angst und Schrecken gegen alle Nichtrussen. Die Polizei sicherte sie nur ab. Als mein Bruder schon fast am Ziel war und es herausgefunden hat, wurde er von der Polizei mitgenommen. Er wurde beschuldigt für etwas, was er nicht gemacht hat und wurde 2013 in eine Untersuchungshaft gesteckt. Unsere Verwandten haben sich dann eingeschaltet und so kam mein Bruder wieder frei. Es kam zu keiner Gerichtsverhandlung, aber er hat mehr als ein Jahr in U-Haft verbracht. Er war nach seiner Haftentlassung gesundheitlich angeschlagen. Er versuchte, Dokumente zu erhalten. Bei seiner Flucht nach Europa musste er umkehren und kam nach Tschetschenien zurück."

 

1.3.2. Die Zweitbeschwerdeführerin wiederum schilderte im Zuge ihrer Einvernahme, dass von ihr nur eine Kopie des Inlandspasses vorgelegt werden könne, das Original sei zuhause weggenommen worden. Sie habe im Jahr 1995 ein Studium abgeschlossen, habe dann jedoch ein Herrenbekleidungsgeschäft betrieben, sie hätte schnell ausreisen müssen und hätte deshalb schnell das Geschäft zum halben Preise verkauft. Nicht sie selbst habe das Geschäft verkauft, die Mutter des Erstbeschwerdeführer habe das Geschäft verkauft, als sie schon in Österreich waren. Auf die Frage, ob sie jemals direkten Kontakt mit Clan-Mitgliedern von Kadyrow gehabt habe, schilderte die Zweitbeschwerdeführerin, dass dies niemals der Fall gewesen sei. Auch sonst habe sie keinerlei Probleme gehabt, sie sei nur ausgereist, weil der Erstbeschwerdeführer Probleme gehabt habe. Wenn der Erstbeschwerdeführer mitgenommen worden wäre, dann wäre er nicht mehr am Leben. Deshalb seien sie ausgereist. Aus Sicherheitsgründen für sich und die Familie seien sie ausgereist.

 

Zum Vorfall Anfang 2016 befragt, schilderte auch die Zweitbeschwerdeführerin, dass an diesem Tag der genannte Bruder des Erstbeschwerdeführer bei ihnen zu Besuch gewesen sei. Sie selbst und der Erstbeschwerdeführer seien in ein Geschäft gegangen, um für die Kinder etwas zu kaufen. Sie seien dann angerufen worden, die Mutter des Erstbeschwerdeführer habe diesen angerufen und habe gesagt, dass dieser gesucht werde und dass der andere Bruder mitgenommen worden sei. Sie seien dann zu Verwandten in ein Dorf gefahren, etwas später seien die Kinder dorthin gebracht worden. Sie habe schon bemerkt, dass sich der Erstbeschwerdeführer um verhaftete Personen gekümmert hätte, er habe ihr aber nichts davon erzählt. Der Ehemann erzähle der Ehefrau nicht alles. Der Erstbeschwerdeführer habe etwas von Memorial gesprochen, so glaube sie.

 

1.4. Der Erstbeschwerdeführer wurde am 13.12.2016 nochmals zu seiner Tätigkeit für Memorial einvernommen. Er führte aus, von Österreich aus keinen Kontakt mehr zu dieser Organisation zu haben. Es gebe nur einen Mitarbeiter, mit dem er zusammengearbeitet habe, es sei ihm nicht gelungen, diesen zu finden. Er wisse nicht, wo sich dieser Mitarbeiter von Memorial nun befinde. Er habe in Tschetschenien Informationen gesammelt und dann nach Inguschetien zu Memorial weitergeleitet. Auf die Frage, ob er nach Beendigung der Tätigkeit für Memorial ab dem Jahr 2010 deshalb mit den Behörden in Tschetschenien noch Probleme gehabt habe, vermeinte der Erstbeschwerdeführer, dass er deshalb keine Probleme mehr gehabt habe. Er sei mit dem genannten Mitarbeiter von Memorial in Inguschetien aber weiterhin in Kontakt gestanden, davon habe aber keiner gewusst. Seine Mutter sei zuhause gewesen, als der andere Bruder mitgenommen worden sei und habe ihm die Mutter erzählt, dass bei dieser Hausdurchsuchung eine Tasche mit Dokumenten und Fotos mitgenommen worden sei. In dieser Tasche hätten sich sein Studentenausweis, Familienfotos, sein Wehrdienstbuch, aber auch eine Bestätigung über seine Tätigkeit von Memorial befunden. Er habe diese Bestätigung damals bis zum Jahr 2009 gebraucht. Wenn er sich inoffiziell an einen Polizisten gewandt habe, habe er ihm diese Bestätigung gezeigt, dass er tatsächlich für Memorial arbeite. Er habe die Bestätigung aus Angst aber nie bei sich getragen. Die Militärs seien also im Jänner gekommen, aber nicht, weil er für Memorial tätig war, sondern weil die Verwandten im Ausland leben und die Brüder gegen die Behörden gekämpft haben. Das müsse jemand den Behörden gesagt haben.

 

1.5. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 22.11.2016 übermittelte der Erstbeschwerdeführer die Kopie eines belgischen Personalausweises betreffend seinen Bruder und führte er aus, dass der andere Bruder XXXX am XXXX ermordet worden sei. Eine andere Schwester lebe noch in der Nähe von Grosny, zu dieser habe er jedoch keinen Kontakt, da sie möglicherweise überwacht werde und die Gefahr bestehe, dass sie ebenfalls entführt oder getötet werde. Vorgelegt wurden diverse Ausweise, die die genannten Familienmitglieder in XXXX und deren Erhalt von Personalausweisen dokumentieren sollen.

 

1.6. Mit Bescheiden vom 29.12.2016 wurde jeweils der Antrag auf internationalen Schutz vom 14.1.2016 gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen und der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt. Den Beschwerdeführern wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und wurde gegen diese eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

 

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und nach allgemeinen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation führte die belangte Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung zum Erstbeschwerdeführer aus, dass sich aus Länderberichten ergebe, dass nicht alle Tschetschenen, die Familienangehörige oder Verwandte in Europa haben, zur Rechenschaft gezogen werden sollen, sondern nur diejenigen Familienangehörige, deren Angehörige im Ausland in Europa demonstriert hätten. Der Erstbeschwerdeführer habe aber nicht angegeben, dass nahe Familienangehörige von ihm bei Demonstrationen dabei gewesen seien und dass deshalb die Behörden auf ihn aufmerksam geworden wären. Die belangte Behörde ging grundsätzlich davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer in den Jahren 2000 bis 2009 in Inguschetien für die Menschenrechtsorganisation Memorial Hilfsdienste erbracht hätte, es sei jedoch verwunderlich, dass es dem Erstbeschwerdeführer nicht gelungen sei, in so vielen Monaten die Kontaktdaten von einer bekannten Persönlichkeit, wie dem namentlich genannten Mitarbeiter von Memorial in Inguschetien zu finden. Die Ereignisse im Jänner 2016, als das Militär zum Haus des Erstbeschwerdeführers gekommen sei und nach ihm gesucht habe, seien jedoch nicht glaubwürdig. Insofern nahen Angehörigen im Jahr 2005 der Asylstatus eingeräumt worden sei, sei dies für das gegenständliche Verfahren nicht relevant, da die Situation in Tschetschenien im Jahr 2016 gänzlich anders sei als zum Zeitpunkt der Ausreise des Bruders, habe sich doch zum Zeitpunkt der Ausreise der zweite Tschetschenienkrieg gerade in seiner "heißen Phase" befunden. Die angebliche Verhaftung in Moskau im Jahr 1999 habe keinen zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise im Jahr 2016.

 

1.7. Gegen diese Bescheide haben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben und dabei im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt, nämlich dass am 8.1.2016 Militärs den Erstbeschwerdeführer zuhause aufgesucht hätten, er sei mit der Zweitbeschwerdeführerin jedoch nicht anwesend gewesen. Er habe einen Zusammenhang mit den zuvor in Europa stattgefundenen Demonstrationen hergestellt und habe sofort die Flucht aus Tschetschenien organisiert. Bei der Hausdurchsuchung hätten die Militärs auch seinen Memorial - Ausweis gefunden und habe ein anderer Bruder seine Mitnahme nicht überlebt und sei am XXXX verstorben.

 

1.8. Die Beschwerdeführer wurden am 19.9.2017 durch das erkennende Gericht im Rahmen einer Beschwerdeverhandlung nochmals zu den Ausreisegründen einvernommen, der nunmehrige rechtsfreundliche Vertreter erstattete am 3.10.2017 eine abschließende Stellungnahme. In der Verhandlung ergänzte die Zweitbeschwerdeführerin ihr Vorbringen dahingehend, dass ein Günstling und ein Onkel von Kadyrow Waren in ihrem Geschäft mitgenommen hatte, ohne sie zu bezahlen; als sie den Kaufpreis verlangen wollte, wäre sie bedroht worden. Zum Gesundheitszustand befragt, führte sie aus, selbst großen Stress zu haben. Die mittlere Tochter verliere ihre Haare, das müsse mit den Nerven zu tun haben. Sie wäre mit ihr schon in Tschetschenien bei Ärzten gewesen, keiner hätte eine Diagnose stellen können, auch in Österreich wäre das bisher nicht gelungen.

 

Der Erstbeschwerdeführer führte unter anderem aus, Familienmitglieder von ihm nähmen auch im Ausland an Demonstrationen gegen Kadyrov teil. Auf die Frage warum am Erstbeschwerdeführer eigentlich ein größeres Interesse bestünde als an seinem ums Leben gekommenen Bruder XXXX , antwortete jener, er hätte zwar nie an Kampfhandlungen teilgenommen, aber immer Kämpfer unterstützt. Seine Tätigkeit für die Menschenrechtsorganisation "Memorial" sei geheim gewesen, aber offensichtlich hätte es irgendwelche Informanten gegeben.

 

1.9. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7.12.2017 wurden die Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 2.1.2017 gemäß § 3, § 8 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs 2 Z 2 FPG, § 52 Abs 9 FPG, § 46 FPG sowie § 55 Abs 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

 

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass die Beschwerdeführer aus asylfremden Motiven, wohl aus wirtschaftlichen Gründen, ihr Heimatland verlassen hätten. Das Vorbringen bezüglich der Bedrohung und versuchten Festnahme des Erstbeschwerdeführers sei, ebenso wie die Ausführungen bettreffend einen angeblichen Bruder, der in der Haft getötet worden sei, völlig unglaubwürdig. Hervorgehoben wurde der lange Verbleib in Tschetschenien trotz der angegebenen Probleme. Zu den Problemen im Zusammenhang mit dem getöteten Bruder XXXX wurde auf völliges Abweichen der Aussagen des Erstbeschwerdeführers von jenen der Zweitbeschwerdeführerin hingewiesen. Dass wegen Demonstrationsteilnahmen von Verwandten im Ausland Probleme entstehen sollten, sei nicht plausibel. Das Vorbringen hinsichtlich des Günstlings von Kadyrov, der Kleidung aus dem Geschäft der Zweitbeschwerdeführerin entwendet hätte, sei erst in der Beschwerdeverhandlung und niemals zuvor getätigt worden (sohin vom Neuerungsverbot umfasst) und habe sich zudem als vage und widersprüchlich erwiesen.

 

Beweise wären über das gesamte Verfahren hinweg nie vorgelegt worden.

 

1.10. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 4.1.2018, E 4457-4461/2017, wurde die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerden abgelehnt.

 

1.11. Die gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7.12.2017 erhobenen Revisionen wurden mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 3.5.2018, Ra 2018/19/0181 bis 0185 zurückgewiesen.

 

Begründend wurde darin insbesondere festgehalten, dass das Bundesverwaltungsgericht mit umfassender Begründung das Fluchtvorbringen der Revisionswerber, insbesondere zur behaupteten oppositionellen Gesinnung des Erstrevisionswerbers und der damit einhergehenden Verfolgung durch das tschetschenische Militär unter Präsident Kadyrow, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unglaubwürdig erachtet habe und die Ausführungen in der Revision nicht aufzeigen würden, dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes einer Schlüssigkeitskontrolle nicht standhalten würde. Auch betreffend die Interessenabwägung im Kontext der Rückkehrentscheidung sei eine vertretbare Gewichtung der widerstreitenden Interessen erfolgt.

 

2. Am 10.6.2018 stellten die Beschwerdeführer erneut, die nunmehr verfahrensgegenständlichen, Anträge auf internationalen Schutz beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

 

2.1. Im Rahmen der Erstbefragung an demselben Tag brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass er persönlich keinen Bezug mehr zu seinem Heimatland habe. Seine Frau habe im Dezember 2017 eine Strafanzeige erhalten, diese sei ihrer Schwester in Tschetschenien zugestellt worden. Der Strafanzeige sei zu entnehmen, dass sich seine Ehefrau dort bei einer ihr unbekannten Behörde melden und die Strafe persönlich bezahlen müsse. Seine Familie würde in Tschetschenien gesucht werden; die tschetschenischen Behörden würden nicht wissen, dass sie sich in Österreich aufhielten. Durch den Brief würden sie diese unter Druck setzen wollen. Im Jänner 2018 sei der Onkel des Beschwerdeführers, ein alter Mann, festgenommen und für ungefähr 14 Tage einvernommen worden. Die Polizei habe von diesem auch wissen wollen, wo sich der Erstbeschwerdeführer verstecke. Im März 2018 sei das Landhaus der Beschwerdeführer verwüstet worden, sodass sie dort nicht mehr leben könnten. Dabei habe es sich um das Geburtshaus der Ehefrau des Erstbeschwerdeführers gehandelt und sei dies auch die Meldeadresse der Familie gewesen. In Russland würden sie auf der Fahndungsliste stehen und hätten Angst um ihr Leben. Sie könnten weder nach Tschetschenien noch nach Russland zurück.

 

2.2. Die Zweitbeschwerdeführerin brachte im Rahmen der Erstbefragung am 10.6.2018 vor, dass ihre Schwester ihr von einer Strafanzeige erzählt habe, die an ihre tschetschenische Adresse zugestellt worden sei. Diese Strafanzeige habe sie, ebenso wie Fotos, als Beweis mit. In ihrem Geburtshaus sei alles verwüstet worden, man könne dort nicht mehr wohnen und auch die Mieterin hätte Angst bekommen, weshalb sie ausgezogen sei. Konkret habe die Mieterin auf einmal vermummte schwarz gekleidete Männer gesehen, die nach der Zweitbeschwerdeführerin und ihren Kindern gefragt hätten. Weil sie nunmehr alle gesucht würden, hätte die Zweitbeschwerdeführerin sehr große Angst, ebenfalls verhaftet zu werden. Sie hätten bereits eine Zusammenfassung geschrieben und diese der Polizei übergeben. Die Änderungen des Fluchtvorbringens seien der Zweitbeschwerdeführerin seit Dezember 2017 bekannt, damals sei die Strafanzeige gekommen. Anschließend sei auch der Onkel ihres Mannes verhaftet und das Haus verwüstet worden, dies alles habe sie in ihrer Zusammenfassung genau beschrieben.

 

2.2.1. Die erwähnte "Strafanzeige" und die schriftliche Zusammenfassung des Geschehens finden sich im Akt der Viertbeschwerdeführerin. Darin ist auch erwähnt, dass die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin, als sie die "Anzeige" abholen hätte wollen, von der Mieterin im Haus der Beschwerdeführer erfahren hätte, dass das Obergeschoss in der Nacht vom 24. auf den 25.3.2018 unter ungeklärten Umständen zerstört worden sei. Zuvor hätten Maskierte nach den Beschwerdeführern gesucht. Eine (undatierte) Fotografie zeigt Schäden, die zum Beispiel auf Zerstörungen oder Abbruchmaßnahmen zurückführbar sein können, an einem einstöckigen Gebäude.

 

2.3. Auch die minderjährige Drittbeschwerdeführerin wurde am 10.6.2018 erstbefragt und brachte dabei, zu den Gründen für die neuerliche Antragstellung befragt, im Wesentlichen vor, dass man früher nur ihren Vater in Tschetschenien gesucht habe, sie nunmehr aber erfahren hätten, dass auch ihre Mutter gesucht würde. Im Ferienhaus in Tschetschenien sei eingebrochen und sei dieses dabei verwüstet worden, sodass sie dort nicht mehr wohnen könnten. Des Weiteren habe sie auch Angst um ihre Zukunft, da es in Tschetschenien üblich sei, als Mädchen mit älteren Männern zwangsverheiratet zu werden. Außerdem würden die Jungen dort mit Pistolen zur Schule gehen und sei auf sie auch schon einmal mit einer Pistole gezielt worden. Insgesamt habe sie Angst, dort ihre Zukunft zu verbringen.

 

2.4. Am 11.6.2018 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Ambulanzbefund des psychiatrischen Ambulanzzentrums der XXXX vom 5.4.2018 von der Flüchtlingshilfe Caritas in XXXX übermittelt, betreffend die Zweitbeschwerdeführerin; als Fragestellung ist vermerkt "Schlafstörungen, depressive Stimmungslage"; als Diagnose "Verdacht auf PTSD"; in der aktuellen Situation wird auf einen negativen Asylbescheid aus Dezember 2017 verwiesen. In weiterer Folge befindet sich im Akt (vor Bescheiderlassung) ein Folgebefund vom 13.6.2018, in dem als Diagnose nun angeführt ist "PTSD" und "schwere depressive Episode mit latenter Suizidalität". Beschrieben sind unter "aktuelle Situation" insbesondere Panikattacken und massive Angstzustände wegen der im Heimatland stattgefundenen Ereignisse und wegen Angst um die Töchter, deren Verschleppung und Misshandlung sie im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien befürchte. Mit 3.7.2018 findet sich ein weiterer Befund mit derselben Diagnose. Hier berichtet die Zweitbeschwerdeführerin von einer kürzlich erfolgten telefonischen Bedrohung (siehe unter 2.12.)

 

Betreffend der Viertbeschwerdeführerin findet sich im Akt ferner ein Ambulanzbefund vom 15.6.2018, wobei als Diagnose insbesondere "Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt" angeführt ist; Suizidversuche und Selbstverletzungsdruck wurden verneint.

 

2.5. Am 20.6.2018 langte eine Vollmachtsbekanntgabe des gewillkürten Vertreters bei der Behörde ein.

 

2.6. Am 21.6.2018 wurde der Erstbeschwerdeführer zu dem Folgeantrag im Beisein seines rechtlichen Vertreters und einer Vertrauensperson vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

 

Zunächst auf seinen Gesundheitszustand angesprochen, führte der Erstbeschwerdeführer aus, gesund zu sein und nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen.

 

Auf Nachfrage brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass sich seit der Rechtskraft des letzten Verfahrens weder eine Änderung der familiären Verhältnisse noch des Privatlebens ergeben habe. Seitdem der Erstbeschwerdeführer hier in Österreich sei, habe er keine Kontakte mehr nach Tschetschenien; nur seine Ehefrau stehe noch in Kontakt mit ihrer Schwester in Strawropol.

 

Die Familie bestreite ihren Lebensunterhalt derzeit von der Grundversorgung. Der Erstbeschwerdeführer habe im Heimatland als Taxifahrer gearbeitet, seine Ehefrau habe zwei Geschäfte geführt.

 

Nach den Gründen für den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz befragt, gab der Erstbeschwerdeführer an, es gebe neue Fluchtgründe. Damals sei er gesucht worden, nunmehr, weil er nicht mehr im Land sei, würden seine Frau und seine Kinder gesucht werden. Konkret habe seine Ehefrau von deren Schwester erfahren, dass auf ihren Namen ein Strafzettel gekommen sei, mit der Aufforderung eine Geldstrafe zu bezahlen. Der Brief sei in das Elternhaus seiner Ehefrau gekommen, in dem sie immer die Ferien und Urlaube verbracht hätten. Eine Mieterin, die in diesem Haus lebe, habe der Schwester der Frau des Erstbeschwerdeführers erzählt, dass maskierte Personen dorthin gekommen seien und nach seiner Ehefrau und den Kindern gefragt hätten. Offenbar seien sie dann auch nochmals zurückgekommen, Einzelheiten kenne er aber nicht. Anschließend sei das Haus zerstört und verwüstet worden. Die maskierten Personen würden mit beschrifteten Autos fahren und aus dem Umfeld von Kadyrow stammen, weshalb vor ihnen jeder Angst habe. Der Erstbeschwerdeführer habe zu Hause nunmehr nur noch seine Mutter; im April 2016 nach seiner Ausreise sei sein Bruder mitgenommen und misshandelt worden. Im Zuge der Misshandlungen sei er dann auch ums Leben gekommen.

 

Auf die Frage, ob es noch weitere Gründe für die gegenständliche Antragstellung gebe, führte der Erstbeschwerdeführer aus, dies seien die neuen Fakten; die alten Probleme seien nach wie vor aufrecht.

 

Nachgefragt, bei welcher Behörde sich die Ehefrau des Erstbeschwerdeführers der Strafanzeige zufolge hätte melden sollen, gab der Erstbeschwerdeführer an, dass eine Adresse angegeben gewesen sei; es habe sich um ein Schreiben ohne Stempel gehandelt.

 

Auf Nachfrage, weshalb die Familie des Erstbeschwerdeführers nunmehr, seit dem letzten rechtskräftigen Verfahren, in Tschetschenien gesucht würde, brachte dieser vor, dass seine ganze Familie am ersten und zweiten Tschetschenienkrieg beteiligt gewesen sei. Ein Bruder sei bei diesen Kriegshandlungen ums Leben gekommen und hätten auch viele seiner Cousins gekämpft. Ein Bruder des Erstbeschwerdeführers sei seit 2002 spurlos verschwunden; er sei mit einem Panzer mitgenommen worden und gelte seither als vermisst. Der Erstbeschwerdeführer selbst habe zwar nie an Kriegshandlungen teilgenommen, habe aber mit allen möglichen Mitteln seinen Landsleuten geholfen.

 

Die Frage, ob es seiner Meinung nach einen Zusammenhang zwischen der Festnahme des Onkels und seinen Fluchtgründen aus dem Jahr 2016 gebe, bejahte der Erstbeschwerdeführer. Die Männer von Kadyrow würden versuchen über die Familie jene Personen zu finden, die sie brauchen.

 

Nachgefragt, ob er zu den aktuellen Länderfeststellungen eine Stellungnahme abgeben wolle, brachte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen vor, in Russland gebe es keine Gesetze, es gebe keine Gerechtigkeit und die armen Menschen würden vom Staat nicht geschützt werden. Insbesondere die Tschetschenen hätten in Russland praktisch keine Rechte.

 

Über Nachfrage des Rechtsvertreters führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass sein Onkel im Jänner 2018 mitgenommen worden sei. Er selbst habe im März davon erfahren. Anfang März hätten sie auch von dem Brief Kenntnis erlangt. Das Haus sei dann in der Nacht von 24. auf 25. März zerstört worden. Der Beschwerdeführer habe Ende März davon erfahren, als dies seine Frau von ihrer Schwester gehört habe.

 

Nachgefragt, ob er das Haus beschreiben könne, gab der Erstbeschwerdeführer an, es handle sich um ein altes zweistöckiges Gebäude, welches aus Ziegeln gebaut sei. Rundherum seien Berge. Die Farbe des Hauses könne er nicht angeben, es sei ein Ziegelhaus und die Wände innen seien weiß.

 

2.7. Am 21.6.2018 wurde auch die Zweitbeschwerdeführerin zum Folgeantrag im Beisein ihres rechtlichen Vertreters und einer Vertrauensperson niederschriftlich einvernommen.

 

Eingangs auf ihren Gesundheitszustand angesprochen, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, in XXXX bei einem Psychologen seit April diesen Jahres in Behandlung zu sein und bei Bedarf auch Beruhigungsmittel zu bekommen. Sie habe diesbezüglich auch ärztliche Unterlagen mitgenommen.

 

Auf den Gesundheitszustand ihrer Kinder angesprochen, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, dass eine ihrer Töchter unter Haarausfall leide, wenn diese Stress habe.

 

Die Fragen, ob sich seit der Rechtskraft des letzten Verfahrens eine Änderung der familiären Verhältnisse oder des Privatlebens ergeben habe, verneinte die Zweitbeschwerdeführerin.

 

Auf entsprechende Nachfrage gab die Zweitbeschwerdeführerin an, ihren Lebensunterhalt von der Grundversorgung zu finanzieren. Im Heimatland habe sie gearbeitet.

 

Zu den Gründen für die neuerliche Antragstellung befragt, gab die Zweitbeschwerdeführerin zu Protokoll, dass sie und ihre Kinder im Heimatland nunmehr gesucht würden und sie Angst hätten, nach Tschetschenien zurückzukehren. Auch ihre Schwester habe aus Angst bereits ihren Namen ändern lassen.

 

Nachgefragt, ob die Zweitbeschwerdeführerin noch weitere Gründe für die gegenständliche Antragstellung geltend machen wolle, führte sie aus, dass sie glaube, dass ihr dieser Brief geschickt worden sei, um sie ausfindig zu machen. Im Jänner 2018 sei der Onkel ihres Mannes mitgenommen und befragt worden und hätten sie auch schon von diesem wissen wollen, wo sich ihr Ehemann aufhalte. Zurzeit wüssten sie nicht, wo sich der Onkel befinde.

 

Nachgefragt, wer die Personen seien, von denen sie spreche, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, es handle sich um einen Freund von Kadyrow und seine Männer. Diese würden sie suchen.

 

Damit konfrontiert, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin bereits seit Anfang 2016 in Österreich aufhalte und erst nunmehr gesucht werde, brachte diese vor, dass sie vermutlich auch schon früher gesucht worden seien.

 

Auf die Frage, was der Erstbeschwerdeführer angestellt habe, brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, dass ein Bruder von ihm umgebracht worden sei und der andere seit 16 Jahren verschollen sei. Scheinbar sei der Erstbeschwerdeführer gegen Kadyrow und dies sei unverzeihlich.

 

Über weiteres Befragen gab die Zweitbeschwerdeführerin an, von der Zerstörung des Hauses ungefähr Anfang März erfahren zu haben. Am 25.3.2018 sei sie von ihrer Schwester per WhatsApp darüber informiert worden, dass das Haus vernichtet worden sei.

 

2.8. Am 21.6.2018 wurde außerdem die minderjährige Drittbeschwerdeführerin im Beisein ihrer Mutter, einer Vertrauensperson und eines rechtlichen Vertreters vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

 

Dabei gab diese eingangs auf ihren psychischen und physischen Zustand angesprochen an, dass es ihr "normal" gehe und sie sich dazu in der Lage fühle, die an sie gestellten Fragen zu beantworten. Sie sei während ihres Aufenthaltes in Österreich bislang einmal bei einem Zahnarzt aufgrund von Zahnschmerzen, einmal wegen einer Allergie in einem Krankenhaus und darüber hinaus aufgrund von Ohrenschmerzen bei einem Allgemeinmediziner in Behandlung gewesen. Derzeit habe sie keine Beschwerden.

 

Auf die Frage, ob sich seit der Rechtskraft im letzten Verfahren eine Änderung ihrer familiären Verhältnisse ergeben habe, führte die minderjährige Drittbeschwerdeführerin aus, ihre Mutter habe "einen Strafzettel" aus Tschetschenien erhalten. Dies habe sie von ihrer Schwester erfahren. Darüber hinaus sei ihr Haus vernichtet und zerstört worden. Anfang des Frühlings habe ihrer Schwester aufgrund der Stresssituation wieder Haarausfall bekommen. Ihre Eltern würden psychologisch betreut.

 

Hinsichtlich ihres Privatlebens gab sie an, noch mehr Freunde in der Schule gefunden zu haben. Sie habe hier sehr gute und enge freundschaftliche Beziehungen und sei auch auf Projektwoche im XXXX gewesen.

 

Nach den Gründen für die neuerliche Antragstellung befragt, gab die minderjährige Drittbeschwerdeführerin zu Protokoll, dass Frauen in Tschetschenien praktisch ohne Rechte seien und sehr benachteiligt und schlecht behandelt würden. Sie habe Angst, dass sie Opfer dieser unmenschlichen Behandlung von Frauen werden. Man könne sie auch ohne Einverständnis ihrer Eltern und gegen ihren Willen zwangsverheiraten. Darüber hinaus habe sie Angst um ihre Zukunft.

 

Näher zu der Zerstörung des Hauses befragt, brachte die minderjährige Drittbeschwerdeführerin vor, alles von ihrer Mutter erfahren zu haben. Sie habe gar nicht mehr wissen wollen, um sich nicht zu stressen. Dass der Brief gekommen ist, habe sie Anfang März erfahren; über die Zerstörung sei sie Ende März informiert worden. Es habe sich um ein großes Haus auf einem Berg gehandelt; an die Farbe könne sie sich nicht mehr erinnern; sie glaube, es handle sich um ein hellblaues Haus. Ihre Mutter und ihre Schwestern seien dort gemeldet gewesen; früher hätten dort ihre Großeltern mütterlicherseits gelebt.

 

2.9. Am 29.6.2018 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführer verfasste Stellungnahme zur Einvernahme vom 21.6.2018 ein. Im Hinblick auf die psychische Erkrankung wurde vorgetragen, dass die Abschiebung nach Tschetschenien die Gefahr einer Art 3 EMRK-widrigen Traumatisierung "verbunden mit Suizidalität" mit sich bringe. Jedenfalls sei (auch hinsichtlich der Gefahr der Zwangsverheiratung der Töchter) ein neues Vorbringen erstattet worden. Sollten Zweifel an der faktischen Richtigkeit des neuen Vorbringens bestehen, wurden (nicht weiter substantiiert) "Erhebungen vor Ort" und die Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens beantragt.

 

Gleichzeitig wurden eine Kursbesuchsbestätigung für einen Deutschkurs für Asylwerber auf dem Niveau B1, Teil 2 von XXXX . Dezember 2017 bis XXXX . Jänner 2018, ein Zertifikat des ÖSD vom XXXX , wonach der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin die Deutschprüfung auf dem Niveau B1 nicht bestanden haben, sowie ein Befund des psychiatrischen Ambulanzzentrums des XXXX vom 25.6.2018, betreffend den Erstbeschwerdeführer, in Vorlage gebracht. In dem Befund wird als Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung" und "schwere depressive Episode mit Suizidalität" gestellt. Unter aktuelle Situation ist unter anderem erwähnt, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers voraussichtlich abgelehnt werde und wird inhaltlich auf das Asylvorbringen rekurriert. Erwähnt ist auch, dass die Viertbeschwerdeführerin angekündigt habe, sich im Falle einer Rückkehr töten zu wollen.

 

2.10. Am 5.7.2018 wurde der Erstbeschwerdeführer erneut vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Anwesenheit von Rechtsberatern niederschriftlich einvernommen.

 

Auf die Frage, ob er bezüglich der zuletzt stattgefundenen Einvernahme Korrekturen oder Ergänzungen vorbringen wolle, führte der Erstbeschwerdeführer aus, noch angeben zu wollen, dass er einen Psychologen besucht habe, der ihm Tabletten verschrieben habe. Wenn er diese einnehme, fühle er sich gut. Er habe bereits alle ärztlichen Unterlagen in Vorlage gebracht.

 

Darüber hinaus wolle er erwähnen, dass sie vor einer Woche eine Sprachnachricht erhalten hätten. An den genauen Tag könne er sich nicht erinnern, es sei aber letzte Woche am Donnerstag oder Freitag gewesen. Sie hätten dann ihre Vertrauensperson gebeten, diese an den Anwalt weiterzuleiten und seien die Zweitbeschwerdeführerin und die Tochter dann auch zur Polizei gegangen, um Anzeige zu erstatten. Heute um 13 Uhr solle der Erstbeschwerdeführer bei der Polizei Angaben dazu machen. Von wem die Nachricht stamme, wisse er nicht. Der unbekannte Mann habe gesagt, dass er alles über den Erstbeschwerdeführer wisse und schon auf seine Rückkehr warte. In Österreich fühle er sich in Sicherheit.

 

2.11. Am 5.7.2018 wurde auch die Zweitbeschwerdeführerin erneut vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Anwesenheit von Rechtsberatern niederschriftlich einvernommen.

 

Sie brachte eingangs vor, bei ihren bisherigen Angaben zu bleiben und keine Korrekturen vornehmen zu wollen.

 

Auf ihren Gesundheitszustand angesprochen, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, in XXXX bei einem Psychologen gewesen zu sein. Sie nehme nunmehr Tabletten ein, die ihr vom Arzt verschrieben worden seien.

 

Damit konfrontiert, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 AVG zurückzuweisen, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, mittlerweile eine Sprachnachricht erhalten zu haben. Diese sei an ihren Mann gerichtet gewesen, aber auf ihr Telefon geschickt worden. Diese Person habe russisch gesprochen, ihre Tochter habe diese dann ins Deutsche übersetzt. Ihre Tochter und ihr Mann müssten heute noch zur Polizei, um Aussagen zu machen.

 

Zu ihrer Tätigkeit im Heimatland befragt, führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, zunächst in Inguschetien und dann in Tschetschenien Geschäfte geführt zu haben. Es habe sich dabei um hochwertige Herrenbekleidungsgeschäfte gehandelt. Dort sei sie wie eine tschetschenische Frau gekleidet gewesen, weil man sich dort nicht anders anziehen könne. Sie habe ein Kopftuch getragen und auch ihre Kinder seien, als sie zur Schule gegangen seien, dazu gezwungen worden, ein Kopftuch zu tragen. Nachgefragt, ob die Probleme mit dem Kopftuch bereits vor ihrer Ausreise bestanden hätten, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass dies damals auch schon so gewesen sei, nunmehr jedoch strenger geworden sei. Es gebe Fälle, in denen ein beispielsweise 60-jähriger Mann, der Kadyrow persönlich kenne, zu diesem sage, dass ihm ein etwa 13- bis 15-jähriges Mädchen gefalle und werde dieses Mädchen dann ohne Zustimmung ihrer Eltern einfach mitgenommen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, diese Informationen zu haben, da sie selbst dort gelebt und persönlich davon gehört habe. Bislang habe sie im Verfahren dazu keine Angaben gemacht, da sie nicht dazu befragt worden sei.

 

Über Nachfrage des Rechtsvertreters gab die Zweitbeschwerdeführerin zu Protokoll, dass eine Frau in Tschetschenien gar keine Rechte habe. Sie rauche nunmehr, was in Tschetschenien als großes Verbrechen angesehen werde. In Tschetschenien dürften Frauen keine Meinung äußern und hätten dort keine Rechte.

 

2.12. Am 5.7.2018 wurde auch die minderjährige Drittbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

 

Eingangs dazu befragt, ob sie Korrekturen oder Ergänzungen vornehmen wolle, führte sie aus, dass das zerstörte Haus von außen ein Ziegelhaus und innen hellblau sei.

 

Gesundheitlich gehe es ihr gut, sie sei seit dem letzten Termin einmal beim Arzt gewesen, da sie aufgrund eines Sturzes Probleme mit ihrem Fuß gehabt habe; nunmehr passe aber alles und bestünden keine gesundheitlichen Probleme.

 

Die Frage der Rechtsberaterin, ob sie immer so gekleidet sei, wie heute, bejahte die minderjährige Drittbeschwerdeführerin; sie trage hier, anders als in Tschetschenien, westliche Kleidung.

 

Im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien würde ihr nichts Gutes passieren, wenn sie so gekleidet sei. Dort müssten sie ein Kopftuch und lange Kleider tragen und auch beten. Dies wäre nicht überall in Russland, sondern nur im Kaukasus der Fall.

 

Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin brachte weiters vor, dass vor einigen Tagen auf das Telefon ihrer Mutter eine Sprachnachricht geschickt worden sei, in der die ganze Familie bedroht worden sei. Sie seien gestern zur Polizei gegangen und hätten den Inhalt ins Deutsche übersetzt. Heute um 13 Uhr müsse ihr Vater bei der Polizei erscheinen.

 

Darüber hinaus wolle sie erwähnen, dass in letzter Zeit ihre Eltern und ihre Schwester XXXX an Panikattacken leiden würden und viele Tabletten einnehmen würden.

 

Ergänzend wolle sie noch, wie schon beim letzten Mal, anführen, dass ihre Schwestern und sie im Falle einer Rückkehr eine Zwangsverheiratung erwarte und ihre Eltern entweder eingesperrt oder getötet würden.

 

Auf die Frage, ob diese Probleme in ganz Russland bestünden, gab die minderjährige Drittbeschwerdeführerin an, dass diese Probleme nur im Kaukasus gegeben seien. In anderen Teilen Russlands müsse man auch kein Kopftuch tragen.

 

2.13. Am 6.7.2018 wurden vom Rechtsberater der Beschwerdeführer eine Kopie der Zeugenvernehmung des Erstbeschwerdeführers vom 5.7.2018 vor der LPD XXXX sowie diverse Fotos (diese zeigen die Zweitbeschwerdeführerin in westllicher Kleidung in ihrem Geschäft in Tschetschenien) an die Behörde übermittelt. Bei der Zeugeneinvernahme wegen des Verdachts der gefährlichen Drohung wurde seitens des Erstbeschwerdeführers vorgetragen, dass seine Frau vor kurzem eine Sprachnachricht erhalten habe, wonach die gesamte Familie bedroht werde (Übersetzung As. 147). Er vermute, dass die Bedrohung von Leuten von Kadyrov ausgehe und wiederholte inhaltlich Teil des im Asylverfahren erstatteten Vorbringens.

 

2.14. Am 17.7.2018 wurde ein Brief der XXXX adressiert an den Bundespräsidenten an das Bundesamt übermittelt.

 

2.15. Mit Verfahrensanordnung vom 17.9.2018 wurde den Beschwerdeführern ein Rechtsberater gemäß § 52 AVG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

 

2.16. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 17.9.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 10.6.2018 hinsichtlich des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Den Beschwerdeführern wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde gemäß § 55 Abs 1 FPG ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht. Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG wurde gegen die Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

 

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass sich die Ausführungen der Beschwerdeführer auf ein bereits rechtskräftig als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen stützen beziehungsweise die gegenwärtigen Angaben auf ein solches aufbauen. Darüber hinaus enthalte das Vorbringen keinen glaubhaften Kern und seien Widersprüche der Beschwerdeführer aufgetreten.

 

Zum Privatleben wurde ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführer nunmehr seit Jänner 2016 in Österreich aufhielten und familiäre oder andere besonderes enge Anknüpfungspunkte in Österreich nicht bestünden.

 

Betreffend das verhängte Einreiseverbot wurde argumentiert, dass die Beschwerdeführer ihrer Ausreise- beziehungsweise Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen seien und daher unter den Anwendungsbereich des Art 11 der Rückführungsrichtlinie fielen. Abgesehen davon würden sie seit ihrer Einreise im Jänner 2016 ausschließlich aus Mitteln der öffentlichen Hand leben, sodass auch § 53 Abs 2 Z 6 FPG erfüllt sei.

 

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde die folgenden Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation:

 

"1. Politische Lage

 

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3 .2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3 .2017a, vgl EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3 .2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

 

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3 .2017a).

 

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl AA 3 .2017a).

 

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.1. Tschetschenien

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl RFE/RL 19.1.2015).

 

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grosny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

2. Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

 

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

 

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

 

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

 

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

 

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.1. Nordkaukasus allgemein

 

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen - besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

 

In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017).

 

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2016).

 

Im ersten Quartal des Jahres 2017 gab es im Nordkaukasus 45 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 36 Todesopfer (25 Aufständische, 11 Exekutivkräfte) und neun Verwundete (sieben Exekutivkräfte, zwei Zivilisten). In Tschetschenien wurden im selben Zeitraum elf Exekutivkräfte und 17 Aufständische getötet, zwei Zivilisten und sechs Exekutivkräfte wurden verletzt. In Dagestan wurden im selben Zeitraum acht Aufständische getötet und ein Polizist verletzt. In Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschay-Tscherkessien, Nordossetien-Alania und im Stavropol Gebiet gab es im selben Zeitraum keine Opfer (Caucasian Knot 15.5.2017).

 

Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 287 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 258; 2014: 525 Opfer). 202 davon wurden getötet (2015: 209; 2014: 341), 85 verwundet (2015: 49; 2014: 184) (Caucasian Knot 2.2.2017). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

2.2. Tschetschenien

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).

 

2016 gab es in Tschetschenien 43 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 30; 2014: 117), davon 27 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 2.2.2017).

 

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat einen Anschlag auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien für sich reklamiert. Sechs Angreifer hätten am Freitag, den 24.3.2017 eine Militärbasis der russischen Nationalgarde nahe dem Dorf Naurski im Nordwesten Grosnys in Tschetschenien gestürmt. Alle Angreifer seien bei den mehrstündigen Kämpfen auf dem Stützpunkt getötet worden (Zeit Online 24.3.2017). Nach Armeeangaben wurden bei dem Angriff auch sechs russische Nationalgardisten getötet. Die Nationalgarde erklärte, der Angriff sei in den frühen Morgenstunden bei dichtem Nebel erfolgt. Die Soldaten auf dem Stützpunkt hätten den Angriff zurückgeschlagen. Außer den Toten habe es auch Verletzte gegeben. Die im vergangenen Jahr gebildete Nationalgarde ist direkt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt. Sie hat den Auftrag, Grenzen zu schützen und Extremisten zu bekämpfen (Focus Online 24.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

3. Rechtsschutz/Justizwesen

 

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassung, Zivil, Administrativ und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten (lt. Amnesty International in 0,5% der Fälle) zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen. 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte. Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass wenn der EGMR von einer Konventionsauslegung ausgeht, die der Verfassung der Russischen Föderation widerspricht, Russland in dieser Situation aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang sind. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings weiterhin um Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2016, vgl AA 24.1.2017).

 

Am 7. Juli 2016 wurden die unter dem Begriff Yarovaya-Paket zusammengefassten Änderungen der Gesetze zur Bekämpfung des Extremismus in Kraft gesetzt. Die geänderten Rechtsvorschriften waren zu weiten Teilen unvereinbar mit Russlands internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte. So wurden alle missionarischen Aktivitäten außerhalb eigens dazu bestimmter religiöser Institutionen verboten und Provider dazu verpflichtet, den gesamten Nachrichtenverkehr sechs Monate lang und alle Metadaten drei Jahre lang zu speichern. Zudem wurde die Höchststrafe für extremistische Delikte von vier auf acht Jahre und für Anstiftung zur Beteiligung an Massenunruhen von fünf auf zehn Jahre Haft angehoben. Am 16. November 2016 kündigte Präsident Putin an, dass Russland nicht länger beabsichtige, Vertragsstaat des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zu werden. Russland hatte das Statut im Jahr 2000 unterschrieben, jedoch nie ratifiziert (AI 22.2.2017).

 

Im November 2013 ist in Russland ein Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind (CACI 11.12.2013, vgl US DOS 3.3.2017).

 

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Es gibt Bestrebungen zu einer weiteren Entkriminalisierung leichterer Straftaten, bislang allerdings ohne konkrete Ergebnisse. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. Für zu lebenslange Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Trotz der Entlassung von Michail Chodorkowski und den Mitgliedern der Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot aus der Haft - bezeichnenderweise nicht durch die Justiz selbst, sondern durch Amnestie bzw. Begnadigung - bleiben deren Haftstrafen Beispiele für politisch motivierte Urteile. Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

3.1. Tschetschenien

 

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

 

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, ein Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

 

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013, vgl US DOS 3.3.2017). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 24.1.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenen, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 24.1.2017).

 

Auch 2016 übte die tschetschenische Führung unmittelbaren Druck auf die Justiz aus. Am 5. Mai berief Ramzan Kadyrov eine Versammlung aller Richter ein und zwang vier von ihnen zum Rücktritt. Eine Reaktion seitens der Behörden der Russischen Föderation gab es darauf nicht (AI 22.2.2017).

 

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3.2. Änderung Staatsbürgerschaftsgesetz

 

Mit dem Föderalen Gesetz Nr. 182 vom 12.11.2012 wurde das Gesetz "Über die Staatsbürgerschaft der RF" geändert, wobei die wichtigsten Änderungen in einem neuen Kapitel des Gesetzes "Über die Staatsbürgerschaft der RF" (i.e. Kapitel VIII.1, Artikel 41) enthalten sind. Diese Änderungen bringen vor allem für staatenlose ehemalige Sowjetbürger Erleichterungen bei Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit. Konkret sind Personen, die am 5.9.1991 Staatsbürger der UdSSR waren und sich vor dem 1.11.2002 in der Russischen Föderation niedergelassen haben, die russische Staatsangehörigkeit bislang nicht erworben haben und unter der Voraussetzung, dass sie nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates besitzen oder eine Niederlassungsbewilligung in einem anderen Staat besitzen, beim Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit nunmehr von bestimmten allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen ausgenommen. Nicht erforderlich sind in diesem Fall 5 Jahre dauerhafte Niederlassung in der RF, der Nachweis einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung, der Nachweis eines legalen Einkommens und der Nachweis der Kenntnis der russischen Sprache. Personen, die keine Ausweisdokumente besitzen, wird ein temporäres Ausweisdokument ausgestellt, das für die Dauer der Bearbeitung des Staatsbürgerschaftsantrages gültig ist. Das Gesetz verbessert damit die Situation von staatenlosen Personen, die kein Ausweisdokument und keinen Nachweis einer legalen Niederlassung haben, was in der Vergangenheit zu Problemen beim Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit geführt hatte. Die Bestimmungen von Kapitel VIII.1 des Gesetzes "über die Staatsbürgerschaft der RF" sollen bis 1.1.2017 angewendet werden (ÖB Moskau 29.5.2013).

 

Quellen:

 

 

4. Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Im April 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 3.3.2017).

 

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (US DOS 13.4.2016).

 

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 24.1.2017).

 

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenith 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramsan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017).

 

NGOs berichten, dass lokale Polizeibeamten manchmal nicht auf Anzeigen von Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt reagieren, solange das Leben des Opfers nicht in Gefahr ist. Viele Frauen melden keine Vergewaltigungen oder andere Arten von Gewalt, besonders wenn sie von Ehepartner begangen wurden, aufgrund des sozialen Stigmas und dem Mangel an offizieller Unterstützung (US DOS 3.3.2017, vgl EASO 3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

5. Folter und unmenschliche Behandlung

 

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von

Artikel 21.2 der Verfassung und Art 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2016, vgl EASO 3.2017).

 

Aus ganz Russland werden Folter und Todesfälle von Häftlingen - insbesondere in Polizeigewahrsam oder in Untersuchungshaft - gemeldet. NGOs wie "Amnesty International" oder das russische "Komitee gegen Folter" berichten, dass es bei Verhaftungen, in Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung durch die Polizei und die Ermittlungsbehörden kommt. Opfer, die ihr Recht auf Entschädigung geltend machen wollten, wurden häufig unter Druck gesetzt, um sie zu einer Rücknahme ihrer Klage zu bewegen. Untersuchungen von Foltervorwürfen blieben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben. Es gibt v.a. im Nordkaukasus Fälle von Folter sowie Straflosigkeit für Vergehen der Sicherheitskräfte (AA 24.1.2017).

 

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 3.3.2017).

 

Auch 2016 waren systematische Folter und andere Misshandlungen in den ersten Tagen der Haft und in Gefängniskolonien weit verbreitet (AI 22.2.2017).

 

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

6. Korruption

 

Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen sowie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Regulationen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption. Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland. In der Folge wird der Rechtsstaat unterlaufen und der Zugang zum Gesundheitswesen - außer der Notfallversorgung - hängt zu einem großen Teil von den finanziellen Mitteln der Patienten und ihres sozialen Umfeldes ab (SEM 15.7.2016).

 

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. In einigen Fällen scheint der Kreml Signale an die Beamten auszusenden, dass die Korruption aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Probleme eingeschränkt werden muss (FH 27.1.2016). Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, diese bleibt dennoch ein weitreichendes Problem. Die Regierung bestätigte, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte sind in korrupte Praktiken involviert. Korruption ist sowohl in der Exekutive, als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 3.3.2017, vgl EASO 3.2017). Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Obwohl es strafrechtliche Verfolgungen von Bestechung gibt, ist der Vollzug im Allgemeinen weiterhin mangelhaft. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen. Laut einem Bericht vom September 2015 in der Zeitung Izvestiya nahm die Korruption um 6,5% zu. 2015 wurden 32.000 Fälle von Korruption registriert, davon endeten 13.000 mit Verurteilungen. Im Jahr 2016 führte die Regierung Gesetze ein, die Strafzahlungen für "kleine gewerbliche Bestechlichkeit" und für "Vermittlung von kleiner gewerblicher Bestechlichkeit" beinhalten. Die Gesetze gelten für Bestechungen, die 10.000 Rubel nicht übersteigen (USDOS 3.3.2017).

 

Seit seinem Amtsantritt verspricht Wladimir Putin immer wieder aufs Neue konsequente Korruptionsbekämpfung, Jahr für Jahr werden neue Bekämpfungskonzepte vorgelegt, während sich die Eliten ungestört und vor aller Augen bereichern - Korruption gehört eben zum Leben dazu. Ein Drittel der Russen hält sie laut einer Umfrage des Lewada-Instituts generell für unausrottbar (Zeit Online 18.1.2016).

 

Korruptionsbekämpfung gilt seit 2008 als prioritäres Ziel der Zentralregierung. Bis 2012 wurde die dafür notwendige Gesetzesgrundlage geschaffen. Beispielsweise wurden die Sanktionen festgelegt. Aufsichtsbehörden erhielten mehr Befugnisse, darunter die Finanzkontrolle, die Generalstaatsanwaltschaft und der Geheimdienst (FSB). Es wurden vermehrt Überprüfungen eingeleitet. In der Folge stieg die Anzahl Strafverfahren. Zu Beginn richteten sie sich hauptsächlich gegen untere Chargen, seit 2013 jedoch auch gegen hochrangige Beamte und Politiker, wie einzelne Gouverneure, regionale Minister und stellvertretende föderale Minister und einen früheren Verteidigungsminister. Positiv bewertete die russische Zivilgesellschaft die 2009 geschaffenen Gesetze, welche die staatliche Behörden und die Justiz verpflichteten, über ihre Aktivitäten zu informieren. Im Zusammenhang mit der Korruptions-Bekämpfung entstanden zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die ab 2011 einen gewissen Einfluss auf die Arbeit der Behörden ausüben konnten und erreichten, dass das Handeln von Dienststellen und Gerichten teils transparenter wurde. In einzelnen Bereichen der Verwaltung wurde die Korruption reduziert, oft abhängig von einzelnen integren und innovativen Führungsfiguren. Beobachter gehen jedoch einig, dass sich die Situation nicht substantiell verbessert hat. Am endemischen Charakter der Korruption in der Verwaltung hat sich bisher nichts geändert. Das gilt auch für das Justizsystem und für die Polizei, die 2011 reformiert wurde. Die Gründe für den Misserfolg sind vielschichtig. Auf höchster Ebene scheint die russische Führung kein echtes Interesse an der Korruptions-Bekämpfung zu haben, da sie selber vom korrupten System profitiert. Externe Beobachter kritisieren, der Kreml nutze Anti-Korruptions-Maßnahmen, um Gegner zu schwächen und die Elite zu kontrollieren. Aufsehenerregende Fälle dienten dazu, die Popularität des Präsidenten in der Bevölkerung zu stärken. Im Verwaltungsapparat sind die konkreten Regeln zur Korruptionsbekämpfung unterentwickelt, es fehlen zum Beispiel Mechanismen zur Integritätsprüfung der Mitarbeitenden. Institutionen zur Korruptionsbekämpfung sind laut BTI zwar oft mit kompetenten Personen besetzt, es fehlen ihnen jedoch die Kompetenz und die Ressourcen um effektiv zu handeln. Laut Elena Panfilova, ehemalige Direktorin von Transparency International Russland, herrscht unter russischen Beamten und dem Justizpersonal kein Verständnis für die Problematik von Interessenskonflikten, vielmehr scheinen verwandtschaftliche und freundschaftliche Gefälligkeiten wichtiger als die berufliche Integrität. Durch korrupte Praktiken sind Abhängigkeiten zwischen Mitarbeitenden, zwischen Personen in verschiedenen Hierarchiestufen und zwischen Institutionen entstanden. Solche "verfilzten Strukturen" blieben völlig unkontrolliert und weil jeder jeden deckt ist eine systematische Aufarbeitung kaum möglich. In der Verwaltung werden deshalb im Vergleich zur Anzahl Staatsangestellter relativ wenige Strafverfahren wegen Korruption eingeleitet, auch weil die Gerichte selber korruptionsanfällig sind. Zu Schuldsprüchen kommt es selten, wenn doch, ist das Strafmaß vielfach tief oder wird insbesondere bei hohen Geldbußen nicht vollstreckt. Auf weitere Institutionen, die zur Korruptionsbekämpfung notwendig sind - unabhängige Gerichte, freie Medien und die Zivilgesellschaft -, wird vermehrt Druck ausgeübt. Auch im Nordkaukasus beschränken sich Anti-Korruptionskampagnen vor allem auf einzelne aufsehenerregende Festnahmen von Beamten. Es ist davon auszugehen, dass Ramsan Kadyrow Korruptionsbekämpfung dazu nutzt, um gegen unliebsame Personen vorzugehen. Die tschetschenische Staatsanwaltschaft bestätigt 2014, dass es in Anbetracht des Ausmaßes des Problems zu vergleichsweise wenigen Strafverfahren kommt. Und diese endeten oft ohne Schuldspruch. Häufig betreffen sie Alltagskorruption, das heißt, die unteren Chargen der Verwaltung. Laut Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden, befragt durch ICG, sind die Polizisten, die in Korruptionsfällen ermitteln, selber korrupt. Um gegen Korruption innerhalb der Polizei vorzugehen, wurden die Löhne erhöht. Die erforderliche Summe, um eine Stelle bei der Polizei zu erhalten, blieb jedoch derart hoch, dass die Abhängigkeit von informellen Zahlungen weiterhin bestand. Die Lohnerhöhungen brachten deshalb keine substantiellen Verbesserungen. Eine Kontrolle durch die Zivilgesellschaft ist in Tschetschenien noch weniger gegeben als im übrigen Russland, da Nichtregierungsorganisationen seit Jahren stark unter Druck stehen und die Bevölkerung tendenziell versucht, jeglichen Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden (SEM 15.7.2016).

 

Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew ist wegen mutmaßlicher Korruption von Präsident Putin entlassen worden. Zuvor war er festgenommen worden. Der 60-Jährige soll im Zusammenhang mit einem großen Übernahmegeschäft zwei Millionen US-Dollar (rund 1,85 Millionen Euro) Schmiergeld angenommen haben. Das Vorgehen gegen einen amtierenden Minister gilt als beispiellos. Uljukajew ist der hochrangigste Politiker, der seit 1991 in Russland verhaftet wurde (Zeit Online 15.11.2016).

 

Korruption ist auch im Nordkaukasus ein alltägliches Problem (IAR 31.3.2014, AI 9.2013). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014).

 

Die Korruption ist in Tschetschenien sogar noch größer als in Russland. Vor allem geht in Tschetschenien die Korruption auch in einer ganz offenen Weise von statten. Während man in Russland noch versucht, dies zu verheimlichen, macht man es in Tschetschenien ganz offen (Gannuschkina 3.12.2014, vgl SEM 15.7.2016). In Tschetschenien hat die Korruption enorme Ausmaße angenommen (DIS 1.2015). Große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nord-Kaukasus beispiellos (IOM 6.2014).

 

Im Corruption Perception Index 2016 von Transparency International befindet sich Russland auf Platz 131 von 176 Staaten (TI 27.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

7. Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

 

Inländische und ausländische NGOs geraten zunehmend unter Druck. Auf Basis des sogenannten NGO-Gesetzes aus 2012 müssen sich russische NGOs, die politisch aktiv sind und aus dem Ausland Finanzmittel erhalten, in ein vom Justizministerium geführtes Register der ausländischen Agenten eintragen. Die davon betroffenen NGOs haben verstärkte Berichtspflichten gegenüber dem Justizministerium (was besonders für kleinere Organisationen ein kaum zu bewältigender Verwaltungsaufwand darstellt) und müssen alle Publikationen mit der Kennzeichnung "ausländischer Agent" markieren. Organisationen, die sich gegen eine Eintragung wehren, haben mit hohen Geldstrafen zu rechnen bzw. können aufgelöst werden. 2016 wurde die NGO Agora, eine Vereinigung von Menschenrechtsanwälten, als erste Organisation aufgrund von Nichterfüllung des NGO-Gesetzes aufgelöst. Ein positiver Schritt wurde im März 2015 gesetzt, als im Zuge einer Abänderung des NGO-Gesetzes die Möglichkeit geschaffen wurde, Organisationen aus dem Register zu streichen, wenn sie nachweisen können, keine ausländischen Finanzmittel mehr zu erhalten (Anm: die NGOs bleiben jedoch trotzdem in dem vom Justizministerium geführten Register und erhalten dort den Zusatz, dass sie nicht mehr die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllen). Nach langen Protesten wurde das NGO-Gesetz im Mai 2016 erneut von der Duma überarbeitet, um den Begriff "politische Aktivität" genauer zu definieren. Experten zufolge ist die Definition jedoch nach wie vor unzulänglich. Weiters wurden im Zuge der Gesetzesanpassung wohltätige Organisationen vom NGO-Gesetz ausgenommen. Der VN Hochkommissar für Menschenrechte Zeid Ra'ad Al Hussein rief im Juni 2016 die russischen Behörden vor dem MRR in Genf dazu auf, das NGO-Gesetz abzuändern. Auch die Venedig-Kommission des Europarats rief im Juni 2016 zu Abänderungen im NGO-Gesetz sowie im Gesetz über unerwünschte ausländische Organisationen auf (ÖB Moskau 12.2016, vgl GIZ 4.2017a, AA 24.1.2017).

 

Im Mai 2015 wurde ein Gesetz angenommen, das es erlaubt die Tätigkeit von ausländischen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, die eine Bedrohung für die verfassungsmäßigen Grundlagen der Russischen Föderation, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen, auf dem Territorium der Russischen Föderation für unerwünscht zu erklären. Die Klassifizierung als unerwünschte Organisation zieht ein Verbot der Gründung bzw. die Liquidierung bereits bestehender Strukturen der ausländischen NGO in Russland nach sich, sowie ein Verbot der Verteilung von Informationsmaterialien bzw. der Durchführung von Projekten der NGO (ÖB Moskau 12.2016, vgl AI 24.2.2016). Weiters ist es russischen Banken verboten, Finanzoperationen durchzuführen, wenn eine Seite als unerwünschte NGO eingestuft wurde. Die Verbote betreffen nicht nur die NGO selbst, sondern auch Personen, die sich an ihrer Tätigkeit beteiligen. Menschenrechtler gehen daher davon aus, dass das Gesetz indirekt auch gegen die russische Zivilgesellschaft gerichtet ist. Das Gesetz sieht Geldstrafen sowie bei wiederholter Verletzung eine Freiheitsstrafe von 2-6 Jahren vor. Derzeit hat das Justizministerium bereits mehrere ausländische Organisationen als in Russland unerwünscht deklariert (National Endowment for Democracy, OSI Assistance Foundation, Open Society Foundation, US Russia Foundation for economic advancement and the rule of law, National Democratic Institute for International Affairs). Um der ausländischen Finanzierung russischer NGOs entgegenzuwirken, werden seit einigen Jahren sogenannte präsidentielle Subventionen vergeben. 2015 wurden auf diesem Weg rund 4,7 Mrd. Rubel (ca. 62,2 Mio. Euro) an Organisationen verteilt, größtenteils an jene mit patriotischer (z.B. der Motorradclub "Nachtwölfe") bzw. sozialer Ausrichtung, in seltenen Fällen auch an jene NGOs, die als ausländische Agenten deklariert worden waren (ÖB Moskau 12.2016).

 

2016 wurde die Liste "ausländischer Agenten" um Dutzende unabhängiger NGOs erweitert, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhielten, darunter auch die Internationale Gesellschaft für historische Aufklärung, Menschenrechte und soziale Fürsorge Memorial. Nach wie vor mussten NGOs, die gegen das Gesetz über "ausländische Agenten" verstießen, mit Geldstrafen rechnen. (AI 22.2.2017). Mit Ende 2016 sind 148 Organisationen im Register für ausländische Agenten verzeichnet (HRW 12.1.2017).

 

Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 4.2017a).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

8. Ombudsmann

 

Nachfolgerin der Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) von Ella Pamfilowa ist Tatjana N. Moskalkowa. Sie war hochrangige Polizeibeamtin und seit 2007 Duma Abgeordnete. Da sie keine Erfahrung als Menschenrechtsaktivistin hat, wurde sie von mehreren Seiten kritisiert (NY Times 22.4.2016, vgl USDOS 3.3.2017).

 

Russland hat in 83 von 85 Regionen regionale Ombudspersonen. Ihre Effektivität variiert erheblich und lokale Behörden unterminieren manchmal die Unabhängigkeit. Laut Jahresbericht 2015 erhielt das Büro 64.189 Beschwerden von Bürgern, staatlichen Organisationen und NGOs. Das ist ein Anstieg um 18% im Vergleich zum Vorjahr (USDOS 3.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

9. Wehrdienst

 

Alle männlichen russischen Staatsangehörigen zwischen 18 und 27 Jahre werden zum Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. 2016 hat das Verteidigungsministerium vor, bis Mitte Juli 155.000 Personen zum Militärdienst und 559 Menschen zum alternativen Zivildienst einzuberufen. Es gibt auch die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (dies steht auch weiblichen Staatsangehörigen offen). Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, die ein Studium absolvieren, oder Väter, die mindestens zwei Kinder haben bzw. Personen, die einen nahen Verwandten pflegen müssen. Anstelle des Wehrdienstes kann ein alternativer Zivildienst abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person ist oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditioneller Lebensweise der Wehrdienst widerspricht. Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate in den russischen Streitkräften bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen. In der Regel soll der Zivildienst außerhalb der Region absolviert werden, in der der Staatsangehörige lebt (ÖB Moskau 12.2016). Jedes Jahr gibt es 2 Einberufungsperioden: eine im Frühjahr (1. April bis 15. Juli) und eine im Herbst (1. Oktober bis 31. Dezember). Es konnte von der ÖB Moskau keine Hinweise gefunden werden, dass aktuell einfache Rekruten im Rahmen ihres Wehrdienstes in aktuellen Konfliktregionen eingesetzt werden. Der "Allgemeine Rat beim Verteidigungsministerium" hat im November 2015 die Entscheidung der Behörde, Grundwehrdiener nicht in Konfliktgebiete zu entsenden, genehmigt. Diese Entscheidung bezieht sich auf Konfliktgebiete innerhalb wie außerhalb Russlands. Es werden nur Zeitsoldaten, die sich vertraglich verpflichtet haben, über den Grundwehrdienst hinaus Dienst in der Armee zu versehen, in Konfliktregionen entsandt (KA der ÖB Moskau 2.11.2016).

 

Wehrpflichtige erhalten zurzeit 2.000 Rubel Monatssold plus Standort- und Gefahrenzulagen. Die im Jahr 2013 eingeleiteten Maßnahmen zur "Humanisierung" und Attraktivitätssteigerung des Wehrdienstes wurden im Berichtszeitraum weiter umgesetzt. Diese Maßnahmen umfassen u. a. die Möglichkeit der heimatnahen Einberufung für Verheiratete, Wehrpflichtige mit Kindern oder Eltern im Rentenalter. Verbesserungen bei der Verpflegung, längere Ruhezeiten sowie die Erlaubnis zur Benutzung privater Mobiltelefone wurden ebenfalls eingeführt. Im Berichtszeitraum [2016] gab es keine offiziellen Verlautbarungen zu Menschenrechtsverletzungen in den Streitkräften der Russischen Föderation. Die NGOs "Komitee der Soldatenmütter" und "Armee.Bürger.Recht" berichten jedoch von Soldaten, die sich aus ganz Russland mit der Bitte um Unterstützung beim Schutz ihrer Rechte an die NGOs wenden. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Menschenrechtslage in den russischen Streitkräften weiterhin problematisch ist. Das "Komitee der Soldatenmütter" äußerte zudem die Befürchtung, dass das neu erlassene Gesetz zur Verlängerung für Auslandseinsätze missbraucht und Wehrpflichtige zur Unterschrift genötigt werden könnten. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige ("Dedowschtschina") kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß der Vergangenheit. Im Jahr 2015 wurde durch Staatspräsident Putin ein Dekret erlassen, dass die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweiterte und seitdem ausdrücklich die Bekämpfung der "Dedowschtschina" sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte umfasst. Eine Gesamtzahl von Todesfällen in den russischen Streitkräften wird nicht veröffentlicht. Mit einem Dekret des Präsidenten vom Mai 2015 wird die Zahl der in Friedenszeiten getöteten Angehörigen des Verteidigungsministeriums zum Staatsgeheimnis. Bei Verstößen drohen bis zu sieben Jahre Haft. Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 24.1.2017).

 

Es gibt in Russland verschiedene Möglichkeiten, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Ein Großteil der Wehrpflichtigen macht von den Regelungen zur Aufschiebung des Wehrdienstes Gebrauch, die in der Praxis oftmals zu einer Annullierung der Wehrpflicht führen. Wehrpflichtige machen häufig von illegalen Praktiken (meist in Form von Zahlung von Bestechungsgeldern an Ärzte) Gebrauch, um sich von der Wehrpflicht zu befreien. Es kommt auch vor, dass sich Wehrpflichtige auf ihr Hochschulstudium berufen, um eine Aufschiebung des Wehrdienstes zu erlangen. Es ist auch möglich, mittels Zahlung von Bestechungsgeldern an gefälschte Dokumente zu kommen, aus denen hervorgeht, dass der Wehrpflichtige die Voraussetzungen für einen Aufschub oder eine Befreiung vom Wehrdienst erfüllt. Laut Verfassung der Russischen Föderation hat jeder Bürger, bei dem Gewissensgründe gegen eine Ableistung des Wehrdienstes vorliegen würden, das Recht auf einen Ersatzdienst von 21 Monaten. Jeder, der für einen Zivildienst in Betracht gezogen werden wolle, müsse dies mindestens sechs Monate vor Dienstantrittsdatum der zuständigen örtlichen Einberufungskommission mitteilen. Diese trifft die Entscheidung darüber, ob dem Antrag auf einen Zivildienst stattgegeben wird. Ein solcher Antrag könne abgewiesen werden, wenn die Kommission zum Schluss kommt, dass keine angemessenen Gewissensgründe vorliegen würden. Weitere Gründe für eine Ablehnung eines Antrags sind die Nichtbeachtung der Frist für die Einreichung des Antrags auf einen Zivildienst, das Vorlegen falscher bzw. gefälschter Dokumente beim Antrag oder das zweimalige Ignorieren einer Aufforderung, bei der Einberufungskommission vorstellig zu werden. Gegen die Abweisung eines Antrags kann gerichtlich Berufung eingelegt werden. Weniger als ein Tausendstel aller Wehrpflichtigen würden von der Möglichkeit Gebrauch machen, um einen Zivildienst anzusuchen (ACCORD 12.11.2014).

 

Auch in der russischen Armee gibt es regelmäßig Vorwürfe wegen der Misshandlung oder Folter von Rekruten. Das Verteidigungsministerium kooperiert mit dem Menschenrechts-Ombudsmann und mit relevanten NGOs, um dies zu verbessern. In den vergangenen Jahren konnten gewisse Fortschritte erzielt werden. So sank laut einem Bericht der Generalstaatsanwaltschaft im Jahr 2014 die Anzahl der gemeldeten Übergriffe von Armeeangehörigen gegenüber Untergebenen um 15%. NGOs wie das "Komitee der Soldatenmütter" betonen, dass trotz gewisser Fortschritte mehr Anstrengungen, insbesondere bei der Verurteilung von Schuldigen sowie bei der Prävention, notwendig seien (ÖB Moskau 12.2016).

 

Das Verteidigungskomitee der Staatsduma hat Abänderungen des Gesetzes über den Militärdienst zugestimmt. Die vom Verteidigungsministerium vorgeschlagenen Änderungen werden es dem Militärpersonal ermöglichen, Dienstverträge mit der russischen Armee für eine Zeitspanne von sechs Monaten bis zu einem Jahr einzugehen. Bis jetzt war die kürzeste Zeitspanne eines Vertrages drei Jahre. Diese Verträge sollen nicht nur mit Reservisten eingegangen werden können, sondern auch mit Wehrpflichtigen, die einen Monat vor Beendigung ihres Dienstes stehen. Laut Gesetzesentwurf gelten diese Kurzzeitverträge nur bei außergewöhnlichen Umständen wie Naturkatastrophen oder Notfällen, wenn zusätzliche Kräfte notwendig sind, um die konstitutionelle Ordnung wieder herzustellen oder den Frieden im Ausland zu erhalten oder wieder herzustellen. In der Erklärung zum Gesetz steht ausdrücklich, dass diese Kurzzeitverträge das durch die veränderte militärisch-politische Situation und durch die verstärkten Aktivitäten von internationalen Terroristen und extremistischen Organisationen entstandene Problem zu lösen. Es geht darum, Einheiten abseits des Standards zu schaffen, die schnell bewaffnet werden können. Die Einführung solcher Einheiten durch das Verteidigungsministerium scheint ein Versuch zu sein, jenen russischen Staatsbürgern, die schon in Syrien und vorher in der Ukraine kämpften, einen legalen Status zu verleihen. Diese Personen werden durch Mittelsmänner angeheuert, um Kampffunktionen auszuüben, jedoch sind ihre Kampfaktivitäten nicht durch momentanes russisches Recht abgedeckt. Es wird auch davon ausgegangen, dass durch diese Kurzzeitverträge der Mangel an Personal im russischen Militär ausgeglichen werden soll. Die russischen Behörden haben wiederholt versprochen, keine Wehrpflichtigen zu Kampfeinsätzen ins Ausland zu schicken. Wohingegen sich die Regierung scheinbar weniger verantwortlich für die Leben seiner Vertragssoldaten fühlt, die ja freiwillig das Leben eines Soldaten gewählt haben. Es scheint also, dass Russland nicht mehr die Verbesserung der Qualität ihres militärischen Personals den Vorrang einräumt, sondern dass einfach die Anzahl an Männern-unter-Waffen, die in den Kampf geschickt werden können, wichtig ist (Jamestown Foundation 9.11.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

9.1. Wehrdienstverweigerung

 

[...]

 

9.2. Wehrdienst im Nordkaukasus

 

[...]

 

10. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art 19 Abs 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art 15 Abs 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

 

 

Rassendiskriminierung (1969)

 

 

Zusatzprotokoll (1991)

 

 

 

Zusatzprotokoll (2004)

 

 

Behandlung oder Strafe (1987)

 

 

 

Die Menschenrechtslage in Russland hat sich weiter verschlechtert. Neben der mangelnden Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten sind v. a. Gewaltakte im Strafvollzug gegenüber Häftlingen und deren unzureichende medizinische Versorgung gravierende Probleme. Die damalige Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) der Russischen Föderation, Ella Pamfilowa, mahnte in ihrem Jahresbericht 2015 unter anderem eine Präzisierung des Begriffes "politische Tätigkeit" im Gesetz über NGOs an. Im Mai 2016 kam es in der Tat zu einer Gesetzesänderung. Seitdem wird allerdings nahezu jede NGO-Aktivität im öffentlichen Raum als "politisch" gewertet. Das hat zur Folge, dass NGOs in das Register "ausländischer Agenten" eingetragen werden können, wodurch sie häufig gezwungen sind, ihre Tätigkeiten massiv einzuschränken oder sogar einzustellen. Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Zuletzt hat er angemahnt, Amnesty International Zugang zu ihren von der Moskauer Stadtverwaltung geschlossenen Büros zu gewähren. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt. Auch der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2015, 14,2% der anhängigen Fälle (9.200 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2015 hat der EGMR 116 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an. Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus und konstatierten mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Hälfte der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. Im Rahmen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch die Russische Föderation wird von teilweise schweren Menschenrechtsverletzungen berichtet. Die OSZE (ODIHR und High Commissioner for National Minorities) berichtete im September 2015 über Einschränkungen der Versammlungs-, Vereinigungs-, Bewegungs- und Meinungsfreiheit. Im Wesentlichen leiden Kritiker der Krim-Annexion, Angehörige der Krim-Tataren, Vertreter des Kiewer Patriarchats der orthodoxen Kirche, der katholischen und protestantischen Kirche sowie der Zeugen Jehovas unter Einschränkungen ihrer Rechte. Im September 2016 wurde die Mejlis, der repräsentative Rat der Krimtataren, vom russischen Obersten Gerichtshof als extremistische Organisation eingestuft und verboten. Diverse Mejlis-Mitglieder erleiden (polizeiliche) Repressalien oder stehen unter Anklage (AA 24.1.2017).

 

Menschenrechtsverletzungen kommen regelmäßig vor. Zwar werden in Russland die Grundrechte in der Verfassung garantiert, es wächst jedoch der Widerspruch zwischen verfassungsrechtlichen Normen und der Rechtswirklichkeit. Die Staatsführung bekennt sich offiziell zur Einhaltung der Menschenrechte, stellt einige jedoch mit Verweis auf "traditionelle russische Werte" infrage (z.B. Nicht-Diskriminierung von LGBT-Personen) und leistet Verletzungen Vorschub (z.B. Stigmatisierung kritischer Stimmen als staatsfeindlich) bzw. bemüht sich nicht ausreichend um Prävention und Strafverfolgung (z.B. Übergriffe gegen Journalisten). Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen bleibt der Nordkaukasus. Im Verlauf des Berichtszeitraumes hat sich trotz rückläufiger Opferzahlen die Sicherheits- und Menschenrechtslage in der Region insgesamt nicht verbessert. Insbesondere in Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien bleibt die Menschenrechtslage schlecht. Die Sorge vor einer möglichen Ausbreitung der Gewalt im bislang relativ ruhigen westlichen Nordkaukasus besteht fort (AA 24.1.2017).

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren im Jahr 2016 verstärkten Einschränkungen unterworfen. Menschenrechtsverteidiger wurden wegen ihrer Aktivitäten mit Geldstrafen belegt oder strafrechtlich verfolgt. Zum ersten Mal kam es wegen eines Verstoßes gegen das sogenannte Agentengesetz zur Strafverfolgung. Eine Reihe von Personen wurde wegen ihrer Kritik an der Staatspolitik oder des Besitzes bzw. Verbreitens extremistischer Materialien nach den Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Extremismus unter Anklage gestellt. Es gab Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen in den Strafvollzugsanstalten des Landes (AI 22.2.2017, vgl HRW 12.1.2017).

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2017a).

 

Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt. Laut einer rezenten Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und traf sich mit den einzelnen Republikoberhäuptern (ein Treffen mit Ramzan Kadyrow wurde abgesagt, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters der NGO Komitee gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

10.1. Tschetschenien

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtler an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert, ihre Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2016, vgl AI 22.2.2017).

 

In den letzten Monaten häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischen Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der soziökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow darüber hinaus mit einer kaum verhüllten Warnung vor Kritik an seiner Politik in einem TV-Beitrag an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora. Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein; man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow (ÖB Moskau 12.2016).

 

Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl HRW 12.1.2017).

 

Auch 2016 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Operationen der Sicherheitskräfte gemeldet, darunter Fälle von Verschwindenlassen und mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen. Auch Menschenrechtsverteidiger waren in der Region gefährdet (AI 22.2.2017, vgl HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

10.2. Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2016). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows De facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet würden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützerinnen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

 

Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

 

Als Vergeltungsmaßnahme sollen tschetschenische Sicherheitskräfte im Jänner 2017 27 Menschen hingerichtet haben. Das berichtete die russische regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta" unter Berufung auf lokale Ordnungskräfte. Demnach wollte die tschetschenische Führung den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl Standard 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramsan Kadyrow bei einem Auftritt in Grosny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017).

 

Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015). [Neuere Zahlen konnten nicht gefunden werden.]

 

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

 

Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

 

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der KA der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.04.2014 auf youtube veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe und die Anfragen seien gestellt worden zur Identifizierung der Militärangehörigen, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt würden, konnten ho. nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

 

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden, es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über antiterroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

 

2. Zahlreichen Personen, nach denen von russischen Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. Fall (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. Fall (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

11. Meinungs- und Pressefreiheit

 

Meinungs- und Pressefreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, werden durch die Exekutive jedoch in der Praxis häufig eingeschränkt oder nur selektiv gewährt. Opposition und kritische Vertreter der Zivilgesellschaft müssen bei Versammlungen mit erheblichen Restriktionen rechnen, während linientreue Gruppen (z.B. der Macht nahestehende Jugendorganisationen oder der so genannte Anti-Maidan) Unterstützung erhalten. Die Meinungs- und Pressefreiheit wird potenziell auch durch die im August 2012 erfolgte Überarbeitung des Straftatbestandes der Verleumdung (etwa: wissentliche Verbreitung falscher Tatsachen gegen die Ehre oder das Ansehen einer anderen Person) eingeschränkt. Journalisten müssen z.B. fürchten, dass Enthüllungen oder auch nur Berichte über öffentliche russische Persönlichkeiten zu Klagen und Verurteilungen führen können. Das Strafmaß kann sich auf Geldstrafen von bis zu 5 Mio. RUB oder bis zu 480 Stunden Pflichtarbeit belaufen. Die Neufassung des Paragraphen über Landesverrat im russischen Strafgesetzbuch, die im November 2012 in Kraft getreten ist, führt zu einer Verunsicherung bei russischen Staatsbürgern mit regelmäßigen Kontakten zum (westlichen) Ausland, insbesondere bei Vertretern kritischer Nichtregierungsorganisationen. Bereits einfache Kontakte könnten angesichts unklarer Rechtsbegriffe potenziell als Unterstützung von "gegen die Sicherheit der Russischen Föderation gerichtete Aktivitäten" und damit als "Landesverrat" gewertet werden (AA 24.1.2017, vgl ÖB Moskau 12.2016).

 

Obwohl die Zensur gesetzlich verboten ist, befindet sich der Großteil der Medien in Russland unter direkter oder indirekter staatlicher Kontrolle. Der Spielraum für abweichende Meinungen, unabhängige Medien und Organisationen wird kleiner (GIZ 4.2017). Ein Großteil der staatlichen Fernseh- und Printmedien steht unter staatlicher oder staatsnaher Kontrolle, die wenigen unabhängigen bzw. kritischen Medien (z.B. TV Sender Dozhd, Radiosender Echo Moskvy, Zeitung Novaya gazeta) werden mit administrativen und finanziellen Mitteln unter Druck gesetzt. Nach Änderungen im Gesetz "Über die Massenmedien" ist es ausländischen Personen bzw. Unternehmen ab 1. Februar 2017 verboten, mehr als 20% der Anteile an russischen Medien zu halten. Ein weiteres Mittel der staatlichen Behörden, gegen kritische Stimmen in der Medienlandschaft vorzugehen, ist das 2012 verabschiedete Extremismus-Gesetz. Es sollte ursprünglich dabei helfen, rassistische und terroristische Straftaten im Land einzudämmen, wird von den Behörden jedoch aufgrund seiner vagen Formulierung häufig missbräuchlich angewendet. Mehr als 20.000 Websites sind bislang aufgrund des Verdachts extremistischer Inhalte ohne vorhergehenden Gerichtsbeschluss von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor gesperrt worden. 2015/16 sind mehrere Personen, von denen die meisten politisch nicht aktiv waren, unter dem Extremismus-Paragrafen verurteilt worden, nur weil sie in sozialen Medien Kommentare anderer Nutzer mit einem "Like" versehen oder repostet hatten (darunter z.B. Kommentare über die Illegalität der Annexion der Krim). Im Rahmen einer weiteren Verschärfung der antiterroristischen Gesetzgebung im Juni 2016 müssen in Zukunft alle Telekom-Anbieter sämtliche Verbindungsdaten ihrer Kunden ein Jahr lang speichern, ab Juli 2018 muss zudem der gesamte Datenverkehr sechs Monate lang für die Sicherheitsdienste verfügbar bleiben (ÖB Moskau 12.2016, vgl AA 24.1.2017).

 

Auch im Jahr 2016 führte die exzessive Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen zur Bekämpfung von Extremismus zu Verstößen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Nach Angaben des SOVA-Instituts ergingen 90% aller Verurteilungen unter diesen Bestimmungen wegen der Veröffentlichung und Verbreitung von Beiträgen in sozialen Medien. Am 3. November veröffentlichte das Plenum des Obersten Gerichtshofs der Russischen Föderation auf Verlangen des SOVA-Instituts und anderer NGOs Richtlinien zur Anwendung der Anti-Extremismus-Bestimmungen für Richter. Darin wurde dargelegt, dass eine Äußerung erst dann den Straftatbestand der Anstiftung zum Hass erfüllt, wenn darin ein Element der Gewalt wie ein Aufruf zum Völkermord, zu kollektiven Unterdrückungsmaßnahmen, zur Deportation oder zu Gewalt enthalten ist (AI 22.2.2017).

 

Die russischen Medien unterliegen weiterhin starker staatlicher Kontrolle und Einschüchterung. Nach glaubhaften Angaben des "Committee to Protect Journalists" (CPJ) erfahren v.a. unabhängige und investigativ arbeitende Journalisten - besonders außerhalb Moskaus - immer wieder Restriktionen. Es kommt zu Übergriffen auf Journalisten, wobei die Aufklärungsrate gering ist und insbesondere die Hintermänner im Dunkeln bleiben. Nicht immer ist jedoch eindeutig zu klären, ob die Angriffe im direkten Zusammenhang mit der journalistischen Tätigkeit stehen. Seit 1992 sollen laut CPJ 56 Journalisten in Russland ermordet worden sein; die meisten Fälle wurden nicht aufgeklärt. Die Zahl physisch angegriffener und zum Teil dauerhaft geschädigter Journalisten liegt noch weit höher. Die Organisation "Glasnost Defence Foundation" führt vier Fälle für 2015 und einen Fall für 2016 an. Eine "Bedrohung der nationalen Sicherheit" dient regelmäßig als Rechtfertigung für Eingriffe in die Pressefreiheit und andere Grundrechte. So wurden unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine weitere repressive Gesetze eingeführt, darunter eine Verschärfung des Verbots, öffentlich zur Verletzung der territorialen Integrität aufzurufen - wodurch jede Kritik etwa an der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim kriminalisiert wird (AA 24.1.2017).

 

Alle nationalen Fernsehkanäle - diese sind für die breite Bevölkerung nach wie vor die wichtigste Informationsquelle - werden vom Staat kontrolliert und gezielt zur Propagierung offizieller Sichtweise und Politik eingesetzt. Die Programme/Formate sind politisch einseitig. Kritik an der Person des Präsidenten, des Ministerpräsidenten und deren Angehöriger, eine objektive Darstellung der Lage in der Ukraine oder im Nordkaukasus oder Kritik an der bestehenden staatlichen Ordnung sind tabu. Die mehrheitlich von einem städtischen Publikum konsumierten Printmedien bieten den Lesern ein vergleichsweise breites Meinungsspektrum. Sie sind jedoch Einflussversuchen ausgesetzt, da viele im Eigentum staatsnaher Unternehmen oder "machtnaher" Persönlichkeiten stehen. Jüngstes Beispiel ist RBK. Rund 30 Manager und Journalisten, darunter die Chefredakteurin, wurden innerhalb des Berichtszeitraumes entlassen bzw. kündigten. Staatliche "Informationsverträge" gehören zu den Mitteln der Steuerung: Für genehme Berichterstattung erhalten Zeitungen finanzielle Leistungen, die teils mehr als die Hälfte der Einnahmen ausmachen. Immer wieder gibt es Versuche, missliebige Berichterstattung zu verhindern, indem Medien mit Klagen überzogen werden, zum Beispiel der unabhängige Pay-TV-Sender "Dozhd" (AA 24.1.2017, vgl FH 29.3.2017).

 

Kritische Journalisten müssen in Russland weiterhin mit Drohungen und physischer Gewalt rechnen. Der Großteil dieser Fälle bleibt ungeklärt, wie etwa die Ermordungen von Natalia Estemirova, Hajimurad Kamalov oder Akhmednabi Akhmednabiev im Nordkaukasus im Laufe der letzten Jahre. Dasselbe gilt für Übergriffe gegen Menschenrechtsverteidiger. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtler an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert, ihre Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2016, vgl AI 22.2.2017).

 

Russland bleibt wie im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen wie im Vorjahr auf Rang 148 von 180 untersuchten Staaten (ROG 26.4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

11.1. Internet

 

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12. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition

 

Auf Basis der Verschärfung des Versammlungsrechts 2012 werden öffentliche Kundgebungen bzw. Proteste von oppositionellen Gruppen zum Großteil verboten. Im August 2014 wurden die im Versammlungsgesetz vorgesehenen Geldstrafen weiter erhöht und wiederholte Verletzungen des Gesetzes als strafrechtliches Vergehen eingestuft (mit einer Höchststrafe von fünf Jahren Haft). Wenn es den Organisatoren von regierungskritischen Kundgebungen dennoch gelingt, eine Genehmigung für die Veranstaltungen zu bekommen, so müssen sie diese zumeist in den Randbezirken bzw. in Vorstädten von Moskau durchführen. Kremlfreundliche Gruppierungen haben hingegen üblicherweise kein Problem damit, die entsprechende Genehmigung der Moskauer Stadtverwaltung zu Demonstrationen an zentralen Plätzen der Stadt zu erhalten (ÖB Moskau 12.2016, vgl FH 2017). Die Rechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren im Jahr 2016 verstärkten Einschränkungen unterworfen. Die Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Teilnehmende der regierungskritischen Proteste auf dem Moskauer Bolotnaya-Platz wurden fortgesetzt. Es gab Zweifel daran, dass dabei die internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren eingehalten wurden (AI 22.2.2017).

 

Oppositionelle Politiker und Aktivisten waren weiter Ziel von fabrizierten Kriminalfällen und anderen Formen von behördlichen Schikanen (FH 2017). Behörden verweigerten zunehmend die Abhaltung von öffentlichen Protesten, die durch regierungskritische Personen oder Oppositionellen organisiert wurden. Protestierende, die bei solch nicht genehmigten Demonstrationen dabei waren, wurden bestraft (HRW 12.1.2017).

 

Bei landesweiten Massenprotesten hatte die Polizei am Sonntag, den 26.3.2017 mehrere Hundert Demonstranten und Anhänger des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny festgenommen. Nach Angaben der Menschenrechtsgruppe OWD Info gab es alleine in Moskau mindestens 933 Festnahmen und dutzende weitere in anderen russischen Städten. Beobachtern zufolge handelte es sich um die größten landesweiten Proteste seit 2011. Nawalny selbst wurde gleich zu Beginn der nicht genehmigten Kundgebung im Zentrum von Moskau festgesetzt (Standard 27.3.2017). Alexej Nawalny darf bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr (2018) nicht antreten. Nawalny habe kein passives Wahlrecht, teilte die Zentrale Wahlkommission mit. Damit kann er nicht für ein Amt kandidieren. Grund dafür sei seine Verurteilung wegen einer Straftat. Ein Gericht in der Stadt Kirow hatte Nawalny im Februar in einem umstrittenen Urteil zu einer Haftstrafe von fünf Jahren auf Bewährung verurteilt. Es hatte den Regierungskritiker auch im Wiederaufnahmeverfahren der Unterschlagung für schuldig befunden. In dem Strafprozess war Nawalny bereits 2013 zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stufte den Prozess jedoch als unfair ein. Nawalny hat die Vorwürfe zurückgewiesen und erklärt, das Verfahren sei angestrengt worden, um ihn von einer Kandidatur bei der Präsidentenwahl 2018 gegen Präsident Putin abzuhalten (Zeit Online 23.6.2017).

 

Morde an Oppositionellen kommen in Russland immer wieder vor. Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow ist der jüngste Fall. Weitere Kremlkritiker die ihr Leben lassen mussten waren die Journalistin und Regierungskritikerin Anna Politkowskaja, der russische Ex-Geheimdienstler Alexander Litwinenko, der Anwalt Sergej Magnizki, die Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirowa und der russische Oligarch und einstige Multimillionär Boris Beresowski (Spiegelonline 28.2.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

13. Haftbedingungen

 

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 90er Jahre langsam aber kontinuierlich verbessert, die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch immer nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. In dem Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall Ananyev und andere v. Russland hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung gemäß Art 3 EMRK entsprechen und das Problem systemischer Natur ist. 2012 legte Russland einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Probleme im Straffvollzug vor, der vom Ministerkomitee des Europarates positiv aufgenommen wurde. Konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation, insbesondere in den Untersuchungsgefängnissen, werden jedoch nur schleppend umgesetzt. Allein im Jahr 2014 stellte der EGMR in fast 30 Urteilen gegen Russland fest, dass die Haftbedingungen noch immer gegen Art 3 EMRK verstoßen. Die häufigsten Vorwürfe betrafen die schlechten hygienischen Zustände (unzureichende Sanitäreinrichtungen, kein ausreichendes Ventilationssystem, Unterbringung mit Häftlingen mit Infektionskrankheiten), akuter Platzmangel (zu viele Häftlinge in zu kleinen Zellen) und Mangel an medizinischer Betreuung (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Situation im Strafvollzug ist unbefriedigend. Die Regierung ist allerdings bestrebt, die Zahl der Gefängnisinsassen weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte ein Gesetzentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsatz statt Freiheitsstrafe) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien (in Russland Oberbegriff für Haftanstalten, in denen eine gerichtlich verhängte Freiheitsstrafe verbüßt wird) und die Bedingungen des Strafvollzugs bleiben sehr schwierig. Die meisten Strafanstalten und Untersuchungsgefängnisse sind veraltet und überbelegt. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist vielfach nur gelegentlich möglich. Das Essen ist einseitig und vitaminarm. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Besonders schlecht ist die Lage in den Untersuchungshaftanstalten. Im Vergleich zu den Strafkolonien berichten Insassen von deutlich schlechteren Haftbedingungen (z.B. Überbelegungen) und viel geringerem Schutz gegenüber ungerechten Behandlungen. Die Untersuchungshaft wird in Einzelfällen über Jahre verlängert. Nach offiziellen Angaben ist die Zahl der Untersuchungshäftlinge jedoch rückläufig. Die unter Präsident Medwedew erfolgte Liberalisierung des Strafrechts für Wirtschaftsvergehen (u.a. teilweise Abschaffung der Untersuchungshaft) wird in vielen Fällen von Gerichten und Strafvollzugsbehörden nicht umgesetzt und dient manchmal korrupten Ermittlern als Mittel zur Erpressung von Geldzahlungen durch Unternehmer. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling effektiver vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge seien dort oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Nadeschda Tolokonnikowa von der Aktionsgruppe Pussy Riot beschrieb in einem offenen Brief zudem ein System der Zwangsarbeit, in dem auf die Häftlinge u.a. durch Mitgefangene psychischer und physischer Druck zur "Disziplinierung" ausgeübt werde (AA 24.1.2017).

 

Auch das UK Foreign and Commonwealth Office ist besorgt über die Menschenrechtsstandards in Gefängnissen und über die Unabhängigkeit der öffentlichen Einrichtungen, die die Gefängnisse beobachten (UK FCO 8.2.2017). Aufgrund der unangemessenen medizinischen Versorgung in den Hafteinrichtungen war das Leben vieler Gefangener gefährdet (AI 22.2.2017).

 

Russland erweiterte Anfang 2017 seinen Strafenkatalog: Künftig können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnet im Januar vier "Besserungszentren" - in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet - und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst einmal 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe seien die Täter "nicht von der Gesellschaft isoliert", betonte der Vizedirektor der FSIN Waleri Maximenko. Sie könnten Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen normalen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung von einem Drittel der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben - vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen: Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vgl auch Standard 10.1.2017). 650.000 Menschen sitzen in Russland hinter Gittern, das ist absolut und prozentuell die zweithöchste Zahl an Strafgefangenen in den entwickelten Industrieländern. Übertroffen wird Russland in dieser Statistik nur von den USA. Doch während die Gesamtzahl in Russland immerhin rückläufig ist - in den letzten zehn Jahren ist sie um ein Viertel gesunken - stieg die Zahl der Rezidivisten auf ein Allzeithoch. Fast jeder zweite Strafgefangene in Russland ist Wiederholungstäter. Die Strafe soll vor allem für Ersttäter und bei geringeren Vergehen - maximale Haftstrafe bis zu fünf Jahre - angewendet werden. Die Verurteilten sind weniger isoliert und geraten auch nicht mehr in die Abhängigkeit krimineller Autoritäten, so das Konzept. Daneben gibt es noch andere Beweggründe für die Einführung: So könne der Staat die Straftäter zur Arbeit dort einsetzen, wo sie gebraucht würden und behält parallel auch noch einen Teil des Lohns zur Tilgung des Schadens ein, den der Verurteilte verursacht habe, erklärte Nwer Gasparjan, Berater der Anwaltskammer in Russland. Genaue Angaben dazu, welche Arbeiten die Verurteilten ausführen müssen, gibt es nicht. In der Diskussion steht, dass sie für Begrünungs- oder Reinigungsarbeiten in den Städten eingesetzt werden. Das Gulag-System zur Ausbeutung von Gefangenen zur schweren körperlichen Arbeit soll jedenfalls nicht wiederbelebt werden (Handelsblatt 2.1.2017; vgl auch Standard 10.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

14. Todesstrafe

 

Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist noch nicht ratifiziert. Das russische Verfassungsgericht hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe am 19.11.2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist (ÖB Moskau 12.2016, vgl GIZ 4.2017a).

 

Quellen:

 

 

 

15. Religionsfreiheit

 

Art 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Orthodoxie, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) erhebt Anspruch auf einen Vorrang unter den Religionsgemeinschaften und auf "Symphonie" mit der Staatsführung. Sie propagiert ihren Wertekanon als Basis einer neuen "nationalen Idee". Faktisch wird sie vom Staat bevorzugt behandelt. Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Der Islam in Russland ist grundsätzlich von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden (AA 24.1.2017). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung der Kirche und von Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 7.2017c vgl SWP 4.2013).

 

2016 kriminalisierten Gesetze private religiöse Reden, die Zeugen Jehovas stehen vor einem landesweiten Verbot und es kommt vor, dass Muslime in fingierten Prozessen des Terrorismus und Extremismus angeklagt werden. Im Nordkaukasus, besonders in Tschetschenien und Dagestan führen Sicherheitskräfte Verhaftungen, Entführungen und Verschwindenlassen von Personen aus, die man verdächtigt, Beziehungen zum "nicht-traditionellen" Islam zu haben. Die Sicherheitskräfte können zumeist mit Straffreiheit rechnen (USCIRF 26.4.2017). Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2014 haben die Behörden erfolgreich die Ausreise von Extremisten reduziert und die Rekrutierung sowie potentielle Terrorzellen selbst eingedämmt, ein hartes Vorgehen und schwere Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in Tschetschenien und Dagestan, würden aber weiterhin Teile der salafistischen Gemeinschaft radikalisieren und den Dschihad fördern. Mehr als zehn Jahre war eines der Hauptkontrollinstrumente in der Region die präventive Registrierung von Extremisten gewesen. Diejenigen, die verdächtigt wurden, fundamentalistischen Strömungen des Islam anzugehören, wurden auf spezielle Listen gesetzt, die Informationen zum Privatleben, zu Gewohnheiten und Familienspitznamen enthalten würden. Nach Zwischenfällen würden diese Personen von der Polizei verhaftet und verhört, wobei bei den Verhören Berichten zufolge häufig gewaltsame oder erniedrigende Methoden zum Einsatz kämen. Viele seien wegen ihres Aussehen auf diesen Listen gelandet, wegen eines Besuchs in einer falschen Moschee, wegen Kontakts zu SalafistInnen oder weil sie einer verdächtigen Person eine Wohnung vermietet oder sie mit dem Auto mitgenommen hätten (ICG 16.3.2016). Insbesondere in Tschetschenien und Dagestan werden Personen, die als Wahhabiten bezeichnet werden, manchmal auch Männer mit einem frommen muslimischen Aussehen, als Extremisten von den Strafverfolgungsbehörden verhaftet. Es gibt auch Vorwürfe wegen Folter und Verschwindenlassen (Forum 18 13.9.2016).

 

Das Oberste Gericht verbat die Zeugen Jehovas und entzog der Organisation das Vermögen. Die religiöse Organisation zeige "Merkmale extremistischer Tätigkeit", hieß es in der Begründung. Die Glaubensgemeinschaft müsse ihre Russland-Zentrale in St. Petersburg und 395 örtliche Organisationen auflösen, befanden die Richter am 20.4.2017 in Moskau. Die Zeugen Jehovas kündigten an, ihren Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu tragen. Als extremistisch stufte die Behörde vor allem die Zeitschrift "Der Wachtturm" ein, die trotz Verbots weiter verteilt werde. Dass die Zeugen Jehovas ihren Mitgliedern Bluttransfusionen verbieten, sei ein Verstoß gegen Menschenrechte. Die Gemeinschaft soll in Russland nach Presseberichten etwa 170.000 Anhänger haben (Presse 20.4.2017). Die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch teilte mit, die Gerichtsentscheidung sei ein schwerer Schlag für die Religions- und Verbandsfreiheit in Russland. Sollte die Entscheidung in Kraft treten, müssten Zeugen Jehovas mit Strafverfolgung, Geldstrafen oder gar Gefängnis rechnen (Zeit Online 20.4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

15.1. Tschetschenien

 

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islam. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013). Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen (BAMF 10.2013). Obwohl Salafismus und Wahhabismus in Russland nicht verboten sind, sind Anhänger dieser Bewegungen starkem Druck ausgesetzt. In Tschetschenien setzt Ramsan Kadyrow seine eigenen Ansichten bezüglich des Islam durch. Frauen müssen sich islamisch kleiden und können in polygame Ehen gezwungen werden. Anhänger eines "nicht traditionellen" Islam, oder Personen mit Verbindungen zu Aufständischen können Opfer von Verschwindenlassen durch die Sicherheitskräfte zu werden (USCIRF 26.4.2017).

 

Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

 

Als Salafisten werden unterschiedliche religiöse und politische Bewegungen bezeichnet, die sich etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts an einem idealisierten Bild der Frühzeit des Islam (arab. "Salaf" steht für "Ahnen", "Vorfahren") orientieren. Der Begriff Salafismus dagegen steht heute für eine Strömung des Islamismus. Ihre Anhänger werden als Salafisten bezeichnet. Sie behaupten, besonders eng dem Wortlaut des Korans und den Überlieferungen über das Leben des Propheten (sunna) zu folgen. Das gilt insbesondere auch für Äußerlichkeiten wie Bekleidungsvorschriften. Viele Salafisten tragen deshalb lange Bärte, weite Gewänder und Kopfbedeckungen. Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen nach Überzeugung von Salafisten eine schwere Sünde (GfbV 23.11.2011). Das Tragen eines Bartes ohne Schnurrbart oder hochgekrempelte Hosen, würden einen Grund für die Festnahme oder Kontrolle einer Person darstellen (Kaliszewska 2010, vgl ICG 16.3.2016). Laut der International Crisis Group wurden Ende Oktober 2015 in Tschetschenien viele SalafistInnen verhaftet und es kam zu Fällen von Verschwindenlassen. Die Politik gegenüber SalafistInnen ist traditionell in Tschetschenien am härtesten, wo der fundamentalistische Salafismus, der abwertend "Wahhabismus" genannt wird, verboten ist. Die Behörden haben wiederholt und öffentlich erklärt, dass Wahhabiten nicht erlaubt werde, in Tschetschenien zu leben und dass sie getötet werden sollten. Der traditionelle sufistische Islam ist zum wahren Weg und zur Staatsideologie erklärt worden (ICG 16.3.2016).

 

Entführungen werden heute hauptsächlich von regierungsnahen Personen verübt und treffen vor allem Personen, die als Salafisten angesehen werden. Dies führt jedoch dazu, dass die Salafisten noch anti-russischer werden und die Behörden selbst die Anzahl der Anhänger der radikalen Bewegungen in der Region und unter Muslimen in der ganzen Russischen Föderation erhöhen (Jamestown 19.6.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

16. Ethnische Minderheiten

 

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Neben den Russen, die mit 79,8 % die Mehrheit der Bevölkerung stellen, leben noch mehr als hundert andere Völker auf dem Gebiet des Landes. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0 %), die Ukrainer (2,2 %), die Armenier (1,9 %), die Tschuwaschen (1,5 %), die Baschkiren (1,4 %), die Tschetschenen (0,9 %), die Deutschen (0,8 %), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6 %), Burjaten (0,3 %) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch Mischehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet (GIZ 7.2017c).

 

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Die Menschenrechtsorganisation SOVA verzeichnete für Januar - Oktober 2016 fünf Tote und 47 Verletzte aufgrund rassistisch motivierter Gewalttaten (AA 24.1.2017).

 

Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

 

Quellen:

 

 

 

 

17. Frauen

 

Artikel 19 der russischen Verfassung garantiert die Gleichstellung von Mann und Frau. Zudem hat die Russische Föderation mehrere internationale und regionale Konventionen ratifiziert, die diese Gleichstellung festschreiben, darunter die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und ihr Zusatzprotokoll. Grundsätzlich gibt es in der Russischen Föderation keine systematische Diskriminierung von Frauen. Im Rahmen der 62. Sitzung der CEDAW von Oktober-November 2015 wurde der rezente Staatenreport der Russischen Föderation diskutiert. In seinen Schlussbemerkungen begrüßte das Komitee die Fortschritte im russischen Rechtssystem zum Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen, insb. in den Bereichen Arbeitsrecht und Schutz für Schwangere. Folgende Empfehlungen wurden an die russische Regierung gerichtet: Verabschiedung eines umfassenden Anti-Diskriminierungsgesetzes, Verbesserungen beim Zugang von Frauen zu rechtlichen Beschwerdemechanismen, die Ausarbeitung eines nationalen Aktionsplans gegen Menschenschmuggel, die Stärkung der Teilnahme von Frauen am politischen und öffentlichen Leben (z.B. durch Einführung von Quotenregelungen für Frauen in der Staatsduma, dem Föderationsrat, den Ministerien oder dem diplomatischen Dienst), die Einführung eines alters- und genderspezifischen Sexualkundeunterrichts in Grund- und Mittelschulen, die Bekämpfung von Diskriminierung am Arbeitsplatz (z.B. durch Überarbeitung der Liste von Berufsverboten für Frauen in rund 450 Berufen) und die Verbesserung des Zugangs zu qualitativer Gesundheitsversorgung für Frauen in ländlichen Gebieten. Ein ernstes Problem, das von Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeblendet wird, stellt häusliche Gewalt dar. Ein Großteil der Unterstützung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt wird durch gesellschaftliche Organisationen und Privatinitiativen übernommen. Im Nationalen Netzwerk gegen Gewalt sind über 150 regionale und lokale NGOs aktiv. Laut Dem Nationalen Zentrum zur Vorbeugung von Gewalt ANNA wird jede dritte russische Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von physischen Übergriffen von Seiten eines Mannes. Jährlich sterben in Russland ca. 14.000 Frauen aufgrund von Gewaltanwendung von Seiten ihrer Ehemänner oder Lebenspartner, fast zwei Drittel aller Morde sind auf häusliche Motive zurückzuführen. Laut Statistiken der Organisation ANNA wenden sich 60% der Frauen, die die Nationale Hotline für Opfer von häuslicher Gewalt anrufen, nicht an die Polizei. 76% jener Frauen, die bei der Polizei um Unterstützung suchen, sind damit unzufrieden. Trotz der weiten Verbreitung des Problems gibt es grobe Mängel bei der Bewusstseinsbildung darüber, auch innerhalb der politischen Elite. Auch das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau zeigte sich bei der letzten Diskussion zur Russischen Föderation im Herbst 2015 besorgt über die weite Verbreitung von Gewalt gegen Frauen sowie die unverlässlichen offiziellen Daten dazu. Derzeit steht auch ein vom Arbeits- und Sozialministerium ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zur Vorbeugung häuslicher Gewalt in Diskussion, der insbesondere der Polizei mehr Verpflichtungen zum Kampf gegen häusliche Gewalt auferlegt und einen besseren Opferschutz vorschreibt (ÖB Moskau 12.2016). Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügendem Nachdruck oder zuweilen gar nicht nach, da dies als familiäre Angelegenheit gesehen wird (FH 2017, vgl AA 24.1.2017). Nach den Statistiken einer NGO wird die Polizei in lediglich 5% der Fälle aktiv. Mit einer Gesetzesnovelle wurde häusliche Gewalt im Juli 2016 unter Strafe gestellt. Allerdings wurden diese Änderungen von der Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für Familie, Frauen und Kinder kritisiert. Sie seien übertrieben und richteten sich gegen die familiären Werte. Die orthodoxe Kirche erklärte, dass körperliche Züchtigung ein gottgegebenes Recht sei, sofern sie im vernünftigen Maße und mit Liebe durchgeführt werde (AA 24.1.2017). Das russische Parlament hat nun ein Gesetz verabschiedet, das Strafen bei häuslicher Gewalt stark verringert. Das Gesetz reduziert die Strafen bei Ersttätern, wenn die Gewalt nicht zu schweren Verletzungen führt. Bislang waren dafür Strafen von bis zu zwei Jahren Gefängnis vorgesehen, nun sollen nur noch Geldstrafen gelten. Gewalt wird nicht mehr als Straftat behandelt, sondern lediglich als Ordnungswidrigkeit gewertet. Eine härtere Strafe soll nur dann verhängt werden, wenn die Schläge mehr als einmal im Jahr vorkommen, Blutergüsse sichtbar sind oder Knochen brechen. Für die Opfer wird es daher schwierig, Beweise vorzulegen. Und es dürfte schwerer werden, die Täter zu bestrafen (Welt 27.1.2017, vgl Standard 27.1.2017).

 

Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Verfassung garantiert. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen. Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 7.2017c). Frauen sind in Politik und Regierung unterrepräsentiert. Sie halten weniger als ein Fünftel der Sitze in der Duma und im Föderationsrat. Nur zwei von 32 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 2017). Rund 40% der Frauen arbeiten in allgemeinen Bereichen im Management und weitere 20% auf der Führungsebene. Überwiegend arbeiten sie in diesen Berufen in Medienunternehmen und PR-Agenturen, aber auch in Banken, Börsen, Bauindustrien etc. (GIZ 7.2017c).

 

Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützen und gelegentlich helfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, sind Ärzte oft nachlässig, als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung keine Priorität einräumen. NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange das Opfer nicht unter Lebensbedrohung steht. Weiters würden viele Frauen Vergewaltigungen und andere Gewaltvorfälle aufgrund der sozialen Stigmata und der mangelhaften staatlichen Unterstützung nicht melden. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter und vier bis zehn Jahre bei einer Gruppenvergewaltigung. Wenn das Opfer zwischen 14 und 18 Jahre alt ist, bekommt der Täter eine Strafe zwischen acht und 15 Jahre und zwölf bis 20 Jahre, wenn das Opfer verstorben ist oder unter 14 Jahre alt ist (US DOS 3.3.2017).

 

In einem Bericht der kanadischen COI-Abteilung findet sich der Hinweis, dass Amnesty International und ANNA [National Centre for the Prevention of Violence] 2013 von 23 Unterkünften für Opfer von häuslicher Gewalt in Russland berichten. RFE/RL berichtet sogar über 40 solcher Unterkünfte. Diese 23 Unterkünfte sind kleine Abteilungen der über 3.000 kleinen, staatlich unterstützten Sozialzentren in ganz Russland. Einige dieser Sozialzentren bieten Unterstützung in Notsituationen für Opfer von häuslicher Gewalt, wie z.B. temporäre Unterkunft. Frauen können dort bis zu sechs Monate bleiben, aber nicht alle Unterkünfte erlauben Kinder über 14 Jahre. Eine Registrierung in der Region scheint notwendig. Es gibt in vielen Regionen in ganz Russland ca. 140 staatliche Unterkünfte, einige nehmen Opfer von häuslicher Gewalt auf, auch wenn nur ein geringer Anteil des Personals dafür ausgebildet ist. Diese Unterkünfte dürften höchstens jeweils zwölf Betten haben. Dies sind Kurzzeitunterkünfte für ein bis sechs Monate. Diese staatlichen Unterkünfte sind für Frauen, die eine Krise erleben oder sich in einer schwierigen Lebenslage befinden. Frauen können für einige Zeit dorthin, damit ihnen geholfen wird, z.B. um gewalttätigen Beziehungen oder Obdachlosigkeit zu entkommen. Normalerweise ist das Ziel der Sozialarbeiter aber die Familie wieder zu vereinen. Keine dieser Unterkünfte ist speziell für Opfer von häuslicher Gewalt, aber manche erkennen häusliche Gewalt als Krisensituation an, andere nicht. In Moskau gibt es eine Unterkunft für Opfer von häuslicher Gewalt - laut Amnesty International - mit Platz für ca. zwölf Frauen. Reuters gibt an, dass es dreißig Betten gibt. Die Moskauer Unterkunft heißt "Nadeschda" und unterstützte im Jahr 2012 500 Personen, unter anderem mit Psychotherapie. Hier dürfen Frauen bis zu zwei Monate bleiben. Eine Registrierung in Moskau ist notwendig. Es gibt auch eine öffentliche Unterkunft in Khimki, einem Vorort von Moskau. Auch hier ist eine Registrierung in Khimki notwendig. St. Petersburg hat ein regionales und sechs kommunale Unterkünfte mit insgesamt 85 Betten. Häusliche Gewalt ist hier als schwierige Lebenssituation anerkannt, jedoch ist es möglich, dass einige Mitarbeiter auf Aussöhnung fokussieren und/oder die Frauen für die Gewalt verantwortlich machen. Laut ANNA gibt es drei Unterkünfte für Opfer von häuslicher Gewalt in St. Petersburg. Andere kommunale oder staatliche Unterkünfte für Frauen in Krisen befinden sich in Murmansk (7 Betten), Petrozavodsk (7 Betten); Syvtyvkar, in Komi (9 Betten) und Sorgvala (5 Betten). Es ist aber unklar, wie diese Unterkünfte häusliche Gewalt einstufen. Zusätzlich zu den Unterkünften in Moskau, St. Petersburg und Khimki gibt es Unterkünfte für häusliche Gewalt in Izhevsk, Yekaterinburg, Tomsk, Tyumen, Perm, Petrozavodsk, Murmansk, Saratov, Tula, Krasnodar, Arkhangelsk, Vologda, Chelyabinsk, Vladivostok, Khabarovsk, und zwei Unterkünfte in Barnaul (IRB 15.11.2013).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

17.1. Scheidung und Obsorge

 

Gemäß Art 28 russischer Zivilprozessordnung (ZPO) ist eine Klage beim Gericht am Wohnsitz des Beklagten einzureichen. Gemäß Art 29 Z 4 russischer ZPO kann eine Scheidungsklage auch beim Gericht am Wohnsitz des Klägers eingereicht werden, falls sich an diesem Ort Minderjährige oder Geschäftsunfähige befinden oder aus gesundheitlichen Gründen die Reise des Klägers zum Wohnort des Beklagten für jenen schwierig ist. Ein Scheidungsverfahren kann nach russischem Recht entweder durch die Personenstandsbehörde oder durch das Gericht erfolgen. Gemäß Art 19 des russischen Familienrechtskodex erfolgt die Scheidung durch die Personenstandsbehörde und zwar gemäß Z 1, falls die Ehegatten sich über die Scheidung einig sind und keine gemeinsamen minderjährigen Kinder haben. Gemäß Z 2 erfolgt die Scheidung durch die Personenstandsbehörde unabhängig von der Existenz gemeinsamer minderjähriger Kinder auf Antrag eines Ehegatten, falls der andere Ehegatte gerichtlich für verschollen erklärt wurde, gerichtlich als nicht geschäftsfähig erkannt wurde oder wegen eines Verbrechens zu drei oder mehr Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Gemäß Art 20 werden vor der Personenstandsbehörde aufkommende Streitigkeiten u.a. über die Kinder unabhängig von der Scheidung durch die Personenstandsbehörde vom Gericht entschieden. Gemäß Art 21 Z 1 erfolgt die Scheidung durch das Gericht, wenn die Ehegatten gemeinsame Kinder haben (mit Ausnahme der Fälle des Art 19 Z 2) oder wenn ein Ehegatte der Scheidung nicht zustimmt. Gemäß Art 24 Z 1 können die Eltern dem Gericht eine Vereinbarung darüber vorlegen, bei welchem Elternteil die minderjährigen Kinder leben werden. Falls eine solche Vereinbarung fehlt oder vom Gericht festgestellt wurde, dass eine solche Vereinbarung die Interessen des Kindes oder eines Elternteils verletzt, ist das Gericht gemäß Z 2 verpflichtet, zu entscheiden, bei welchem Elternteil die minderjährigen Kinder nach der Scheidung leben werden. Gemäß Art 1 Z 3 des Familienkodex erfolgt die Regulierung der familiären Beziehungen in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Sicherstellung des prioritären Schutzes der Rechte und Interessen minderjähriger Familienmitglieder. Die österreichische Botschaft kann nicht beurteilen, wie diese Bestimmungen im Einzelfall von den russischen Gerichten ausgelegt werden und ob so die Chance [z.B. für eine Tschetschenin] größer wäre in einem Sorgerechtsstreit zu obsiegen, als dies nach islamischem Recht der Fall wäre (KA der ÖB Moskau 8.5.2017).

 

Obsorge in der Russischen Föderation:

 

Nach russischem Recht sind grundsätzlich beide Elternteile, unabhängig davon, ob sie verheiratet, unverheiratet oder geschieden sind, in Bezug auf das Sorgerecht für die minderjährigen Kinder gleichberechtigt. Im Zuge einer Scheidung wird nicht automatisch auch das Sorgerecht geregelt. Sorgerechtsfragen, d.h. Aufenthaltsbestimmungsrecht, Besuchsrechte, usw., können, wenn die Eltern nicht zu einer Übereinkunft kommen, gerichtlich geregelt werden. Wird ein Elternteil bei der Durchsetzung seiner Rechte (z.B. Besuchsrechte) vom anderen Elternteil behindert, kann das Gericht eine Geldstrafe verhängen oder die Rechte des Elternteils mit Hilfe von Gerichtsvollziehern durchsetzen. Dies geschieht in der Praxis allerdings äußerst selten. Nach Einschätzung eines Experten für russisches Recht wird in der Russischen Föderation bei getrennten Wohnsitzen der Eltern, das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei Kindern unter zehn Jahren a priori der Mutter zugesprochen. Ist das Kind älter als 10 Jahre wird seine Meinung ebenfalls berücksichtigt. Grundsätzlich kann man sagen, so der Experte, dass im russischen Obsorgeverfahren die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit eingehalten werden, davon ausgenommen sind jedoch die russischen Regionen im Nordkaukasus (v.a. Tschetschenien und Dagestan), wo nicht von einer Rechtsstaatlichkeit im Obsorgeverfahren auszugehen ist (ÖB Moskau 10.05.2013).

 

Obsorge in der Republik Tschetschenien

 

Die Republik Tschetschenien ist Teil der Russischen Föderation, das heißt, dass auch dort, die russischen Gesetze gelten. In Tschetschenien sei es laut Vertretern verschiedener NGOs jedoch traditionell bedingt üblich, dass Kinder im Fall einer Scheidung beim Vater bzw. der Familie des Vaters bleiben. Die Realität wird von den NGO-Vertretern unterschiedlich beschrieben. Von manchen wird konstatiert, dass es für die Familie des Vaters eine Schande sei, wenn das Kind nicht bei ihm bzw. seiner Familie bleibt und es sich um Einzelfälle handelt, wenn die Kinder nach der Scheidung bei der Mutter bleiben. Von einer anderen NGO-Vertreterin wiederum heißt es, dass es in Tschetschenien max. 5% der Männer kümmert, was Nachbarn und Verwandte denken, materielle Fragen stünden für die meisten im Vordergrund. Es gäbe durchaus Fälle in denen die Kinder nach einer Scheidung bei der Mutter bleiben, vorausgesetzt, dass diese das überhaupt will. Dabei wäre zu beachten, dass geschiedene Frauen, die gemeinsam mit ihren Kindern leben, in der Regel nicht wieder heiraten können, da traditionell die Frau zum neuen Mann zieht und es hier Animositäten gegen die Kinder des Vorgängers geben kann. Einhellig wurde von den Kontaktpersonen der Botschaft bestätigt, dass Frauen sich in Obsorgefragen (Aufenthaltsbestimmungsrecht, Besuchsrechte) nur sehr selten an ein Gericht wenden und, falls doch, die Unterstützung ihrer Familie bräuchten, um den Gerichtsweg zu bestreiten. In den meisten Fällen würden diese Fragen allerdings in der Familie oder mit Hilfe eines religiösen Vermittlers geregelt. Eine Anwältin aus der Republik Tschetschenien führte im Rahmen eines Seminars im Juni 2012 aus, dass der Weg zum Gericht für geschiedene Frauen in Tschetschenien oft der letzte Ausweg ist, wenn andere Vermittlungsversuche (über Verwandte, religiöse Vertreter, usw.) gescheitert sind. Frauen würden diesen Schritt aber scheuen, weil er die Beziehung zum Ex-Mann endgültig zerstört, was viele tschetschenische Frauen für falsch halten. Tschetschenische Gerichte würden ihre Entscheidungen in Obsorgefragen häufig mit den materiellen Verhältnissen der Eltern begründen, wobei eine tschetschenische Frau im Falle einer Scheidung in der Regel leer ausgehe. Nachdem eine geschiedene Frau in der Regel in das Elternhaus zurückkehren würde, brauche sie die Zustimmung ihrer Eltern, ihre Kinder bei sich aufzunehmen. Diese Zustimmung würde von den Eltern, so die Anwältin, manchmal verwehrt. Aus all diesen Gründen könnten, so die Anwältin, faktisch nur sehr wenige geschiedene Frauen in Tschetschenien ihre von der russischen Gesetzgebung vorgesehenen Rechte in Bezug auf ihre Kinder auch durchsetzen. Bei einer Recherche der Botschaft im Internet konnten insgesamt vier Gerichtsentscheidungen aus den Jahren 2010-2011 tschetschenischer Gerichte zum Thema Scheidung und Aufenthaltsbestimmungsrecht der minderjährigen Kinder gefunden werden. Bei diesen vier Entscheidungen wurde bei fehlender Übereinkunft der Eltern in drei Fällen das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter zugesprochen, in einem Fall dem Vater. Die Entscheidungen wurden von den Gerichten u.a. auch mit dem Gutachten der Jugendwohlfahrtsbehörde zu den materiellen Umstände, Lebensverhältnissen der Elternteile begründet. Bei Rücksprache der Botschaft mit einer Vertreterin einer tschetschenischen NGO wurde berichtet, dass die Aufteilung des Besitzes im Fall einer Scheidung von den gemeinsamen Ehejahren abhängig ist (egal, ob die Ehe offiziell vor dem Standesamt geschlossen wurde) und abhängig davon, wo die Kinder nach der Scheidung leben würden. Dies sei einer der materiellen Gründe, warum Eltern ein Interesse daran haben, dass die Kinder nach der Scheidung bei ihnen leben. Auch wurde mitgeteilt, dass im Falle des Todes des Ehemannes, die Kinder in der Regel bei der Mutter bleiben (ÖB Moskau 10.05.2013).

 

Quellen:

 

 

 

17.2. Frauen im Nordkaukasus insbesondere Tschetschenien

 

Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich zum Teil von der in anderen Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen sind laut NGOs nach wie vor ein Problem in Tschetschenien aber auch in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Verlässliche Statistiken dazu gibt es - wie im Rest Russlands - nicht. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group (ICG) bleibt die Gewalt gegen Frauen in der Region ein Thema, dem von Seiten der Regional- und Zentralbehörden zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Erschwert wird die Situation laut ICG durch die Ko-Existenz dreier Rechtssysteme in der Region - dem russischen Recht, Gewohnheitsrecht ("Adat") und der Scharia. Gerichtsentscheidungen werden häufig nicht umgesetzt, lokale Behörden richten sich mehr nach "Tradition" als nach den russischen Rechtsvorschriften, so der Vorwurf von ICG. Insbesondere der Fokus auf traditionelle Werte und Moralvorstellungen, der in der Republik Tschetschenien unter Ramzan Kadyrow propagiert wird, schränkt die Rolle der Frau in der Gesellschaft ein. Das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sprach im Rahmen seiner Empfehlungen an die Russische Föderation in diesem Zusammenhang von einer "Kultur des Schweigens und der Straflosigkeit" (ÖB Moskau 12.2016).

 

Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf und gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Swetlana Gannuschkina (Vorsitzende der Flüchtlingshilfsorganisation "Zivile Unterstützung" (auch "Bürgerbeteiligung") und Leiterin des "Netzwerks juristischer Beratungsstellen für Flüchtlinge und Vertriebene") ist der Meinung, dass die Behandlung von Frauen, wie sie heute existiert, nie eine Tradition in Tschetschenien war. Ein tschetschenischer Anwalt berichtet, dass Frauen sowohl unter islamischem Recht, als auch Adat hoch geschätzt sind. Allerdings ist die Realität in Tschetschenien, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Andere Quellen berichten auch, dass die Religion ein Rückschlag für die Frauen ist und sie in eine den Männern untergeordnete Position stellt. Diese Entwicklungen erfolgten in den letzten Jahren (EASO 9.2014b, S. 9f). Für die Quellen des EASO Berichtes ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft ist. Jedoch könne nur das Russische Recht Frauen effektiv schützen. Es wird auch berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird und auch Kadyrow selbst - obwohl er sowohl Adat, als auch Scharia betont - sich in letzter Zeit eher auf die Scharia bezieht. Adat dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014b, S. 9f).

 

Die russische Journalistin Jelena Petrowa veröffentlichte einen Artikel zur Art, wie sich Frauen in Tschetschenien kleiden. Die Situation der Frauen sei, dass sie nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel tragen dürften. Sie müssen in offiziellen Gebäuden Kopftücher tragen, es ist ihnen aber verboten, Kopftücher zu tragen, die ihre Stirn und ihr Kinn bedecken, da dies mutmaßlich Sympathie mit den Rebellen zeigt. Die Art, wie sich Frauen in Tschetschenien kleiden, ist über Jahre im Blickfeld gewesen. Nach dem Zweiten Tschetschenienkrieg und Ramsan Kadyrows Machtergreifung haben die Behörden eine Tugend-Kampagne gestartet, in dessen Mittelpunkt das Kopftuch stand. Es ist ein obligatorischer Dresscode für öffentliche Gebäude, darunter Schulen, Regierungsgebäude und Krankenhäuser, eingeführt worden. Insgesamt ist die Situation bezüglich der Durchsetzung des Dresscodes aber besser geworden. Im Sommer 2010 hat es Berichte gegeben, dass Unbekannte in Grosny Frauen ohne Kopftücher angegriffen hätten. Das gibt es nicht mehr. Dafür gibt es nun etwas Neues. Im September 2014 sind Berichte aufgetaucht, dass eine Frau, die einen Hidschab getragen hat, von Regierungsbeamten entführt und für kurze Zeit festgehalten worden sei. Wegen des darauf folgenden Aufschreis in den Medien hat sich Ramsan Kadyrow geäußert und gesagt, dass Frauen in Tschetschenien Kopftücher im traditionellen tschetschenischen Stil tragen, aber keines, das seiner Meinung nach auf eine andere islamische Strömung hindeutet und möglicherweise Sympathie mit den Aufständischen ausdrückt. Frauen sollten nicht schwarz tragen und kein Kopftuch, das die Stirn und das Kinn bedeckt. Junge Frauen in Grosny wollen aber hübsch aussehen, besonders wenn sie jung und unverheiratet sind. Sie tragen gerne helle Farben, gewagte Muster, Make-up, sehr hohe Stöckelschuhe und Accessoires. Sie dürfen zwar keine Hose, ärmellose Tops und Miniröcke tragen, aber sie mögen gerne enge Kleidung (ODR 12.12.2014).

 

Vergewaltigung:

 

Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht einmal als Vergewaltigung angesehen. Laut Swetlana Gannuschkina ist Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet. Vergewaltigungen würden auch in Polizeistationen passieren. Vergewaltigung ist ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an und sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie würde isoliert und stigmatisiert werden und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als schuldig an der Vergewaltigung gesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014b, S. 21).

 

Muslimische Hochzeit:

 

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Waisenhäuser:

 

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17.3. Mutterschaftskapital und Kindergeld

 

2007 stellte die russische Führung einen Maßnahmenkatalog vor, der mit Zuschüssen und Betreuungsplätzen zum einen den Frauen die Mutterschaft ans Herz legt und zum anderen durch bessere medizinische Infrastruktur die Lebensdauer der Russen verlängern soll. Für Mütter ist seither ab dem zweiten Kind das sogenannte Mutterschaftskapital vorgesehen. Umgerechnet rund 7.500 € erhalten die Frauen, Mittel die zweckgebunden vom vierten bis zum 25. Geburtstag des Kindes eingesetzt werden müssen. Mit den nicht bar auslösbaren Zertifikaten können Familien in die Ausbildung des Nachwuchses investieren, die eigene Wohnsituation verbessern oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Mit den Zertifikaten kann auch die Altersvorsorge der Mutter aufgestockt werden. Darüber hinaus bezahlt der Staat Geburtsprämien, bezuschusst Kindergartenplätze und hat das Elterngeld erhöht. Flankierend hat Moskau den Mutterschutz im Arbeitsmarkt ausgebaut (Wirtschaftsblatt 8.9.2014, vgl IOM 6.2014; MDZ 17.8.2013). Mütter bekommen eine Zusatzzahlung, das sogenannte Mütterkapital. Dieses Geld ist für bestimmte Zwecke bestimmt, z.B. für die medizinische Behandlung oder die Versorgung von Kindern. Dieses Geld ist vor allem für kinderreiche Frauen, in Tschetschenien gibt es viele davon. Um dieses Geld zu bekommen, müssen tschetschenische Frauen ungefähr Drei Viertel des Geldes als Bestechungsgeld zahlen. Es gibt aber auch Frauen, die überhaupt nichts von diesem Mütterkapital sehen (Gannuschkina 3.12.2014). Das Mütterkapitalprogramm wurde nun für weitere zwei Jahre verlängert, wobei eine weitere inflationsbedingte Anpassung nicht vorgesehen ist. Man bekommt das Geld drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil das zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen. In Chabarowsk zum Beispiel wird bei Geburt des dritten Kindes ein noch verbleibender Wohnungskredit komplett getilgt, in Mordwinien greift diese Regelung bei Geburt des vierten Kindes. Zu den derzeit erörterten Vorschlägen zählt auch die Idee, kinderreiche Familien von der Vermögenssteuer zu befreien (RBTH 22.4.2017).

 

Mutter, Vater oder ein anderer Erziehungsberechtigter kann monatliches Kindergeld erhalten. Kindergeld berechnet sich aus 40% des durchschnittlichen Elterngehaltes, sollte aber nicht unter dem festgesetzten Mindestwert liegen. Seit Januar 2014 beträgt das monatliche Kindergeld (für Kinder jünger als 1,5 Jahre) während des Mutterschaftsurlaubs beim ersten Kind mindestens 2.576 RUB (ca. USD 75) und 5.153 RUB (ca. USD 150) für weitere Kinder. Für arbeitslose Eltern beträgt das monatliche Kindergeld das festgesetzte Minimum. Im September 2013 ist ein neues Bildungsgesetz in Kraft getreten. Laut dem neuen Gesetz ist die Regelung außer Kraft getreten, dass die Kindergartengebühren nicht 20% der laufenden Kosten pro Kind überschreiten dürfen. Dies führte zu einem Anstieg der Kindergartengebühren. In unterschiedlichen Regionen kosten städtische oder staatliche Kindergärten zwischen 3.500 RUB und 9.000 RUB (ca. 102-262 USD). Familien mit einem Kind erhalten mindestens 20% Ausgleich, Familien mit zwei Kindern erhalten eine 50%ige Rückerstattung, Familien mit drei und mehr Kindern eine Kompensation in Höhe von mindestens 70%. Dieses Geld wird auf das Konto eines Elternteils überwiesen. Familien, in denen ein Kind eine Verhaltensstörung aufweist, zahlen keine Gebühren für den Besuch eines staatlichen oder städtischen Kindergartens (IOM 6.2014).

 

Russland ist mit einer bezahlten Elternzeit von 1,5 Jahren bei gleichzeitiger Arbeitsplatzgarantie weltweit unter den Spitzenreitern bei der Freistellung von der Arbeit nach Geburt eines Kindes. Von dieser Regelung aber profitieren langfristig weder die Arbeitgeber noch die Frauen. Nach Ende der Elternzeit müssen die Kinder noch für weitere eineinhalb Jahre kontinuierlich betreut werden. Mütter müssten dann zuhause bleiben, ohne weiter bezahlt zu werden. Ein System von Kindertagesstätten ist in Russland erst im Aufbau (RBTH 22.4.2017).

 

Mutterschaft:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

18. Sexuelle Minderheiten

 

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19. Bewegungsfreiheit

 

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung. Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben (AA 24.1.2017, vgl US DOS 3.3.2017, FH 2017).

 

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 3.3.2017).

 

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 24.1.2017).

 

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

19.1. Meldewesen

 

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist, um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????¿???). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die zuständige lokale Behörde schicken. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, werden am Aufenthaltsort registriert. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12 .2011). Gegen Jahresmitte 2016 wurde der FMS aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

 

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss (DIS 8.2012). Im FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

19.2. Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

 

Bitte beachten Sie hierzu unbedingt das komplette Kapitel 20 (inkl. 20.1 - 20.3).

 

Was die Anzahl von Tschetschenen im Rest des Landes anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Laut Volkszählung 2010 lebten etwa in Moskau ca. 14.500 Tschetschenen (von insgesamt 1.4 Mio landesweit). Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl größer ist, insbesondere wenn man sie mit den Angaben über andere, kleinere Nationalitäten vergleicht (ca. 11.400 Osseten, über 17.000 Mordwinen). Dabei ist auch zu bedenken, dass laut der Statistik fast 700.000 Personen keine Angaben über ihre nationale Zugehörigkeit machten. In den meisten Regionen Russlands lag die Anzahl der Tschetschenen bei der Volkszählung 2010 bei einigen Hundert, größere Gemeinschaften gab es in Dagestan (ca. 93.600), in Inguschetien (ca. 18.700), sowie in den südlichen Regionen Astrachan (ca. 7.200), Wolgograd (fast 10.000), Rostow (ca. 11.500), Stawropol (ca. 12.000), Saratow (ca. 5.700) und im westsibirischen Tjumen (ca. 10.500) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Bevölkerung in Tschetschenien selbst wird auf etwa 1,3 Millionen geschätzt, wobei auch hier die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien in Frage gestellt werden. Laut Aussagen von Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Eine der derzeitigen Hauptmigrationsrouten aus dem Nordkaukasus nach Mitteleuropa führt über Belarus und Polen. Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich wird auf rund 30.000 Personen geschätzt. Das tschetschenische Oberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrecht halten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Prominentes Beispiel dafür sind die Brüder Jamadajew, von denen einer in Moskau erschossen und ein anderer in Dubai umgebracht wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Vor diesem Hintergrund herrscht aus menschenrechtlicher Perspektive die Einschätzung vor, dass die gemessen an der Größe der tschetschenischen Diaspora innerhalb und außerhalb Russlands quantitativ geringe Zahl an tatsächlich Verfolgten sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser nur selten begründbaren Gefährdungslage wird meist dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte. Laut einer aktuellen Analyse des Carnegie-Zentrums in Moskau sollen die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren, Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstrecke sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Überdies wird hervorgehoben, dass das tschetschenische Vasallentum zum Kreml in gewisser Konkurrenz mit den föderalen Sicherheitskräften um das Machtmonopol in Tschetschenien selbst stehe. Andere Kommentatoren verweisen auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als wenig autochthon kritisierten Salafismus. Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen also auch die oppositionellen Strömungen. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der bislang eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit. Dazu führte etwa der für den Nordkaukasus zuständige Minister Ende Februar 2016 Arbeitsgespräche mit dem BMWFW in Wien, und Anfang April veranstaltete die WKÖ eine Marktsondierungsreise in die Region. Für 2017 prognostiziert die Weltbank ein moderates Wachstum der russischen Volkswirtschaft (ÖB Moskau 12.2016).

 

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Ihr Aufenthalt wird aber durch antikaukasische Stimmungen erschwert. In großen Städten wird der Zuzug von Personen reguliert und ist erkennbar unerwünscht. Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" des Regimes von Ramsan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben) (AA 24.1.2017).

 

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Wolgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Wolgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Wolgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Wolgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Wolgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

 

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

19.3. Gefälschte Dokumente

 

In Russland kann man jegliche Art von Dokumenten kaufen. Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

 

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. In Russland ist es darüber hinaus auch möglich, Personenstands und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Häufig sind Fälschungen primitiv und leicht zu identifizieren. Es gibt aber auch Fälschungen, die mit chemischen Mitteln auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

20. Grundversorgung/Wirtschaft

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,6 Millionen, somit ungefähr 53% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,7% (WKO 4.2017). Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).

 

Russland ist einer der größten Energieproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Seit der Jahrtausendwende war die russische Wirtschaft eine der am schnellsten wachsenden großen Volkswirtschaften der Welt, mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von fast 7%. Die volkswirtschaftliche Stabilisierung war die größte Errungenschaft der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins. Entscheidend dafür war die Fähigkeit, die enorm angestiegenen Exporteinnahmen intelligent zu nutzen. Die Staatsverschuldung verschwand in Relation zum BIP fast vollständig:

Sie fiel von 51% auf 4%. Die Kreditwürdigkeit des Landes wurde damit erheblich gesteigert. Die Binnennachfrage wuchs aufgrund der Einnahmen aus den Rohstoffexporten. Der Staat akkumulierte die drittgrößten Devisenreserven weltweit, sowie zusätzlich einen Reservefonds und einen Fonds für den nationalen Wohlstand. In strategisch wichtigen Wirtschaftsbereichen (von der Weltraumtechnik und der Atomkraft, bis hin zu Schiffs- und Flugzeugbau) stärkte der Staat seine Position in dem er staatliche Kapitalgesellschaften gründete. Dabei spielten Holdings, die als Dachunternehmen die staatlichen Beteiligungen an einzelnen Betrieben einer Branche zusammenfassen, eine wichtige Rolle. Die im Herbst 2008 ausgebrochene internationale Finanzkrise traf Russland sehr stark. Die russische Regierung konnte in Reaktion darauf den russischen Finanzsektor mit staatlichen Geldern stabilisieren und anschließend ein umfangreiches Konjunkturpaket, das Steuervergünstigungen und staatliche Kreditgarantien umfasste, aus den Rücklagen finanzieren. Auf ein negatives Wirtschaftswachstum von 7,9% im Jahr 2009 folgten 2010-2012 wieder Zuwachsraten von über 4%: Getragen wurde das Wachstum von hohen Rohstoffpreisen, aber auch wachsender Beschäftigung und steigender Industrieproduktion. Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 40 in 2017. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2017 den 114. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wird für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 1,5% prognostiziert (GIZ 7.2017b).

 

Nach Jahren stetiger Verbesserung verschlechtert sich der allgemeine Lebensstandort seit 2012 wieder. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen und die Durchschnittsrente, bedingt durch die hohe Inflationsrate sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen und die Armut wuchs an. Während 2012 noch 10,7 % der Bevölkerung unter die offizielle Armutsgrenze fielen, ist die Anzahl der Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums weiter gestiegen und betrug im I. Quartal 2016 22,7 Millionen oder 15,7 % der gesamten Bevölkerung. Die staatliche Unterstützung reicht häufig nicht zur Deckung des Grundbedarfs. Problematisch bleibt die Situation der Rentner. In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Lage nach einigen Rentenerhöhungen verbessert, die Mehrheit der Rentner lebt jedoch in armen Verhältnissen. Die Renten belaufen sich auf durchschnittlich 12.425 Rubel pro Monat (AA 24.1.2017).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2017/1148 bis zum 31.1.2018 verlängert (WKO 29.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

20.1. Nordkaukasus

 

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2017a).

 

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

20.2. Tschetschenien

 

Die wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren stabilisiert. Laut der Zeitung RBK Daily wurden seit 2001 rund 464 Mrd. Rubel (ca. 14 Mrd. USD) in den Wiederaufbau der Republik investiert. Obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind, bestehen noch immer über 85% des Budgets der Republik aus Direktzahlungen aus Moskau. Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei 10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

21. Sozialbeihilfen

 

Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2017c).

 

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

 

 

 

 

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

 

MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

 

 

 

 

Renten

 

 

 

 

 

 

Familienhilfe:

 

Die Regierung will die Bevölkerungszahl erhöhen. Daher erhalten

Familien mit drei oder mehr Kindern folgende Begünstigungen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Behinderung

 

 

 

 

Wohnungswesen

 

Bürger ohne Unterkunft oder mit unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Apartments beantragen

 

 

 

Arbeitslosenhilfe

 

Im Nordkaukasus besteht die höchste Arbeitslosenquote des Landes. Arbeitslose (mit Ausnahme von Schülern, Studenten und Rentnern) können sich bei den Arbeitsagenturen arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitsagentur wird innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Lehnt der Bewerber die Stellen ab, wird er als arbeitslos eingetragen. Die Arbeitslosenhilfe basiert auf Durchschnittslohn der letzten Arbeit und ist auf ein Minimum und Maximum von der russischen Gesetzgebung begrenzt. Seit 2009 ist das Minimum RUB 850 (USD 15) pro Monat und das Maximum RUB 4.900 (USD 82). Die Förderung wird monatlich ausgezahlt, sofern der Begünstigte die notwendigen Verfahren der Neubewerbung (gewöhnlich zweimal im Monat) nach den Bedingungen der Arbeitsagentur durchläuft. Notwendige Unterlagen und Dokumente sind ein Reisepass oder ein gleichwertiges Dokument und ein Arbeitsbuch oder eine Kopie, die Lohnbescheinigung des letzten Jahres, die Steueridentifikationsnummer (INN certificate), der Rentenversicherungsausweis und Dokumente zum Nachweis der Ausbildung und Berufserfahrung (IOM 8.2015).

 

Unterbrechung der Arbeitslosenhilfe in folgenden Fällen:

 

 

 

 

 

 

 

Quellen:

 

 

 

 

 

21.1. Krankenversicherung

 

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

 

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

 

* Notfallbehandlung

 

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

 

* Stationäre Behandlung

 

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

 

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

 

Die Beiträge der Krankenversicherung zahlt der Arbeitgeber (5,1% des Gehalts), für die nichtarbeitende Bevölkerung kommt der Staat auf (Handelsblatt o.D.).

 

Quellen:

 

 

 

 

22. Medizinische Versorgung

 

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 7.2017c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden (AA 3 .2017a, vgl GIZ 7.2017c, vgl AA 24.1.2017). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 13.7.2017b, vgl AA 24.1.2017).

 

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den obenstehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird. Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit durchaus variieren kann (ÖB Moskau 12.2016).

 

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 7.2017c).

 

Medizinische Versorgung gibt es bei staatlichen und privaten Einrichtungen. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu kostenfreier medizinischer Versorgung. Vorausgesetzt für OMS (OMS-Karte) sind gültiger Pass, Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren; einzureichen bei der nächstliegenden Krankenversicherungsfirma. Sowohl an staatlichen, wie auch privaten Kliniken bezahlte medizinische Dienstleistungen verfügbar; direkte Zahlung an Klinik oder im Rahmen von freiwilliger Krankenversicherung (Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 8.2015).

 

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

 

* Notfallbehandlung

 

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

 

* Stationäre Behandlung

 

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

 

Ausgaben für Gesundheitsleistungen in Russland sind immer noch niedriger als in entwickelten Ländern. Laut offiziellen Quellen stiegen die realen Ausgaben des russischen Staates für den Gesundheitssektor in den letzten zehn Jahren um 74% an. Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedoch betrugen diese 2014 nur 5,4% des BIP, und laut der Weltbank waren es sogar nur 3,7%. Selbst optimistische Einschätzungen weisen auf eine Unterfinanzierung der Gesundheitsbranche hin im Vergleich zu entwickelten Ländern, in denen dieser Index zwischen 4 und 8% des BIP liegt. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums sind für 2016 keine weiteren Reduzierungen der Gesundheitsausgaben geplant. Es liegen aktuell allerdings noch keine offiziellen Angaben zur längerfristigen Haushaltsplanung vor, da seit dem Föderalen Gesetz Nr. 273 vom 30. September 2015 die Planungsfrist für den staatlichen Haushalt nun ein Jahr statt drei Jahre beträgt. In der mittleren Perspektive kann man erwarten, dass die existierende Lücke in der russischen Gesundheitsfinanzierung durch öffentliche Mittel nicht gedeckt werden kann. Das hängt sowohl mit der wirtschaftlichen Gesamtsituation und den Auswirkungen des niedrigen Ölpreises auf den russischen Haushalt zusammen als auch mit Regulierungstrends, vor allem der laufenden Gesundheitsreform inklusive der Implementierung des Ko-Finanzierungsmodells für Gesundheitsleistungen zwischen dem Staat und den Verbrauchern im Rahmen des Pilotprogramms für Krankenversicherung "OMS+" (AHK o.D.).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

22.1. Tschetschenien

 

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben (AA 5.1.2016). Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung ist modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012).

 

Es ist sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl hierzu auch Kapitel 24.7 Medikamente).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA 31.3.2015).

 

Die Einkommen des medizinischen Personals liegen unter dem Durchschnitt. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (AA 3 .2017a). Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).

 

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es - wie für alle Bürger der Russischen Föderation - auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien [oder anderen Teilrepubliken] nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in andere Republiken geschickt (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

22.1.1. Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

 

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grosny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital 'Samashki', "Psychiatric Hospital 'Darbanhi'", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium 'Chishki'" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grosny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grosny", "Clinical Hospital N° 3 Grosny", "Clinical Hospital N° 4 Grosny", "Hospital N° 5 Grosny", "Hospital N° 6 Grosny", "Hospital N° 7 Grosny", "Clinical Hospital N° 10 in Grosny", "Maternity N° 2 in Grosny", "Polyclinic N° 1 in Grosny", "Polyclinic N° 2 in Grosny",

"Polyclinic N° 3 in Grosny", "Polyclinic N° 4 in Grosny",

"Polyclinic N° 5 in Grosny", "Polyclinic N° 6 in Grosny",

"Polyclinic N° 7 in Grosny", "Polyclinic N° 8 in Grosny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grosny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grosny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grosny", "Dental Clinic N° 1 in Grosny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grosny" und "Paediatric Dental Clinic of Grosny" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

- BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

22.2. Behandlungsmöglichkeiten von psychiatrischen Krankheiten (z.B. PTBS, Depressionen, etc.)

 

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Behandlungen durch einen Psychologen/Psychiater sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgedanken z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).

 

Posttraumatische Belastungsstörung ist in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl BMA 7979).

 

Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grosny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).

 

Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTSD zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).

 

Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind (verfügbar auch in Tschetschenien!):

 

Mirtazapin, Sertralin, Citalopram, Amitriptylin, Trazodon, Fluoxetin, Paroxetin, Duloxetin (BMA 7754, BMA 7306, BMA 9701, BMA 7874, BMA 8169).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

22.3. Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis C / Tuberkulose

 

[...]

 

22.4. Behandlungsmöglichkeiten Drogensucht

 

[...]

 

22.5. Behandlungsmöglichkeiten Nierenerkrankungen, Dialyse, Leberzirrhosen und -transplantationen

 

[...]

 

22.6. Medikamente

 

Ambulante Patienten und zu Hause Behandelte müssen Medikamente bezahlen; ausgenommen sind solche, die vom Staat gedeckt sind. In 24-Stunden- und Tageskliniken gibt es kostenfreie Medikamente für Bürger, die von der OMS [Krankenpflichtversicherung] profitieren. Bei Notfällen sind Medikamente kostenfrei. Gewöhnlich kaufen Russen ihre Medikamente auf eigene Kosten. Großfamilien mit Kindern unter sechs Jahren erhalten kostenlose, verschreibungspflichtige Medikamente, sowie Behandlung in Kliniken und Vorrang in Sanatorien/Gesundheitszentren. Bürger mit gewissen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u.a. kostenfreie Medikamente, Sanatorium Behandlung und Transport. Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 8.2015).

 

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (sechs Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter drei Jahren, Kinder unter sechs Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung. Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt (IOM 6.2014).

 

Quellen:

 

 

 

23. Behandlung nach Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Gegen Jahresmitte wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Im November 2012 wurde etwa ein per Sammelflug aus Österreich rücküberstellter Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug rücküberstellte Tschetschene in Grosny in Haft genommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus, die landesweit hohe Inflation sowie das durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Sinken der Realeinkommen. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen große Teile der russischen Bevölkerung und können somit laut Einschätzung der Botschaft nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich aufgrund der regionalen Spezifika insbesondere für Frauen. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche (politische) Verfolgung durch die russischen oder im speziellen die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keiner Diskriminierung von Seiten der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2016).

 

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

2.17. In den dagegen erhobenen Beschwerden vom 2.10.2018 wurde zunächst beantragt, den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

 

Darüber hinaus wurde vorgebracht, dass die Beschwerdeführer ihre Folgeanträge auf Sachverhalte gestützt hätten, die sich erst nach Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet hätten. Konkret gehe es um den Brandanschlag auf das Haus der Zweitbeschwerdeführerin, die Bedrohungen der Zweitbeschwerdeführerin, den verschlechterten Gesundheitszustand des Erstbeschwerdeführers und die Gefahr der Zwangsverheiratung der minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen.

 

All diese Gesichtspunkte würden neue Sachverhalte im klassischen Sinn darstellen, sodass von entschiedener Sache nicht im Entferntesten die Rede sein könne.

 

Der Brandanschlag auf das Haus der Zweitbeschwerdeführerin sei durch Urkunden belegt und könne durch Erhebungen vor Ort verifiziert werden. Dies habe ihr Rechtsvertreter auch bereits im erstinstanzlichen Verfahren beantragt, wobei diesem Beweisantrag zu Unrecht nicht Rechnung getragen worden sei. Die Bedrohungen der Zweitbeschwerdeführerin seien durch einen Datenträger belegt und sei diesbezüglich auch Anzeige erstattet worden.

 

Der Umstand, dass diese Fluchtgründe mit dem ursprünglichen Fluchtvorbringen im Zusammenhang stünden, möge zutreffen, dessen ungeachtet handle es sich aber um neue Sachverhalte, die sich zeitlich nach Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet hätten und einen neuen Asylantrag daher jedenfalls zulässig machen würden.

 

Die Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin sei durch Urkunden belegt und habe sich erst nach Abschluss des Asylverfahrens ergeben. Es werde daher der bereits im erstinstanzlichen Verfahren gestellte Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Psychiatrie wiederholt.

 

Aufgrund des fortschreitenden Alters der Töchter bestehe nunmehr auch die Gefahr der Zwangsverheiratung in Tschetschenien, welche durch die Länderberichte auch durchaus belegt sei.

 

Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätten die Asylanträge daher zugelassen und einer inhaltlichen Entscheidung zugeführt werden müssen.

 

Die Beschwerdeführer hielten sich nunmehr bereits seit mehreren Jahren in Österreich auf und würden sich bestmöglich um Integration bemühen. Sie seien unbescholten, arbeitswillig und die Kinder würden sich vorzüglich entwickeln. Der Erstbeschwerdeführer habe darüber hinaus Angehörige in Österreich.

 

Vor diesem Hintergrund würden die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen vorliegen und fehle jede Grundlage für die Erlassung eines zweijährigen Einreiseverbotes.

 

2.18. Beschwerdevorlagen und Zuteilung an die Gerichtsabteilung W125 erfolgten am 8.10.2018. Den Beschwerden wurde mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bis zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt keine aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

2.19. Bezüglich des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin wurden mit Schreiben des rechtsfreundlichen Vertreters vom 29.10.2018 weitere Ambulanzbefunde des XXXX , jeweils betreffend Untersuchungen vom XXXX , vorgelegt. Die Diagnosen sind jeweils "Posttraumatische Belastungsstörungen" und "Schwere depressive Episode mit latenter Suizidalität" (Zweitbeschwerdeführerin), respektive "Zustand nach schwerer depressiven Episode mit latenter Suizidalität". Bezüglich des Erstbeschwerdeführers wird eine Retraumatisierung durch die Ablehnung des zweiten Asylantrags beschrieben. Beide Patienten sei eine stationäre Aufnahme dringend angeraten worden; diese sei aber wegen Sorge um die Kinder abgelehnt worden; "UBK-Kriterien" lägen aber nicht vor.

 

2.20. Am 21.11.2018 langte ein E-Mail einer Russisch-Dolmetscherin ein, in dem diese zu der von den Beschwerdeführern in Vorlage gebrachten im Akt der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin befindlichen "Strafanzeige" ausführte, dass es sich bei diesem Schriftstück um die Aufforderung zur Bezahlung von Steuern, Abgaben, Versicherungsbeiträgen und Verzugszinsen (für Organisationen und Einzelunternehmer) per 5.12.2017 handelt und die Aufforderung mit der Nummer 39478 versehen wurde.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer und deren vorgebrachten Fluchtgründen:

 

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und führen die im Spruch genannten Namen. Sie stammen aus Tschetschenien.

 

Die Beschwerdeführer stellten am 14.1.2016 erste Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

 

Mit Bescheiden vom 29.12.2016 wurde jeweils unter Spruchpunkt I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 14.1.2016 gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen und der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) Den Beschwerdeführern wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und wurde gegen diese eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen fest.

 

Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7.12.2017 nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung als unbegründet abgewiesen.

 

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 4.1.2018, E 4457-4461/2017 wurde die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerden abgelehnt.

 

Die gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7.12.2017 erhobenen Revisionen wurden mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 3.5.2018, Ra 2018/19/0181 bis 0185, zurückgewiesen.

 

Am 10.6.2018 stellten die Beschwerdeführer erneut (die nunmehr gegenständlichen) Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

 

Es ergab sich zwischenzeitig weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die die Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat noch in sonstigen in der Person der Beschwerdeführer gelegenen Umständen.

 

Die Beschwerdeführer stützten ihre zweiten Anträge auf internationalen Schutz auf die gleichen Fluchtgründe, die sie bereits im Verfahren über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz geltend gemacht hatten. Sie haben keine neuen Gründe beziehungsweise keine neuen Gründe, denen ein "glaubwürdiger Kern" innewohnen würde, vorgebracht.

 

In Bezug auf die individuelle Lage der Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat kann keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.

 

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet und sind Eltern der minderjährigen Drittbis Fünftbeschwerdeführerinnen.

 

Die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin hält sich in Stavropol auf und besteht nach wie vor Kontakt der Beschwerdeführer zu dieser.

 

Im Bundesgebiet hält sich ein Cousin des Erstbeschwerdeführers auf. Es ist im Verfahren nicht hervorgekommen, dass ein besonders intensiv ausgeprägtes familiäres Naheverhältnis zu diesem bestehen würde. Weder brachten die Beschwerdeführer vor, mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt zu wohnen, noch behaupteten sie von diesem finanziell oder in sonstiger Weise abhängig zu sein.

 

Der Erstbeschwerdeführer hat im Heimatland eine berufsbildende höhere Schule besucht, ist Bauingenieur und hat zuletzt als Taxifahrer gearbeitet.

 

Die Zweitbeschwerdeführerin hat im Heimatland Herrenbekleidungsgeschäfte geführt.

 

Vor ihrer Ausreise aus dem Heimatland lebten die Beschwerdeführer zuletzt in Grosny.

 

Der Erstbeschwerdeführer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie an einer schweren depressiven Episode mit Suizidalität. Ihm wurde diesbezüglich die nachfolgende Medikation empfohlen: Sertralin 50 mg, Dominal forte 80 mg und Temesta 1mg (zuletzt per XXXX , Truxal).

 

Bei der Zweitbeschwerdeführerin wurden Schlafstörungen, eine depressive Stimmungslage, eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine schwere depressive Episode mit latenter Suizidalität diagnostiziert. Ihr wurde diesbezüglich die nachfolgende Medikation empfohlen: Sertralin 100 mg, Trittico ret. 150 mg und Temesta 1 mg (zuletzt Truxal per XXXX ).

 

Bei der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin wurde eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion und Haarausfall diagnostiziert. Darüber hinaus wurde vom XXXX , ausgeführt, dass aktuell assoziierte abnorme psychosoziale Umstände bekannt sind. Der minderjährigen Viertbeschwerdeführern wurden zur Verbesserung der Schlafsituation Hova Tabletten empfohlen.

 

Die Beschwerdeführer leben von der Grundversorgung.

 

Festgestellt wird, dass eine nachhaltige, umfassende und fortgeschrittene Integration der Beschwerdeführer während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht stattgefunden hat.

 

Die Beschwerdeführer sind in Österreich sind strafgerichtlich unbescholten.

 

1.2. Zum Herkunftsstaat Russische Föderation:

 

Die unter 2.16. angeführten Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation, welche nach wie vor die gebotene Aktualität im Hinblick auf das gegenständliche Verfahren aufweisen, werden zum Inhalt der gegenständlichen Feststellungen erhoben. Die Beschwerdeführer sind dem herangezogenen Berichtsmaterial nicht substantiiert entgegengetreten oder haben eine relevante Änderung der Situation seit dem Abschluss des Vorverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht nicht belegt oder behauptet.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakt, einschließlich ständiger Beobachtung der aktuellen Berichterstattung zum Herkunftsstaat Russische Föderation Beweis erhoben.

 

2.1. Zur Person der Beschwerdeführer und zum bisherigen Verfahren:

 

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer gründen sich auf die von ihnen in ihrem ersten Verfahren vorgelegten Unterlagen, insbesondere die Heiratsurkunde und den Führerschein des Erstbeschwerdeführers.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer beruhen auf ihren eigenen nicht zu bezweifelnden (da kohärenten) Angaben im bisherigen Verfahren sowie auf ihren Sprach- und Ortskenntnissen.

 

Die Ausführungen zum bisherigen Verfahrensgang und das Datum der Antragstellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt.

 

Die Feststellungen zum Familien- und Privatleben der Beschwerdeführer beruhen auf den eigenen insofern nicht zu bezweifelnden Angaben des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin.

 

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Erstbeschwerdeführers und der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen ist aus einem aktuell eingeholten Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich ersichtlich.

 

2.2. Zu den vorgebrachten Fluchtgründen:

 

2.2.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat zutreffend herausgearbeitet, dass die Angaben der Beschwerdeführer das im Erstverfahren erstattete Vorbringen wiederholen beziehungsweise sich die Ausführungen, insbesondere jene, wonach nunmehr auch die Zweitbeschwerdeführerin und die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen gesucht würden, auf ein bereits rechtskräftig als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen stützen.

 

Im Zuge des Erstverfahrens wurde das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer als nicht glaubwürdig befunden, in den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7.12.2017, XXXX , wurde umfassend argumentiert, dass das Vorbringen bezüglich der vorgebrachten Bedrohung völlig unglaubwürdig ist und der rechtlichen Beurteilung daher nicht zu Grunde gelegt werden kann.

 

Wenn die Beschwerdeführer im nunmehrigen Verfahren vorbringen, die alten Probleme (Verfolgung aufgrund der behaupteten oppositionellen Gesinnung) würden weiterhin bestehen beziehungsweise diese ergänzend ausführen, dass nunmehr, da der Erstbeschwerdeführer nicht mehr im Land und sein Aufenthaltsort unbekannt sei, die Zweitbeschwerdeführerin und die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen gesucht würden und darüber hinaus zwischenzeitig das Elternhaus der Zweitbeschwerdeführerin zerstört worden sei, berufen sich die Beschwerdeführer damit auf die gleichen Gründe wie im Erstverfahren. Ebenso verhält es sich mit den Ausführungen des Erstbeschwerdeführers, wonach dessen Onkel zu Beginn diesen Jahres zehn Tage lang festgehalten worden sei, um den Aufenthaltsort der Beschwerdeführer in Erfahrung zu bringen.

 

Zutreffend hat die belangte Behörde darauf hingewiesen, dass die im nunmehrigen Verfahren ergänzend getätigten Angaben nicht dazu geeignet sind, einen glaubhaften Kern des Vorbringens aufzuzeigen und damit kein neuer Sachverhalt vorgebracht wurde, sondern die im Erstverfahren getätigten Ausführungen offensichtlich untermauert werden sollen.

 

Hinzu kommt, dass auch dem nunmehrigen Vorbringen, den Ausführungen hinsichtlich der Zerstörung des Hauses und der angeblichen Verfolgung der Zweitbeschwerdeführerin sowie der minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen, jegliche Glaubwürdigkeit versagt werden muss.

 

Wie bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zutreffend argumentierte, traten, was die Zerstörung des Elternhauses betrifft, im Verfahren Ungereimtheiten auf, die die Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar aufzuklären vermochten: So behauptete der Erstbeschwerdeführer zunächst, sie hätten dort "immer die Ferien und die Urlaube verbracht"; als er dann näher dazu befragt wurde, relativierte er seine diesbezüglichen Angaben sogleich, indem er vorbrachte, er sei nicht oft dort gewesen. Schließlich, als er dazu aufgefordert wurde, das Haus näher zu beschreiben, macht er geltend, überhaupt nur ein- bis zweimal und dies vor langem dort gewesen zu sein.

 

Auch fiel auf, dass sich der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin insofern in Widersprüche verwickelten, als der Erstbeschwerdeführer davon sprach, es handle sich um ein altes zweistöckiges von Bergen umgebenes Ziegelhaus mit weißen Innenwänden, die Außenfarbe könne er nicht angeben, die minderjährige Drittbeschwerdeführerin hingegen ausführte, zu glauben, dass es sich um ein hellblaues Haus handle, das auf einem Berg angesiedelt sei.

 

Selbst unter Einbeziehung der Korrekturen im Rahmen des nachfolgenden Parteiengehörs, im Rahmen dessen die Drittbeschwerdeführerin ihre Angaben dahingehend änderte, dass es sich um ein Ziegelhaus mit hellblauen Innenwänden handle, stimmen die Ausführungen der Drittbeschwerdeführerin nicht mit jenen des Erstbeschwerdeführers überein.

 

Divergenzen traten auch in den Aussagen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin auf: So gab die Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen der Befragung vom 10.6.2018 zu Protokoll, dass ihr die Änderungen des Fluchtvorbringens seit Dezember 2017 bekannt seien; damals sei die Strafanzeige gekommen. Der Erstbeschwerdeführer brachte in der Einvernahme am 21.6.2018 hingegen, auf die Frage, wann sie von der Zerstörung des Hauses erfahren hätten, vor, dies sei Ende März gewesen. Von dem Brief hätten sie Anfang März Kenntnis erlangt.

 

Den beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist auch insofern beizupflichten als es unglaubwürdig erscheint, dass sich der Erstbeschwerdeführer nicht mehr an den Zeitpunkt des Drohanrufes erinnern konnte, dies obwohl dieser angeblich nur ungefähr eine Woche vor der Einvernahme am 5.7.2018 stattgefunden haben soll. Unbeschadet des Umstandes, dass man durchaus genaue Zeit- und Datumsangaben vergessen kann, ist im gegenständlichen Fall nicht davon auszugehen, dass es sich um eine nachvollziehbare Erinnerungslücke handelt, zumal das Ereignis, den eigenen Angaben des Erstbeschwerdeführers zufolge, erst so kurze Zeit zurücklag.

 

Was die vorgelegte Übersetzung des Drohanrufes vom 28.6.2018 in Kopie betrifft, ist festzuhalten, dass darin nur Aussagen der Beschwerdeführer verschriftlicht wurden, deren Echtheit nicht überprüft werden kann. Dadurch ist - entgegen den Ausführungen des rechtsfreundlichen Vertreters in der Beschwerde - keinesfalls belegt, dass die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Bedrohungen tatsächlich stattgefunden haben. Dasselbe gilt für das diesbezügliche im Akt einliegende Protokoll der Zeugenvernehmung des Erstbeschwerdeführers vor der XXXX .

 

Auffällig erscheint, wie bereits von der belangten Behörde ins Treffen geführt, außerdem der Umstand, dass der Drohanruf gerade zum Zeitpunkt des zweiten Antrages auf internationalen Schutzes, kurz vor der zweiten Einvernahme der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, stattgefunden haben soll. Auch wenn alleine daraus natürlich nicht auf die Unglaubwürdigkeit der Angaben geschlossen werden kann, spricht dies in Zusammenschau mit den sonstigen aufgetretenen Unplausibilitäten und der abgesehen davon schon ins Treffen geführten Steigerung des Vorbringens nicht für die Richtigkeit der Ausführungen.

 

Die vorgelegte Fotografie zeigt ein teilweise zerstörtes/beschädigtes Haus, weder ergibt sich daraus, dass es sich dabei tatsächlich um das Elternhaus der Zweitbeschwerdeführerin handelt, noch liefern diese Beweis dafür, dass die Schäden am Hauses in Zusammenhang mit der Verfolgung der Beschwerdeführer steht. Die beigelegte schriftliche Darstellung, wonach etwa die im Erdgeschoss wohnende Mieterin nichts Näheres mitbekommen hatte, was genau betreffend das Obergeschoss in der Nacht passiert sei, erweist sich ebenso zumindest nicht als unmittelbar plausibel. Insofern war auch dem Beweisantrag, Erhebungen vor Ort durchzuführen, als reinem Erkundungsbeweis nicht zu folgen.

 

Was die in Vorlage gebrachte "Strafanzeige" betrifft, ist auszuführen, dass diesem Schreiben aus mehreren Gründen kein Beweiswert zuzuerkennen ist. Zunächst ist festzuhalten, dass eine hiergerichtliche am 20.11.2018 erfolgte Durchsicht durch eine geeignete Dolmetscherin ergeben hat, dass es sich dabei um eine Aufforderung zur Bezahlung von Steuern, Abgaben, Versicherungsbeiträgen und Verzugszinsen per 5.12.2017 und keineswegs um eine Strafanzeige handelt. Zum anderen kann aus dieser Vorschreibung von Steuern keinerlei Zusammenhang zu dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer erkannt werden und weist diese Aufforderung auch sonst nicht auf eine drohende Verfolgung hin.

 

Insgesamt kann den auf dem nicht glaubhaften Vorbringen im Erstverfahren aufbauenden Einlassungen - wie schon zutreffend von der belangten Behörde argumentiert - kein glaubhafter Kern zugestanden werden.

 

2.2.2. Insofern die Beschwerdeführer in dem nunmehr gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz behaupten, den minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen drohe in ihrem Heimatland eine Zwangsverheiratung oder sonstige asylrelevante Gefährdungen als junge Mädchen/Frauen, so legen sie damit keinen nach Rechtskraft der vorangegangenen Verfahren neu entstandenen Sachverhalt zugrunde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies zutreffend darauf hin, dass die Beschwerdeführer sich hierdurch dem Grunde nach auf einen Sachverhalt beriefen, welcher bereits zum Zeitpunkt ihrer ersten Antragstellungen vorgelegen hat und dieser somit von der Rechtskraft der die ersten Verfahren abschließenden Erkenntnisse umfasst ist. Aus dem Vorbringen, die diesbezügliche Gefahr habe sich angesichts des Älterwerdens der minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen nunmehr verstärkt, kann angesichts des geringen Zeitabstands zwischen der letzten rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und der zweiten Antragstellung nichts gewonnen werden. Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Ausführungen, wonach den minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen im Heimatland Zwangsverheiratung drohe, das gesamte Verfahren über vollkommen allgemein gehalten blieben und keinen individuellen Bezug zu deren Person aufweisen. Schließlich zeigen auch die relevanten Passagen der Länderfeststellungen zur Lage der Frau in der Russischen Föderation im Allgemeinen und zu Tschetschenien im Besonderen keine Lage, die einer allgemeinen Verfolgungsgefahr für alle Mädchen/Frauen gleichzuhalten wäre, wie von den Beschwerdeführern in den Raum gestellt.

 

2.3. Zur Lage in der Russischen Föderation

 

2.3.1. Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, welche bereits den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.9.2018 zugrunde lagen und denen von den Beschwerdeführern respektive deren Vertreter nicht substantiiert entgegengetreten wurde (der Beschwerdeführer führte im Rahmen der Einvernahme vom 21.6.2018 lediglich nicht näher begründet aus, in Russland gebe es keine Gesetze, keine Gerechtigkeit und arme Menschen würden vom Staat nicht geschützt werden), stützen sich auf die zitierten Quellen (siehe unter 2.16). Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderfeststellungen sind jedenfalls auch gegenständlich noch als aktuell zu bewerten.

 

2.3.2. Es ergibt sich aus der Einsicht in die erwähnten Länderberichte insbesondere auch keine maßgebliche Änderung der die Beschwerdeführer betreffenden asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in seinem Herkunftsstaat, gegenüber den Länderberichten, die der Vorentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7.12.2017 zugrunde gelegen waren. Dies wurde auch nicht substantiiert behauptet.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Verfahrensbestimmungen

 

3.1.1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl I Nr 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

 

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl Nr 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl Nr 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl Nr 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

 

3.2. Zu Spruchteil A)

 

3.2.1. Zu Spruchpunkten I. und II. des angefochtenen Bescheides

 

3.2.1.1. Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs 2 bis 4 AVG findet.

 

Nach der Rechtsprechung zu dieser Bestimmung liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des § 68 Abs 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid (für das Vorerkenntnis) maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid (Vorerkenntnis) als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl etwa VwGH vom 4.11.2004, Zl 2002/20/0391, mwN).

 

Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (vgl VwGH vom 25.4.2007, Zl 2004/20/0100, mwN).

 

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde. Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl VwGH vom 12.10.2016, Ra 2015/18/0221, vom 25.2.2016, Ra 2015/19/0267 und vom 19.2.2009, Zl 2008/01/0344). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH vom 21.10.1999, Zl 98/20/0467; vgl auch VwGH vom 17.9.2008, Zl 2008/23/0684 und vom 19.2.2009, Zl 2008/01/0344).

 

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl VwGH vom 20.3.2003, Zl 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl VwGH vom 7.6.2000, Zl 99/01/0321).

 

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus; Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl VfGH vom 29.6.2011, U 1533/10 und VwGH vom 19.2.2009, Zl 2008/01/0344 mwN).

 

Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs 2 VwGVG ist nur die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückgewiesen hat (vgl dazu VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).

 

Die Rechtsmittelbehörde darf nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung (wegen entschiedener Sache) durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist und hat dementsprechend entweder - im Falle des Vorliegens entschiedener Sache - das Rechtsmittel abzuweisen oder - im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung - den bekämpften Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde den gestellten Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (VwSlg 2066A/1951, VwGH vom 30.5.1995, Zl 93/08/0207; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2, 1433 mwH).

 

Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (VwGH vom 8.9.1977, Zl 2609/76). Die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft aufgrund geänderten Sachverhaltes darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht werden (VwGH vom 23.5.1995, Zl 94/04/0081).

 

3.2.1.2.1. Soweit sich die Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren wieder auf jene Fluchtgründe (mehrmalige Mitnahmen und Festnahmen des Erstbeschwerdeführers aufgrund der Teilnahme seiner Familie am ersten und zweiten Tschetschenienkrieg, also der behaupteten oppositionellen Gesinnung) aus den rechtskräftig abgeschlossenen ersten Verfahren beziehen und die damaligen Verfolgungsbehauptungen aufrecht erhalten sowie weiter ausbauen (indem sie nunmehr vorbrachten, die Zweitbeschwerdeführerin und die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen würden verfolgt, der Onkel des Erstbeschwerdeführers sei (um den Aufenthaltsort des Erstbeschwerdeführers zu erfahren) mitgenommen worden und das Elternhaus der Zweitbeschwerdeführerin sei zerstört worden) und damit das Fortbestehen und Weiterwirken der damals vorgebrachten Fluchtgründe behaupten, ist ihnen entgegenzuhalten, dass diese bereits im ersten Verfahren sowohl vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch vom Bundesverwaltungsgericht als nicht glaubhaft beurteilt wurden. Wie in der Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung dargelegt, erwies sich auch das Vorbringen im vorliegenden Verfahren als nicht glaubwürdig, auch diesmal wurden keine tragfähigen Beweismittel vorgelegt, die eine Neubeurteilung erforderlich erscheinen ließen. Festzuhalten ist hier nur, dass auch die Widergabe des im Vorverfahren als falsch erkannten Vorbringens in der Befundaufnahme ärztlicher Schreiben nicht geeignet ist, die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung des hiergerichtlichen Vorerkenntnisses vom 7.12.2017 und der nunmehrigen Entscheidung darzutun.

 

Somit liegt - wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in den angefochtenen Bescheiden richtig ausgeführt hat - hinsichtlich dieser bereits im Erstverfahren vorgebrachten Verfolgung eine entschiedene Sache im Sinne des § 68 Abs 1 AVG vor, deren Rechtskraft einer neuerlichen Sachentscheidung entgegensteht. Wie bereits beweiswürdigend festgehalten brachten die Beschwerdeführer auch mit der Behauptung, den minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen drohe in ihrem Heimatland eine Zwangsverheiratung, keinen nach Rechtskraft der vorangegangenen Verfahren neu entstandenen Sachverhalt vor; abgesehen davon, dass dieses Vorbringens auch inhaltlich keine andere Entscheidung hätte bewirken können.

 

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat in den angefochtenen Bescheiden somit zu Recht ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführer auf dieselben Gründe beziehen, die bereits vor Rechtskraft der ersten Verfahren bestanden haben, weshalb diese nicht geeignet sind, neuerliche Anträge zu begründen.

 

3.2.1.2.2. Wie bereits oben festgehalten, richtet sich ein Antrag auf internationalen Schutz aber auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daher sind auch Sachverhaltsänderungen, die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, von den Asylbehörden im Rahmen von Folgeanträgen einer Prüfung zu unterziehen (vgl VwGH vom 19.2.2009, Zl 2008/01/0344).

 

Auch im Hinblick auf Art 3 EMRK ist jedoch nicht erkennbar, dass die Rückführung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation zu einem unzulässigen Eingriff führen würde und diese bei ihrer Rückkehr in eine Situation geraten würden, die eine Verletzung von Art 2 und 3 EMRK mit sich brächte oder diesen jedwede Lebensgrundlage fehlen würde. Auch hier ergaben sich keine Sachverhaltsänderungen.

 

Bereits den rechtskräftigen abweisenden Entscheidungen in den Verfahren über die ersten Anträge auf internationalen Schutz wurden umfassende Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Russischen Föderation zugrunde gelegt; nunmehr wurde eine aktuellere Version von der belangten Behörde in das Verfahren einbezogen. Es sind darüber hinaus auch keine wesentlichen, in den Personen der Beschwerdeführer liegenden, neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden, die eine umfassende Refoulementprüfung für notwendig erscheinen lassen würden. Es liegen nach wie vor keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend vor, dass die Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müssten, bei ihrer Rückkehr in eine existenzielle Notlage zu geraten.

 

Es ergeben sich aus den Länderfeststellungen zur Russischen Föderation auch keine Gründe, um davon auszugehen, dass jeder zurückgekehrte Staatsbürger einer reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art 3 EMRK ausgesetzt wäre, sodass kein Rückführungshindernis im Lichte der Art 2 und 3 EMRK feststellbar ist. Aufgrund der Länderberichte ergibt sich, dass sich die Lage im Herkunftsstaat seit der Entscheidung in den Verfahren über die ersten Anträge auf internationalen Schutz nicht wesentlich geändert hat.

 

Die Beschwerdeführer waren jedenfalls vor ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation dazu in der Lage, ihre Lebensgrundlage zu sichern und ist daher nicht ersichtlich beziehungsweise haben die Beschwerdeführer auch nicht dargetan, weshalb ihnen dies nicht auch künftig möglich sein sollte. Da auch noch Kontakt zur Schwester der Zweitbeschwerdeführerin besteht und sich darüber hinaus zumindest auch noch die Mutter des Erstbeschwerdeführers im Heimatland aufhält, könnten die Beschwerdeführer auch auf familiäre Unterstützung zurückgreifen.

 

3.2.1.2.2.1. Was die im nunmehrigen Verfahren vorgelegten Befunde betreffend die geltend gemachten psychologischen Probleme betrifft, ist festzuhalten, dass sich aus diesen nicht ergibt, dass bei den Beschwerdeführern ein Gesundheitszustand vorliegen würde, der eine ausschließlich in Österreich mögliche medizinische Behandlung aufzeigen würde.

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich sind, eine Überstellung in die Russische Föderation dann nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohte.

 

Überdies hat nach der ständigen Rechtsprechung im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl EGMR vom 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).

 

Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl EGMR vom 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).

 

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stehen eine posttraumatische Belastungsstörung und sogar Selbstmordgefahr (EGMR vom 22.9.2005, Fall Kaldik, Appl 28526) sowie eine schwere Depression und Selbstmordgefahr (EGMR vom 31.5.2005, Ovidenko, Appl 1383/04), einer Abschiebung nicht im Wege.

 

Eine akute lebensbedrohende Krankheit der Beschwerdeführer, welche eine Überstellung in die Russische Föderation gemäß der dargestellten Judikatur des EGMR verbieten würde, liegt im konkreten Fall jedenfalls nicht vor. Auch wurde nicht konkret dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführer im Falle einer Überstellung, in den Schutzbereich von Art 3 EMRK fallend, verschlechtern würde. Es ist insbesondere nicht anzunehmen, dass sich die Beschwerdeführer in dauernder stationärer Behandlung befänden oder auf Dauer nicht reisefähig wären. Anlässlich einer Abschiebung werden von der Fremdenpolizeibehörde auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt.

 

Wie sich den Länderfeststellungen entnehmen lässt, sind in der Russischen Föderation unzweifelhaft medizinische Einrichtungen für die gestellten Diagnosen vorhanden und ist daher kein Krankheitsbild gegeben, welches für sich genommen bereits eine völlige Unzulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat bewirken würde. Wie sich aus den Länderberichten ergibt, sind psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Erkrankungen durch einen Psychologen beziehungsweise Psychiater in der gesamten Russischen Föderation verfügbar und gibt es auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgedanken. Eine Posttraumatische Belastungsstörung ist in der gesamten Russischen Föderation behandelbar, unter anderem auch in Tschetschenien. Diverse Antidepressiva sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grosny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos (informelle Zuzahlungen sind üblich). Bei stationärer und ambulanter Behandlung in diesem Krankenhaus ist die Medikation kostenfrei.

 

Dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin wurden jeweils Medikamente mit den Wirkstoffen Sertralin, Trazodon und Lorazepam (zuletzt Chlorprothixen) empfohlen; wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, sind diverse Antidepressiva auch in der gesamten Russischen Föderation erhältlich und sind die Wirkstoffe Sertralin und Trazodon als Beispiele für häufig angefragte auch in Tschetschenien erhältliche Inhaltsstoffe angeführt. Der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin wurden keine verschreibungspflichtigen Medikamente, sondern lediglich Tabletten mit dem Wirkstoff Baldrianwurzel-Trockenextrakt empfohlen. Dass die Viertbeschwerdeführerin schon in Tschetschenien wegen psychischer Probleme in ärztlicher Behandlung war, wurde von ihrer Mutter im Vorverfahren angegeben, was zum einen den Befund der Behandelbarkeit im Grundsatz bestätigt, zum anderen diesbezüglich auch für das Vorliegen eines "novum repertum" spricht.

 

Zum derzeitigen Zeitpunkt kann somit keinesfalls angesichts des Gesamtvorbringens erkannt werden, dass die Rückkehr der Beschwerdeführer in die Russische Föderation und die dort anzustrebende Behandlung der psychischen Probleme des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweit- und Viertbeschwerdeführerinnen angesichts der nunmehr gestellten Diagnose unzumutbar wäre und die Beschwerdeführer in eine unmenschliche Lage versetzen würde. Die im vorliegenden Fall konstatierten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführer stellen, unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Judikatur, insbesondere des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, keinen derart außergewöhnlichen Umstand dar, dass eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art 3 EMRK anzunehmen wäre.

 

Insofern war auch, entgegen dem Beschwerdevorbringen, keine Notwendigkeit gegeben, ein Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Psychiatrie einzuholen; alle von den Beschwerdeführern vorgelegten ärztlichen Befundberichte wurden in das Verfahren einbezogen.

 

3.2.1.2.2.2. Angemerkt sei zudem, dass die Beschwerdeführer, die sich seit Jänner 2016 im Bundesgebiet aufhalten, bis zur Einvernahme im Juni beziehungsweise Juli 2017, trotz mehrmaliger Fragen zu ihrem Gesundheitszustand, zu keinem Zeitpunkt psychische Probleme ins Treffen geführt haben. Vor allem der Erstbeschwerdeführer sprach in der Einvernahme am 21.6. noch davon, dass es ihm gesundheitlich gut gehe, er in keinerlei ärztlicher Behandlung stehe und auch keine Medikamente einnehme, dies obwohl er wenig später Befunde in Vorlage brachte, wonach er bereits im April 2018 im psychiatrischen Ambulanzzentrum des XXXX behandelt worden sei. Sofern die nunmehr festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen vom behandelnden Arzt im Zusammenhang mit den negativen Entscheidungen in den Asylverfahren gebracht werden, vermag das die Rechtsrichtigkeit der getroffenen behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen nicht zu erschüttern, ohne deren Ausmaß in Abrede zu stellen. Wesentlich ist jedoch, dass bis und zum Entscheidungszeitpunkt weder eine (zeitlich nicht absehbare) stationäre Aufnahme in einer Krankenanstalt ersichtlich ist oder ärztlich als erforderlich angesehen wurde und dass die zuständige Behörde im Falle einer (gemeinsamen) Abschiebung die gesundheitliche Situation aller Beschwerdeführer geeignet beachten muss, ist offenkundig.

 

3.2.1.2.3. Da insgesamt weder in der maßgeblichen Sachlage und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre der Beschwerdeführer gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden konnte. Die Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache war rechtmäßig, weshalb die Beschwerden abzuweisen sind.

 

Der angefochtene Bescheid war sohin hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. zu bestätigen.

 

3.2.1.2.4. Ergänzend ist bezugnehmend auf die aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 6.11.2018, Ra 2018/01/0106, auszuführen, dass selbst dann, wenn man die Auffassung vertreten würde, dass die Erkrankungen der Beschwerdeführer nicht unter dem subsidiären Schutz zu prüfen, sondern unter die Spruchpunkte betreffend die Rückkehrentscheidung zu subsumieren wären, dies zu keinem anderen Verfahrensergebnis führen würde, weshalb darauf rechtlich nicht näher eingegangen werden musste.

 

3.2.2. Zu Spruchpunkten III. bis VI. des angefochtenen Bescheides

 

3.2.2.1. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 vorliegt.

 

§ 55 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

 

1. dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl I Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

 

§ 57 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Abs 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs 3 und § 73 AVG gehemmt.

 

(3) Ein Antrag gemäß Abs 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

 

(4) Ein Antrag gemäß Abs 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

 

§ 58 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

 

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

 

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

 

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wurde.

 

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen."

 

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) idF BGBl I 68/2013 lauten:

 

"§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind."

 

"§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht."

 

"§ 52 (1) [...]

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

[...]

 

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei."

 

"§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. [...]"

 

§ 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"Schutz des Privat- und Familienlebens

 

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben der Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürgerinnen oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Entsprechend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (in Folge "EGMR") als auch jener des Verfassungsgerichtshofes muss der Eingriff hinsichtlich des verfolgten legitimen Ziels verhältnismäßig sein.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des bzw der Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl VfSlg 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH vom 26.6.2007, Zl 2007/01/0479 und vom 26.1.2006, Zl 2002/20/0423).

 

Soweit Kinder von einer Ausweisung betroffen sind, sind nach der Judikatur des EGMR die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl dazu die Urteile des EGMR vom 18. Oktober 2006, Üner gegen die Niederlande und vom 6. Juli 2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz). Maßgebliche Bedeutung hat der EGMR dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaates sprechen und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (VwGH 21.04.2011, 2011/01/01/0132). Je jünger der Asylwerber im Zeitpunkt des Betretens des Bundesgebietes war, desto schwerer mag der Eingriff wiegen. Kindern im Alter von 7 und 11 Jahren attestierte der EGMR jedoch eine Anpassungsfähigkeit.

 

Im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer wird bei Kindern häufig schon eine kürzere Zeit als bei Erwachsenen ausreichen, um eine Verwurzelung im Gastland festzustellen. Auch kommt bei Kindern dem Bezug von Sozialhilfeleistungen (durch ihre Eltern) keine entscheidende Bedeutung zu, auch wenn zur Beurteilung einer Verfestigung in Österreich und der Frage einer Reintegration im Heimatstaat alle Umstände und damit auch die familiären Verhältnisse zu berücksichtigen sind (vgl VfSlg 16.657/2002; VwGH 19. 10. 1999, 99/18/0342 u.a.).

 

3.2.2.2. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführer weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch die Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs 1 Z 3 FPG wurden. Weder haben die Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

3.2.2.3. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG iSd Art 8 EMRK geboten ist.

 

3.2.2.3.1. Die Beschwerdeführer sind als Kernfamilie alle gleichermaßen von Rückkehrentscheidungen betroffen, sodass insofern kein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens vorläge.

 

Die Beschwerdeführer brachten im Verfahren vor, dass sich ein Cousin des Erstbeschwerdeführers in Österreich aufhalte. Es ist, wie festgestellt wurde, im Verfahren nicht hervorgekommen, dass ein besonders intensiv ausgeprägtes familiäres Naheverhältnis zu diesem bestehen würde. Weder brachten die Beschwerdeführer vor, mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt zu wohnen, noch behaupteten sie von diesem finanziell oder in sonstiger Weise abhängig zu sein. Ein schützenswertes Familienleben im oben dargestellten Sinne liegt daher nicht vor.

 

3.2.2.3.2. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben der Beschwerdeführer eingreifen.

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Geht man nun im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privatleben der Beschwerdeführer in Österreich aus, fällt die gemäß Art 8 Abs 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu Lasten der Beschwerdeführer aus und würde die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK darstellen:

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob sie in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl Thym, EuGRZ 2006, 541).

 

Im konkreten Fall stellten die Beschwerdeführer am 14.1.2016, sohin vor nicht ganz drei Jahren, ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

 

Auch abgesehen von der noch kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet sind keinerlei ausreichenden Anhaltspunkte für eine tatsächliche, fortgeschrittene Integration hervorgekommen, aufgrund derer eine die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation anzunehmen wäre.

 

Die Beschwerdeführer verblieben nach rechtskräftigem negativen Abschluss der Verfahren über ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz unrechtmäßig im Bundesgebiet und verfügten zu keinem Zeitpunkt über ein Aufenthaltsrecht außerhalb der beiden Verfahren. Beide von den Beschwerdeführern gestellten Anträge auf internationalen Schutz erwiesen sich als unrechtmäßig.

 

Die Dauer der beiden Verfahren übersteigt auch bei weitem nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist, sondern wurden beide Verfahren sehr zügig betrieben.

 

Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 4.12.2012, Fall Butt, Appl 47.017/09, Z 85 f).

 

Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführer über weitaus stärkere Bindungen zum Herkunftsstaat verfügen: Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin waren bis zum Alter von XXXX beziehungsweise XXXX Jahren in der Russischen Föderation aufhältig, haben dort also ganz klar den überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht. Die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen waren XXXX , XXXX und XXXX Jahre alt als sie die Russische Föderation verließen. Auch sie waren daher bislang überwiegend in der Russischen Föderation aufhältig, sie sprechen russisch und tschetschenisch und haben ihre Sozialisation bisher hauptsächlich im Heimatland erfahren. Die minderjährigen Beschwerdeführerinnen hielten sich die gesamte Zeit über, ihrem Alter entsprechend, bei ihren Eltern auf und würden auch gemeinsam mit diesen im Familienverband zurückkehren.

 

Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen in Österreich (im Rahmen der Schulpflicht) eine Schule besuchen, kann nicht angenommen werden, dass diese bei einem Umzug in die Russische Föderation vor unüberwindbare Hindernisse gestellt wären. Da die minderjährigen Beschwerdeführerinnen erst im Alter von zwölf, zehn und neun Jahren ausreisten, ist davon auszugehen, dass diese bereits im Heimatland den Kindergarten beziehungsweise anschließend die Schule besucht haben und erscheint es, nach nicht einmal dreijähriger Abwesenheit, jedenfalls zumutbar, den Schulbesuch in der Russischen Föderation fortzusetzen. Es ist davon auszugehen, dass die minderjährigen Beschwerdeführerinnen mit den kulturellen Gegebenheiten ihres Heimatlandes, in dem alle den bei weitem überwiegenden Teil ihres bisherigen Lebens verbracht haben, vertraut sind.

 

Vor dem Hintergrund der relativ kurzen Ortsabwesenheit kann auch nicht gesagt werden, dass die Beschwerdeführer ihrem Kulturkreis völlig entrückt wären oder sich in ihrer Heimat überhaupt nicht mehr zu Recht finden würden.

 

Darüber hinaus halten sich im Heimatland noch die Mutter des Erstbeschwerdeführers, zu der wohl wieder Kontakt aufgenommen werden könnte, sowie die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin, mit welcher diese auch derzeit in Verbindung stehen, auf. Außerdem sprach der Erstbeschwerdeführer in der Einvernahme vom 22.11.2016 davon, dass eine seiner Schwestern in der Näher von Grosny lebe. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Beschwerdeführer mit ihren im Heimatland aufhältigen Familienangehörigen nach einer Rückkehr nicht wieder in Kontakt treten könnten.

 

Der Erstbeschwerdeführer brachte vor, im Heimatland eine Ausbildung als Bauingenieur absolviert und dort zuletzt als Taxifahrer gearbeitet zu haben.

 

Die Zweitbeschwerdeführerin gab in den Verfahren an, im Heimatland Herrenbekleidungsgeschäfte betrieben zu haben.

 

Unter diesen Aspekten sowie in Anbetracht der weiterhin gegebenen Erwerbsfähigkeit des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin kann auch die von ihnen zu erwartende Rückkehrsituation ihr Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht verstärken.

 

Im Gegensatz dazu sind die Beschwerdeführer in Österreich schwächer integriert: Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin legten zwar Bestätigungen vor, wonach sie zuletzt von XXXX .2017 bis XXXX .2018 einen Deutschkurs auf dem Niveau B1 besuchten, die nachfolgende Prüfung bestanden sie, wie sich aus den im Verwaltungsakt befindlichen Bestätigungen ergibt, jedoch nicht. Aus dem zuletzt einmonatigen Deutschkursbesuch lässt sich keine fortgeschrittene Integration erkennen. Aus im Akt befindlichen Empfehlungsschreiben ergibt sich zwar, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin lernwillig sind und bereits erste Freundschaften knüpfen konnten, eine maßgebliche Eingliederung im Bundesgebiet geht daraus aber nicht hervor. Insbesondere sind weder der Erstbeschwerdeführer noch die Zweitbeschwerdeführerin erwerbstätig, sondern lebt die Familie von staatlichen Unterstützungsleistungen. Es hat sich im Verfahren auch nicht ergeben, dass der Erstbeschwerdeführer oder die Zweitbeschwerdeführerin, abgesehen von ihren Bemühungen Deutsch zu lernen, sonstige Bildungsmaßnahmen in Anspruch genommen hätten.

 

Es wird seitens des erkennenden Gerichts nicht verkannt, dass die Beschwerdeführer, wie sich aus den vorgelegten Empfehlungsschreiben ergibt, in ihrem Heimatdorf bereits Kontakte knüpfen konnten und mit anderen Bewohnern der Ortschaft in regelmäßigem Kontakt stehen; dies kann aber noch nicht als besonders ausgeprägte Integration in die österreichische Gesellschaft gewertet werden. Dadurch wird zwar eine gewisse soziale Vernetzung ins Treffen geführt, jedoch kann dies in einer Gesamtschau nicht zu einem Überwiegen der privaten Interessen führen.

 

Das Interesse der Beschwerdeführer an der Aufrechterhaltung ihrer allenfalls bestehenden privaten Kontakte ist noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass sie sich bei allen Integrationsschritten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein mussten: Sie durften sich bislang nur aufgrund der Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet aufhalten, die zu keinem Zeitpunkt berechtigt waren (vgl zB VwGH vom 20.2.2004, Zl 2003/18/0347, vom 26.2.2004, Zl 2004/21/0027 und vom 27.4.2004, Zl 2000/18/0257; sowie EGMR 8.4.2008, Fall Nnyanzi, Appl 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

3.2.2.4. Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall insgesamt schwerer als die Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib in Österreich (vgl in diesem Sinne zuletzt auch die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom 12.10.2018, Ra 2018/14/0097, vom 18.10.2018, Ra 2018/19/0178, vom 22.10.2018, Ra 2018/20/0446).

 

Im Besonderen ist in rechtlicher Hinsicht auf noch auf die folgenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, in denen trotz langjährigem Aufenthalt und erfolgten Integrationsschritten seitens des Höchstgerichts die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeenden Maßnahme bejaht wurde:

 

VwGH 25.3.2010, 2009/21/0216 ua (Familie; siebenjähriger Aufenthalt;

selbständige Berufstätigkeit beziehungsweise Schulbesuch; Aufbau eines Freundes- und Bekanntenkreises; Deutschkenntnisse;

Unbescholtenheit; keine staatliche Unterstützung),

 

VwGH 18.3.2010, 2010/22/0023 (sechsjähriger Aufenthalt; enge Beziehung zu Geschwistern in Österreich; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; Einstellungszusage; großer Freundes- und Bekanntenkreis),

 

VwGH 25.2.2010, 2009/21/0070 (rund achtjähriger Aufenthalt; 3 Jahre Berufstätigkeit; gute Deutschkenntnisse; engen Kontakt zu Freundes- und Bekanntenkreis sowie Bruder in Österreich; Unbescholtenheit; kaum Kontakt zu seinen im Libanon verbliebenen Angehörigen),

 

VwGH vom 30.6.2016, Ra 2016/21/0076 (knapp sechsjähriger Aufenthalt, legale Beschäftigung seit 2012, gute Deutschkenntnisse, Selbsterhaltungsfähigkeit),

 

VwGH vom 17.5.2017, Ra 2017/22/0059 (mehr als achtjährige Aufenthaltsdauer; Tätigkeit als Zeitungsverteiler, Gewerbeberechtigung, Sozialversicherung und Einstellungszusage für Vollbeschäftigung als "Pizzafahrer"; Freundschaften zu Österreichern im Bundesgebiet).

 

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist somit davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführer im Bundesgebiet sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG iVm Art 8 EMRK dar.

 

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 liegen vor: Da die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückgewiesen wurden, sind Rückkehrentscheidungen gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 zu erlassen (vgl hiezu VwGH vom 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).

 

§ 52 Abs 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG 2005 vorliegt und den Beschwerdeführern kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Da ihr Antrag im Hinblick auf die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs 1 AsylG 2005 zurückgewiesen wurde, liegt weder ein Fall des § 8 Abs 3a noch des § 9 Abs 2 AsylG 2005 vor. Sie gaben nicht an, über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen beziehungsweise hat sich dies im Verfahren auch nicht ergeben.

 

3.2.2.5. Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg cit in einen bestimmten Staat zulässig ist.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder das 6. beziehungsweise 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs 1 AsylG 2005.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005.

 

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für die Russische Föderation nicht.

 

Umstände, die das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung begründen würden, kamen nicht hervor. Ebenso ergaben sich keine Umstände, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen.

 

Insbesondere ergibt sich auch aus den im angefochtenen Bescheid zitierten Länderinformationen keine für die Beschwerdeführer veränderte Situation seit dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7.12.2017.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war somit als unbegründet abzuweisen.

 

3.2.3. Zu Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides

 

3.2.3.1. Gemäß § 53 Abs 1 und Abs 2 FPG kann vom Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens fünf Jahren erlassen werden. Das Bundesamt hat bei der Bemessung der Dauer das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen miteinzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

 

§ 53 FPG erging in Umsetzung des Art 11 Rückführungsrichtlinie und ist vor dem Hintergrund des Ziels der Effektivität einer gesamteuropäischen Rückkehrpolitik zu sehen. Dem Wortlaut der Richtlinie zufolge "hat" eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot zu ergehen, falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde, in sonstigen Fällen steht den Mitgliedstaaten die Verbindung der Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot offen (vgl Filzwieser et al, Asyl- und Fremdenrecht Stand: 15. 1.2016, § 53 FPG, K2).

 

Der bloße unrechtmäßige Aufenthalt stellt nach dem System der Rückführungs-RL noch keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung dar, dass dies immer die Erlassung eines Einreiseverbotes gebieten würde (VwGH vom 15.12.2001, Zl 2011/21/0237).

 

Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot verpflichten Drittstaatsangehörige zur Ausreise in den Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat und enthalten die normative Anordnung, für den festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet derjenigen Mitgliedsstaaten einzureisen, für die die Rückführungs-RL gilt, und sich dort nicht aufzuhalten (VwGH vom 14.11.2017, Ra 2017/21/0151). Die Frage nach dem Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen darf daher nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden, vielmehr muss auch die Situation in den anderen Mitgliedstaaten mitberücksichtigt werden (vgl VwGH vom 15.12.2011, 2011/21/0237).

 

Der räumliche Geltungsbereich ist allerdings nicht deckungsgleich mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ausgenommen sind das Vereinigte Königreich und Irland, hinzu kommen Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein (vgl Filzwieser et al, Asyl- und Fremdenrecht, § 53 FPG, K3).

 

Der Verhängung eines Einreiseverbotes sowie in weiterer Folge der Bemessung seiner Dauer immanent ist die zum Entscheidungszeitpunkt durchzuführende individuelle Gefährdungsprognose. Der Beurteilung des durch den Fremden potentiell zu erwartenden Gefährdungspotentials kommt sowohl für die Frage, ob ein Einreiseverbot überhaupt zu verhängen ist, als auch hinsichtlich der Bemessung seiner Dauer zentrale Bedeutung zu. Zwar enthalten die Absätze 2 bis 3 des § 55 FPG eine demonstrative Auflistung von Tatbeständen, deren Erfüllung eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Interessen durch den Aufenthalt des Fremden indiziert; dennoch ist das Vorliegen eines der genannten Sachverhalte für sich genommen zur Erlassung eines Einreiseverbotes nicht ausreichend, vielmehr hat - unter Berücksichtigung des gesetzten Verhaltens - eine individuelle Gefährdungsprognose zu erfolgen, welche die Verhängung eines Einreiseverbotes in Abwägung mit den persönlichen Interessen des Drittstaatsangehörigen im Einzelfall gerechtfertigt erscheinen lässt (vgl Filzwieser et al, Asyl- und Fremdenrecht, § 53 FPG, K10).

 

Im Fall der Verhängung eines Einreiseverbots ist im Rahmen einer Gefährlichkeitsprognose das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der begangenen Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl VwGH vom 19.2.2013, 2012/18/0230). Außerdem ist auf die persönlichen und familiären Interessen des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen (vgl VwGH vom 20.12.2016, Ra 2016/21/0109).

 

Nach den ErläutRV (2144 BlgNR 24. GP 23 f) soll das Bundesamt "fortan im Einzelfall, zB bei einem nur einmaligen, geringfügigen Fehlverhalten des Drittstaatsangehörigen, auch ein 18 Monate unterschreitendes Einreiseverbot erlassen" können. Die genannten achtzehn Monate werden zwar im § 53 Abs 2 leg cit (idF BGBl I Nr 68/2013) nicht mehr erwähnt (vgl demgegenüber § 12a Abs 6 erster Satz AsylG 2005). Nach der gesetzgeberischen Intention kann es allerdings keinem Zweifel unterliegen, dass die Verhängung kurzfristiger Einreiseverbote (insbesondere solcher in einer Dauer von weniger als achtzehn Monaten) - oder überhaupt das Unterbleiben eines Einreiseverbotes - regelmäßig nur dann stattzufinden hat, wenn von dem betreffenden Drittstaatsangehörigen keine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgeht. Das wird verschiedentlich dann der Fall sein, wenn der Drittstaatsangehörige "bloß" einen der Tatbestände des § 53 Abs 2 Z 1 bis 9 leg cit erfüllt (vgl VwGH vom 4.8.2016, Ra 2016/21/0207).

 

3.2.3.2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stützte die Erlassung des zweijährigen Einreiseverbotes auf § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG und argumentierte damit, dass die Beschwerdeführer einerseits, aufgrund des unrechtmäßigen Verbleib im Bundesgebiet, unter den Anwendungsbereich des Art 11 der Rückführungsrichtlinie fielen und andererseits der Tatbestand von § 53 Abs 2 Z 6 FPG erfüllt sei, zumal die Beschwerdeführer seit ihrer Einreise ausschließlich aus Mitteln der öffentlichen Hand leben würden.

 

Nach den getroffenen Feststellungen gehen weder der Erstbeschwerdeführer noch die Zweitbeschwerdeführerin einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nach, sondern beziehen diese lediglich Leistungen aus der Grundversorgung. Es ist daher zunächst zu klären, ob der Bezug von Grundversorgung als Nachweis ausreichender Existenzmittel ausreicht oder geradezu die Anwendbarkeit von § 53 Abs 2 Z 6 FPG bestätigt.

 

Da § 53 Abs 2 Z 6 FPG im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des § 60 Abs 2 Z 7 FrPolG 2005 idF vom 27.6.2006 entspricht, ist auf die hierzu ergangene Judikatur des VwGH zu verweisen. Demnach kann es nicht als rechtmäßig angesehen werden, wenn die Behörde gegenüber einem Asylwerber von ihrer Ermächtigung zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wegen Mittellosigkeit Gebrauch macht, solange diesem andererseits Mithilfe der Bundesbetreuung eine Grundversorgung in Österreich ermöglicht wird. Diese Überlegungen lassen sich aber nicht auf jene Fremde übertragen, deren Asylverfahren bereits rechtskräftig negativ beendet ist, die über keinen Aufenthaltstitel verfügen und gegen die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zulässig sind; dies gilt umso mehr, wenn ihnen bereits eine Ausreiseverpflichtung auferlegt wurde. In Bezug auf die Frage der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes wegen Mittellosigkeit unterscheidet sich diese Situation nämlich nicht von der eines anderen unrechtmäßig aufhältigen Fremden, dem von der öffentlichen Hand Unterstützungsleistungen gewährt werden. Unter dem Gesichtspunkt der Ermessensübung kommt daher dem vormals durchgeführten Asylverfahren und der Art der Unterstützungsleistung in Form der Grundversorgung keine ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl VwGH vom 23.2.2008, 2007/21/0245).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 60 Abs 2 Z 7 FPG (vor Inkrafttreten des FrÄG 2011) hat der Fremde initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen, dass er nicht bloß über Mittel zur kurzfristigen Bestreitung seines Unterhalts verfügt, sondern sein Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthalts gesichert erscheint. Die Verpflichtung, die Herkunft der für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen, besteht insoweit, als für die Behörde ersichtlich sein muss, dass der Fremde einen Rechtsanspruch darauf hat und die Mittel nicht aus illegalen Quellen stammen (vgl VwGH 13.09.2012, 2011/23/0156; 22.01.2013, 2012/18/0191).

 

Daraus folgt für den gegenständlichen Fall, dass der Bezug von Grundversorgung nicht als Nachweis über die notwendigen Existenzmittel ausreicht, da die Beschwerdeführer bereits mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7.12.2017 rechtskräftig in die Russische Föderation ausgewiesen wurden, diese jedoch im Bundesgebiet verblieben und im Juni 2018 neue Anträge auf internationalen Schutz stellten, ohne hierfür neue Gründe vorbringen zu können. Der neuerliche Bezug von Grundversorgung resultiert daher lediglich aus der Stellung von Folgeanträgen unter Missachtung der bereits im Jahr 2017 erlassenen Rückkehrentscheidungen. Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über keine Aufenthaltstitel beziehungsweise können der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin auch keine Beschäftigungsbewilligung vorweisen. Die Beschwerdeführer haben auch keine Familienangehörigen in Österreich, die sie unterstützen könnten.

 

Abgesehen von diesen Leistungen konnten die Beschwerdeführer keine Existenzmittel nachweisen und ist auch aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ersichtlich, aus welchen Mitteln diese künftig ihren Lebensunterhalt bestreiten werden. Es besteht sohin die konkrete Gefahr, dass die Beschwerdeführer infolge der Widersetzung fremdenbehördlicher Anordnungen eine Gebietskörperschaft finanziell belasten (vgl VwGH vom 13.9.2012, 2011/23/0156).

 

Angesichts des mittlerweile bald dreijährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet ohne nachhaltige Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit sowie der Missachtung von Rückkehrentscheidungen muss die Zukunftsprognose negativ ausfallen und kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer in naher Zukunft ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Unterstützungsleistungen werden bestreiten können (vgl in diesem Sinne auch schon die hg Entscheidungen vom 18.9.2018, W124 1419503-3, vom 6.11.2018, W220 2208175-1 und vom 8.11.2018, W222 1421188-2).

 

Im Sinne der oben zitierten Judikatur ist bei der Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden zu berücksichtigen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat in dieser Hinsicht vollkommen zutreffend ausgeführt, dass das Verhalten der Beschwerdeführer, insbesondere das Nichtbefolgen der Rückkehrentscheidung eine Missachtung der österreichischen Rechtsordnung und der Entscheidungen der österreichischen Verwaltungsbehörden und Gerichte seitens der Beschwerdeführer zum Ausdruck bringt.

 

All diese Umstände rechtfertigen sohin nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes - wie schon das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid zu Recht festgestellt hat - jedenfalls die Annahme, dass ein Verbleib der Beschwerdeführer im Bundesgebiet eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen, weshalb auch eine Gefährdungsprognose nicht zu Gunsten der Beschwerdeführer ausschlagen kann.

 

Die Erlassung eines Einreiseverbotes steht allerdings, ebenso wie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, unter dem Vorbehalt des § 9 BFA-VG. Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung demnach nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist (VwGH vom 2.10.2012, 2012/21/0044).

 

Wie bereits oben ausgeführt, verfügen die Beschwerdeführer in Österreich über keine über ihre Kernfamilie hinausgehenden familiären Anknüpfungspunkte und auch über kein ausgeprägtes Privatleben. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Privat- und Familienlebens in einem anderen Staat, der vom Geltungsbereich der Rückführungsrichtlinie umfasst ist, liegen nicht vor.

 

In Abwägung der persönlichen Interessen der Beschwerdeführer mit dem Interesse an der Verhängung von Einreiseverboten erscheint daher die Erlassung von Einreiseverboten, insbesondere in Anbetracht der fehlenden Existenzmittel in Zusammenschau mit der Missachtung fremdenbehördlicher Anordnungen sowie unter Berücksichtigung der nicht besonders ausgeprägten Integration im Bundesgebiet zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geboten.

 

Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes ist die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu berücksichtigen, wonach eine Unterschreitung eines achtzehnmonatigen Einreiseverbots dann gerechtfertigt ist, wenn keine gravierende Gefährdung vom Drittstaatsangehörigen ausgeht.

 

Im konkreten Fall wird die von den Beschwerdeführern ausgehende konkrete Gefährdung der öffentlichen Ordnung als gering bewertet, insbesondere auch unter Beachtung des Umstandes, dass der rechtliche Rahmen zur Ausübung einer erlaubten Erwerbstätigkeit für Antragsteller auf internationalen Schutz äußerst eingeschränkt ist. Insgesamt konnte daher mit der Verhängung eines Einreiseverbots für die Dauer von zwölf Monaten das Auslangen gefunden werden (vgl dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25.10.2018, Ra 2018/20/0318).

 

Nur der Vollständigkeit halber ist auszuführen, dass das Einreiseverbot, was die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen betrifft, ebenfalls zu bestätigen war, da die dafür maßgebliche Nichtbefolgung der Rückkehrentscheidung objektiv auch auf diese zutrifft.

 

3.2.4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

 

3.2.4.1. Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

 

Gemäß Art 47 Abs 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) -GRC - hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge Abs 2 leg cit hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

 

Nach Art 52 Abs 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

 

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.3.2012, Zl U 466/11 ua zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs 7 AsylG 2005 noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit Erkenntnis vom 28.5.2014, Zl Ra 2014/20/0017, mit der Frage des Entfalls einer mündlichen Verhandlung unter Auslegung des § § 21 Abs 7 BFA-VG befasst, wobei dem Grunde nach die zuvor zitierte Judikaturlinie der Höchstgerichte beibehalten wird. Daraus resultierend ergeben sich für die Auslegung des § § 21 Abs 7 BFA-VG folgende maßgeblichen Kriterien: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

 

3.2.4.2. Projiziert auf den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, dass aus dem Inhalt der Verwaltungsakte die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Es hat sich auch in der Beschwerde kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit den Beschwerdeführern zu erörtern (vgl dazu zuletzt die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.9.2018, Ra 2018/14/0084 und vom 25.10.2018, Ra 2018/20/0318).

 

In der Beschwerde finden sich keine Hinweise, wonach eine weitere mündliche Verhandlung notwendig ist, zumal sich dort keine substantiierten Ausführungen finden, die dies erforderlich machen würden; dies gilt auch und gerade hinsichtlich der angefochtenen Rückkehrentscheidung unter Einbeziehung der in den Einvernahmen vom 21.6.2018 und 5.7.2018 seitens der Beschwerdeführer in diesem sachlichen Konnex getätigten Ausführungen, wie auch aller vorgelegter ärztlicher Befunde.

 

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat sich ausreichend und abschließend mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer auseinandergesetzt. Die Ermittlung des Sachverhaltes durch das Bundesamt war nicht zu beanstanden.

 

Der maßgebliche Sachverhalt war demnach aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen.

 

Dem Bundesverwaltungsgericht lag sohin kein Beschwerdevorbringen vor, das mit den Beschwerdeführern mündlich zu erörtern gewesen wäre, sodass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unterbleiben konnte.

 

Abgesehen davon ist festzuhalten, dass aus einer systematischen Betrachtung der einschlägigen gesetzlichen Spezial-Regelungen (§§ 21 Abs 6a und 7 BFA-VG, 28 Abs 3 VwGVG) und dazu ergangener höchstgerichtlicher Judikatur abzuleiten ist, dass der gesetzlichen Intention zufolge eine gerichtliche Beschwerdeverhandlung in Verfahren über zurückweisende Bescheide im Zulassungsverfahren regelmäßig nicht vorgesehen ist (vgl insb VwGH vom 18.10.2017, Ra 2017/19/0226, VwGH vom 28.4.2015, Ra 2014/19/0172, vom 8.9.2015, Ra 2014/18/0157 bis 0159 sowie vom 15.12.2015, Ra 2015/19/0212); vgl auch EuGH 26.7.2016, C-348/16).

 

3.3. Zu Spruchteil B)

 

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl die unter Spruchteil A angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Weiters liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich vergleichbaren Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage im Wesentlichen übertragbar. Zu verweisen ist beispielsweise auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.6.2014, Ra 2014/01/0029-4, vom 26.9.2018, Ra 2018/14/0084, und vom 25.10.2018, Ra 2018/20/0318, mit welchen die außerordentlichen Revisionen in Verfahren gemäß § 68 AVG mangels Sachverhaltsänderung zurückgewiesen wurden.

 

Aus den im gegenständlichen Erkenntnis enthaltenen Ausführungen geht hervor, dass das erkennende Gericht im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere zum Vorliegen des Prozesshindernisses der entschiedenen Sache und zum durch Art 8 EMRK geschützten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, abgeht.

 

Ebenso wird zu diesen Themenbereichen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert.

 

Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs übertragbar (vgl insb VwGH vom 17.5.2017, Ra 2017/22/0059, vom 30.6.2016, Ra 2016/21/0076, vom 17.11.2016, Ra 2016/21/0183, vom 7.9.2016, Ra 2016/19/0168, vom 4.10.2018, Ra 2018/22/0184 sowie vom 25.10.2018, Ra 2018/20/0318).

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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